Mulan-nur anders von siiben (Gender Bender) ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Im Land war ein neues Gesetz in Kraft getreten, das besagte, dass ein Mann aus jeder Familie ins Militär eintreten solle. Die Anmeldung stellte sich als einfacher als gedacht heraus. Vermutlich rechnete kein Mensch damit, dass sich eine Frau anmelden oder ein Mann einen falschen Namen verwenden könnte. Ich ließ meine Zigarette fallen und stellte mich an den Tisch, auf dem ein Kärtchen mit dem Wort ANMELDUNG platziert war. Daneben lag ein Zettel mit unsauberer Schrift auf dem ‚gleich wieder da’ stand. Also wartete ich. Bereits vor zwei Jahren war dieses Gesetz von der Regierung angedeutet worden, was es mir erleichtert hatte, mich auf diesen Umstand vorzubereiten. Mir war sofort aufgegangen, dass mein Vater als einziger Mann der Familie eingezogen werden würde. Ich hatte drei kleinere Schwestern. Wie sollten sie ohne Mutter und dann auch noch ohne Vater leben? Damals war ich 13 Jahre alt gewesen, allerdings war es leicht, mich älter zu machen. Meine langen roten Haare wurden kurz vor Einzugsbefehl gekürzt und schwarz gefärbt. Mein kindlicher Gesichtsausdruck gewann allein durch die schlaflosen Nächte, die ich aus Angst vor der Strafe durchmachte, an Härte. Wenn herauskäme, dass ich eine Frau war und nicht mal volljährig, würde ich nicht nur getötet, auch meine Familie würde ihren Stand verlieren. Also musste ich perfekt spielen. Nur zwei Jahre. Dann war die Pflichtzeit der Armee abgeschlossen. Mein Rücken schmerzte. Ich stand konstant gebeugt, damit niemand die leichte Beule meiner abgebundenen Brust sehen konnte. Ich wuschelte mir kurz durch das abstehende Haar und gähnte. Ein genervtes Hüsteln lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Tisch und ich musste feststellen, dass er wieder besetzt war. Da saß ein junger Mann mit einem äußerst genervten Gesichtsausdruck. Obwohl er auf einem Stuhl saß, war er mir mit der gebeugten Haltung fast auf Augenhöhe. Deprimierend. Er stützte seinen Kopf gelangweilt ab und schielte mich missbilligend durch die blonden Haare an. Glücklicherweise war meine Stimme, seit ich mit Rauchen angefangen hatte, einige Oktaven gesunken. „Ich bin hier, um mich für Familie Antaris anzumelden.“ Er musterte mich mit hochgezogener Augenbraue. Ich konnte diesem aufgeblasenen Kerl leider nicht böse sein. Auch wenn ich nahezu alle weiblichen Merkmale meines Körpers verschwinden lassen habe, entsprach meine Statur wohl eher der eines schlaksigen Küchenjungen als der eines heroischen Militärs. Ich war überrascht, da er genau diesen Vergleich aus meinem Kopf ansprach. „Sicher, dass du sich hier anmelden willst? Die Versorgungsabteilung findest du woanders.“ Als ob das Thema damit abgeschlossen wäre, lehnte er sich zurück, zündete sich eine Zigarette an und widmete sich den Zetteln, die verstreut auf dem Tisch verteilt waren. Ich war noch nie sonderlich reizbar gewesen, also blieb ich ruhig. „Doch, ich bin mir sicher.“, sagte ich nüchtern. Wie könnte ein ‚Mann’ aus der ehrenwerten Familie Antaris denn Küchendienst machen. Das würde Schande über die ganze Familie bringen. Der junge Mann richtete seinen Blick wieder auf mich und seufzte. Er nahm ein Blatt Papier mit einer unvollkommenen Liste und einen Stift hervor. „Name?“ „Sieben Antaris.“ Er stutzte kaum merklich: „Wie bitte?“, fragte er ohne jegliche Wertung und ich wiederholte meinen Zahlennamen. Nachdem er die Worte unsauber aufgekritzelt hatte, schob er das Papier mit der Anweisung: „Unterschreiben.“, zu mir. „Geh durchs Tor und such einen, der auf den Namen ‚Mahony’ hört. Der wird dir alles erklären.“ Und wieder lehnte er sich zurück und betrachtete gelangweilt einige Zettel. Ich konnte von Glück reden, dass die Soldaten hier alle Namensschilder trugen. So war es einfach besagten Mann zu finden. Es dauerte auch nicht lange, bis ich ihn fand. Er war auch ziemlich groß, hatte aber dunkelbraunes, längeres Haar, als der Kerl bei der Anmeldung. Erst jetzt fiel mir auf, dass der kein Namensschild getragen hatte. Falls ich ihn noch mal treffen sollte, würde ich ihn Mister Namenlos nennen, ging es mir durch den Kopf. Ich schüttelte mich. Da waren sie wieder. Die Gedankengänge des jungen Mädchens, das ich eigentlich war. Schnell verbannte ich sie. „Mister Mahony?“ Der junge Mann drehte sich mit hochgezogener Augenbraue um. Sofort konnte ich die längliche Narbe sehen, die sich über sein rechtes Auge zog und es somit unbrauchbar machte. Die Lider waren zugenäht und die Narbe wirkte, als hätte sie ihren Urspruch in einer Verbrennung. „Hm?“ Mir war schon klar, dass ich ihn vermutlich mit dem falschen Titel angesprochen hatte, aber ich redete weiter. „Der Mann bei der Anmeldung hat mich zu ihnen geschickt.“ Jetzt wandte er sich ganz mir zu. „Lueraine?“ Ich zuckte mit den Schultern. Mister Namenlos hatte ja kein Schild getragen. Mein Gegenüber seufzte: „Hat er’s schon wieder vergessen…“ Er musterte mich. Immerhin besaß er den Anstand, mich nicht zum Versorgungstrupp schicken zu wollen. „Komm mit.“ Auf dem Weg zum Zeltplatz erklärte er mir einiges über das Gelände. Wo es Essen gab, wo man duschen konnte, und wo ich mein Zelt bekam. Außerdem erwähnte er beiläufig, dass die neuen Rekruten bald ihren Ausbilder kennen lernen sollten. Mit dem Satz „Viel Glück“, verabschiedete er sich von mir. Über die wahre Bedeutung dieser Worte sollte ich mir schon bald ganz genau Gedanken machen können. Mit dem verschnürten Zelt in den Armen hatte ich mir einen Fleck am Rand des Zeltplatzes gesucht. Möglichst abseits der anderen Rekruten, denn ich hatte, wie man sich denken konnte, kein Interesse daran, mich mit irgendwelchen Männern zu unterhalten. Nach einem genauen Blick auf das Bündel von Stoffen, Seilen und Stöcken wurde mir klar, dass ich keine Ahnung vom Zelteaufbauen hatte. Ein genialer Start. Ich duckte mich und versuchte mein Glück. Auch hier war meine natürliche Geduld von Vorteil. Nach ungefähr dreißig Minuten hatte ich mir das System von den anderen Zelten abgeguckt und war fast mit dem Aufbauen fertig, als mein Werk unverhofft durch einen gut platzierten Fußtritt in sich zusammen brach. Ich richtete meinen Blick auf und erkannte innerlich stöhnend Mister Namenlos, der mich missbilligend musterte. „Das war nicht stabil genug“, bemerkte er arrogant. Es lag nicht in meiner Absicht, ihn anzumotzen, auch wenn sich meine Antwort so anhörte. „Es war ja auch noch nicht fertig.“ Er zog eine Augenbraue hoch und beugte sich runter. „Du solltest dich nicht im Ton vergreifen.“ Ein einfaches ‚Ja, Sir’ hätte genügt, doch dummerweise entdeckte ich nun das Namensschild, das er sich vermutlich auf Geheiß Mahony’s angesteckt hatte. „Sie haben ja auch einen Namen.“ Wie gesagt, lag es nicht in meiner Absicht spitze Antworten zu geben. Ich erwähnte nur, was ich sah, bevor ich nachdachte. Später sollte ich erfahren, dass das wahrscheinlich der größte Fehler war, den ich machen konnte. Das er eine Abneigung mir gegenüber empfand war nun mehr als offensichtlich. Ich wich seinem gereizten Blick aus. Ich wollte keinen Ärger. Er richtete sich zu voller Größe auf und sagte laut, an alle Rekruten gerichtet: „Ich bin euer Ausbilder und für die nächsten zwei Jahre für euch zuständig. Morgen früh seit ihr punkt sechs am Übungsplatz.“ Nun sah er mich von oben herab an. „Ist das klar?“ Niemand sagte ein Wort, doch da ich mich irgendwie angesprochen fühlte, rutschte mir ein: „Sicher, Sir“ heraus. Mit einem Mal griff er mich am Kragen und ließ mich vor seinem Gesicht schweben. „Es heißt, Hauptmann, klar?“ Ich war zwar etwas überrumpelt von der Situation, doch mich konnte so leicht nichts durcheinander bringen. „Sicher, Hauptmann.“ Ich verstand wirklich nicht, warum ihn meine Antworten so auf die Palme brachten. Schließlich stimmte ich ihm ja nur zu. Schwungvoll warf er mich zu Boden, sodass ich auf meinem Hintern landete. Während er sich zum Gehen abwandte, zischte er noch: „Freu dich auf morgen, Kleiner“, und trampelte vom Zeltplatz. Irgendwie kam ich mir dumm vor. Wenn ich mich so umsah, konnte ich sehen, wie mich die anderen Neuen ehrfürchtig anstarrten. Witzig, dass ich nicht mal wusste, was ich falsch gemacht hatte, oder richtig. Alles was ich momentan konnte, war, darauf zu hoffen, dass sie diesen Vorfall vergessen würden. Weit gefehlt, wie sich am nächsten Morgen herausstellen sollte. Nachdem ich es geschafft hatte, mein Zelt in eine halbwegs stabile Haltung zu bringen, hatte ich meine Tasche mit den wenigen Erinnerungen an meine Familie hinein gelegt, den Schlafsack ausgebreitet und mich auf die nächste schlaflose Nacht vorbereitet. Ich wusste schon im Voraus, dass ich auf den Schlaf verzichten durfte. Ich war den Weg hier her allein gelaufen und hatte mir die Rute selbst gewählt. Aber ich hatte Angst. Wenn heraus käme, dass ich eine Frau war, würde ich hingerichtet werden, aber was mir am meisten Angst machte, war, dass meine hochrangige Familie alles verlieren könnte. Vor zwei Jahren hatte ich den Verlust der Ehre mit dem Tod meines Vaters abgewogen und war zu dem Schluss gekommen, dass letzteres schwerer zu verkraften war. Für meine jungen Schwestern jedenfalls. Die kühle Frühlingsnacht blies meinen Kopf frei, doch schlafen konnte ich immer noch nicht, also nahm ich das Familienfoto aus der Tasche. Alle blickten mich lächelnd an. Als der Morgen graute, wurde mir klar, dass ich es scheinbar Stunden angestarrt hatte. Ich fragte mich, woher die Soldaten hier die Uhrzeit wissen sollten und schämte mich für diese Gedanken, als im nächsten Moment ein lauter Gong erklang. Knackend reckte sich mein steifer Körper und ich krabbelte aus dem Zelt. Einige Neulinge liefen draußen bereits herum, andere steckten verschlafen ihre Köpfe aus den Zelten. Ich trottete zum Übungsplatz, dessen Standpunkt mir Mahony beschrieben hatte. Auch dort standen bereits einige Männer und warteten. Ich stellte mich in einigem Abstand zu ihnen und tat es ihnen gleich. Als wir um die 20 waren, tauchte Mister Namenlos auf. Er überging eine Begrüßung und startete sogleich sympathisch, wie er war: „Bevor ihr Frühstücken dürft, lauft ihr zehn Runden.“ Der Übungsplatz war nicht gerade groß, aber ich verkniff mir –anders als viele andere- ein Stöhnen. „Ach, so! Ihr wollt 15 laufen. Sagt das doch gleich!“, zischte der Hauptmann gewohnt gereizt. Mucksmäuschen still war es und zufrieden grinsend setzte sich der blonde Mann auf eine Bank. „Wenn ihr noch länger wartet, dürft ihr auch 20 Runden laufen.“ Das war der Motivation genug für alle und die Truppe setzte sich in Bewegung. Ich war es nicht gewohnt, diese Art von Anstrengung auf mich zu nehmen. Die letzten 15 Jahre meines Lebens habe ich mich ausschließlich um den Abwasch, die Wäsche und um meine Schwestern gekümmert. Vermutlich war das auch der Grund dafür, dass ich mit Abstand die Letzte war. Bereits nach einer halben Runde fühlte sich meine Lunge an, als würde sie kollabieren. Aber was hatte ich schon für eine Wahl. Während alle anderen schon fertig waren und sich zum Frühstücken trollten, war ich bei Runde zehn. Meine Beine brannten, aber ich rannte weiter. Jede Bewegung schoss Nagespitzen in meine Waden und ich war froh, dass ich die 15. nach Luft ringend überstanden hatte. Als ich mich auf meinen Knien abstützte, kam Hauptmann Lueraine auf mich zu. „Das waren aber keine 15 Runden“, hörte ich ihn sagen. Ich hob meinen Kopf und sah ihn stirnrunzelnd an. „Wie bitte?“ Das war keine Provokation. Ich glaubte wirklich, ich hatte mich verhört, doch er verstand es wie bisher falsch. „Du hast mindestens fünf ausgelassen und für die Lüge darfst du noch fünf draufsetzten.“ Ich hätte schon jetzt am liebsten vor Erschöpfung laut losgeheult und nun sollte ich noch einmal zehn Kilometer laufen? Ehe ich etwas sagen konnte, sagte er, vor Genugtuung lächelnd: „Lauf, oder willst du noch mehr Ärger.“ Und genau das wollte ich nicht. Also lief ich und lief ich und lief ich. Ich war mir sicher, dass mein Tempo gerade wohl eher dem einer alten Oma entsprach, aber er hatte ja nicht gesagt, wie schnell ich zu laufen hatte. Ich spürte langsam, wie sich mein Magen umdrehte, aber es hätte nichts geholfen. Egal, was ich nun auch tat. Aus dieser Sache würde ich nicht herauskommen. Ich musste mich durchbeißen. Nach weiteren zehn Runden kippte ich vorn über ins Gras. Mein Körper sehnte sich so sehr nach Luft, dass mein Atem dem Bedarf nicht nachzukommen schien und ich glaubte, zu ersticken. Ich merkte, wie sich ein Fußpaar neben mich gesellte. „Wie schade. Du hast das Frühstück verpasst“, hörte ich Lueraine sagen, was mich gerade aber am allerwenigsten kratzte. Jetzt, da ich ums Überleben atmete. „Das war ne echt schwache Leistung. Hoffentlich bist du beim Kampfsport besser.“ Scheinbar wartete er, dass ich aufstand. Als er merkte, dass ich keine derartigen Anstalten machte, beugte er sich runter und zog mich grob am Kragen hoch, was mir noch mehr Luft raubte. Wenn ich vorher nicht kurz Zeit gehabt hätte, wäre ich jetzt erstickt. „Nun mach schon, du Schwächling!“, schrie er mich an und ließ mich los. Nur äußerst schwer konnte ich Gleichgewicht finden. „Geh!“ Der Hauptmann schubste mich weiter und ich taumelte vorwärts. Jeder Schritt brachte mich vor Schmerz fast um den Verstand. Aber es half alles nichts. Er schob mich roh zum hinteren Teil des Sportplatzes. Die anderen waren schon anwesend und blickten nahezu mitleidig zu mir. Als der Hauptmann aufgehört hatte, mich zu drängen, blieb ich einfach stehen. „Jetzt werd ich euch im Schwertkampf ausbilden“, kündigte er an. Ich spürte seinen Blick auf mir und mir schwante Übles. „Antaris hier ist das beste Beispiel für eine schlechte Haltung.“ Lueraine griff ein auf dem Boden liegendes Übungsschwert aus Holz. „Rücken grade!“, schrie er und klopfte auf meinen Rücken. Ich hatte mich wieder halbwegs erholt und ich machte mich grade. Heute Morgen hatte ich meine Brust mit solcher Gewalt abgebunden, dass ich sicher sein konnte, dass man nichts sah. „Schultern zurück!“ Und er schlug nicht gerade sanft mit dem Holz auf meine Schulterblätter, sodass ich seiner Anweisung folgte. „Kopf hoch!“ Ich hatte die miese Angewohnheit, immer auf den Boden zu starren, um keinen Blickkontakt aufbauen zu müssen. Man konnte sich denken, wie unwohl ich mich fühlte. Der Mann drückte mir nun ebenfalls ein Holzschwert in die Hände. Ich umschloss es mit beiden Händen und kassierte dafür gleich eine imaginäre Backpfeife: „Na sicher… Halt nen Schwert wie nen Kochlöffel. Willst du nicht doch in den Versorgungstrupp?“, fauchte er mich an. Zu meinem Verdruss fingen ein paar Rekruten an zu lachen. Jetzt sprach er nicht nur mich an: „Rechtshänder nehmen das Schwert in die rechte Hand. Linkshänder dementsprechend in die linke.“ Er sah mich an. „Und was bist du? Keinhänder, oder was?“ Wieder lachten ein paar. Ich nahm es in die rechte Hand. Er musterte mich spottend, schlug es mir aus der Hand und lachte höhnend: „Du musst es schon festhalten.“ Der Beobachter hätte sich nun denken können, dass ich völlig fertig war, aber Mister Namenlos interessierte dieser Umstand nicht die Bohne. Ich nahm das Holzstück wieder auf und blickte ihn neutral an, was er –selbstverständlich- wieder als Provokation interpretierte. Hätte er nun genauso zugeschlagen, wie das erste Mal, hätte es nichts gebracht, doch nun schlug er mit einer solchen Gewalt zu, dass es mir wieder aus der Hand rutschte und noch ein paar Meter flog. „Ich sagte, du sollst es FESTHALTEN.“, höhnte er. Dann seufzte er selbstmitleidig und wies an: „Stellt euch in einer Reihe auf und macht folgende Übungen nach.“ Noch ehe ich mein Schwert holen konnte, begann er bereits, sodass ich die Übungen von meinen Mitmenschen abgucken musste. Hauptmann Lueraine setzte sich wieder auf eine Bank und sah uns dabei zu. Scheinbar fand er gerade keinen Fehler bei mir, denn nach ein paar Minuten ab er neue Anweisungen, welche wir direkt befolgten. Als eine Glocke ertönte, schloss er die Übungen mit den Worten: „Geht jetzt Mittag essen. In einer Stunde habt ihr theoretischen Unterricht in Halle zwei. Seid pünktlich“, ab. Wir trollten uns. Einerseits starb ich fast vor Hunger. Andererseits hatte ich das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Beim Frühstück, das ich ja versäumt hatte, hatten sich bereits einige Rekruten angefreundet, was mich noch einsamer fühlen ließ. Sicher. Ich wollte möglichst wenig Kontakt, aber jetzt machte mich der Gedanke an die nächsten zwei Jahre fertig. Wer war schon gern mit dem befreundet, den der Hauptmann auf den Kieker hatte. Stumm trottete ich zur Essensausgabe, holte mein Essen und setzte mich abseits der Tische aufs Gras. Glücklicherweise war ich nicht die einzige, die auf diese Idee gekommen war. Sonst hätte Mister Namenlos wohl wieder einen Grund gehabt, mich an zu schnauzen. Als ich mich essend umsah, stutzte ich. Ich sah eine Frau. Sie war in einen weißen Kittel gekleidet, hatte lange, rosa Haare und eine verwuschelte Frisur. Ich hatte zwar gehört, dass Frauen im Sanitätsdienst erlaubt waren, aber dass sich jemand freiwillig dieser Tortur unterziehen würde… Ich sah ihr nach. Sie war größer als ich und wunderschön. Wenn ich noch ein anständiges Leben als Frau vor mir hätte, würde ich mir wünschen, dass ich ihr ein wenig ähneln würde. Sie verschwand aus meinem Blickfeld und ich widmete mich wieder dem Essen. Sie hatte es hier sicher nicht leichter als ich. Wenn ich mir vorstellte, als Frau unter lauter Männern fern der Heimat zu sein, würde mir sehr unwohl sein. Die Stunde verging schnell und so machte ich mich zu Halle zwei auf. Da kein Mensch davor stand betrat ich das Gebäude. Ich stand in einem kleinen Zimmer mit vielen Tischen, auf denen Blöcke und Stifte lagen. Ganz vorn stand ein älterer Mann. Sonst war niemand im Raum. Er hob den Kopf und blickte mich an: „Oh! Du bist der erste.“ „Bin ich hier richtig?“ „Wenn du zur Lueraine-Gruppe gehörst, setz dich bitte.“ Ich tat, wie mir geheißen. Nachdem auch der letzte den Weg hierher gefunden hatte, stellte sich der Herr vor: „Mein Name ist Cornell Greas. Ich werde euch in Theorie unterrichten.“ Den Verlauf des Unterrichts zu schildern wäre nicht der Rede wert. Er erzählte uns einfach eine Menge über die Geschichte des Militärs und den Aufbau verschiedener Schusswaffen und anderen Utensilien und wir schrieben das Wichtigste mit. Er schloss die zwei Stunden mit der Anweisung, den Stoff bis morgen gelernt zu haben, ab. Vor der Tür erwartete uns schon der wie immer gut gelaunte Hauptmann. Schon jetzt krampfte sich mein Inneres bei seinem Anblick zusammen. „Ihr habt jetzt noch mal eine Stunde bei mir Schwertkampf und dann bei Leutnant Mahony Umgang mit Feuerwaffen“, bemerkte er gelangweilt und wir folgten ihm wieder zum Übungsplatz. Dort angekommen, fiel sein Blick wieder auf mich und eine Art von Schadenfreude flackerte in seinen Augen auf. „Antaris zeigt uns am besten mal, was wir vorhin gelernt haben.“ Am liebsten wäre ich jetzt ganz weit weggerannt, aber ich trat neben ihn, nahm ein Schwert und stellte mich richtig hin. Das Schwert in der Rechten. Für einen Moment konnte ich ein böses Grinsen auf seinem sonst griesgrämigen Gesicht entdecken, doch dann schlug er mir wieder mit Gewalt das Schwert weg. „Hmm… Vielleicht zeigt uns doch wer anderes, wie das war.“ Und wieder hörte ich lachen. Ich merkte, wie sich von Mal zu Mal mehr amüsieren konnten. Ich reihte mich wieder ein und machte die Übungen mit, die ein anderer Rekrut demonstrieren durfte. Scheinbar machte ich meine Sache so, dass es sich nicht lohnte, mich weiter zu demütigen, denn der Herr Hauptmann ließ mich in Frieden. Nach der Stunde, in der wir erneut Übungen machten, kündigte er an: „Morgen werdet ihr gegeneinander Kämpfen üben. Da ihr eine ungerade Zahl seid, muss einer mit mir Vorlieb nehmen.“ Sein Blick fiel wie zufällig auf mich. Ich spürte, wie sich mein Magen in einem Anflug von Panik zusammenzog. „Geht jetzt zum vorderen Teil des Sportplatzes. Mahony wartet schon.“ Mit einem Blick in die Richtung, in die er mit einer leichten Kopfbewegung deutete, fiel mir wieder ein, dass Mahony der Mann war, der mir das Gelände gezeigt hatte. Während die anderen sich zum ihm bewegten, hörte ich Lueraines Stimme: „Antaris!“ Ich wandte mich ihm zu. „Du kommst vor dem Abendessen noch einmal hierher.“, wies er, ohne mich anzusehen, an. Ich nickte: „Sicher, Hauptmann Lueraine.“ Ich konnte nur hoffen, dass er diese Antwort nicht wieder falsch verstehen würde und bevor er noch die Chance hatte, etwas zu erwidern, lief ich zum Leutnant. „Die Waffen, die vor euch liegen sind alte Modelle und selbstverständlich nicht geladen. Ihr werdet euch erst mal an das Gewicht gewöhnen. Hebt sie mal hoch.“ Ich griff nach der metallenen Schusswaffe und hob sie an. Ich konnte sie gerade mit beiden Händen hoch hieven. Meine Gliedmaßen fühlten sich so schon an wie Blei und nun zog ein solches Gewicht an mir, dass ich glaubte, jeden Moment zusammenzubrechen. Ich sah mich kurz nach meinen Mithäftlingen um und musste feststellen, dass sie ähnliche, aber nicht die gleichen Probleme hatten. Leutnant Mahony sah uns amüsiert dabei zu, wie wir mit den Waffen kämpften. Ungewollt zog ich alle Aufmerksamkeit auf mich, als mir das schwere Teil aus den Händen glitt. „Ihr versucht mal weiter, sie anzulegen“, rief er zu den anderen und kam auf mich zu. Ich hatte derweil wieder das Ding in den Händen, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht einen Millimeter damit bewegen. Gleich würde ich umkippen, ging es mir durch den Kopf. Ich kam total aus dem Gleichgewicht, als der Braunhaarige mir die Waffe aus der Hand nahm. Mit den Worten: „Is’n bisschen schwer, wenn man’s nicht gewohnt ist“, klappte er das Bleigewehr auseinander, baute ein Teil ab und gab mir den Rest. „Das ist ganz normal. Keine Sorge.“ Es war zwar immer noch unheimlich schwer, aber ich konnte damit umgehen. „Danke, Leutnant Mahony.“ Er lächelte nett. „Wenn du dich daran gewöhnt hast, erhöhe ich das Gewicht.“ Dieser Mensch war der erste hier, der mich nicht pausenlos demütigte. „Selbstverständlich“, stimmte ich ihm absolut einsichtig zu und ganz offensichtlich verstand er mich nicht falsch. Auch dafür war ich ihm dankbar. Obwohl die nächsten zwei Stunden sehr anstrengend waren, vergingen sie viel zu schnell. Vor allem in Anbetracht des Umstandes, dass mich gleich Lueraine erwartete, hätte ich meinetwegen ewig das Bleiteil hin und her getragen. „Okay. Ihr könnt jetzt zum Abendessen gehen“, erklärte Mahony am Ende zu meinem Verdruss. Als ich wie alle anderen meine Waffe abgeben wollte, sagte er: „Kannst du deine Waffe mitnehmen? Wenn ich die zum Lagerhaus trage, wird’s schwer, deine wieder zu finden.“ Ich nickte. „Selbstverständlich.“ „Gut.“ Ich ging nicht Richtung Abendessen, sondern zum hinteren Teil des Sportplatzes, wo ich Mister Namenlos schon entdeckt hatte. „Zum Abendessen geht’s da lag!“, rief der Leutnant mir hinterher. Ich wandte mich kurz um und antwortete: „Ich soll noch mal zu Hauptmann Lueraine.“ Er nickte und verließ den Übungsplatz. „Warum hast du deine Übungswaffe dabei?“, fragte Lueraine misstrauisch, nachdem ich bei ihm angekommen war. Ich hatte nicht das Bedürfnis, ihm zu erklären, dass sein braunhaariger Kollege mir das Ding leichter gemacht hatte und ich nun immer mit diesem Modell üben sollte, weshalb ich die Sparversion preisgab: „Leutnant Mahony sagte, ich solle sie mitnehmen.“ Er hob eine Augenbraue. „Das trifft sich gut.“ Er lächelte finster. „Aufgrund deiner erbärmlichen Leistung kam ich zu dem Schluss, dass du noch ein wenig laufen solltest.“ Ich musste schlucken. „Wie viel.“, fragte ich nüchtern. Und wieder fasste er meine Frage falsch auf und erwiderte scharf: „Sagen wir zehn Runden. Und du wirst mit Waffe laufen.“ Ich drehte mich um, um loszulaufen. „Ach, und renn doch diesmal etwas schneller, als eine 90jährige…“ Bei dem Gedanken an die furchtbaren Schmerzen und die Anstrengung, musste ich die Tränen der Verzweiflung zurückhalten und setzte mich in Bewegung. Diesmal dauerte es keine halbe Runde, bis ich fertig war, nein, bereits nach den ersten schnelleren Schritten, spürte ich, wie alles schmerzte. Doch ich musste mich durchbeißen. Nicht, dass ich besonders stolz wäre und mir meine Ehre sagte, ich solle weiter rennen. Der Grund war wesentlich schlichter und wesentlich weniger heroisch. Ich hatte einfach keine Wahl. Mir boten sich keine Optionen. Ich konnte nicht weg. Ich durfte mich meinem Vorgesetzten nicht widersetzen. Ich musste diese Qual auf mich nehmen und rennen. Die Schmerzen zu beschreiben, würde hier zu lange dauern. Zusammengefasst könnte man sie als Hölle bezeichnen. Irgendwann verschwamm alles und ich nahm nur noch den Weg, unter meinen wunden Füßen wahr. Nach zehn Runden, die zehn Kilometern entsprachen, wie Mahony mir gestern bei meiner Ankunft erklärt hatte, war ich so fertig, dass ich glaubte, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Ich ließ die Bleiwaffe fallen und sah auf, als ich Schritte hörte. „Ich hab dir doch gesagt, dass du nicht schummeln sollst. Du bist nur acht Runden gelaufen…“ Ich konnte nicht mehr. Ich war so kaputt, dass sich meine Augen mit Tränen füllten und ich auf den Boden starrte. Ich konnte nichts tun. Ich konnte sie nicht unterdrücken. Ich war einfach zu erschöpft. „Rick!“, hörte ich eine bekannte Stimme, aber ich wollte meinen Kopf nicht heben, aus Angst, Lueraine und Mahony würden meine Tränen sehen. Ich hörte Mister Namenlos’ Stimme: „Was denn?“ „Ich hab dir was zu essen zurückgestellt. Kommst du?“ Ich konnte fühlen, dass der Blonde unschlüssig war. Einerseits wollte er mich noch weiter quälen und andererseits wollte er essen. „Okay… Du kannst gehen, Antaris. Die Runden wirst du morgen nach holen.“ Damit gingen die beiden. Als ich mich kurz davon überzeugte, dass die beiden außer Sicht waren, ließ ich mich auf den Boden sinken. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß. Irgendwann merkte ich, wie die Dunkelheit Einzug gehalten hatte. Meine Tränen hatte ich schon längst wieder in den Griff bekommen. Ich stand taumelnd auf, nahm das schwere Gewehr und schlich zum Zelt. Vollkommen ausgelaugt legte ich mich auf meinen Schlafplatz. Jede Faser in meinem Körper kreischte vor Schmerz. Am liebsten hätte ich laut los geheult, aber das konnte ich ja nicht. Ich fühlte mich furchtbar. Das einzig gute an diesem Tag war, dass ich nun tatsächlich in der Lage war, zu schlafen und dem Schmerz zu entkommen. Der nächste Morgen begann für mich nicht mit dem sechs Uhr Glockenklang. Glücklicherweise war ich es schon in meinem früheren Leben gewohnt gewesen, fünf Uhr morgens aufzustehen. Ich lag still in meinem Schlafsack und atmete tief durch. Ich war bereit für den nächsten Höllentag. So hatte ich es mir schließlich ausgesucht. Auch die Schmerzen waren wie weg geblasen. Ich hatte neuen Mut. Um ehrlich zu sein hielt er genau 2,5 Sekunden an. Nämlich bis ich mich aufrichtete und die Schmerzen vom Vortag zurückkehrten. In Form von Krämpfen und Muskelkatern. Ich sank wieder in den Schlafsack und ließ mir einige Minuten und einen Blick auf das Familienfoto Zeit, ehe ich einen neuen Versuch startete, um mich vor mein Zelt zu setzten und Eine zu rauchen. Mein Magen wollte Nahrung, aber ich war mir aus irgendeinem Grund sicher, dass er bis zum Mittagessen warten musste. Ich saß dort eine ganze Weile und bekam genau mit, wie nach und nach die Rekruten erwachten und aus ihren Zelten krochen. Viele vermieden es, mich anzusehen, doch ich bekam schon mit, wie mir einige spottende Blicke zuwarfen. Als der sechs Uhr Ton erklang, stand ich mit steifem Körper auf und bewegte mich zum verhassten Sportplatz. Wie auch schon am Vortag, überging Mister Namenlos die Begrüßung und –charmant wie er war- erklärte er unsere innovative Aufgabe: „Ihr lauft 15 Runden. Antaris 20.“ Er sah mich an. „Wo ist deine Waffe? Du läufst mit ihr.“ Ich musste schlucken, holte aber hurtig das Bleigewehr. Als ich wieder zurück war, hatten die anderen bereits die ersten drei Runden absolviert. Bevor ich loslaufen konnte, ließ Lueraine seine Laune an mir aus: „Du hast zu lange gebraucht. Du rennst 25.“ Um ehrlich zu sein, taten meine Arme und Beine schon jetzt weh, doch ich hatte ja keine Wahl. Also lief ich los. Nach ca. 100m machten die Krämpfe, die Muskelkater und die neue Erschöpfung gemeinsame Sache und fraßen mich von innen auf. Im Prinzip fühlte sich das ganze genauso furchtbar wie schon gestern an. Ich bräuchte also kaum erwähnen, dass ich am Ende wirklich am Ende war. „Du hast schon wieder das Frühstück verpasst.“, bemerkte der Hauptmann überflüssigerweise. Ich hatte wie das letzte Mal auf dem Boden Stellung bezogen und versuchte verzweifelt, meinen Körper ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen, als er mich wieder grob am Kragen hoch zerrte. „Nun mach schon!“, schrie er genervt, doch als er mich abstellte, gaben meine Beine nach und ich landete wieder auf dem Boden. Er stöhnte arrogant. „Du bist echt erbärmlich, Antaris.“ Ich stand mit Wackelpuddingbeinen auf und sagte eher zu mir als zu ihm: „Wenn sie das sagen, Hauptmann Lueraine…“ Er stieß mich vorwärts. Er hatte es wieder als Provokation aufgefasst. Ich schleppte mich und das unvollständige Bleiteil zum Schwertkampfübungsplatz, wo er mir besagtes Teil entriss und es mit einem tausendmal leichteren Holzschwert ersetzte. „Was haben wir letztes Mal gelernt, Antaris?“ Diesmal hatte ich keine Zeit gehabt, mich zu erholen. In die richtige Haltung konnte ich mich noch bringen, doch meine Kraft war aufgebraucht, sodass er mir wie schon die Male davor das Schwert mit Leichtigkeit aus der Hand schlug. Meine rechte Hand verkrampfte sich schmerzlich, aber ich schenkte dem keine Beachtung. Er verdrehte die Augen. Wieder lachten viele Rekruten. „Ich denke, wir werden noch ein Wenig üben und nachher machen wir ein paar Probekämpfe“, richtete er sein Wort an die anderen. Ich reihte mich wie immer ein und tat es den anderen gleich. Aber wie gesagt, hatte ich keine Kraft mehr und so machte ich Fehler, zu seiner Freude, „Antaris, schwingen wir wieder den Kochlöffel?“ Jetzt kicherten alle. „Nein, Hauptmann Lueraine.“ Ich bräuchte wohl nicht erwähnen, wie er es verstand. „Nach der Stunde bleibst du hier und bekommst Nachhilfe.“ Ich dummes Mädchen konnte meine Klappe natürlich nicht halten und mir entfleuchte ein: „Im Laufen?“ Er starrte mich bedrohlich an. Ich betrachtete lieber das Gras zu seinen Füßen. Nach der Stunde verzogen sich alle zum Mittag essen. Nur ich und er blieben zurück und ich musste meinem Magen irgendwie erklären, dass er heute allem Anschein nach keine Nahrung mehr bekam. „Da du ja scheinbar ein Problem mit Ausdauertraining hast, werde ich dir ein Wenig im Schwertkampf nachhelfen.“ Ich bekam einen leichten Anflug von Panik. „Stell dich mir gegenüber hin.“ Ich tat wie geheißen. Er seufzte. „Haltung beachten.“ Ich korrigierte mich. „Halt doch mal das Schwert richtig!“ Auch, wenn er offen seine Abneigung gegen mich zeigte, hatte ich das Gefühl, dass ihm die Lust daran vergangen war, mich zu demütigen. Es war ja auch keiner mehr da, der gelacht hätte. Ich umfasste den Holzstock fester, doch er fiel mir wieder nach einem gekonnten Schlag auf den Grasboden. Mein Gegenüber sah mich mürrisch an. „Willst du überhaupt was lernen?“, bellte er mich an. „Ja, Hauptmann Lueraine.“ In einem plötzlichen Wutausbruch griff er mich wieder am Kragen. „Dann bemüh dich gefälligst!“ Ich konnte nie besonders gut Blickkontakt aufnehmen, geschweige denn konnte ich solchen halten. Also starrte ich auf den Boden. Verärgert ließ er mich wieder fallen, doch da meine zittrigen Beine keinen Halt fanden, plumpste ich ins Gras. „Sinnlos, dir was beibringen zu wollen. Du rennst noch mal ein paar Runden.“ Ich spähte zu ihm hoch. „Wie viel?“ „Zehn Runden. Dann gehst du sofort zum Theorieunterricht.“ Damit zog er ab. „Ach so!“, er wandte sich noch mal um: „Du nimmst des Bleigewehr selbstverständlich mit.“ Und ein zuckersüßes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Meine Gliedmaßen rebellierten gewaltig, als ich mich nach besagtem Gewehr bückte, doch mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden. Nach den zehn Kilometern fühlte ich mich wie schon am Morgen und gestern Abend und gestern Morgen. Absolut ausgelaugt. Ich schleppte mich zu Halle 2 und merkte gar nicht, wie mir das Bleiding langsam aus der Hand glitt. Erst, als ich bei Halle 2 angekommen war, fiel es mir auf. Ich drehte mich träge um und machte einen Schritt zurück. „Antaris?“, ertönte Mahonys Stimme. „Müsstest du jetzt nicht Theorie haben?“ Ich kratzte mich schusselig am Kopf: „Ja. Ich habe etwas vergessen.“ Ehe ich Genaueres erklären musste, wollte ich verschwinden, aber er begleitete mich. „Was hast du denn vergessen?“ Ich versuchte, meinen Atem auf eine halbwegs normale Geschwindigkeit zu drosseln. „Ich hab das Gewehr vergessen.“ Er seufzte und legte eine Hand auf sein vernarbtes Gesicht: „Lueraine macht’s dir echt nicht leicht, was?“, bemerkte er bedauernd. Ich schwieg. Was hätte ich denn auch sagen sollen? Widersprechen wollte ich nicht und wenn ich ihm zustimmen würde, hätte ich damit seinen Kollegen beleidigt. Beides keine sehr vorteilhaften Optionen. In einigen Metern Entfernung konnte ich das Gewehr sehen. Das kam mir ganz recht. So konnte ich das Thema wechseln. „Da ist es.“ Der braunhaarige Leutnant stutzte. „Du hast es mitten auf dem Boden vergessen?“ Während er das sagte, hob er das Teil auf drückte es mir in die Hände. „Danke.“ Mir fiel nicht mal auf, dass ich es zwar ergriff, aber nicht halten konnte. Meine Hände waren taub gescheuert und demnach landete es mit einem dumpfen Geräusch auf dem Gras. Ich sah ihn hinterher. Der Mann sah mich irritiert an, doch sein Blick änderte sich schnell von Überraschung zu Besorgnis. „Nach dem Theorieunterricht hast du ja Umgang mit Schusswaffen bei mir. Ich nehm das schon mal mit.“ Damit drehte er sich um und ließ mich allein. Ich war ihm wirklich dankbar, dass er keine Fragen stellte. Mein Anblick reichte vermutlich aus. Meine Hände und Füße waren aufgescheuert. Meine Beine zitterten und mein Gesicht war vermutlich leichenblass. Ich machte mich mal wieder auf den Weg zu Halle 2. Die Koordination meiner Gliedmaßen fiel mir zunehmend schwerer und meine Beine verhakten sich ineinander. In voller Länge kam ich auf dem Boden auf. Zum Theorieunterricht kam ich viel zu spät. Der Cornell wies mich schweigend auf einen hinteren Platz und fuhr wie gehabt mit dem Stoff fort. Ich wollte mitschreiben, aber ich konnte den Stift nicht halten. Bei der kleinsten Bewegung krampfte meine Hand und ich hatte kein Gefühl in den Fingerspitzen. Ein paar der angehenden Soldaten schielten mich höhnend an, doch das bekam ich gar nicht mit. Danach fanden wir uns auf dem vorderen Teil des Übungsplatzes ein, wo Mahony bereits wartete, neben ihm eine Kiste, in der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Übungsgewehre befanden. Er hielt eine in der Hand und nach einem genauen Blick meinerseits erkannte ich sie als meine. „Hier“, sagte er und hielt sie mir hin, doch als ich sie ergriff, fiel sie plump zu Boden. Unschlüssig musterte er mich. Ihm schien mehr als klar zu sein, dass ich momentan nicht dazu in der Lage war, die Ausbildung zu absolvieren. „Verzeihung!“, gab ich schnell von mir, bückte mich und umfasste das Gewehr so fest ich konnte. Auch wenn ich es nicht spürte und es unglaublich schmerzte, fiel es mir so wenigstens nicht runter. Mein Gegenüber holte Luft, um einen Protest von sich zu geben, denn er konnte sehen, dass meine Handknöchel weiß vor Anstrengung waren. „Danke fürs Aufbewahren, Leutnant Mahony!“, schnitt ich seine Ansage noch vorm Ertönen ab und schlenderte übertrieben leicht ans Ende der Reihe. Ich hörte ihn noch Seufzen. Seine heutigen Übungen kamen mir einfacher vor, als die gestrigen. Ich war nie besonders stolz gewesen, aber irgendwie ging es mir auf den Geist. Vielleicht war es auch möglich, dass er die Übungen leichter machte, weil er einfach keine Lust hatte. Aber wie sehr ich mich auch bemühte, konnte ich mir das nicht einreden. Manchmal verkrampften sich meine Muskel so stark, dass mir das Ding wieder runter knallte, doch meist war ich schnell genug beim aufheben, dass der Leutnant es nicht mitbekam. Am Ende konnte ich meine rechte Hand nicht mehr bewegen. Die Haut war absolut aufgescheuert und hatte viele Einschnitte vom scharfen Metall und es blutete sehr. „Geht jetzt zu Lueraine“, rief Mahony abschließend und die Rekruten legten die Gewehre in die Kiste. Ich wollte schon abziehen, als er mich ansprach. „Du gibst deine heute auch ab.“ Ich stutzte. Das erste Mal erwachte nun eine leichte Art von Wut, wobei ich ihm dankbar hätte sein müssen, da ich meine rechte Hand nicht mehr bewegen konnte. „Ist schon okay, Leutnant Mahony.“ Der braunhaarige Mann sah mich nicht mal an: „Ich sagte, du gibst das Übungsgewehr ab, Antaris.“ Hätte ich gekonnt, hätte ich beide Hände zu Fäusten geballt, doch ich musste seinem Befehl folge leisten und packte das Teil ebenfalls in die Kiste. „Nach dem Unterricht gehst du zum Sanitäter.“ „Warum?“ Ich wollte das nicht. „Weil ich es sage.“ „Sicher, Leutnant Mahony“, raunte ich angeknackst in meiner neutralen Art und plötzlich konnte ich ein Grinsen erspähen. Hätte er mich nicht mit den Worten: „Geh jetzt.“, weggeschickt, wäre mir etwas Dummes herausgerutscht. So trottete ich zu Mister Namenlos. Wie immer durfte ich mich gleich ihm gegenüber aufstellen, meine Haltung korrigieren und das Übungsschwert entgegen nehmen. Diesmal hielt ich es in der linken Hand. „Was denn, Antaris? Hast du’s dir anders überlegt und bist Linkshänder geworden?“, spottete der blonde Hauptmann gleich. Ich folgte meiner Intension, ihm meine blutende Hand unter die Nase zu halten, nicht und nickte nur. „Ja, Hauptmann Lueraine.“ Er schlug mir wie immer das Schwert aus der Hand und höhnte: „Sonderlich geholfen hats ja nicht…“ Jetzt pulsierte auch meine linke Hand und ich musste das Holzschwert ganz fest umgreifen. Ich spürte, wie sich das Holz in meine Haut bohrte. Dieses Mal wies der Hauptmann an, uns in zweier Gruppen zu teilen. Überraschender Weise blieb ich als einzige übrig und ich wusste sofort, was das bedeutete. Er sah mich missbilligend an und erklärte: „Ich werd euch an Antaris hier demonstrieren, was ihr tun müsst. Richte dein Schwert auf mich.“ Ich tat, wie mir geheißen. Jetzt führte der Mann vor mir eine Bewegung aus, die mich innerlich stocken ließ. Er machte blitzschnell zwei Schritte um mich herum, stieß mein Schwert weg und rammte mir seines in die Magenkuhle. Ich biss die Zähne aufeinander und legte meine nun ja frei linke Hand auf die pochende Stelle. „Versucht doch mal, das nach zu machen“, sagte er. Sie Rekruten versuchten sich auch gleich darin. Ich aber war noch zu sehr von dem Schmerz eingenommen. Als er merkte, dass ich mich nicht rührte, blickte er mich an. „Geht’s?“ Ich glaubte, mich zu verhören. Das klang nicht mal annähernd spottend. Scheinbar hatte er nicht vorgehabt, mir wehzutun. Nach einem Moment nickte ich und hob das Schwert wieder auf. „Dann versuch das mal nach zu machen.“ Er richtete sein Schwert auf mich und mein Magen zog sich zusammen. So wirkte er noch hundertmal … bedrohlicher als sonst schon. Zittrig ging ich langsam zwei Schritte um ihn herum und machte die Bewegung nach. Ich ließ mir Zeit, denn ich wollte nicht aus Hektik Fehler machen. Ich ging wieder zurück und sah ihn unschlüssig an. Der junge Mann hatte den Kopf schief gelegt und eine Augenbraue gehoben. Ich ließ meine Waffe sinken, denn ich war mir nicht sicher, was ich nun tun sollte. Er aber drehte sich zu den anderen und rief: „Ihr macht das alle falsch. Schaut euch mal Antaris an!“ Meine Ohren fielen ab und ich sah ihn bestürzt an. „Was?“, rutschte mir raus. „Das war gut. Du hast die Bewegung perfekt übernommen. Mach noch mal.“ Ich wusste nicht warum, aber diese Worte weckten eine solche Motivation in mir, dass ich alle Schmerzen vergaß und die Bewegung wiederholte. Diesmal schneller. Ich hatte Glück, dass ich von Haus aus mit einer guten Beobachtungsgabe gesegnet war. Als ich mit dem Holz seinen Bauch berührte, schämte ich mich innerlich plötzlich. Ich hatte mit einem Mal unglaubliche Angst, dass mein Gesicht gleich rot anlaufen würde. Aber ich schob das Gefühl weg und ging wieder an meinen Platz. Während die anderen Soldaten voll mit der Übung beschäftigt waren, fragte er mich: „Bist du Linkshänder?“ Ich schüttelte den Kopf und schob meine rechte Hand wie zufällig hinter meinen Rücken, damit er das mittlerweile getrocknete Blut nicht entdeckte. Weiter stellte er mir auch keine Fragen mehr und sagte nur laut: „Seht jetzt mal her!“, und zu mir: „Machs noch mal.“ In mir breitete sich ein ganz mieses Gefühl aus, aber ich folgte der Anweisung. Mitten in meiner Bewegung, reagierte er plötzlich, hielt meinen Arm fest und trat mir die Beine weg, sodass ich mit dem Rücken auf den Boden knallte. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und es breitete sich ein unglaublicher Schmerz in meinem Körper aus. Er beachtete mich gar nicht. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Das war eine. Versucht’s mal.“ Ich hievte mich in der Zeit wieder schwerfällig hoch. „Hast du aufgepasst?“ „Ja, Hauptmann“, antwortete ich gewohnt neutral. Alle Motivation war wieder adé und ich nahm wieder wahr, dass jede Faser meines Körpers schmerzte. „Ich werd dich jetzt angreifen und du reagierst irgendwie.“ Obwohl ich nicht gerade sagen konnte, dass meine Reflexe herausragend waren und dazu noch seine Geschwindigkeit kam, machten meine Gedanken blau und mein Körper übernahm die Kontrolle. Noch während er ausholte, ging ich in die Hocke, griff sein linkes Bein, denn mir war zuvor mal aufgefallen, dass er dieses möglichst wenig belastete, und riss es nach oben. Er hatte nicht damit gerechnet, da war ich mir sicher, aber nun konnte selbst ein Blinder erkennen, warum er Hauptmann war. Der große Mann rammte sein Holzschwert in den Boden, stützte sich so, sprang hoch und wirbelte über das Schwert, um daraufhin mit beiden Füßen auf dem Boden auf zu kommen. Lueraine sah mich wieder mit hochgezogener Augenbraue an. „Der hat nicht mal sein Schwert benutzt…“, hörte ich plötzlich von der Seite, drehte mich um und stellte erschrocken fest, dass alle zu uns starrten. Mein Blick wanderte wieder zum Hauptmann, dem die Stille nun auch auffiel. „Macht weiter!“, schrie er erbost und alle setzten sich wieder eingeschüchtert in Bewegung. „Antaris.“ Ich merkte, dass er auf mich zu kam und sich, bevor ich es begriff, meine rechte Hand schnappte. Wie schon erwähnt war diese nicht gerade leicht lädiert. Offensichtlich konnte er sich nun vorstellen, warum ich mein Schwert in der Linken hielt. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und verkündete: „Okay. Ihr könnt jetzt zum Abendessen.“ Während sich alle anderen verzogen, blieb ich gewohnheitsgemäß stehen und sah ihn an. Er sammelte erst alle Übungsschwerter ein und bemerkte dann meine Anwesenheit. „Ich sagte doch, ihr könnt jetzt zum Abendessen.“ Damit war das Thema beendet und er trottete davon. Zum Glück war er schnell genug weg, denn sonst hätte ich vermutlich noch gefragt, ob ich nicht diesmal auch laufen sollte. Und das hätte ihn definitiv dazu bewogen, mir tatsächlich Runden zu geben. Ich ging zu meinem Zelt. Mein Magen fühlte sich nicht gerade so an, als wollte er Nahrung und außerdem wollte ich nicht Leutnant Mahony über den Weg laufen. Er hätte mich wahrscheinlich zum Sanitäter gescheucht, aber ich hatte viel zu große Angst, dass ich mich dort ausziehen musste. Ich setzte mich also vor mein Zelt und steckte mir eine Zigarette an. Ich saß dort eine ganze Weile, denn ich genoss die Kühle der Nacht. Irgendwann kamen die anderen Rekruten vom Abendessen wieder. Fast alle ignorierten mich, doch dann stellten sich drei Männer vor mich. Ich sah hoch in ihre Gesichter und erkannte sie als diejenigen, die von Anfang an über mich gelacht hatten. Der eine hörte auf den Namen Gorgemond. Die anderen beiden hießen Korke und Jay. „Hat dich Lueraine heute etwa nicht rennen lassen?“, fragte Gorgemond spottend und die anderen beiden lachten stumpfsinnig. Irgendwie verärgerte es mich leicht, dass der Typ unseren Hauptmann so respektlos betitelte. „Scheinbar nicht“, erwiderte ich nur desinteressiert. „Hast ihm wohl imponiert.“ Ich konnte ganz klar den Argwohn in seiner grässlichen Stimme hören. „Vielleicht“, log ich desinteressiert. Ich spürte mit einem Hauch von Wohlwollen, dass der Kerl zorniger wurde. „Fühlst dich wohl ziemlich cool, was?“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen: „Hm.“ Plötzlich riss er mich an den Haaren mit dem Gesicht in den Dreck. Ich hatte nicht damit gerechnet, weswegen ich nicht reagieren konnte. „Tja, das würde ihn sicher enttäuschen“, grunzte er hämisch lachend. Ich versuchte mich aufzurichten, doch ich hatte meinem Körper heute genug abverlangt und so konnte ich nicht mehr tun, als wie ein Fisch auf dem Trockenen zu zappeln. „Seht euch den an!“ „Ist der schwach!“, feierten sie über mich. Jeder andere Mensch wäre jetzt vermutlich grün vor Wut geworden, ich aber wartete einfach darauf, dass sie verschwinden würden. „Hast nichts mehr zu sagen, was?“, ertönte wieder Gorgemond selbstgefällig. „Was soll ich denn sagen. Macht ihr super, oder was?“, gab ich das wieder, was mir gerade in den Kopf kam. Zornentbrannt über meine Arroganz zog er meinen Kopf hoch und schlug ihn mit voller Kraft auf den harten Steinboden. Mein Schädel dröhnte gewaltig, denn die drei hier waren wohl etwas weniger fertig als ich. „Wehr dich doch, du Schwächling!“, feuerten die beiden ihren Anführer an und der knallte meinen Kopf gleich noch mal auf die Steine. Ich spürte warmes Blut meine Stirn runter laufen. Selbstherrlich grinsend riss er meinen Kopf hoch, um mein Gesicht zu sehen. Wie bereits erläutert fiel es mir schwer, Blickkontakt aufzunehmen oder zu halten. „Guckt euch den an! Der hat voll Schiss!“, lachte er laut und schlug meine Stirn noch ein drittes Mal auf den Boden, doch diesmal mit einer solchen Gewalt, dass mir kurz schwarz vor Augen wurde. „Ich glaub, jetzt wird er nicht mehr so arrogant gucken!“ Laut grölend zogen die drei Wichtigtuer ab. Ich war zunächst nicht in der Lage, mich zu bewegen. Nach ein paar Minuten hob ich vorsichtig meinen Kopf. Er dröhnte unheimlich und ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als zu sterben. Den Tränen nah vor Schmerz kroch ich in das Zelt und rollte mich in dem Schlafsack zusammen. Zwar war ich so ausgelaugt, dass ich fast bewusstlos wurde, aber die Schmerzen waren so gigantisch, dass ich kein Auge zu bekam. Die ganze Nacht quälten mich die Schmerzen und machten mich fast wahnsinnig. Als am Morgen die Glocke ertönte, zog sich alles zusammen. Ich wollte nicht laufen. Ich wollte mich nicht mehr demütigen lassen. Ich wollte einfach hier liegen bleiben und sterben. Aber war konnte ich schon tun. Selbst wenn mir die Gunst des Todes gewährt worden wäre, hätte man meine Leiche gefunden und wahrscheinlich bald als weiblich identifiziert und dann wäre meine Familie dran gewesen. Es waren erst zwei Tage vergangen… Also richtete ich mich auf. Möglichst langsam, aber jede noch so kleine Bewegung jagte Säure durch meinen bibbernden Körper. Ich verließ mein Zelt und schleppte mich zum Sportplatz, nachdem ich das Blut auf meiner Stirn mit dem Wasser aus der Flasche, die sich in meinem Zelt befand, beseitigt hatte. Ich war die letzte und Lueraine sah mir schon verärgert entgegen. Befände sich etwas in meinem Magen, hätte ich ihm vermutlich vor die Füße gekotzt. „Ihr dürft heute gleich Frühstücken. Außer Antaris.“ Während die Rekruten sich verzogen, spürte ich noch die höhnenden Blicke der drei Wichtigtuer. Mister Namenlos richtete seine Worte an mich: „Der Cornell hat mir berichtet, dass du viel zu spät gekommen bist. Und heute morgen auch noch. Scheinbar hast du’s nicht so mit der Pünktlichkeit. Damit du in Zukunft besser zum Unterricht rennen kannst, läufst du jetzt 30 Runden.“ Am liebsten hätte ich jetzt laut geschrieen, aber ich verkniff es mir. Er beugte sich runter und flüsterte viel sagend: „Und schummle diesmal nicht, okay?“, was wohl hieß, dass es mit 30 Kilometern nicht getan war. Ich begann, mich in Bewegung zu setzen. Bei jedem Schritt musste ich mich voll auf das Finden des Gleichgewichts konzentrieren, denn ich war ja schon jetzt absolut kaputt. Um mich herum verschwamm nach und nach alles und meine Ohren wurden taub, aber ich setzte meinen weiten Weg fort. Ich zählte 17 Runden, als ich den Boden nicht mehr sah und sich meine Beine ineinander verhakten. Ich landete kopfüber auf dem Betonboden. „Antaris!“ Ich hörte die Stimme zwar und erkannte sie als Mahonys, ich fragte mich auch, wann er hier aufgetaucht war, aber ich konnte nicht reagieren. Obwohl ich nichts mehr sah, hievte ich mich zitternd auf. Ich spürte, wie mich eine Hand am Arm packte, aber irgendwie auch nicht. Alles in meinem Kopf war wirr und völlig konfus suchte ich nach der Rundenanzahl. Leise murmelte ich vor mich hin. Ich fühlte heißes Blut mein Gesicht herunter laufen, doch ich versuchte, meinen Weg fort zu setzten. Der erste Schritt gelang mir, doch aufgrund meiner momentanen Blindheit fiel ich beim Setzten des zweiten Schrittes vorn über. Mein Bewusstsein verabschiedete sich, noch ehe ich aufkam. Die beiden Männer hatten schon von weitem gesehen, dass Antaris sehr schwankend lief. Darum waren sie zügig zu dem Jungen gegangen. Als Leutnant Mahony näher gekommen war, konnte er sein leichenblasses Gesicht sehen. Die Augen waren wie in Trance halb geschlossen und man konnte ganz klar erkennen, dass er nichts mehr wahrnahm. Der Braunhaarige hatte bereits gehört, dass er gestern Abend nicht zum Sanitäter gegangen war. „Shit!“, riss sein Kollege ihn aus seinen Gedanken und er hob den Kopf, um gerade noch mit zu bekommen, wie der dürre Junge kopfüber umklappte. Beide Männer rannten zu ihm. Doch er reagierte nicht und stand taumelnd auf. Lueraine musste ihn am Arm festhalten, sonst wäre er gleich wieder umgefallen. Doch der schwarzhaarige Junge murmelte leise: „Wo war ich… Ich fange noch mal von vorne an.“, und ging wieder los. Der blonde Hauptmann erschrak plötzlich, als er das Blut sah, dass aus einer Platzwunde am Kopf in rauen Mengen floss. Sein bester Freund kam ihm zuvor, als Antaris wieder abklappte und er ihn auffing. „Er ist bewusstlos.“ Der Leutnant fixierte Lueraine anklagend. Der kratzte sich schuldbewusst am Hinterkopf und musterte seinen Rekruten besorgt. Eigentlich hatte er sich schon gedacht, dass der Kleine nicht belastbar war, aber er hatte seinen Vorgesetzten immer wieder provoziert und das hatte ihn zur Weißglut getrieben. Jetzt tat es ihm leid. Der Leutnant hob ihn auf. Mit einem Mal stockte er. Antaris war federleicht und hatte keine männliche Statur. Bei einem genauen Blick auf sein Gesicht stellte er bestürzt fest, dass er vollkommen weiche Züge hatte. Der Junge in seinen Armen konnte kein Mann sein. Zornig schaute er den Blonden an, aber dann fiel ihm ein, dass dieser vermutlich keine Ahnung hatte. Er schüttelte den Kopf. Das Mädchen blutete unheimlich. Erst einmal sollte sie verarztet werden, dann musste man sehen, was zu tun war. „Ich bringe ihn zu Vipa.“ Lueraine senkte den Kopf und schwieg. Das Krankenhaus des Stützpunktes war nicht besonders groß, schließlich war es nur ein Ausbildungslager. Er öffnete die Tür und sah sich um. Aus einem Nebenraum trat eine junge Frau. Sie war einen halben Kopf kleiner als der Leutnant und hatte strubbelige, rosafarbene Haare. „Adrian!“, begrüßte sie ihn, doch dann fiel ihr Blick auf den geschundenen Soldaten in seinen Armen. Sofort winkte sie ihn zu einem Bett. „Hier her.“ Das Gesicht der Rosahaarigen verlor das niedliche Lächeln und wurde ernst. Adrian Mahony folgte der Anweisung und legte Antaris auf das Bett. Sein hellgraues Shirt wies nun einen großen, dunkelroten Blutfleck auf. Die Sanitäterin betrachtete den schwarzhaarigen Soldaten und erschrak. Sie hatte sofort gesehen, dass es ein Mädchen war. „Geh bitte raus“, wies sie Adrian an, ohne den Blick zu heben. Der Angesprochene verhaarte an Ort und Stelle. „Ich weiß, dass es eine Frau ist.“, erklärte er. Vipa nickte und nahm einen feuchten Lappen zur Hand, um dem bewusstlosen Mädchen die Stirn zu säubern. Kaum war die Wunde sauber gewischt, trat schon neues Blut hervor und lief ihr Gesicht hinunter. Mit geschulten Bewegungen säuberte sie die Platzwunde wieder, desinfizierte sofort und versiegelte sie mit einer Art Salbe. Anschließend befestigte sie genau auf der verletzten Stelle ein Pflaster und verband ihren Kopf. „Woher kommt die Verletzung?“, fragte sie währenddessen. Adrian hatte in der Zeit die Tür geschlossen. „Sie ist gestürzt, mehr weiß ich nicht.“ Die junge Ärztin sah ihn stirnrunzelnd an. „So eine Wunde entsteht nur, wenn jemand den Kopf mit grober Gewalt irgendwo drauf schlägt.“ „Gestern hatte sie die noch nicht…“ Die Rosahaarige betrachtete ihre Patientin wieder und stockte. Mit leichter Hektik zog sie die Hosenbeine hoch. „Sie hat außerdem unzählige Muskelzerrungen, aufgescheuerte Füße, aufgeschlagene Knie, ihre Hände sehen furchtbar aus, vermutlich kann sie sie nicht mal mehr bewegen, auch an den Armen sind Zerrungen.“ Sie wandte sich an den braunhaarigen Leutnant. „Was hast du mit der Armen gemacht?!“ Sie klang äußerst aufgebracht. „Was?!?!“, er starrte sie schockiert an. „Wieso ich? Rick! Sie ist in Ricks Gruppe! Ich hab eben erst gemerkt, dass es ne Frau ist!“, verteidigte er sich laut. Während sich die junge Frau um das Mädchen kümmerte, sprach sie: „Rick… Und warum hat er sie so fertig gemacht?“ Adrian seufzte: „Er versteht alles, was sie sagt als Provokation.“ „Typisch“, kommentierte sie. Nach dreißig Minuten war sie fertig. Sie hatte ihr auch den Brustverband abgenommen, sodass sie frei atmen konnte. „Mehr kann ich nicht tun. Die Arme ist dehydriert und unterernährt. Würdest du was zu trinken und zu essen holen?“ Der Leutnant nickte und wandte sich zum Gehen. „Adrian?“ Er drehte sich wieder um. „Ja?“ Sie blickte ihm direkt in die Augen. „Bitte sag niemandem, dass sie eine Frau ist. Du weißt, was dann mit ihr passieren würde.“ Er sah die Ohnmächtige an. „Ich muss wenigstens Rick informieren.“ Vipa sprang auf. „Was? Wenn du das tust, wird er durchdrehen!“ „Ich weiß, aber es wär’ viel schlimmer, wenn ich’s ihm nicht sagen und er seine Wut weiter an ihr auslassen würde!“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Tu’s nicht! Bloß nicht!“ Mit sich hadernd legte er seine Hände an seine Schläfen. „Und dann? Soll sie in’ner Woche wieder hier landen, oder was?“ Verzweifelt sah sie ihn an. „Bitte! Du kannst ihm ja sagen, dass er’s lassen soll! Auf dich hört er! Aber wenn du ihm sagst, dass er die ganze Zeit eine Frau fertig gemacht hat, wird er vor lauter schlechtem Gewissen was weiß ich, was, machen!“ Ihr Gegenüber musterte sie nachdenklich. Nach einigen Momenten seufzte er schwer. „Na gut…“ Erleichtert fiel sie ihm in die Arme: „Danke!“ Zu seinem Glück konnte sie sein knallrotes Gesicht nicht sehen. Ein leises Stöhnen lenkte ihrer beider Aufmerksamkeit auf das Bett. „Stell dich vor die Tür.“ „Wieso?“ „Wenn sie mitkriegt, dass wir es wissen, wird sie in ihrem Zustand überreagieren und eine Panikattacke bekommen.“ Er tat, wie ihm geheißen, denn er hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihr zu vertrauen. Vipa setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Ein dröhnender Schmerz weckte mich langsam aus meiner Trance. Schwer öffnete ich meine Augen. Alles drehte sich leicht und war verschwommen. Es dauerte Minuten, bis ich begriff, dass ich in einem weißen Zimmer war und nicht im Himmel. Ich ließ meinen Blick wandern. Ich war sehr verwirrt. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber mein Körper war gelähmt. „Hey“, ertönte eine sanfte Stimme und ich blickte nach rechts. Vor mir saß die Frau, die ich so bewundert hatte. Ich wollte etwas sagen, aber mein Hals fühlte sich wie Sandpapier an. Ich sah an ihr vorbei und erkannte Leutnant Mahony, der vor einer Tür Stellung bezogen hatte. Die beiden Menschen musterten mich besorgt. Vermutlich sah ich bemitleidenswert ungesund aus. Und plötzlich fiel mir auf, dass ich frei atmen konnte. Irritiert betrachtete ich meinen Oberkörper und mein Innerstes zog sich schlagartig zusammen. Sie wussten es, wurde mir mit einem Mal klar und ehe ich nachdenken konnte, sprang mein Körper blitzschnell aus dem Bett. Alles schmerzte, doch ich rannte wie von Sinnen an dem Leutnant vorbei, um aus der Tür zu kommen. In meiner Panik nahm ich rein gar nichts wahr. Ich kam nicht mal an dem Mann vorbei. Er griff sofort meinen rechten Oberarm und zog mich zurück. „Ganz ruhig! Wir tun dir nichts!“, sprach die Frau, die nun hinter mir stand. Obwohl sich die Angst noch vergrößerte, konnte ich mich nicht mehr halten und meine Beine gaben nach. Mahony hielt mich fest und trug mich wieder zum Bett. Jetzt löste sich die Angst und Verzweiflung machte sich breit. Ich hatte meine Familie zerstört. Meinetwegen würden sie alles verlieren. Ich versuchte, meine Tränen zurück zu halten und knallte wieder vom Bett. Ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass der Leutnant mich wieder hoch heben wollte, doch ich ignorierte ihn. Ich setzte mich auf meine Unterschenkel und starrte auf den Boden. Meine Stimme hörte sich einerseits trocken und kratzig an, andererseits war sie sehr hoch, da ich kurz davor war, zu heulen. „Bitte!“, flehte ich erbärmlich, „Bitte entehren sie meine Familie nicht! Töten sie mich, stellen sie mich auf den Pranger, aber bitte-!“ Jetzt versagte meine Stimme und ich bekam keinen Ton mehr heraus, mit Ausnahme eines Röchelns, das in einem kranken Husten endete. Die Tränen kullerten herunter. Eine Hand legte sich auf meine linke Schulter. „Ganz ruhig. Wir sagen es niemandem.“, drang die Stimme der Frau an mein Ohr. Ich sah sie an. Sie erwiderte meinen Blick mit einem wunderschönen, sanften Lächeln. „Holst du bitte Essen und Trinken?“, sagte sie zu Mahony und er verschwand nickend. Die junge Frau streichelte meine Wange. „Mach dir keine Sorgen. Dir und deiner Familie wird nichts passieren.“ Obwohl ich hätte erleichtert sein müssen, droschen nun alle Gefühle der vergangenen Tage auf mich ein und der Tränenfluss wurde breiter. Ohne noch etwas zu sagen, nahm mich die mir völlig Fremde in den Arm. Eine ganze Weile weinte ich mich bei ihr aus, während sie mich allein mit ihrer Anwesenheit tröstete. Als ich fertig war, ließ mich die junge Frau los und sah mich lächelnd an. „Geht’s dir besser?“, fragte sie mit einer warmen Stimme. Ich nickte mit gesenktem Blick. Sie wollte gerade etwas sagen, da klopfte die Tür. Ich zuckte zusammen. Meine Brust war nicht abgebunden und wenn das da draußen nicht Leutnant Mahony war, hätten wir ein Problem. Die Klinke wurde runtergedrückt, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. „Vipa?“, ertönte die Stimme, die mir einen Anschlug von Panik durch den Körper jagte. „Rick? Was machst du hier?“, die Rosahaarige machte keine Anstalten, sich zu bewegen. „Ich… ähm…“ Die Ärztin ließ den Hauptmann nicht ausreden: „Sieben ist noch nicht bei Bewusstsein.“ „Oh… äh… Dann komm ich später wieder…“ „Tu das.“ Vipa klang eiskalt. Sie wartete ein paar Sekunden und sah mich an. Lächelnd wuschelte sie mir durch die schwarzen Haare. „Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Adrian und ich halten dicht.“ Sie erhob sich. „Mein Name ist übrigens Vipa Kannaham. Nenn mich einfach Vipa.“ Ich nickte stumm. Meinen Namen kannte sie ja bereits. „Du hast bestimmt Hunger und Durst, oder?“ Ich nickte wieder. „Mach dir keine Gedanken.“ Vipa wuschelte wieder durch meine ungekämmten Haare. „Adrian wird Rick sagen, dass er dich nicht so behandeln darf. Auf ihn wird er hören.“ ich hob den Kopf, um ihr in die Augen zu sehen, was mir schwer fiel. „Vielen Dank!“ Wieder lächelte sie warm. Mit einem Klacken ging die Tür auf und augenblicklich stellte sich die Ärztin vor mich, um meine weiblichen Merkmale zu vertuschen. „Ich bins nur.“, nuschelte Leutnant Mahony. Er hatte eine Wasserflasche im Mund und die Hände voll mit Essen. „Erschrick uns doch nicht so!“ Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen bei dem Gedanken daran, eine so nette, neue Freundin zu haben. „Jaja…“, gab der Mann nur von sich und stellte das Essen neben das Bett auf einen kleinen Tisch. „War Rick hier?“, er hörte sich besorgt an. „Ja“, grinste Vipa vor Genugtuung: „Scheint ja ein ziemlich schlechtes Gewissen zu haben…“ Mahony musterte sie mahnend. „Er ist immer noch mein bester Freund…“ Vipa lachte und tätschelte seinen Kopf: „Über Geschmack kann man streiten…“ Sie wandte sich mir wieder zu, aber ich konnte meinen Blick nicht von seinem plötzlich geröteten Gesicht abwenden. Als er bemerkte, dass ich genau wusste, warum es rot war, nahm es eine Farbe an, die einer Tomate glich und fast schon panisch legte er einen Finger auf seinen Mund, um mir zu sagen, ich solle den Mund halten. „Hier!“, hielt mir die Ärztin den Teller hin und lenkte mich ab. „Danke.“ „Iss nicht zu schnell, sonst musst du kotzen!“, warnte sie mich und Mahony schlug sanft ihren Hinterkopf: „Bist du ’ne Frau, oder ’nen Kerl!“ Sie streckte ihm grienend die Zunge raus, worauf er ihr gespielt mürrisch in die Wangen kniff. Ich war mir nicht sicher, ob die beiden schon zusammen waren, oder kurz davor waren. Gerührt begann ich zu essen und sah noch einen Weile dabei zu, wie sich die beiden neckten. „Sag mal, Sieben?“, wandte sich Vipa wieder vom Leutnant ab, der sichtlich enttäuscht schien. „Hm?“, machte ich mit absolut vollem Mund. Plötzlich begannen ihre Augen zu leuchten: „Bist du niedlich!“, und sie wuschelte mir erneut durch die Haare. Scheinbar war das eine Neigung von ihr. Ich sah sie verdutzt an, doch wie auf Knopfdruck wechselte sie das Thema. „Wie alt bist du eigentlich?“ Ich musste hart schlucken. „N-neunzehn.“ Ich wunderte mich über mich selbst. Sonst konnte ich doch ausgezeichnet lügen. Zwei skeptische Augenpaare betrachteten mich nun: „Tut mir ja leid, aber grade siehst du viel jünger aus…“ Ich zögerte kurz, aber die beiden wussten ja schließlich auch, dass ich kein Mann war… was konnte da schlimmer sein? „Ich bin siebzehn.“ Ich konnte keinem von beiden in die Augen sehen, als ich zwei Jahre auf mein eigentliches Alter draufpackte. So war ich zwar immer noch zu jung aber -nun ja- nicht SO jung. Aber als sich Mahony erhob, blickte ich auf. „Ich red jetzt mit Rick.“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er den Raum. Unschlüssig suchte ich Vipas Blick. „Du bist also wirklich nicht mal volljährig…“, murmelte sie nachdenklich. „Aber fast…“, nuschelte ich verstohlen. „Du schläfst doch, wie die anderen Soldaten, in einem Zelt, oder?“ Ich nickte irritiert. „Ich hab ne Idee! Wie wär’s, wenn du bei mir schläfst?“ Verständnislos runzelte ich die Stirn. „Wie meinst du-“, ich wurde jäh durch ein kräftiges Klopfen unterbrochen. „Moment!“, rief die Ärztin hinaus und sah mich hektisch an. „Komm! Zieh dich schnell an!“, flüsterte sie mir fröhlich zu. In Windeseile band sie meine Brust ab und quetsche mich in ein neues Shirt, das unbequem eng war und meinen dürren Körper noch mehr betonte. Dann stand sie auf und öffnete die Tür. „Hey, Rick.“, begrüßte sie meinen Hauptmann tadelnd und bedeutete ihm, einzutreten. „H-hey…“, murmelte er überraschenderweise kleinlaut und sah an ihr vorbei. Als sein Blich mich fand, sah er wieder weg. „Wie geht’s?“, fragte er unbeteiligt. Man konnte genau hören, dass ihm diese Worte nur schwer über die Lippen kamen. „Wie soll’s ihm schon gehen!“, schnauzte die große Frau ihn an und wies mich an, aufzustehen. Ich war mir, um ehrlich zu sein, nicht sicher, ob ich das tun sollte. Ich hatte zwar etwas gegessen und getrunken, aber ich befürchtete, wieder zusammen zu brechen, doch ich kam der Anweisung nach. Ich wusste ja nicht, ob es mir überhaupt erlaubt war, ihr zu widersprechen. Mit wackligen Beinen stellte ich mich hin. Es fiel mir sichtlich schwer, das Gleichgewicht zu halten. Mir fiel jetzt erst auf, dass ich barfuss war und dass meine Füße, Beine, Arme, Hände und mein Kopf von einer dicken Verbandsschicht eingehüllt waren. Dazu kam das starke Bibbern des ganzen Körpers und das enge Shirt ließ mich krank und schwächlich erscheinen. Langsam wurde mir klar, dass Vipa es vermutlich auf genau diese Wirkung abgesehen hatte. Nach zwei Sekunden knickten meine Knie ein und ehe ich mich abstützen konnte, sackte ich plump in mich zusammen. Mir war noch nie so klar gewesen, wie lächerlich ich war und ich dachte mir, dass ich genau jetzt eine Beleidigung des Hauptmanns verdient hätte. Bevor ich allein versuchten konnte, mich wieder auf zu richten, trat Lueraine zu mir und hob mich sanft auf das Bett. Mein Kopf schwirrte, da mein Kreislauf nicht im Gang war und mein ganzer Körper bibberte wieder vor Kälte und Schmerz. Ich sah auf und blickte meinem Hauptmann direkt in die Augen. Wenn ich nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen wäre, leichenblass zu sein, würden meine Wangen jetzt vor Scham glühen. Der große Mann stand auf und drehte sich zu Vipa. „Die Show hättest du dir sparen können.“ Er klang leicht verärgert. „Sieben wird übers Wochenende nicht aufstehen können, wie du siehst. Ich schlage vor, dass er vorerst bei mir wohnen wird“, fiel die junge Ärztin gleich mit der Tür ins Haus, doch Lueraine erhob überraschenderweise nicht augenblicklich Einspruch. „Willst du Adrian das wirklich antun?“ Ich wusste sofort, was er meinte. Sie nicht, denn sie legte verwirrt den Kopf schräg. „Hä?“ Scheinbar wirkte ihre kleine Fars, denn er seufzte und stimmte mürrisch zu. „Sobald er sich vollständig erholt hat, schläft er wieder im Zelt.“ Dann wandte er sich wieder mir zu. „Ich hol deine Sachen.“ Eigentlich wollte ich Einspruch erheben, doch durch die Bewegung und den Fall, stieg Übelkeit in mir hoch und ich wusste, dass, falls ich noch einmal auf zu stehen gedachte, ich mich übergeben würde. Also nickte ich. Mister Namenlos ging zur Tür, doch bevor er nach draußen trat, fiel ihm scheinbar noch etwas ein. „Antaris.“ Erschrocken wegen seines gereizten Tonfalls blickte ich ihn besorgt an. „Woher kam denn die Platzwunde an deinem Kopf?“ Irgendwie hörte sich dieser Satz in meinen Ohren weniger wie eine Frage, als wie eine Aufforderung zu antworten an. Unbewusst musste ich schlucken, denn ich hatte die Befürchtung, noch mehr Probleme zu bekommen, sagte ich ihm jetzt die Namen der Wichtigtuer. „Ich bin beim Rennen gestürzt und ungünstig aufgeschlagen.“ Die beiden Anwesenden warfen sich eine kurzen, viel sagende Blick zu. „Das hab ich mir fast schon gedacht…“, murmelte der Blonde mit unterdrückter Wut und verließ den Raum. „Ich glaub, es war nicht mal nötig, ihm Adrian auf den Hals zu hetzten…“, giggelte Vipa in sich hinein. Ich versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, doch sie bemerkte meine Müdigkeit sofort. „Leg dich ruhig hin. Ich bring deine Sachen schon mal in dein neues Zimmer.“ Ich sah sie dankbar an: „Vielen Dank, Vipa.“ Noch kurz konnte ich ihr warmes Lächeln sehen, bevor ich tief einschlief. Der Hauptmann baute Antaris’ Zelt ab und sammelte die Sachen des geschundenen Jungen ein. Er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und langsam begann er zu ahnen, dass er vermutlich nie versucht hatte, ihn zu provozieren, was ihm nicht unbedingt half, mit dieser Situation umzugehen. Der Knabe besaß nicht viele Sachen. Ein paar Zigarettenschachteln, wenige Kleidungsstücke, eine halb leere Wasserflasche und neben dem Schlafsack lag ein Foto. Eigentlich ging es den jungen Hauptmann ja nichts an, aber er warf einen kurzen Blick auf das Bild. Fünf lächelnde Personen waren darauf zu sehen. In der Mitte stand ein Mann, der sehr traditionell gekleidet war und wie ein Herrscher dastand. Die anderen vier Personen waren Mädchen in unterschiedlichen Altern. Die älteste stach sofort ins Auge, denn sie hatte blutrotes, langes Haar, das zu einem lockeren Zopf gebunden war und sie trug ein süßes Kleid. Vermutlich die beiden jüngsten Schwestern hielten jeweils eine Hand von ihr, was ihn annehmen ließ, dass sie eine Art Mutterrolle spielte. Sie hatte genau dieselbe dürre Statur wie Antaris und die beiden sahen vom Gesicht nahezu identisch aus. Er steckte das Familienfoto in die kleine Tasche und überlegte, ob die beiden vielleicht Zwillinge waren. Er wunderte sich, dass Antaris selbst nicht auf dem Foto war, aber schließlich musste ja irgendwer das Foto schießen. Das handschriftlich notierte Datum bezeugte, dass das Foto ungefähr zwei Jahre alt war. Als der blonde Mann mit dem Zelt und der Tasche über den Zeltplatz schritt, bemerkte er eine Gruppe, die aus Rekruten seiner Truppe bestand. „Antaris liegt im Krankenhaus, habt ihr gehört?“, hörte er einen laut lachen und wurde sofort hellhörig. Natürlich wusste Lueraine, dass Antaris sich die Platzwunde nicht durch einen Sturz beigebracht hatte. Irgendwer hier hatte auf ihn eingeschlagen. Ihm war klar, dass er durch seine ständigen Beleidigungen nicht unwesendlich dafür verantwortlich war und der kleine Junge nach dem dauernden Gelaufe zu schwach gewesen war, um sich zu wehren, aber er brannte darauf, den Schuldigen fertig zu machen, um sich wegen seines schlechten Gewissens zu rächen. Der Blonde schlich sich lautlos hinter ein Zelt und lauschte. Er konnte jedes Wort verstehen. „Könnt ihr euch noch an das Gesicht von dem Schwächling erinnern, als Gorgemond ihn mit dem Gesicht direkt –“ Das reichte dem Hauptmann schon und er richtete sich zu voller Größe auf. Wenn er der Gruppe jetzt nicht klar machte, dass sie sich selbst verraten hatten, würden sie es am Ende noch auf Antaris schieben. „Guten Abend, meine Herren.“ Er klang, als könnte er jeden Moment einen Mord begehen. Schockiert sprangen die fünf Männer auf und wichen wie ängstliche Ratten zurück, als er bedrohlich auf Gorgemond, der zentral gesessen hatte, zukam. Das selbstgefällige Grinsen war wie weg geschmolzen. Mit grober Gewalt packte Lueraine ihn am Kragen und überbrückte den Größenunterschied der beiden mit minimalem Kraftaufwand. „Du warst das also.“ Der Kerl war so überrumpelt, dass er keinen Ton von sich geben konnte. Der Hauptmann grinste plötzlich gemein: „Ich denke, du weißt, was dir in Zukunft blüht.“ Mit plötzlichem Ekel ließ er Gorgemond wie einen Sack Kartoffeln fallen und wandte sich den anderen vier zu. „Ich hoffe, ihr freut euch auf morgen früh genauso sehr, wie ich“, grollte er lächelnd und trottete leichtfüßig Richtung Krankenstation. Er war überrascht, dass er es tatsächlich geschafft hatte, sich zusammen zu reißen und nicht sofort auf sie los zu gehen, was vermutlich an seiner eigenen Mitschuld lag. „Vipa?“, sagte er gerade laut genug, dass das Wort durch die Tür drang, als er klopfte. Langsam wurde sie von innen geöffnet und die Ärztin bedeutete dem blonden Hauptmann durch einen Finger vor ihrem Mund, leise zu sein. „Er schläft“, flüsterte sie und winkte ihn rein. „Geht’s ihm besser?“, flüsterte er genauso leise und sah sich in dem weißen Zimmer um. „Montag wirst du ihn schon wieder fertig machen können. Keine Sorge…“ Bei der Kälte in ihrer Stimme, bekam er eine Gänsehaut. „Mach ich schon nicht!“ „Pscht!“ Doch der dürre Rekrut unter der wärmenden Decke regte sich. Als ich meine Augen wieder öffnete, musste ich mich erst einmal wieder entsinnen, nicht im Himmel zu sein, sondern in einem weißen Zimmer. Mein Kopf fühlte sich leicht wie schon lange nicht mehr und mein Magen sich angenehm gefüllt an. „Wie geht’s dir, Sieben?“ Da ich die Stimme sofort erkannte, erschrak ich nicht, denn wenn ich Vipa nicht vertrauen konnte, konnte ich das niemandem, doch als ich mich aufsetzte und sie anblickte, wurde ich leichenblass. Mister No-Name –äh- Hauptmann Lueraine stand neben ihr und sah mich an. „B-besser.“, sagte ich und bemühte mich, meinen Schock nicht zu zeigen. „Deine Sachen.“, sagte der Mann, dessen Stimme mich geweckt hatte und reichte sie mir. Ich griff auch nach der kleinen Tasche, leider streikten meine Muskeln noch immer und als der blonde Hauptmann losließ, glitt sie mir einfach durch die Finger. Der verunsicherte Blick, den er mir nun zu warf, erfüllte mich einerseits mit Genugtuung, andererseits meldete sich plötzlich mein bisher verschollener Stolz. Schnell beugte ich mich nach unten und packte meine Tasche so stark ich konnte und -oh Wunder- entglitt sie mir nicht mehr. „Danke.“, sagte ich betont unbetont. Erst später ging mir durch den Kopf, dass das in seinen Augen provokant war, doch er nickte nur und wollte gehen. „Hast du nicht was vergessen, Rick?“ Er blieb stock und steif stehen. Da mein Körper langsam wieder Schmerzen registrierte, legte ich mich lieber wieder hin. „Rick.“, forderte die wunderschöne Ärztin ihn wieder auf. Weil ich mich unbeteiligt fühlte, schwieg ich und versuchte erneut in den Schlaf zu segeln, indem ich die Augen schloss. Ich hörte ein männliches Seufzten und dann: „Tut mir leid.“ Ich fühlte mich von Mister No-Name beim besten Willen nicht angesprochen. „Hey! “ Ich riss überrascht die Augen auf, als ich angestupst wurde. Der große Mann stand an meinem Bett, kratze sich den Hinterkopf und –ach du sch…- war schamrot. „Ich sag das nicht noch mal…“ Ich fühlte, wie Hitze in mein Gesicht stieg und mir wurde peinlich klar, dass ich knallrot sein musste. Doch glücklicherweise, drehte er sich zu Vipa, bevor er meine Reaktion erhaschen konnte. „Kann ich jetzt gehen?!“ Mein Blick schwirrte zu dem Rücken des Hauptmanns und wieder zurück an die Wand. Ich wusste nicht, was plötzlich los war. Ich konnte ihn nicht ansehen, aber auch nicht wegsehen. „Is gut, Rick. Gute Nacht.“ „Nacht!“, bellte er, als hätte er einen Grund, wütend zu sein. Ich sah kurz, wie sich die Tür hinter ihm schloss und schloss schnell die Augen. Unvorstellbar, würde die freundliche, aber ‚humorvolle’ Ärztin jetzt auch noch erfahren, dass- „Sag mal, warum bist du denn so rot, Sieben?“ Ich riss zum zweiten Mal die Augen auf und binnen Bruchsekunden entschied ich mich dazu, von absolut nichts Ahnung zu haben. „Hä?“ Vipa stand auf und schlug die Hände vor das Gesicht. „Das glaub ich einfach nicht! Wie kannst du dich in jemanden verknallen, der dich die zwei Tagen seit deiner Ankunft nur drangsaliert hat?!“ Ich fühlte mich noch ertappter als vorher und wurde wie ein paar Minuten zuvor Mister No-Name schamrot. „Ich bin nicht-! Wie kommst du darauf?!“, rief ich erschrocken aus. Wieso war ich denn auch rot geworden? Ich ärgerte mich und wusste nicht genau, ob die attraktive Ärztin nur ernsthaft sauer oder ähnlich geschockt wie ich war. Langsam setzte sie sich wieder. „Ich meine, er hat grad keine Beziehung, aber das wird echt schwierig…“, schien sie laut nachzudenken und ignorierte meinen Widerspruch. Ihr Blick fiel auf mich. „Vielleicht sollten wir ihm doch sagen, dass du ’ne Frau bist…“ „Was?!“ In mir stieg wieder Panik auf. Meinte sie das ernst? Vermutlich bekam sie mit, dass ich damit ein Problem hatte und legte beruhigend eine Hand auf meine Schulter. „Keine Angst. Er würde das nicht melden.“, sprach sie beruhigend und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, „Aber er wüsste dann, dass du ne Frau bist und das wär von Vorteil für dich, denn bisher hat er sich noch nie für Männer interessiert…“ Ich sah sie fassungslos an und schüttelte den Kopf. „Ich… Nein!“, flehte ich. Sie machte einen Schmollmund. „Wirklich nicht?“ Heftig schüttelte ich wieder den Kopf, was mich wieder leicht schwindeln ließ. „Na gut“, seufzte sie und stand auf, „Dann komm jetzt mit in mein Zimmer.“ Sie lächelte wieder verschmitzt: „Oder soll ich doch noch schnell Rick-“ „Nein!“, fiel ich ihr entsetzt darüber, dass sie immer noch auf diesen Vorschlag verharrte, ins Wort Wieso wollte sie es ihm plötzlich doch sagen? Nur weil ich einmal rot geworden war? Wir begaben uns in ein Gebäude in der Nähe von Halle zwei, das offenbar leer stand. Innen gab es viele kleinere Zimmer mit Betten, die aber alle leer waren. „Hier sollen alle Frauen des Militär untergebracht werden, aber da ich die einzige des Stützpunktes bin, ist es quasi mein Haus.“, erklärte sie mir leicht hin. Ich konnte meine Neugier nicht bremsen und fragte: „Warum bist du überhaupt hier?“ Während sie mich in ein Zimmer neben ihrem verfrachtete, erklärte sie mir, dass sie keine Familie hatte und eigentlich Ärztin werden wollte, aber keinen Ausbildungsplatz gefunden hatte. Und da das Militär für die Aufnahme von Frauen auch einen weiblichen Arzt benötigte, sie sofort aufgenommen wurde. Ihren Worten nach war sie auch noch nicht fertig mit der Ausbildung, denn sie war hier erst seit zwei Jahren. Auf meine Frage, ob es schwer für sie war, lächelte sie lieblich und erzählte mir, dass sie ohne Leutnant Mahony und Mister Namen- Hauptmann Lueraine große Probleme gehabt hätte. „Am Anfang haben wir uns gar nicht verstanden, aber dann gabs in einem Gebäude hier einen großen Brandt.“ Wir setzten uns auf mein Bett und ich lauschte interessiert. „Rick wär dabei eigentlich ums Leben gekommen, doch Adrian hat ihn rausgeholt.“ Irgendwie rührte mich das. „Und seitdem versteht ihr auch?“ Sie nickte. „Ich hab die beiden verarztet, weil der eigentliche Arzt nicht da war.“ Ich rief mir das Gesicht Mahonsy’s aus dem Gedächtnis. „Hat er daher diese Brandtwunde?“ Sie lehnte sich gegen die Wand: „Wer?“ Ich runzelte die Stirn. „Na, Leutnant Mahony?“ „Ach, so… Ja. Das Feuer hat sein rechtes Auge zu sehr verletzt. Ich musste es nähen.“ Man konnte deutlich ein schlechtes Gewissen aus ihrer Stimme klingen hören. Ich wollte wissen, ob der Hauptmann auch verletzt worden war, traute mich aber nicht zu fragen. Es herrschte kurz Stille und nach einer Minute sah sie mich verschmitzt grinsend an: „Du kannst ruhig fragen.“ Mein Gesichte flammte rot auf. „Was denn?“ Sie wuschelte mir durchs Haar. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich hab die Idee, es ihm zu sagen, verworfen. Aber ich bin seit zwei Jahren so gut wie keiner Frau begegnet. Lass mich an deinen Gedanken teil haben. Du willst doch wissen, ob Rick auch verletzt wurde?“ Ihre Rede brachte mich dazu einfach zu nicken. Wieso benahm ich mich wie ein kleines, verknalltes Mädchen? Ok, ein kleines Mädchen war ich ja, aber warum war ich nicht erwachsener? Sonst war ich das doch auch! Vipa riss mich aus meinen ärgerlichen Gedanken: „Sein Rück und zum Teil auch der Brustkorb ist mittlerweile vernarbt und sein linkes Bein…“ Ich riss meinen Blick von den Bodendielen weg. „Er belastet es kaum.“ Als ich ihren Blick bemerkte, wurde ich feuerrot und setzte schnell „Is mir beim Training aufgefallen!“ hinzu. Sie lachte verständnisvoll und wuschelte mir wieder durchs Haar. „Das Bein wird wohl nie wieder richtig funktionieren. Es war zu lang den Flammen ausgesetzt.“ Ich runzelte besorgt die Stirn. „Hat er Schmerzen?“ Ich dachte unwillkürlich daran, wie ich es während des Trainings hoch gerissen hatte. Sie seufzte. „Wenn man ihn fragt, sagt er nein, aber um ehrlich zu sein…“ Sie sah mich an „Wie hältst du das eigentlich so lange aus?“ Verdutzt hob ich die Augenbrauen. „Was denn?“ Sie zeigte auf meine Brust. „Tut es nicht weh, dauernd einen Verband um zu haben?“ Ich schüttelte den Kopf. „Am Anfang hat’s wehgetan, aber jetzt nicht mehr.“ Sie wirkte einen Moment tot unglücklich und befreite mich dann wortlos von dem Verband und holte mir ein weites T-Shirt zum Schlafen aus ihrem Zimmer. „Du rauchst?“, fragte sie Fast schockiert, als ich meine Tasche leerte und ein paar Zigarettenschachteln herauspurtzelten. Ich erklärte ihr kurz, dass dadurch meine Stimme tiefer würde, doch als sie mein Familienfoto erblickte, hörte sie nicht mehr zu und griff es. „Das bist du, oder?“ Sie zeigte auf das älteste Mädchen mit den blutroten Haaren. Ich nickte. Sie wandte ihren Blick nicht von dem Bild ab: „Du bist nicht 17, nicht wahr?“ Vipa war eine unglaublich nette Person. Ich wollte sie nicht mehr anlügen. „15“, sagte ich resigniert. Sorgsam stellte sie das Foto auf einen kleinen Schrank neben dem Bett. „Du kannst nicht hier bleiben.“ „Soll ich zurück ins Zelt?“, fragte ich enttäuscht. Gewohnheitsgemäß wuschelte sie mir durchs Haar. „Bloß nicht! Du kannst nicht weiter im Militär bleiben. Warum bist du überhaupt hier? Du bist ja noch ein Kind.“ Ich klärte sie genau über die Umstände meines Aufenthaltes auf und sie nickte verständnisvoll. „Du kannst trotzdem nicht hier bleiben. Bei irgendeiner Gelegenheit wirst du auffliegen…“ Ich wurde kalkweiß. „Nein, wird ich schon nicht.“ Sie schüttelte resigniert den Kopf: „Spätestens im Sommer, wenn alle ohne Oberteil rumlaufen, wird’s auffallen…“ wieder bekam ich einen leichten Anflug von Panik. Die junge Ärztin sah mich wieder lächelnd an. „mach dir jetzt aber keine Gedanken mehr. Wir kriegen das schon hin! Schlaf jetzt und morgen sehen wir weiter.“ Noch ein letztes Mal zerzauste sie mein Haar und stand auf. „Wenn du was braucht, komm einfach rüber.“ Damit verschwand sie in ihr Zimmer. Ich blieb noch ein paar Minuten sitzen und legte mich dann hin. Sie war seit zwei Jahren hier und kannte sich aus. Wenn sich das von ihr Erwähnte bewahrheitete, wäre ich erledigt und meine Familie auch. Vipa verließ am späten Abend noch einmal das Wohngebäude und schlenderte zu Adrians Quartier. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Sie verstand durchaus das Dilemma, in dem das Mädchen saß, aber sie wusste, dass Rick ihr nichts tun würde. Er wirkte hart und aufbrausend, hatte aber einen weichen Kern. Nach dem dritten Klopfen öffnete der Leutnant die Tür. Ihr lief ein warmer Schauer über den Rücken, als er zum Vorschein kam. „Vipa?“ Sie lächelte, als er die Tür für sie weiter aufmachte und sie eintreten konnte. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, sprach sie: „Sie ist 15.“ „Was?!“, der Schock war eindeutig heraus hörbar. Ruhig setzte sie sich auf den Stuhl, auf dem sie sich immer bei einem Besuch setzte. Er nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz. „Ich muss es Rick sagen.“ Sie seufzte. „Das denke ich auch…“ Dass das Mädchen in den Hauptmann verschossen war, behielt sie vorerst für sich. „Aber erst nach dem Wochenende.“ Er stützte seinen Kopf auf der Tischplatte ab und sah sie an. „Wieso?“ Sie begann nervös mit einer Locke ihrer Haare zu spielen. Sie konnte es nicht haben, wenn er sie ansah. „Sie sollte sich erst mal erholen und vorerst kann sie sowieso nicht an der Ausbildung teilnehmen.“ Er nickte. „Rick hat übrigens herausgefunden, wer ihr sie Wunde am Kopf verpasst hat.“ Ihr Blick wurde steinhart. „Und?“ Auf dem Gesicht Adrians erschien ein fieses Grinsen. „Sagen wir, er wird morgen früh seinen Spaß haben.“ Vipa schloss sich dem Grinsen an. „Sehr gut. Ich gehe jetzt lieber wieder. Falls sie aufwachen sollte und merkt, dass ich nicht da bin, bekommt sie nur unnötig Angst.“ Er brachte sie noch zur Tür und sie schlenderte zurück. Am ersten Tag des Wochenendes weckte mich Vipa, indem sie solange an meiner Schulter rüttelte, bis ich die Augen öffnete. „Morgen!“, lachte sie mich an. Ich gähnte zurückhaltend. „wie spät ist es?“, fragte ich verwundert, da ich eigentlich gegen fünf von alleine aufwachte. „Um elf.“ Ich richtete mich schnell auf und der Schwindel kam zurück. Wohlwollend tätschelte sie meinen Oberarm. „Du musst dich bis Montag ausruhen. Du hast viel durchgemacht, Sieben.“ Diese Frau behandelte mich wie eine Freundin, die sie schon seit Jahren kannte, was mir Tränen in die Augen trieb. „Musst du heute arbeiten?“, lenkte ich schnell ab, bevor ich ernsthaft zu weinen beginnen konnte. Sie stand seufzend auf: „Ja, aber nur bis Nachmittag.“ Sie sah mich an und irgendwie bekam ich ein seltsames Gefühl bei ihrem Grinsen. „Bevor ich gehe, sollten wir noch schnell deine Brust abbinden, denn ich schicke in ner Stunde jemanden mit deinem Mittagessen.“ „Nein, nein. Ich hab gar keinen Hunger!“ Ich wollte nicht mehr Umstände, als sowieso schon machen. Ihr Blick wurde strafend, aber das Grinsen verschwand dabei nicht. „Du musst was essen, damit du bald wieder fit bist!“ Ich wunderte mich über dieses Grinsen! „Ich kann mir ja selbst was holen.“ Sie hob –immer noch grinsend- eine Augenbraue. „Steh mal auf“, forderte sie mich auf. Als ich dieser Aufforderung Folge leisten wollte, gaben meine Beine schon beim aufrichten nach. „Also in ungefähr einer Stunde, wird dir jemand was zu essen bringen.“ Ich nickte verschämt und sie half mir, den Verband festzuziehen. „Das wird nicht lange gehen…“, dachte sie laut nach. Ich sah sie irritiert an und sie führte ihre Gedanken weiter aus: „Du bist 15 und damit noch voll im Wachstum.“ Ich wurde rot, als ich merkte, worauf sie anspielte. „ich… Das glaub ich nicht…“, stammelte ich. Sie lachte und klopfte mir auf den Rücken. „Wir werden schon ne Lösung finden, keine Sorge. Ich muss jetzt los.“ Während ich mir darüber im Klaren wurde, dass sie mein Problem scheinbar zu unserem Problem machte, fiel mir ein Grund für ihr konstantes Grinsen ein und mein Herz hüfte aus der abgebundenen Brust. “Vipa, du willst doch nicht Mister No-Name zu mir schicken?“ Sie sah mich irritiert an. Mein peinlicher Fehler fiel mir schnell auf und ich schüttelte den Kopf: „I-Ich meine Hauptmann Lueraine!“ Sie wirkte zwar immer noch verwirrt, aber das listige Grinsen zierte ihr Gesicht wieder. „Ich hoffe, du erklärst mir noch, warum du Rick mit Mister No-Name betitelst.“ Sie stand auf und trottete zur Tür. „Warte! Versprich mir erst, dass es nicht er sein wird!“ Sie schloss die Tür hinter sich. Die Stunde, die ich nun auf mein Mittagessen warten durfte fühlte sich an, wie der Countdown zum Ende meines Lebens. Was dachte sich Vipa dabei?! Er war Hauptmann und hatte sicher viel zu tun! Wenn sie ihn tatsächlich dazu überreden konnte, würde er bestimmt unglaublich mies gelaunt sein! Und von seiner miesen Laune hatte ich schon genug zu spüren bekommen! Ich saß wie auf Kohlen auf dem weichen Bett. Mit Sicherheit konnte Vipa ihn nicht dazu bekommen mir, die Person, die ihm am meisten auf den Geist gegangen war, ihr Essen zu bringen! Sie würde es ganz sicher nicht schaffen. Gerade, als ich es geschafft hatte, mich zu beruhigen, klopfte es unverhofft an der Tür. Vor Schreck sprang ich aus dem Bett und fasste gerade den Entschluss, die Tür zu öffnen, als meine Beine nachgaben und mein Körper wie ein nasser Sack auf den Boden plumpste. Verdutzt bemerkte ich, dass die Tür aufging und –oh, Gott!- Hauptmann Lueraine eintrat. Vermutlich hatte er das Plumpsen gehört. Als er mich am Boden entdeckte, stellte er die beiden Teller, die er in den Händen hielt, auf den Tisch neben der Tür ab und reichte mir eine Hand. Vollkommen verwirrt musterte ich die Hand, schaute zu ihm und da ich dann langsam meine Lage erkannte, sagte ich äußerst intelligent: „Oh…“ Der Anflug von einem Lächeln erschien auf seinem Gesicht und er griff mir einfach unter die Arme und setzte mich auf das Bett. „Du bist ja richtig leicht.“, bemerkte er, während er sich umdrehte und mir einen der beiden Teller brachte. „Hier.“ Nach zwei Sekunden, die ich benötigte, um den Umstand, dass er mich auf das Bett gesetzt und mein Gewicht erwähnt hatte, zu realisieren, nahm ich ihm den Teller ab. „D-danke.“ Er nickte nur und setzte sich auf den Stuhl neben dem Tisch. Verdutzt sah ich ihn an. „Ähm… Wollen sie… hier bleiben?“, konnte ich meine wirren Gedanken zu einer plausiblen Frage formulieren. Er blickte mich wieder an, wobei mir - nebenbei bemerkt- äußert mulmig wurde, und seufzte. „Die werte Ärztin wies mich an hier auszuharren und sicher zu gehen, dass du auch alles aufisst.“ Ich runzelte die Stirn. „Das brauchen sie nicht. Ich wird schon alles essen.“ Ich musste mir eingestehen, dass ich seine Anwesenheit auf eine eigenartige Weise genoss, doch andererseits wollte ich nicht vor ihm essen, oder sitzen, oder existieren. Er lachte ironisch auf: „Ja, und wenn sie mich draußen erwischt, bin ich geliefert… Hier.“ Er warf mir in eine Serviette gewickeltes Besteck zu, das ungefangen auf dem Bett landete. Dann schob er seinen Stuhl an den Tisch und aß. Ich saß bewegungslos da. Vipa war gut. Wirklich gut. Sie hatte es nicht nur geschafft, ihn hierher zu bringen –nein- sie hatte es auch noch geschafft ihn dazu zu zwingen hier mit mir zu essen. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr dankbar sein oder für meinen Selbstmord verantwortlich machen sollte. „Iss, sonst komm ich hier nie weg“, hörte ich den blonden Mann murren und ließ mich aufblicken. Peinlich bemerkte ich, dass er schon fertig war und mich gelangweilt ansah. „Ich äh… Tschuldigung“, murmelte ich hastig und schaufelte das Essen so schnell und so gut aussehend wie möglich, was sinnlos war, da ich ja einen Mann spielte. Außerdem fiel mir des öfteren die Gabel aus der Hand, da meine Finger immer noch taub und unter einer dicken Schicht Verband waren. Binnen Sekunden war ich ebenfalls fertig und hätte auch keinen Bissen mehr herunterbekommen. „Gib mir deinen Teller“, forderte er mich auf. Ich wollte seiner Anweisung nur zu gern nachkommen, allerdings war ich mir auch darüber bewusst, dass ich kaum einen Schritt gehen konnte, also hielt ich ihm den leeren Teller mit dem Besteck hin. Er sah mich mit gehobener Augenbraue an. Erschrocken wurde mir klar, dass mein Verhalten von ihm höchstwahrscheinlich als Provokation aufgefasst werden könnte! Vermutlich dachte er, ich sei so arrogant von ihm zu erwarten, mir den Teller abzunehmen. „I-Ich kann nicht aufstehen!“, fügte ich deshalb nervös hinzu. „Stimmt ja…“, sagte er, als es ihm wieder einfiel und er kam auf mich zu, um mir den Teller abzunehmen. „Deine Familie?“ Er deutete auf das Foto auf dem kleinen Schrank neben dem Bett. Warum ging er nicht einfach? Wieso jetzt diese Frage? Er interessierte sich mit Sicherheit nicht wirklich für meine Familie oder dafür, ob ich mein Essen aß oder auch nicht. Er machte das nur, weil Vipa ihn dazu angewiesen hatte. „Ja“, sagte ich kurz und bündig, um ihn aus dieser unangenehmen Situation zu verhelfen. Er nickte und ich hatte das Gefühl, eine Spur Erleichterung zu sehen, da ich ihn nicht über meine Familiengeschichte voll quasselte. Scheinbar fiel sein Blick auf meine verschwindend geringe Menge an Zigaretten, die ich mittlerweile auf zwei minimiert habe. Ich wusste noch nicht, wie ich sie wieder aufstocken sollte, denn ich konnte ja nicht mal aufstehen. „Hast nicht mehr viele, was?“, fragte er beiläufig und mir wurde klar, dass er gleich etwas, wie ‚Pech, was?’ oder ‚Tja, dann kümmer dich mal um Nachschub’ von sich geben würde. „Hier.“ Plötzlich hielt er mir eine volle Schachtel unter die Nase. „Was…“, murmelte ich irritiert und nahm die Schachtel sachte. Es war eine andere Marke, als meine, doch ich kannte mich damit nicht wirklich aus. „Äh… Danke“, sagte ich und war mir nicht sicher, ob er sie mir nun schenken, oder zeigen wollte, dass er noch welche hatte. Er grinste. „Ich kann ja aufstehen, um mir neue zu holen“, meinte er schadenfroh, aber überraschenderweise nicht ernsthaft böse. Ich war überrumpelt von dieser Geste. „D…Danke…“ Er seufzte. „Keine Sorge.“ Ich sah ihn verständnislos an und war vollkommen fertig, als er mir fast schon freundschaftlich auf die Schulter klopfte und beruhigend: „Ich lass dich jetzt in Ruhe und beim Training nächste Woche brauchst du auch keine Extrarunden mehr zu laufen“, sagte. Mir fehlten die Worte und ich bekam nur ein: „Okay“, heraus. Früher hätte er mich für diese Antwort vermutlich fertig gemacht, aber jetzt lächelte er nur und ging mit den Tellern zur Tür. „Bis heute Abend dann.“, rief er beim Rausgehen. Ich betrachtete voller Stolz die Zigarettenschachtel, als wäre sie eine Trophäe und erst jetzt flammte mein Gesicht blutrot auf. Diese Schachtel hatte natürlich nichts zu bedeuten, schließlich war ich in seinen Augen ja ein Mann, aber trotzdem freute ich mich wie ein kleines schwärmendes Kind und kam mir nicht mal dumm dabei vor. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich mich entsann, dass er ‚Bis heute Abend’ gesagt hatte. Irgendwann wurde ich des Herumsitzens überdrüssig und um ehrlich zu sein war ich auch viel zu aufgeregt. Vipa hatte ihn also auch noch dazu gezwungen, mir das Abendessen zu bringen… Sie hatte mir aber gesagt, dass sie nur bis späten Nachmittag arbeiten musste, weswegen ich vermutete, dass sie selbst auch kommen würde. Aber warum sollte Mister No-Name dann mitkommen? Ich war unruhig und befasste mich zur Ablenkung damit, meine Beinmuskeln auf das Training nächsten Montag vorzubereiten. Ich fand es unglaublich, wie wackelig auf den Beinen stand. Ich musste mich sogar auf der Fensterbank neben dem Schränkchen abstützen, um nicht auf dem Boden zu landen. Vor meinem Zusammenbruch auf dem Übungsgelände war doch eigentlich alles in Ordnung gewesen. Auch jetzt hatte ich nur einen ziemlich heftigen Muskelkater und doch verwehrten mir meine Muskeln vehement jede Art von Bewegung. Nicht mal meine Zigarette konnte ich richtig halten. Wieder schaute ich verträumt seine Schachtel an. Vielleicht sollte ich sie einfach aufheben und sie verstecken! Wann würde ich denn auch wieder etwas von meinem Hauptmann bekommen? Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich war hier ein 19jähriger Mann, kein 15jähriges Mädchen… Am Abend klopfte es wieder an der Tür, doch da ich gerade genug Kraft benötigte, um mich aufrecht zu halten, machte ich nicht noch einmal Anstalten, sie zu öffnen. Gebannt starrte ich auf die aufgehende Tür und atmete erleichtert durch, als Vipa zum Vorschein kam. „Was machst du denn?“; rief sie bei meinem Anblick aus. Ich machte ein verdutztes Gesicht. Ich konnte fast stehen. War das nicht gut? „Du sollst dich möglichst wenig bewegen!“, schrie sie aufgebracht und während sie mich zum Bett zerrte, erschienen Leutnant Mahony und - um Gottes Willen! - Hauptmann Lueraine in der offenen Tür. Beide hatten jeweils zwei Teller mit Essen in den Händen. Der Blonde ging sofort an den Tisch und stellte seine Teller ab. Mahony musterte Vipa, die mich unsanft auf das Bett warf und „Wenn ich das noch mal sehe, kette ich dich fest“ sagte. Mister No-Name lachte auf: „Hör lieber auf sie!“ Ich blickte auf und riss mich zusammen, um nicht rot anzulaufen, denn er sah mich direkt an. Ohne dieses fiese Grinsen! Dann drehte er sich zum Leutnant: „Weißt du noch, wie sie dich drei Woche ans Bett gefesselt hat, weil dein Knöchel verstaucht war?“ Mahony verdrehte die Augen. „Oder dich wegen einer einfachen Erkältung von allen anderen isoliert hatte?“ Vipa hob den Kopf und schaffte es so die beiden trotz ihrer kleinen Körpergröße von oben herab anzuschauen. „Ich habe euch das Leben gerettet.“ Leutnant Mahony griente: „Sorry, aber das gilt nur für ihn.“ Er zeigte auf Hauptmann Lueraine, der sich genervt auf den Stuhl setzte, auf dem er zuvor auch gesessen hatte. Die Ärztin wirkte kurz irgendwie abwesend, ließ die Schultern hängen und starrte auf die Bodendielen. Ob Mahony wusste, was für Gewissensbisse sie plagten? Mit Sicherheit nicht… Die schöne Frau fing sich schnell wieder und nahm dem Braunhaarigen einen Teller ab und reichte ihn mir. „Hier. Iss schön auf!“ Ich betrachtete sie finster. Was fiel ihr ein mich wie ein kleines Kind zu behandeln. Vor Hauptmann Lueraine! Vipa bemerkte den Blick nicht, doch die beiden Männer lachten. „Ich wundere mich nur, warum du ihn nur übers Wochenende inhaftierst…“, murmelte mein Hauptmann an die Ärztin gewandt. Gereizt funkelte sie ihn an: „Oh, du hast Recht! Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du Sieben in Zukunft lockerer anpackst.“ Das stopfte ihm das Maul und er betrachtete eingehend sein Essen. Mahony setzte sich dazu: „Sag mal, Sieben –Ich darf dich doch so nennen?“ Ich nickte schnell. Ich hatte nicht das Recht, darauf zu bestehen, dass er mich siezen solle. Abgesehen davon hatte ich damit kein Problem. „Gut, ich bin Adrian. Sag mal, hast du nicht Schmerzen, wenn du dich bewegst?“ Alle drei sahen in dem Moment zu mir und bekamen genau mit, wie ich mit zittrigen Fingern meine Gabel umklammerte, da sie mir ansonsten aus der Hand gleiten würde. Mister No-Name wandte den Blick schnell wieder ab, doch die beiden anderen machten eine besorgte Miene. „Ich hab nur Muskelkater!“, beteuerte ich ernst. „Ist das dein Ernst?“, rief Adrian überrascht. Vipa schüttelte den Kopf. „Du schaffst es nicht mal aufzustehen! Weißt du, was ein Muskelkater ist?“ Ich überlegte kurz. „Die Muskeln… tun weh?“ Jetzt, wo ich drüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich eigentlich keine Ahnung davon hatte. „Sag bloß, du hattest noch nie einen Muskelkater?!“ Der Blick der Ärztin verriet bloße Fassungslosigkeit. Ich runzelte die Stirn. Leise murmelte Lueraine einen Kommentar: „Kein Wunder, dass du so schlecht in Form warst…“ Tatsächlich wagte ich es, zu antworten: „Vorher hab ich mich nur um meine Schwestern gekümmert.“ Sofort bereute ich es. Welcher Mann kümmert sich denn um seine Schwestern? Doch niemand ging darauf ein. Vipa nahm das Familienfoto vom Nachttischchen und musterte es lächelnd. „Das sind deine Schwestern?“ Bei diesen Worten deutete sie auf das größte der kleinen Mädchen und formte lautlos mit den Lippen: „Das bist du?“ Ich sah hektisch zum Hauptmann, doch der unterhielt sich gerade mit Mahony und so nickte ich. Das Lächeln der Ärztin wurde weich. „Deine Schwestern sehen süß aus.“ Sie sah mich bedeutend an und mein Kopf färbte sich rot. Diese wunderschöne Frau wollte mir gerade sagen, dass ich süß sei. „D-Das zu hören, würde sie sicher freuen.“ Wie eine Mutter strich sie mir über die Wange und drehte sich dann wieder zu den beiden Männern, die von der Unterhaltung nichts mitbekommen hatten. Öhm... mehr hab ich leider noch nicht... Hoffentlich hats wer gelesen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)