CoE Shortstories von chaoticgirl (Kurzgeschichten zur beliebten FF "Children of Elements") ================================================================================ Kapitel 5: Xarix ---------------- „Xarix! Xarix, mein Schatz! Jetzt komm doch bitte endlich da raus!“ „Aber Mama… die Menschen…“ „Welche Menschen denn, mein Kind?“ „Die Menschen, die gekommen sind, um uns zu jagen! „Schatz! Die sind doch schon längst weg!“ „Aber was ist, wenn sie wiederkommen?!“ „Xarix! Du kannst nicht ewig in diesem Erdloch sitzen bleiben! Jetzt komm da endlich raus! Bitte!“ „…“ „Xarix?“ „… ich hab Angst…“ „Das muss du nicht. Ich bin doch bei dir. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Versprochen.“ Da endlich tat sich etwas in dem Erdloch, vor dem die besorgte Kike stand. Erde bröckelte, leises Schnaufen erklang und ein recht kleiner, weißer Drache kroch heraus. Vorsichtig blickte er sich um, bevor er sich an seine Mutter schmiegte. Diese seufzte. „Na endlich. Dann können wir ja jetzt weiterfliegen.“ Sie spreizte die Flügel, um ihren Weg mit ihrem Kind fortzusetzen, der von einer Schar Jäger vor etwa zwei Stunden unterbrochen wurde, die die reisenden Drachen entdeckt und beschossen hatten. Sie wollte ihren Sohn zum größten Clan bringen, den es in dieser Gegend gab. Sie hoffte, dass sich ihr ängstliches Kind dort sicher fühlen würde. Es hatte Tage gedauert, um Xarix dazu zu überreden, seine Höhle, geschweige denn den Clan zu verlassen. Als seine Mutter machte sie sich schreckliche Sorgen um ihren Nachwuchs. Er war schon immer sehr ängstlich gewesen. Weil er so selten die Höhle verließ, die ihr kleiner Clan aus einem verlassenen Bärenbau gebaut hatte, war er klein und schmächtig geblieben. Er war das einzige Kijana ihres Stammes, daher hatte er auch keine Freunde, die in seinem Jahrtausend geboren waren. Sein Onkel – ihr kleiner Bruder – hatte sich immer gut um ihn gekümmert, aber er war auch schon weit über dreitausend Winter alt. Kein geeigneter Spielkamerad für ein, gerade mal vierhundert Jahre altes Kind. Eigentlich war es schon viel zu spät, um noch etwas zu ändern, aber dennoch hoffte die Kike, wenn sie ihn zu gleichaltrigen Drachen bringen würde, könnte er vielleicht etwas von seiner Angst verlieren und mehr raus gehen. An die Sonne, die frische Luft. Und sie konnte die Hoffnung nicht aufgeben, dass er doch noch etwas wachsen und an Gewicht zulegen würde. Während sie sich in die Luft erhob und sich umblickte, ob Xarix ihr auch folgte, stellte sie sich vor, wie seine matten Schuppen zu glänzen begannen, und endlich den sanften, silbernen Schimmer bekämen, die auch ihre eigenen Schuppen aufwiesen und sie zur schönsten und bewundertsten Kike ihres Clans machte. Da legte sich plötzlich ein schwarzer Schatten über die Welt und kurz darauf verlor sie die Kontrolle über ihre Flügelmuskulatur. Blind fiel sie auf den Boden, spürte den Aufprall nicht mehr und hörte auch den Entsetzensschrei ihres Sohnes nicht mehr. Xarix gellte der eigene Schrei in den Ohren, die Augen hatte er starr auf die seiner toten Mutter gerichtet. Der Schaft eines Pfeiles war nur noch zur Hälfte zur sehen, der Rest steckte in der schwächsten Stelle eines Drachen – im Auge. Ihm wurde kalt. Unglaublich kalt. Er glaubte, zu Eis zu erstarren. In seinen Ohren rauschte es, er hörte das Brechen der Äste nicht, oder das Gebrüll der Menschen, die langsam durch die Bäume auf ihn zukamen. Ein Mann hob einen schweren Schlagstock, gab sich einen Ruck, sprang auf den bewegungslosen Drachen zu und schlug auf seinen Schädel ein. Gnädige Schwärze und Vergessen umfing Xarix. Als er wieder aufwachte, spürte er noch immer diese Eiseskälte. Sie lähmte ihn, hielt ihn mit Krallen umschlungen. Und dann erst dieses schreckliche Brummen in seinen Ohren. Allmählich wurde das Brummen klarer. Einzelne Laute wurden verständlich. Angsterfüllt öffnete er die Augen. Alles war verschwommen und er erkannte nur Schemen. Doch sein Blick wurde klarer und war er sah, ließ ihn erneut gequält aufschreien. Der Körper seiner Mutter war auf ein riesiges, hölzernes Gestell gebunden worden, das auf Rädern stand. Ihre Flügel schleiften auf dem Boden, ihr Kopf hing in einem unnatürlichen Winkel von dem Gestell herunter. Doch nicht die unwürdige Behandlung seiner toten Mutter brannte sich ihm ins Gedächtnis. Die Menschen hatten den Pfeil aus ihrem Auge entfernt. Dieser Anblick würde ihn den Rest seines Lebens verfolgen und presste ihm die Luft aus der Lunge, ließ ihn einen Schrei, wie aus einer anderen Welt ausstoßen. Sein Körper erzitterte und erst jetzt merkte er, dass ihn nicht nur die innere Kälte unbeweglich machte. Er selbst war auf ebenso einem hölzernen Gestell gebunden. Die Menschen um ihn herum sprangen erschrocken zur Seite, als er schrie, nur einer sah ihn ungerührt an und ein leises Lächeln stahl sich auf die dünnen Lippen. Der Mann drehte sich um. „Bewegung ihr faulen Säcke! Schaffte meine Beute zur Burg! Und dass euch ja niemand sieht!“ Die Männer murrten, nahmen sich jedoch die Seile, die an den Gestellen der Drachen befestigt waren und banden die Enden an ihre Pferde. Dann stiegen sie auf und ritten los. Mit Erleichterung und Entsetzen erkannte Xarix, dass er und seine Mutter in verschiedene Richtungen gezogen wurden. Erleichterung, weil er ihren furchtbaren Anblick nicht länger ertragen hätte, Entsetzen, weil ihm klar wurde, dass er sie niemals wiedersehen würde. Drachen konnten nicht weinen, also trauerte er auf die einzige Art, die einem Drachen möglich war. Er begann jaulen und zu heulen. Daraufhin gab der befehlende Mann dem Nächststehenden einen Wink und Xarix wurde wieder bewusstlos geschlagen. Als er wieder zu sich kam, blieb es auch dann Schwarz um ihn herum, als er die Augen öffnete. Er erschrak zutiefst und glaubte, erblindet zu sein. Der Drache krümmte sich verzweifelt zusammen – schwere Eisenketten klirrten an seinen Tatzen – und bemerkte erst nach einer ganzen Weile, dass er nicht mehr auf ein Gestell gefesselt war. Um ihn herum herrschte nicht nur lichtlose Schwärze, sondern auch eine tiefe Stille. Dann fiel ihm auch auf, dass die Luft sehr alt und abgestanden schmeckte. Sein Atem ging schnell und hektisch. Er drehte sich um sich selbst, verhedderte sich in den Ketten und stieß gegen eine Wand. Sofort schossen Sterne an seinen Augen vorbei und ein greller Schmerz schoss durch seinen malträtierten Kopf. Er sank an Ort und Stelle zusammen und heulte leise. In der Dunkelheit starrte ihn das eine, glanzlose Auge seiner Mutter an. Irgendwann musste er wohl in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf gefallen sein, denn er wurde von einem grellen Licht und ungeduldigen, schmerzhaften Tritten in die Seite geweckt. Er sprang erschrocken auf und sofort wurde ihm schwindlig. Die Erinnerungen kamen mit einem Schlag zurück und er sah sich panisch um. Zwei Männer standen in einem rechteckigen Loch, durch das flackerndes, orangerotes Licht drang. Ihre Gesichter waren dunkel, doch er erkannte den schrecklich lächelnden Mann am Geruch sofort wieder. Er stank bestialisch. „Ah… endlich ist das Mistvieh wach“, ertönte diese kalte Stimme, die im Wald den Befehl gegeben hatte, seine Mutter wegzuschaffen. Die schweren Eisenketten an seinen Beinen krallten sich kalt in seine Schuppen, als Xarix mit einem ängstlichen Zischen so weit von den Menschen zurückzuweichen versuchte, wie es nur möglich war. Seine Flügel waren ihm an den Körper gebunden worden, sonst hätte er sie wohl instinktiv geöffnet, um größer und bedrohlicher zu erscheinen. Der stinkende Mann trat auf ihn zu, woraufhin sich Xarix verstört klein machte. Er presste den Schwanz an seinen Körper und senkte den Kopf so weit es ging, ohne die Menschen aus den Augen zu verlieren. Genugtuung lag in der Stimme, als der stinkende Mann dem Anderen den Befehl gab, zu gehen. „A-aber Herr…!“, widersprach dieser verdutzt. „RAUS!!“, wurde er angebrüllt und schon verschwand er mit schnellen Schritten durch das helle, rechteckige Loch. Nun war Xarix alleine mit diesem grausamen Mensch. Dieser trat einen weiteren Schritt auf den weißen Drachen zu und streckte die Hand nach ihm aus. Xarix kniff die Augen zu und zog den Kopf an seine Seite – wären sie nicht gebunden gewesen, würde er ihn unter seinen Flügel schieben. Dann lag die Menschenhand auf seinen Schuppen. Ein Schreckensschauer lief durch seinen Körper. „Was für ein schönes Wesen“, sagte der Mann leise. Seine Stimme war eiskalt. „Und du gehörst jetzt mir!“, rief er triumphierend. „Ich besitze einen Drachen! Einen lebenden Drachen!“ Lachen erfüllte den kleinen Raum. Dann war die Hand wieder verschwunden und Xarix hörte schnelle Schritte. Ein großer Schatten schob sich vor das rechteckige Loch und schluckte alles Licht. Dann ein donnerndes Geräusch. Schwärze herrschte wieder und hinter der Tür erklang ein lauter Befehl und mehrstimmiges, angestrengtes Stöhnen, sowie ein metallisch scharrendes Geräusch. Dann entfernten sich viele Schritte und Xarix war erneut mit den Augen seiner toten Mutter alleine. Viel Zeit verging, die Luft wurde merklich schlechter und stickiger, bis endlich wieder das rechteckige Loch erschien. Doch mit dem Licht und der – nur wenig besseren – Luft, kam auch der stinkende Mann wieder. Er trat allein ein und warf Xarix etwas hin, das mit einem dumpfen, nassen Klatschen vor ihm landete. Blutgeruch drang in seine Nase und ließ ihn würgen. „Guten Appetit!“, sagte die kalte Stimme. „Aber bevor du dein Fleisch fressen darfst, wirst du lernen, zu gehorchen.“ Mit schnellen Schritten ging der Mensch auf Xarix zu und packte ihn grob an seinem Horn, zog ihn zu sich runter und sah ihm tief in die weit aufgerissenen Augen. Überrascht und erschrocken wollte der Drache zurückweichen. Schmerz schoss erneut durch seinen Schädel, als der Mensch ihn nicht losließ und „Halt still, du Mistvieh!“ fauchte. Obwohl alles in ihm nach Flucht schrie, zwang sich Xarix still zu halten. Der Mensch schien verblüfft zu sein. Dann zog er an seinem Horn. „Sieh mich an!“ Wiederwillig blickte der Drache ihn an. Der Griff um sein Horn löste sich. „Leg dich hin!“, ertönte der nächste Befehl. Xarix legte sich nieder, so gut es seine Ketten erlaubten. Er jaulte leise, als erneut lautes, kaltes Lachen durch den Raum klang. „Das ist ja fantastisch!“ Der Mensch lief zum Loch und rief jemanden herein. „Ja, Herr!“, fragte der Mann unterwürfig. „Binde den Drachen los!“, befahl der stinkende Mann und wandte sich zum Gehen. Der Diener öffnete den Mund, doch sein Herr ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Keine Widerrede!! Tu es! Und dann sofort raus hier und keine fasst meinen Drachen an!“ Dann verschwand er und der andere Mensch sah den Drachen misstrauisch an. Xarix senkte schnell seinen Blick und machte sich erneut klein. „Jetzt bloß keine Aufregung, mein Großer“, sagte der Mann und kam langsam näher. Xarix schloss die Augen, als er nach ihm griff. Ein Schlüssel klickte im Schloss und seine Vorderpfote war frei. Xarix machte einen halten Schritt nach hinten, um den Menschen an seine zweite Vorderpfote zu lassen. Drei weitere Klicks später hatte der Drache wieder einen Teil seiner Freiheit zurück und der Mensch zog sich vorsichtig zurück. Doch auf halbem Weg blieb er stehen und sah sich nach dem weißen Häuflein Elend um. Er zögerte, kam zurück und machte sich an dem ledernen Gurt zu schaffen, der die Flügel an den Körper band. Dabei murmelte er vor sich hin. „Er hat gesagt losbinden. Also kann er damit auch sehr wohl die Flügel gemeint haben. Soll er sich doch aufregen, wenn er will. Ich habe nur seinen Befehl befolgt…“ Xarix seufzte erleichtert auf, als er endlich wieder die Flügel strecken konnte. Der Mann wich schnell zurück und verschwand dann hastig durch das Loch. „Zu machen, zu machen!“, rief er und unter mehrstimmigen, angestrengten Gestöhne, schob sich wieder der Schatten vor das Loch und das Licht schwand. Dann war es wieder vollkommen still in Xarix‘ Gefängnis. Und seine Mutter kam zurück. Er streckte die Flügel und kauerte sich in eine Ecke, in die ihn der Blutgeruch des Fleisches folgte und trauerte, bis er einschlief. Das nächste Mal, als der stinkende Herr kam – er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber es kam ihm wie Wochen vor - war Xarix sofort wach. Seine Mutter hatte stets ihn in seine Träume verfolgt. Das Getrappel von draußen verriet ihm, dass sich die Menschen, die das Loch öffneten oder schlossen entfernten. Der Mensch blieb am Eingang stehen. „Komm!“, sagte er, ohne das unberührte Fleisch auch nur eines Blickes zu würdigen. Steif stand Xarix auf. Er schüttelte sich, doch die Kälte, die ihn befallen hatte, als er seine tote Mutter gesehen hatte, konnte er nicht vertreiben. Er lief zögernd auf das Licht zu. „Schneller!“, befahl der Herr ungeduldig. Xarix zuckte zusammen und beeilte sich. Vor Angst zitterten ihm die Beine und vom vielen Liegen war er schwach. Er stolperte und fiel. Als er aufsah, stand der Mensch über ihm und griff nach seinen Hörnern. „Bewegung!!“, brüllte er und zog ihn hoch. Xarix glaubte, vor Angst sterben zu müssen Er hievte sich hoch und ließ sich vom Menschen mitziehen. Draußen brannte Feuer an kleinen Stöcken, die an steinernen Wänden befestigt waren. Noch nie hatte Xarix so eine seltsame, eckige Höhle gesehen. Sogar der Boden war aus gleichgroßen Steinquadern. Der einzige Weg, der von seinem Gefängnis fortführte, waren seltsam ebenmäßige Stufen, die in die Höhe führten. Die Luft, die von dort kam stank unglaublich. Schlimmer noch als der Mensch neben ihm, weil es nach Blut und Krankheit und Angst roch. Sogar nach Tod. Er wollte dort nicht rauf, auf keinen Fall! Doch der Mensch zog ihn unbarmherzig weiter. Er stieg langsam die Stufen hinauf, der Gestand wurde immer untererträglicher, wenn er einen Magen gehabt hätte, hätte sich im dieser sicherlich umgedreht. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und hielt die Luft an, solange er konnte. Sie hatten das obere Ende der Stufen erreicht und vor ihnen erstreckte sich ein schmaler Gang, der links und rechts mit seltsamen, dünnen Metallröhren gesäumt war, die so eng nebeneinander befestigt waren, dass nicht einmal ein Mensch hindurch passen würde. Hinter diesen Metallröhren waren dunkle Felle gespannt, als würden die Menschen nicht wollen, dass Xarix sah, was dahinter war. Doch er konnte nicht verhindern, dass er dumpfes Stöhnen hörte und leise Klagelaute. Anscheinend befanden sich Menschen hinter diesen Stäben. Kranke Menschen, so wie es sich anhörte. Xarix kam zu dem Schluss, dass dies der Ort sein musste, an dem die Menschen ihre Kranken brachten, um sie zu heilen. Hier auf dem Gang war es zwar kalt, aber hinter den Fellen war es bestimmt warm. Schon hatten der Mensch und der Drache die andere Seite des Ganges erreicht. Weitere, gleichmäßige Stufen führten nach oben, doch Xarix sah Licht und frische Luft wehte ihm entgegen, je näher sie dem Licht kamen. Gierig sog er sie auf und hatte es so eilig, endlich die Sonne wieder zu sehen, dass er nicht merkte, dass sich der Mensch im Laufe nach etwas bückte, dass auf der Treppe bereit lag und es aufhob. Erst, als dicht neben ihm das Klirren von Eisenketten erklang, wandte er sich verwundert dem Mann zu. Dieser nutzte die Gelegenheit und streifte Xarix einen dicken, breiten Lederkragen über den Kopf. Bevor der Drache begreifen konnte, was geschah, hatte sich der Mann auf ihn gestürzt und sich auf seinen Rücken geschwungen, die Eisenketten, die mit dem Lederband befestigt waren fest in den Händen u und presste mit seinem ganzen Gewicht den Drachen zu Boden. Xarix konnte in seinem geschwächten zustand kaum laufen, geschweige denn fremdes Gewicht tragen und knickte ein. Der Mann schwang daraufhin ein Bein über die runden, weichen Rückenzacken und saß auf Xarix wie auf einem Pferd. „So, mein Tierchen“, sagte er zufrieden. „Trag mich hinüber zum Haupthaus. Und denk nicht mal daran, fortzufliegen!“ Xarix jaulte vor Schmerz, doch er stemmte sich gehorsam hoch. Die letzten Stufen, die auf eine offene, mit Steinen gepflasterte Fläche führte, waren reinste Folter für den geschwächten Drachen. Zitternd und schnaufend stand er vor der großen, steinernen Felswand, die – wie alles, was er bisher hier gesehen hatte – seltsam glatt, ebenmäßig und schlichtweg unnatürlich aussah. Sie war eckig und der Mensch befahl ihm, sich nach links zu wenden. Er schleppte sich um die Ecke und entdeckte Holz, da in der Felsmauer eingewachsen zu sein schien. Der Mensch lenkte ihn dort hin und wies ihn an, das „Tor“, wie er das Holz nannte, zu öffnen und hindurch zu gehen. Trotz seiner Schmerzen und Angst war Xarix überrascht und erstaunt, als er das „Tor“ mit der Schulter eindrückte, es widerstandslos nach innen schwang und das hohle Innere offenbarte. Er trat ein und seufzte unendlich erleichtert auf, als der Mensch von seinem Rücken glitt und schleunigst das Tor wieder schloss und verriegelte. Xarix sah sich um. Alles wirkte so fremdartig und seltsam und… leer. Er fragte sich, ob hier noch andere Menschen lebten und wo sie wohl waren. Der Mensch zog ihn an den Eisenketten weiter, einen breiten, langen Gang entlang, der von Feuer erhellt wurde, das an der Wand brannte. Irgendwo musste also ein Feuerdrache sein, der all die Lichtquellen hier entzündete. Das gab Xarix Mut. Der Gang endete und durch ein weiteres, offenes Tor gelangten sie in einen großen Raum. An den Steinwänden waren mehrere kleine Holztore eingelassen. Alle waren schlossen. Auch hier war kein weiterer Mensch zu sehen. Der Mann zog ihn zur gegenüberliegenden Seite, wo Stufen in die Höhe und in einen weiteren Raum führten. Kaum hatten sie diesen betreten, ertönte von unten eine herrische Stimme. „Ihr dürft nun wieder die Türen öffnen und weiterarbeiten.“ Nach einem Augenblick der Stille, klapperte Holz und viele menschliche Stimmen erklangen. Die Gegenwart von so vielen Menschen machte Xarix ganz unruhig und er begann zu zittern. „Aber unser Fürst hat bei Strafe verboten, dass sich jemand dem Thronsaal nähert! Ihr seid gewarnt!“ Xarix‘ Begleiter wandte sich zur rechten Seite und sie gingen weitere Stufen hinauf, bis sie scheinbar am höchsten Punkt angekommen waren, denn von dem Raum aus gab es keine weiteren Stufen. Es war ein hoher, langer Raum, an den Steinwänden links und rechts standen längliche, flache, hölzerne Gegenstände und seltsam metallische, menschenähnliche Gegenstände, die leblos und stumm an der Wand standen. Am oberen Ende des Raumes war die Steinwand durchsichtig und ein großer Felsvorsprung befand sich dahinter. Vor der durchsichtigen Wand stand ein einzelnes, seltsames Ding, auf das der Mensch ihn zu zog. Kurz davor ließ er die Ketten los, nahm ihm das Lederband ab und setzte sich auf das Ding. Xarix vermutete, dass er wohl darin ruhte. „Hör zu“, begann der Mensch. „Ich will dich nicht länger einkerkern, das scheint dir nicht zu bekommen. Du bist dünn und schwach geworden und ich brauche starke Drachen. Also, du tust, was ich dir befehle und dafür darfst du hier im Thronsaal bleiben. Tust du es nicht, sperre ich deich wieder in das Verließ und lasse dich dort verrecken. Ich denke, du verstehst.“ Xarix dachte nicht lange darüber nach. Alles war besser, als in das schwarze Loch zu seiner toten Mutter zurück zu kehren. „Ich habe verstanden“, sagte er und wunderte sich darüber, dass er nach all dieser langen Zeit überhaupt noch sprechen konnte. Der Mensch sprang plötzlich auf und haute ihm mit der Faust schmerzhaft auf die Nase. „Wag es nicht noch einmal, mich anzufauchen!!“, schrie er. Xarix machte sich verängstigt klein. Der Mensch verstand ihn nicht! Besser, er sprach nicht mehr mit ihm. So schnell der Mensch wütend geworden war, so schnell beruhigte er sich auch wieder. „Gut. Fangen wir an zu üben.“ Die nächsten Stunden lang gab der Mensch Befehle und Xarix befolgte sie. Er ließ ihn rechts laufen, links laufen, mit den Flügeln schlagen und sich hinlegen. Er sollte die länglichen, hölzernen Gegenstände an den Wänden – sie hießen „Tische“ – hochheben, herumtragen und abstellen. Irgendwann hatte der Mann genug und ließ ihn allein. Er schloss das Tor, zu den Stufen nach unten führte und Xarix legte sich erschöpft nahe der durchsichtigen Wand auf den Boden und beobachtete, wie die Sonne immer tiefer sank, bis er einschlief. Er schlief so fest, dass er nicht hörte, wie der Mensch später noch einmal zurückkehrte und sehr zufrieden wieder ging, als er ihn so friedlich sah. Auch dass das Tor kurz darauf ein weiteres Mal leise geöffnet und geschlossen wurde, bekam er nicht mit. Erst, als sich eine warme Hand auf seine Schuppen legte, wachte er mit einem leisen Knurren auf. Er wandte sich um und starrte den kleinen Menschen an, der da vor ihm stand und nun erschrocken gegen den hölzernen Gegenstand stolperte, den die Menschen zum Ruhen nutzten. „Wer b ist du?“, fragte er verdutzt. Da sprang der Junge plötzlich auf ihn zu und Xarix wich zu Tode erschrocken zurück. Der Junge raste zur durchsichtigen Wand, etwas klackerte und auf einmal befand er sich auf der anderen Seite. „Hey! Warte!“, rief Xarix und sprang ihm hinterher. Anders als bei dem Jungen zerbarst die Wand mit lautem Klirren, als er sie passieren wollte und er rannte panisch einfach weiter. Da tauchte ein roter Drache auf und stürzte sich aus der Luft auf ihn und verbiss sich in seinen Nacken, drückte ihn zu Boden. Doch die panische Angst verlieh Xarix ungeahnte Kräfte. Er peitschte seinem Gegner den Schwanz ins Gesicht und kam frei. Dann, ohne nachzudenken, stürzte er sich seinerseits auf den roten Drachen und kratzte und biss ihn, als ginge es um sein Leben. In seinen Ohren rauschte es und er konnte nicht klar denken. Plötzlich knallte etwas gegen seinen Schädel und er verlor sein Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, stand der grausame Mann neben ihm und schlug auf ihn ein. „Du wolltest also fliehen, ja? Du hast Freunde, die dich retten wollten! Ich stecke dich in das tiefste Loch, das ich finden kann, du Biest! Und da kannst du dann krepieren!“ Xarix sprang auf, stieß den fluchenden Mann beiseite und rannte auf das Ende des Felsvorsprungs zu. Er stieß sich ab und flog, so schnell er konnte, fort von diesem schrecklichen Ort. Freunde! Freunde, hatte der Mensch gesagt! Der Drache hatten ihn angegriffen, aber es war ein Drache! Sicherlich war das nur ein Missverständnis gewesen! Sie würden ihn gewiss mitnehmen, wenn er sie nur einholen könnte! Er flog so schnell er konnte, die Verzweiflung gab ihm Kraft. Alles war besser, als bei dem Menschen zu bleiben. Da! Dort war er! Es waren sogar zwei Drachen! Den Elementen sei Dank! „Halt! Bleibt hier! Halt!“, rief er, so laut er konnte. Einer der beiden Drachen drehte sich um und kam zurück. Erleichterung durchflutete Xarix. Alles würde gut werden. Dann öffnete der entgegenkommende Drache sein Maul und… Die gesamte Welt verwandelte sich in eine Hölle. Er schrie gequält auf, alles bestand nur noch aus rotem, purem Schmerz. Dann… kam die verhasste Schwärze zurück. Er spürte am Rande seines Bewusstseins, dass er fiel und hart landete. Er wälzte sich vor Qual. Erst eine gefühlte Ewigkeit später ließ das Brennen langsam nach. Keuchend lag er auf dem Boden. Blind. Eine weitere Ewigkeit lang. Dann erhob er sich langsam. Blickte sich um. Versuchte, die Schwärze und den Schmerz zu durchdringen. Ein Teil der Welt wurde hell. Ein sehr, sehr kleiner Teil. Er wollte schreien. Rufen, ob ihn jemand hören konnte. Doch es ging nicht. Sein Maul war wie zugeklebt. Er versuchte mehr, als nur verschwommene Schemen zu erkennen. Blickte hinauf zum kleinen hellen Fleck am Himmel – dem Mond. Doch sein Blick war seltsam klein. Beengt. Vorsichtig tastete er mit der Pfote sein gepeinigtes Gesicht. Wo einst Schuppen waren, befand sich nun eine glatte Masse. Sein rechtes Auge bestand nur noch aus einem Wulst unter dieser Masse. Er holte tief Luft und spürte, dass er nur noch durch sein linkes Nasenloch atmen konnte und als er durch sein Maul atmete, spürte er, dass auch hier nur von der linken Seite Luft hineinströmte. Er bekam Panik. Er hatte Schmerzen, war ganz allein, konnte kaum sehen! Er wollte nicht allein bleiben, aber wohin sollte er sich wenden? Die Drachen hatten ihn angegriffen! Zwei Mal! Ihm blieb nur eine Möglichkeit Zurück zum Menschen. Vielleicht würde er Mitleid haben und ihm helfen. Er sog tief Luft ein und witterte den furchtbar stinkenden Mann. Er konnte also noch nicht allzu weit weg sein. Wenn der Mensch weiterhin auf dem Felsvorsprung stehen bleiben würde, könnte Xarix mit seiner Nase den Weg zurück finden. Sein Gesicht schmerzte und spannte unerträglich. In ihm brannte eine Kälte, von der er nicht wusste, ob er sie jemals wieder abschütteln könnte. Langsam und schwankend setzte er sich in Bewegung. Dem Gestank entgegen. Und hoffte, dass die Menschen doch nicht so grausam waren, wie er bisher erfahren hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)