Green Moon von Rosenmaedchen (Full Eclipse: One [♥]) ================================================================================ Kapitel 7: Harsh reality ------------------------ Harte Realität „Wir suchen die Wahrheit, finden wollen wir sie aber nur dort, wo es uns beliebt.“ - Marie von Ebner-Eschenbach 4. Mai, 1. Jahr An diesen Morgen war Selenas Schwester, nach nur knappen fünf Tagen, fürs erste wieder abgereist. In weniger als zwei Wochen jedoch, würde sie wieder dort sein und dann bis zum Ende ihrer Ferien, Anfang Juni, bleiben. Selena hatte beschlossen den Rest des Tages nicht zu vertrödeln und hatte sich mit Tony und klein Dustin getroffen gehabt. Sie waren zusammen in den Zoo gegangen, Ironie des Schicksals, Selenas Meinung nach. Dustin haben, auch Ironie des Schicksals, am besten die Wölfe gefallen. Es war schon fortgeschrittene Zeit, als sie von Tonys Sofa aufstand. „Ich sollte dann mal nach Hause. Es ist schon spät.“ Tony wohnte in West Ridge, dem Bezirk, welcher sich westlich an Rogers Park anschloss. Selena würde ungefähr eine Viertelstunde unterwegs sein, bis sie zu Hause angekommen war. Tony erhob sich ebenfalls. „Ja, verstehe. Soll ich dich nach Hause fahren?“ „Nein, brauchst du nicht, so weit ist es ja nicht.“ „Ich dachte eher, weil es dunkel und spät ist.“ Selena winkte ab, aber nicht, ohne Bedenken dabei zu haben. Das letzte Mal, als sie allein nach Hause gegangen war, als es bereits dunkel war, hatte sie Norman wieder getroffen. Er hatte ihr riesige Angst eingejagt und wenn Alessio nicht gekommen wäre dann… sie wusste nicht, was dann passiert wäre. Tony begleitete Selena noch zur Tür, sie umarmten sich und wünschten der jeweils anderen eine gute Nacht. Bisher hatte sie Tony nichts von Alessio erzählt und ihre Begegnung mit Norman nie erwähnt. Vielleicht hätte sie das tun sollen, wenn sie geahnt hätte, was der Abend noch für sie bereit hielt. Denn das, würde ihr niemand mehr glauben. Alessio hatte, so wie die letzten paar Tage davor, seinen Posten in der Nähe vom Haus des Lakaien bezogen. Von seinem Standpunkt aus hatte er, sowohl dieses Haus, als auch das Haus von Selena im Blickfeld. Bei ihr war es schon den ganzen Abend dunkel gewesen. Wahrscheinlich war sie außer Haus. Alessio beunruhigte diese Tatsache schon den halben Abend lang. Wo steckt sie, verdammt noch mal! Unruhig glitt sein Blick wieder vom Haus des Lakaien zu ihrem Haus. Sollte er einfach mal hochklettern und nachschauen? Vielleicht war ihr auch was passiert und lag nun bewusstlos in ihrer Wohnung? Irgendetwas in ihm zog sich zusammen bei diesem abscheulichen Gedanken. Knurrend hielt er sich, gerade so, zurück. Er konnte diesen Posten nicht einfach so verlassen. Das ganze war zu wichtig. Alessio dachte, er könnte ihr fern bleiben, könnte sie ihr Leben einfach leben lassen, so wie es sich gehörte. Aber je mehr er sich zurückhielt, je mehr er sich von ihr zurückzog, desto stärker wurde das Verlangen, bei ihr zu sein, sie zu besitzen, sie als Sein anzusehen. Die Sehnsucht nach ihr war immer stärker geworden und erst jetzt wurde er sich ihr bewusst. Es war zu spät. Er konnte sich dieser Frau nicht mehr entziehen, egal was er versuchen würde, es würde scheitern. Dessen war er sich nun sicher. Denn Gefühle konnte man nicht abstellen, dass hatte er schon sehr früh gelernt. Sein Wolf war sehr froh, dass sich auch endlich die menschliche Seite zu ihr bekannt hatte. Seiner Meinung nach gehörte Selena schon längst ihnen, und nun wollte er es auch ihr klar machen. Alessio war bemüht, ihn zurückzuhalten. Alessios Nasenflügel blähten sich, als ihm ein sehr vertrauter Geruch in die Nase stieg. Der Wolf in ihm wurde unruhig, und fachte so auch nur Alessios Unruhe weiter an. Es war Selenas vertrauter Geruch nach ihren Parfum, dem Erdbeershampoo und ihrer persönlichen Note. Da er besser sah, als normale Menschen, konnte er jedes einzelne Detail in der Dunkelheit erkennen. Sie trug in ihren Haaren einen Haarreifen, ihre Jacke war bis oben hin zu und ihre Hände in deren Taschen vergraben. Sie lief schnell und sah sich nicht um. Wahrscheinlich war sie froh, wenn sie in ihrem Haus ankam. Alessio konnte ihr dies nicht verdenken, es war immerhin stockdunkel und das letzte Mal hatte ihr Exfreund ihr aufgelauert. Ein weiterer Geruch fiel ihm auf und traf Alessio wie einen Blitz. Ein Berglöwe war ganz in der Nähe. Sofort war er alarmiert und sah sich schnell, und trotzdem aufmerksam, um. Rotschimmerndes Fell blitzte auf, als der Berglöwe einen ungünstigen Schritt nach vorne tat. Geschockt weiteten sich Alessios Augen. Der Berglöwe hatte es auf Selena abgesehen! Wenn er jetzt ruckartige Bewegungen machte, würde das Tier zuschlagen, und das konnte Alessio nicht zulassen. Mit schnellen, leichten Schritten schlich er sich näher, ließ dabei das Tier nie aus den Augen. Selena blieb abrupt stehen und sah sich um. Was sollte das werden? Alessio unterdrückte ein Knurren. Das gab es doch nicht! Sie sollte lieber in Sicherheit laufen, anstatt stehenzubleiben. Aber sie schien etwas zu riechen, wahrscheinlich den Berglöwen – die Viecher stanken auch wie die Pest – und vielleicht auch ihn selbst. Vor Wut hatte sich der Wolf nah an die Oberfläche geschlichen und wartete nur darauf, freigelassen zu werden. „Hallo? Ist da jemand?“, erklang Selenas Stimme, welche einen ängstlichen Unterton besaß. Den Berglöwen schien das verrückt zu machen und mit einem Satz war er bei ihr. Als sie das Tier erblickte stieß Selena einen spitzen Schrei aus. Alessio zog ein Messer aus seiner Scheide und warf es auf den Berglöwen. Nur knapp verfehlte er ihn, aber das Tier sah zu ihm und fletschte die Zähne. Alessio hatte noch nie sein Ziel verfehlt, wieso dann jetzt? Er machte sich auf einen Kampf bereit, in dem er ausschließlich als Mensch kämpfen konnte. Sonst würde Selena alles erfahren, und das wollte er nicht aufs Spiel setzten. Angst und Überraschung überkam Selena, als ein Messer kurz vor dem Berglöwen in den Erdboden stach. Dieser wandte sich von ihr ab und fletschte die Zähne. Sie sah in die gleiche Richtung, wie das Tier, konnte aber nichts erkennen. Hoffentlich wusste derjenige, was er tat. Ansonsten würde der Berglöwe einen tollen Mitternachtssnack bekommen, der aus ihr und dieser anderen Person bestehen würde. Selena wich weiter zurück bis zu einer Wand, schaffte so Abstand zwischen sich und dem Tier. Dieses nahm, wie von selbst, Abstand und lief auf die Schatten zu, aus welchen das Messer geflogen kam. Brüllend stürzte sich der Berglöwe in die Schatten, aber die Person wich geschickt aus und trat in Selenas Richtung. Es war Alessio! Der Berglöwe und er hatten die Plätze getauscht. Nun war das Tier in den Schatten und Alessio vor ihr. Er wandte Selena den Rücken zu. Seine Kleidung war komplett schwarz. Es wirkte, als würde er im Dienst sein und jemanden beschatten. Das war natürlich nur eine Vermutung ihrerseits. Er wandte seinen Kopf zu Selena. „Alles in Ordnung?“ Knapp nickte sie. „Noch.“ „Hab keine Angst. Ich beschütze dich.“ Fast wollte sie fragen, wie er das anstellen wollte, als sie die Pistole in seiner Hand sah. Er würde das Tier erschießen?! „Du willst ihn erschießen?“ Selenas Stimme klang panisch. Alessio sah über die Schulter zu ihr. „Was anderes bleibt mir nicht übrig.“ Selena schluckte. Das hatte das arme Tier nun auch wieder nicht verdient, aber sie sagte nichts. Hoffte lieber, dass Alessio nichts passieren würde. Der Berglöwe trat wieder aus den Schatten und wirkte, als würde er wütender sein, als zuvor. Er sah aus, als würde er Alessio am liebsten gleich fressen wollen. „Pass bitte auf dich auf…“, flüsterte Selena, aber Alessio schien es trotzdem zu hören, denn seine Haltung veränderte sich dadurch, wurde angespannter. Mit lautlosen Schritten kam der Berglöwe auf sie zu. Als Alessio die Pistole anhob, stoppte er und ein gefährliches Fauchen erklang aus seiner Kehle. „Falls irgendetwas schief läuft, dann rennst du nach Hause, Selena. Hast du gehört? So schnell du kannst.“ Sein Blick, genauso wie seine Waffe, blieb auf der Katze. Selena schluckte und schüttelte aufgebracht den Kopf. „Ich lass dich nicht hier allein.“ „Selena, bitte.“ Doch sie konnte nicht antworten, da der Berglöwe sich schon nach vorne geworfen hatte. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und hielt entsetzt die Luft an, als Alessio einen Schuss abfeuerte. Doch das Tier duckte sich unter der Kugel hinweg und setzte erneut zum Sprung an. Sie konnte Alessio fluchen hören, das Klicken des Magazins. Es war leer. „Selena, lauf!“ Wie angewurzelt stand diese jedoch da, unfähig sich auch nur einem Millimeter weiter weg zu bewegen. Alessio schien das zu bemerken, denn er knurrte. „Jetzt mach schon!“ Einige wenige Schritte konnte sie zurückweichen. Der Berglöwe sprang mit einem Fauchen wieder auf Alessio zu. Ein Satz fegte ihn um. Die Katze schnappte nach seiner Kehle, doch durch wundersame Weise konnte Alessio die Katze mit seinen Armen davon weg halten. Mit ihren Krallen schlitzte sie ihm seine schwarze Kleidung auf. Leicht sickerte Blut hervor, wo Haut zum Vorschein kam. Selena tat nichts mehr, sah einfach nur schockiert auf das Szenario, was sich vor ihr bot. Sie sollte laufen und Hilfe holen, oder irgendwas suchen, was sie der Katze über den Schädel hauen konnte, aber sie tat nichts. Nichts, außer geschockt zuzusehen und zu atmen. Alessio musste sich zurückhalten, sich nicht auf der Stelle in einen Wolf zu verwandeln. Der Berglöwe stank und er lag mit seinem kompletten Gewicht auf seinen Beinen, sodass er ihn nicht davon stoßen konnte. Er versuchte immer noch wie wild Alessios Kehle durchzubeißen. Nur dessen Arme boten ihm Schutz vor den gefährlichen Zähnen. Er hatte bemerkt, wie die Katze Wunden gerissen hatte, doch ihm blieb keine Zeit. Er musste sich schleunigst etwas einfallen lassen, wenn er lebend aus der Sache raus wollte. Er bemerkte, dass Selena sich endlich in Bewegung setzte. Doch sie lief nicht schnell nach Hause, um sich da zu verstecken, nein. Sie schien irgendwas zu suchen. Die Kiefer des Berglöwen schnappten gefährlich nah an seinem Hals zu. Rechtzeitig konnte er die Schnauze noch wegdrücken. Er musste seine Gedanken bei sich behalten. Sonst würde er wirklich draufgehen. Er konnte nur hoffen, dass die anderen ihn schnell finden würden und ihm halfen, sonst würde das alles in einer riesigen Katastrophe enden. Die Katze schien sich noch schwerer zu machen, sodass Alessio fast die Luft wegblieb. Auch die Kraft in seinen Armen ließ nach. Er unterdrückte ein Knurren. Das war ganz und gar nicht gut. Sein Wolf saß gefährlich nah an der Oberfläche und seine Haut kribbelte bereits. Ihm würde nichts mehr anderes übrig bleiben. Er ließ seinen Wolf gewähren, ließ ihn raus. Er hatte keine andere Möglichkeit mehr. Selena war für den Moment vergessen. Sofort überkam ihn Kälte, keine Sekunde später unglaubliche Hitze. In rasender Geschwindigkeit verschoben sich seine Knochen und im nächsten Moment spürte er sein warmes Fell um sich. Mit einem Fletschen seinerseits drückte er sich nach oben und biss der Katze mitten ins Gesicht, als sie wieder nach ihm schnappen wollte. Der Berglöwe sprang zurück, sodass Alessio aufstehen konnte. Kurz darauf entbrannte ein wilder Kampf. Zwischen Katze und Hund. Selena war schon einige Meter weiter weg, als sie plötzlich ein ekelhaftes Knacken hörte, so als würde jemand Knochen brechen. Panisch sah sie zurück zu Alessio, doch was Selena dann sah, erschreckte sie mehr, als alles andere in ihrem Leben es je zuvor getan hatte. Da, wo eben noch Alessio lag, setzte sich nun ein schwarzer Wolf zusammen. Dieser fletschte die Zähne und biss dem Berglöwen in die Schnauze. Dieser ließ darauf von ihm ab, der Wolf stand auf und dann stürzten sie sich aufeinander. Ein wildes Durcheinander herrschte, Fellbüschel flogen nur so umher, ab und an hörte man tierische Kampfgeräusche. Selena dachte, ihr Herz würde jeden Moment zum Stillstand kommen. So etwas war nicht möglich. Es gab keine logische Erklärung für das, was sie eben gesehen hatte. Alessio konnte sich nicht in diesen Wolf verwandeln, das funktionierte einfach nicht! Andererseits, sie dürfte auch nicht ihren Fluch besitzen. Sie war irgendwo auch nicht normal, wieso sollte sich Alessio also nicht in einen Wolf – nein, das war einfach zu absurd! Möglicherweise gab es für sie selbst, sowie für diese Situation gerade eine plausible Erklärung. Sie musste nur gefunden werden. Selena bemerkte, wie sie anfing zu zittern. Die Arme um ihren Körper geschlungen, versuchte sie sich zu beruhigen, aber es half nicht wirklich. Sie vernahm ein Aufheulen und richtete ihren starren Blick zu den beiden Tieren zurück. Der Berglöwe sackte in sich zusammen. Blutlachen waren auf der Straße verteilt. Das Fell beider Tiere war an vielen Stellen verklebt, mit Blut oder Dreck. Der schwarze Wolf stand triumphierend mit seinen Vorderpfoten auf dem Körper des toten Berglöwen, als er mit seinen leuchtenden blauen Augen zu ihr blickte. Direkt in ihre Augen. Selena sah, dass sie menschlich waren. Alessios Augen. To be continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)