I will bite you like a brother von Ceydrael (Warum gerade du?) ================================================================================ Kapitel 3: Warum, zur Hölle, tust du das? ----------------------------------------- Danke für deine immer ausführlichen Kommentare, Dayce. :) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Der Montag kam viel schneller, als mir eigentlich lieb war. Es war nicht so, dass ich es nicht genossen hätte, endlich wieder zur Uni zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen, doch war mir das Wochenende ein wenig lieber. Immerhin war Dante dann meist unterwegs und ich musste meine begehrlichen Blicke nicht ständig verstecken. Ebenso entkam ich dann meist der Verlegenheit, ihn von Frauen umringt zu sehen, deren schmachtende Augen ich am liebsten aufgespießt und irgendwo über dem Feuer geröstet hätte… Ich weiß, keine sehr frommen Gedanken für einen sonst meist eher zurückhaltenden, jungen Mann. Vielleicht konnte ich es auf meine vampirischen Gene schieben, dass mich ab und an diese mörderischen Gedanken überkamen. Das wäre zumindest leichter, als das ich zugeben müsste, dass meine geistige Gesundheit unter dieser Sehnsucht nach meinem Bruder litt. »Reita, hast du mein Notizbuch irgendwo gesehen?« Hach ja, wenn man vom Teufel sprach. Oder eben an ihn dachte… Ich packte gerade meine Tasche und überprüfte mein Zimmer noch einmal auf eventuelle Dinge, die ich vergessen haben könnte, als mich hektische Schritte und rumpelnde Geräusche aus dieser watteweichen Leere rissen, die sich in meinem Kopf ausgebreitet hatte. Ich holte seufzend Luft und schüttelte für mich selbst den Kopf, nachdem ein Poltern, gefolgt von einem unterdrücktem Fluch mir mitgeteilt hatten, dass Dante wohl eben die Tür zu der kleinen Abstellkammer geöffnet hatte, die er eigentlich ja schon lange mal aufräumen wollte. Mein Mundwinkel zuckte kurz bedrohlich nach oben. »Nein, hab ich nicht gesehen.« antwortete ich nicht ohne gewisse Schadenfreude. »Aber ich glaube nicht, dass es in der Abstellkammer ist.« »Woher weißt du, dass ich da suche?« folgte die Frage, die von angestrengtem Stöhnen begleitet wurde. Mein Bruder versuchte wohl eben, dieses seltsame Sportgerät, dass er vor Monaten gekauft aber nie benutzt hatte, wieder in seine ursprüngliche Warteposition in dieser Rumpelkammer zu bekommen. Ich blätterte durch eines meiner Lehrbücher und kontrollierte, ob auch alle meine Stifte schrieben, da diese oft die Eigenart entwickelten, es nicht zu tun. »Anhand der Geräusche hab ich einfach mal geraten.« Ein flüchtiger Blick auf meine Armbanduhr erinnerte mich daran, da sie es mir mit hübschen, silbernen Zeigern verkündete, dass wir den Bus nicht mehr schaffen würden, wenn wir nicht in den nächsten 10 Minuten die Wohnung verließen. Seufzend rieb ich mir die Stirn, schwang mir meinen Rucksack über die Schulter und sah kurz im Vorbeigehen in den Spiegel. Dante hatte das Chaos der Abstellkammer wohl doch in seine Schranken gewiesen, denn nun kniete er vor dem Sofa des Wohnzimmers und tastete fahrig darunter herum, wohl um zwischen Staubflusen und längst verschollenen Sachen sein Notizbuch zu finden. Dass mir so wieder einmal eine exquisite Aussicht auf seinen Hintern zu Teil wurde, ließ mich demonstrativ auf meine Uhr sehen. Ich war mir sicher, dass einige junge Damen für diesen Anblick eine Menge bezahlt hätten. Dante auf Knien… Vielleicht sollte ich mir mit heimlich geschossenen Fotos eine goldene Nase verdienen. »Ich will dich ja nicht stören bei deinen morgendlichen Turnübungen, aber wir müssen langsam los.« Dante warf mir einen mehr als grimmigen Blick über die Schulter zu, eindeutig sauer, dass ich nur tatenlos herumstand. »Du könntest mir ja helfen, dann ginge es schneller. Wie wäre das?!« Eigentlich hatte ich wenig Lust dazu, vor allem da mir der Anblick meines am Boden knienden Bruders doch ein wenig zu gut gefiel, doch wenn die ganze Sache noch ein wenig länger dauerte, würden wir unweigerlich zu spät kommen. Zumindest ich zu meiner ersten Vorlesung. Ich verschluckte mich an einem bissigen Kommentar, ließ meinen Rucksack genervt vom Rücken gleiten und machte mich ebenfalls auf die Suche. Irgendwie meinte ich mich sogar zu erinnern, dieses kleine Büchlein neulich doch noch irgendwo gesehen zu haben… Einer plötzlichen Eingebung folgend betrat ich das Badezimmer und steuerte zielgerichtet auf den Korb mit der Schmutzwäsche zu, aus dessen Tiefen ich doch tatsächlich das schwarze, in Leder gebundene Buch meines Bruders zog. Die Frage, wie es da hingekommen war, stellte ich mir gar nicht erst. Mit spitzen Fingern trug ich es ins Wohnzimmer. »Hab´s gefunden. Können wir nun los?« meckerte ich ungeduldig. Dante sprang erleichtert wieder auf seine Füße und trottete mir mit nervenraubender Gelassenheit entgegen. »Danke, Brüderchen.« Erst jetzt fiel mir auf, dass er sein Hemd nur zur Hälfte geschlossen hatte; das untere Ende flatterte locker um seine Hüfte und gab den Blick auf den Bund der schwarzen Jeans und ein Stück flachen, bronzefarbenen Bauches frei. Meine Augen hafteten sich an diesem Stückchen Haut fest und Speichel sammelte sich rasend schnell in meinem Mund, der plötzlich einer überfluteten Höhle glich. Für einen Augenblick verspürte ich unbändigen Durst, so hartnäckig und verzehrend, dass das Blut hinter meinen Schläfen zu hämmern begann und sachte Übelkeit mich taumeln ließ. Dantes Notizbuch rutschte mir aus den Fingern; mein Bruder war sofort bei mir und hielt mich allein mit dem Griff seiner kräftigen Hände aufrecht, die sich recht schmerzhaft in meine Oberarme klammerten. Doch für den drängenden Schmerz war ich dankbar, da er mich davon abhielt, die Lichter in meinem Kopf auszuknipsen. »Sieh mich an, Reita.« drang die dunkle, befehlende Stimme meines Bruders durch den Nebel, der schlagartig in meinem Kopf aufgezogen war. Ich hob träge den Blick; dieser wanderte aus eigenem Willen zu Dantes Kehle, an deren Seite sein Herzschlag verführerisch pulsierte. Ein seltsam raues Knurren erscholl im Raum und ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass ich dieses Geräusch verursacht hatte. »Verdammt, Reita, du hast viel zu lange nicht getrunken. Soll ich dir eine Quelle besorgen?« Mein Gehirn arbeitete zumindest noch so gut, dass ich diesen Vorschlag vehement von mir wies. Das wäre ja noch schöner, wenn mein Bruder mich wie ein Kleinkind bemuttern müsste. »Nein, danke. Es geht schon…« nuschelte ich verzerrt, da mir meine ausgefahrenen Fänge das Sprechen erschwerten. Ich tastete mit der Zunge über die Spitzen meiner Eckzähne und war selbst schockiert, wie plötzlich und unkontrolliert dieser Hunger über mich gekommen war. Leider erschien mir das Trinken von einem Menschen einfach nur noch fad und bedeutungslos, seitdem ich diese Träume von Dante hatte, in denen wir unser Blut teilten. Doch diese nebelhaften Bilder meiner Sehnsucht würden nie Wirklichkeit werden, denn es zählte zu den größten Freveln, Blut unter der eigenen Rasse zum Zwecke der Nahrungsaufnahme zu tauschen. Das wäre so, als würden Menschen ihresgleichen essen, um zu überleben. Purer Kannibalismus. Das Vorgehen des Blutaustausches bei Vampiren diente einzig und allein der Verbindung von Liebenden, um ihre Zugehörigkeit zu verdeutlichen; ein fast heiliges Ritual, welches mit der Eheschließung vollzogen wurde, um Gefühle und die Seele zu teilen. »Wenn du bis heute Abend nichts getrunken hast, schleife ich dich eigenhändig an den Haaren raus und zwinge dich, die hässlichste Alte hier aus dem Viertel zu beißen. Ich schwöre es dir!« Dantes Zeigefinger schwebte bedrohlich vor meinem schwammigen Blick, während ich mich knurrend aus seinem Griff befreite und halbherzig nach seiner Hand schlug. »Herzlichen Dank, aber ich brauch deine Hilfe nicht.« fauchte ich. Langsam begann sich das wackelige Zeug in meinem Kopf wieder zu einem denkendem Hirn zu formen. Wenn ich etwas noch mehr hasste, als die unstillbare Gier nach Dingen, die man nicht haben konnte, dann war es die scheußliche Fürsorge meines Bruders. Seine gutgemeinten Bemühungen machten mir nur qualvoll deutlich, dass ich nie mehr für ihn sein würde, als sein kleiner Bruder, den er behüten musste. Dante zog die Hände sofort zurück, als hätte ich ihn verbal geohrfeigt. »Wie du willst.« Ich meinte eine Spur Beleidigung, vielleicht sogar Enttäuschung aus seinen Worten herauszuhören, bevor er sein Notizbuch vom Boden hob, in seinen Rucksack stopfte und sich an mir vorbei zur Haustür schob. Im Gehen warf er sich noch einen Kapuzenpullover über. »Beeilen wir uns. Wir sind spät dran.« Ach nein, wirklich?! Ich schnappte meine Sachen wortlos und verließ vor Dante die Wohnung, der die Tür hinter uns schloss. Wenn er nun auf beleidigt tat, nur weil er nicht den Babysitter für mich spielen durfte, dann würde ich ihm gleich gehörig den Kopf waschen. Ich war immerhin 19 und wohl soweit selbstständig, dass ich mich um mich selbst kümmern konnte… Ein kleiner, sehr egoistischer Teil von mir gierte nach Dantes Aufmerksamkeit und genoss es, meinen Bruder so besorgt zu sehen. Wahrscheinlich hätte dieser hässliche Teil von mir noch ganz andere Dinge getan und in Kauf genommen, um Dante Gefühle zu entlocken, auch wenn es nur der Schmerz der Sorge und des Vorwurfes sein würde. Zum Glück blieb dieses selbstsüchtige Stimmchen meist leise und machte es mir nicht allzu schwer, es hinter einer schweren Tür in meinen Gedanken wegzuschließen. Ich wusste genau, dass mich diese Stimme in einen ziemlich schwarzen Abgrund ziehen konnte, gebunden an meinen Bruder, den ich unweigerlich mitreißen würde. Ich verscheuchte diese Gedanken aus meinem Kopf und wollte lieber noch mit etwas Musik aus meinem MP3-Player nachhelfen; einen Kopfhörer schon im Ohr wartete ich vor der Eingangstür im Treppenhaus auf Dante. Die Musik beschallte schon wohltuend basslastig mein Gehör, sodass ich gar nicht mitbekam, wie jemand von draußen an der Tür hantierte. Mein Bruder kam die Treppen herunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, schoss einen missbilligenden Blick in meine Richtung und griff nach der Tür, um diese zu öffnen. War der jetzt schon wieder sauer, nur weil ich Musik hörte?! »Man, was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gem-« Ich verschluckte die letzten Worte in der Grimasse eines halbherzigen Lächelns, da ich mich umgewandt hatte und mich der alten Frau Richter gegenüber sah, die ein paar Eingänge unter uns wohnte. Sie mühte sich mit vollen Tüten und ihrem Gehstock durch die Tür. »Ah, herzlichen Dank, junger Mann. Ich hab mich wohl doch ein wenig übernommen.« Dante hielt der alten Dame die Tür galant auf, ein strahlendes Lächeln wie immer auf den Lippen, während er ihr ein paar der Tüten aus der zittrigen Hand nahm. »Kein Problem. Ich helfe Ihnen.« Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare bei dieser Freundlichkeit auf, die überhaupt nicht gespielt, sondern völlig ernst schien. Wann hatte mein Bruder mich eigentlich das letzte Mal so angelächelt? Ich befürchtete, dass dieses Lächeln leider nicht für Brüder, sondern nur für alle weiblichen Wesen auf dieser Welt bestimmt war. Selbst wenn dieses weibliche Wesen hier schon an die 80 war und so faltig im Gesicht, dass sie mit meiner zerknüllten Schmutzwäsche locker mithalten konnte. Während Dante der Frau half, die meinen Bruder anhimmelte, als wäre er der Messias persönlich, blickte ich genervt und angesäuert immer wieder auf meine Armbanduhr. Gott, das war ja nicht zum Aushalten… Dante schäkerte mit der alten Frau wie mit einem Schulmädchen und ich war fest davon überzeugt, wenn sie nicht diesen Gehstock gebraucht hätte, um überhaupt aufrecht zu gehen, sie hätte sich ihm an den Hals geworfen. Gruselig… »Wenn Sie wieder einmal Hilfe brauchen, dann klingeln Sie einfach bei uns oben. Ich bin sofort da.« »Danke, mein Junge. Sie sind ein Engel.« Ich knurrte verhalten und zog Dante an seinem Rucksack aus dem Hauseingang, da mir das langsam echt zu viel wurde und wir nun sehr wahrscheinlich zu spät kommen würden. »Der Engel muss jetzt leider gehen, Frau Richter. Bis bald.« Die alte Frau winkte uns selig lächelnd hinterher, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel und wir endlich in Richtung Bushaltestelle losmarschieren konnten. Ich stapfte mit gesenktem und starrem Blick vor mich hin, Dante neben mir, der locker Schritt hielt, die Hände gelassen in den Jeanstaschen. Immer wieder sah er schmunzelnd zu mir herüber, als würde ihn meine miese Laune ganz besonders amüsieren. Irgendwann reichte es mir und ich blieb ruckartig stehen, Bus hin oder her. Wahrscheinlich war der eh schon weg. »Musste das sein?« blaffte ich Dante an, der sich regelrecht über diese plötzliche Aufmerksamkeit meinerseits zu freuen schien, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet. Ich musste wohl wie eine tickende Zeitbombe gewirkt haben und es ärgerte mich maßlos, dass er mich schon wieder aus der Ruhe gebracht hatte. Einen flüchtigen Moment lang kam mir die Idee, dass er das vielleicht sogar mit Absicht gemacht hatte. »Ich weiß nicht, was du meinst.« kam es gelassen mit einem Schulterzucken von ihm, bevor er einfach weiterging, ohne nachzusehen, ob ich folgen würde. Er wusste wahrscheinlich eh, dass ich es tun würde. Mit schnellen Schritten war ich wieder an seiner Seite. »Du weißt ganz genau, was ich meine. Warum tust du das immer?« »Was? Einer alten Frau die Tür aufhalten?! Vielleicht, weil es höflich ist?!« »Verarsch mich nicht! Ich meine deine Schleimerei. Dein Lächeln. Deine Gesten. Die freundlichen Worte… Man, sogar bei der Alten?! Bist du eigentlich so kritisch untervögelt, dass du alles angraben musst, was rumläuft?!« Meine Stimme hatte sich zu einem wirklich unschönen Fauchen gewandelt; einen Moment klang ich wahrlich wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten war. Ehrlich angepisst. Und erst in diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass es den Anschein hatte, ich wäre eifersüchtig. Wie ein geiferndes, missgünstiges Weib. Zu diesem Schluss musste auch Dante gekommen sein, denn obwohl er weiter geradeaus sah und seinen gelassenen Gang beibehielt, schielte er flüchtig aus den Augenwinkeln zu mir herüber. »Warum regst du dich eigentlich so auf? Ist doch nichts dabei.« Ja, verdammt! Es war nichts dabei. Er hatte völlig Recht. Er war eben ein Mann. Wahrscheinlich hatten einfach 99% der Männer auf dieser Erde dieses nicht zu unterbindende Gen, was sie dazu trieb, stets nach Beute Ausschau zu halten. Musste wohl noch ein Überbleibsel aus den Anfängen der Menschheit sein… Aber zur Hölle, es störte mich tierisch! Vor allem bei Dante. Ganz besonders bei Dante! »Es geht mir eben auf den Sack.« sprach ich nun weniger laut, aber dennoch gereizt. »Man kann ja nirgends mit dir hingehen, ohne dass du mit Charme um dich wirfst, als wäre Sex gerade im Sonderangebot.« Dante lachte herzlich und rau auf, dann zog er die Kapuze seines Pullovers über den Kopf und tief ins Gesicht, da uns ein paar Sonnenstrahlen durch die Bäume der Allee streiften, die wir gerade entlangliefen. Ich tat es ihm gleich. »Reita, vielleicht solltest du auch einmal mehr lächeln und den Frauen das geben, was sie wollen. Beachtung und das Gefühl, einzigartig zu sein. Dann hättest du auch keine Probleme an eine willige Blutquelle zu kommen.« »Prima. Wenn du mit willig das alte Fleisch von vorhin meinst, lehne ich dankend ab. Dann ja doch noch lieber den langhaarigen seltsamen Typen, der über uns wohnt. Bei seinem Blut muss man zumindest keine Angst haben, dass es abgestanden schmeckt.« »Stimmt. Bei ihm musst du nur Angst haben, dass du nach dem Trinken bunte, flimmernde Sterne siehst und die Melodie von Let the Sunshine in summst.« Einen Moment herrschte Stille zwischen uns, die nur von unseren Schritten und den Motorengeräuschen der vorbeifahrenden Autos begleitet wurde. Dann brachen wir beide gleichzeitig in haltloses Kichern aus. »Der Titel hätte schon eine gewisse Ironie.« murmelte ich nach unserem gemeinsamen Lachanfall ein wenig versöhnlicher in Richtung Dante. Der schnaubte noch völlig amüsiert vor sich hin. »Allerdings.« Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, gefiel mir diese Atmosphäre zwischen uns wahrlich besser. Ich wollte Dante so gern nur als Freund sehen. Warum zur Hölle musste ich ihn lieben? Vielleicht würden einige Außenstehende meinen, dass ich nur für ihn schwärmte, da er mir so nah stand, ich mir meiner eigenen Sexualität noch nicht so wirklich sicher war und er eben die pure Essenz von Sex und Leidenschaft verströmte. Eigentlich war ich oft geneigt, dass genauso zu sehen. Eigentlich hoffte ich, dass es genauso war. Doch Schwärmerei erstarb irgendwann in ehrlichen Gefühlen für eine greifbare Person, wenn einem selbst bewusst wurde, dass man das Objekt der Begierde eh nie besitzen würde. Meine Besessenheit zog sich jetzt jedoch schon über Jahre dahin, angefangen in schlichter Bewunderung, die man wohl meist für ältere Geschwister hegte, über die ehrliche Zuneigung eines wahren Freundes, der immer bei einem war, bis hin zu der verzehrenden Sehnsucht nach mehr, die keine flüchtige Berührung oder eine brüderliche Umarmung mehr stillen konnte. Ich wollte ihn nicht lieben. Ich wollte es wirklich nicht. Ich wollte nicht ständig neidisch auf andere sein, die mein Bruder ansah. Ich wollte nicht ständig hoffen müssen, dass er mich irgendwann als etwas Besonderes sehen würde. Ich wollte nicht ständig an ihn denken müssen, wenn er wahrscheinlich von namenlosen Frauen träumte. Die Wahrheit war… ich steckte ganz tief in der Scheiße. Denn genau das tat ich. Wahrscheinlich würde ich mich ewig wie der letzte Idiot nach Dante verzehren, bis er es irgendwann bemerken und sich von mir abwenden würde oder ich daran kaputt ging. Schöne Zukunftsaussichten. Warum entschieden unser Körper und unser Herz eigentlich immer anders als unser Hirn? War das eigentlich von der Evolution so gedacht? Plötzlich spürte ich warme Finger an meiner Hand, die ich ganz in Gedanken zur Faust geballt hatte. »Hey, nicht träumen. Da ist unser Bus. Den schaffen wir noch.« Dantes tiefe Stimme zog mich in die Wirklichkeit zurück, genau wie das Gefühl seiner kräftigen Hand, die sich um mein Handgelenk schloss und mich hinter ihm herzerrte. Ich stolperte mit Dante dem Bus nach, der eben an uns vorbeigefahren war, während meine Haut unter den Fingern meines Bruders heftig zu prickeln begann und ich wahrlich einen Moment überlegte, ob ich die Stelle des Nachts verstohlen an meine Lippen pressen sollte… Ja, ich steckte wirklich in der Scheiße. Und zwar bis zur Kehle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)