Bellestown von abgemeldet (Die Trilogie - FERTIG) ================================================================================ Kapitel 1: Was machen Kapellenengel, die plötzlich keinen Job mehr haben? ------------------------------------------------------------------------- Rückkehr nach Bellestown Teil 1 Es war Nacht im Himmel. Im großen Schlafsaal Nummer 8, wo die Himmlische Kapelle ruhte, wurde dicht bei der Tür plötzlich ein kleines Flämmchen sichtbar. Die leicht zitternden Finger, die die Zigarette hielten, gehörten einem Seraph, der gerade einen tiefen Zug nahm und hingebungsvoll seufzte. -Ahhhhhhhhh,... es geht doch nichts über eine gute Selbstgedrehte auf Lakritzpapier!- schwebte es wie Rauch durch seinen leeren Schädel. Sein Name war Jod und er wußte, daß er süchtig war. Anders als Alkohol waren Zigaretten eine Sache, auf die Gott keinen Einfluß hatte. Der Rauch war ja von Anfang an nicht dafür gedacht, im Körper zu bleiben, sondern zog quasi nur durch ihn hindurch und wurde kurze Zeit später wieder der Atmosphäre übergeben. (Wenn es im Himmel so etwas wie eine Atmosphäre gegeben hätte.) Daher waren erstaunlich viele Seraphim Kettenraucher. Nur der alte Spielverderber Metatron machte nicht mit. Er hatte Angst, er könnte sich mit den Kippen seine Stimme ruinieren, deshalb trank (und spuckte) er nur warme Milch mit Honig. Zumindest die Geschmacksnerven waren den Seraphim und den Erzengeln ja noch erhalten geblieben - und das veranlaßte Metatrons Kollegen, ihm ab und zu etwas Essig in seine Milch zu schütten, weil sie es nicht ertragen konnten, wenn ein Engel so verdammt brav war wie er. Obwohl einige von ihnen ja vermuteten, daß Metatron nicht nur ein Streber, sondern auch der schlimmste Spanner war, den das Universum je gesehen hatte. Jeder kannte seine Angewohnheit, nachts in irgendwelchen Schlafzimmern zu erscheinen, wenn die Menschen nur wenig Kleidung trugen und sich nicht wehren konnten... Aber das war eher ein Punkt, der den Seraphim gefiel. Es machte Metatron irgendwie normaler, daß er auch ein kleines Laster hatte. Jod zog weiter an seinem Glimmstengel. Er war ein Meister darin, eine Zigarette auf einmal aufzurauchen. Glut und Asche näherten sich dem Ende, das er in den Händen hielt, aber er hörte nicht auf einzuatmen. Feuer gehörte zu den wenigen Dingen, die Engel noch sinnlich wahrnehmen konnten und Jod mochte das Gefühl, daß irgendetwas seine Haut berührte. Zwar war es wahrscheinlich Schmerz, den er dabei empfand - er wußte es nicht so genau, aber er wußte, wie Menschen darauf reagierten und hatte sich überlegt, daß er vermutlich auch zurückzucken und schreien sollte - aber wenigstens war es IRGENDETWAS! Nicht diese Atmosphärenlosigkeit, der verkümmerte Tastsinn,... diese völlige Gefühllosigkeit, mit der die Engel gestraft waren. Auf der Erde gab es wenigstens Wind, den man ab und zu spüren konnte, wie er an den Kleidern zerrte und einem das Haar durcheinander brachte. Aber hier: nichts. Es gab ja nicht einmal Luft. Jod seufzte noch einmal, ließ die Asche auf dem Boden fallen und drückte sie vorsichtshalber auch noch mit seinen nackten Zehen aus. Dann schlug er mit der Faust auf den Lichtschalter und brüllte mit einer Stimme, die von dem Qualm viel tiefer und rauher war als gewöhnlich: "Alles aufstehen! Los, macht schon, ihr faulen Säcke! Ich habe eine Mitteilung vom Allmächtigen für euch!" Shimson schob sich seine malvenfarbene Schlafmaske von den Augen, hob verschlafen den Kopf und machte: "Hm?" Engel mußten nicht schlafen - eigentlich konnten sie es auch gar nicht - aber genauso wie sie es mochten zu rauchen, Kaffee zu trinken und fernzusehen, fanden sie es ganz entspannend, sich hin und wieder in ein kuscheliges Bettchen zu legen und wegzudämmern. Allerdings funktionierten sie dabei eher wie Elektrogeräte als wie Menschen: sie befanden sich in einer Art Standby-Modus, wenn sie schliefen. Sie waren betriebsbereit, verbrauchten aber im Moment keine unnötige Energie. So zumindest drückten es die Boten, Schutzengel, Nothelfer und Mitglieder der Himmlischen Kapelle aus. Diese vier Abteilungen des neunten Chors hatten die offizielle Erlaubnis, in regelmäßigen Abständen ein Nickerchen zu machen. Das lag allerdings nur daran, daß sie von Raphael und Uriel befehligt wurden. Und jeder wußte, daß Raphael seinen Untergebenen einfach nichts abschlagen konnte und daß Uriel im Augenblick damit beschäftigt war, das Paradies zu bewachen. Gabriel und Michael dagegen erlaubten ihren Abteilungen weder das Schlafen, noch das Trinken oder Rauchen. Und nur Michael gestattete gelegentliches Fernsehen, weil er selbst Fußball mochte. So gesehen waren die Seelensammler, also Gabriels Diener, die ärmsten Engel, weil sie praktisch gar nichts durften. Wenn sie hätten schlafen dürfen, hätten sie wahrscheinlich noch vor dem Sandmännchen ins Bett gemußt! Und sie alle beneideten die Abteilungen, deren Führer nicht so verdammt streng waren. Andererseits,... wenn die Seelensammler gewußt hätten, was auf ihre friedlich schlummernden Kollegen zukam... hätten sie vielleicht Gott gedankt, daß sie anders waren. "Hört ihr nicht, ihr Schnarchsäcke?!" donnerte Jod und zündete sich noch eine Lakritzpapier-Zigarette an. "Verdammt..." Er fing an zu fluchen, weil er sich mit dem Feuerzeug die Nase angesengt hatte, statt das Ende der Kippe anzubrennen. "Jetzt steht endlich auf, ihr Blödmänner, ihr seid gefeuert!!!" Mehrere Kapellisten fuhren aus ihren Plüschbetten auf. "Was?!" kreischte Abib. Die Tonlage der Muse der Farbgebung war so schrill und furchterregend, daß Jod sich vor Schreck sie Ohren zuhielt (obwohl er genausowenig hören wie atmen oder fühlen konnte). Die Zigarette und das Feuerzeug fielen ihm auf die Zehen. Als Seraph hatte er gewissermaßen Glück in diesem Punkt - statt jetzt auf einem Fuß herumzuhüpfen und zu brüllen wie ein Mensch konnte er genervt nach oben sehen, seinen Kram aufheben und weiterhin Uriels Leute fertigmachen. Zwischendurch wunderte er sich manchmal, wie in der Atmosphärenlosigkeit überhaupt Feuer brennen konnte. Aber es war nicht wirklich wichtig. Der Himmel gehorchte nicht den Gesetzen der Logik. Andernfalls wäre er längst explodiert. "Sag das nochmal!" verlangte Ismael, der mit seinem Bärchen-Schlafanzug auf Jod zugewankt kam. An seinen Zehen konnte man schwach perlmuttfarbenen Nagellack erkennen. Außerdem war sein Haar total durcheinander: hinten stand es hoch und vorne hing ihm der Pony in die Augen. "Ich sagte, ihr seid gefeuert!" wiederholte Jod angriffslustig. Langsam konnte er verstehen, warum Michael so gern Engel aus dem neunten Chor verprügelte. Die waren ja wirklich strunzdumm und begriffsstutzig! "Mami?" fragte eine quängelige Stimme. Jod erstarrte. Das konnte doch nicht wahr sein! "LAEL?!!! Was macht DER denn hier?" "Na, der übernachtet bei uns," behauptete Kaleb. Soweit Jod das von seinem Standpunkt an der Tür erkennen konnte teilten der Harfenspieler und Lael sich ein Bett. "Wie bitte?" entfuhr es dem Seraph. "Der ist doch ein Seelensammler! Und soweit ich weiß, dürfen die gar nicht schlafen!" "Gabriel hat gesagt, ich soll lieber schlafen gehen, bevor ich noch mehr Schaden anrichte," erklärte Lael und gähnte. "Mach mal das Licht aus, Onkel!" "Oh, Herr!" murmelte Jod, mit den Nerven am Ende. Er hatte gewußt, daß das hier schwierig werden würde... aber soooooo schlimm? Niemand hatte ihm gesagt, daß er es mit Lael aufnehmen mußte, der die Angewohnheit hatte alle ranghöheren Engel - außer den Erzengeln - mit >Onkel< anzusprechen. Naja, die >Tanten< waren ja auch gerade in der Zwischenwelt... "Hab ich das richtig verstanden, der Herr wirft uns raus?" versicherte Abib sich noch einmal. Jod nickte niedergeschlagen. Vielleicht sollte er noch einmal mit dem Allmächtigen reden, damit Er auch Lael aus dem Himmel entfernte. Andererseits - konnte er es verantworten die Menschheit derartig zu quälen? Egal wem man diese kleine Pest auf den Hals hetzte, es war in jedem Fall ein Verbrechen gegen die himmlischen Gesetze der Barmherzigkeit. Lael war etwas, das man guten Gewissens nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen konnte. Und wie kam der überhaupt auf >Mami