Midsummernight-Princess von RhapsodosGenesis (Eine Dunkelheit im Herzen) ================================================================================ Kapitel 31: Mittendrin ---------------------- Der Mann in der Rüstung trat auf ihn zu und blieb wenige Schritte vor ihm stehen. Er seufzte entnervt. „Es tut mir leid, aber du bist umsonst hier. Prinzessin Ilya wird ihr Kleid nicht vor der Eröffnung besichtigen, da sie noch … sehr viel zu erledigen hat. Sie hat es abgelehnt, dich zu treffen.“ „Ja- Aber …“, stotterte Link, wobei er fast vergaß, seiner Stimme diesen mädchenhaften, schrillen Klang hinzuzufügen. „Wegen ihr …“ Der Mann zuckte mit den Schultern. „Es tut mir leid. An direkten Befehlen Ihrer Hoheit kann nicht einmal der Hauptmann persönlich etwas ändern“, sagte er monoton, wobei es mehr wie ein Zitat klang, „Wobei es doch verwunderlich ist, wenn man ihre vorherige Aufregung …“, fügte er murmelnd hinzu, „… Egal. Es geht mich nichts an.“ Aber …! Alle waren sich doch einig, dass Ilya es kaum erwarten konnte, dieses Kleid anzuziehen! Jetzt war es da! Wieso wollte sie es nicht mehr?! Das … Das war doch … „Du kannst hier warten, bis die Eröffnung vorbei ist.“ „Nein!“, gab Link zurück, „Ich will Ilya sehen!“ Der Mann blinzelte für einen kurzen Moment verwirrt. Dann zog er eine ernste Grimasse. „Du …“, knurrte er, „… bist mir vorhin schon so seltsam erschienen.“ Er musterte Link von oben bis unten. Links Augen weiteten sich unwillkürlich. Hatte er zu männlich geklungen? Oh nein! Das musste er … aber … Als Mädchen kam er nicht zu Ilya! Jetzt nicht mehr … „Tut mir leid“, entschuldigte er sich mit harter Stimme vorweg, griff unter seinen Rock und zog das Schwert geübt aus der Schwertscheide – und richtete es gegen die Kehle des Mannes, „Ich muss ein Königreich, nein, die ganze Welt retten. Heute ist der letzte Tag. Ganondorfs Auferstehung naht. Ilya muss von ihrer Vergangenheit erfahren!“, erklärte er dem Mann gehetzt, wobei er ihn genau dabei beobachtete, wie er nach einer Waffe tastete, „Lasst mich durch, Hauptmann, und ich werde Euch wirklich nichts tun! Es liegt nichts Falsches in meiner Absicht! Lasst mich bitte einfach mit Prinzessin Ilya sprechen! Ein letztes Mal!“ „Ihr seid Link …“, stellte der Hauptmann verblüfft fest. Er nickte. „Und ich muss zu ihr.“ Der innere Kampf war dem Mann anzusehen. Pflichtgefühl schien gegen Ehrgefühl und Hochachtung zu kämpfen – es war kein Geheimnis, dass sich einige hochrangige Soldaten an Link maßen. „Geht“, knurrte er schließlich, „Schnell.“ Link verbeugte sich kurz und hauchte: „Danke.“ Danach zog er sein Schwert zurück und rannte los. An diesem Mann vorbei und durch die Tür, durch welche der Mann gekommen war, wobei er seine Waffe erneut versteckte. Bis er in Ilyas Raum gelangt war, musste er die Verkleidung aufrechterhalten. Und danach … würde er sehen, wie sie darauf reagierte. Er schätzte sich glücklich, dass Hauptmann nachgegeben hatte. Er hatte gehört, dass dieser Mann sehr viel Talent aufwies … Es wäre weder einfach gewesen, gegen ihn zu kämpfen, noch wäre es ein geschickter Zug gewesen, ihn ganz auszuschalten … Außerdem hätte es unmöglich lange gedauert … Aber … der Weg zu Ilya war der Weg zur Rettung der Welt … Zumindest hing sehr viel davon ab, was er heute Abend erreichte … „Hat der Hauptmann dir nicht gesagt, was Sache ist?“, ertönte plötzlich die Stimme eines anderen Mannes. Noch ein Soldat, „Die Prinzessin möchte Ihr Kleid nicht sehen, bevor sie es tragen darf. Du bist zu früh dran, Kleine.“ „Oh“, machte Link nur und versuchte dabei, mädchenhaft überrascht zu wirken, „Ich gebe es ihr in den Raum“, kreischte er leise, „Frühzeitig.“ Der Mann lachte. „Wie süß“, kommentierte er dann, „Hey, was hältst du von der Sache?“ Auf der Seite erschien plötzlich noch ein Soldat in einer ähnlichen Rüstung. Die Soldaten hatten Rüstungen, die an die Säulen angepasst waren. Man konnte sie kaum sehen, wenn sie sich nicht rührten … Erstaunlich … „Lassen wir sie!“, befand der andere, „Vermutlich erwartet ihr eigener Prinz sie unten am Ball! Den Glücklichen können wir ja nicht warten lassen!“ Der Soldat entfernte den Helm, weshalb er seinen blonden Haarschopf entblößte, der lässig sein Gesicht umrahmte, und grinste Link schief an. „Danke!“, quietschte Link leise und verbeugte sich dabei höflich. „Wie nett und adrett“, kommentierte der eine und öffnete dabei eine Tür. „Den Gang entlang, dann die linke Tür neben der riesigen Tür. Einfach ablegen. Das Dienergewand sollte da irgendwo zu finden sein“, gab der Mann an und lachte dabei. „Du kannst es aber auch gleich hier ablegen, wenn du willst“, fügte der blonde Mann grinsend – und wohl hoffentlich scherzhaft! – hinzu. Daraufhin stürmte Link eilig durch die Tür und schritt schnell den Weg entlang, der ihm genannt worden war, wobei er diesmal mehr darauf achtete, ob Soldaten in der Nähe waren. Und tatsächlich: Vor jeder Tür waren Posten platziert. Doch die meisten ignorierten ihn. Vermutlich dachten sie sich, dass sie ihn ebenfalls vorbei lassen durften, wenn ihre Vordermänner dasselbe Recht hatten. Auch wenn sie Ilyas Befehl gehört hatten. Aber … was, wenn es eine Falle war? Nein. Ganondorf konnte nicht erahnen, dass Link zu solchen Mitteln greifen würde. Nein, ausgeschlossen … Er kam ohne weitere Störung bei der großen Tür an. Dies würde Ilyas Zimmer sein. Dort war sie im Moment. Er wandte seinen Blick nach links. Es musste eine Verbindung zwischen Dienerzimmer und Herrenzimmer geben. Andernfalls wäre es nicht so gedacht, dass er das Kleid dort ablegte. Er sah sich noch einmal um – und er bemerkte, dass ein Soldat bereits auf ihn zuschritt. Darum ging er weiter – in das Dienerzimmer. Jetzt sollten sie wohl zufrieden sein … Er schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. Es war ein kleiner Raum mit einem Tisch und einem Stuhl aus demselben Holz, dazu ein passender Kleiderschrank und an einem Kleiderständer hing Dienerinnenkleidung. Für ihn vermutlich. … Aber … wie sollte er wieder hinaus kommen? Sein Blick fiel auf den Ring an seinem Finger. Er war einfach nicht für diese Magie geschaffen. Wenn er im Ballsaal landen wollte, konnte er überall dort landen … Vermutlich würde er in Ilyas Kleid landen! Na ja, Fluchtwege gab es hier nicht, jedoch bestand auch die Hoffnung, dass Ilya gar nicht nach Wachen rufen würde. … Oder? Er sah zurück zu der Tür, durch die er gekommen war, und schaute sich nach einer weiteren um. Ja, da war eine. Eine, die nach rechts führte – vermutlich also in das große Zimmer. Sollte er es wagen? Ja. Dafür hatte er sich in ein Kleid geworfen. Dafür hatte er das alles ertragen. Für diesen Moment. Für diese Tür. Für Ilya. Wie sie die Mitglieder einschätzte – in der Zwischenzeit machte sie das richtig gut; am Anfang war es eher weniger gut -, ergab es sich, dass die beiden Gruppen einfach nicht dasselbe Ausmaß erhielten. Die Wächter waren einfach mehr. Aber sie hatte ja noch keine Ahnung von ihren ehemaligen Feenkräften. Vielleicht schätzte sie es doch falsch ein? Hatte das überhaupt eine Bedeutung? „Komm schon, Terra“, knurrte sie sich selbst an, während sie ihren Kopf an ihre Hand stützte, welche am Schreibtisch lehnte, „Du hast sie tausende Händler ausrauben lassen und dabei kaum einen Fehlgriff geleistet – da wirst du wohl ein Exkursionsteam zusammenstellen können!“ Sie gab einen genervten Laut von sich und schob sich dann mit voller Wucht zurück. Die Situation hatte sich so sehr geändert – seit dem letzten Raubzug. Sie wusste nun viel mehr. Nicht nur, dass die Lebensmittel knapp wurden. Auch die Geheimnisse ihrer … ihrer … Freunde. Und seit sie sie wirklich als solche betrachtete – als Freunde – fiel es ihr schwer, sie einfach in Gefahr zu senden. Vor einigen Tagen noch waren es einfach ihre … Mitglieder. Die Mannschaft eben. Aber jetzt …? Sie hatten ihr so viel anvertraut! Sie war Trägerin ihrer Geheimnisse … Das war so viel wert … Wahres Vertrauen … Zherenh und Orb musste sie nicht einteilen. Das hatte Azur für sie übernommen – zum Glück. Sie war sich sicher, dass den Wächtern weniger passieren würde, als denen, die in Ganondorfs Grube liefen. Sie schaute auf die Buchstabenfolge, die Smaragd ergab – für Listen und Schriftstücke benutzte sie noch immer die Decknamen. Sollte sie Gardam nicht doch lieber wegstreichen? Immerhin … Nein. Nein! Ansonsten würde niemand in die Höhle gehen! … In dieser Höhle könnte aber Ganondorf warten. Oder zumindest sein Helfer. Sie sog scharf die Luft ein. „Okay, das … wird ein Fehler“, murmelte sie, als sie ihre nächsten Schritte plante. Im nächsten Moment kramte sie eine Münze hervor. „Kopf … oder Zahl?“ Sie warf die Münze. Sie fiel. Zahl bedeutete, dass Gardam an der Exkursion teilnehmen musste, Kopf bedeutete, dass Entari es musste. Und so entschied sie sich für die Teamkonstellation. Jeweils zwei Mitglieder, die gegeneinander ins Schicksal geworfen wurden … „Terra, nein, Retro!“, hauchte sie, „Das ist katastrophal!“ Oder einfach Schicksal. Link öffnete die Tür einen Spalt und linste hindurch. Er konnte niemanden sehen. Sollte er die Tür weiter öffnen? „Meine Güte …“, hörte er eine Stimme aus dem Raum. War das … Ilya?! „… Wieso kann ich nicht einfach alles richtig machen? Ich will das doch gar nicht!“, klagte sie, „Aber … Ich muss. Es ist wichtig. Für ihn.“ Es erklang das Verrücken eines Stuhles. Und Saum bewegte sich. „Ilya, warte!“, ertönte seine eigene Stimme – ehe er es überhaupt mitbekam -, während er die Tür aufriss. Prinzessin Ilya stand vor ihm. Genauso engelsgleich zog sie ihn in seinen Bann, wie es das letzte Mal ebenso geschehen war. Die smaragdgrünen Augen, die ihn fragend ansahen, die wohl geformten Lippen, die eine Frage ausformulierten und dazu noch das wunderschöne Kleid, verziert mit Sonnen, Monden und Rubinen, umgeben von weißem Saum. Auf ihrem Kopf thronte das Diadem, das sie zur Prinzessin erkürte. „Hab ich nicht gesagt, niemand bräuchte zu kommen?“, fragte sie mürrisch, „Ich stehe unter Zeitdruck.“ „Aber …“, widersprach er – er war sich nicht sicher, ob er jetzt männlich oder weiblich klingen sollte, weshalb er sich für das gesund unsichere Mittelmaß entschied. „Bitte, du musst verstehen“, sagte sie autoritär, „Kleider sind nicht das Wichtigste. Manchmal muss man eine Entscheidung treffen, die über Leben und Tod richtet. Ich brauche dafür Zeit. Und kein Kleid. Ich muss … nachdenken“, fügte sie ruhig hinzu, „Aber es geht nicht. Verstehst du?“ Mit jedem Wort verlor sie ein wenig der Beherrschung und gegen Ende klang es, als würde eine Freundin zu einer anderen Freundin sprechen, „Die Welt braucht mich jetzt … Ich muss es Kund tun. Das Kleid muss warten …“ „Ilya …“, brachte er hervor, „Was ist geschehen?“ „Du wagst es, mich bei meinem Vornamen anzusprechen?“, fragte sie rhetorisch. Zwar flackerte für einen kurzen Moment Zorn in ihrem Auge auf, doch dieser verschwand sogleich wieder. Ihre Stimme erreichte er nie. Ilya trat einige Schritte vor und faltete die Hände. „Ich bin verwirrt …“, gestand sie leise, „Immerhin erzähle ich gerade alles meiner Dienerin …“ Sie lachte kurz humorlos, „Aber … jemand, der mich berät, ist gerade gekommen … Und sie meinte, dass ein Verräter hier sei. Er wolle mich töten, sagt sie … Dieser Mann, dessen Augen ich seit damals nicht mehr vergessen konnte“, gestand sie verträumt lächelnd, „… Aber seine Augen sind plötzlich fort.“ Ilya drehte sich zu Link und sah ihm in die Augen. Sofort wandte er den Blick ab. Was sagte sie da …? Ein Berater? Doch nicht etwa … Und die Augen … Sie meinte damit wohl nicht wirklich … ihn? Seine Augen? Bedeutete das, dass sie sich ein wenig an ihn erinnerte? Hatte sie auch eine … eine Erinnerung in sich? Eine pochende, schmerzende Erinnerung … So wie er die seine an sie besaß … War es umgekehrt genauso? Ilya … „Augen, die ich nie mehr vergessen wollte … Freiheit, Mut und Fürsorge haben in ihnen Anteil gefunden … Lobenswerte Eigenschaften …“ Sie schüttelte verloren den Kopf. „Aber er will mich töten … Wieso? Möchte er meinen Thron? Ist er wirklich verrückt?“ Sie trat weiter Richtung Tür. „Ich muss meine Gedanken sparen. Ich habe wichtige Kunde zu erteilen … Sehr wichtige … Immerhin wird der große Herr zurückkehren …“ Sie führte ihre Hand an die Türklinke. Es war an der Zeit, zu reagieren. Er musste ihr sagen, was er wusste! Dieses Leid … Sie hatte bestimmt auch eine pochende Erinnerung! Sie erinnerte sich bestimmt noch an ihn! Aber Ganondorf blockte. Er musste sie erlösen! „Ilya, geh nicht!“, rief er – mit seiner sanften, männlichen Stimme und dennoch bittend befehlend. Erschrocken fuhr Ilya herum und sah sich irritiert um. „Wer hat das gesagt?“ Ehe er sich versah, stand er bei ihr und legte seine Arme um sie. Sie sog erschrocken die Luft ein. „Was …?“, fragte sie sichtlich schockiert, „Was …? Nimm deine Arme von mir!“ Aber er drückte sie an sich. „Bitte, Ilya, erinnere dich … Erinnere dich an Ordon, an Boro – an die Zeit, die du mit mir verbracht hast … Unsere Kindheit …“ „Hey, was – Was fällt dir ein!?“, rief sie störrisch. Doch sie wehrte sich nicht. Sie blieb in der Umarmung. Ihr Widerwille war spürbar, aber sie lauschte ihm. Ihr Wille, so zu verharren, bestand ebenso. Link legte eine Hand an ihr Haar und strich kurz darüber. Er benutzte die linke Hand. Vielleicht konnte das Triforce etwas auslösen? Ihren Bann brechen? Ilya … „Ilya … Erinnerst du dich an Epona …?“, wisperte er ruhig. „Epona …?“, wiederholte sie leise, „Epona … Weiße Mähne, braunes Fell … Ein gutmütiges Tier …“, hauchte sie leise und abwesend. Ihr Blick richtete sich in weite Ferne, obwohl sie an seinen Oberkörper gelehnt dastand. Ihre Hände hielten sein Gewand. Um ihn festzuhalten … Aber wofür? Wollte sie ihn von sich stoßen? Oder bei ihm bleiben? Das wusste sie wohl selbst nicht … Er musste es schaffen, sie zu überzeugen. „Taro, Betty, Maro und Colin, Lin? Erkennst du diese Namen wieder?”, wollte er freundlich von ihr wissen, „Unsere Freunde … Die Dorfbewohner … Bettys Eltern besitzen den Laden. Wir haben oft zusammen Milch getrunken … Und Colin …“ „Colins Vater ist Moe …“, erzählte sie ihm. Dabei wirkte sie sehr schockiert. Sie fragte sich wohl, woher ihr das bekannt war. Ihr Blick wanderte zu Link und sie sah ihm in die Augen, „Und … Lin ist seine kleine Schwester …“ „Ja, Ilya …“, stimmte er ihr zu. Er lächelte sie stolz an. „Und du bist …“, stellte sie fest, während ihre Augen sich merklich weiteten. Doch bevor sie den Satz beenden konnte, schubste sie Link mit voller Kraft weg – mit übernatürlich viel Kraft für ein Mädchen – fuhr sich rasch über den Kopf, riss die Tür im nächsten Moment auf und schrie laut, deutlich und befehlshaberisch: „Wachen! Haltet ihn! Der Verrückte ist hier! Nehmt ihn gefangen!“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Er besitzt ein Schwert! Mordabsicht! Mordversuch! Attentat auf mich – auf Eure Hoheit!“ Und das metallische Hallen näherte sich hörbar – und schnell. Link musste fliehen. Sofort. Doch wohin? Er schaute sich hastig im Raum um. Wohin? Durch das Fenster? Er erhob sich vom Boden, auf welchem er gelandet war, und sah sich um. Er lief Richtung Fenster, doch das Kleid behinderte ihn dabei sehr. Er trat auf den Saum, welcher von zerstörten Rubinen – sie waren beim Sturz zerbrochen – aufgerissen wurde. Und er trat ihn durch sein eiliges Handeln noch mehr entzwei. Von hinten sollte das Malheur noch nicht zu sehen sein … Aber er musste handeln. „Tut mir leid, Arithmeta“, murmelte er und riss das Kleid vorne auseinander. Soldaten standen bereits in der Tür. Er erreichte das Fenster, dessen Öffnungsmechanismus einfach zu durchschauen war. Er brachte es auf und sein Blick fiel nach unten. Drei Stockwerke. Mindestens. Er schaute hinter sich, ohne sich dabei großartig zurück zu bewegen. Er konnte sich denken, was ihn erwartete. Acht Soldaten. Mindestens. Und es würden nicht weniger werden. Mordversuch an der Prinzessin. Plötzlich wirkte das Fenster sehr einladend. Und schon stand er am Sims. Die Soldaten blieben verwirrt stehen, wobei sich drei um Ihre Hoheit kümmerten, welche wild gestikulierte und lauthals verkündete, wie sie ihn tot sehen wollte. Doch auch sie schwieg, als sie auf sein scheinbares Handeln aufmerksam gemacht wurde. „Ilya, ich rette dich!“, schwor er ihr – und ließ sich aus dem Fenster fallen. „Ha – ein Prachtstück!“, rief Terra erfreut aus, weshalb sie die Liste in die Höhe streckte und sich die Namen durchlas. In einer Tabelle waren die beiden Gruppen schön erfasst. Genau die Hälfte. Das Zufallsprinzip war in diesem Falle einfach zuverlässig! Sie las sich die Namen durch. Und je weiter nach unten sie kam, desto eher war sie der Meinung, dass das ein riesiger Fehler war. Die meisten Männer hätte sie eher umgekehrt eingeordnet. Sie seufzte. Welt gegen Mannschaft. Sie nahm einen Radiergummi. Danach entfernte sie die Gruppennamen und vertauschte das Wort „Höhle“ mit „Wache“. „Gut … So sollte es hinkommen“, murmelte sie mürrisch. Das Zufallsprinzip hatte seinen Zweck erfüllt: Sie war zu einer Entscheidung gezwungen worden, indem sie die Wahl der Qual umging. So konnte sie jedem die schlimmere Wahl ersparen. Sich selbst und Azur sowie Orb und Zherenh – und natürlich Yurai – hatte sie ausgelassen. Immerhin hatten sie alle ihre Aufgaben. Zumindest glaubte Terra, dass sie irgendeine Aufgabe hatte. Sie wusste nur nichts davon. Und wusste auch nicht, ob sie es – im Fall der Fälle – davon erfahren wollte. Sie erhob sich und spazierte aus der Kajüte. Lärm drängte vom Deck zu ihr herüber. Es klang wie Stimmengewirr. Ihr Prinzip lautete: Immer dem Lärm folgen. Also machte sie sich auf den Weg nach außerhalb – und schon fand sie die versammelte Mannschaft vor. Es schien keinem sonderlich schlecht zu gehen. Das war gut. Yurai war nicht dabei. Aber Azur! Er stand am Reling und schien irgendetwas zu sagen … Etwas, was der zweite Kommandant wohl nicht zu wissen brauchte … Immerhin hatte sie keine dazu eingeladen. „… Gruppen.“ Azur beendete den Satz und sah zu ihr, als sie durch die Tür das Deck betrat. Sie erwiderte seinen Blick. Er lächelte. Scheinbar hatte er das Papier bemerkte. Er winkte sie herrisch zu sich. Sie leistete dem Wunsch Folge. Als sie vorne angelangt war, übergab sie ihm den Zettel. „Wie Ihr befohlen habt, Kapitän Azur“, sagte sie brav. Aber er beachtete sie nicht weiter, sondern las sich die Liste schweigend durch. Die Mannschaft, die auf Azurs weitere Worte wartete, schaute gespannt. Manche lärmten auch weiterhin durch Getratsche und Gemurmel. „Wieso haben sie Euch nicht in Kunde gesetzt?“, fragte Terra so leise, dass nur er es hören sollte. „Kilass hat befohlen, dass sie Ruhe bewahren sollen. Er behauptete, er würde es mir mitteilen“, erklärte er, ohne aufzublicken. Seine Augen schienen die Einteilung zu verschlingen. „Hat er aber nicht“, schloss Terra die Sachlage, „Ich glaube, er möchte seine alte Stelle zurück“, schlussfolgerte sie. Azur lächelte breiter als sonst – er schien ziemlich amüsiert. „Als könnte ich dich jetzt noch hergeben“, sagte er, wobei er gleich danach seine Aufmerksamkeit der Mannschaft widmete und die Liste abwesend zusammenfaltete, „Ich bitte euch, mir zuzuhören!“, wünschte er laut, „Retro hat die Einteilungen wie folgt erledigt: …“ Daraufhin las er die Liste vor, auf welcher unter anderem stand, dass Schach und Smaragd in die Exkursionsgruppe gehen sollten, während Leute wie Orient und Klassik am Schiff bleiben sollten. „Was ist mit Euch, Kapitän?“, fragte Entari, welcher relativ weit vorne stand – trotz seiner Größe – und relativ besorgt wirkte, „Schadet Euch nicht!“ „Ich bin mir sicher, er wird den zweiten Kommandanten nicht unnötiger Gefahr aussetzen“, fügte Kilass abwertend hinzu, wobei der Mann – der augenscheinlich wieder zu Kräften gekommen war – streng dreinschaute. „Ich denke, Eure Meinung zählt bei ihm nicht so sehr“, murmelte Terra daraufhin, „Was auch immer diese bedeuten sollte …“, fügte sie ein wenig griesgrämig hinzu. Was meinte er damit, dass … dass er sie nicht mehr weggeben konnte? War sie so nützlich? Oder …? Oder … oder war es ein Scherz? Wieso konnte sie nicht mehr klar denken …? Nicht, wenn Azur in der Nähe war … und schon gar nicht, wenn er ihr ein bezauberndes Lächeln schenkte … Feenmagie. Das musste es sein. Elende Feen. Wieso war er eine Fee? „Retro und ich werden uns um Yurais Zustand kümmern“, offenbarte er deutlich für alle hörbar, „Und ich werde alles daran setzen, dass die Weiße Fee heute wieder erwachen wird.“ Zustimmender Jubel trat an den Tag. „Zherenh und Orb sind bereits unterwegs“, erwähnte Azur dann lediglich an Terra gewandt, „Die anderen wissen, wenn sie loslegen sollen. Gehen wir“, schlug er vor, wobei er, ohne auf eine Antwort zu warten, losmarschierte. „Gehen? Wohin?“, fragte Terra dann missmutig. „Deine Theorie hat in mir ebenso eine Theorie geweckt“, erklärte er ihr schmunzelnd. „Ach ja?“, fragte sie mit erhobenen Augenbrauen, „Und die wäre?“ „Das wirst du bald erfahren, Terra“, versprach er ihr. „Retro“, widersprach sie ihm. Daraufhin blieb sie verunsichert stehen. „Moment.“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Doch Terra!“ Azur lachte daraufhin leise. Terra kicherte kurz. Okay, sie war wirklich verwirrt. Sehr verwirrt. Aber … plötzlich fand sie die Verwirrung gar nicht mehr so schlecht. Immerhin … durfte sie Azurs bezauberndes Lachen hören. „Danke, Terra“, sagte Azur danach leise. „Danke …?“, wiederholte sie, nachdem sie wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, „Wofür?“ Aber er gab ihr keine Antwort mehr. Alles, was er tat, war die Tür zu Yurais Kajüte zu öffnen. Er vollführte eine Handbewegung und gestikulierte wild. Es wirkte wie ein Tanz. Nein, wie ein Kampf. Was tat er? Die Luft begann zu flimmern. Überall erschienen Funken. War das … Magie? „Azur!“, rief sie. Doch er trat tänzelnd in das Zimmer ein und bahnte sich in wilden, unkontrolliert erscheinenden Schritten einen Weg zu Yurai. „Beschütze mich!“, rief er dann, sah zu ihr – und wurde ohnmächtig. „Kyrion!“, kreischte sie besorgt und lief zu ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)