Möchten Sie ihm die Brust geben? von Sissichan (Eine frisch gebackene Mama und ihre täglichen Kriesen.) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Nachdem Sie nun das Buch in der Hand halten und sich wahrscheinlich immer noch fragen, was das für ein seltsamer Titel ist für eine Geschichte, in der es um das Dasein einer jungen frisch gebackenen Mami geht, werde ich diese Frage einfach mal offen lassen und die Spannung damit etwas spannender machen. Nur so viel: Das Leben an sich ist schon ein eigenartig gepflasterter Weg. Kindheit, Schule, Ausbildung, Job, Beziehung, Freundschaft und Familie. Die Zeit als werdende Eltern und schließlich gewordene Eltern ist damit in keinster Weise zu vergleichen. Es beginnt im wahrsten Sinne des Wortes ein ganz neuer Lebensabschnitt der sich dergestalt verändert, daß man ihn im Grunde vom Leben davor abschneide und als ein ganz eigenes Leben hinstellen kann. Nichts ist mehr auch nur ansatzweise wie früher und nichts wird auch nur ansatzweise wieder wie früher werden. Daß dieser dramatische Einschnitt in die Existenz der halbwegs erwachsenen aber zumindest selbständigen Elternteile jedoch nicht nur mit Pflichten, Müssen und nicht mehr Können zu tun hat, das werde ich hier schildern. Also, lieber Leser, sicher kennen Sie die Geschichten der perforierten Nächte, weil Baby nicht schlafen wollte, warum auch immer. Ebenso sicher kennen Sie die Geschichten anderer junger Eltern: "Aber wenn es dann nur ein Mal lächelt..." Den Schlafzimmerblick und das verklärte etwas kraftlos wirkende Grinsen dieser Eltern können Sie sich sicher dazu vorstellen, sicher haben Sie irgendwo in der Familie, im Freundes- oder Bekanntenkreis jemanden, der irgendwann mal Eltern geworden ist und eben auf diese Weise über ihr Baby schwärmten. Nun aber genug der Vorrede, jetzt wollen wir mal anfangen. Ich denke, ich werde da einfach am Anfang beginnen. Kapitel 2: Klosteinsymptome --------------------------- Vor dem eigentlichen Anfang des ganz neuen Lebensabschnittes, in dem man sich plötzlich um einen kleinen Menschen kümmern muss, der außer Schreien, Trinken, Scheißen und Schlafen nichts kann, kommt bekannter Maßen die Schwangerschaft. Ich werde dann auch gleich damit beginnen, ich gehe einfach mal davon aus, daß Sie, Lieber Leser, durchaus aufgeklärt sind und wissen, daß der Storch herzlich wenig mit dem Elternwerden zu tun hat. Ich werde da einfach meine eigenen Erlebnisse schildern. Eines morgens wachte ich auf und hatte das intensive Bedürfnis mir auf der Stelle den kompletten Inhalt einer ganzen Tube Zahnpasta in den Mund zu drücken. Der Grund dafür war ein Geschmack im Mund, der sich mit alten Socken nicht mehr vereinbaren ließ. Es ist mehr wie eine wirklich sehr alte Sportsocke, die schon mal im Seifenwasser eingelegt wurde. Noch genauer lässt es sich mit dem Duft eines billigen Klosteins beschreiben. Noch während ich also auf der Toilette saß, hatte ich bereits die Zahnbürste im Hals mit etwas mehr Paste, als sonst gewöhnlicher Weise. Das tat gut, der Geschmack wich einem angenehmen Minzearoma und breitete sich wohlig in meinem Mund aus. Allerdings nicht für lange, schon während ich den Kaffee für meinen Gatten aufsetzte wurde der Geschmack der Zahnpasta schnell von dem Klostein verdrängt. Und das hielt auch nach einer weiteren Behandlung mit Zahnpasta an. Ich gurgelte mit Mundwasser, was ebenfalls nur wenig Linderung verschaffte. Das Einzige, was annähernd half waren Lutschpastillen. Auch die Nahrungsaufnahme war irgendwie nicht mehr das was sie mal war, irgenwie schmeckte alles, als hätte es jemand in der Waschmaschine gereinigt, statt es lediglich unter den Wasserhahn zu halten. Der Klostein blieb hartnäckig mehrere Tage und verdarb mir wirklich jedes Gericht und jedes Getränk. Gotseidank gab sich dieser Zustand nach einigen Tagen. Kapitel 3: Heißhunger --------------------- Nachdem der widerliche Geschmack in meinem Mud ausblieb, fühlte ich mich um einiges Besser. Als aber auch die Periode ausblieb, schon wieder nicht mehr so gut. Ein Test brachte schnelle Antwort: Ich war Schwanger. Das erklärte dann auch den Klostein und die Tatsache, daß keiner meiner BH´s mehr richtig sitzen wollte. Nun hatte ich aber zumindest eine Erklärung. Mit dem Bewusstsein einer bestehenden Schwangerschaft kamen dann auch die Gelüste. Und die kamen nicht einfach nur. Nein. Sie ÜBERMANNTEN mich! Von einem Sekundenbruchteil auf den nächsten schlug eine Bombe in mich ein und versetzte meinen kompletten Körper in höchsten Allarmzustand! Ich wollte einen Apfel, nein, ich MUSSTE jetzt einen Apfel haben sonst würde ich mit großer Gewissheit auf der Stelle tot umfallen! Meine Eingeweide verkrampften sich als hätte ich seit Tagen nichts gegessen, mir wurde Schwindelig und ich sah lila Punkte. Zu meinem Glück hielten mein Gatte und ich uns zu dem Zeitpunkt dieses Anschlags auf meine Nerven in einem großen Kaufhaus auf, in dem es auch ein Restaurant gab. Ich hechtete in die Etage, in der das Restaurant war, als währe ein Bataillon Pitbulls hinter mir her, stürmte das Salatbuffet in der Hoffnung, irgendetwas mit Apfel zu bekommen und sei es auch nur ein gemischter Obstsalat. Sehr zu meinem Entsetzten gab es keine Äpfel. Einen bunten Obstsalat gab es schon, dem fehlte aber ganz eindeutig der Apfelanteil, so sehr ich in dieser Schüssel auch herum wühlte. Ich fand nicht mal Apfelsaft! Apfelmus! Kompott! Marmelade hätte es vielleicht auch getan oder Apfelkuchen, Apfelstrudel... Nichts! In der Not fragte ich eine der Verkäuferinnen und bekam dann nach Betteln, Flehen und angedeuteten Drohungen endlich einen Apfel. Ein altes, schrumpeliges Ding das kaum noch etwas mit einem Apfel zu tun hatte, aber ich bekam einen Apfel. Und sogar kostenlos. Er war schwammig, schmeckte metallisch und die Schale war zäh, aber es war das Köstlichste, was ich je gegessen hatte! Kapitel 4: Was soll es denn werden? ----------------------------------- Nachdem ich jetzt also meine Gelüste auf eine Obstsorte eingegrenzt hatte, Orangen in jeder auch nur erdenklichen Form, konnte man dann nach einigen Wochen auch sehen, daß ich wohl nicht mehr so ganz alleine unterwegs war. Eine deutliche Wölbung bildete sich da, wo einst meine Taille gewesen war und gab meinem Körper die Gestalt eines Happy-Hippo. Noch dazu begann der Sommer und es wurde zunehmend schwieriger, nicht so sehr aufzufallen. Das kann nämlich sehr lästig sein. Menschen, die ich in meinem Leben noch nie gesehen hatte, kamen auf mich zu und fragten mit verklärtem Lächeln, ob ich Schwanger sei. Nun, ich denke meine Mum hatte mich in Punkto Anstand und Höflichkeit erfolgreich erzogen und so sparte ich mir Antworten wie: "Nein, ich habe nur furchtbare Blähungen." oder "Ich hätte vielleicht nicht die ganze Pute alleine essen sollen." geflissentlich und antworte artig und höflich lächelnd, daß es sich bei meiner Unförmigkeit tatsächlich um eine Schwangerschaft handeln würde. Und diese wildfremden Menschen quetschen einen dann regelmäßig aus! Wie weit ist man denn schon? Wann ist denn der Geburtstermin? Was soll es denn werden? Anfangs beantwortete ich diese Fragen ebenso artig wie korrekt, aber mit fortschreitender Schwangerschaft nervten mich diese Fragen so sehr, daß ich dann manches mal mein Maul doch nicht halten konnte. Wie weit ich sei? Nun, ein paar Tage müsse ich wohl noch garen. Wann der Termin ist? Wenn es fertig ist. Was es werden soll? Na, ich hoffe ja mal es wird ein Mensch! Kapitel 5: Spielkreis --------------------- Nachdem ich dann nun die Schwangerschaft und auch die Geburt meines ersten Sohnes überstanden hatte, begann also dieser völlig neue Abschnitt des Lebens meines Gatten und mir. Und alles kam so, wie man es von näheren Bekannten schon gehört und gesehen hatte: Dieses Tier konnte nichts außer Schreien, Trinken, Schlafen und Scheißen. Und das natürlich in einem Drei-Stunden-Rhythmus. Dennoch lief alles zur Zufriedenheit des Babys und es gedieh prächtig. Als der Knopf dann schließlich soweit war, daß er auf dem Bauch liegend den Kopf soweit hoch bekam, daß er sich die Gegend um ihn herum betrachten konnte, beschloss ich mich einem Spielkreis anzuschließen, der sich ein Mal die Woche traf. Meinem Sohn würde der soziale Kontakt mit gleichaltrigen sicher nicht schaden. Die Kinder, die noch nicht in den Kindergarten gingen, spielten und die Mütter unterhielten sich. Allerdings nur dann, wenn nicht gerade in kollektivem Einklang gesungen wurde. Für die Kinder. Lauter dämliche Lieder. Lieder, die man jetzt im Apres-Ski rauf und runter zu hören bekommt. Und zu den Liedern wurde auch "getanzt". Man spielte den Kinder den Inhalt der Lieder vor. Für die Zwerge ist das sicher lustig. Ich allerdings kam mir etwas albern vor. Interessant war aber immer wieder, mit welcher Inbrunst der Überzeugung die Mütter wie die Zirkusaffen herumhopsten und mit den Armen wedelten, als gelte es die Luft in feine Würfel zu zerteilen. Außerdem wurden nicht einfach nur Unterhaltungen geführt. Nein. Würden Sie glauben, daß eine Mutter allen Ernstes in der Lage ist sich stundenlang über Menge, Geruch, Konsistenz Beschaffenheit und Farbe des Windelinhalts ihres Babys unterhalten kann? Und auch noch sehr interessiert an dem Windelinhalt Ihres Babys ist? Nicht? Nun, dann sind sie sicher noch keine Mutter, waren nie in einem Spielkreis oder haben ähnliche Erlebnisse erfolgreich verdrängt. Außerdem wird natürlich ausgiebig über die Ernährung der Kinder diskutiert. Eine Mutter hatte gelesen, daß Möhren ja sehr gesund für die Augen wären. Sie würde damit auf jeden Fall verhindern, daß ihr Kind später einmal eine Brille bräuchte. Sie nahm diese Aufgabe sehr ernst, was man ihrem Kind buchstäblich ansah. Es war genauso orange wie der Möhrenbrei, den es ständig zugefüttert bekam. Eine andere Mutter erklärte sehr ausführlich und detailreich, wie man das Essgeschirr des Kindes garantiert Keimfrei bekommen konnte. Und daß ja wirklich alles erst einmal gründlich abgekocht werden musste, auch die Säfte der Kinder. Ich fragte sie, wie sie die Salzstangen den desinfiziert hätte, die ihr Kind gerade genüsslich knabberte, worauf sie für doch einige Sekunden leicht verlegen auf ihrer Unterlippe kaute und wohl darüber nachdachte, ob sie dem Kind die eventuell verkeimten Salzstangen wieder wegnehmen sollte oder ob man der hygienischen Verpackung des Herstellers doch trauen könnte. Wieder eine andere Mutter achtete pingelig darauf, daß ihr Kind nicht zu viel Zucker bekam. Alle Tees waren grundsätzlich ungesüßt und die Säfte so stark mit abgekochten Babywasser, was man extra kaufen konnte, verdünnt, daß man die Art des Saftes gerade noch erahnen konnte. Und genauso Geschmacksneutral waren auch die Knabbereien, die das Kind bekam. Es waren runde Puffreis-Kekse, die mich stark an Styropor erinnerten. Kapitel 6: Auslaufmodelle ------------------------- Einige wissen sicher, daß ein Baby nicht nur niedlich ist. Daß man es nicht nur hübsch anziehen und es herum zeigen kann. Sicher ist auch bekannt, daß das, was man oben in das Kind einfüllte in keinster Weise unten so angenehm aromatisch wieder herauskommt. Was allerdings oft nur Müttern bekannt ist, daß es sich bei den Babys im überwiegenden Fall um Auslaufmodelle ohne Gebrauchsanweisungen handelte. Das, was man oben hineinfüllt, kommt nicht zwangsläufig unten in weniger ansehnlicher Form wieder heraus. Oft hat die Füllung kaum die Zeit sich in irgendeiner Weise verdauungstechnisch zu verändern. Man hat gerade die Flasche oder den Brei komplett und erfolgreich vollständig verabreicht, wenn es auch schon wieder ans Tageslicht drängt. Das erstaunlichste dabei ist, daß es sich in der Menge stark von dem unterscheidet, was man zuvor in der Flasche oder auf dem Teller hatte. Auf wundersame Weise wird das Volumen der gefütterten Lebensmittel mit Leichtigkeit auf das bis zu dreifache vergrößert. Das allein ist vielleicht auch noch nicht so dramatisch. Das wird es erst durch die Geschwindigkeit, mit der es wieder an das Tageslicht tritt! Mein Sohn hat es auf diese Weise geschafft nicht nur sich, mich und das halbe Sofa voll zu kotzen, sonder auch den Wohnzimmertisch, den Sessel und den halben Teppich! Nach diesen und ähnlichen Kunststücken bekommt man dann von seinem Baby das, was viele Eltern immer wieder gerne mit vollkommen übermüdeten Augen und leicht dümmlichen Grinsen erzählen: Dieses einmalige selige Engelslächeln, das einen ja für so vieles entschädigt. Kapitel 7: Allergien und Resistenzen ------------------------------------ Im hochfortschrittlichen Zeitalter von Domestos und Meister Propper ist inzwischen jedem bekannt, daß Keime krank machen. Ebenso sind Hausstaub- und Tierallergien ein ähnlich brisantes und medienstarkes Thema wie Politik und Naturkatastrophen. In besagtem Spielkreis verhielt es sich ähnlich. Etwas mehr als die Hälfte der Mütter, die jede Woche pflichtbewusst mit ihrem Kind in den pädagogisch wertvollen Spielkreis kamen, achteten peinlichst darauf, daß ja kein Keim oder Allergen ungefragt mit ihrem Kind in Kontakt kommt. Sogar in einigen Krankenhäusern wird von den Hebammen und den Schwestern erwartet, daß frischgebackene Mutter sich die Hände mit Desinfektionsmitteln reinigt, bevor sie ihr Baby auch nur scharf ansehen darf. Schon als ich schwanger war, wurde ich oft gefragt, ob meine beiden Katzen, die seit Jahren zur Familie gehörten, jetzt denn wegkommen würden. Das hab ich aufs schärfste verneint, worauf die Leute sich dann häufig mit geschürzten Lippen sofort aus meiner näheren Umgebung verzogen, um ja nicht mit dieser unverantwortungsvollen Person in Zusammenhang gebracht werden zu können. Ich muss dabei sagen, daß ich eine pharmazeutische und somit auch in gewissem Maße medizinische Ausbildung gemacht hatte und bestens über Allergien und Abwehrmechanismen Bescheid wusste. Außerdem war ich als Kind auch nicht in Luftpolsterfolie eingewickelt oder ein mal die Woche mit Domestos und einem Bimsstein porentief desinfiziert worden. Ich aß von jeher was mir schmeckte, schmackhaft aussah und was die Natur hergab. Ich spielte im Dreck, baute Sandkuchen und probierte, ob man sie eventuell doch essen konnte. Schon immer hatten wir Haustiere. Vögel, Mäuse, Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Zwergkaninchen und diverse halbtote Kleintiere, die mein Bruder und ich irgendwelchen Katzen abgekämpft oder in der Botanik gefunden hatten. Wir futterten ungewaschenes, ungeschältes und nicht abgekochtes Obst und Gemüse, kauten trockene Nudeln und schluckten unser Kaugummi runter, obwohl uns immer gesagt wurde, davon bekommt man einen Gummibauch. Genauso sollten auch meine Kinder aufwachsen dürfen. Als ich dann eines Tages im Spielkreis verkündete, daß mein inzwischen fünf Monate alter Sohn heute seine erste Erdbeere probiert hätte, erntete ich das entsetzteste kollektive Schweigen, daß man sich in einer Runde mit 7 Müttern und 9 Kleinkindern nur vorstellen konnte. sechs Augenpaare starrten mich weit aufgerissen an und offen stehende Münder versuchten nach Luft zu schnappen, wie ein Fisch, den man gerade aus dem Wasser gezogen hatte. Nachdem einige Sekunden in diesem Standbild vergangen waren, kam die erste Mutter wieder zu Atem und fragte mich geschockt: "Ja sag mal, hast du denn keine Angst vor Allergien?" "Nö!" gab ich lässig, knapp, kurz, bestimmt und 100%ig überzeugt zur Antwort. Endlich löste sich die Starre der übrigen Mütter und nicht nur Bewegung, sondern auch wildes Geschnatter kam in die Szene. Aller stürmten sie auf mich ein. "Weißt du denn nicht, daß Erdbeeren gefährliche Allergene sind?" "Willst du dein Kinde denn vergiften?" "Das kannst du doch nicht machen." "Weißt du eigentlich, was du deinem Sohn damit antust?" Anfangs versuchte ich noch dagegen zu argumentieren, aber es war schwer, gefühlte 100 wild schnatternden Weibern gleichzeitig zu antworten und jede Frage mit dem richtigen Argument zu begegnen. Am Ende hab ich gar nichts mehr dazu gesagt und die Weiber das alleine ausdiskutieren lassen. Mein Standpunkt dazu: Was ihn nicht umbringt, härtet ihn ab. In meiner Familie und in der Familie meines Gatten waren keine Allergien bekannt. Davon abgesehen, wie soll ich feststellen ob mein Kind eine Allergie gegen irgendetwas hat? Und nicht zuletzt: Wenn ich mein Kind vor allen Keimen und Allergenen fern halte, dann züchte ich mir einen Allergiker der gegen alles und sich selbst allergisch ist. Kapitel 8: Möchten Sie ihm die Brust geben? ------------------------------------------- Als mein Sohn etwa fünf Monate alt war begannen bei ihm die ersten Zähnchen damit, sich an die Luft zu schieben. Das ist ein sehr langwieriger und für das Kind oft schmerzhafter Prozess. Er kaute auf allem herum, was er in die kleinen Händchen bekam, sabberte wie eine Bulldogge und weinte, heulte, schrie und jammerte. Die einzigen Pausen, die er einlegte waren wenn er aß oder endlich vor Erschöpfung ins Babycoma gefallen war. Die Paste gab nur kurzfristig Linderung und die homöopathischen Kügelchen hätte ich auch der Katze geben können, bei meinem Kind jedenfalls halfen sie gar nicht. Wenigstens hatte er kein Fieber, wie man es ja oft von anderen Müttern hörte. Ich fand schnell heraus, daß er mit der süßen Paste, die man auf die schmerzenden Zahnfleischstellen im Mund streichen konnte, schneller zur Ruhe kam und dann beinahe sofort einschlief. Ebenso schnell fand ich aber auch heraus, daß er die Paste nicht nur wegen seiner Zahnfleischschmerzen haben wollte, sondern es als Einschlafritual verstand und nur mit einem Häppchen dieser Paste einschlafen wollte. Das war nicht ganz leicht zu händeln... An einem Sonntag entschied ich mit meinem Sohn und seinem Kinderwagen zu meiner Freundin, die in einem Nachbarort wohnte, zu fahren. Ich packte also beides in mein Auto und war dann auch bald bei ihr angekommen. Der Kleine heulte. Meine Freundin hatte wie ich zwei Katzen. Für einen Moment war mein Sohn abgelenkt, aber eben nur für einen Moment. Er heulte. Wir gaben ihm einen Keks. Nachdem der Kurze den Keks fachgerecht mit viel Sabber eingeweicht und schließlich aufgelutscht hatte, weinte er wieder. Wir versuchten es mit Spielzeug, Plüschtiere, ein Stück Graubrot, ein trockenes Brötchen... Nichts half, der Kurze heulte, schrie und weinte aus Leibeskräften. Schließlich befanden wir es für eine gute Idee ihn in seinen Kinderwagen zu legen und eine Runde mit ihm an der frischen Luft zu drehen. Eine große Runde. Weit weg von Leuten, die sich gestört fühlen konnten. Mein Sohn schrie. Den ganzen Weg lang. Meine Freundin und ich versuchten uns mit Unterhaltung abzulenken, wir versuchten ihn zu ignorieren, so gut es ging. Aber nach einer dreiviertel Stunde waren wir beide genervt und wünschten, er würde endlich einschlafen. Auch als wir nach einer Stunde wieder in den Ort kamen, schrie der Kleine wie am Spieß. Auf der anderen Straßenseite ging eine ältere Frau. Sie hörte das Schreien eines Babys (den hätte sicher auch ein Tauber gehört) und fühlte sich genötigt doch mal über die Straße zu wackeln und zu schauen, wer denn da so herzzerreißend weinte. Die Ommie machte absolut keine Anstalten uns zu grüßen und verschwand sofort bis zur Hüfte in meinem Kinderwagen mit den mitleidigen Worten: "Oooooch, du armes Kleines, hast du hunger?" Ich war genervt! Nicht nur, daß die Omma nicht grüßte. Sie tauchte ungefragt in meinen Kinderwagen und begrabbelte mein Baby. Und ich konnte diesen Spruch nicht mehr hören! Als wenn ich mein Kind hungern lasse! "Möchten Sie ihm vielleicht die Brust geben?" schnautzte ich entsprechen zornig und zugegeben sehr unhöflich. Mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit tauchte die Omma aus meinem Kinderwagen heraus, sah mich entsetzt mit weit aufgerissenen Augen und Mund an und wackelte dampfend und sehr hastig davon. Zuerst guckte auch meine Freundin mich fassungslos an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus und kugelte sich unter meinem Kinderwagen. "Ich fasse es nicht!" keuchte sie nur immer wieder mit Tränen in den Augen. Kapitel 9: "Guck mal Mami! AHHHHH!" ----------------------------------- Den Umständen zuwider, daß meine Wohnung nicht täglich mit Domestos entkeimt wurde, das Obst und Gemüse, das mein Kind kaute, weder gründlich gewaschen, abgekocht oder geschält wurde und daß es alles probieren durfte, was es wollte, entwickelte sich mein Sohn zu einem gesunden und fröhlichen Kleinkind, das nun inzwischen auf seinen eigenen Füßen die Umgebung erkundete. Wir wohnten damals bei einer Familie zur Miete und durften den Garten und die Terasse mit benutzen. Der Kurze wackelte durch den hohen Rasen, der aufgrund der oft monatelangen Abwesenheit der Vermieter, nur selten gemäht wurde. Ebenso wucherten Rosensträuche, Blumen, Bäume und Büsche und nicht zuletzt jede Menge Unkraut hemmungslos in der Sonne. Oft konnte ich nur an den Geräuschen ungefähr erahnen, wo mein Kind sich gerade befand. Er steckte einfach alles in den Mund. Ich hatte zuvor natürlich überprüft, ob etwas ernsthaft giftiges im Garten wuchs und an diesen Stellen achtete ich auch verstärkt darauf, daß er eben nicht guckte, ob das eventuell zum Verzehr geeignet währe. Und er tat, was alle Kinder tun, wenn man sie lässt. Er war ein echter Allesfresser! Er kaute auf Rindenmulch, lutschte Steine, nagte an trockenen Ästen, probierte die Überreste der Zwetschgen, die vom letzen Jahr noch im Rasen lagen und vor sich hintrockneten. Nichts war vor ihm sicher. Einmal kam er dann bei mir an und kaute hörbar auf etwas knusprigem herum. "Guck mal, Mami! AHHHHH!" sagte er und öffnete seinen Mund weit und gab die Sicht auf eine bedauernswerte Gartenschnecke frei, die garantiert nicht mehr zu retten war. Er liebte Schnecken, aber nur die knusprigen, die mit Gehäuse. Kapitel 10: Kindermund ---------------------- Ich hab eine Freundin, die hatte einen Sohn von etwa zweieinhalb bis drei Jahren. Die zwei waren im Dorf zu Fuß unterwegs. Sie wollte bei MiniMal etwas einkaufen. Mit dem Kleinen an der Hand ging sie nun durch das Dorf und kam dann an eine größere Kreuzung. Dort torkelte eine Taube mitten auf der Straße und war offensichtlich nicht ganz bei Sinnen. Die zwei bemerkten die Taube sofort und genau so schnell bemerkten sie auch den LKW, der gerade auf eben dieser Straße unterwegs war, auf der die benusselte Taube wankte und keine richtige Richtung zu finden schien. Im nächsten Moment war der LKW bei der Taube angekommen, diese bemerkte wohl das Fahrzeug und versuchte noch zu entkommen, in dem sie einen Satz nach oben machte und wegfliegen wollte. Allein das gelang ihr nicht, der LKW war schneller und die Taube knallte gegen den Kühlergrill! Ziemlich entsetzt und sprachlos stand meine Freundin jetzt mit ihrem kleinen Sohn an der Straße. LKW und Taube waren längst weg als sie sagte: "Naja, was hat der Vogel auch mitten auf der Straße verloren?" Das unschöne Ereignis aus dem Gedächtnis wischend ging sie dann weiter. Nach einigen Meter meinte der Kurze dann aber: "Mami, was ist wenn der Vogel doch etwas verloren hatte?" Kapitel 11: Kinder und ihre eigene Sprache ------------------------------------------ Es ist ja weithin bekannt, daß Babys erstmal nicht sprechen können. Der Mensch lernt es in etwa den ersten drei Jahren seines Lebens. Während dieser Zeit ist der Mensch aber nicht nur sehr begabt, was schnelles Lernen betrifft, sie sind auch sehr begabt was die Erfindung neuer Worte für bekannte Dinge zu erfinden. Meistens ist es lediglich die Mutter, die ihr Kind halbwegs verstehen kann. Aber auch diese steht manchmal mit offenem Mund da und hat keinen Plan, was der kleine Drops jetzt meinen könnte. So habe auch ich manches Mal da gestanden und lange überlegt, was mein zweijähriger Sohn mir jetzt sagen wollte. Oft bin ich erst nach Wochen hinter diese Geheimnisse gekommen. Ein Mal zum Beispiel stand ich mit meinem Kurzen in der Küche. "Mami I Dus!" sagte er zu mir. Ich verstand, daß er etwas haben wollte, aber nicht was. "Was ist denn 'Dus'?" fragte ich ihn hilfsbereit. "Mami, I Dus." wiederholte er nur. "Ja, aber was ist 'Dus'?" fragte ich wieder. "DUS!" antwortete das inzwischen leicht genervte Kind lauter. Das half mir allerdings wenig bei der Interpretatin von 'Dus' "Zeig mir, was du möchtest." schlug ich dann vor und der kleine Knopf stürzte auf den Schrank zu, in dem unser Brot lag, machte die Tür auf und zog die Packung mit dem Toast-Brot heraus. Da wäre ich nicht wirklich drauf gekommen. Ein anderes Wort, dessen Bedeutung mir über einen ziemlich langen Zeitraum vollkommen verborgen war, war "Sentakor" Ich hab mir wirklich tagelang den Kopf zerbrochen. Zeigen konnte er es mir anscheinend auch nicht, er rannte immer nur in das Wohnzimmer an den Schrank mit der Bar, in der statt Alkohol diverses Knabberzeug lagerte. Ich verstand, daß er etwas zu Essen haben wollte und daß es sich um etwas handeln musste, was ich mittags nicht unbedingt auf den Tisch stellen würde. Aber nichts von dem, was in der Bar war, wollte er. Ich zeigte ihm die Salzstangen, er schüttelte den Kopf. Die Butterkekse? Heftiges Kopfschütteln. Gummibärchen? "Sentakor!" beharrte der Kurze. Ziemlich bald hatte ich den kompletten Inhalt der Bar vorgezeigt aber alles was ich ihm hinhielt war falsch. Einige Tage später musste ich zum Einkaufen und nahm meinen Sohn mit. In der Süßigkeitenabteilung schrie er unvermittelt "SENTAKOR!!!" und wäre fast aus dem Einkaufswagen gehopst. Ich folgte seinem kleinen Ärmchen, das er drängend in eine Richtung ausgestreckt hatte und stand bald vor einer Palette mit Kinderriegeln. Aha, Sentakor war also Kinderschokolade... fast einen ganzen Sommer lang hab ich gebraucht um herauszufinden, was denn bitte schön "Fetan" war. Er rief dieses Wort oft, wenn wir draußen waren. Er zeigte dann begeistert in die Richtung, wo er "Fetan" ganz offensichtlich entdeckt hatte, aber ich konnte nichts sehen und alles, was ich nachfragte, war nicht "Fetan" Einige Monate später, als der Sommer inzwischen zum Spätsommer geworden war, da hatte sich das Wort etwas verändert und endlich konnte ich es übersetzen! Aus "Fetan" wurde "Fetanbling" und als er auf ein Insekt mit großen bunten Flügeln zeigte war mir mit einem Schlag klar: "Fetan" und "Fetanbling" konnte nur "Schmetterling" heißen! Kapitel 12: Dumme Fragen und ihre noch blöderen Antworten --------------------------------------------------------- Mein Erstgeborener war noch recht klein, so klein, daß er noch in der Kinderkarre herum geschoben wurde. Wir waren in der Stadt bei C&A in der Abteilung für Kleinkinder Bekleidung. Eine nicht mehr ganz junge, aber auch noch nicht wirklich alte Dame bemerkte die Karre mit dem süßen Kleinkind, kam auf uns zu, hockte sich hin und hatte gleich ihre Hände an meinem Kind! "Och, ist die aber niedlich." flötete sie. "Erstens ist es ein "er" und zweitens möchte ich bitte nicht, daß Sie einfach so mein Kind anfassen." sagte ich dann so höflich ich konnte. Die Dame stand auf, entschuldigte sich, raspelte noch etwas Süßholz und ließ dann von uns ab. Dann trafen wir auf eine Verkäuferin, die nach Entdecken meines Sohnes ähnlich spontan reagierte, wie die Kundin vor ihr. "Ich möchte bitte nicht, daß Sie einfach mein Kind anfassen!" sagte ich schon nicht mehr ganz so höflich. Auch diese Dame entschuldigte sich und fragte dann beflissentlich, ob sie uns helfen könne. "Der nächste, der mein Kind ungefragt angrabbelt, den beiße ich!" sagte ich zu meinem Mann. Der, oder besser die nächste war ein kleines Mädchen im Kindergartenalter. "Eigentlich wollte ich den nächste, der meinen Sohn einfach anfasst, beißen, aber bei dir mache ich eine Ausnahme." sagte ich freundlich zu dem Kind, daß mich entsetzt ansah und ganz schnell zu ihrer Mama lief, die nicht weit von uns stand. "Da hat die Tante aber Recht." Sagte diese ebenso freundlich wie ich zu ihrer Tochter und warf uns einen verstehenden Blick zu. Die Kleine beruhigte sich allerdings nicht so schnell. Wenn man als Mama mit einem kleinen Stöpsel unterwegs ist, der schon alleine laufen kann aber noch soooo niedlich ist, dann wird man oft von wildfremden Menschen angesprochen. Sehr oft wird diesem Ansprechen dann eine mehr oder minder blöde Frage angehängt. Als mein Sohn etwa zwei Jahre alt war, beschloss sein Vater, daß wir jetzt ein Haus bauen und wenn es fertig ist dort einzuziehen. Schon im folgendem Sommer sollte das dann auch Realität werden. Mein Sohn lief den ganzen Sommer ohne Schuhe, also barfuß herum. Warum auch nicht? Es war warm und ich lief auch ohne Schuhe, schon als Kinder waren mein Bruder und ich die ersten, die ihre Schuhe lieber zu Hause ließen. In dem Ort, in dem ich dann mit meinem Mann und meinem Sohn wohnte, war das scheinbar nicht so an der Tagesordnung. Jedenfalls passierte es oft, daß wir angesprochen wurden. "Nanu? Du hast ja gar keine Schuhe an?" war dann oft zu hören. Anfangs hab ich noch versucht zu erklären, daß das ja so gesund ist für das Kind und ganz natürlich. Aber nach der gefühlten 100sten Bemerkung über das nicht vorhanden sein der Schuhe an den Füßen meines Kindes, wurde mir das langsam zu blöd. "Wir haben gebaut, da können wir uns keine Schuhe leisten." hab ich dann immer geantwortet. Ich habe sehr gemischte Reaktionen darauf bekommen. Einmal waren wir bei OBI. Es war Hochsommer und so richtige Gewitterzeit. Ständig ging irgendwo ein Platzregen herunter, der sich unter lautem Gedonner wieder verzog. Mein Mann war im Geschäft, ich blieb mit meinem Sohn, der noch immer keine Schuhe anhatte, draußen. Nur wenig bevor wir bei Obi ankamen, musste es dort heftig gewittert haben, alles war nass. Nun hatte der Parkplatz bei diesem Obi die Angewohnheit nach einem starken Regen eine riesige Pfütze zu bilde, eigentlich schon fast ein kleiner See, der nicht tiefer als 20 cm. war. Natürlich ließ der kurze es sich nicht nehmen laut juchzend durch diese Pfütze zu toben und ich ließ ihm seinen Spaß. Ich stand am Ufer dieses Sees, spielte mit meinem neuen Handy herum und achtete darauf, daß mein Sohn die Kippen, die in der Pfütze herum schwammen, nicht futterte. Eine ältere Frau kam aus dem Geschäft und musste offensichtlich irgendwie an dieser Pfütze vorbei um zu ihrem Auto zu kommen. Natürlich bemerkte sie das jubelnde Kind daß mit Vollgas durch das Wasser hopste. Nach einigen Minuten schloss sie dann darauf, daß ich wohl irgendwie zu diesem Kind gehörte, kam auf mich zu und fragte mich beinahe im Fräulein Rottenmeier Ton: "Sagen Sie, haben sie keine Angst wegen all der Bakterien in dem Wasser?" Ich sah von meiner Beschäftigung mit dem Handy auf und guckte der Frau ins Gesicht. "Och nö, eigentlich nicht. Der Kleine wird heute Abend in Sagrotan ausgekocht und dann kann sich keiner mehr anstecken!" Die Dame holte sehr heftig Luft und während sie vergaß, diese wieder herauszulassen, stiefelte sie zu ihrem Auto. Kapitel 13: Aufgeschnappt ------------------------- Wie schon erwähnt ist es ein offenes Geheimnis, daß kleine Kinder sehr schnell lernen. Wenn man ihnen etwas beibringen will, klappt das allerdings nicht immer ganz so gut, wie die Dinge, die sie besser noch nicht lernen sollten. So passiert es oft, daß man sich selbst wieder erkennt. Mein Mann und ich waren im Auto mit unserem Sohn auf dem Weg zum Einkaufen. An einer Kreuzung mussten wir halten. Links neben uns war die Abbiegerspur für die Linksabbieger und die Ampeln alle auf Rot. Schließlich bekamen die Linksabbieger Grün, was der erste Autofahrer in der Reihe aber nicht auf dieselbige bekam. Nach einigen Sekunden hupten dann die Autofahrer hinter ihm. "Man, ey, jetzt fahr doch! Du Blödmann!" kam es dann unvermittelt von hinten. Mein Zweijähriger hatte sich offensichtlich mehr beim Autofahren abgeguckt, als wir vermutet hätten. Man sollte also immer und überall zuerst darüber nachdenken, was man sagt und wer alles dabei ist. Kinder lernen so schnell, und noch viel schneller, wenn es sich um etwas handelt, was wir eigentlich nicht wollten, daß sie es lernen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)