Glue The Heart von chenyu ================================================================================ Kapitel 12: Waffenstillstand ---------------------------- Was mach ich nur? Wirklich? Ich dachte Finn wäre so weit, ich dachte... verdammt! Es dauert etwas, aber nach einer Weile beruhigen sich meine Gedanken und mein Körper wieder. Das kalte Wasser hat die Hitze vertrieben und ich kann ruhig nachdenken, über mich und ihn und unser bescheuertes Verhalten. Ob es besser wäre, ich würde mich entschuldigen? Andererseits hat er angefangen, er hat... Nein, so komme ich nicht weiter und oh Mann! Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich so ungeduldig sein kann. Aber in seiner Nähe bin ich es und das Schlimme ist, ich kann es nicht kontrollieren, ich will ihn einfach! Verdammt! Ich muss meinen Kopf nochmal unters kalte Wasser tauchen. Vielleicht hätte ich dabei bleiben sollen, ihn einfach nur zu beobachten. Das war noch erträglich und viel einfacher, da hat er noch nicht gewusst, dass ich existiere und dabei wäre ich auch nie in die Versuchung gekommen, ihm tatsächlich an die Wäsche zu gehen. Aber das ging ja nicht, nein, ich musste mich ihm ja unbedingt zeigen, als er damals so einsam und deprimiert auf der Bank gesessen hat. Er hat so verloren ausgesehen und ich Esel hab nur für einen Augenblick die Kontrolle verloren. Damit hat es doch angefangen, er hatte einen schwachen Moment und ich... na ja.... wohl auch. Kontrolle also. Darum geht es. Wenn ich dich Augen schließe, sehe ich ihn wieder vor mir, wie er mich verführerisch angesehen hat und auch seine Lippen. Ach diese verlockend weichen Lippen, und diese roten Wangen... Ich muss schlucken. Kein Wunder, dass ich mich nicht zurückhalten konnte, selbst jetzt will ich aus der Dusche stürmen, um ihm die Klamotten vom Leib zu reißen, ihn an mich zu ziehen und.. Ich beiße mir harsch auf die Unterlippe bei diesen Gedanken. Das darf doch nicht wahr sein! Nein! Reiß dich zusammen Ian, sonst nützt das ganze kalte Wasser nichts mehr! Was ist da vorhin nur passiert? Wieso hat er mich abgewiesen? Ich versteh es nicht und mein Kopf schwirrt regelrecht vor lauter Verwirrung. Ich dachte, es gefällt ihm auch, vor allem, weil er es war, der angefangen hat aber stattdessen... Ein Seufzen kommt mir über die Lippen. Vermutlich habe ich alles falsch verstanden und schlussendlich alles noch schlimmer gemacht. Wenn ich daran zurückdenke, war sein Blick so leidend, als hätte ich ihm irgendetwas unglaublich Grausames angetan. Und dann diese Abwehr... Nick... ausgerechnet Nick! Wieso? Denkt er denn, ich wäre wie er? Genau so mies, genau so kalt...? Das darf doch einfach nicht wahr sein! … Wie soll ich ihm nur klarmachen, dass es nicht so ist, dass ich anders bin? Das ist so frustrierend, dabei hätte ich nicht einmal gedacht, dass es nötig sein würde, ihm zu zeigen, dass ich anders bin. Ich dachte er hätte bemerkt, dass ich es ehrlich mit ihm meine. Aber mein Geständnis vorhin scheint mir wohl mehr bedeutet zu haben, als ihm. Kein Wunder, ich kann verstehen, dass er sauer ist, immerhin habe ich ihn angelogen, und ihn über vieles im Unklaren gelassen. Aber was hätte ich auch anderes tun sollen? Schon wieder höre ich mich seufzen. Habe ich schon erwähnt, dass das ganze überaus frustrierend ist? Nun, es ist überaus frustrierend. Ich meine, ich kenne meine Lehrer nicht privat, aber besser als ein alter, perverser und vor allem verheirateter Sack bin ich doch allemal! Nur sieht Finn das wohl anders. Langsam wird mir kalt und ich drehe das Wasser ab, etwas unwillig aber doch. Ich weiß nicht, wie ich Finn wieder unter die Augen treten soll, ich weiß nicht, was ich sagen soll, um die Stimmung aufzulockern, oder ob das überhaupt gut wäre. Soll ich so tun, als wäre nichts gewesen? Oder soll ich unbeeindruckt einen neuen Versuch starten? Bei Daniel hätte ich gewusst, was ich tun soll, er war leicht zu verstehen und hat kein Geheimnis aus seinen Gefühlen gemacht. Na ja, außer später dann, aber das lag wohl eher daran, dass ihn die neue Situation dermaßen verstört hat, dass er selbst nicht wusste, was er tun sollte. Sogar das kann ich nachvollziehen, aber Finn? Finn bleibt für mich ein großes Fragezeichen. Aber das ist ja, wenn man es genau betrachtet, auch gar nicht so verwunderlich, ich meine, wie lange kennen wir uns jetzt schon? Vermutlich bin ich bei ihm immer noch im Status eines Fremden und vielleicht sollte ich als allererstes genau das ändern und kleine Schritte auf ihn zu machen? Ich greife nach einem Handtuch und trockne mich langsam. Was ich vorhabe ist keine leichte Aufgabe, wie ich bereits nach wenigen Augenblicken des Überlegens feststellen muss. Aber es ist notwendig, damit er sich hier bei mir wohlfühlt. Ein letztes Mal nicke ich mir ermunternd im Spiegel zu, dann kehre ich zurück aufs Schlachtfeld, in mein Zimmer. Finn sitzt immer noch auf dem Bett und ignoriert mich weitgehend. Was mich jedoch nicht davon abhält, ihn neugierig zu mustern. Mein Blick huscht über seine Hände, in denen er schon wieder etwas hält. Zum Glück habe ich aber nur ein Tagebuch und das hat er ja schon gelesen. Ich gehe etwas näher auf ihn zu, um besser sehen zu können und nicke dann unbewusst, als ich es erkenne. Verstehe, es ist Daniels Foto von dem er vorhin gesprochen hat. Ich sehe wieder weg, gehe auf meinen Kleiderschrank zu und suche mir einen Pyjama raus, den ich auch kurz darauf anziehe. Anschließend schiele ich zum Nachtkästchen und muss schmunzeln. Das Sushi ist wohl auf mysteriöse Art und Weise verschwunden. Erleichtert, dass Finn doch zumindest etwas gegessen hat, fasse ich neuen Mut und nähere mich ihm vorsichtig wieder, ehe ich aufs Bett krabble, um das Foto besser zu sehen. Es ist lange her, dass ich es mir so genau angesehen habe, irgendwann muss ich einfach vergessen haben, dass es noch da war unter meinem Bett. »Hübscher Kerl, was?« beginne ich also ein Gespräch und versuche dabei so gelassen wie möglich zu klingen. Trotzdem schnaubt Finn nur, aber ich lächle dennoch. Als er nichts weiter darauf zu erwidern hat, fahre ich fort. »Sieht dir ziemlich ähnlich.« «Soll das jetzt ein Kompliment gewesen sein?» Ich zucke mit den Schultern, innerlich grinse ich aber und freue mich darüber, dass er endlich darauf reagiert. »Eine Feststellung.« meine ich nur und versuche ihm dabei nicht zu zeigen, wie sehr mich seine Antwort freut. «Wieso hast du immer noch ein Foto von ihm?» Die Frage überrascht mich, aber ich ringe mich zu einem gleichmütigen Schulterzucken durch. »Weiß nicht, bin einfach nie dazu gekommen, es wegzuwerfen.« Mein Blick löst sich von der Fotografie und wandert zu einem fast perfekten, wenn auch mittlerweile älteren, menschlichen Ebenbild davon. »Willst du es haben?« Die Frage kam mir ganz spontan, ich weiß selbst nicht so genau, wieso ich es ihm angeboten habe, aber in dem Moment schien es mir so, als wäre es einfach richtig gewesen. «Wie kommst du darauf, dass ich es will?» Finn sieht mich etwas empört an, ein wirklich niedlicher Ausdruck, wie ich finde. »Du siehst es schon die ganze Zeit über so interessiert an und da du vermutlich selber kein Bild von deinem Bruder..« «Halbbruder!» … »... von deinem Halbbruder hast, dachte ich...« Ich beende den Satz nicht, seine heftige Reaktion hat mich aus meinem Redefluss gebracht und lässt wohl keinen Zweifel daran offen, dass er, erstens, das Bild nicht will und zweitens, ganz offensichtlich nicht gut auf Daniel zu sprechen ist. »Ich hab wohl falsch gedacht.« murmle ich also nur immer noch nicht ganz gefasst. «Ja, hast du wohl.» Und wieder beginnen wir also zu streiten? Wollte ich diesmal nicht irgendetwas anders machen? Also versuche ich es nochmal. »Weißt du Finn, es ist nichts Schlimmes daran, neugierig zu sein. An deiner Stelle würde ich wohl auch wissen wollen, wer mein Bruder ist.« «Halbbruder. Außerdem bin ich nicht neugierig, er hat unsere Familie kaputt gemacht, er interessiert mich einen Scheißdreck und egal wo er gerade steckt, ich hoffe es geht ihm schlecht!» Okay, Finn ist wohl doch eine härtere Nuss, als ich gedacht hatte. Aber wenigstens ist er diesmal wütend auf jemand anderen und nicht auf mich, das ist doch schon mal ein Fortschritt, oder nicht? Trotzdem, irgendetwas stimmt nicht. Es tut mir weh ihn so zu sehen, so verbittert und voller Wut, daran wollte ich ihn nicht erinnern. »Finn... bist du wirklich sauer auf ihn? Du kennst ihn doch gar nicht richtig.« Meine Stimme klingt vorsichtig und wie ich hoffe auch beruhigend. «Verteidigst du ihn etwa? Das ist ja wieder mal typisch! Nur weil er dein Exlover ist, musst du ihn in Schutz nehmen! Das machst du doch mit allem, was mit ihm zu tun hat, sogar mit seinem Bruder! Hast du vielleicht noch irgendwo alte Schuhe von ihm rumstehen oder durchgekaute Kaugummis, wenn du nicht auf sie aufpasst wird es niemand tun. Er würde sie nur wegwerfen, so wie ers mit dir getan hat! Ja, genau, er hat dich weggeworfen! Begreifst du das nicht?! Vergiss ihn endlich und lass dich nicht auf den alten Mist ein, den er verzapft hat. Du hast damit nichts zu tun, es ist seine Vergangenheit, sein Mist und meiner, aber nicht deiner verstanden?! Also misch dich nicht ein, hör am besten auf, solange es noch geht und wirf mich raus! Das willst du doch, oder? Die ganze Zeit schon überlegst du dir, wie du mich wieder loswirst, wenn du mich nicht ins Bett kriegen kannst. Die ganze Zeit schon... » Ich höre ihm ruhig zu, auch wenn es mir schwer fällt. Am liebsten würde ich ihn unterbrechen, an mehreren Stellen und die Sachen richtig stellen, die er so gekonnt verdreht hat, aber ich zwinge mich zur Ruhe, denn endlich bricht alles aus ihm heraus. Er muss diese Dinge loswerden und ich muss wohl zuhören. Schließlich sagt er nichts mehr, atmet nur noch etwas gepresst. Er hat sich in seine Worte hineingesteigert, dass sein gesamter Körper mitgemacht hat, und ihm geholfen hat, mir seine ganze Wut entgegen zu schleudern. Einen langen Augenblick ist es ganz still im Zimmer, um ehrlich zu sein traue ich mich auch nicht so recht etwas zu sagen, aber als ich mir sicher bin, dass da wirklich nichts mehr kommen wird, und ich meine eigene Wut selbst zurückhalten kann, nehme ich doch meinen Mut zusammen. »Du hast Bruder gesagt.« Bei diesen Worten sehe ich ihn provozierend an. Ja, ich hätte zu so vielem mehr etwas zu sagen gehabt, hätte ihn anschnauzen können, wegen allem, was er mir an den Kopf geworfen hat, darüber, dass er meine Trauer über die Trennung lächerlich gemacht hat, dass er mich von allem ausschließen will, mir vorwirft, ihn loswerden zu wollen, aber genau damit rechnet er doch, er will dass ich ihn rauswerfe. Irgendwie hat er die kranke Vorstellung in seinem Kopf, dass es genau so kommen wird, wie er es sich vorgestellt hat und dass er durch ein paar schroffe Worte gleich unerwünscht ist. Dieser Dummkopf! Finns wütender Blick straft mich sofort mit Verachtung. «Hab ich nicht.» »Doch hast du, ich habs genau gehört.« «Und wenn schon! Das tut doch nichts zur Sache!» Mit dieser Bemerkung dreht er mir beleidigt den Rücken zu und wirft das Foto wie einen Frisbee in die gegenüberliegende Zimmerecke. Jetzt ist er wohl beleidigt darüber, dass es doch nicht so gekommen ist, wie er dachte. Wie kann man auch nur so stur sein? Und das bei so einer Sache. Okay, dann versuche ich es eben noch einmal, immerhin sollte ich die Zeit wohl ausnutzen, in der ich nicht verbal von ihm attackiert werde, um vielleicht doch noch so etwas ähnliches wie einen Waffenstillstand hinzubekommen. »Du... denkst also, ich hab dich nur seinetwegen mit zu mir genommen, weil ich so besessen von ihm bin, dass ich, wenn ich schon nicht mit ihm im Bett lande, wenigstens auf seinen Halbbruder ausweichen kann?« Ich kann beobachten wie sich Finns Ohren bei diesen Worten rot färben, ob aus Wut oder Scham kann ich nicht beurteilen. «Ja...» Ja? Na ja, das ist doch schon mal was, eine Gesprächsbasis, auf der man vielleicht aufbauen kann. Ich lächle erleichtert. »Schön, dass du es zugeben kannst.« «...» «Ja... und? Hast du nicht mehr dazu zu sagen?» Jetzt nur keinen Fehler machen! Meine Schultern zucken kaum merklich und ich kann beobachten, wie Finn mich wieder ansieht, fragend und abwartend. »Ähm... na ja, was soll ich sagen? Du hast recht.« Augenblicklich verfinstert sich Finns Blick und zeigt mir damit, dass ich für ihn zu einem abscheulichen Abschaumpartikel auf einem riesigen Haufen Abschaum geworden bin, der zufällig meinen Namen trägt. Großartig... Aber das kümmert mich nicht, denn ich habe mir geschworen, ihn nicht mehr anzulügen. »Ich wollte dir wirklich an die Wäsche gehen und eigentlich will ich es immer noch.« Um mein Verlangen nicht wieder aufwallen zu lassen, seufze ich es weg. Ich muss besonnen bleiben und vor allem ruhig. »Aber das sage ich nicht, weil er dein Br..- Halbbruder ist. Ich mag dich, du bist sexy und verführerisch und es tut mir leid.« … «Du hast vielleicht Nerven.» Er klingt immer noch beleidigt, aber nicht mehr wütend. «Ich hab nicht vor mit dir zu schlafen. » »Okay.« «Willst du mich denn immer noch da haben?» Er ist wirklich ein Dummkopf, dass er es immer noch nicht begriffen hat. »Du hast es doch selbst gesagt, Kaugummis, alte Schuhe und Finns, wer würde denn darauf aufpassen, wenn ich es nicht tue?« Mit diesen Worten lege ich mich hin. »Es ist spät, wenn du immer noch streiten willst, lass uns Morgen weiter machen, einverstanden?« … «Einverstanden.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)