Nobody Knows von Lady_Emily ================================================================================ Kapitel 12: Do What You Do -------------------------- Ein bisschen ziellos lief Mariah durch die Gegend. Irgendetwas machte sie unruhig. Nur was? Auch wenn Emily es nicht richtig fand, hatte sie eigentlich nicht direkt ein Problem damit, wenn Kai auf einmal nicht mehr helfen wollte. Vor allem wollte sie nicht, dass er nur mit halber Kraft an der Sache arbeitete, wenn er eigentlich keine Lust dazu hatte. Es war seine Entscheidung, was er tat und was nicht und wenn sie geglaubt hatte, da wäre vielleicht irgendetwas...nun ja, dann hatte sie sich eben getäuscht. Das Leben war halt doch kein Ponyhof. Ein tiefes Seufzen entwich ihr. Sie lief am Fluss entlang. Plötzlich konnte sie von Weitem eine Gestalt am Geländer stehen sehen. Und irgendwie kam ihr diese Gestalt verdammt bekannt vor. Sie näherte sich Kai und blieb kurz vor ihm stehen. „Was machst du so spät noch draußen?“, fragte der Russe ohne sich umzudrehen. Die Rosahaarige zuckte mit den Schultern. „Und du?“. Schweigen. „Du beantwortest meine Frage nicht“, sagte Kai unfreundlich. „Du doch meine auch nicht“. Irgendwie musste Mariah angesichts dieses Dialogs schmunzeln. Nun drehte sich der Graublauhaarige doch noch zu ihr um. Sein Gesicht war verschlossen. Aber er sah ihr in die Augen. Die Rosahaarige spurte seinen intensiven Blick. Sie legte ihre rechte Hand auf seine, die er locker auf dem Promenadengeländer liegen hatte. Seine Hand zuckte kurz, aber er zog sie nicht zurück. Mariah stellte sich nun genau neben ihn. Ihre Hände lagen nun zusammen auf dem kühlen Eisen. „Was ist passiert?“, wisperte die Chinesin. „Wie kommst du darauf, dass was passiert ist?“. „Max meinte, dass du ein bisschen komisch drauf wärst“. „Max ist ne verdammte Tratsche. Genau wie Tyson“. „Nein, Max ist eine verdammt ehrliche Haut, der die Dinge sehr wohl so wahrnimmt wie sie sind, auch wenn er es euch nicht immer zeigt“. Kai schwieg hierzu. Er hatte durchaus bemerkt, dass hinter dem Blonden mehr steckte als sie alle vermuteten. Mariah verschränkte nun ihre Finger mit seinen und sah ihn einfach nur an. Er schaute auf den Fluss. Fünf Minuten lang herrschte Schweigen. Dann fing er an zu erzählen. „Mein Großvater ist heute vor der Schule aufgetaucht“. Aufmerksam sah Mariah ihn an. „Er wollte mich abholen“. Die Rosahaarige riss die Augen auf. „Aber, was...?!“. „Er hat formell Beschwerde beim Jugendamt eingereicht und gesagt, dass ich gegen seine Erlaubnis in Japan lebe. Das Jugendamt hat dem statt gegeben und er wollte mich direkt abholen“. „Kann er das?“, fragte Mariah unsicher. Ihre Nerven flatterten. Konnte Voltair ihn dazu zwingen nach Russland zurück zu gehen? „Ich bin nicht volljährig. Er hat das Sorgerecht“. Er schwieg. Zum ersten Mal fiel die Maske des Russen komplett. Es war nicht so, dass er total verängstigt war, aber sein Gesicht zeigte schon eine gewisse Beunruhigung und ja, auch Sorge. „Was passiert jetzt?“. „Als nächstes? Keine Ahnung. Heute konnte ich noch vor ihm fliehen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Voltair zur BBA rennt und Auslieferungsgespräche geführt werden. Und dann...Herrgott, es sind nur noch drei Monate bis ich Volljährig werde!“. Ohne Vorwarnung schlang Mariah die Arme um den Russen. Ihren Kopf legte sie auf seiner Brust ab. Nach einem kurzen Moment des Zögerns erwiderte Kai die Umarmung. Sie hielten sich fünf Minuten lang. Keiner sagte ein Wort. „Du ziehst bei uns ein“, unterbrach der Russe letztendlich die Stille und löste sich langsam von ihr. Mariah sah ihn zweifelnd an. Sie legte eine Hand auf seine Wange und fragte: „Ist das auch wirklich in Ordnung?“. „Ja, ich will es“. Sie nickte nur. Einen Moment gab es fast so etwas wie eine peinliche Stille. „Heute sollte ich noch einmal zu Emily zurück gehen, sonst macht sie sich Sorgen“. „Ok“. Sie sahen sich immer noch an. „Ich bring dich“, sagte Kai nun, nahm ihre Hand und schweigend machten sie sich auf den Weg. Gerade weil Mariah ihn nicht mit vielen Worten versucht hatte zu beruhigen, hatte ihm ihr Schweigen gut getan. Es sagte viel mehr aus, als wenn sie ihm ein Ohr abgekaut hätte. Es tat gut. Bis zu Emilys Haus sagten sie kein Wort mehr. „Ich komm morgen nach der Schule“. „In Ordnung“. Der Russe wollte sich grade umdrehen, als die Rosahaarige ihn zurück hielt. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Kai einen Kuss auf die Wange. „Danke“, hauchte sie. Der Graublauhaarige nickte nur und ging davon. Sie sah ihm nach. Nachdenklich. „Sagt mal, was ist denn heute hier los?“, fragte Tyson erstaunt. Er ließ seinen Blick über die Jungs am Frühstückstisch schweifen. Kenny hielt in einer Hand ein abgebissenes Brötchen und machte mit der anderen Hand noch Hausaufgaben, die ihm Tags zuvor glatt entfallen waren. Ray starrte irgendwie deprimiert in sein Müsli. Er wirkte ein bisschen unglücklich. Kai hatte gar nicht erst angefangen zu frühstücken, sondern hielt mit beiden Händen seine Kaffeetasse umschlossen. Max fehlte. Es war ungewohnt ruhig. „Hallo?“, warf der blauhaarige Japaner erneut in die apathische Runde. Träge hob Ray seinen Kopf. Er blickte Tyson an und zuckte dann nur mit den Schultern. „Ich hasse Dienstage“. „Hä?“. Der Chinese machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte fallen. „Was ist los?“, fragte ihn Kai von der Seite. „Carol hat mich gestern versetzt“. „Und?“, fragte der blauhaarige Japaner verwirrt. „Sie hat MICH versetzt!“. Tyson blickte ihn weiter ratlos an. „Das hat was mit verletzten Stolz zu tun“, klärte Kai ihn auf. „Was willst du jetzt tun?“, fragte er in die Richtung des Schwarzhaarigen. „Mich hat noch nie jemand versetzt“, jammerte dieser nur. Der Russe verdrehte die Augen. Wenn er mal nur solche Probleme hätte... Mit einem plötzlichen Ruck richtete sich Ray kerzengerade auf. „Die schnapp ich mir!“, sagte er mit entschlossener Stimme. Er stand auf und ließ ein paar verblüffte Bladebreakers zurück. „Schnappst du sie dir jetzt sofort?“, fragte Kenny ihn überrascht. „Nein, aber vor der Schule. Also, ich geh schon mal los Leute“, und schon verschwand er aus der Küche und man konnte hören, wie er sich schnell die Schuhe anzog und aus der Tür verschwinden wollte. Plötzlich hörten sie ein Rumpeln aus dem Flurbereich. „Ist er gegen die Tür gelaufen?“, fragte Tyson belustigt. „Gott Max, hast du mich erschreckt!“, hörten sie dann. Nach einem Moment der Stille erklang Rays Stimme erneut. „Wo kommst du denn jetzt her?“. „Ähm...“. „Egal, ich muss los“, und man hörte nun endlich eine sich schließende Tür. Verdattert blieb der Blonde ihm Flur stehen und starrte auf das Holz vor ihm. Seine Teamkameraden schafften es immer wieder ihn zu überraschen. Kopfschüttelnd wollte er nach oben gehen, warf vorher aber noch einen Blick in die Küche, was ihn erneut innehalten ließ. Drei Augenpaare schauten ihn an. „Äh...guten Morgen?“. Stille. „Ich geh mich dann mal schnell für die Schule umziehen“. Mit diesen Worten verschwand er flugs nach oben. Kai stand auf und folgte ihm lautlos. „Oh oh, jetzt kriegt Max Ärger“, prophezeite Tyson. „Wo er wohl die ganze Nacht war?“. „Er meinte gestern noch, er würde zu seinen Vater gehen. Wahrscheinlich wird er dort geschlafen haben“. Kenny blickte seinen Gegenüber zweifelnd an. Vor der Tür des Blonden blieb Kai stehen und wartete einen Moment. Dann klopfte er. Mit einem „Ja“ wurde er hinein gebeten. „Hey“, sagte der Russe leise. „Hey“, erwiderte Max genauso ruhig, während er sich das Hemd zuknöpfte. Eine Weile lehnte sich Kai in den Türrahmen ohne etwas zu sagen. Sein Teamkamerad ließ ihn gewähren. Er würde schon mit der Sprache rausrücken, wenn er soweit war. Solange er wartete, sammelte Max seine Sachen für die Schule zusammen. Seine Hausaufgaben für heute hatte er natürlich nicht geschafft, aber das war ihm irgendwie ziemlich egal. Kai räusperte sich. „Hilfst du mir nach der Schule Mariahs Sachen aus der WG der White Tigers zu holen?“. Der Blonde sah ihn an, ließ aber keine wirkliche Überraschung durchblicken. „Klar, kein Problem“. Mit einem Nicken verschwand der Graublauhaarige wieder und ließ den Amerikaner Rätsel ratend zurück. Er sah die Bitte als Friedensangebot, verstand aber gleichzeitig nicht genau warum Kai ausgerechnet ihn gefragt hatte. Er und Kai hatten nie ein besonders enges Verhältnis oder sonst eine nennenswerte Gemeinsamkeit, außer dass der Russe von der Beziehung zu Emily wusste, aber eigentlich war es sowieso nur noch eine Frage der Zeit, bis die ganze Welt davon erfahren würde. Das es passieren würde, da war Max sich eigentlich ziemlich sicher. Heute Morgen war er mit der Hand auf dem Bauch seiner Freundin aufgewacht und er wusste, nur noch ein oder zwei Monate und man würde es auch sehen können. Er schloss die Augen und dachte noch einmal an den Moment. Momente in denen sie sich so nah sein konnten und die so friedlich verliefen, waren in letzter Zeit seltener geworden. Das Gefühl morgens neben ihr aufzuwachen war unbeschreiblich gewesen und am liebsten wäre er gar nicht aufgestanden, doch er wusste, dass es immer eine Frist gab, wann es hieß in die Realität zurück zu kehren. Nur schwer konnte er sich lösen. Er seufzte. Es nützte ja nichts. Erst einmal musste er jetzt in die Schule und danach mit Kai zu der Wohnung der White Tigers. Immer schön einen Schritt nach dem anderen. Er nahm seinen Rucksack und ging runter, zu seinen Teamkameraden, die auf ihn warteten, damit sie gemeinsam zur Schule laufen konnten. „Wollen wir dann los?“. „Jup“, sagte Max fröhlich und legte seine gewohnt optimistische Miene an den Tag. Es war früher Nachmittag und die Schule (Gott sei Dank!) schon vorbei. „Ähm, wo willst du hin?“, fragte Kai ihn irritiert. „Na, in die Garage, dass Auto holen“. „Das Auto, welches wir nur für absolute Notfälle dort stehen haben?“. „Ach komm schon Kai, das ist doch so etwas wie ein Notfall. Und außerdem hat Mariah bestimmt einiges an Kram, dass können wir sowieso unmöglich mit den Öffentlichen transportieren“. „Ist mir durchaus bewusst, aber von uns hat doch gar keiner einen Führerschein“. „Das ist so nicht ganz richtig...“. „DU hast einen Führerschein?“. „Kai, ich bin Amerikaner“. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“. „Du stehst nicht so auf diese klassischen Teenager-Amerikansichen-High-School-Produktionen oder?“. „Nein, die verblöden nur“. „Naja, aber dann wüsstest du zumindest das jeder ab 16 in Amerika einen Führerschein und zu 90% sogar ein Auto besitzt“. ... „Ernshaft?“. Max sparte sich eine Antwort und nahm den Autoschlüssel aus der Werkzeugkiste, wo er versteckt gelagert wurde. Er schloss den Volvo auf, ließ sich hinein fallen und wartete darauf, dass der Russe es ihm gleich tat. Nichts passierte. „Herrgott Kai, ernsthaft mal. Glaubst du wirklich Mr. D stellt ein Auto in unsere Garage für Notfälle, obwohl er weiß das keiner das Ding benutzen kann?“. „Soll heißen?“. „Na, dass er sehr wohl klassischen Teenager-Amerikansichen-High-School-Produktionen schaut“. Ein genervter Blick von Kai folgte. „Er weiß, dass ich einen Führerschein habe“, trällerte ihm da Max entgegen. Das leuchtete Kai wiederum ein. Nicht, dass er überhaupt keine Ahnung vom Autofahren hätte, aber dass hatte er Mr. Dickenson nie auf die Nase gebunden, demnach hatte er sich schon immer gewundert, warum der alte Mann ihnen ein Auto zur Verfügung stellte. Vorsichtig und ganz langsam stieg der Graublauhaarige ein, immer noch misstrauisch. Der Blonde grinste vor sich hin, ließ sich aber nicht zu einem Kommentar verleiten. Erst nachdem der Russe die Tür geschlossen hatte, startete Max den Motor und fuhr rückwärts aus der Garage. „Du weißt aber, dass in Japan Linkverkehr herrscht, oder?“. Max drehte sich gespielt erschrocken zu ihm um. „Nein, wirklich?!?!?! Oh verdammt, hättest du mal früher was gesagt“. Dafür kassierte er einen wahren Todesblick. „Reg dich ab“, meinte Angeblickter dann cool. Sich nicht wirklich wohlfühlend saß Kai etwas steif in seinem Sitz, während der Amerikaner neben ihm die Ruhe in Person war und völlig entspannt im Auto saß, als würde er das jeden Tag machen. Er fädelte sich in den Verkehr ein und schon steckten sie im japanischen Straßenchaos. Nach fünf Minuten entkrampfte sich der Russe etwas, als er merkte, dass Max wirklich wusste, was er tat und er das Auto ohne Probleme bedienen konnte. Als würde er das jeden Tag machen. Plötzlich kam Kai ein Gedanke. „Du fährst nicht zum ersten Mal mit dem Auto oder?“. „Wenn ich jetzt ‚Doch’ antworte, glaubst du mir dann?“. „Eher nicht“. „Na ja, dann...möglich, dass ich nicht zum ersten Mal mit dem Auto fahre“, antwortete der Amerikaner verschmitzt grinsend. Der Graublauhaarige konnte sich gut vorstellen, wie Max in Amerika mit Sonnebrille auf der Nase, das Lenkrad nur mit einer Hand haltend (welche auch noch ein Becher von McDonals hielt) und mit der anderen Hand telefonierend durch die Gegend fuhr. Wie aufs Stichwort griff Max zu seinem Handy und wollte eine SMS verschicken. „Was tust du da?“, fragte Kai ihn aufgebracht. „Mein Handy benutzen, wieso?“, es machte dem Blonden ziemlich viel Spaß Kai mit der Autosache aus der Reserve zu locken. Er grinste fröhlich vor sich hin, während er mit einer Hand lenkte und mit der anderen sein Handy bediente. Schade, dass er nicht auch noch einen Styroporbecher zur Hand hatte. Sein Beifahrer sah nun bewusst aus dem Fenster, damit er gar nicht erst mitbekam, wenn sie irgendwo hinein fuhren. Max schickte indessen eine SMS an Emily und berichtete, auf welcher Mission er unterwegs war. Er wusste nicht, was Kai und Mariah abgesprochen hatten, oder ob Mariah seiner Freundin schon in alles eingeweiht hatte, aber da er der Rothaarigen grundlegend alles erzählte, konnte er nicht anders und wollte ihr einfach mitteilen, was er gerade anstellte. Plötzlich wandte sich der Graublauhaarige zu ihm um. „Gilt dein Führerschein hier überhaupt?“. „Willst du das wirklich wissen?“. Kai verzog das Gesicht. Max musste erneut grinsen. „Wenn dann ist es ja mein Lappen, der mir flöten geht“. „Wann hast du das Auto sonst noch benutzt?“. „Dann und wann“. „Und wofür?“. „Für dieses und jenes“. „Umso besser ich dich kennen lernen, umso mehr Abgründe tun sich auf“, sagte der Russe frustriert. Der Blonde brach endgültig in Lachen aus. „Kai, du würdest mich vielleicht aus dem Team werfen, wenn ich dir von all meinen Untaten erzähle, also lassen wir es lieber“. Zuerst wollte der der Graublauhaarige widersprechen, ließ es dann aber bleiben. Vielleicht sollten sie es wirklich lieber lassen. 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