Orte, die Leben verändern können von Caro-kun ================================================================================ Kapitel 1: ~ ------------ So surreal es auch klingen mochte, die kleine Hand in seiner gab ihm Halt! Dabei sollte er doch derjenige sein, der festhielt, um das Mädchen mit den braunen Locken davon abzuhalten auf die Straße zu laufen. Aber es war genau umgekehrt. Sie gab ihm Sicherheit! Ihrem sonst so starken, großen Onkel. Sie hatte ihm auch gestern geholfen. Unbewusst. Als sein Schwager sie abends zu ihm gebracht hatte. Ihr ein Abendessen zu richten, mit ihr zu spielen und sie ins Bett zu bringen, hatte ihn gut genug abgelenkt. Sogar ihr Geplapper war hilfreich gewesen. Aber nun, da sie auf dem Weg zum Krankenhaus waren, kamen die Gedanken und Sorgen wieder. Gedanken, die um die Nachricht kreisten, die er gestern erhalten hatte. Und dabei hatte es doch eine ganz normale Routineuntersuchung werden sollen. Er seufzte, während Nina weiterhin fröhlich neben ihm her hüpfte. „Ich krieg ein Brüderchen!“, krähte sie, „Ich bin jetzt auch eine große Schwester! Genau wie du ein großer Bruder für Mama bist, nicht wahr Onkel Erik?“ „Ja, genau!“, nickte er erschöpft, „Wie ich für deine Mama!“ Wie lange er wohl noch Lenas Bruder sein würde? Könnte er auf Jahre hoffen? Oder waren es nur noch Monate? Zum Glück bekam seine vierjährige Nichte von seiner Niedergeschlagenheit nichts mit. Die Kleine war viel zu aufgeregt. „Wie weit ist es denn noch? Ich will jetzt endlich das Baby sehen!“, mit aller Kraft die sie hatte, versuchte sie erfolglos ihn vorwärts zu ziehen und wurde dabei immer verzweifelter, „Komm doch etwas schneller! Du wirst ja immer langsamer!“, ruckartig riss sie jetzt an seinem Arm und sah dabei aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen, „So alt bist du doch noch nicht!“ Stimmt, so alt war er noch nicht. Oder doch? War 43 jetzt ein gutes oder ein schlechtes Alter zum Sterben? Vermutlich genau das Richtige, dachte er grimmig. Aber vielleicht müsste er ja gar nicht sterben. Es gab da schließlich diese Therapie. Während Nina beim Anblick des Krankenhauses freudig aufschrie, das nun am Ende der Straße zu sehen war, krampfte sich Eriks Herz nur noch mehr zusammen. Therapie. Was geschah da eigentlich genau mit ihm? Würde er große Schmerzen zu erleiden haben? Der Arzt hatte ihm noch nichts weiter dazu gesagt. Ob er bald für immer in diesem Gebäude festsitzen würde? Aus Angst die Fassung zu verlieren, griff er noch fester nach der Hand seiner kleinen Nichte. Hoffentlich war Lenas Freude ansteckend! Hoffentlich würde sie so heftig im Bauch kribbeln, dass er gar nicht anders konnte als zurückzustrahlen, völlig ungeachtet dessen, wie er sich gerade fühlte! Hoffentlich! Hoffentlich! Hoffentlich! Bei dem Geruch des Hospitals wurde ihm jedoch erst mal schlecht. Und als seine Schwester mit funkelnden braunen Augen und ihrem Neugeborenen im Arm auf ihn zu rannte, passierte gar nichts! Nicht ein winziges Lächeln erschien auf seinem Gesicht! Ihm wurde nur noch elender. Denn er konnte nur erschrocken den Kleinen anstarren. Seinen kahlen Schädel. Lena begrüßte zuerst ihre Tochter und küsste Erik dann überglücklich auf beide Wangen. Das tat gut! Half für einen kurzen Moment ein bisschen. Zumindest solange, bis Nina, die ihren neuen Bruder mit großen Augen betrachtet hatte, zum Sprechen ansetzte. „Der hat ja gar keine Haare!“, sagte sie. Eriks Mund öffnete sich ganz von alleine. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, was ihn dazu veranlasste, diese Worte auszusprechen. Es passierte einfach. „Gewöhn dich lieber an den Anblick!“, seine Stimme klang so rau wie noch nie, „Dein Onkel hat nämlich auch bald keine Haare mehr!“ „Richtig!“, rief sie aus und bohrte ihm ihren Zeigefinger in die Seite, „Weil du nämlich alt wirst und sie dir ausfallen!“ Aus dem geplanten kurzen Lachen wurde ein heiseres Aufschluchzen. Ach wenn es doch nur so wäre! Lena schien zu spüren, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sie beugte sich zu ihrem Mädchen. „Schatz, klopf doch mal an die dritte Tür da!“, sagte sie und deutete in einen Flur, „Da drin wartet der Papa auf dich!“ „Ist gut!“, mit diesen Worten, wuselte sie davon. Jetzt waren sie allein und ein unangenehmes Schweigen hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet. Erik hatte seinen Blick abgewandt, während die Dunkelhaarige sich aus einem Grund, den sie sich selbst nicht erklären konnte, nicht traute nachzufragen. „Willst du ihn mal nehmen?“, versuchte Lena nach einiger Zeit das Eis zu brechen. Er nickte kaum merklich und sie legte ihm ihren Sohn vorsichtig in die Arme. Der Kleine strampelte zwar ein wenig mit den Beinen, schaute den fremden Mann aber trotzdem neugierig an. Die Geschwister ließen sich nebeneinander auf den Stühlen nieder, die an der Wand standen. Sie wartete und er schwieg immer noch. Schließlich räusperte er sich. „Ich war gestern Vormittag schon mal hier!“, erklärte er mit brüchiger Stimme, konnte dann aber nicht weiterreden. Sie war da. Die Panik! Hatte ihn endgültig eingeholt, jetzt, wo er im Begriff war es auszusprechen. Plötzlich konnte er nur noch stoßweise atmen, seine Augen füllten sich mit Tränen und ihm wurde innerlich eiskalt. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er sah keinen Ausweg, wusste nicht mehr weiter und hatte keine Ahnung was er tun sollte. Nach Halt suchend, drückte er das Baby fest an seine Brust – was dieses mit einem empörten Aufschrei quittierte – bevor die Wahrheit schließlich doch aus ihm herausbrach. Eine Wahrheit, die von einer Sekunde auf die andere sein ganzes Leben verändert hatte. „Ich hab Krebs!“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)