Tumorengel von Blaetterklingen (Sachiel x 18. Engel) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich bin im Urschleim der Empörung, dem mit Leben kontaminierten unreinen Element des Wassers erwacht. Die wachsende Krankheit des sich mehrenden Krebses hat es besudelt und doch ist das Meer wie ein geschmolzener Spiegel einer unvollkommenen Skizze des Himmels. So unscharf und verschwommen. Im Ganzen etwas Halbes. Das liegt daran, dass die Natur hier anders ist. Dinge geschehen in einer linearen, unumkehrbaren Abfolge und mein Wille allein genügt nicht, um meine Ziele zu erreichen, stattdessen hat er sich in einer begrenzten Hülle manifestiert. Das ist Beschränkung, ein Abschluss gegen alles und jeden. Ist das der Wille der Wesen dieser Welt, einzeln, aber nicht gemeinsam zu sein, oder ist es willenlose Selbsterhaltung? Ich spüre ihn nicht, den Grund meines Hierseins, vielleicht betäubt die Abgrenzung, die meine Seele zum Schutz gegen den Unrat entwarf, meine Wahrnehmung. Doch ich vernehme Gedanken, die Gedanken des Geschwürs, die mir verraten, wo sie seine Seele umwuchern. Wie die Vorformen des Krebses steige nun auch ich aus den lebensspeienden Fluten auf das erkrankte Fleisch der Wunde Gottes. Ich ahne Schmerz und selbst der Himmel über mir scheint nur eine verfälschte Erinnerung an das Paradies zu sein. Nur eine optische Täuschung und eine weitere einengende Abgrenzung gegen die Weite der endlosen Heimat. Die vereinzelten Metastasen des Tumors stellen sich mir in den Weg. In Abhängigkeit von Gesetzen und Prozessen bewegen sie sich. Ihr Material ist ähnlich dem Material, das meine Begrenzung bildet, wie ich erkennen muss. Die meisten von ihnen sind von einem Stoff umgeben, den sie aus der Erde rissen und nach ihrem Verlangen formten. Darunter ist ein schwacher Schutz gegen die Außenwelt, ein Behälter, der kaum mehr als den Vorfunken einer Seele enthält und nicht mit der Hülle harmoniert. Wie kann so etwas existieren? Sie sind nur da, weil sie in einem bestimmten Zufall fahrlässig von anderen Zufällen gezeugt wurden. Doch nicht mehr. Sie haben weder Grund noch Bestimmung, sie haben nur sich und das ist so entsetzlich wenig. Ich möchte noch anderes in ihnen sehen als dies und das Wenige, was ihre Hüllen hergeben, doch sind sie genau das, was sie zu sein scheinen. Trauer und Mitleid steigen in mir auf. In ihnen hingegen regt sich kalte Vernichtungsgier. Sie haben mich erwartet und versuchen mich aufzuhalten. Mit Feuer und Gewalt begleiten sie jeden meiner Schritte. Sinnlos, da ich doch die Verwandtschaft der Zerstörung in mir spüre. Und Zerstörung schützt seinesgleichen. So ist es der Wille dieser Welt. Sachiel, nennen mich ihre Gedanken. Ich vernehme alle ihre Denkprozesse, so unharmonisch, kratzend, aber nicht wirklich störend. Es ist wie das Hintergrundrauschen des weiten Alls. Und manche der Gedanken übertönen die anderen. Keinerlei Schaden am Zielobjekt zu erkennen, denken einige von ihnen, doch nur einer ihrer Gedanken ist wirklich von Belang: Adam. Fliegende Körper umschweben mich, sie versuchen mich aus dem Diesseits zu verdrängen, doch gelingt es ihnen nicht. Es sind nur Hüllen, die sich bewegen, weil in ihnen der Krebs haust. Eine Lanze aus Energie erwächst einer meiner Extremitäten. Langsam beginne ich diesen Körper zu begreifen. Sich mit Druck ausweitende Flammen und unnatürliche Verdammnis umzüngeln meinen Körper, ohne mich aufzuhalten. Ihre bloße Existenz ist weit grausamer und schwerer zu ertragen als ihre kaum nennenswerte Gegenwehr. Die fliegenden Krebsbehälter ziehen sich zurück. Ein Teil des Tumors denkt: sie wollen eine M2 einsetzen... Ein heiligheißes Höllenfeuer umschlingt meine Hülle. Es ist das Licht der Heimat, es fühlt sich gut an, doch es verletzt den Körper und will mich in sich auflösen. Das darf es nicht, meine Aufgabe muss erfüllt werden. Schmerz. Hitze. Beschädigte Hülle beeinflusst Denken. Regeneration. Fehler erkannt, Körperstrukturen brennen sich in den Geist ein. Zeit vergeht. Äußerliche Veränderungen werden angepasst. Die Hülle gehorcht mir wieder. Ich bewege mich erneut, geschmeidiger als zuvor. Diese Welt fängt an mich zu akzeptieren, stärker mit ihr zu harmonieren, ich spüre Resonanz, viel zu starke Resonanz, ich muss mich beeilen, sonst laufe ich Gefahr, noch ein Teil von ihr zu werden. Die Dichte der Gedanken an Adam nimmt unter mir zu. Etwas schießt von dort aus dem Boden. Es ist ein Engel. Ein anderer Engel. Wieso kamst du daher, wo sich die Gedanken des Feindes konzentrieren, Bruder? Er bewegt sich nicht. Kannst du meine Gedanken nicht wahrnehmen? Sind sie inkompatibel zu deinem Wesen? Er versucht einen Schritt und fällt ungebremst zu Boden. Wieso bist du unfähig aus eigener Kraft zu stehen und eingepfercht in eine Rüstung wie in einen Kerker? Wo sind deine Flügel hin? Da ist etwas in dir, das versucht dich zu steuern und du, du bist so leer... nur das Gefäß, nur die äußere Kopie eines Engels. Ein anderer Wille, ein instabiler Geist steuert dich fremd. Es ist ein Stück des Krebses, ich kann es spüren. Der Krebs und du sind an sich unvereinbar, doch verbunden. Ein Tumorengel. Da ist doppelter Schmerz, dreifacher Schmerz. Und eine vierfach gespaltete Einheit. Ein versteckter Geist, ein schlummernder Wille, eine zersplitterte Seele und ein fremdes Herz in dir. Das Herz nennt mich Angst. Trotz allem spüre ich dein Leid durch deine Hülle hindurch. Bitte hör auf dich quälen zu lassen. Dein Körper ist so leicht zu erheben, so leblos in meinen Gliedern zu halten und schnell zu zerreißen. Das Ding in dir denkt: mein Arm tut weh, es spürt den Schmerz deiner Verletzung. Du aber denkst nicht und fühlst auch kaum. Du leidest nur, bitte hör auf zu leiden. Bitte... bitte stirb, denke ich und die heilige Lanze meiner Hand versucht die Realität meinen Wünschen anzupassen. Eine durchgehende Wunde unter deinem höchsten Punkt öffnet dein Bewusstsein und schafft Stille im Denken des Tumors. Endlich füllt der Geburtsschrei deines Geistes die Stille in dir bis zum Rand auf. Du hast die Kontrolle und verlierst sie gleich wieder. Der schlummernde Wille in dir ist erwacht. Mit aller Wildheit des Lebens rast du auf mich zu. Unsichtbare Flügel eitern grauenvoll aus deiner Seite. Dein Schmerz heißt jetzt Raserei. Hör auf. Du leidest doch nur. Gib dich bitte der Stille hin! Ich kann dich nicht aufhalten, mein Wille übersteigt dich nicht, doch bevor du mich vernichtest, stirb mit mir. Mein ganzes Wesen legt sich läuternd um dich. Lass uns im fegenden Feuer auf einer Leiter aus Licht in das Nichts emporsteigen. Und meine Verwandtschaft zur Zerstörung schafft für eine kurze Zeit reine Energie. Viel mehr als ich es bin. Mein letzter Zweifel noch soll dir gelten: Sag mir, konnte ich dich retten und das verkrebste Gewebe aus dir entfernen? Die Abgrenzung um mich ist nicht mehr, meine Seele verstreut sich ziellos. Doch das Denken hört trotzdem nicht auf. Auch wenn die Hülle zerbricht, fließt der Geist nicht aus ihr hinaus und in den Himmel zurück. Ich kann nicht mehr siegen und nicht in die Heimat zurückkehren. Doch du und der Krebs, ihr seid noch immer da. Und Adam wird auch ein Tumor werden. Ich habe zweifach versagt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)