Black Angel von Finesa (Wo bitte geht es zur Wirklichkeit?) ================================================================================ Prolog: -------- Seit ihr schon einmal aufgewacht und habt euch gesagt, wie gut es doch ist, dass die Träume auch Träume bleiben? Ich meine: Natürlich gibt es auch schöne Träume, die man gerne erleben würde. Doch ich wage zu bezweifelt, dass man gerne die ganze Zeit eine höllische Angst leiden möchte. Außerdem... könnte es zu ganz schönen Prolemen führen, wenn man auf einmal einen Bruder hat, der nicht ganz normal ist. "Die Hörner da? Ach, die wollen wir demnächst entfernen lassen. Ich weiß es klingt komisch, doch auf einmal waren sie da. Ich weiß auch nicht genau wieso." Man denke sich noch das verlegene Lachen dazu. Nein, meiner Meinung nach ist es besser, wenn Träume, Träume bleiben. Vor allem wenn es einer ist, der dich schon eine Weile verfolgt und dich einfach nicht verlassen will. Zwar ist das auch nicht schön, aber zumindest kannst du dir sicher sein irgendwann aufzuwachen... Doch wer fragt mich schon nach meiner Meinung? Kapitel 1: Einbildung oder Wirklichkeit? ---------------------------------------- Und der Engel stürzte. Er durchbrach die Wolkenschichten und fiel – vom Schein der untergehenden Sonne angestrahlt – auf die Erde hinab. Ich riss meine Augenlider auf und mein Atem ging stoßweise, während ich in die kalte und einsame Dunkelheit der Nacht starrte. Schon wieder der Traum. Der, der mich schon seit Jahren verfolgt. Viele Traumdeuter, Psychologen und andere gebildete Leute haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen, bis sie es als unwichtig abgestempelt haben. Mit einem Marathon laufendem Herzen setzte ich mich auf und stützte meinen Kopf in meinen Händen ab. So verharrte ich, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. Danach stand ich auf und zog mir meine bequemste Kleidung an. Eine graue Jogginghose und ein übergroßes blaues T-Shirt. Warum auch nicht? Immerhin war ich hier zuhause und niemand konnte mich so sehen... Als ich in den Flur trat und den Lichtschalter gefunden hatte, spiegelten die ganzen weißen Fliesen am Boden das künstliche Licht wieder. Dieser Anblick ließ ich kurz verweilen, jedoch wurden die Fliesen auch verdammt kalt und an meinen nackten Füßen. Das flauschige meines roten Teppichs in der Küche zwischen meinen Zehen zu spüren war da schon viel angenehmer. Ich konnte aus dem Fenster hinaus sehen, als ich da nichts ahnend in meiner Küche stand und meinen extrem gesüßten Milchkaffee trank. Ein Schemen schien sich am Himmel zu bewegen und aus den Wolken zu stürzten. Ich blinzelte zweimal vollkommen perplex, ehe ich zum Lichtschalter rannte und das Licht ausschaltete, damit ich mehr sehen konnte. Tatsächlich... Da fiel, verdammt nochmal, ein geflügeltes etwas. Meine Hand fing unkontrolliert zu zittern an und etwas von der Flüssigkeit im Becher schwabbte über. Fluchend stellte ich die Tasse hin, doch als ich nun wieder aus dem Fenster sah konnte ich nur noch die einsame, kalte Nacht sehen. „Ich hab mir das eingebildet... Muss wohl ein Rest meines Traumes sein.“, redete ich mir ein und trank meinen Milchkaffee in einem Zug aus. Schließlich schlenderte ich durch die Einkaufspassagen meiner Stadt und versuchte mich abzulenken. Die Sonne stand hoch am Himmel und es war so warm, dass ich meine Jacke ausgezogen hatte und sie nun locker über meinem Arm hing. Endlich kommt der Sommer wieder..., dachte ich erleichtert. Der Winter war dieses Mal nicht nur lang sondern auch schrecklich kalt gewesen. Als ich gerade in ein Schaufenster hineinblickte und die prachtvollen Abendkleider unseres heimischen Künstlers betrachtete, da hörte ich eine fröhliche bekannte Stimme. „Syrene!“, rief sie und noch bevor ich in die Richtung blickte wusste ich schon was ich sehen würde. Susanne sah wie immer perfekt aus. Ihre blonden langen Haare lagen wieder ordentlich und ihr Kostüm wies nicht eine einzige Falte auf. Ihre ganze Aufmachung war bis in das kleinste Detail abgestimmt. „Schön dich zu sehen, Susanne.“, erwiderte ich und nach einem recht kurzem Gespräch musste Susanne auch schon wieder weiter. Ihre Kunden warteten. Jedoch verabredeten wir uns für heute Abend. Als ich wieder zuhause war hatte ich nun doch nichts gekauft, aber es war auch nichts weiter nennenswertes passiert. War das gut oder schlecht? Ich konnte mich nicht so wirklich entscheiden. Aber als es dann an der Zeit war suchte ich in meinem Kleiderschrank nach etwas, was ich anziehen konnte. Am Ende entschied ich mich für einen schwarzen Mini. Nicht zu elegant aber auch nicht zu normal. Genau richtig. Während ich im Badezimmer mit meinen Haaren kämpfte, hörte ich das Klingeln von Susanne. Ich stöhnte auf und blickte noch einmal in den Spiegel, bevor ich aus dem Bad ging und die Tür öffnete. Susanne strahlte mich an und wie ich leicht neidisch feststellte sah sie natürlich wieder wie aus dem Ei gepellt aus. „Hallo, Syrene. Schon fertig? Können wir los?“, begrüßte sie mich freundlich und ihre braunen Locken umschmeichelten ihr Gesicht. Egal, wie sie ihre Haare färbte, es passte irgendwie immer.. Was wohl ihre wirkliche Haarfarbe war? „Klar. Einen Moment noch.“, bat ich und suchte schnell meine Sachen zusammen, um sie in meine Tasche zu stopfen. Noch einen kurzen Blick in den Spiegel, um zu sehen wie unmöglich ich jetzt wieder aussah. Dann wandte ich mich mit einem Seufzen der Tür zu. „Gut, ich komme jetzt.“, meinte ich und schloss die Tür hinter mir ab. Kapitel 2: Begegnung -------------------- Im Lokal war es stickig und es roch stark nach Zigarrenrauch. Wir setzten uns an den letzten freien Tisch und warteten darauf, dass eine der gestressten Kellnerinnen Zeit für uns hatte. „Wir haben Zeit, nicht war Syrene?“, fragte Susanne und sie lächelte ohne eine Spur von Ungeduld. „Natürlich...“, murmelte ich und sah mich um. Angetrunkene Leute und aufgetakelte Tussen saßen überall herum und hier und da konnte man Gesprächsfetzen auffangen. Es ging um alltägliche Probleme, wie Ehestreit, Beruf und den neuesten Klatsch über die Arbeitskollegen. „Was ist denn los, Süße?“, fragte Susanne dann auf einmal und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. „Hm? Was meinst du?“, erwiderte ich noch nicht ganz anwesend. „Na, du schaust aus, wie sieben Tage Regenwetter. Ist etwas...? War ES wieder?“ ES. So nannte Susanne diesen einen immer wieder kehren Traum. Lange Zeit hatte ich es ihr verschwiegen, doch irgendwann hat sie meine Ausreden nicht mehr geglaubt und ich hatte ihr alles haargenau erzählen müssen. Seitdem nahm sie immer an, dass dieser Traum an meiner schlechten Laune schuld ist. Leider liegt sie dabei nicht selten richtig. „Hm... Ja... Irgendwie.“, gab ich nach einiger Zeit zu. Es war sinnlos zu lügen. „Das ist nicht gut. Dabei sah es doch so gut aus, dass ES endlich aufgehört hat... Naja, wir wollen uns doch wohl nicht die gute Stimmung davon vermiesen lassen, oder? Jetzt ist UNSERE Zeit und nicht die der bösen Träume.“ Sie war wie immer. Und ich nicht: Ich war nie wie immer. Wie wie immer auch aussehen mag. Zum Glück kam in diesem Moment eine Kellnerin und ich musste nichts darauf erwidern. Der Abend war für mich schrecklich. Ich hatte gehofft mich ablenken zu können, aber ich bekam den Traum nicht aus dem Kopf. Es schien schlimmer als jemals zuvor zu sein und ich ahnte, dass es etwas mit dem zu tun hatte, was ich an dem Morgen zu sehen gemeint hatte. Schließlich sagte ich Susanne, dass ich ein wenig frische Luft schnappen wollte und sie nickte mir leicht zu, wobei sie schon wieder mit einem Typen beschäftigt war, der sie vor einer halben Stunde angesprochen hatte. Sonst ließ sie an unseren Abenden immer alle abblitzen, doch scheinbar hatte sie meine schlechte Laune nicht mehr ausgehalten. Ich stieß die schwere Tür auf und trat in die kühle Nacht hinaus. Der Mond spendete genügend Licht und zusammen mit den Straßenlaternen konnte ich meine Umgebung einigermaßen gut erkennen. Als ich mich in der dreckigen Straße umsah, konnte ich einen Blick auf ein dunkles Federkleid erhaschen, ehe es in einer Gasse verschwand. Nur einen kurzen Moment zögerte ich noch, bevor ich meinen Mantel fester um mich schlang und zu der Gasse hinüberging. Ein besoffener Kerl fragte mich aus einem Hauseingang hinaus nach meinem Befinden und ich ignorierte ihn. Für mich zählte nur, was ich gesehen hatte. Es gab keine Laterne in der Straße, aber damit hatte ich gerechnet, als ich nun dort einbog. In dem Augenblick meldete sich zum ersten Mal an diesem Abend mein Verstand. Fragte mich nach meiner geistigen Gesundheit und wollte mich dazu drängen wieder zurück zugehen. In die Kneipe. Zu Susanne. Zu anderen Menschen. Ich sollte nicht einer Einbildung hinterher laufen. Denn genau das musste es ja gewesen sein. Ich konnte nicht weit sehen. Nur das Mondlicht half mir nun. „Hallo?“ Meine zittrige Stimme durchschnitt die Stille, die sich in der Gasse gebildet hatte und als ich weiterging konnte man nur das Klackern meiner Schuhe und meinen schnellen Atem vernehmen. „Ist hier jemand?“ So langsam kam ich mir blöd vor. Wer lief schon mitten in der Nacht in einer einsamen Gasse herum und fragte die Finsternis nach ihrer Anwesenheit? Genau. Niemand. Als nun ein Rauschen hinter mir erklang war es wahrscheinlich verständlich, dass ich herumfuhr und mein Herz fast stehen blieb. Vor mir stand das wohl schönste Geschöpf, was ich in meinem kurzem Leben hatte sehen dürfen. Zumindest soweit ich es in der Dunkelheit einschätzen konnte. Ich schätzte den Mann auf 25 Menschenjahre, zumindest hätte ein Mensch in dem Alter so ausgesehen. Er hatte lange schwarze Haare, die sein Gesicht umspielten und obwohl seine Augen schwarz wie die Nacht waren, so hatte er doch irgendwie einen sanften Hundeblick. Seine Gesichtszüge waren weich und seine Lippen schmal und blass-rot. Bis hierhin war alles in Ordnung und auch sein athletischer Körper, der in einem schwarzen weit auslaufendem Mantel steckte war nichts unnatürliches. Doch dann schienen aus seinen Schulterblättern – ich konnte das zu dem Zeitpunkt nicht genau sagen, da ich seinen Rücken nicht hatte sehen können – große schwarze und gefiederte Schwingen zu wachsen. War er ein Engel? Aber warum hatte er schwarze und nicht weiße Flügel? War er die Folge eines missglücktem Experiments? Aber warum wusste man davon nichts? Oder bildete ich ihn mir nur ein? War er in Wirklichkeit gar nicht da und das ganze nur einer meiner verrückten Träume? Fragen über Fragen und ich wusste auf keine eine zufriedenstellende Antwort. Ich wagte es nicht zu sprechen. Antworteten Halluzinationen? Bisher hatte ich keine gehabt. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Als sich der Mann dann bewegte erschrak ich leicht, da er vorher wie eine Statur da gestanden hatte. Er hob eine Hand und ich spürte, wie er über meine Wange fuhr. Seine Haut war so weich und sanft, wie sie aussah. Ein leichter Schauer lief meinen Rücken hinab. Seine Augen... Ich verlor mich fast augenblicklich in dem schwarz und all meine Widerstände fingen an bei seiner Berührung zu bröckeln. Ich wollte etwas sagen. Etwas schlaues, vielleicht witziges, aber ich brachte keinen Laut über meine Lippen. Dann – der Moment schien viel zu schnell zu vergehen – schien der Blick des Mannes verwirrt. Er ließ seine Hand sinken und trat ungläubig einen Schritt zurück – seine Augen weit aufgerissen. Viel zu langsam waren meine menschlichen Reaktionen und als ich die Hand nach ihm ausstreckte holte er zischend Luft und starrte meine Handinnenfläche ungläubig an. Noch bevor ich etwas sagen konnte, bevor ich Fragen stellen konnte schlug er mit seinen Flügeln und wurde eins mit der dunklen Nacht. Ich konnte ihm nur bis ins Mark verwirrt hinterher starren. Nach einer Weile – ich wusste nicht wie lange, da mein Zeitgefühl ausgesetzt hatte – hörte ich Susannes Stimme. „Syrene! Ich hab dich schon überall gesucht! Wo warst du nur, du dumme Pute? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht!“, erklang ihre melodische Stimme hinter mir. Nach ein paar Sekunden kam dann auch der dazugehörige Körper in mein Blickfeld. „Ach du meine Güte! Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“, stellte sie fest und sie sah mich abschätzend an. „Komm, wir gehen jetzt erst einmal wieder rein und dann gebe ich einen aus, ja?“ Kapitel 3: Von Federn und Briefen --------------------------------- Als ich am nächsten Morgen wach wurde hatte ich schreckliche Kopfschmerzen. Na super... vielen Dank auch Susanne. Aber vielleicht sollte ich nicht so gemein sein, immerhin hatte sie gewusst, was ich an diesem Abend noch gebraucht hatte. Sie hatte selbst diesen komischen Typen weggeschickt, damit wir uns schön hatten besaufen können. Es war wohl ein richtiges Wunder, dass wir nicht mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gekommen sind. Eines jedoch war mir nicht ganz klar. Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie wir in der Kneipe gefeiert hatten, aber ich weiß nicht mehr, wie ich in mein Bett gekommen bin. Irgendwo zwischen ins-Taxi-einsteigen-und-den-Fahrer-an lallen und dem müde-auf-dem-Bett-einschlafen hatte ich einen Gedächtnisverlust. Nun gut, lag bestimmt am Alkohol oder was-weiß-ich. Dann habe ich halt ein komisches Erinnerungsvermögen, na und? Irgendwann konnte ich die Kopfschmerzen nicht mehr aushalten und außerdem wollte ich wissen, ob es Susanne genauso ging, wie mir. Ich brauchte gerade eine Leidensgenossin. Also warf ich mir zwei Aspirin in den Rachen und spülte mit Leitungswasser nach, ehe ich zum Telefonhörer griff. Das Tuten kam mir unendlich laut vor, aber ich hielt es still leidend aus. 25 Sekunden, 26, 27, 28, 29... Warum nahm sie verdammt nochmal nicht ab? Es war drei Uhr nachmittags! Kurzzeitig bekam ich fast eine Krise, bevor mir klar wurde, dass es ihr wohl noch schlimmer erging als mir und sie bestimmt mehr Schlaf brauchte. Immerhin hatte sie viel früher mit dem Trinken angefangen als ich. Ich legte also auf und setzte mich dann – unschlüssig, was ich nun machen sollte – auf den Stuhl in der Küche und starrte Löcher in die Luft. Ich dachte an nichts und es war unendlich befreiend. Einfach nur dazusitzen und an nichts zu denken. Was wollte ich im Moment mehr? Ich wollte wissen, was es mit meinen Einbildungen auf sich hatte. Hatte ich einfach zu viel getrunken? Aber zu dem Zeitpunkt war mein Promillewert an Alkohol im Blut doch sehr gering gewesen. Sollte ich vielleicht mal wieder einen Psychiater deswegen aufsuchen? Nein! Ich wollte nicht schon wieder einen Job verlieren, weil man mich als arbeitsunfähig einstufte. Ich wollte auch wissen, ob es Susanne gut ging. Ein unwohles Gefühl hatte ich schon im Bauch, auch wenn ich mir gesagt hatte, dass bestimmt alles gut war. Sollte ich vielleicht Mal bei ihr vorbeifahren? Durch das Geräusch der Türklingel wurde ich plötzlich und ruckartig aus meinem Tranceähnlichen Zustand geholt. Eilig stand ich auf, um auch bloß niemanden warten zu lassen. Aber als ich die Tür öffnete sah ich erst einmal kein Lebewesen im Flur. Als mein Blick dann nach unten wanderte betrachtete ich das Ding eine Weile regungslos. Es war ganz eindeutig ein Brief. Aber auf dem ersten Blick sah man schon, dass es keine bloße Werbung oder Rechnung war. Auf der Vorderseite stand in ausgeschnittenen Buchstaben: 'Für die Auserwählte'. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich mich dazu in der Lage sah den Brief aufzuheben und die Tür, nach nochmaligem Umsehen, zu schließen. Mit dem Brief in der Hand – welchen ich jetzt im Gehen hin und her wendete – ging ich in mein Schlafzimmer und setzte mich auf mein Bett. Dieser Brief machte mich unruhig und ich war nicht einfach nur aufgewühlt, sondern auch verwundert und verwirrt. Ich wurde daraus einfach nicht schlau. Doch den Brief aufzumachen schien mir nicht rechtens zu sein. Vielleicht war er ja nicht für mich? Immerhin konnte ich mich nicht daran erinnern irgendeine Auserwählte zu sein. Vielleicht hatte jemand etwas mitbekommen? Über meine Träume und die Einbildungen und wollte sich jetzt über mich lustig machen? Vielleicht war ich auch einfach zu misstrauisch, immerhin konnte es auch irgendeine ausgeklügelte Werbeaktion sein. Nun gut, ich merkte selbst, wie unwahrscheinlich das klang. Meine Beine angewinkelt nach oben gestreckt lag ich auf dem Bauch auf meinem Bett und betrachtete den Brief eindringlich. Nach ein paar Momenten sah ich etwas schwarzes in meinem Blickfeld. Auf der roten Bettdecke fiel es nicht sehr auf. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, dass es eine Feder war. Nachdenklich legte ich den Brief auf mein Kopfkissen und nahm die Feder behutsam in die Hand. Sie war weich und ich fühlte etwas flauschiges, als ich über den Strich fuhr. Es ist das gleiche Schwarz, wie bei seinen Flügeln, dachte ich und schon im gleichen Moment schüttelte ich innerlich heftig den Kopf.Was war nur los mit mir? Warum hatte ich so wirre und unlogische Gedanken? Die Antwort auf die Frage wusste ich natürlich, aber es einzugestehen würde heißen, dass ich zugab, dass es geflügelte Menschen gab, die das Aussehen eines Gottes hatten und dann auch noch hilflose, betrunkene Frauen ins Bett brachten, um dann ohne ein Wort abzuhauen... Oder war diese Feder ein Zeichen? Halt! Stopp! Bis hier hin und nicht weiter! Das hatte ich doch alles schon einmal durchgekaut. Bin ich für etwas bestimmt? Ist es etwas magisches, dass ich diese Träume habe? Wird mich dieser Engel irgendwann einmal besuchen kommen? Der Lärm der Autos auf der Straße drang in den Raum hinein. Normalerweise höre ich hier gar nichts, aber normalerweise bin ich auch nicht so still. Damals war ich jung und naiv gewesen. Ich habe die Existenz von Übernatürlichem für möglich gehalten. Doch heute... Ich sollte mich nicht so leicht von dieser Geschichte faszinieren lassen. Eigentlich sollte ich den Brief mit der Feder einfach entsorgen. Aber etwas hielt mich davon ab. Der Teil meines Verstandes der solche Dinge noch für möglich hielt. Der sich nicht hatte umstimmen lassen. Ich betrachtete den Brief nun neugierig. Aber vielleicht sind ja all diese Überlegungen vollkommen überflüssig. Vielleicht war dieser Brief und die Feder gar nicht das, was mein Herz zu hoffen wagte. Vorsichtig nahm ich den Brief wieder in die Hand und öffnete ihn. Die Geräusche von zerreißendem Papier durchschnitt die Stille. Nachdem ich den Brief ein paar Mal durchgelesen hatte, lag ich jetzt mit angezogenen Beinen auf dem Bett. Ich war viel zu geschockt, um zu weinen. Das muss ein Scherz sein. Das darf nicht wahr sein... Niemals!, dachte ich verzweifelt. Aber ich wusste es doch. Es muss wahr sein.Alles sprach dafür und eigentlich war es auch nicht so schlimm, wenn man Mal davon absah, dass man mich mit solchen Mitteln bekommen wollte. Sie hatten Susanne. Zumindest behaupteten sie es. Aber das würde so einiges erklären. Zum Beispiel warum sie nicht ans Telefon ging. Aber ich brauchte Gewissheit. Ich hatte bis Sonnenuntergang Zeit. Zumindest etwas. Wenn ich jetzt los ging und zu Susannes Wohnung fuhr, um dort nach ihr zu suchen, dann nahm ich diesen mysteriösen Brief ernst. Wollte ich das? Es klang verführerisch, was da drin stand. Auf seine eigene Weise. Kapitel 4: Entführung! ---------------------- Ich stand vor der weiß lackierten Tür und sah mich um. Schon als ich aus meiner Wohnung herausgegangen war kam es mir so vor, als wenn mich etwas beobachtete. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend klingelte ich und lauschte der Melodie im inneren der Wohnung – Keine Reaktion. Na ja, vielleicht hatte Susanne einen festen und tiefen Schlaf? Zum Glück wusste ich, wo ich den Schlüssel fand. Mit einem Klicken öffnete sich die Tür und ich trat in den hellen, mit Parkett ausgelegten, Flur. Fünf Türen führten von hier ab. Eine Küche, ein Bad, ein Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer und ihr Schlafzimmer. Jedes Zimmer war verwüstet. Hier war nichts mehr so, wie vorher. Als ich mich im Schlafzimmer umsah bemerkte ich die einzige Ausnahme. Der Kleiderschrank war nicht zu Schrott verarbeitet worden. Aber das wichtigste war der Spiegel. Auf jenem stand in sauberer Handschrift und großen roten Buchstaben: 'Sie ist nicht hier. Suche nicht länger nach ihr. Wir erwarten dich Sonnenuntergang beim Kriegsdenkmal.' Kurz nachdem ich es gelesen hatte verblasste die Schrift und verschwand schließlich völlig. Es ärgerte mich, dass ich so leicht zu durchschauen war, aber noch mehr verängstigte mich das hier. Was sollte ich machen? Scheinbar wurde es ernst, aber es war auch keine direkte Gefahr. Trotzdem... sie hatten Susanne. Vielleicht sollte man der Polizei Bescheid sagen? Ich stellt es mir nicht sehr viel versprechend vor, wenn ich anfange von so etwas zu sprechen. Außerdem bin ich in den Akten vorgemerkt. 'Ach ja, Syrene. Schön sie hier zu sehen. Haben sie mal wieder etwas ungewöhnliches beobachtet? Ach, ihre Freundin ist entführt worden? Nachdem sie einem Mann mit Flügeln begegnet sind? Sie haben an dem Abend viel getrunken? Aha, na dann...' Meine Chancen dort wären gen Null. Einen anonymen Anruf kann ich auch nicht tätigen. Dafür bin ich viel zu bekannt. Außerdem wusste ich nicht worauf man dabei achten muss. Also schied das ganz eindeutig aus. Aber was dann?... Es blieb mir wohl oder übel nichts anderes übrig, als dieser Aufforderung nachzukommen. Später saß ich auf meinem Sofa und zappte lustlos durch das Fernsehprogramm. Ich war aufgewühlt. Was zog man zu so etwas an? Machte man sich schick, damit man vielleicht gut verhandeln konnte? Zog man sich unbegehrenswert an, damit man nicht falsche Gedanken weckte? Oder doch eher etwas praktisches? Seufzend stand ich auf und schaltete den Fernseher aus. Es hatte ja doch keinen Sinn. Am Ende hatte ich mir eine Jeanshose und eine rot-schwarz karierte Bluse angezogen. Darüber eine schwarze Stoffjacke und dunkle Turnschuhe. Ich nahm ein Taxi zum Denkmal und bezahlte den Fahrer großzügig, da er es geschafft hatte, dass ich rechtzeitig da war. Sobald die Sonne unterging wurde die Figur angestrahlt vor der ich stand. Sie war fast fünf Meter hoch und zeigte einen Reiter auf seinem Pferd. Ich hatte nie ganz verstanden warum Pferd und Reiter in verschiedene Richtungen sahen, doch war es wahrscheinlich irgendeine Metapher. Was auch immer. Es interessierte mich im Moment herzlich wenig. Ich wartete darauf, dass irgendetwas geschah. Ich wusste zwar nicht was, aber irgendetwas musste doch geschehen. Es passierte... nichts. Zumindest bemerkte ich es nicht sofort. Erst später wurde mir klar, dass sich die Menschen von dem Ort entfernten. Einkaufende verloren die Lust und gingen nach Hause; Bewohner fanden, dass es ein schöner Abend war, um Essen zu gehen; und so weiter. Als man mir dann auf die Schulter tippte erschrak ich fürchterlich. Ich fuhr herum und sah in das Gesicht von... Ja, von wem eigentlich? Das etwas hatte eine dunkle Kutte an und die Kapuze so weit in das Gesicht gezogen, dass man nur wage Konturen und Dunkelheit sah. „Äh... Hallo?“, stotterte ich verunsichert. Der Typ machte keine Anstalten die Begrüßung zu erwidern. Stattdessen streckte er seine Hand aus und tippte mich ein weiteres Mal an. Dieses Mal auf die Stirn und ich sah nur noch schwarz. Und ich wette er fängt meinen Sturz auch nicht auf!, dachte ich grimmig, bevor ich bewusstlos wurde. Kapitel 5: Tote Väter reden nicht? ---------------------------------- Ich hörte leises Flüstern. Einmal wurde mein Name genannt, doch die andere Worte verstand ich nicht. Der Untergrund auf dem ich lag war weich und ich roch ein angenehmes Aroma. Etwas zimtig, so schien es mir. Bevor ich jedoch meine Augen aufschlug, wollte ich noch ein wenig so tun, als wenn ich immer noch bewusstlos war. Erfolglos, wie sich kurz darauf herausstellte. „Sie ist wach.“, brummte eine tiefe Männerstimme feststellend neben mir. Etwas kratze abei meinen Erinnerungen, aber ich konnte es nicht wirklich einordnen. „Gut, du hast eine viertel Stunde Garreth. Keine Minute mehr.“, kam es von weiter weg und dieses Mal klang es nach einer Frau. Eine Tür schloss sich und ein Stuhl neben mir knarrte. „Du kannst jetzt ruhig die Augen öffnen. Ich weiß eh, dass du wach bist.“ Widerstrebend hob ich ein Augenlid an und sah nur die weiß tapezierte Wand und ein bisschen von braunen Haaren. Nach ein paar Sekunden öffnete ich probeweise auch das andere Auge und... schloss es gleich darauf Beide wieder. „Du bist nicht da. Du existierst nicht...“, murmelte ich vor mir hin. Neben mir hörte ich ein genervtes Seufzen. „Schön zu wissen, dass ich nicht existiere. Immerhin wünsche ich mir das schon seit einiger Zeit.“, kam es von dem Mann. Doch jetzt weiß ich, dass es nicht irgendein Mann war. Das war wahrscheinlich schlimmer, als es nicht zu wissen. „Könntest du jetzt endlich mal so freundlich sein und deine Augen öffnen? Ich habe, weiß Gott, nicht den ganzen Tag Zeit!“, grummelte er neben mir. Nach ein paar Sekunden kam ich eingeschüchtert dieser Aufforderung nach. Neben mir saß mein Vater. Wenn das nicht schon schlimm genug war, so muss man ein paar Dinge hinzufügen. Zum einen habe ich meinen Vater seit meinem 10. Lebensjahr nicht mehr gesehen, da er meinte mit einer anderen Frau als meiner Mutter durchbrennen zu müssen. Zum anderen war mein Vater seit drei Jahren tot. Ich war damals auf seiner Beerdigung gewesen und habe zugesehen, wie der Sarg in das Loch verfrachtet wurde. Aber dennoch... hier saß mein Vater neben mir und blickte mich mit seinem üblichen strengen Blick an. Als Kind hatte ich ihn schon nicht sonderlich gemocht. Ich durfte nie etwas, obwohl mein Vater nie oft zuhause gewesen war. Höchstens einen Monat im Jahr. Aber wenn er mal da war, dann sagte er meiner Mutter immer, dass sie strenger zu mir sein musste. Mein Bruder hingegen durfte alles. Er hatte komplette Narrenfreiheit genossen, seitdem er fünfzehn gewesen war. Wir sind sehr oft umgezogen. Angeblich wegen der Arbeit meines Vaters. Aber er war doch so gut wie nie zuhause! Na ja, was genau er gemacht hatte war mir auch nie so ganz klar geworden. Irgendwas mit Verwaltungsarbeiten hatte es zu tun. „So ist sie brav. Schön die Äuglein offen lassen.“, kam es von meinem Vater. „Deine Stimme hat sich verändert.“, rutschte es mir heraus. Deswegen hatte ich sie auch nicht gleich erkannt. „Früher klang sie heller, fröhlicher.“ Der Mann neben mir zog seine Augenbrauen zusammen. „Kann schon sein, aber ich wüsste nicht, was es dich angeht, wie meine Stimme war. Außerdem... so etwas dürftest du gar nicht wissen... Ich kenne dich nicht... Du kennst mich nicht.“, knurrte er fast und dann packte er mir grob an den Oberarm und zerrte mich auf dem Sofa in eine aufrechte Position. Er.. kannte mich nicht? Aber er war mein Vater! Ja, seine Stimme hatte sich verändert aber sonst stimmte alles! Bis zum herzförmigen Leberfleck an seinem Hals, den er mir vererbt hatte. Wieso leugnete er dann mich zu kennen? Wobei man nicht vergessen durfte, dass er eigentlich unter ein paar Metern Erde liegen sollte. „Du bist... tot.“, meinte ich und versuchte meinem Vater in die Augen zu sehen, während er scheinbar überprüfte, ob noch alle Körperteile vorhanden waren. Bei meinem Oberkörper schlug ich seine Hand weg. „Damit ist alles in Ordnung, danke.“, knurrte ich leise. „Schön, dass du mich an den Umstand meiner Existenz erinnert hast, aber wie ich schon einmal sagte geht es dich nichts an. Außerdem wüsste ich gerne woher du so etwas weißt.“, kam es zur Antwort und innerlich schlug ich meinen Kopf auf einen beliebigen Tisch. Wie konnte man nur so ignorant sein? „Was ist mit Susanne?“, fragte ich nun, da mir wieder einfiel, warum ich eigentlich hier war. Wie konnte ich das nur vergessen? Aber es war auch so verwirrend hier. Dieses... Ganze. „Ihr geht es bestens.“ Mein Vater war gerade dabei einen Zettel auf dem Klemmbrett auszufüllen und damit schien das Thema für ihn beendet. Doch ich wollte mich nicht mit so einer Aussage zufriedengeben. Vor allem nicht, da man zur Zeit für mich mehr Fragen hinzufügte, als dass sie geklärt wurden. „Ich will sie sehen und mich persönlich davon überzeugen.“, forderte ich und reckte mein Kinn leicht in die Höhe. Ich erhoffte mir damit ein wenig mehr Autorität.... erfolglos. „Nein.“, war das einzige, was mein Vater dazu zu sagen hatte. Sein Blick fuhr scheinbar ziellos über den derzeitigen Zettel. „Hast du irgendwelche Krankheiten? Musst du regelmäßig irgendwelche Medikamente einnehmen?“, fragte er stattdessen und blickte dabei nicht vom Blatt auf. Ich nutzte die Zeit mir meine schmerzenden Oberarme zu reiben. Hatte er früher einen so kräftigen Griff besessen? Ich war mir nicht ganz sicher. „Nein.“, antwortete ich automatisch. „Es sei denn Wahn ist eine behandelbare Krankheit.“ „Wahn?“, fragte er verwundert und sah sogar auf. „Ja, Wahn. Etwas, was du eigentlich wissen solltest, verdammt!“ Tat mein Vater nur so? Er hatte mich doch fast jeden Tag an dem er Zuhause war zu irgendwelchen Psychiatern geschleppt. Er musste es doch am Besten wissen. „Was sollte ich wissen?“, fragte er nur noch verwundert ehe er leicht seinen Kopf schüttelte. „Hör auf mit diesen Spielchen!“ Nach einiger Zeit hörte ich: „Gut.. also keine Krankheiten. Was ist mit Impfungen?“ Ein aufgebendes Seufzen entglitt mir und dann ließ ich die restlichen Fragen über mich ergehen. Es hatte keinen Sinn. Scheinbar wollte er mich nicht kennen oder er tat es wirklich nicht. Kapitel 6: Nutzlos... --------------------- Wir waren gerade dabei meine körperliche Fitness zu besprechen, als sich die Tür öffnete und eine junge Frau schüchtern ihren Kopf herein streckte. In ihren Adern floss den Zügen nach japanisches Blut. Sie schien mir sympathisch und das sie mir nicht gleich am Oberarm packte und hinter sich her zog war auch schön. Ich spürte jetzt schon, dass mein Arm an der stelle demnächst mit blauen Flecken übersät war. Sie führte mich durch Flüre und Gänge und es behagte mir nicht, dass ich nirgends ein Fenster sah. Entweder hatten sie das beim Bau dieses Hauses vergessen... oder dies war kein Haus. So lange, wie wir schon gingen war mir bald klar, dass es dann ein ziemlich großes Haus sein müsste... Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinab und nun achtete ich stärker darauf ein Fenster zu finden. Ich sah mich fast hilfesuchend nach einem um. Es musste doch irgendwo eines geben! „Wir sind da.Wenn du durch die Tür gegangen bist, dann wartet auf dich unsere Chefin. Setz dich auf den Stuhl.“, sagte die Frau mit leichtem Akzent. Ich blinzelte sie nur an, da ich mit meinen Gedanken noch nicht ganz auf der Höhe war. Im nächsten Moment war sie mit einem Lächeln auf den Lippen... verschwunden. 'Wo ist sie?', dachte ich verzweifelt. 'Sie war doch eben noch hier... Verdammt!' Verwirrt und ein wenig verunsichert sah ich das Portal – Pardon – die 'Tür' an. Es waren zwei große Holzflügel und irgendwie war ich mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht würde öffnen können. Na ja, dann hatte ich wenigstens eine Entschuldigung. Vielleicht konnte ich ja stattdessen nach Susanne suchen? 'Wo habe ich mich da nur hinein geritten?' Ich startete einen halbherzigen Versuch nach der Klinke zu greifen, die mit einem goldenen Löwenkopf verziert war. Als die beiden Holztüren dann jedoch ohne mein Zutun aufschwangen erschrak ich fürchterlich. Dahinter war ein dunkler Raum. Einige Kerzen waren entzündet und in der Mitte war ein hell erleuchteter roter Stuhl zu sehen. Zum ersten Mal spürte ich Angst. Dagegen war ich vorher nur beunruhigt gewesen. Diese Angst erfüllte mich schwarz und zähflüssig. Die Lichtkegel der Kerzen schienen auf ein paar Gesichter und sie gaben mir eine Ahnung davon, wie voll hier der Raum war. Ich musste meine Füße dazu zwingen zu dem Stuhl zu gehen und alle möglichen Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Sie hatten in dem Brief behauptet, dass ich einzig zu ihnen gehen muss und mir anhören soll, was sie zu sagen haben. Dann ließen sie Susanne gehen. Nun gut, dann musste ich wohl darauf hoffen, dass sie ihr Wort hielten und die wirren Gedanken an meinen Vater irgendwie ausblenden. Denn das konnte ich nun weiß Gott nicht gebrauchen. Der Weg zu dem Stuhl war nicht nur verdammt lang, ich konnte auch nicht genau sehen wohin ich trat. Vorsichtig stieg ich hinauf auf das Podest und die Stille war unheimlich und schrecklich durchdringend. Die einzigen Geräusche gingen von mir aus und mit jedem Mal wurde es demütigender. Aus der Nähe konnte ich sehen, dass der Stuhl mit rotem Samt gepolstert war und mit goldenen Stickereien versehen war. Doch bevor ich sie genauer studieren konnte setzte ich mich auch schon darauf. Meine Nerven waren zum zerreißen gespannt und in der Stille hörte ich mich schnell atmen – fast keuchen. Ich wagte mich nicht einmal umzusehen – so viel Angst hatte ich vor dem, was ich sehen könnte. Das Geräusch von Flügelschlägen lenkte meinen Blick unwillkürlich nach oben. Zuerst sah ich gar nichts und bis zuletzt nur einen verschwommenen Schemen. Doch als der schwarze und imposante Schatten dann vor mir stand wurde sie sichtbar. Eine Frau mit langen roten Haaren und einem engelsgleichen Gesicht. Weiße Schwingen wuchsen aus ihrem Rücken und innerlich fragte ich mich, wo sie denn bitte ihre Kleidung her hatte. Ihre hochhackigen schwarzen Schuhe kamen auf den Boden auf und sie strich sich einmal über ihr schwarzes Kleid. Die mit Spitzenhandschuhen bekleideten Hände lagen einen kurzen Augenblick auf ihren Oberschenkeln, als sie mich herrisch angrinste. Bei dem Anblick fühlte ich mich ein wenig Fehl am Platz und gleichzeitig fragte ich mich, ob man sie darauf hinweisen sollte, wie sie wirkte. Die Frau schien abzuwarten, bis ich mit meiner Musterung fertig war und hob dann zweifelnd eine Augenbraue. „Ich will denjenigen hier haben, der sie überwacht hat!“, durchbrach ihre Stimme die Stille im Raum und ich erkannte sie sofort wieder. Sie war im Raum gewesen, als ich aufgewacht war. Sie hatte meinem Vater gesagt, dass er nicht so lange brauchen sollte. Herbeieilende Schritte zeigten, dass jemand dem Befehl Folge leistete und ein leises Murmeln brach unter den Anwesenden aus. Doch als die Frau strafend in die Runde blickte erstarb es wieder. „I... Ich war es, Herrin.“, kam eine piepsige Stimme hinter meinem Rücken. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und den Neuankömmling angesehen, doch ich traute mich nicht mich zu regen. „Sie hat nicht einmal Anzeichen dafür, dass es schon ausgebrochen ist. Es ist immernoch in ihr und entzieht sich ihrer Kontrolle. Sie ist NICHT brauchbar.“, giftete die Frau und mir wurde sie gerade verdammt unsympathisch. Sie hatte sich nicht einmal vorgestellt und dann bezeichnete sie mich als unbrauchbar. Ich war wirklich angefressen und schnappte unwillkürlich nach Luft. Mal ganz davon abgesehen, dass ich kein einziges Wort verstand. „Aber... Aber sie hatte doch diese Träume! Und... und...“, kam es verzweifelt hinter meinem Rücken. Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm auch wenn er mich beobachtet hatte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass diese Frau mich eben gerade als nutzlos bezeichnet hatte. „Bevor sie hier weiter anfangen herum zu giften, könnte man sich ja Mal vorstellen, finden sie nicht?“, merkte ich nun an und die Frau schenkte mir nur einen verärgerten Blick. Jetzt aber bereute ich mein Aufbegehren. Ein erleichterter Seufzer teilte mir mit, dass wenigstens einer etwas von der Aktion hatte. „Ich wüsste nicht, was jemanden wie dich auf den Gedanken bringt, dass du irgendwelche Rechte besitzt. Du bist ein NICHTS! Vergiss das niemals....“, schrie sie nun mich an. Bei jedem Wort zuckte ich leicht zusammen. „Bringt diesen Wurm aus meinem Blickfeld.“, kreischte sie und kurz darauf zerrte man mich von dem Stuhl hoch und aus dem Raum hinaus. Ich stolperte mehr, als dass ich ging. Schon jetzt spürte ich die kommenden blauen Flecken an meinen Armen. Wohin sie mich brachten merkte ich nicht einmal. Kapitel 7: Ein unangenehmes Aufwachen ------------------------------------- Ich wachte auf und war allein. Scheinbar war wieder einer so freundlich gewesen und hatte mich bewusstlos gemacht. Mir sollte es Recht sein. Solange ich nicht nachdenken konnte schien die Welt in Ordnung zu sein. Jetzt aber konnte ich gut genug nachdenken. Ich lag in einem Bett. Besser gesagt: in einem Himmelbett. Die Pfosten waren mit einer hochrankenden Pflanze im Holzmuster geschmückt. Ansonsten war der Raum ziemlich kahl. Nur ein Nachtschränkchen und ein massiver Kleiderschrank füllten den Raum aus. An der gegenüberliegenden Wand war eine dunkle Holztür. Sie war mit Mustern verziert, die mir irgendwie abstrakt vorkamen. Doch etwas störte mich und ich kam nicht sofort darauf, was es war. Doch irgendwann bemerkte ich es doch... Diese... Stille. Es schien kein anderes Lebewesen in nächster Nähe zu sein. Ich hörte nicht einmal die kleinsten Geräusche aus anderen Zimmern. Keine dumpfen Worte. Nichts. Nur Stille. Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinab und nachdem ich aufgestanden war, war ich erst verwundert und dann verärgert. Ich hatte ein Nachthemd an. Es war hellblau und wies an einigen Stellen Spitze auf. Außerdem war es verdammt knapp geschnitten an manchen Stellen. Sofort wünschte ich mir meine gewohnten Sachen zurück. Meine Jeans und meine karierte Bluse. Wahlweise auch meine Jogginghose und mein zu großes T-Shirt. Alles nur nicht das Teil. Bei der Vorstellung, dass man mich ausgezogen hatte, während ich bewusstlos gewesen war, wurde mir schlecht. Da es kein Fenster im Zimmer gab zog ich das Nachthemd eilig aus und warf es auf die rote Seidenbettwäsche. Rote Seide... geht es schlimmer? Das Ganze kam mir vor, als wäre ich im falschen Film. Sie haben gesagt, dass sie Susanne haben. Sie haben gesagt, dass sie sie unbeschadet wieder frei lassen. Sie haben gesagt, dass ich nur zuhören muss... Wie konnte ich nur so naiv sein?! Völlig nackt fühlte ich mich nun doch ein wenig schutzlos. Mein Blick viel auf den großen Kleiderschrank und mein Widerstand dauerte nicht lange an. Vielleicht ist ja meine Kleidung in dem Schrank? Ich darf ja wohl mal ein wenig Glück haben... Langsam umrundete ich das Himmelbett und ging auf das Ungetüm aus Holz zu. Scheinbar mag hier jemand sehr diese Art der Einrichtung, dachte ich und streckte meine Hand nach dem rechten Flügel aus. Kurz danach griff ich mit der Hand nach dem linken goldenen Griff. Der Löwenkopf verschwand unter meiner Hand und mit einem kräftigen Ruck öffnete ich den Kleiderschrank. Nach ein paar Minuten entglitt mir ein genervtes Stöhnen. Wer auch immer diese geflügelte Frau war... Ich hatte scheinbar den Platz gefunden an dem sie ihre geschmacklosesten Teile aufbewahrte. Von meiner Jeans und meiner Bluse war weit und breit nichts zu sehen. „Dann wollen wir mal sehen, was wir daraus machen können...“, murmelte ich, damit die Stille wenigstens ein wenig gefüllt wurde. Eine viertel Stunde später hatte ich ein schwarzes Kleid an. Ich hatte es in den Tiefen des Schrankes gefunden – zusammengeknüllt. Es bestand nicht aus Leder, wie viele andere Dinge, sondern aus Seide. Die Rüschen und die Spitze betonten den tiefen Ausschnitt und auch sonst ließ das Kleid bei meinen Konturen nichts im Unklaren. Nur der Rock, der bis zur Mitte meines Oberschenkels ging war ein wenig auslaufend. Ich sollte nur vermeiden mich allzu schnell umzudrehen, da man sonst einen guten Blick auf meine Unterwäsche gewann. Ich hatte niemals zuvor in meinem Leben so viel Spitze gesehen. Jetzt, wo ich einigermaßen annehmbar aussah musste ich meine weitere Vorgehensweise überlegen. Ich wusste nicht, wo ich war und nicht, wo Susanne war. Aber zuerst einmal konnte ich ja ausprobieren, ob die Tür offen war. Sie war offen. Als ich die Klinke herunterdrückte sprang sie geräuschlos nach innen auf. Draußen sah ich weitere Türen und eine Treppe, die nach unten führte. Die Türen waren im Kreis an den Wänden angeordnet, um das Loch herum. Denn aus dem Boden fehlte ein ganzes Stück und man konnte so sehen, dass es in den Etagen weiter unten nicht anders aussah. Ich ging noch zwei Schritte und dann stand ich auch schon am Geländer. Als ich mich etwas nach vorne lehnte konnte ich erkennen, dass dieses Schema noch über vier weitere Stockwerke nach unten weiterging. Beim Blick nach oben war es nur noch eine Etage, die ich erspähte und einen Flur. Vielleicht komme ich bei dem Flur weiter. Die anderen Türen führen wahrscheinlich nur in solche Zimmer, wie in dem ich erwacht bin., dachte ich und ich hoffte, dass es nicht darauf hinauslief, dass ich jede Tür öffnen musste und jedes Zimmer absuchen musste. Auf einer Etage waren das schon zwanzig Zimmer. Das Mal die sechs Stockwerke macht hundertzwanzig Zimmer. Hundertneunzehn. Immerhin wusste ich ja, dass Susanne nicht in meinem Zimmer war. Leicht schüttelte ich mit meinem Kopf. Ich sollte nicht so rumstehen, sondern besser losgehen und die Treppe hinauf ins obere Stockwerk gehen. Als ich vor dem Flur stand hielt ich inne. Diese Stille... unheimlich... Außerdem war ich bisher keiner Menschenseele über dem Weg gelaufen. Was war hier nur los? War das irgendein kranker Traum? Nein, dazu dauerte das schon zu lange. Außerdem fühlten sich die blauen Flecken verdammt real an. Aber was war es dann? Ich atmete tief durch und ermahnte mich dann, dass dazu keine Zeit war. Ich hatte schon zu viel Zeit gebraucht etwas anzuziehen. Jetzt musste ich Susanne finden und möglichst schnell einen Weg hier raus entdecken. Mit Entschlossenheit ging ich in den Flur hinein und ließ die ganzen Türen hinter mich zurück. Kapitel 8: Freakshow? --------------------- Ich lief noch nicht lange ziemlich planlos in den immer gleich aussehenden Gängen herum, als ich ruckartig stehen blieb. Vor mir zweigte ein Gang nach rechts ab und aus dem hörte ich gerade eine mir sehr bekannte Stimme. „Was sollte das?! Wie kommst du darauf, dass das besser für sie ist? Wir hatten eine Abmachung... vergiss das bloß nicht!“, hörte ich Susanne und ich konnte einen erleichterten Seufzer noch gerade so unterdrücken, immerhin wollte ich etwas von dem Gespräch mitbekommen – ich war viel zu neugierig, um mir das entgehen zu lassen. Mal ganz davon abgesehen, dass man mich dann entdecken könnte und ich war mir irgendwie ziemlich sicher, dass ich nicht alleine hier herumlaufen sollte. Aber was erwartete man denn von mir? Das ich brav in dem Zimmer sitzen bleibe? Dann hätten sie ja auch abschließen können... „Ich werde es nicht vergessen... Bestimmt nicht... Wie sollte ich auch?“, erklang eine tiefe Stimme und ich meinte so etwas wie Schmerz darin mitklingen zu hören. Ich kannte die Stimme nicht, aber sie brachte meine Nackenhaare dazu sich aufzustellen oder zumindest hatte ich das Gefühl. Unwillkürlich zupfte ich an dem Zipfel meines Kleides, damit es mehr Haut bedeckte und mir Wärme spendete. Doch eigentlich war es hier warm genug. Wie sie das wohl alles heizten? Hier unten musste es doch total kalt sein, so ohne Fenster... Wahrscheinlich hatten sie eine ziemlich hohe Rechnung. „Dann sorge endlich dafür, dass sie damit aufhört! Ich halte es bald nicht mehr aus! Immer beobachten hier, auskundschaften da, sinnloses beschatten von unwichtigen und schwachen Personen... Du weißt es genauso, wie ich, was sie uns vorenthält...“, fuhr Susanne fort und danach schien sie auf eine Bestätigung ihrer Worte zu warten. Ob sie sie bekam oder nicht konnte ich nicht sagen. Vielleicht hatte sie es auch einfach aufgegeben. „Du bist derjenige, der am ehesten etwas ausrichten kann... Lass uns nicht hängen...“ Dieses Mal hatte ihre Stimme die vorige schärfe verloren, stattdessen meinte ich etwas von einem Flehen darin zu erkennen. Es schockierte mich, weil ich es nicht kannte, dass Susanne flehte... Sie war doch viel zu perfekt, um zu flehen. Es dauerte eine Weile in der niemand etwas sagte und dann hörte ich ein paar Schritte, die sich rasch entfernten. In dem Moment bekam ich es mit der Panik zu tun. Wer war gegangen? Der Fremde oder Susanne? Bei dem Fremden war ich mir ziemlich sicher, dass ich mich verstecken sollte. Bei Susanne war ich mir im Unklaren. In letzter Zeit war so viel passiert und dann das eben... Ich war sie zwar suchen gegangen, aber nach diesem Gespräch wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Ich dachte sie wurde entführt? Warum lief sie hier herum und sprach so normal mit den Leuten? Egal, was das alles hier eigentlich war – ob Irrenanstalt oder Freakshow – sie schien dazu zu gehören. Aber sie war doch immernoch Susanne, oder? Ich fühlte mich überfordert und kurz entschlossen öffnete ich die nächstbeste Tür – die zum Glück offen war – und schloss sie möglichst lautlos wieder. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an die Tür und dann hörte ich auch schon Schritte, die näher kamen. Näher und näher und dann... vorbei. Ich atmete einmal heftig aus und war froh darüber so einen kühlen Kopf bewahrt zu haben. Oder zumindest so etwas ähnliches. Doch dann fiel mir etwas anderes ein und ich öffnete langsam meine Augen. Nur ein Lichtschein von unter der Tür beleuchtete meine Umgebung und das nicht einmal ansatzweise gut. Furcht überrollte mich und meine Hand zitterte, während ich nach einem Lichtschalter tastete. Als ich ihn gefunden hatte, hielt ich kurz inne. Will ich wirklich wissen, was sich in der Dunkelheit verbirgt? Was ist, wenn es besser wäre, wenn manche Dinge in der Dunkelheit bleiben? Was, wenn ich das später bereuen werde?`Bei den ganzen Sachen, die ich schon erlebt habe hier, wer weiß da, was sich in der Dunkelheit versteckt? Schließlich schüttelte ich leicht mit meinem Kopf und machte das Licht an. Kurz war ich von der Helligkeit geblendet, doch dann konnte ich sehen, was sich hinter der Tür verborgen hatte. Ich fing an zu kichern. Zu kichern und schließlich laut zu lachen. Ich war gerade dabei mich laut und ausgiebig selbst auszulachen. Bei der ganzen Aufregung der letzten Zeit tat das wirklich gut. Zum Glück konnte mich hier niemand sehen, aber wahrscheinlich wäre mir das auch egal gewesen. Ich war in einer Abstellkammer gelandet. Um genau zu sein war es ein kleiner Raum mit Regalen. Hier gab es alles, was das Putzfrauenherz höher schlagen ließ. „Oh, man. Ja genau... Der Bodenreiniger wollte lieber in der Dunkelheit bleiben...“, murmelte ich leise. So ganz war ich noch nicht darüber hinweg, als ich mich umdrehte. Eine Hand legte ich auf den Türgriff und die andere auf den Lichtschalter. Aber, wenn ich ehrlich bin, dann war meine Skepsis gerechtfertigt. Woher hätte ich das schon wissen können? Mit einem Schulterzucken drückte ich auf den Schalter. Hinter meinem Rücken hörte ich ein Knurren und das ich eben gerade zugelassen hatte, dass die Schwärze mich wieder umfing, machte es auch nicht gerade besser. Jetzt würde ich den Schalter so schnell nicht mehr finden. In meinem Kopf gab es nur noch einen Gedanken: Weg! Und das so schnell wie möglich. Ich riss die Tür auf und sprang in den Flur hinaus, um dann die Tür eilig wieder hinter meinem Rücken zu schließen. Ein Aufprall war zu hören, gefolgt von einem leisen Aufheulen. Dann war es still. Das:... war knapp. Mein Herzschlag hatte erst jetzt die Chance Adrenalin durch meine Adern zu pumpen und mich wackelig auf den Beinen werden zu lassen. Als ich aufblickte, sah ich eine Person in grauer Kutte auf mich zu eilen. Seine oder ihre Hand war hoch erhoben und ich machte Anstalten wegzulaufen, doch ich hatte nicht einmal einen Schritt getan, ehe ich in Ohnmacht fiel... oder war ich auch einfach wieder bewusstlos? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)