Scream in the sphere of destiny von Ceydrael (Wage den Schritt hinaus) ================================================================================ Kapitel 1: Gedanken bei Nacht ----------------------------- Tick. Tack. Tick. … Mir ist noch nie aufgefallen, wie sehr ein Wecker einem doch den Nerv rauben kann. Besonders heute scheine ich das stetige Ticken schwer ignorieren zu können. Ein Blick auf die Uhr. 2.30 Uhr. Weit entfernt von Schlaf und dem Zeitpunkt, an dem ich mich eh aus dem Bett kippen musste. Tick. Tack. Wie das Schlagen eines Herzens. Das Vergehen der Zeit. Der Lauf der Dinge. Wunderbar, Alan. Bestimmt werden dir diese Gedanken helfen, Schlaf zu finden. Ich rolle mich auf den Rücken und starre an die dunkle Decke über mir. Neben mir das leise Atmen meiner Frau Lisa. Ihre Hand ruht auf meinem Arm, angenehme Wärme, die eigentlich beruhigen sollte. Es aber nicht tut. Ich seufzte leise. Und starre noch immer an die Decke. Warum ist das so? Wenn man verzweifelt versucht zu schlafen, schießen einem dabei immer wieder die seltsamsten Gedanken durch den Kopf. Und diese krallen sich fest wie störrische Katzen an einer neu gekauften Couch mit teurem Überzug. Ich denke an den nächsten Tag auf Arbeit. Plane gedanklich schon den Ablauf und meine Tätigkeiten. Ein Gefühl von Unbehagen nimmt mich ein, was ich zuerst nicht einordnen kann. Dann klärt sich der Nebel in meinem Kopf. Unzufriedenheit. Ein kleines, hinterhältiges Gefühl, was mich beschleicht und aus den tiefen meiner Eingeweide einen Weg an die Oberfläche meines Denkens bahnt. Warum? Ich habe doch eigentlich alles. Alles, was sich ein Mann mittleren Alters nur wünschen kann. Eine hübsche Frau. Zwei wunderbare Kinder. Ein Haus. Arbeit. Freunde. Ich bin gesund, außer diese kleinen Krankheiten, die man ab einem gewissen Alter sein eigen nannte. Ich bin 34 Jahre alt, mein Leben verlief in geregelten Bahnen und war erfüllt. So dachte ich zumindest. Dass irgendetwas nicht stimmte, merkte ich in jenem Moment, als ein Gefühl von bleischwerem Druck auf meiner Brust lastete und mir den Atem raubte. Ich fühlte mich gefangen in diesem Moment. Gefangen in meinem eigenem Bett in den Armen meiner Frau. Ich verspürte mit einem Mal den unsäglichen Drang zu schreien und um mich zu schlagen. Die Vernunft allein hinderte mich daran. Lisa würde wachen werden und der kleine Colin würde wohl in seinem Kinderbettchen anfangen zu weinen. Vielleicht würde auch Susan die Tür öffnen, um zu sehen, ob ihr Vater nun völlig den Verstand verloren hatte. Also blieb ich liegen. Und atmete einfach weiter. Und schwieg. Nach einer Weile normalisierte sich dieser seltsame Anfall von Panik. Ich zog die Stirn in Falten. Tick. Tack. Tick… Mein Leben schoss einem Film ähnlich an mir vorbei. Ich sah meine Kindertage. Meine Schulzeit. Die Jugendjahre. Meine Ausbildung und den Eintritt ins Berufsleben. Mein erstes Treffen mit Lisa. Unsere Hochzeit. Die Geburt meiner Kinder. Alles war perfekt. So perfekt… Mit Erschrecken musste ich feststellen, dass mich Übelkeit übermannte. Mir wurde übel bei dem Gedanken in welch geordneten Bahnen mein Leben doch verlief. Es war eines von zig Millionen Leben, die alle einem Schema folgten. Keine Abweichungen. Keine Ausbrüche. Keine Variation. Stures Leben nach Plan. Nach welchem Plan eigentlich? Wer bestimmte unser Schicksal? Wer gab uns vor, dass mir leben mussten, so wie wir es taten? Es hielt mich nicht mehr im Bett. Ich schlug die Decke zurück und stürzte fast fluchtartig in das angrenzende Bad. Auch hier war alles normal. Alles perfekt. Alles sauber. Wie diese Bäder von diesen perfekten Bilderbuchfamilien im Fernsehen, die Werbung für Reinigungsmittel machten. ~ Mit Briff glänzen ihre Fliesen wieder wie neu. ~ Zahnpastalächeln. Mir schnürte es die Kehle zu und ich lehnte die Stirn gegen eine der kalten Fliesen. Mein Herz hämmerte in der Brust, in Rage gebracht von dieser seltsamen Panikattake. Himmel Herr Gott, Alan, nun reiß dich zusammen. Äste kratzten am Fenster des Badezimmers. Dann erhellte ein Blitz die Nacht. Ein Riss in dieser ruhigen Nacht. Ein Riss und ein Aufbegehren in jenem Lauf der Dinge. Ich stieß mich von der Wand ab und trat mit leisen Schritten und nackten Füßen zum Fenster. Die ersten Tropfen klatschten geräuschvoll gegen die Scheibe und rannen herab wie Tränen der Götter. Tiefe Schwermut ergriff mich in jenem Moment. Ich konnte meine Gefühle nicht mehr steuern. Wurde eingenommen von dieser bodenlosen Nachdenklichkeit und Wehmut, von der ich nicht einmal wusste, woher sie kam. Mein Herz wurde schwer. Unendlich schwer. Die unzähligen Gedanken, die durch meinen Kopf rasten, gab ich auf ordnen zu wollen. Ich hätte ewig hier am Fenster stehen können und in die Nacht starren, die ab und an von einem Blitz erhellt wurde. Ich merkte kaum, wie die Zeit verrann. Verlor völlig das Gefühl für Raum und Zeit. Stand ich Minuten hier? Stunden? Tage? Ich hatte den Drang hinaus in den regennassen Garten zu treten, durch Blitz und Donner zu laufen. Wollte das Leben auf meiner Haut spüren. Wollte etwas tun, was gänzlich verrückt und seltsam erschien. Sicher wäre es wundervoll, in Sturm und Regen zu wandeln, allein das Gras und bloße Erde unter den Fußsohlen, die Macht der Elemente auf der Haut. Zu spüren, das man lebt. Aber natürlich tat ich es nicht. Warum? Weil es verrückt war. Wenn mich die Nachbarn sehen würden, konnte ich mir das Gerede schon denken. Mal ganz abgesehen von einer drohenden Erkältung, die mich dann für die Arbeit außer Gefecht setzen würde. Undenkbar. Also blieb ich starr hier stehen, während die Welt sich weiterdrehte und die Natur sich ohne Reue austobte. Blieb hier gefangen in meiner kleinen perfekten Welt, in der alles geordnet und geplant war. Wer hatte eigentlich je behauptet, dass der Mensch den freien Willen besaß? Wer hatte gesagt, dass es uns frei stand zu wählen, was wir taten? Waren wir wirklich frei zu wählen? Hatten wir eine Wahl? Konnten wir diesem Fluss der Dinge entsteigen, der unser tägliches Leben bestimmte und einen anderen Weg wählen? Wäre man dann nicht ausgestoßen aus der Gesellschaft, ein Außenseiter mit wirren Gedanken? Ein ~Freak~? Ein Spinner? Waren wir nicht vielmehr durch Gesellschaft und irgendwann aufgestellte Regeln dazu verdammt, einem bestimmten Pfad zu folgen? Ein Bild von bunthaarigen Jugendlichen mit zerrissenen Kleidern schoss mir durch den Kopf. War dies Rebellion gegen den Standard? Ein Aufbegehren gegen graue und schwarze Anzüge, gegen starre Masken und den Lauf der Dinge. Das anfänglich leise Weinen meines Sohnes drang an mein Ohr. Die raschen Schritte meiner frau. Dann die leise Stimme, die beruhigend auf den kleinen Colin einsprach. Ich schloss für einen Moment die Augen und hielt den Atem an. Diese unsinnigen Gedanken schob ich weit von mir und verschloss diese Tür in mir wieder, aus der sie gekrochen waren. Ich musste funktionieren. Ich hatte Verpflichtungen. Und solche Gefühle waren wenig produktiv. Ganz abgesehen davon, dass sie völlig verrückt waren. Ich hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Ich war glücklich. Ich musste glücklich sein. Ich trat zurück ins Schlafzimmer. Kapitel 2: Der erste, zögerliche Schritt ---------------------------------------- Der nächste Tag begann grau in grau. Das Wetter lud nicht gerade zu Begeisterungsstürmen ein. Und mein Kopf dröhnte von den vielen Gedanken, die mir auch den Rest der Nacht keine wahre Ruhe gelassen hatten. Wo war dieser verdammte Schalter, mit dem man seinen Kopf zum Schweigen bringen konnte? Matt und antriebslos bereitete ich mein Frühstück, selbst das Lachen meines Sohnes konnte mich wenig aufheitern. Mechanisch drückte ich diesen an mich und wünschte meiner Tochter einen guten Tag. Lisa bemerkte von meiner trüben Stimmung wenig. Nun, ich war es gewohnt, die Haltung zu wahren. Gedankenverloren hob ich die Kaffeetasse an die Lippen und sah aus dem Fenster. »Hast Du heute wieder einen langen Tag, Schatz?« Ich registrierte am Rande meines Denkens, das ich mit dieser Frage gemeint war. Ich nickte leicht und erhob mich dann vom Tisch. »Ja, ich denke, heute wird es wieder später. Ich werde noch die letzten Fälle ordnen und katalogisieren müssen. Das dauert immer eine Weile. Ich ruf dich dann noch einmal an wegen dem Abendessen.« Lisa nickte lächelnd und drückte mir zum Abschied einen sanften Kuss auf die Wange. Mir fiel seltsamerweise heute auf, dass sie noch genauso hübsch war, wie an jenem Tag, als ich sie das erste Mal traf. Blondes, halblanges Haar, große, blaue Augen und ein herzliches Lächeln. Jeder Mann hätte sich wohl ein Bein ausgerissen, um mit ihr verheiratet zu sein. Gut, viele hatten auch alles versucht, um damals in ihrer Gunst zu steigen. Doch sie hatte mich gewählt. Heute wollte mich auch dieser Gedanke nicht aufmuntern. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, aber das ging ja noch weniger, als einfach nur mit schlechter Laune den Tag zu beginnen. Es war einfach seltsam, als würde eine dicke Glocke über mir hängen und die Welt um mich herum ausblenden. Die Fahrt zur Arbeit verlief ereignislos. Langweilig und stumpfsinnig wie immer. Ich nahm alles nur gedämpft wahr. Ab und an erwischte ich mich bei dem Gedanken oder besser bei der Frage, ob es den anderen Menschen genauso ging wie mir in jenem Moment. Ich sah viele durch regennasse Windschutzscheiben, die Gesichter meist ausdruckslos oder verspannt auf den Verkehr konzentriert. Woran diese Menschen wohl alle gerade dachten? Ob sie auch ab und an über ihr Leben grübelten? Vielleicht. Das Büro, meine Arbeit und die Kollegen schafften es dann, mich zumindest wieder in die Welt der Lebenden zu ziehen und bald hatte ich dieses nächtliche Geschehen vergessen. Oder besser, irgendwo tief in mir abgelegt. Ich beschäftigte mich mit alltäglichen Problemen von Leuten. Sorgerechtsstreits. Nachbarschaftskriege. Scheidungsauseinandersetzungen. Manchmal blickte ich von meinem Schreibtisch auf und fragte mich, was Menschen eigentlich antrieb, sich das Leben gegenseitig schwer zu machen. Alan, du lebst davon, dass sie es tun. Also hör auf dich darüber zu beschweren. Später folgte die Frage, was passieren würde, wenn ich jetzt einfach aufstehen würde, um zu gehen und vielleicht den Rest des Tages mich in einem Wellnesshotel verwöhnen lassen würde? Natürlich blieb ich sitzen. Und arbeitete brav. Wie immer eben. Die Zeit verging. Der Tag floss träge dahin. Es war schon später Nachmittag und ich brütete noch immer über meinen Akten, abgeschlossenen Fällen, die nun endlich auch als solche behandelt werden mussten. James trat an meinen Schreibtisch heran und stellte eine neue, von geschätzten zwanzig, Kaffeetasse, an diesem Tag auf meinen Tisch und boxte mir leicht gegen die Schulter. »Alan, du siehst scheiße aus.« Danke für die Blumen. »Hm, hab schlecht geschlafen.« Ich vergrub eine Hand in meinem kurzen Haar und versuchte mich wieder auf den Ordner vor mir zu konzentrieren. Wenn ich etwas hasste, dann waren es Gespräche über mein Wohlbefinden. Außerdem würde eh keiner meine, zugegeben, wirren Gedankengänge der Nacht nachvollziehen können oder wollen. Am Rande meines Denkens fiel mir mit einem Blick auf die Uhr ein, dass ich Lisa noch anrufen wollte, damit sie wegen dem Essen bescheid wusste. »Die Jungs und ich wollen nachher noch in eine kleine Bar hier gleich um die Ecke. Willst du nicht mitkommen?« James war Anfang 20 und eigentlich beendete er fast jeden Tag in irgendeiner Bar mit irgendeinem Mädchen. Ich sah zu ihm auf und er lächelte mir auffordernd und freundlich entgegen. Er wurde es nie leid, zu fragen. Normalerweise hätte ich nun, wie die vielen Male zuvor, dankend abgelehnt, doch heute war ja kein normaler Tag. James sah mich schon ein wenig seltsam an, wohl wusste er nicht, was er von meinem ungewohnt langem Schweigen halten sollte. Mein Blick huschte zu dem Bild meiner Familie auf dem Schreibtisch. Es war noch gar nicht so alt. Lisa in einem blauen Kleid, Colin mit seinen süßen 2 Jahren auf dem Arm und meine Tochter ein wenig mürrisch daneben. Susan wurde nun 14 und kam in das Alter, in dem es zunehmend schwieriger wurde, sie zu verstehen. Zumindest für mich als Vater. »Hm, okay. Ich mach das hier noch schnell fertig, dann komm ich mit.« Mein Kollege wirkte, als hätte ich ihm gerade erklärt, dass ich schwanger war. »Ehrlich!?« »Ja. Ehrlich. Und nun hau ab, bevor ich es mir anders überlege.« Ich warf lachend einen Bleistift nach ihm und er verzog sich kichernd mit abwehrend gehobenen Händen. Alan, was hast du gerade getan? Ich habe zu einem Treffen mit Kollegen zugesagt. Und wann hast du das das letzte Mal getan? Ist schon eine Weile her. Ich glaube, seid ich verheiratet bin…gar nicht mehr?! Aber irgendwie fühlte sich das verdammt gut an. Mein Tag würde einmal nicht enden wie das Standartprogramm. Wenn ich geahnt hätte, wie anders ab diesem Moment mein Leben verlaufen sollte, vielleicht hätte ich dann nicht zu diesem Treffen zugesagt. Vielleicht hätte ich aber auch auf Knien darum gebettelt. Ich starrte noch eine Weile auf den geöffneten Aktenordner vor mir, dann sah ich kurz hinaus. Es dämmerte bereits. Ich schlug den Ordner mit einem entschlossenen Nicken zu und schob ihn beiseite. Morgen war auch noch ein Tag. Ich fuhr meinen Rechner herunter und schnappte meine Jacke. Unsere Kanzlei bestand aus einigen Männern; eine Handvoll hatte sich nun versammelt, um wie gewohnt einen Abend der Woche „gemütlich“ ausklingen zu lassen. Die genannte Bar war wirklich nicht weit entfernt. Draußen wurde für diesen Abend eine Art Talentwettbewerb angekündigt. Doch dem Plakat schenkte ich weniger Aufmerksamkeit, eher wurde mein Blick von den vielen halbnackten Frauen angezogen, die sich in offensichtlich eindeutigen Posen an der Bar aufgereiht hatten. Die Röcke der meisten waren, oh ja, höllisch kurz. Was dort an Stoff fehlte, hatten sie sich in Form von Farbe in ihre Gesichter gepackt. Herrlich, Alan. Du bist verheiratet. Und eindeutig fehl am Platz. Sofort kamen Zweifel auf, dass meine Entscheidung vielleicht doch die Falsche gewesen war. Doch James gab mir keine Gelegenheit mehr zu Flucht. »Komm, Alan, wir haben dahinten einen Tisch.« Ich folgte den Jungs zu einer etwas abgedunkelten Ecke. Sofort stand die erste Runde auf dem Tisch. Nach einigen Gläsern wurde auch meine Stimmung besser. Und ich wurde lockerer. Ich lachte ebenso ausgelassen mit den Männern neben mir und riss anzügliche Witze über die anwesenden Frauen. Wenn Lisa mich jetzt sehen könnte, würde sie wohl abwertend die Nase rümpfen. Oh… Lisa. Ich wollte sie ja noch anrufen. Ich fummelte das Handy aus der Tasche. Klappte es auf. Ich sah die vielen verpassten Anrufe. Meine Frau war es nicht gewohnt, dass ich mich nicht meldete. Und das ich abends nicht zuhause war. Wahrscheinlich starb sie vor Sorge, die schlimmsten Horrorszenarien schon im Kopf. Aber all das war mir in diesen nächsten Augenblicken egal. Why is it so hard, to go my own way? Me alone, shall choose my fate. Why is this path, so hard to follow? I will not follow, the others, no more. Diese Stimme. Dieser Text. Mein Blick ruckte wie von unsichtbaren Fäden gezogen nach oben. Durch den Rauch von unzähligen Zigaretten und vorbei an leicht bekleideten Frauen fanden meine Augen den Besitzer dieser Stimme. Auf der kleinen Bühne, die ich bis jetzt kaum bemerkt hatte oder schlichtweg ignoriert, weil seltsame Leute dort ihr zweifelhaftes Talent präsentiert hatten, stand nun ein junger Mann. Auf die Entfernung konnte ich nur schlecht genaue Details erkennen. Er wirkte jung, schlank, mit halblangen, dunklen Haaren. Seine Klamotten waren von dieser Sorte, wie ich sie oft schon bei meiner Tochter gesehen hatte. Locker, zerrissen, ein wenig schlampig. Ich verstand bis heute nicht, warum Jugendliche so etwas tragen mussten. Doch seltsamerweise störte es mich in diesem Moment wenig. Mein Augenmerk lag eh auf anderen Dingen. Der junge Mann hauchte mit solcher Sinnlichkeit und so tiefem Gefühl seinen Text in das Mikro, dass mir unbekannte Schauer über den Körper rannen. Nebenher spielte er eine E-Gitarre. Die Finger des Jungen huschten flink und geschickt nur so über die Saiten und entlockten diesen herrlich wehmütige Töne. Mal rauer, mal sanfter, mal schneller und dann wieder so schmerzlich, dass ich hart schlucken musste, schwangen die Töne durch die Bar. Selten hatte ich so etwas gehört, was mich so in seinen Bann gezogen hatte. Musik war für mich meist eh etwas, was nebenher irgendwo am Rand des Bewusstseins aufgenommen wurde, doch nie wirklich bewusst gehört. Jetzt war dies anders. Der Text dieses Liedes, so tiefgründig und gefühlvoll vorgetragen, berührte etwas ganz tief in mir drin. So nah waren diese Worte an meinen nächtlichen Gedanken, dass ich schon meinte, dieser junge Mann musste geschickt worden sein, um mir ein Zeichen zu senden. Alan, du wirst langsam verrückt… »Hey, Alan, alles okay?« Einer meiner Kollegen rüttelte leicht an meinem Arm. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wie erstarrt zur Bühne sah, das Handy auf halbem Weg zum Ohr, der Mund aufgeklappt. Ich schüttelte mich und nickte mechanisch. »Ja, alles klar. War nur eben in Gedanken…« Das Handy in meiner Hand vibrierte erneut. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es das wohl schon die ganze Zeit getan hatte. Ich ging ran, mein Blick klebte noch immer an dem Jungen auf der Bühne. »Alan?« Es war Lisa. Sie klang aufgelöst und voller Sorge. »Hm. Ja..?« »Himmel, wo bist Du denn? Ich mache mir Gedanken, verflucht.« Ihre Stimme änderte sofort die Tonlage, wurde vorwurfsvoll und deutlich verstimmt. Sie hatte wohl das Stimmengewirr und die Musik im Hintergrund richtig gedeutet. Ich hatte Mühe, mich auf das Gespräch mit ihr zu konzentrieren. Der junge Mann hatte sein Lied beendet und nickte knapp in den düsteren, rauchgeschwängerten Raum der Bar. Jetzt fielen mir seine exotischen Züge auf. Eindeutig ein Japaner. »Hm….was?« »Alan…wo bist Du?« »Mit den Kollegen noch ein bisschen feiern. Hab vergessen, dich anzurufen, tut mir leid.« »Es tut Dir Leid?! Ich bin hier tausend Tode gestorben! Und Du gehst feiern?!« Plötzlich nervte mich die Stimme meiner Frau unsäglich. Der junge Japaner verließ in jenem Moment die Bühne, machte Platz für den Nächsten, der sich beweisen wollte. »Könnte noch ein bisschen später werden. Warte nicht auf mich. Und reg Dich nicht so auf.« Mit diesen unterkühlten Worten legte ich einfach auf und schaltete das Handy ab. James hatte das Gespräch mit einem Ohr mitgehört und sah mich an, als wäre ich zum Satan persönlich mutiert. Das ich so mit meiner Frau sprach, kam selten vor. Um genau zu sein, kam es nie vor. Doch in jenem Moment schien ich an einem Scheideweg zu stehen. Entweder, ich ging sofort nachhause, um den mit ziemlicher Sicherheit drohenden Streit abzuwenden oder… Oder? Oder was, Alan? Ich kippte mein Glas Bier mit einem Zug hinunter. In meinem Kopf begann sich ein Gedanke zu formen, der sich schließlich recht bildlich und fordernd in mein Hirn brannte. Auch wenn dieser Gedanke alles andere als überlegt, logisch oder vernünftig war. Und schon gar nicht schien er einen bestimmten Sinn zu haben. Kapitel 3: Ein Name allein -------------------------- Es hätte keinen treffenderen Ausdruck am weiteren Abend für mich geben können als: zur Salzsäule erstarrt. Ich hielt mein Bierglas starr in der Hand, während ich die Bühne mit konzentriertem Blick fixierte. Ich hatte die irrsinnige Hoffnung, dass der Junge wieder auftauchen und singen würde. Doch den Gefallen tat er mir nicht. Dabei hätte ich so gern noch einmal diese außergewöhnliche, samtige Stimme gehört, die mir unter die Haut gekrochen war wie abertausende Ameisen. James musste meine erstarrte Gestalt schon eine Weile betrachtet haben, bis er mir den Ellenbogen in die Rippen stieß. »Niedliches Mädchen entdeckt?« Er grinste mich amüsiert an und musste meinen Blick und die Richtung dessen wohl falsch gedeutet haben. Zum Glück. Wobei… »Was!? Nein! Ich bin doch verheiratet.« Als würde das vor allem schützen. Lächerlich, Alan. »Ah, verstehe.« James zwinkerte mir zu und schob mir das nächste Glas Bier entgegen. Idiot. Ich starrte bestimmt nicht mit ausgerollter Zunge zur Bühne, wie alle anderen, wegen der blonden, jungen Frau, die dort vorn eine mehr als schlechte Show ablieferte. Gut, sie hatte weniger als wenig an und ihre Figur war nicht zu verachten, aber die Art ihrer Bewegungen war einfach plump und gestellt. Ebenso war ihre Stimme grässlich. Der Rauch in der Bar wurde immer dichter und zu fortgeschrittener Stunde waren dies auch binnen kurzem die Gäste. Bald hatte man Mühe, sein eigenes Wort über Pfiffe und Jubelrufe zu verstehen, als die gesamten Teilnehmer des Wettbewerbes noch einmal auf die Bühne gerufen wurden. Die Männer sprangen beim Namen der blonden, knapp bekleideten Dame von ihren Sitzen. Ich tat es ihnen gleich. Jedoch nicht, um die Frau zu bewundern und tief in deren Ausschnitt zu blicken. Das war nichts, worauf ich aus war. Nichts, was mich interessierte in jenem Moment. Nein. Ich wollte einen Namen hören. Einen ganz Bestimmten. Mein Herz hämmerte aufgeregt. Ich fühlte mich wie kurz vor dem Ertrinken; als ob dieser Name allein meine rettende Atemluft wäre. Der Junge von vorhin betrat als Letzter die Bühne. »…und Kaito Yamada. Herzlich…« Der Rest ging im Stimmengewirr unter, doch ich hatte gehört, was ich wissen wollte. Kaito. Ich hatte zwar keinen blassen Schimmer, was mir dieser Name allein nützen würde, doch ich fühlte mich wie ein Schatzjäger, der die rechte Fährte zu seinem Ziel aufgenommen hatte. Ein seltsames Hochgefühl nahm mich für kurz ein, welches ich zu gern an mich gebunden hätte, um es nie mehr missen zu müssen. Ich zog ein Stück Papier aus meiner Anzugjacke und kritzelte den Namen darauf. Jedoch rasch und zügig, sodass niemand dies bemerkte. Warum diese Geheimniskrämerei, Alan? Hast du etwas zu verbergen? Natürlich nicht! Ich stopfte den Zettel in meine Hose und leerte das letzte Glas für heute. Das musste das Letzte sein, denn sonst würde ich ernsthafte Schwierigkeiten bekommen, den Weg nachhause zu finden. Nach Hause…? Scheiße. Ich konnte so unmöglich Auto fahren. Ich hob die Hand vor die Augen und versuchte die Zeiger meiner Uhr zu erkennen, die hartnäckig aus meinem Sichtfeld krochen. 01.34 Uhr. Hm, einen Bus würde ich kaum noch bekommen. Ich entschuldigte mich für kurz und verließ mit meiner Jacke den Tisch. Frische Luft. Toilette. Am besten beides und sofort. Ich setzte sorgfältig einen Fuß vor den anderen und bekam dieses Kunststück fast noch ohne zu schwanken hin. Ich betrat einen kleinen Gang, der zu den Toiletten und dem Hintereingang führt. Zufall oder Schicksal war es wohl in jenem Moment, das der schlanke Japaner vor mir auftauchte und mit weit ausholenden Schritten durch den Hinterausgang verschwand. Ich starrte die zuschlagende Tür eine Weile einfach nur völlig regungslos an. Als ob mir die Klinke verraten würde, was ich tun sollte. Lächerlich. Alan, geh auf Toilette und dann verschwinde schleunigst nach Hause! Lisa bringt dich um! Diese kleine, vernünftige Stimme in meinem Kopf sprach die Wahrheit. Leider hatte sie das Pech, das ich heute überhaupt nicht auf sie hören wollte. Lisa sollte sich mal nicht so haben. Ich war seid Jahren der Vorzeigeehemann schlecht hin, da würde sie ein Abend ohne mich kaum umbringen. Ich trat an die Tür und zog diese auf. Kühle Nachtluft strich über mein erhitztes Gesicht und verpasste auch meinem Körper einen erfrischenden Schock. Sofort klärte sich mein Geist vom Nebel des Alkohols. Der Dunst des Zigarettenqualmes lichtete sich und endlich konnte ich wieder frei atmen. Ich sah kurz nach rechts und nach links. Wohin war der Kleine wohl verschwunden? Ich lief einfach ziellos in eine Richtung, beschleunigte meine Schritte aber rasch, als ich eine schmale Gestalt ein paar Meter vor mir ausmachte. Der dunkle Umriss der eingepackten Gitarre auf deren Rücken bestätigte meine Hoffnung. Alan, was tust du hier? Ich laufe dem Jungen hinterher. Aha, und was willst Du tun, wenn du ihn erreicht hast? Was willst du sagen? … Mir würde schon etwas einfallen. Immerhin war reden meine Stärke. Das logische Denken hatte ich eh scheinbar an jenem Abend verlernt und mein Verstand lag wohl noch unter dem Tisch in der Bar. »Hey…warten Sie kurz.« Ich beeilte mich mit raschen Schritten zu dem Japaner aufzuholen. Dieser zuckte merklich zusammen und sah flüchtig über die Schulter. Ich konnte es förmlich in seinem Gesicht arbeiten sehen. Er überlegte wohl, ob er davonlaufen sollte und ob von mir Gefahr ausging. Nun, einen wahrlich beruhigenden Anblick konnte ich ja gar nicht bieten. Fern ab von Ernsthaftigkeit. In dem Versuch, etwas davon wieder zu erlangen, zog ich meine Anzugjacke über. Der junge Mann war stehen geblieben und ich konnte zu ihm aufholen. Langsam und gemächlich trat ich näher und musste meine Schätzung seines Alters wohl noch einmal nach unten korrigieren. Der war doch kaum 20 Jahre alt. Was machte der eigentlich um diese Zeit noch hier draußen? Wie war er überhaupt in die Bar gekommen? Alan, jetzt war wohl kaum der rechte Zeitpunkt, für väterliche Anwandlungen von Erziehung. Ich lächelte gewohnt freundlich und mit diesem Hauch Professionalität, mit denen man den meisten Menschen alles einreden konnte. Schließlich strahlte man unendliches Wissen aus. Doch dieser Junge hier schien keineswegs beeindruckt. Ich konnte sehr deutlich sehen, wie seine schmalen, dunklen Augen mich abschätzend musterten. Wie die Augen eines Raubtieres. Warum fühlte ich mich unter diesem intensiven Blick so unwohl? Ich hatte bestimmt schon Schlimmeres durchgestanden, als die Musterung eines schlanken Japaners, der einen Kopf kleiner war als ich. Der dunkle Blick hob sich wieder und fast konnte ich seine Gedanken auf der blassen Stirn als Leuchtreklame lesen. ~Was will der Spießer von mir?~ In jenem Moment hätte ich mir am liebsten den Anzug vom Leib gerissen. Was wohl noch weniger förderlich gewesen wäre. Alan, sag etwas! Du starrst den Jungen nun schon ewig an. Ich räusperte mich mit einem kleinen Lächeln und deutete zurück auf die Bar. »Ich hab Dich da drinnen singen gehört. Das war klasse. Wirklich.« Ich änderte absichtlich in das persönliche Du, da es mir seltsam erschien, einen wesentlich jüngeren Mann mit ~Sie~ anzusprechen. Das würde mich mit Sicherheit auch gleich noch älter und eingestaubter wirken lassen. Keine Reaktion. Der Junge sah mich weiter mit unergründlich tiefen Augen an, der Blick nicht zu deuten. Hatte er überhaupt mal geblinzelt in der ganzen Zeit? Mein Lächeln rutschte ein wenig schief und ich verlagere mein Gewicht unruhig von einem Bein auf das andere. »Mein Name ist Alan Harpor. Ich bin Rechtsanwalt.« Klasse, Alan. Wenn das mal nicht mächtig Eindruck machte. Sag mal, wie blöd bist du eigentlich? Die feinen Züge des Japaners verzogen sich misstrauisch und wirkten sofort verschlossen. Er rückte ein Stück ab. Ich war schon drauf und dran, ihm mit beschwichtigend gehobenen Händen zu folgen. Doch das konnte ich mit Mühe unterdrücken. Dieser fast zierliche Junge wirkte wie eine verschreckte Katze, die im nächsten Augenblick ihr Heil in der Flucht suchen würde. Mein Blick blieb in jenem Moment auf dem löchrigem T-Shirt hängen, was er unter der ebenso zerrissenen Jeansjacke trug. Überdeutlich konnte man den schlanken Körper darunter erahnen. Um die schmalen Handgelenke zogen sich ein paar Leder- und Nietenarmbänder. Als hätten meine Augen plötzliches Eigenleben entwickelt, schienen sie den Anblick des dunkelhaarigen Japaners förmlich aufzusaugen. Dieser wich noch einen Schritt zurück. Mühsam riss ich meinen Blick los. Meine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, obwohl ich doch genug Bier hinunter gekippt hatte. »Also, ich hab Dich singen gehört.« Das hatten wir bereits, Alan. Erzähl ihm besser, warum Du ihm wie ein Irrer hinterher gerannt bist. »Dein Text hat mich wirklich berührt.« gestand ich ehrlich. »Von wem ist er?« Bitte, sprich mit mir. Lass mich nicht hier stehen wie den letzten Idioten. Der junge Japaner blinzelte, dann verengte er die Augen, welche sofort fast angriffslustig funkelten. »Das ist mein Text. Ich hab ihn geschrieben. Er gehört mir.« Wow. Da war sie wieder. Diese samtige Stimme, die mir sofort den Atem aus den Lungen trieb. Einen Moment hatte ich Mühe, die Worte des Jungen überhaupt zu begreifen. »Ehrlich? Du hast das geschrieben?« »Wer hat Sie geschickt?« Ich klopfte mir gerade meine Jacke zurecht und hielt mitten in der Bewegung inne. »Mich? Geschickt? Ähm, niemand.« »Sie sind doch Rechtsanwalt!?« Seine Augen fixierten mich wieder abschätzend. »Bin ich, ja.« Ich wollte, dass er mir glaubte. Also zog ich eine Visitenkarte aus meiner Jacke und hielt sie ihm hin. Er blickte das kleine Kärtchen an, als wäre es womöglich vergiftet. »Keine Sorge, es ist nur eine Karte.« meinte ich lachend. Er warf mir einen finsteren Blick zu, der etwas in mir zum Klingen brachte und mir Wärme in die Wangen trieb. Gott sei Dank war es dunkel. Dann griff er doch nach der Karte und überflog sie kurz, bevor er sie achtlos in eine Tasche seiner Hose gleiten ließ. »Und was wollen sie nun von mir, Mister Harpor?« fragte er kühl. Die Art und Weise, wie mein Name seine Lippen verließ und mit dieser einmaligen Stimme in der Nacht verhallte, brannte sich mir ins Gedächtnis. »Ich war einfach durch Zufall in der Bar mit ein paar Kollegen. Ich wusste vorher nicht einmal, dass dort Leute auftreten. Du bist mir besonders aufgefallen. Du hast eine wahnsinnig tolle Stimme und Dein Text…« Ich starrte den Jungen vor mir schon wieder an. Irgendwie…war er hübsch. Alan…Hallo? Das ist ein Kerl. Männer sind nicht hübsch. Höchstens attraktiv. Der dunkelhaarige Japaner blickte mich noch immer unter den Fransen seiner Haare, die ihm leicht wirr ins Gesicht hingen, misstrauisch an. Er schien darauf zu warten, dass ich weiter sprach. Oh man, das war mir ja noch nie passiert. Das mir jemand derart die Sprache verschlug. Vielleicht lag es auch am Alkohol. Wahrscheinlich lag es am Alkohol. Mit hoher Sicherheit sogar. »Dieser Text. Wie bist Du darauf gekommen? Einfach so oder denkst Du auch ab und an über das Leben nach? Fühlst du ab und an genauso wie in Deinem Lied?« Ich wollte die Bestätigung, dass ich nicht allein auf dieser Welt solche Gedanken hatte. Das nicht ich allein nur Mühe hatte, auf dem rechten Weg zu bleiben. Nun stand ich hier, mit diesem blassen, skeptischen Japaner und versuchte um 2 Uhr in der Früh philosophisch zu werden. Und das mit gefühlten 5 Litern Bier intus. Hochachtung, Alan. Der Junge schien weniger beeindruckt. »Das geht sie nichts an.« warf er mir unterkühlt an den Kopf, dann wand er sich einfach ab und verschwand mit der Gitarre auf dem Rücken in der Nacht. Ich blieb völlig perplex auf der Straße stehen und sah der schlanken Gestalt hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld entschwand. Wehmut nahm mich ein und nur mit äußerster Mühe konnte ich mich davon abhalten, dem Jungen erneut zu folgen. Ich schob eine Hand in meine Hosentasche und erfühlte den Zettel mit seinem Namen. Kaito Yamada. Warum nur war ich so neugierig auf dich? Was erhoffte ich mir von einem Gespräch mit Dir? Kapitel 4: Schon fast über den Berg ----------------------------------- Ich erwachte am nächsten Morgen mit einem Kater, der der Hölle entsprungen schien. Und der mich scheinbar mit dahin zurück nehmen wollte. Mein Kopf dröhnte im Takt meines Herzens und der Geschmack in meinem Mund erinnerte mich an altes Waschwasser. Stöhnend öffnete ich die Augen und blinzelte gegen das helle Tageslicht. Scheiße, warum muss der Tag so verdammt hell sein? Langsam kehrte mein Gedächtnis zurück und ich erinnerte mich, warum ich in einer kleinen Wohnung in einem Schlafsack auf dem Boden lag. James hatte die Gnade besessen, mich gestern Abend nicht allein auf weiter Flur stehen zu lassen. Gepriesen sei dieser Mann. Gott, segne James. Dieser kam auch schon um die Ecke, eine riesige Kaffeetasse in der Hand balancierend. »Guten Morgen, Dornröschen.« Sein Grinsen war eindeutig schadenfroh. Ich hielt mir den Kopf. »Ach, halt den Mund.« brummte ich stinkig und setzte mich langsam auf. Ein schönes Bild musste ich bieten, denn mein lieber Kollege zog seine Mundwinkel noch weiter nach oben. »Nichts mehr gewohnt, Alan?« Ich begnügte mich mit einem mürrischen Blick in seine Richtung und streckte die Hände auffordernd Richtung Kaffeetasse. »Oh, nichts da. Für dich ist das hier.« Er schob mir kichernd ein Glas Wasser und zwei Kopfschmerztabletten entgegen. Na wunderbar… »Glaub mir, das wirst du jetzt mehr als alles andere brauchen.« James ließ sich in seinen Sessel fallen und sah mich über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg nachdenklich an. Irgendwie kam es mir vor, er würde mich wie ein neu entdecktes Insekt mustern. »Sag mal, Alan, wohin bist du heut früh eigentlich verschwunden? Du warst ja eine ganze Weile weg.« Neugierig und fragend hob er eine Braue und nippte an seinem dampfenden Kaffee. Ich hätte in jenem Moment getötet für einen Schluck dieses schwarzen Hammers. Resigniert schluckte ich die Tabletten und entging somit auch der Verlegenheit, sofort antworten zu müssen. »Frische Luft schnappen.« »Ah ja…« Das wissende Schmunzeln meines Kollegen wurde nur halbherzig von ihm verborgen. Er glaubte mir nicht. Welch Wunder. Die offensichtliche Verwirrung, in welcher er mich angetroffen hatte, war kaum zu übersehen gewesen. Nun, zugegeben, der Junge hatte mir einen ganz schönen Schlag versetzt. Ich wusste nicht, wann mich das letzte Mal jemand einfach so stehen gelassen hatte. Nachdem ich mit einiger Mühe mich soweit wieder hergerichtet hatte, dass ich mich der Welt zeigen konnte, begann auch für uns der Arbeitstag nach einiger Verzögerung. Zum Glück befand sich die kleine Wohnung nicht weit von der Kanzlei entfernt. Geistesabwesend betrachtete ich das immer noch abgeschaltete Handy auf meinem Schreibtisch und kippte gierig gleich eine halbe Tasse Kaffee hinunter, die man mir dann doch gnädiger weise zugestanden hatte. Ich hatte Lisa immer noch nicht angerufen. Hm, ob sie sehr sauer war? Oder einfach nur verwirrt von meinem Geisteswandel? Sonst ging ich nie mit Kollegen trinken. Das wusste sie. Ich war nicht der Typ dafür. Früher schon, doch irgendwann waren Karriere und Familie wichtiger geworden. Mit anderen Worten, ich war zum Langweiler mutiert. Meine Frau störte es nicht, denn sie hatte mich so kennen gelernt. Außerdem gab ihr das wohl die nötige Sicherheit und die Gewissheit, dass ich nie unnötig in Versuchung kommen würde, mir ein Abenteuer zu suchen. Wie von selbst zog ich den, nun schon recht zerknitterten, Zettel mit diesem hastig geschriebenem Namen hervor und betrachtete die Buchstaben nachdenklich. Ich wusste nicht mehr, wie oft ich in den letzten Stunden diesen kleinen Zettel so in der Hand gehalten hatte, die Worte angestarrt und auf irgendetwas gewartet hatte. Auf was wartest du, Alan? Auf Erleuchtung? Das der Junge aus heiterem Himmel vor dir steht? Meine Finger wandern zielsicher zur Tastatur meines PCs und ich rief das Internet auf. Gab diese beiden Wörter in die Suchmaschine. Kaito Yamada. Nichts. Das war zu erwarten. Wieder wanderte mein Blick auf das Bild meiner Familie. Mit einer entschlossenen Bewegung knüllte ich den Zettel zusammen und warf ihn in den Papierkorb, nur um ihn im nächsten Moment wieder heraus zu fischen. Alan, du bist ein Weichei. In dieser Beziehung wohl schon. Ich fühlte mich rastlos. Ziellos. Nur mühsam konnte ich mich im Verlauf des Tages mit den Problemen meiner Klienten beschäftigen. Ich erwischte mich immer wieder dabei, wie mein Blick aus dem Fenster glitt. Auch der heutige Tag war regnerisch. Die Tropfen schlugen fast wütend gegen das Glas der Scheibe, als würden sie gegen jene ankämpfen und sich über dieses Hindernis empören. Der Feierabend rückte näher und ich verspürte immer weniger Lust, nach Hause zu gehen. Denn das würde bedeuten, mich meinen Gedanken wieder stellen zu müssen. Meiner gestrigen Entgleisung. Moment mal, wer hatte gesagt, dass ich keinen Spaß im Leben mehr haben durfte? Es war ja nicht so, als wäre ich fremd gegangen oder hätte eine Bank überfallen. Und wo sollte ich sonst auch hin? James hätte mich sicherlich wieder aufgenommen, aber noch eine Nacht außer Haus konnte ich meiner Familie nicht antun. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mehr als einen Blumenstrauß brauchen würde, den ich gerade noch rasch besorgt hatte, um meine Frau wieder gütig zu stimmen. Vor meiner Haustür blieb ich stehen und sammelte mich. Holte mehrmals tief Luft. Ich hatte sonst nie besonderen Mut gebraucht, über diese Schwelle zu treten, doch nun fühlte es sich nicht an, als würde ich nachhause kommen, sondern als würde ich in ein Gefängnis zurückkehren. Alan, nun reiß dich mal zusammen! Das ist deine Familie. Deine Kinder. Diese Gefühle solltest du nicht haben. Colin war der Erste, der mir im Hausflur begegnete. Mein Sohn kam auch sofort glucksend und lachend auf mich zugetrabt. Dieses Bild lenkte mich nun doch von meinen ganzen Überlegungen ab und ermöglichte mir, meine Gedanken beiseite zu schieben. Ich ging in die Knie und nahm den Kleinen auf den Arm, gab ihm einen herzlichen Kuss auf die Wange. Die kleinen Ärmchen schlangen sich um meinen Hals. »Papa. Da.« Na wenigstens einer, der mir wohl nicht böse war. Männer halten eben zusammen. Ganz anders sah das mit den weiblichen Bewohnern des Hauses aus. Ich betrat das Wohnzimmer mit Colin auf dem Arm und erntete nur einen gelangweilten Blick von meiner Tochter, die kaugummikauend mit den Füßen auf dem Tisch fern sah. »Guten Abend, Susan.« brachte ich betont freundlich heraus und ärgerte mich schon wieder über ihre scheinbar fehlende Erziehung. »Mama ist stinksauer.« kam als einzige Antwort von ihr, bevor sie die volle Aufmerksamkeit wieder der Flimmerkiste schenkte. Die Füße blieben natürlich auf dem Tisch. »Danke für die Information.« murmelte ich und machte mich auf den Weg in die Küche, um mich dem Unvermeidlichem zu stellen. Die Rosen hielt ich wie einen Schutzschild vor mein Gesicht. Colin patschte kichernd danach. »Hi, Lisa.« Meine Frau stand mit dem Rücken zu mir und bereitete wohl das Essen. Zuerst reagierte sie nicht. Erst als ich näher trat und ihr die Blumen vor das Gesicht hielt, hörte sie auf, die Tomaten zu foltern und wand sich zu mir um. »Wie schön, dass der Herr auch wieder zurück gefunden hat. Ich war schon am überlegen, ob ich eine Leuchtreklame über der Haustür anbringen sollte, damit du den Weg findest.« Autsch, Sarkasmus konnte wahrlich schmerzen. Zu allem Unglück meldete sich sofort mein schlechtes Gewissen. »Tut mir echt Leid. Ich wollte dich anrufen und hatte es dann vollkommen vergessen. Es kommt nie wieder vor. Versprochen.« Ich legte eine besonders reumütige Miene auf und hielt ihr die Blumen erneut unter die Nase. Sie warf einen kurzen Blick auf die Rosen und ich konnte beobachten, wie ihre Züge erweichten. Sie nahm mir Colin seufzend vom Arm und rümpfte die Nase. »Du stinkst wie eine alte Kneipenhure.« murrte sie, doch ihre Mundwinkel umspielte der Hauch eines Schmunzelns. Kein Wunder, ich hatte die Klamotten seid gestern nicht gewechselt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass eine ordentliche Dosis Deo den Geruch schon verdecken würde. Meine Klienten mussten das den ganzen Tag ebenfalls gerochen und erduldet haben, fiel mir mehr als schockiert ein. Scheiße, James, hättest du mich nicht darauf hinweisen können? Ach, egal. »Ich geh sofort duschen.« Einen erleichterten Kuss drückte ich Lisa noch auf die Wange und die Rosen in die freie Hand. »Bin schon weg.« Gott sei Dank. Sie hatte mir offensichtlich vergeben. Sie hielt dies für nicht mehr, als eine einmalige Angelegenheit. Und das sollte dies auch bleiben. Im Badezimmer warf ich die Klamotten von mir und stieg seufzend unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf meinen Kopf und half jenen wieder ein wenig zu klären. Ich stemmte die Arme gegen die Wand und genoss für eine ganze Weile dieses reinigende Gefühl und das Rauschen des Wassers. Mit geschlossenen Augen fand ich wieder zu mir und die Vernunft kehrte zurück. Ich musste wieder rational denken. Meine Familie brauchte mich und man erwartete volle Leistung von mir bei der Arbeit. Ich hatte ein tolles Leben mit allem, was man sich nur wünschen konnte. Also weg mit Unzufriedenheit und Zweifel. Weg mit dem Gefühl, etwas im Leben zu verpassen. Weg mit diesem dunkeläugigen Japaner, der mir durch den Kopf spuckte. Ich stieg aus der Dusche und atmete befreit. Ich war auf dem Weg zurück in die Normalität. So schien es zumindest. Bis mein Blick auf meine Anzughose fiel. Bevor ich zurück zu meiner Familie ging, rettete ich den zerknüllten Zettel mit jenem Namen aus der Tasche und vor dem sicheren Schicksal des Papierkorbes. Alan, warum wirfst du ihn nicht einfach weg? Das konnte ich der Stimme in meinem Kopf auch nicht beantworten. Die nächsten Tage verliefen fast wieder normal und geregelt. Keine nächtlichen Panikattacken. Keine Saufgelage. Keine dunkelhaarigen Jungen, die fantastisch singen konnten. Ab und an erwischte ich mich zwar dabei, wie ich auf dem Weg zur Arbeit durch die Scheiben meines Wagens Ausschau nach japanischen Mitmenschen hielt und mit rascherem Herzschlag den Kopf nach jeder zerrissenen Jeans wand, doch ansonsten schien alles wieder beim Alten. Bis zu jenem besonderen Tag. Bis zu jenem Tag, als das Schicksal wohl entschied, dass man Alan Harpor doch auf seine Standhaftigkeit testen sollte. Es waren schon einige Wochen seid dem Abend in der Bar vergangen und der Spätsommer zog über das Land. Bei hoch stehender Sonne saß ich in meinem Büro, kaute auf einem Bleistift und zog nebenher aus dem Internet Informationen über eine Firma, deren Manager sich in einer Streitfrage an mich gewandt hatte. Mein Telefon klingelte und ich nahm den Anruf geistesabwesend an, während ich nebenher weiter die Seiten im Internet durch scrollte. »Alan Harpor.« »Mister Harpor, hier ist Elaine.« Eine unserer Empfangsdamen. »Bei uns ist ein junger Mann, der sie gern sprechen würde. Ich wollte ihn schon an jemand anders verweisen, doch er besteht auf Sie, Sir.« Ich kritzelte eine Notiz auf meinen Block und hatte den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt. »Dann geben sie ihm einen Termin. Oder, ach, schicken sie ihn hoch.« Die Dame am anderen Ende schien ein wenig unsicher. »Ähm, ich weiß nicht, Mister Harpor. Der junge Mann sieht recht…nun, er trägt wenig angepasste Kleidung.« flüsterte sie fast. Himmel, seid wann kam es denn darauf an, was jemand trug? Hauptsache, der Kunde zahlte. Zu genau so einen Satz setzte ich gerade an, als die Worte der Dame langsam, aber zielstrebig in meinen Verstand sickerten. Nun packte ich den Hörer fester und presste ihn mit plötzlicher Aufregung ans Ohr. »Japaner?« fragte ich nur ruppig. Konnte kaum die Antwort abwarten. Ich wusste nicht, was ich in jenem Moment hoffen sollte. Das sie Ja sagte? Oder das sie verneinen würde? Welche Antwort würde welche Folgen haben? Duzende Gedanken schossen mir durch den Kopf, die sich zu einem zähen Wirbel wanden, als ein etwas verdutztes »Ja« aus dem Hörer klang. »Ich komm runter. Ich bin sofort da.« Kapitel 5: Entscheidung ----------------------- Wie durch Nebel watete ich zum Fahrstuhl. Mein Herz schwang noch zwischen der Entscheidung, ob es still stehen oder mir aus der Brust springen wollte. Himmel, Herzrasen war etwas für alte Männer. Zu denen zählte ich mich ja nun wirklich nicht. Hastig drückte ich den Knopf für das Erdgeschoß und klopfte mit dem Fuß ungeduldig auf dem Boden, weil die Türen sich meiner Meinung nach viel zu langsam schlossen. Komm schon. Beeil dich du dämlicher Fahrstuhl. Sonst ist er vielleicht weg. Alan, du machst dich vollkommen unnötig fertig. Das konnte doch gar nicht der Junge mit den düsteren Raubtieraugen sein. Warum sollte er dich aufsuchen? Und woher sollte er wissen, wo du arbeitest? Ich fing langsam an, diese Stimme zu hassen, die sich hartnäckig in mein Hirn fraß und an meinem Gewissen und meinen Nerven zehrte. Ich erblickte mein Bild aus den Augenwinkeln im Spiegel des Fahrstuhles. Rasch strich ich mir die Haare zurecht, überprüfte den Sitz meiner Krawatte und wischte die feuchten Hände an meiner Hose ab. Verflucht, so nervös war ich das letzte Mal vor meinem ersten Date gewesen. Und das war nun schon fast 20 Jahre her. Alan ist nervös wegen eines kleinen Japaners! Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es vollkommen absurd war, hätte ich gesagt, dass die Stimme in meinem Kopf sich gerade schlapp lachte. Es war doch erstaunlich, welche Gedanken einem in einer kurzen Fahrt mit dem Lift durch den Kopf schossen. Zuerst die Frage nach dem Grund, warum er hier war. Ob er es überhaupt war? Wer hätte es sonst sein können? Die Beschreibung passte wie die sprichwörtliche Faust auf das Auge. Und wenn er es war… Wie sollte ich ihm gegenüber treten? Ich wollte auf keinen Fall, das er wieder flüchtete und mich allein mit meinen vielen wirren Überlegungen und Fragen ließ. Ich wusste nicht warum, aber ich schien besessen von diesem Jungen. Kaito. Ich war mir einfach sicher, dass der dunkelhaarige Japaner irgendwie wichtig für mich und mein weiteres Leben war. Ich musste einfach mehr über ihn wissen, vielleicht auch wegen meiner selbst willen. Hatte ich vielleicht einen 6. Sinn entwickelt? Alan, alles was du entwickelst, ist eine Psychose. Vielleicht war er der Einzige, der mir helfen konnte, wieder normal zu werden. Ich konnte nicht weiter in diesem zähen Brei leben, der mich manchmal umgab und meine Gefühle zu toten Teilen meiner selbst verwandelte, hervorgerufen durch den ständig gleichen Alltag und die Unzufriedenheit darüber. Der Fahrstuhl erreichte mit einem hellen ~Pling~ sein Ziel und die Türen glitten langsam auf. Mein Herz dagegen hämmerte laut in meiner Brust, sodass ich der Meinung war, dass müsste das Erste sein, was man von mir wahrnahm. Scheiße, hoffentlich wurde ich nicht rot. Alan, du wirst wie ein Geistesgestörter wirken, der hier dem Fahrstuhl entsteigt. Prima, der Junge wird sicher sofort wieder umdrehen. Soviel zum Reden. Ruhig atmen…ruhig. Verflucht, ich musste mich wirklich beherrschen. Nach außen gelassen und seriös wie immer trat ich aus dem Lift und nickte der Empfangsdame zu, die mich angerufen hatte. Sofort huschten meine verräterischen Augen suchend umher. »Mister Harpor. Es wäre doch nicht nötig gewesen, dass sie persönlich kommen. Ich hätte den jungen Mann auch auf einen anderen Termin verweisen oder ihn…« »Schon gut.« unterbrach ich die gute Frau in ihrem geschäftigen Redeschwall. »Ich habe noch etwas Zeit bis zum nächsten Termin.« Das war zwar so nicht ganz richtig, aber wen interessierte das schon? Mit einem Blick in ihren Terminplaner würde die nette Frau erkennen, dass mein nächster Klient schon in einer viertel Stunde einen Termin hatte. Aber der würde warten müssen. »Wo ist denn der ominöse junge Mann nun?« fragte ich aufgelockert, jedoch verrieten meine klopfenden Finger auf dem Empfangstresen meine Ungeduld. Himmel, Frau, nun sprich schon. Sonst war er womöglich schon weg. Hatte sich vielleicht alles anders überlegt. Die rothaarige Empfangsdame lächelte entschuldigend. »Ah, natürlich. Er wartet dort hinten, Sir.« Sie deutete auf eine große Glasfront des Gebäudes, von der man trotz des Erdgeschosses eine gute Sicht über die Stadt hatte, da die Kanzlei auf einer kleinen Anhöhe thronte. Davor stand eine schlanke Gestalt mit dem Rücken zu uns. Ich war verwundert über mich selbst, dass ich ihn allein am Rücken erkannte. Vielleicht waren es aber auch die zerrissenen Klamotten, die er wieder trug und die wohl Ausdruck seiner Seele und ein Zeichen seines ganz eigenen Modebewusstseins darstellten. Plötzlich überkam mich eine seltsame Ruhe, als wäre allein der Anblick des Jungen Grund genug dafür. Er war es tatsächlich. Kaito Yamada. Egal, warum er hier war, egal, welchen abwegigen Grund er auch haben würde, ob es Zufall oder Absicht war, er stand dort vor dem Glas. Er war hier. Und ich würde seine Stimme wieder hören können. Ich nickte der Empfangsdame mehr als flüchtig zu, eigentlich war es nichts weiter als eine fast mechanische Bewegung meines Kopfes, während meine Füße schon zielstrebig ihr Ziel suchten. Bloß nicht rennen, Alan. Bewahre dir wenigstens einen Rest an Würde. Ich trat vorsichtig näher an den Jungen heran, der mich noch gar nicht bemerkt zu haben schien. Der Blick war auf etwas in dessen Hand gesenkt. Mit überraschen und einem warmen Gefühl von Freude erkannte ich meine Visitenkarte in den schlanken Fingern. Das diese nicht einfach in einem Papierkorb gelandet war, grenzte schon an ein kleines Wunder. So hatte er mich also wieder gefunden. »Ich hätte nicht gedacht, dass man sich wieder sieht.« sprach ich leise und locker, trat an die Seite des Japaners. Der Junge zuckte merklich zusammen, wohl war er in Gedanken versunken gewesen. Für einen Moment konnte ich die Versuchung in seinen Fingern fast kribbeln sehen, meine Karte achtlos zusammen zu knüllen, um nicht zu wirken, als würde er dieser besondere Aufmerksamkeit schenken. Doch er tat es nicht. Er steckte das kleine Kärtchen einfach in die Brusttasche seiner Jacke und wand das Gesicht zu mir. Alan, jetzt mutiere bloß nicht wieder zu einem starrenden Affen, dem ~Idiot~ auf die Stirn tätowiert steht. Diese Augen… Seid wann konnten Augen eine solche Tiefe besitzen? Geheimnisvolle Tiefen, die man einfach ergründen wollte. Musste. Bei unserem ersten Zusammentreffen war es finster gewesen und ich hatte kaum etwas vom Gesicht des Jungen erkannt. Nun stand er im vollen Sonnenlicht, nichts wurde verborgen, alles gnadenlos enthüllt. Diese blassen, makellosen Züge wirkten fast puppenhaft, allein die Augen strahlten das Leben aus, was dem Gesicht fast offensichtlich fehlte. Er musste ein wahrer Künstler im Verbergen von Emotionen sein. Warum diese Erkenntnis meinen Ehrgeiz anstachelte, konnte ich mir in jenem Moment wenig erklären. Ich schenkte dem Jungen ein offenes, beruhigendes Lächeln, welches das Gefühl von Sicherheit übermitteln sollte. Anders, als bei manchen Klienten, fiel es mir in seiner Gegenwart wenig schwer, diese Gefühle ehrlich rüber zu bringen. Leider schien er auch heute nicht mehr gesprächig als in jener Nacht. Was dazu führte, dass ich mir nach ein paar Augenblicken wieder reichlich dämlich vorkam. »Nun, du hast nach mir verlangt. Da bin ich. Womit kann ich helfen?« »Nicht hier.« kam als knappe Antwort von den fein geschwungenen Lippen mit dieser Stimme, die bestimmt Tote wieder erwecken konnte. Wenn er doch mal zwei ganze Sätze am Stück sprechen würde. »Gut, wie du willst. Mein Büro ist oben. Gehen wir.« Ich deutete ihm mit einer einladenden Bewegung den Weg zum Lift und ging einfach voran. Der Knoten meiner Krawatte erschien mir plötzlich recht eng und die Kabine des Fahrstuhles viel zu klein. Passten da wirklich zwei Menschen hinein? Die Lifttür schloss sich hinter uns geräuschlos, genauso schien meine Luftröhre dicht zu machen. Ich lehnte mich an die Wand des Fahrstuhles und starrte auf die geschlossene Tür vor mir. Atme, Alan, atme. Ich wand den Kopf und sah zu dem Jungen hinüber. Er stand scheinbar völlig teilnahmslos auf einer Stelle, die Hände in den Hosentaschen, der Blick geradeaus. Das gab mir zumindest ein paar Momente, um sein Profil zu studieren. Er war wirklich gutaussehend, soweit ich das als Mann beurteilen konnte. Dieser junge Japaner musste ein wahrer Mädchenschwarm sein. Ich konnte mir gut vorstellen, wie ein Poster von ihm an der Zimmerwand meiner Tochter hing. Die dunklen, fast schwarzen Haare waren wieder leicht zerzaust, was ihm etwas Verwegenes verlieh. In seinen Ohren blitzten kleine, silberne Ohrstecker, die mir vorher gar nicht aufgefallen waren. Durch die bedingte Nähe drang sein Geruch in meine Nase. Ich konnte nicht genau definieren, nach was er roch. War es ein besonderer Duft, den er trug oder schlicht sein ganz eigener Geruch, der die kleine Kabine bis in jede Ecke erfüllte? Ich ersparte mir und ihm die Peinlichkeit, irgendetwas Sinnloses von mir zu geben. Erstens sah er im Moment nicht so aus, als wäre er sonderlich an Smalltalk interessiert; zweitens musste er mich noch schrecklich genau von jener Nacht in Erinnerung haben. Ein besoffener Anwalt auf der Suche nach philosophischer Erleichterung. Die Frage in mir wurde immer lauter. Warum war er hier? Sicher nicht, um sich für das, aus meiner Sicht, peinliche Gespräch von neulich zu bedanken. Oder das gar weiter zu führen. Die Türen öffneten sich endlich und erlösten uns aus dieser gezwungenen Enge. Ich ging wieder voran und führte den Jungen somit zu meinem Büro. Einige Augen wanden sich ein wenig fragend in meine Richtung und musterten den Japaner hinter mir. Alan, deine Kollegen werden sich bestimmt fragen, was du mit so einem punkigen Jüngelchen zu schaffen hast. Na und? Sollen sie sich doch fragen. Ist mir doch scheiß egal. Tatsächlich rutschte mir diese Vermutung geschätzte 5 Meter am Hintern vorbei. Seltsam, vor ein paar Wochen noch hätte ich mir Gedanken um meinen Ruf gemacht. Vielleicht kamen die Befürchtungen ja später zurück. Ich wartete, bis der dunkelhaarige Japaner eingetreten war, dann schloss ich die Tür leise hinter ihm. »Kaffee? Wasser?« Er schüttelte nur den Kopf und nahm vor meinem Schreibtisch Platz. Hm, wohl gleich zur Sache. Gut, der Junge wusste offenbar, was er wollte. War mir ganz recht. Ich selbst wanderte rasch um den Tisch herum und ließ mich in den Lederstuhl fallen. Eine Hand schnappte nach einem Stift, den ich mir konzentriert zwischen die Zähne schob. Eine schlechte Angewohnheit. Abwartend sah ich den Jungen vor mir an. Dieser blickte sich mit seinen dunklen Augen kurz um, dann blieb sein Augenmerk auf dem gerahmten Foto meiner Familie hängen. Seine Stirn zog sich kurz in Falten. Aber wirklich nur für einen Wimpernschlag. Ich wiederstand gerade noch so dem Drang, das Bild umzukippen. Alan, das ist deine Familie. Du solltest stolz darauf sein. Warum war es mir dann ungewollt unangenehm, dass er das Bild entdeckt hatte? Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ein fast geflüstertes »Mir wurde etwas gestohlen« über die Lippen des Jungen drang. Zaghaft und gepresst, als hätte er Mühe, darüber zu sprechen. Ich lehnte mich gerade auf meinem Schreibtisch nach vorn und wollte nachfragen, als mein Telefon klingelte. Ich fluchte verhalten und nahm ab, bellte ein missmutiges »Ja?« in den Hörer. Warum musste gerade jetzt jemand anrufen? »Mister Harpor. Herr Tarim ist jetzt da. Soll ich ihn zu Ihnen hoch schicken?« Verflucht. Mein nächster Termin. Mit erschrecken musste ich feststellen, dass sich der Junge schon vom Stuhl erhoben hatte und im Begriff war zu gehen. Alan, nun solltest du dich schnell entscheiden. »Er soll warten.« Mit einem Ruck hatte ich aufgelegt, mich halb über den Schreibtisch gelehnt und den Arm des Jungen gerade noch erwischt. Was für zerbrechliche Arme… Der Japaner wand den Kopf und starrte auf meine Hand, als hätte er damit am wenigsten gerechnet und versuchte, wenn auch halbherzig, aus meinem Griff zu entkommen. »Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich kann Ihre Dienste eh nicht in Anspruch nehmen. Ich bin weder in der Stellung, noch besitze ich das nötige Geld.« »Moment mal. Ganz langsam und ganz ruhig. Jetzt setzt dich erst mal wieder.« Fast beschwörend sah ich den Jungen an. Komm schon. Setz dich. Geh nicht wieder. Alan, du weißt schon, dass du dich gerade kindisch verhältst? »Bitte.« Hatte ich wirklich gerade darum gebeten? Der junge Japaner ließ seine Versuche, zu verschwinden und seufzte, dann setzte er sich langsam wieder. Sein Gesicht zeugte von Unmut und Resignation. Ihm war anzusehen, dass er sich mehr als fehl am Platz fühlte. Zögerlich ließ ich seinen Arm wieder los und lächelte knapp. »Gut und nun nochmal. Was wurde Dir gestohlen?« Der Junge sah zum Fenster hinaus und rieb sich seinen Arm. Hatte ich ihn zu grob angepackt? Scheiße… »Texte. Eine Menge Songtexte. Jemand verwendet sie als seine eigenen.« Schmerzvoll erklang die samtige Stimme. Gefühle hatte er wohl doch. Ihn musste viel an diesen Schriften liegen. Ich lehnte mich wieder zurück, zog einen Block heran und kritzelte die ersten Notizen darauf. Gut, er brauchte also fachlichen Rat. »Diebstahl von geistigem Eigentum. Urheberrechtsverletzung. Immer ein schwieriger Fall.« Jetzt wand er sich mir doch zu, die dunklen Augen leuchteten leidenschaftlich, mit jenem Funken Hoffnung, den man einfach nicht im Keim ersticken konnte. »Hat jemand wie ich eine Chance, zu seinem Recht zu kommen?« Ich hob eine Braue. »Jemand wie du?« »Ich habe kein Geld. Ich bin erst 17.« Autsch. 17?! Alan, warum so schockiert? »Normalerweise ist das keine Frage des Alters.« brachte ich schleppend hervor. Ich sah kurz aus dem Fenster, notierte wieder etwas auf dem Block und wahrte mein Gesicht, so gut es eben geht. Dass er noch so jung war, hätte ich nie gedacht. Aber gut. Was spielte das Alter schon für eine Rolle? In Bezug auf was, Alan? … In Bezug auf eine Rechtsverteidigung würde das schon eine Rolle spielen, mein Guter. »Was ist mit deinen Eltern? Könnten die nicht-« »Ausgeschlossen!« Er verschränkte sogleich die Arme und wirkte, als wolle er sofort wieder aufspringen. Wo eben noch Hoffnung war, wurde jene hinter gemeißelten Gesichtszügen verborgen. Gut, heikles Thema. Ihm zu helfen, könnte schwierig werden. Doch noch weniger wollte ich, dass er wieder ging. Vielleicht war es Schicksal, das wir zwei nun hier saßen? Ich würde meine Chance nicht vertun. Ich rutschte entschlossen an den Schreibtisch heran, ebenso griff ich nach einem Ordner, aus dem ich ein vorgedrucktes Formular zog. Dieses schob ich dem Jungen hin. Ein wenig unschlüssig und fragend sah er darauf. »Was ist das?« »Ein Formular für meine Akten. Schließlich brauch ich schon ein paar Informationen, wenn ich den Fall übernehmen soll, oder?« Ich lächelte vorsichtig zu ihm hinüber. Alan, was zur Hölle tust du da? Bist du vollkommen bescheuert? Der Junge wird dich nie bezahlen können. Diese Gedanken schienen auch ihm durch den Kopf zu schießen. Er legte die schlanken Finger unsicher auf das Blatt Papier vor sich. »Ich kann Sie trotzdem nicht bezahlen.« »Habe ich Geld verlangt?« Er senkte den Blick und ein kleines, hinreißendes Lächeln umspielte diese sinnlichen Lippen. »Nein.« Unter den dunklen Strähnen seiner Haare blickte er wieder zu mir auf. Scheiße, ich glaub, in jenem Moment hätte er mich um alles bitten können. Ich hätte es getan. Es erschien mir fast ein wenig unwirklich, dass ich nun mit ihm hier saß. Ich klopfte mit dem Kugelschreiber auf das Formular. »Fülle einfach nur deine persönlichen Daten aus. Ich denke, den Rest können wir uns sparen.« Ich wollte ihn auf keinen Fall wieder in Verlegenheit bringen, indem ich ihm unschöne Dinge abverlangte. Er dankte es mir mit einem erneuten, flüchtigen Lächeln und begann zu schreiben. Ich ließ ihn erst mal in Ruhe und lehnte mich zurück. Alan. Alan? Hallo? Jemand noch da in diesem großen Hohlraum? Du bist nicht gerade dabei, eine große Dummheit zu begehen? Dummheit? Vielleicht. Mit Sicherheit war es keine gute Idee, einen Fall von einem offensichtlich mittellosen Jugendlichen anzunehmen, der wohl Stress mit seinen Eltern hatte. Mal ganz abgesehen davon, dass ich ihn kaum kannte. Und das ich noch nicht mal von den Umständen des Ganzen wusste. Aber egal. Allein dieses seltene, flüchtige Lächeln von ihm war es wert. Ein Schritt in Richtung Verdammnis? Oder ein Schritt aus meinen trüben Gedankengängen? Vielleicht war meine Entscheidung falsch, komplett falsch. Doch das würde ich ja nie herausfinden, wenn ich diesen Weg nicht weiter ging, nicht wahr? Kapitel 6: Hilfe ---------------- Zu meinem Glück stellte sich der Fall als weniger schwierig heraus, in den der Junge da geschlittert war, als anfänglich angenommen. In meinen schlimmsten Vorstellungen, die mir doch etwas den Schweiß auf die Stirn getrieben hatten, war ich bereits bei bekannten Fernseh- und Radiosendern vorstellig geworden, um die Rechte an Musikstücken zu sichern. Das hätte sich durchaus als, hm, verzwickt erwiesen. Doch nun schien es das Schicksal doch mal ein wenig besser mit mir zu meinen. Selbst die ständig zynische Stimme in meinem Kopf schwieg jetzt einmal. Fragte sich nur, für wie lange... Ich beruhigte mich ein wenig und lauschte dem jungen Japaner bei seinen Ausführungen, wobei ich mich immer wieder ermahnen musste, auch wirklich zuzuhören und mich nicht einfach nur von dem Klang dieser süßen Stimme treiben zu lassen. Oder mich mit dem Blick am Gesicht des Jungen festzusaugen. Irgendwie faszinierte mich die Bewegung seines Gesichtes beim sprechen; immer wieder huschten die unterschiedlichsten Emotionen über die weichen, hellen Züge. Nicht lang genug, dass man etwas davon greifen und benennen könnte und doch lang genug, um einen Eindruck von seinem Wesen zu bekommen. Fast wäre es, als würde man einer spannenden Aufführung, vielleicht einem Theaterstück zusehen, was allein auf seinem Antlitz statt fand. Ich griff nach meiner Kaffeetasse, nickte ab und an geschäftig und machte meine Notizen. Er hatte also einst in einer Band gespielt, die ihn dann aus unerfindlichen Gründen rausgeschmissen hatten. Leider war er so blauäugig gewesen und hatte seine gesamten gesammelten Texte bei diesen offensichtlichen Idioten gelassen. Am liebsten hätte ich mir die Hand vor die Stirn geschlagen. Wie konnte man so eine Wahnsinnsstimme denn abweisen? Mir fiel als einziger Grund ein, dass wohl der neue Frontmann noch ergreifender singen konnte, aber diese Vorstellung wollte sich so gar nicht festsetzen. Ausgeschlossen, dass jemand besser als dieser junge Japaner sang! Alan, meinst du nicht, du bist ein wenig voreingenommen? Und wenn schon. Ich hatte mich nie sonderlich für Musik interessiert und wenn dieser Junge es schaffte, das mit einem einzigem Lied, mit ein paar leidenschaftlich vorgetragenen Worten zu ändern, dann musste er ein wahrer Künstler sein. Alan, du schweifst ab. »Und nun benutzen sie deine Texte ganz offiziell?« Der dunkelhaarige Japaner nickte. Die Hände hatte er im Schoß verkrampft, offensichtlich stand er unter enormer Anspannung. Sein Blick war nun gesenkt, er hatte mich beim sprechen kaum angesehen. Leider. »Sie treten damit auf. Ebenfalls bei einigen Talentwettbewerben und ein paar Festen. Ich habe durch Zufall davon erfahren, weil man MICH darauf hinwies, dass mein Text kopiert ist…« fauchte der Junge fast. Diese einnehmenden Augen sahen wieder aus dem Fenster und funkelten gefährlich. »Hm, hast du schon versucht, mit ihnen zu reden? Vielleicht sind sie ja einsichtig.« Der Junge schnaubte und lächelte humorlos. »Ja, sicher… einsichtig.« Ich beobachtete ihn über den Rand meiner Tasse, an die ich mich klammerte, um die Verbindung zu der Wirklichkeit nicht zu verlieren. Ich brauchte Halt. Warum, zur Hölle, brauchte ich Halt? Warum, verflucht nochmal, hatte ich in seiner Gegenwart solche Mühe, mein perfektes Leben, meine einstudierten und nötigen Lebensweisen beizubehalten? Er bemerkte wohl, dass ich ihn forschend beobachtete und deutete das glücklicherweise falsch. »Ja, ich hab versucht, mit ihnen zu sprechen. Es hat nichts gebracht.« Das war zu erwarten gewesen. Sonst hätte er kaum hier gesessen. Ich nickte bedächtig, ließ mich in meinem Stuhl wieder nach vorn fallen und verschränkte die Hände, um mein Kinn darauf zu stützen. »Das Problem ist, dass ich zweifelsfrei beweisen muss, dass alles dein geistiges Eigentum ist. Verstehst du? Sonst sind die Chancen gleich null, da etwas heraus zu holen. Kannst du irgendwie beweisen, dass alles von dir ist?« Der Junge kaute fast hektisch auf seiner Unterlippe und strich sich durch das dunkle Haar. Dann schien ihm etwas einzufallen und er deutete auf meinen PC. »Sie haben sicher Internet?« »Natürlich.« Er war schon aufgesprungen und zu mir um den Tisch gekommen. »Darf ich?« Himmel, warum war er plötzlich so nah? Das rüttelte jetzt doch etwas an der Mauer meiner Selbstbeherrschung. »Sicher.« Mit, zu meiner echten Verblüffung, ruhigen Fingern, schob ich ihm die Maus hin und rollte selbst mit meinem Stuhl zur Seite. Der Junge beugte sich leicht über den Tisch und begann mit raschen und geschickten Fingerbewegungen eine Internetseite aufzurufen. Hochkonzentriert starrte er dabei auf den Monitor und beachtete mich gar nicht. Ich hingegen hatte wahrlich mit mir zu kämpfen, nicht die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Mir erschien es noch immer mehr wie ein Traum, als die Wirklichkeit, dass dies alles wirklich passierte. Alan, komm mal wieder runter. Das ist nur ein Junge. Gut, vielleicht ein wirklich hübscher mit einem Talent für Musik, aber eben nur ein Junge. Mit einigem Aufbringen an Selbstbeherrschung hielt ich meinen Atem ruhig und zwang meinen Blick von dem Japaner neben mir ebenfalls auf den Bildschirm. Wieder drang dieser Duft in meine Nase, der genauso berauschend schien, wie die Stimme des Jungen selbst. Ein schlanker Finger tippte aufgeregt auf den Monitor. »Da, sehen Sie? Der Beweis. Hier hab ich meine Texte mal hochgeladen, um sie einem Bekannten zu zeigen.« Ich lehnte mich ebenfalls weiter vor und konnte so nicht ganz verhindern, dass sich unsere Arme kurz streiften. Zugegeben, vielleicht wollte ich es auch nicht verhindern. »Sogar mit Datum.« Der Finger des Jungen rutschte auf die Zahlen und er lächelte mich flüchtig an. »Würde das reichen?« Ich studierte die aufgerufene Seite kurz, dann nickte ich. »Das ist fast 2 Jahre her. Sollte eigentlich reichen, wenn deine lieben Bandkollegen erst jetzt damit an die Öffentlichkeit gegangen sind.« Der junge Japaner wirkte mehr als erleichtert und für einen kurzen Moment hatte ich die irrsinnige Hoffnung, dass er mir dankbar um den Hals fallen würde. Sag mal, Alan, was wünschst du dir da eigentlich für einen Müll? Wahrscheinlich sollte ich ehrlich mal darüber nachdenken, einen Arzt aufzusuchen. Vielleicht litt ich ja an einer bisher unbekannten Krankheit, die mir seltsame Gedanken und Wünsche in den Kopf setzte. Alan, diese Krankheit ist nicht unbekannt. Die nennt sich Psychose. Psychose! Der Junge richtete sich wieder auf und ging, zu meinem Bedauern, zu seinem Platz zurück. Doch dort setzte er sich nicht, sondern sah mich unschlüssig, fast skeptisch an. »Sie werden mir wirklich helfen?« Wohl konnte er dem Ganzen noch keinen rechten Glauben schenken. Wie ein heiliger Samariter sah ich dann wohl doch nicht aus. Ich streckte ihm einfach auffordernd meine Hand entgegen und lächelte ehrlich und freundlich. »Alan. Bitte.« Der Blick der dunklen Augen senkte sich auf meine Hand und nun wirkte er wahrlich wieder mehr denn ja wie ein Raubtier. Er fixierte meine Finger und schien abzuwägen, ob es Gefahr barg, diese zu ergreifen oder aber ob man mir trauen konnte. Eine der dunklen, schmalen Brauen hob sich leicht an. Ich hoffte wirklich, dass ich jenen vertrauenswürdigen Eindruck in diesem Moment ausstrahlte, den mein Beruf mir abverlangte und nicht wie ein Psychopath kurz vor dem Ausbruch wirkte. Aber eigentlich war ich der Meinung, mich zumindest äußerlich ganz gut ihm Griff zu haben. Zu dieser Schlussfolgerung kam wohl auch der Junge, denn er trat heran und ergriff tatsächlich meine Hand. Ich wusste wirklich nicht, welche Gefühle ich in jenem Moment verspürte. Alles vermischte sich zu einem wilden Knäul an Emotionen, aus deren Wirrwarr man unmöglich noch etwas herausfiltern konnte. Ein leichtes Prickeln ging von meiner Handfläche aus und zog kurz durch meinen Körper. So schmale Finger. So weiche Haut. »Kaito. Dann… Alan. Du wirst mir wirklich helfen?« Ich war versucht, diese warme Hand eine Weile länger festzuhalten. Einen Moment nur, der vielleicht zwischen Höflichkeit und Dreistigkeit entscheiden konnte. Doch ich ließ los, wobei dies schwerer schien, als einen Gipfel mit 10 Kilo Rucksack zu besteigen. »Das werde ich. Ich werde zumindest alles versuchen, was in meiner Macht steht, damit du dein Eigentum wieder bekommst.« »Und du willst nichts dafür haben?« Das klang nun wahrlich ungläubig. »Naja, etwas könnte ich mir schon als Dank vorstellen…« Sofort verengten sich die Augen des Jungen und man konnte das Misstrauen förmlich darin lesen. Was musste er jetzt von mir denken? Ich fühlte mich sogleich wie das letzte Arschloch, wobei meine Gedanken doch wirklich harmlos waren. Ach, tatsächlich, Alan? Ich hob sofort die Hände und lachte leise. »Nichts Verfängliches. Keine Sorge. Ich wollte einfach fragen, ob du nochmal singen würdest? Vorzugsweise natürlich, wenn ich dabei bin.« Schweigen. Hatte ich mich zu weit vorgewagt? War das zu viel verlangt? »In Ordnung.« kam es dann leise, jedoch nicht widerwillig oder störrisch. Der Junge nickte. Das war wohl eine Option, mit der er leben konnte. Eine Woge Erleichterung und Freude schwappte über mich. »Sehr schön.« Ich erhob mich von meinem Stuhl, trat um den Tisch herum und zog das karg beschriebene Formular des Japaners zu mir. Seine Handynummer hatte er notiert. Sehr gut. »Ich melde mich, wenn sich etwas ergeben hat. In Ordnung?« Ich wiederstand der Versuchung, ihm erneut die Hand hinzustrecken. Kaito nickte; die Lippen erneut geziert von einem kleinen Lächeln. Ich hätte mich so gern noch länger mit ihm unterhalten. Ihn noch länger hier behalten. Doch alle relevanten Dinge waren geklärt. Es gab nichts mehr zu besprechen. Zumindest nicht von offizieller Seite aus. Außerdem wartete mein nächster Klient nun schon fast eine Stunde, verriet mir der Blick auf die Uhr. Das ist schlecht, Alan. Sehr schlecht. Das macht nicht gerade einen guten Eindruck. Kaito war meinem Blick auf die Uhr gefolgt und sah kurz recht bekümmert zur Seite, dann trat er den Weg zur Tür an. »Verzeihung. Ich wollte nicht so viel Zeit stehlen…« Nein. Nein! Denk doch nicht, dass du mir etwas gestohlen hast. Das ist doch nicht wahr. Was war denn dann die Wahrheit, Alan? Die Wahrheit war, dass ich mich in der Zeit mit diesem dunkelhaarigen Jungen zum ersten Mal wieder völlig frei und zufrieden gefühlt hatte. »Ach, halb so wild. Ist nicht schlimm, wirklich.« Kaito wirkte wenig überzeugt, brachte ein kurzes Nicken zustande, dann war er verschwunden. Plötzlich kraftlos sank ich gegen meinen Schreibtisch und bettete das Gesicht kurz in den Händen. Dann fuhr ich mir mit den Fingern durch das Haar. Alan, weiter im Text. Da wartet immer noch jemand. Ich griff nach hinten und zog das Telefon heran. Am Empfang ließ ich verlauten, dass mein Klient herauf kommen könnte. Zu meinem Glück war er noch da. Ich zog das Formular von Kaito zu mir heran und strich flüchtig, fast andächtig mit dem Finger über die feine, geschwungene Schrift des Jungen. Mutierst du jetzt zum Fetischisten, Alan? Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und tippte die Nummer des Japaners rasch in meinen Speicher. Ich fühlte mich wahrlich wie ein Schuljunge, der die Telefonnummer der Schulschönheit in der Tasche hatte. Einfach lächerlich. Doch das leichte, zufriedene Grinsen wollte nicht mehr ganz aus meinem Gesicht weichen. Sofort am nächsten Tag tätigte ich einen Anruf zur Polizeiwache und erinnerte einen alten Freund daran, dass ich noch einen Gefallen gut hatte. Dann setzte ich ein Schriftstück auf, indem ich mit einem Verfahren wegen Diebstahl von geistigem Eigentum drohte. Lisa erklärte ich nach dem Abendessen, dass ich noch ein Treffen mit einem Klienten hatte und drückte ihr und den Kindern noch einen Gute-Nacht-Kuss auf. Susan war, wie erwartet, weniger begeistert. Teenager. Meine Frau fragte nicht weiter nach, es kam ab und an vor, dass einige Kunden auch noch nach Feierabend Hilfe benötigten. Warum sagte ich ihr eigentlich nicht die Wahrheit? Die Sache mit Kaito war einfach wie ein süßes Geheimnis, was ich für mich wahren wollte. Ich lenkte meinen Wagen durch die abendliche Stadt und fühlte leichte Aufregung. Nicht, weil ich diese ehemaligen Bandkollegen von Kaito nun aufsuchen würde, sondern weil ich ihm vielleicht helfen konnte. War es egoistisch, hinterhältig, sich die Dankbarkeit des Jungen zu wünschen? Das war es mit Sicherheit. Ich traf mich mit meinem alten Bekannten vor der ungenutzten Lagerhalle, die mir Kaito beschrieben hatte. Nach seinen Ausführungen fanden hier meist die Bandproben statt. Und tatsächlich, aus dem Inneren der Halle drangen schrille Töne und eine krächzende Stimme, bei der es mir die Nackenhaare aufstellte. Also wenn diese Stimme gegen die des jungen Japaners ausgetauscht worden war, dann hatte jemand sehr wenig Musikgeschmack. Alan, seid wann verstehst du etwas von Musik? Henry hatte sich ebenfalls in seiner Dienstuniform eingefunden. Sehr schön. Es war nicht so, dass ich Angst vor ein paar Halbwüchsigen hatte, das ganz sicher nicht. Ich war körperlich fit und hatte einen annehmbaren Körper, zumindest nach meiner Meinung. Die Stunden im Fitnessstudio und die Jahre, die ich noch zusätzlich mit Kampfsport verbrachte hatte, machten sich doch bemerkbar. Ich würde mich schon wehren können, falls man mir mit Handgreiflichkeiten drohen sollte. Aber ein Polizist strahlte doch noch eine gewisse Förmlichkeit und Dringlichkeit der Sachlage aus. Ich hoffte, das würde reichen, um die jungen Männer einzuschüchtern. Und dem war auch so. Die Gruppe dieser bunthaarigen Jugendlichen sah erst ein wenig verwirrt auf mich, dann schienen sie doch ein wenig nervös, als Henry in voller Montur noch auftauchte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die noch mehr Dreck am Stecken hatten, als nur geraubte Lieder. Aber das stand jetzt ja nicht zur Debatte. Ich erklärte ihnen in knappen Worten, was ihnen drohen konnte und schmückte das ganze natürlich noch ein wenig aus, in der Hoffnung, dass keiner der Jungs Ahnung von der Rechtslage hatte. Ihre bleichen Gesichter bestätigten meine Hoffnung. Ohne große Umschweife unterschrieben sie mir ein Formular, in dem sie einwilligten, kein geistiges Eigentum von Kaito Yamada mehr zu nutzen. Dann händigten sie mir ohne Diskussion das Notizbuch des Japaners aus, in dem sein wertvollster Besitz geschrieben stand. Mit mir selbst mehr als zufrieden schwang ich mich wieder hinter das Steuer meines Wagens und zog mein Handy hervor. Mit zittrigen Fingern und leichter Nervosität tippte ich eine kurze Nachricht an Kaito. ~Erfolg. Wann können wir uns treffen? Gruß Alan.~ Ich erwartete nicht sofort eine Antwort. Doch kurz nachdem ich den Wagen wieder in den zähflüssigen Verkehr der Stadt eingereiht hatte, ließ mein Handy den Empfang einer Nachricht verlauten. Mein Herz hüpfte in jenem Moment fast aus der Windschutzscheibe. Scheiße Alan, du bist wirklich peinlich. Kaito bestellte mich für den nächsten Nachmittag an seine Schule. Seine Nachricht war ebenso knapp wie die meine, was mir einen leichten Dämpfer verpasste. Aber was hatte ich erwartet? Begeisterungsstürme? Alan, das ist nur ein Auftrag. Ein Auftrag, für den du wohl nicht mehr als einen warmen Händedruck bekommen wirst. Trotz allem fuhr ich mit einem mehr als freudigen Gefühl nachhause und ertappte mich dabei, wie ich den nächsten Tag herbeisehnte. Kapitel 7: Regen ---------------- Der nächste Tag begann sonnig und überraschend warm, selbst für einen Spätsommertag. Es war fast, als würde drohendes Unheil in der Luft liegen, die bekannte Ruhe vor dem Sturm. Doch ich schenke dem Wetter an diesem Morgen eher weniger Beachtung. Um nicht zu sagen, war es mir völlig egal. Ich verbrachte eine geschlagene Stunde im Badezimmer, um mich für den Tag herzurichten. Sonst benötigte ich dafür geschätzte 5 Minuten. Susan stand schon ungeduldig wartend vor der Tür und sah mich mehr als verwundert an, als sie endlich IHR Reich für sich einnehmen durfte. Hey, auch Männer sind eitel. Und an diesem Tag war ich das ganz besonders. Lisa sah mich mit hoch gezogener Braue und einem Schmunzeln an, als ich die Küche betrat. Colin klammerte sich sogleich an mein Bein. »Oh, wichtiger Klient heute oder ein Staatsempfang?« fragte meine Frau mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Hm. Hohes Tier im Bankgeschäft.« Sofort meldete sich das schlechte Gewissen. Ach Alan, sag ihr doch, dass du dich für einen Schüler so zum Affen machst. Sie wird es bestimmt verstehen. Langsam entwickelte ich wirklich Mordlust für die Stimme in meinem Kopf, die wohl mein Gewissen sein sollte. Lisa trat zu mir und richtete meine Krawatte. Dann drückte sie mir einen zarten Kuss auf die Lippen. »Du siehst klasse aus. Zum vernaschen.« Sie kicherte wie ein Schulmädchen und ließ den Blick an mir herab wandern. Ich hob Colin auf den Arm. »Na, nicht vor dem Kleinen. Der könnte ein Trauma für sein späteres Leben bekommen.« meinte ich grinsend. Lisa zog einen gespielten Schmollmund, nahm mir dann aber lachend unseren Sohn ab. Irgendwie war ich in jenem Moment sehr froh, dass Colin da war. Es war nicht so, dass ich meine Frau nicht attraktiv fand oder sie weniger mochte, aber die Vorstellung von Sex mit ihr rief im Moment keine Explosionen in mir hervor. Ob das bedenklich war? Ich verabschiedete mich gewohnt herzlich nach dem Frühstück von allen dreien und fuhr mit recht guter Laune ins Büro. Es war befreiend, einmal nicht von Gedanken erdrückt zu werden. Der einzige Gedanke, der hartnäckig in meinem Kopf kreiste und den ich dort auch liebend gern gewähren ließ, war die Vorstellung des Treffens mit dem jungen Japaner heute. Die Zeit wollte gar nicht vergehen. Immer wieder musste ich meinen Blick von der Uhr zurück auf meine Kunden zwingen und mich mühsam auf deren Anliegen konzentrieren. Oh man, Alan, was erhoffst du dir denn von diesem Treffen? Du wirst ihm nur seine Texte bringen und das war es. Also reiß dich zusammen und sei mal wieder bei der Sache. Nach dieser innerlichen Schelte meines Gewissens und der damit einhergehenden Reue, gelang es mir doch im weiteren Tagesverlauf, meine Arbeit wieder gewohnt professionell zu verrichten. Für den Nachmittag sagte ich später alle Termine ab und behauptete, dass es mir einfach nicht gut ging. Niemand schöpfte Verdacht, dass dies nicht der Wahrheit entsprechen könnte. Man war perfekte Arbeit von mir gewohnt. Ich war immer da und es gab nie Beschwerden. Ein Kollege übernahm meine Klienten für diesen Tag und wünschte mir gute Besserung, als ich mich verabschiedete. Der kurze Anflug von schlechtem Gewissen und das Gefühl, etwas Falsches zu tun, war natürlich sofort wieder da. Doch diesmal würde ich diese Gefühle hartnäckig verdrängen. Wenn ich ihnen nämlich nachgeben würde, wäre mir auch in keinster Weise geholfen. Mal ganz abgesehen davon, dass dann auch alles wieder wie vorher wäre. Doch wollte ich das? Nein. Ich wollte eine Veränderung in meinem Leben, egal, wie jene aussehen sollte. Alan, willst du Kaito nur benutzen, um diese Veränderung herbeizuführen? Brauchst du ihn nur, um deinem Leben wieder eine gewisse Prise an Aufregung zu geben? Nein! Ganz entschieden. Nein! Er war nicht einmal der Auslöser für meine unzufriedenen Gedanken und Gefühle gewesen. Die waren schon vorher da. Er war vielleicht die Lösung, um wieder in die Normalität zurück zu kehren. Willst du das überhaupt, Alan? Willst du wieder leben wie zuvor? Willst du wieder „normal“ sein? Ich ließ die Antwort auf diese Frage vorerst offen. Ich fand die Oberschule recht schnell, deren Adresse Kaito mit in die Nachricht geschrieben hatte und hielt einfach dreist davor in der Reihe der Lehrerautos. Ich stieg aus, lehnte mich an meinen Wagen und zündete mir eine Zigarette an. Mit einer fließenden Handbewegung rückte ich meine Sonnenbrille zurecht und schickte einen kurzen Blick zum Himmel. Die sonne brannte unerbittlich, doch am Horizont zogen dichtere Wolken auf. Genüsslich zog ich den Rauch in die Lungen und betrachtete die fast unscheinbare Schule vor mir. Ich war ein wenig zu früh dran, doch warten machte mir nichts aus. Wenn der Junge diese Schule besuchte, so strebte er mit Sicherheit einen höheren Bildungsweg an. Diese Oberschule war dafür bekannt, dass sie recht hart und streng in der Auswahl ihrer Schüler war. Dafür absolvierten die meisten ihren Abschluss mit guten Ergebnissen. Die Schulglocke schrillte über den Hof und es dauerte nicht lang, bis die ersten Schüler quasselnd und lachend das Gebäude verließen. Ich hielt durch die getönten Scheiben meiner Brille unauffällig Ausschau nach jenem dunklen Haarschopf und der dazugehörigen schlanken Gestalt. Viele Gruppen von Mädchen kamen an mir vorbei und musterten mich mehr als interessiert, steckten dann tuschelnd die Köpfe zusammen. Ich schmunzelte knapp und nahm wieder einen tiefen Zug von meiner Zigarette. Kein Wunder, dass ich Aufmerksamkeit auf mich zog. Mein Wagen und mit Sicherheit auch mein Aussehen waren besser, als das manches Lehrers hier. Es tat gut, wieder einmal mit solchen begehrlichen, jedoch schüchternen Blicken angesehen zu werden. Ich war nicht eitel oder so auf Aufmerksamkeit versessen, dass ich ohne jene nicht leben konnte, doch es war eindeutig ein gutes Gefühl, wenn man einmal nicht nur den Anwalt Alan Harpor in mir sah, sondern auch den Mann. Ein leises Räuspern neben mir ließ mich den Kopf wenden. Dort stand ein recht hübsches, dunkelhaariges Mädchen, im Hintergrund wohl ihre Freundinnen, die kichernd das Ganze beobachteten. Na wunderbar, ich wurde doch nicht gerade das Ziel einer Mutprobe? »Entschuldigen Sie, sind Sie ein neuer Lehrer hier?« fragte mich die kleine Schönheit mit großen grünen Augen. Eigentlich wäre jener Typ Frau in früheren Zeiten der Grund gewesen, dass ich schlaflose Nächte hinter mich brachte. Jetzt jedoch berührte mich diese zierliche Gestalt wenig. Vielleicht, weil ich zu sehr meine Tochter darin sah. Vielleicht… Was ist los Alan, wünschst du dir etwa, von ganz bestimmten Augen, von dunklen Raubtieraugen, so angesehen zu werden? Ich schüttelte den Kopf, für die Stimme in meinem Kopf und für das Mädchen neben mir. »Tut mir Leid, Dich enttäuschen zu müssen, ich warte nur auf jemanden.« Ich schenkte der Dunkelhaarigen trotz allem noch ein freundliches Lächeln, was wohl für jene genug war, hochrot anzulaufen. Ich richtete den Blick wieder nach vorn und fast wäre mir die Zigarette aus dem Mundwinkel gelitten, was dann wohl wenig anziehend gewirkt hätte. Dort, nur ein paar Meter vor mir, stand Kaito. Er sah mich schweigend an, die Hände gewohnt in den Hosentaschen der, meiner Meinung nach, viel zu kurz geschnittenen Jeans. Wenn der Stoff noch ein Stück tiefer rutschen würde, könnte man… Oh, ganz schlechter Gedanke. Ganz schlecht. Zum Glück waren meine Augen und somit mein Blick hinter den dunklen Gläsern meiner Brille verborgen. Der Junge stand noch immer regungslos da, die große Sonnenbrille auf seiner Nase verdeckte fast ein Drittel seines Gesichtes und machte es noch unmöglicher als sonst, irgendetwas aus seinen Zügen zu lesen. Warum hatte ich das Gefühl, dass er irgendwie sauer war? Sein Gesicht hatte sich doch keinen Millimeter bewegt. Und doch war ich mir fast sicher, dass sein Blick zwischen mir und dem Mädchen hin und her schwang, welches noch immer an meiner Seite stand. Alan, er ist nicht sauer, er fühlt sich nur in seiner Meinung von dir bestätigt, dass du genau so ein Großkotz und Angeber bist wie die meisten Kerle im Anzug. Na klasse. Ich warf die Zigarette auf den Boden und trat sie unter meinen Schuh aus, dann wand ich mich meinem Auto zu und öffnete die Beifahrertür, um dort etwas vom Sitz zu ziehen. Das sollte nun aber wirklich ein Wink mit dem Zaunpfahl für das Mädchen sein, zu verschwinden. Zu meiner Erleichterung verstand sie diesen auch und gesellte sich wieder zu ihren Mitschülerinnen. Als ich mit dem Kopf wieder aus dem Innerem meines Wagens auftauchte und mich umwand, stand der Junge direkt vor mir. Einen überraschten Laut konnte ich mir gerade noch verkneifen. »Hey, Kaito.« Es schien ihm Spaß zu machen, an meinem Nervenkostüm zu zerren und dieses Stück für Stück in seinen schlanken Händen zu halten. Ein kaum wahrnehmbares Schmunzeln umspielte die Mundwinkel des jungen Japaners. »Alan.« Er nickte mir grüßend zu und war schon wieder viel zu nah. Nun machte mir nicht nur die Wärme zu schaffen, sondern auch noch dieser anziehende Duft des Jungen. Alan. Nur ein Junge. Nur ein Junge… Diese Worte immer wieder wiederholend, hielt ich dem jungen Japaner einen schmalen Umschlag hin, in welchem sich das von mir aufgesetzte Schriftstück befand, welches Kaito die Rechte an seinen Liedern wieder zusicherte. »Das sollte Dir gefallen.« Er senkte den Blick langsam auf den Umschlag und nahm ihn entgegen, berührte flüchtig meine Fingerspitzen mit den seinen. Wieder dieses fast elektrische Prickeln, was die gefühlten Temperaturen gleich noch steigen ließ. Wohin verzieht sich meine kühle Selbstbeherrschung nur immer, wenn dieser Junge in der Nähe ist? Nicht mal die spöttische Stimme in meinem Kopf hatte eine Antwort darauf. Kaito öffnete den Umschlag und überflog die Zeilen auf dem Papier rasch. Nun hellte sich sein blasses Gesicht doch auf; zumindest lächelte er ehrlich erfreut und sichtlich erleichtert. Ich zog noch sein Notizbuch aus dem Wagen und hielt ihm das ebenfalls hin. Er riss es mir fast aus den Händen, blätterte rasch die Seiten durch, ob auch nichts fehlte und drückte es dann einen Moment an seine Brust. Wenn ich doch nur seine Augen in jenem Moment hätte sehen können… Sicher strahlten diese förmlich. So ähnlich, wie wenn er auf der Bühne stand und seiner Seele so einzigartig Ausdruck verlieh. Er hielt den Kopf gesenkt und für einen Moment wirkte es, als müsse er mit den Tränen kämpfen. Ich hatte meine Hand schon ausgestreckt, um diese auf die zarte Schulter zu legen, zog sie jedoch bei einem geflüsterten »Danke« seinerseits rasch zurück. »Kein Problem. Hab ich gern gemacht. Wirklich. Ist ja auch mein Job.« Er hob den Blick hinter den dunklen Gläsern wieder und schien mich forschend anzusehen, zumindest vermutete ich das durch die leichte Schieflage seines Kopfes. »Es ist aber nicht dein Job, das ganz ohne Bezahlung zu tun.« »Lass doch das Geld mal aus dem Spiel. Ich hab es gern gemacht, okay?« fuhr ich ihn fast ein wenig forsch an, sodass er unmerklich zurück zuckte. Sofort tat er mir wieder leid. Was hatte dieser Junge nur an sich, dass ich so intensiv auf ihn reagierte? »Hey, diese Lieder gehören dir. Diese Texte passen nur zu dir und deiner Stimme. Das zu trennen wäre einfach nicht richtig. Sieh es als gute Tat meinerseits, um mir den Weg in den Himmel zu sichern.« versuchte ich mit einem schiefen Grinsen die Situation zu retten. Er sah mich wieder lange schweigend an. Der plötzlich auffrischende Wind trieb ihm ein paar dunkle Strähnen ins Gesicht und wieder hatte ich mit mir zu kämpfen, diese nicht daran zu hindern und ihm aus dem Gesicht zu streichen. Er wirkte heute irgendwie noch zerbrechlicher und verletzlicher wie an jenem Tag, als er mich in der Kanzlei aufgesucht hatte. Seine Haut war so hell, fast durchscheinend. Sein Gesicht zeigte noch immer die fast puppenhaften, starren Züge. Es machte mich fast wahnsinnig, dass ich seine wundervollen Augen nicht sehen konnte. »Es hat sich noch nie jemand so für mich und meine Lieder interessiert. Du bist der Erste, Alan.« bemerkte er schlicht. Was? Ausgeschlossen! Sollte noch niemandem außer mir aufgefallen sein, wie dieser Junge mit der Musik harmonierte? Wie er darin aufging und dies sein Weg war, sein Innerstes nach außen zu kehren? Genau zu solch einer Frage setzte ich gerade an, als schwere Regentropfen zu Boden fielen und klatschend auf meinem Autodach und unseren Köpfen landeten. Ich sah wieder in den Himmel auf; dunkle, schwarze Wolken hatten sich da zusammengebraut, was ich bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Der erste Donner grollte über die Stadt und brachte den Boden zum vibrieren. Die meisten Schüler verzogen sich nun schnell nachhause oder suchten sich irgendwo einen Unterschlupf. Kaito machte gar keine Anstalten, zu verschwinden, sondern sah mich weiter einfach nur an. Zumindest vermutete ich das, da sein Gesicht leicht zu mir angehoben war. Noch immer konnte ich seinen Blick durch die dunklen Gläser auf seiner Nase nicht deuten. Allein sein Notizbuch und meinen Umschlag hatte er schützend an die Brust gepresst. Ich selbst unternahm auch keinen Versuch, mich in irgendeiner Weise zu bewegen, obwohl der Regen rasch heftiger wurde. Bald waren meine Haare durchweicht und das Wasser machte auch vor meinem teuren Anzug nicht Halt. Was mir allerdings in jenem Moment völlig egal war. Mein Blick haftete an dem Jungen vor mir. Die dunklen, nun nassen Haare klebten dem jungen Japaner am Kopf; das Wasser perlte daraus über sein blasses Gesicht, hinab über Lippen und Kinn, um schließlich dem Verlauf seines schlanken Halses zu folgen. Ich konnte das Pulsieren seines Herzschlages an der Seite seiner Kehle überdeutlich sehen, trotz getönter Brille. Wie gebannt verfolgte ich den Weg der Regentropfen auf dieser zarten Gestalt und kam nicht umhin, mit dem Blick an dem durchweichten T-Shirt hängen zu bleiben. Was vorher schon nur notdürftig durch den löchrigen Stoff verborgen worden war, war nun gnadenlos durch die Nässe enthüllt. Ich konnte die Linie seiner Rippen fast nachzeichnen, wen ich gewollt hätte. Auch sein Nabel war überdeutlich sichtbar, ebenso die durch den kühlen Regen aufgerichteten Brustwarzen. Mein schlagartig überhitzter Körper begrüßte das kalte Nass dankbar. Alan, was ist los? Stehst du neuerdings auf Männer? Macht dich dieser Anblick an? In meinem Kopf herrschte eine solche Leere, die allein durch das Prasseln des Regens gefüllt zu werden schien, sodass ich unmöglich eine Antwort auf diese Frage finden konnte. Oh verflucht, was war nur mit mir los? Mein Herz pumpte Blut an Körperstellen, wo ich es im Moment eindeutig nicht gebrauchen konnte. Allein jahrelang antrainierte Selbstbeherrschung und äußerliche Gefasstheit verhinderte es in jenem Moment, dass ich mich wohl wie ein kompletter Idiot verhielt. Fahrig wischte ich mir das nasse Haar aus der Stirn und zog mir die Sonnenbrille vom Gesicht. Die war ja nun mehr als unsinnig. Meine Augen suchten sofort die des Jungen hinter dessen dunklen Gläsern. Trotz das diese verborgen waren, hatte ich das Gefühl, amüsiertes Funkeln hinter der Brille erkennen zu können. Super, Alan. Jetzt hält er dich bestimmt für einen Perversen, der vor Schulen auf neue Opfer wartet. Ich war mir fast sicher, dass ich rot wurde, trotz allem konnte ich den Blick nicht von Kaito wenden. Irgendetwas an dem Jungen zog mich einfach magisch an. Wir standen noch eine ganze Weile so unbeweglich im Regen, während um uns das Gewitter tobte und das Wasser den Staub des Sommers von den Straßen spülte. Eine seltsame Verbindung schien in jenem Moment zwischen uns zu bestehen, derer es keine Worte bedurfte. Schließlich löste ich mich endlich aus meiner Erstarrung und zog die Beifahrertür auf. Auffordernd sah ich den Jungen an. Kaito zögerte nicht und stieg einfach ein. Ich schloss die Tür hinter ihm und lief rasch um den Wagen. Lisa würde wohl wenig begeistert sein, wenn ich die Sitze dieses teuren Autos mit Regenwasser versaute. Aber…ach, scheiß drauf. Wenn mir etwas in jenem Moment völlig egal war, dann war es die Sorge meiner Frau über beschmutzte Sitze. Erleichtert ließ ich mich in das trockene Innere des Wagens fallen und zog die Tür hinter mir zu. Sofort war der Innenraum angereichert vom Aroma des Regens, dazwischen dieser süße Duft des jungen Japaners. Hm, vom Regen in die Traufe, Alan? Ich zog mir die völlig durchweichte Anzugjacke aus und warf sie achtlos hinter mich, dann ließ ich den Motor laufen und schaltete die Heizung ein. Kaito hatte sich bis jetzt kaum bewegt, saß einfach nur da, sein Buch im Schoss, die Schultasche zu seinen Füßen und starrte durch die Windschutzscheibe. Vereinzelt perlten noch immer Tropfen aus seinem Haar und zogen glänzende Spuren über Wange und Hals des Jungen. »Soll ich Dich nachhause fahren?« Ruckartig wand er sich zu mir um und ergriff meine Hand, die schon auf dem Schalthebel lag. Fast krampfhaft klammerte er sich an meine Finger und schüttelte heftig den Kopf. »Nein.« Das war die erste wirkliche Reaktion, die ich an diesem Tag von ihm erlebte. Mein Blick flog von meiner Hand zu seinem Gesicht. »Gut. Okay. Wohin dann? Wo willst du hin, Kaito?« Es war bestimmt nicht richtig, sich zu wünschen, dass er seine Finger noch länger in meine Hand graben würde, oder? Nein, Alan, das ist bestimmt nicht richtig. Eigentlich solltest du dir wünschen, dass er dich loslässt, damit du nachhause kannst. Denn dort gehörst du hin. »Mir egal. Irgendwohin. Einfach weg.« wisperte diese süße Stimme, die erneut an meiner Mauer aus Selbstbeherrschung rüttelte. Noch immer trug der Junge diese fast überdimensionale Sonnenbrille und ich zögerte nun nicht, die Hand danach auszustrecken, um sie ihm vom Gesicht zu ziehen. Wieder hielt mich eine seiner schlanken Hände auf halbem Weg auf und er schüttelte fast flehend den Kopf. Was verbarg er nur? Ich konnte der Versuchung nicht wiederstehen, mit dem Daumen über seinen Handrücken zu streichen, als ich ihm meine Hand entzog. Er hatte so unglaublich zarte Haut. »Gut. Dann irgendwohin. Am besten erst mal weg von hier, hm?« Ich legte den Gang ein und fädelte den Wagen gewohnt sicher in den Verkehr. Allein das Geräusch der Scheibenwischer und der Regen auf dem Auto begleitete uns nun eine ganze Weile. Kapitel 8: Neue Rätsel ---------------------- Ich wusste am Ende wirklich nicht mehr, was ich in jener Zeit alles dachte, die wir ziellos durch die Stadt unterwegs waren. Später erschien es mir mehr wie ein Traum, wie etwas Unwirkliches, was ich nur am Rande meines Selbst wahrgenommen hatte. Die Zeit schien in einer endlosen Schleife im Nichts zu hängen; unmöglich konnte ich sagen, wie spät es war oder wie lang wir uns schon durch die Straßen schlängelten. Kaito sprach kein Wort mehr, allein sein leiser Atem begleitete mich neben dem immerfort währendem Trommeln des Regens und den Geräuschen der Stadt. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blendeten mich ab und an durch die regennasse Windschutzscheibe; das Gewitter hatte den Tag verdunkelt. Eine Frage, eine einzige Frage war es, die hartnäckig durch meinen Kopf schwebte und mir immer wieder vor Augen aufblitzte wie die vielen Leuchtreklamen, an denen wir vorbeifuhren. Was tue ich hier? Ja, Alan, was tust du hier? Ergibt das alles einen Sinn? Wohl kaum. Doch ich konnte nicht leugnen, dass ich die Nähe, die bloße Anwesenheit des Jungen neben mir mehr als genoss. Er hatte etwas Beruhigendes an sich, etwas, was mein Innerstes wieder in Gleichklang mit mir selbst brachte. Viele unterschiedliche Gefühle wechselten sich auf jener Autofahrt in mir ab und ein jedes versuchte für sich die Oberhand zu gewinnen. Aufregung. Neugier. Besorgnis. Sogar Furcht. Furcht davor, wohin diese Reise noch gehen würde. Ich fragte den Jungen die ganze Zeit über nicht, was los war. Doch das etwas nicht stimmte, war mehr als offensichtlich. Schweigend fuhren wir dahin. Kaito sah aus seinem Fenster und irgendwann hatte ich sogar das Gefühl, dass er leise weinte. Genau konnte ich es nicht sagen, da der Regen laut rauschte und auch die Heizung des Wagens vieles übertönte. Flüchtig sah ich zu ihm hinüber und war mir fast sicher, dass nun nicht mehr das Regenwasser auf seinen Wangen glänzte. Wir waren eh wieder fast trocken. Mein Herz krampfte schmerzhaft zusammen und ich konzentrierte den Blick wieder nach vorn. Ich wollte ihn nicht mit sinnlosen Fragen nerven. Außerdem war ich mir fast sicher, dass dieser Junge kaum jemand war, der gern sein Herz offenbarte. Wenn er dies tat, dann tat er es freiwillig und nicht weil ihn irgendjemand dazu nötigte. Alan, seid wann besitzt du solche Menschenkenntnis? Kannst du die Eigenarten dieses Jungen denn überhaupt schon kennen? Nach dieser kurzen Zeit? Die Antwort lautete Nein. Aber ich konnte fühlen, was er wahrscheinlich brauchte. Und im Moment war das Ruhe. Einfach Ruhe und Zeit für sich. Und die wollte ich ihm geben, indem ich weiter den Wagen ziellos über die regennassen Straßen lenkte. Ich wollte ihm schlicht, vielleicht auch aus egoistischen Gründen, das Gefühl geben, dass er hier sicher war. Das er sich hier fallen lassen konnte. Oh, Alan. Alan, der wahrhaft heilige Wohltäter. Er hilft den Armen und Schwachen. Ist das nicht niedlich? Wann, zur Hölle, hast du die Nächstenliebe für dich entdeckt, Alan? Keine Ahnung. Vielleicht war allein dieser Junge der Auslöser dafür, dieser Japaner, der mehr an meinem Selbst rüttelte als jemand zuvor. Irgendwann, ich weiß nicht mehr, nach wie vielen Stunden und abertausenden Regentropfen auf meiner Windschutzscheibe, nahm Kaito doch seine Sonnenbrille ab. Sein Gesicht lag größtenteils im Schatten, da es doch recht dunkel war, außerdem hatte er den Blick weiter aus dem Fenster gerichtet. Die Brille hielt er verkrampft in der Hand. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er sie nur für mich abgenommen hatte. Das er wollte, dass ich es sah. Wieder blickte ich zuerst nur flüchtig hinüber, um sicher zu gehen, dass es ihm noch gut ging. Dass sein Gesicht nicht mehr verhüllt war, bemerkte ich sofort. Ebenso den riesigen, schillernden Bluterguss neben seinem linken Auge, der sich fast wie eine skurrile Maske dort ausbreitete und die blasse Haut des Jungen zu verhöhnen schien. Ich zog zischend die Luft ein und meine Hände krampften sich ruckartig um das Steuer, sodass ich für einen Moment fürchtete, ich könnte die Kontrolle über den Wagen verlieren. Gezwungenermaßen sah ich wieder auf die Straße, wobei mein Blick wie von selbst immer wieder in eine ganz andere Richtung fliegen wollte. »Was ist passiert, Kaito?« fragte ich mit so rauer und kalter Stimme, die mich selbst fast schreckhaft zusammenzucken ließ. Sofort spürte ich einen kühlen Klumpen im Magen, der sich mit hässlichen Tentakelfingern zu entfalten schien und nach meinem Herz und meiner Lunge griff. Alan, jetzt reiß dich mal am Riemen! Du bist nicht sein Vater. Nicht mal ein Verwandter. Wohl nicht mal ein Freund. Diese Sorge steht dir nicht zu. Kaito antwortete nicht und ich musste mich wahrlich beherrschen, ihn nicht anzuschreien. Wieder sah ich nur kurz zu ihm, er hatte sich mir nun zugewandt und lächelte leicht, ein resigniertes, melancholisches Lächeln, was sich mir ins Hirn fraß. »Wie ist das passiert?« versuchte ich es erneut, diesmal in ruhigerem Tonfall. Er brauchte gar nicht zu versuchen, mir eine Geschichte von Stürzen oder sonstigem aufzutischen. Ich kannte solche Verletzungen zur Genüge. Wie oft hatte ich geschlagene Ehefrauen vor mir sitzen gehabt mit denselben Wunden. Nur waren jene verschreckt und ängstlich gewesen, allein in Kaito´s Augen sah ich Kampfgeist und das Raubtier wie immer. Immer noch keine Antwort. »Scheiße, wer hat dich geschlagen?« Ich war schon drauf und dran den Wagen an die Seite zu lenken und anzuhalten, doch Kaito hielt mich auf. »Fahr weiter. Bitte. Fahr weiter.« Ich rang kurz mit mir, kam dann seiner Bitte aber doch nach. Ein Wort aus seinem Mund und ich mutierte wieder zur willenlosen Marionette. Fantastisch. Alan, du Weichei. Ja, das war ich wirklich. Ich fuhr weiter, verkrampft und angespannt. Langsam ließ der Regen nach und die Sicht wurde besser. Ich verstand es nicht. Warum hatte er mir dieses Geheimnis offenbart, wenn er eh nicht darüber reden wollte? Wollte er nur meine Reaktion testen? Wollte er sehen, ob es mich berührte? Oh ja, das tat es. Mit Sicherheit. Ich fühlte den gleichen Hass für diesen namenlosen Unbekannten, der Kaito das angetan hatte, wie ich für jemanden gefühlt hätte, der meiner Frau oder meinen Kindern so nah gekommen wäre. »Wer hat dich angefasst? Ich könnte ihn zur Rechenschaft ziehen.« versuchte ich es diesmal auf der Schiene der Vernunft und Logik. Mit noch mäßigerem Erfolg. Der Junge hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt und starrte schon wieder geradeaus, als wäre nichts passiert. Ich wurde aus ihm nicht schlau. Nicht im Geringsten. Und vielleicht war das genau der Grund, warum ich nicht von ihm los kam. Er war ein Geheimnis, ein Rätsel, was ich ergründen und lüften musste. Müssen, Alan? Ja, ich musste. Denn sonst würde ich nie Ruhe finden. Dessen war ich sicher. »Fährst du mich zum Tierheim?« fragte er leise und gefasst, normal wie immer, als ob nichts gewesen wäre. Ich blinzelte verwirrt und holte tief Luft. »Wirst du mir dann meine Frage beantworten?« »Vielleicht.« Alan, du setzt jetzt nicht den Blinker und fährst tatsächlich durch die halbe Stadt noch zum Tierheim, nur um vielleicht eine Antwort zu bekommen? Doch, genau das tat ich. Wäre ich ein Fisch gewesen, so hätte der junge Japaner mit Sicherheit den Köter besessen, um mich zu fangen. Ich kam seinem Wunsch ohne zu Zögern nach, einfach in der Hoffnung, mehr über diesen Jungen erfahren zu können. Nach einigen Umwegen erreichten wir das städtische Tierheim; ich parkte davor und stellte den Motor ab. Kaito war so schnell aus dem Wagen, dass ich ihn kaum daran hindern konnte. Verflucht. Ich packte meine inzwischen wieder trockene Jacke und beeilte mich, ihm zu folgen, wollte ihn auf keinen Fall allein lassen. Der junge Japaner war schon durch die Eingangstür verschwunden; aus dem Gebäude und den umliegenden freiem Gelände klang Gebell und das Miauen von Katzen. Ich verzog kurz das Gesicht. Eigentlich hielt ich nicht viel von Tieren. In meinen Augen waren sie schmutzig. Stanken. Und fraßen zu viel. Auch ich öffnete nun die Tür, die ins Innere führte. Eine ältere, rundliche Dame hatte Kaito schon herzlich in die Arme geschlossen und wuschelte ihm durch das dunkle Haar. Zu meiner Verwunderung ließ er es ohne Murren mit sich geschehen, sogar ein zaghaftes, fröhliches Lächeln brachte er zustande. Was ist, Alan? Eifersüchtig? Wohl kaum. »Kaito. Wie schön, dass du dich mal wieder blicken lässt. Du warst schon lang nicht mehr da.« Ein wenig vorwurfsvoll sah die rüstige Dame den Jungen an und drückte ihn ein wenig von sich, um ihn prüfend zu mustern. Als sie die Sonnenbrille sah, verschwand ihre freudige Miene schlagartig und wurde von Besorgnis ersetzt. Ein deutliches Zeichen, dass sie das nicht zum ersten Mal sah. Ich räusperte mich nun vernehmlich; es war mir ein wenig unangenehm, tatenlos in der Tür stehen zu bleiben. »Oh, du hast jemanden mitgebracht!? Ein Freund von dir, Junge?« Nun sah ich mehr als interessiert zu Kaito und wartete fast gierig auf eine Reaktion von ihm. Was war ich wohl für ihn? War ich überhaupt mehr für ihn als der Anwalt, der ihm geholfen hatte? Klar, Alan, du bist sein persönlicher Pausenclown zur Belustigung. Wieder schien mein Gewissen sich schlapp zu lachen. Der junge Japaner hob nur flüchtig den wieder verhüllten Blick zu mir, allein einen Wimpernschlag galt mir seine Aufmerksamkeit. Und doch bildete ich mir ein, ein seltsam wehmütiges Lächeln auf den sinnlichen Lippen zu sehen. »Ein Bekannter.« Dann war er schon durch eine weitere Tür verschwunden. Am Gebell vermutete ich, dass er sich zu den Tieren gesellte. Die grauhaarige Frau wand sich mir zu und streckte mir nun wieder lächelnd die Hand entgegen. »Willkommen, ich bin Elene. Mir gehört das Tierheim.« Ich ergriff die Hand der Frau ohne zu zögern. Sie strahlte etwas Vertrauenswürdiges aus, was wohl allein älteren Damen vorbehalten war, als ob diese die Bezeichnung ~Großmutter für jedermann~ fett auf der Stirn tragen würden. »Alan Harpor. Rechtsanwalt.« stellte ich mich höflich vor. Sofort senkten sich die grauen Brauen. »Rechtsanwalt. Hm. Hat Kaito was angestellt?« »Nein. Sollte er?« »Eigentlich nicht.« »Keine Sorge. Ich habe ihm nur bei etwas geholfen.« Die alte Dame nickte. »Bestimmt diese Sache mit seinen Liedern?« Ich war überrascht, wie viel die Frau über den Kaito wusste. Und fast war ich auch ein wenig neidisch, da ich selbst kaum etwas aus den Jungen herausbekommen hatte, was mich ehrlich wurmte. Was hast du erwartet, Alan? Das dir der Junge, einem völlig Fremden, sein Herz ausschüttet? Ich weiß, das war mehr als blöd. Aber irgendwie hatte ich genau das gehofft. »Ja genau, das Problem mit seinen Liedern. Ich konnte es für ihn regeln. Er sollte da jetzt keine Schwierigkeiten mehr haben.« Elene sah mich sofort aus warmen, dankbaren Augen an und drückte meinen Arm. Fast schien sie den Tränen nah. »Ich danke Ihnen. Danke, dass sie dem Jungen geholfen haben.« Sie blickte wieder zu der Tür, aus der Kaito verschwunden war. »Er hat es so schon nicht einfach.« Der letzte Satz ihrerseits war so leise, dass ich sicher war, dass ich ihn eigentlich nicht hören sollte. Trotzdem sog ich ihn auf wie ein Ertrinkender Atemluft. Jede Information über den jungen Japaner erschien mir so wertvoll wie pures Gold. Und obwohl ich wusste, dass es nicht richtig war und fern ab von gutem Benehmen, konnte ich nicht an mich halten und musste die Frau einfach weiter über Kaito ausfragen. Sie schien als Einzige mehr über den Jungen zu wissen. Alan, du weißt schon, dass sich das nicht gehört? Wenn er das herausbekommt, wird er bestimmt nicht erfreut sein. Würde er dir etwas über sich erzählen wollen, so hätte er es bestimmt schon getan, meinst du nicht? Konnte mein Gewissen nicht ein einziges Mal schweigen? »Sie kennen Kaito gut?« warf ich unverbindlich in den Raum. Sie lachte kurz und klopfte mir wieder mütterlich auf den Arm. »Kaito kennt niemand gut. Dieser Junge ist ein Buch mit sieben Siegeln. Man kann wohl froh sein, wenn man ein bisschen was über ihn weiß.« Ihre grünen Augen fixierten mich forschend. Nicht abwertend oder bösartig, einfach prüfend. »Sie interessieren sich für den Jungen?« Hach, wie ich die direkte Art alter Leute doch mochte. Wahrscheinlich zu meinem eigenen Glück geriet ich nicht in Erklärungsnöte oder fing an, dummes Zeug zu stottern. Mit Sicherheit wäre meine einzige Informationsquelle dann rasch versiegt. »So ist es. Ich hab ihn singen gehört und seid dem…nun ja, ich würde gern mehr über ihn wissen. Über seine Musik und auch über ihn selbst. Irgendwie hab ich das Gefühl, er ist wichtig für mich. Ich möchte ihm gern helfen.« gestand ich ehrlich und fragte mich im nächsten Moment, ob ich das wirklich gesagt hatte. Ja, hast du, Alan. Elene sah mich wieder mit diesem forschenden Blick an, dem nichts zu entgehen schien und dem man mit Sicherheit auch nichts vormachen konnte. Dann nickte sie einfach schlicht, als wäre sie von meiner Aufrichtigkeit überzeugt. Warum hatte ich mich eben gefühlt wie vor dem Scharfrichter? Sie trat zu der Tür, aus der Kaito vorhin verschwunden war und zog jene auf, dann winkte sie mich heran. »Sehen Sie.« Ich zog die Stirn kurz fragend in Falten, dann trat ich neben die alte Dame und sah an ihr vorbei nach draußen. Die Tür führte in einen großen, grünflächigen Zwinger, in dem mindestens 20 verschiedene Hunde wild bellend herumtollten. Einige humpelten, andere waren mit Blindheit geschlagen, anderen fehlten ganze Gliedmaßen. Die Grausamkeit der Menschen wurde an jenen Wesen überdeutlich sichtbar. Die Leichtlebigkeit und das stetig wechselnde Wesen unserer Rasse konnte man allein in diesen dunklen Hundeaugen sehen, die ehrlicher als alles andere unsere Verfehlungen widerspiegelten. Und zwischen all den Schnauzen, Ohren, Pfoten und buntem Fell saß Kaito wie ein Fels in der Brandung und schaffte das schier unmögliche, jedem dieser armen Wesen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Er streichelte hier und da zotteliges Fell, wuschelte über große und kleine Köpfe und drückte jeden der Hunde herzlich an sich, nur um dann liebevoll das Gesicht abgeleckt zu bekommen. Und Kaito lachte. Er lachte so herzlich und so hell, dass es mir die Kehle zuschnürte. Elene neben mir lächelte wissend und drückte mir erneut den Arm, während ich noch wie erstarrt auf dieses Bild sah. »Dieser Junge ist etwas ganz Besonderes, Mister Harpor. Vielleicht erkennen Sie das selbst, wenn sie genau hinsehen.« Sie sah mich wieder mit diesem Blick an, der wirkte, als könnte sie bis auf den Grund meiner Seele sehen. »Wenn Sie können, Mister Harpor, wenn Sie es wirklich wollen, dann schenken Sie ihm ein wenig Glück. Helfen Sie ihm.« Kapitel 9: Flüchtige Einblicke ------------------------------ Wie könnte ich die Wünsche einer rüstigen alten Dame einfach in den Wind schlagen? Natürlich war es einfacher und wahrscheinlich auch feige, mir einzureden, dass ich nun einen Grund hatte, dem Jungen ständig hinterherzulaufen. Einen Grund, der meine Taten erklären würde. Ich kam nur dem Wunsch einer alten Frau nach. Sicher Alan, dich kümmert nur das Seelenheil der netten Dame. Sag mal, wer soll dir diese Scheiße eigentlich je abkaufen? Naja, wahrscheinlich niemand, aber im Moment half diese Vorstellung ungemein, mein Vorhaben weiter in die Tat umzusetzen. Ich musste mehr über Kaito herausfinden. Vielleicht hatte ich jetzt die Gelegenheit. Nachdem ich dem jungen Japaner noch eine Weile beim Spiel mit den Hunden zugesehen hatte, schloss ich die Tür wieder und trat zu Elene zurück, die sich inzwischen hinter ihren Schreibtisch zurückgezogen hatte. Dort klimperte sie fachmännisch und souverän auf der Tastatur eines PCs, eine Lesebrille schief auf der Nase. Sie sah auf, als sie bemerkte, dass ich mich näherte und hob eine Kaffeekanne an. »Wollen Sie auch was?« »Oh, nein, danke.« Ich hob rasch die Hände und lehnte mich locker an die Wand neben ihrem Tisch. »Ist er oft hier?« Elene konzentrierte sich weiter auf ihren Monitor, nickte aber leicht. »Kaito? Ja, er ist recht oft hier. Eigentlich mindestens einmal in der Woche. Er liebt die Tiere und die Tiere ihn. So ist das.« Die alte Dame lächelte milde zu mir auf. »Er arbeitet aber nicht hier, oder?« »Nein. Nein. Er verlangt nichts für die Hilfe, die er hier leistet. Ich hab es ihm schon oft angeboten, doch er lehnte es stets ab.« Elene hob ihre Kaffeetasse an die Lippen und runzelte fast finster die Stirn, als würde ihr diese eben ausgesprochene Tatsache wenig gefallen. »Wissen Sie, Mister Harpor, was er einmal zu mir sagte?« Ich verneinte das natürlich. »Er sagte zu mir: Wenn ich mich bezahlen lassen würde, so würde dies nur den Tieren schaden, da das Geld dann wieder fehlt. Ein Tier kann auch niemanden für Liebe und gute Pflege bezahlen, es dankt mit Zuneigung und bedingungsloser Treue. Und das reicht mir als Dank. Es reicht zu wissen, dass man mich liebt und braucht.« Die alte Dame starrte eine ganze Weile vor sich hin, die Tasse an den Lippen, ehe sie jene wieder absetzte und leicht den Kopf schüttelte. »Ja, das hat er gesagt. Es ist irgendwie schmerzlich diese Worte von den Lippen eines so jungen Menschen zu hören.« Sie sah mich flüchtig an, dann widmete sie sich wieder ihrem virtuellen Schriftstück. Ich selbst konnte ihren Schmerz nachempfinden, denn auch mir gingen diese Worte unbewusst zu Herzen. Oder, nein, nicht unbewusst. Sehr bewusst eigentlich. Hatte der Junge niemanden, der so für ihn fühlte? Hatte er niemanden, der ihn liebte? Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Warum sollte niemand dieses zarte, wunderbare Geschöpf lieben, was so talentiert und sicher auch intelligent war. Ganz abgesehen davon, dass der Junge wirklich gut aussah. Er musste doch ein Mädchen an jedem Finger haben… Alan, fahren wir jetzt auf der Schiene der Naivität? Du weißt schon, dass gutes Aussehen allein keine Liebe herbeiführt. Sex vielleicht. Aber doch nichts zwangsweise Gefühle. Natürlich wusste ich das, aber trotz allem konnte ich diese Tatsache schwer mit diesem dunkeläugigen Jungen in Verbindung bringen. Ich riss mich aus meinen Gedanken und sah wieder zu Elene. »Sie wissen, warum er diese Sonnenbrille trägt, nicht wahr?« fragte ich sie frei heraus. Sie hielt inne, die Finger über die Tastatur wandern zu lassen und rieb sich die Nasenwurzel, dann nahm sie die Brille ab und sah mich offen an. »Ja, das weiß ich. Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass er so hier auftaucht, Mister Harpor.« Da war wieder dieser kühle Klumpen Hass in meinen Eingeweiden, der krampfhaft versuchte, mein Innerstes zu verderben. Nicht das erste Mal… Wie oft schon…? Wie oft hatte es jemand gewagt, die Hand gegen dieses Gesicht zu erheben? Meine Wut musste mir überdeutlich im Gesicht abzulesen gewesen sein, denn die alte Dame streckte die Hand aus und legte jene beruhigend auf meine. Sie schien aus unerfindlichen Gründen genau zu wissen, was in mir vorging. »Mister Harpor. Ich spüre ein gutes Herz in Ihnen. Und weil ich das spüre, verrate ich Ihnen diese ganzen Dinge. Ich weiß nicht, ob es Kaito recht wäre. Hm, wahrscheinlich nicht…« Sie senkte betreten den Blick. »Er verlangt nie Hilfe. Und selbst ich weiß nicht mit Sicherheit, wer ihm das antut. Aber…« Nun haderte sie wohl doch mit sich und sah zögerlich zur Seite. Die Angst wuchs in mir, dass sie nicht weitersprechen würde. Doch das musste sie. Unbedingt. Ein leises Fipsen wurde laut und ein kleiner, heller Welpe mit dunklen Knopfaugen, kaum ein paar Tage alt, tapste zu den Füßen der alten Dame. Diese lachte leise, nahm das Hundebaby auf den Arm und streichelte es gedankenverloren. »Ich vermute… und das ist wirklich nur eine Vermutung, Mister Harpor, die ich allein Ihnen hier und heute offenbare, dass es sein Stiefvater ist. Ein einziges Mal habe ich seine Mutter und ihren Lebensgefährten hier gesehen. Dieser Kerl…« Elene schüttelte sich, als würde ihr allein die Erinnerung Unbehagen bringen. »Das ist ein Arschloch. Ich betitele Leute selten so, doch bei ihm war es offensichtlich. Aber ich merke schon, eine alte Frau redet zu viel.« Mehr sagte sie nicht, sondern widmete sich wieder dem Welpen auf ihrem Schoß. Ich musste diese Worte erst einmal sacken lassen. Der eigene Vater…? Nun gut, Stiefvater, aber trotzdem…wie konnte man einem Kind soetwas antun? Warum tat die Mutter nichts? Versuchte sie es vielleicht, hatte aber selbst unter diesem Mann zu leiden? Vielleicht irrte sich Elene ja aber auch. Allein, dass sie diesen Mann für ein Arschloch hielt, machte ihn noch nicht zum Schläger. Und selbst wenn es so wäre, welches Recht hätte ich, mich in das Leben des Jungen einzumischen? Familiäre Streitigkeiten waren stets eine heikle Sache. Und ohne Kläger keinen Angeklagten. Wenn Kaito nicht sprach, konnte man gar nichts tun. So viele Fragen tummelten sich mit einem Mal in meinem Hirn, dass ich wirklich nicht mehr recht wusste, welcher ich zuerst Aufmerksamkeit schenken sollte. Die alte Dame nahm mir diese Überlegung ab, indem sie mir den Hundewelpen in die Arme drückte. Dieser gab ein solch liebliches Fiepen von sich und starrte zu mir auf aus diesen großen, dunklen Augen, dass selbst ich mich dieser Magie nicht mehr entziehen konnte. Irgendwie…war das doch niedlich. Elene deutete auffordernd zur Tür ins Freigehege mit einem leichten Schmunzeln. »Bringen sie ihn raus. Auch der Kleine kann ein wenig Auslauf vertragen.« Ich war mir fast sicher, dass nicht allein der Hundewelpe der Grund war, warum sie mich nach draußen schickte. Doch mir war es mehr als recht. Ohne dass es mir wirklich bewusst war, hatte ich die Anwesenheit Kaito’s vermisst. Es war seltsam leer in mir, wenn er nicht da war und rasch kündigten die verzehrenden Gedanken an, zurückzukehren. Jene Gedanken, die mich wieder in einen Strudel aus Unmut und Frustration reißen würden. Also hielt ich den kleinen Hund sicher im Arm und zog die Tür wieder auf, die nach draußen führte. Trotz der fortgeschrittenen Stunde hatte der Himmel aufgeklart und die Sonne schickte die letzten warmen Reststrahlen zur Erde. Auch jetzt noch lag der Duft von Regen in der Luft; dieser frische, gereinigte Duft, der von Erneuerung und Leben zeugte. Kaito saß noch immer im Gras, warf ab und an einen alten Stoffball, dem auch sofort die ganze Meute kläffend hinterher jagte. Ein paar der wohl schon älteren Herren und Damen der felligen Bevölkerung hatten sich um den Jungen eingerollt und dösten zufrieden vor sich hin. Ich kam mir wie ein Eindringling vor, der dieses friedliche Bild störte. Eigentlich gehörte ich hier doch gar nicht hin. Richtig, Alan. Weißt du, wo du eigentlich hingehörst? Zu Lisa und den Kindern! Leider musste ich der Stimme in meinem Kopf ein Fünkchen Wahrheit der Worte zugestehen. Doch meine Füße traten den Weg an, den mein Unterbewusstsein eh gehen wollte. Ich blieb neben Kaito stehen, ging dann in die Knie und streichelte einem alten Schäferhund versuchsweise über den Kopf. Meine Angst, dass sich meine Finger gleich im Magen des Tieres befinden würden, verschwand recht schnell, als sich der Rüde auf den Rücken rollte und selig hechelte. Gut, vielleicht hatte ich doch ein besseres Händchen für Tiere, als ich bisher angenommen hatte. Ein leises Lachen neben mir ließ mich aufhorchen. Kaito hatte mich fixiert und schien über meine offensichtlich skeptische und ängstliche Miene amüsiert. »Sie beißen nicht. Keine Sorge. Sie spüren, wenn jemand etwas Schlechtes will.« Bevor ich mich versah, hatte der Junge meine freie Hand ergriffen und führte jene über den Bauch des Hundes, zeigte mir, wie jener am liebsten gestreichelt wurde. »Siehst du, er mag es.« Nicht nur der Hund schien glücklich, auch ich hatte die plötzliche Horrorversion von mir, wie ich dämlich vor mich hin grinste und mir die Zunge aus dem Mund hing. Fast konnte ich ein imaginäres Klatschen hören, als sich mein Gewissen wohl vor die Stirn schlug. Alan, warum wedelst du nicht noch mit dem Schwanz und hüpfst um den Jungen herum? Vielleicht bekommst du ja ein Leckerli. Nein, danke. Soweit hatte ich mich noch im Griff, dass ich DAS bestimmt nicht tat. Ach, wirklich, Alan? Das Gefühl dieser sanften, schlanken Finger war mehr, als ich an jenem Tag eigentlich hätte verkraften können. Und trotzdem war es wunderbar, die Hand des jungen Japaners auf meiner zu spüren. Kam es mir nur so vor oder verweilten seine Finger tatsächlich eine Spur länger als wirklich nötig auf meinem Handrücken? Psychose, Alan! Psychose! Kaito lächelte zufrieden, dann zog er seine Hand zurück und konnte kaum ein Kichern unterdrücken, als sein Blick auf den Welpen in meinem Arm fiel. Das seltsam warme, feuchte Gefühl, was sich plötzlich auf meinem Hemd ausbreitete, stammte diesmal mit Gewissheit nicht von Kaito und dessen Anblick. Ich hielt den strampelnden Welpen von mir, doch das Unglück war schon geschehen. Ein dunkler Fleck Hundepippi breitete sich auf der teuren Jacke und dem Hemd darunter aus. Normalerweise hätte ich jetzt geflucht. Hätte vielleicht sogar den kleinen Welpen beschimpft. Doch so sehr ich immer mehr von Kaito fasziniert war, desto mehr schien auch ich mich zu ändern und jahrelange Macken und Wesenszüge veränderten sich fast fließend. Ich seufzte schwer, sah den fiependen Welpen dann gespielt streng an, doch schlussendlich fiel ich in das Lachen des Jungen mit ein. Was war schon eine vollgepinkelte Jacke gegen dieses zauberhafte Lachen? Wow, Alan, bist du aus einem Disneyfilm entstiegen oder woher kommt neuerdings der ganze Kitsch? Kaito nahm mir noch immer lachend den kleinen Hund ab und drückte diesen an sich. »Du solltest den Anwalt nicht anpinkeln, Shawn.« Dann wandte sich das hübsche Gesicht des Jungen zu mir und er wurde schlagartig ernst. Seine Augen versteckte er immer noch hinter dieser scheußlichen Brille. »Tut mir wirklich leid. Ich glaub nicht, dass ich dir die Reinigung bezahlen kann…« Noch ehe Kaito zu weiteren Worten ansetzen konnte, wagte ich etwas fast Unglaubliches. Für mich zumindest schien es unglaublich. Ich streckte die Hand aus und legte einen Zeigefinger auf die Lippen des jungen Japaners, um ihn zum Schweigen zu bringen. Das sanfte Aufkeuchen und das damit einhergehende scharfe Lufteinziehen Kaito’s spürte ich überdeutlich an meiner Haut. Ich rechnete damit, dass er sofort wegzucken würde, doch er tat es nicht. Er ließ es geschehen. Bestärkt dadurch hob ich nun beide Hände zu den Bügeln dieser hässlichen Brille. Der Drang, ihm endlich wieder in diese unergründlich, tiefen Augen zu sehen, war in jenem Moment so übermächtig, dass ich nicht dagegen ankämpfen konnte. Kannst du nicht, Alan? Oder willst du nicht? Vielleicht war es etwas von beidem. Vielleicht war ich wirklich schon zu einer Spielfigur dieses Jungen geworden, der unbewusst meine nächsten Züge bestimmte. Und es war mir sowas von recht. Kaito rührte sich noch immer nicht. Ich zog ihm die Brille nun einfach sachte vom Gesicht und legte sie achtlos beiseite. Der junge Japaner blinzelte kurz gegen die tiefstehende Sonne, dann sah er mich einfach an. Weder vorwurfsvoll, noch ärgerlich. Vielleicht eine Spur forschend, doch mehr nicht. Alan, dieser Junge sieht dich an wie ein spannendes Studienobjekt. Und mehr bist du wohl auch nicht. Steiler Aufstieg, mein Guter. Vom Pausenclown zum Experiment. Ich schlug dieser zynischen Stimme nun einfach eine imaginäre Tür vor der Nase zu und blendete sie aus. Jetzt wollte ich alles. Nur keine Zweifel. Ich hob meine rechte Hand und brachte das Kunststück fertig, diese ohne Zittern auf die weiche Wange des Jungen zu legen, ohne unangenehmen Druck auf dessen geschwollene, blaue Haut auszuüben. Mein Blick ruhte nun unverwandt auf den Augen Kaito’s und für einen Moment hatte ich die Befürchtung, dass diese dunklen Strudel mich verschlingen würden. Ein leichtes Lächeln tauchte auf meinen Lippen auf. »Schon besser.« Voller Vorsicht und Sanftmut, von dem ich gar nicht wusste, dass dieser irgendwo in mir verborgen lag, ließ ich meinen Daumen über die Alabasterhaut wandern, die nun hässlich verfärbt war. Ich konnte spüren, wie mein Gewissen aufbegehrte. Wie Vorwürfe und Schuldgefühle in mir brandeten und den Weg nach draußen suchten, doch noch hielt ich sie zurück. Ich war in jenem Moment nicht bereit, mich der Logik und der Vernunft zu stellen. Vielleicht würde ich es nie mehr sein. Ich selbst ertappte mich wieder bei der Frage, was ich hier tat. Ich wusste es nicht. Bei Gott, ich wusste es nicht. Alles, was ich wusste und was in jenem Moment wichtiger schien, als der ganze Rest, war die Gewissheit, dass ich das Lachen dieses Jungen bewahren wollte. Dass ich ihn beschützen wollte. Dass ich… Wahrscheinlich völlig verrückt und auf dem Weg in die Hölle war. Kaito senkte die Lider, als ob ihn diese Berührung verlegen machen würde; den Hauch eines Augenblickes hatte ich das Gefühl, dass er sich ein wenig gegen meine Handfläche schmiegte. »Kaito…« begann ich und der junge Japaner sah rasch wieder zu mir auf, fast begierig. Mir blieben die Worte im Hals stecken. Was hatte ich sagen wollen? Ich wusste es nicht mehr. Jeder schlaue Satz, jede logische Wortwahl schien falsch und absolut dämlich. Alan, diese ganze Situation ist falsch und dumm. Du solltest langsam wieder zurückfinden zu dir selbst. »Wenn Du reden willst, ich bin da.« sprach ich leise, dann zog ich meine Hand rasch zurück, da die Nähe und Wärme dieses Jungen Bereiche in mir berührte, die ich noch nicht bereit war, zu entdecken. Ich wollte eine Veränderung. Ja. Doch so schnell? So kolossal? War ich dafür schon bereit? Konnte ich das überhaupt? Kaito´s Reaktion auf meine Worte war nicht zu deuten, da sie schlicht und ergreifend nicht da war. Wieder schien dieser Junge eine Mauer um sich aufzubauen, die niemand überwinden konnte, so schien es. Er nickte einfach, dann erhob er sich. »Fährst du mich jetzt nachhause?« Sofort war ich auf den Beinen. »Sicher.« Wir verabschiedeten uns noch von Elene, die uns mit einem kleinen, fast hoffnungsvollen Lächeln hinterher sah. Die Fahrt durch die Stadt verlief wieder schweigend wie zuvor. Kaito hatte sich erneut hinter seiner Brille versteckt, wobei jene in der Dämmerung kaum von Nöten war. Ich fuhr verkrampfter als zuvor, richtete den Blick starr geradeaus und wagte kaum zu dem Jungen zu sehen. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Es schien so. Kaito stieg einfach an einer Straßenkreuzung aus, als ich gerade an einer Ampel hielt. Ich beugte mich noch hinüber, um ihn aufzuhalten, doch ich war zu langsam. »Kaito!?« Er sprach kein Wort des Abschiedes, noch sah er zu mir zurück, als er zwischen den Menschenmassen der Stadt verschwand. Ich fühlte mich seltsam leer, als ich meinen Wagen nun endlich in Richtung meines Zuhauses lenkte. Eigentlich wusste ich nicht wirklich mehr über den jungen Japaner als zuvor. Und das belastete mich. Würde ich ihn wiedersehen? Ich hoffte es. Denn noch immer wollte ich ihm helfen. Egal wie. Kapitel 10: Lichtblicke ----------------------- Den nächsten Tag verbrachte ich in der Schwebe. In der Schwebe zwischen Hoffnung und Resignation. Ich wagte kaum zu hoffen, dass ich den jungen Japaner wieder sehen würde. Und doch tat ich es. Ich wollte mich nicht damit abfinden, dass ich Kaito nie mehr sehen würde. Und doch versuchte ich es. Das war fast schlimmer als dieser leere Zustand, in welchem ich mich zuvor befunden hatte. Schlimmer, als kein Ziel zu haben, war es, eins zu haben und es nicht zu erreichen. Schlimmer als die Ungewissheit konnte doch nur die Gewissheit sein, dass er nie mehr auftauchen würde. Oder? Alan, warum sollte er wiederkommen? Du hast ihm geholfen. Der Fall ist erledigt. Abgeschlossen. Nein, verflucht! Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass es vorbei war. Auch wenn es vielleicht besser für mich gewesen wäre. Denn der Junge beherrschte meine Gedanken jetzt schon viel zu sehr. Ich wagte nicht zum Tierheim zu fahren. Auch nicht zu seiner Schule. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Oder vielleicht auch vor seiner Abweisung. Ich fürchtete mich davor, dass er mich nicht ansehen würde. An jenem Tag sah ich Kaito nicht. Und auch am nächsten Tag tauchte er nicht auf. Genau wie in der darauffolgenden Woche hoffte ich vergeblich auf jene dunklen Augen, deren Zauber mich in den Bann geschlagen hatte. Der Sommer neigte sich nun endgültig dem Ende und auch die Kühle des Herbstes kroch langsam hervor und nahm das Land ein; zauberte goldene Blätter und Laubebenen, die jeden Schritt geräuschvoll untermalten. Ich wurde zunehmend ruhiger und schaffte es selten, aus jenem grauen Nebel zu entfliehen, der meinen Kopf wieder eingenommen hatte. Oft stand ich nachts erneut am Fenster und ertappte mich bei den Gedanken über mein Leben. Lisa beobachtete meinen Gemütswandel mit besorgten Augen. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, warum ich vielleicht nie mehr der alte Alan sein werde? Und dann geschah eines Tages das Wunder, worauf ich kaum noch gehofft hatte. Ich verließ an jenem Tag die Kanzlei recht spät, da mich ein schwieriger Fall noch lang festgehalten hatte. Den Kragen meines Mantels stellte ich auf, da die Abende bereits frisch geworden waren. Ich lief rasch zu meinem Auto und wühlte nebenher in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Das Aufblinken der Lichter, welches anzeigte, dass der Wagen geöffnet war, enthüllte gleichzeitig eine schlanke Gestalt, die an der Motorhaube lehnte. Zuerst dachte ich an einen Überfall. Dann an einen meiner Klienten, der vielleicht noch eine Frage hatte. Erst dann bemerkte ich die seltsame Vertrautheit dieser geschmeidigen Gestalt, die sich nun von meinem Auto abstieß und aus den Schatten trat. Herz, bleib bei mir. Das war Kaito. Unverkennbar. Faszinierend wie immer. Er sprach kein Wort, sah mich einfach ruhig an, die Hände wieder in den Hosentaschen seiner tief sitzenden Jeans. Das dunkle Haar war ein wenig länger geworden fiel mir idiotischer weise auf. Ich blinzelte und blinzelte nochmal; wiederstand dem Drang, mich nach allen Seiten umzusehen, ob sich jemand einen Streich mit mir erlaubte. Wieder blickten wir uns stillschweigend an, während der kühle Herbstwind das Laub über den Parkplatz wehte. Mein Hirn schien wie leergefegt, selbst die kleinste Bewegung war mir unmöglich. Wenn ich mich rühren würde, würde er dann verschwinden? Der junge Japaner trug nicht mehr als ein Shirt und eine kurze Jacke. Wie lang er hier wohl schon wartete? In der Kälte? Auf mich. Ich wollte mir nicht einreden, dass er wegen mir hier war und doch tat ich es. Beweg dich endlich, Alan oder willst du hier Wurzeln schlagen? Ich schritt nun auf den Jungen zu und zog mir noch im gehen den Mantel aus, um diesen Kaito über die Schultern zu werfen. Der Stoff war dem jungen Japaner viel zu groß und doch schmiegte er sich fast sofort dankbar hinein. Der Gedanke, dass er etwas von mir trug, erfüllte mich mit einem gewissen Stolz und der zarten Wärme von Freude. Auch wenn diese Gefühle vielleicht mehr als fehl am Platz waren. Kaito sah unter seinen dunklen Strähnen zu mir auf. Die Mundwinkel hoben sich leicht, kaum wahrnehmbar und doch war es da. Dieses kleine Lächeln, das mich für alle vergangenen Tage ohne ihn entschädigte. Und Alan, was willst du jetzt machen? Willst du ihn mit nachhause nehmen und deiner Familie vorstellen? Oder wieder sinnlos durch die Stadt fahren? Ich sah den Jungen noch eine Weile stumm an, dann öffnete ich die Beifahrertür, wie an jenem Tag vor Kaito’s Schule und sah ihn abwartend an. Er zögerte nicht und stieg ein. Das war verrückt. Mehr als verrückt. Da saß ich nun wieder neben diesem Jungen, fuhr durch die Stadt, vorbei an Läden und Restaurants, vorbei an dem normalen Leben und konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Ich saß wieder neben jenem Jungen, den ich kaum kannte und von dem ich geglaubt hatte, ihn nie wieder zu sehen. Ich zog mein Handy während der Fahrt heraus und rief Lisa kurz an, um ihr mitzuteilen, dass es noch etwas später werden konnte. Sie fragte nicht weiter nach. Und ich kam nicht in die Verlegenheit, ihr irgendeine Lüge auftischen zu müssen. Ganz abgesehen davon, dass Kaito neben mir saß und mich aufmerksam beobachtete. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass er scheinbar jede Bewegung, jedes Wort von mir still in sich aufsaugte. Ich fuhr ganz bewusst wieder zum Tierheim. Elene freute sich ehrlich, mich wieder zu sehen, noch dazu in Begleitung von Kaito. An diesem Abend sprachen wir alle wenig, kümmerten uns einfach um die Tiere und verrichteten nötige Arbeiten. Ja, selbst ich packte mit an. Alan, seid wann fühlst du dich zu so niederen Arbeiten berufen? Ich wusste es nicht. Kaito tauchte in den darauffolgenden Tagen immer öfter bei mir auf. Immer wartete er schweigend an meinem Wagen, um mich mit einem kleinen Lächeln zu begrüßen, welches mich besser wärmte, als jeder Mantel und mir sofort die Sorgen des Tages nahm. Immer wieder fuhren wir zum Tierheim, um Elene dort mit den vielen Hunden, Katzen, ja sogar Vögeln und Nagern zu helfen. Und ich entwickelte eine wahre Zuneigung für die Tiere. Ich hätte nie gedacht, dass es mir Spaß machen könnte, vollgesabberte Bälle zu werfen, zotteliges Fell zu waschen oder Ohren zu kraulen. Doch die stille Dankbarkeit, die aus den Augen der Tiere strahlte, gab mir wahrlich das Gefühl, etwas Richtiges und Wertvolles zu tun. Außerdem schrieb man Tieren wohl nicht ohne Grund eine heilende Wirkung zu. In ihrer Nähe fühlte ich mich zufrieden und ausgeglichen; fühlte mich endlich wieder wie ich selbst. Nun, vielleicht lag das aber nicht allein nur an den putzigen Vierbeinern. Kaito´s Lächeln trug mit Sicherheit auch einen großen Teil dazu bei. Denn je mehr mir die Tiere ihr Vertrauen schenkten, desto mehr taute der junge Japaner auf und schien mir auch selbiges zuzugestehen. Er begann zu reden. Anfangs nur belanglose Sachen, die man eben mit jemandem besprach, den man kaum kannte. Nach einiger Zeit erzählte er dann auch immer mehr von sich selbst. Zuerst musste ich ihn noch gezielt fragen und irgendwann redete er ganz von selbst. Von seiner Kindheit. Hauptsächlich von seiner Zeit in Japan und seinem leiblichen Vater, auf den er höllisch stolz schien, wobei er ihn eigentlich kaum kannte. Kaito´s Mutter hatte den Jungen irgendwann geschnappt und hatte sein Heimatland mit ihm verlassen. Warum, dass wusste Kaito selbst nicht wirklich, da er damals wohl einfach noch zu klein gewesen war. Wir sprachen von seiner Leidenschaft für die Musik und ich entwickelte mich langsam, durch Kaito’s Hilfe, zu einem wahren Kenner in der Musikszene. Ich erfuhr von seinen Vorlieben, was Essen anging und Lieblingsbeschäftigungen. Er sprach von der Schule und klärte mich immer wieder über den neuesten Klatsch und Tratsch zwischen den Lehrern und Schülern auf. Oft lachten wir gemeinsam über seine Erlebnisse und ich trug nicht selten zu einem Kichern seinerseits bei, wenn ich alte Geschichten aus meiner Schulzeit zum Besten gab. Ich erzählte ihm, warum ich mich für den Job als Anwalt entschieden hatte und er gestand mir seinen innigsten Wunsch für die Zukunft, auf den er eisern hinarbeitete. Er wollte Veterinärmedizin studieren. Ich war ehrlich beeindruckt von seinem Ehrgeiz und gleichzeitig hätte ich mir keinen Besseren für diesen Beruf vorstellen können. Kaito schien wie geschaffen dafür. Er hatte einfach ein Händchen für Tiere; selbst die störrischsten Vierbeiner wurden bei ihm zahm wie Kätzchen. Hat er dich auch schon gezähmt, Alan? Vielleicht. Ab und an erschien Kaito wieder mit dieser hässlichen Brille oder schonte andere Körperstellen. An diesen Tagen schwieg er wie am Anfang und sprach kaum ein Wort, schien regelrecht unsicher und in sich gekehrt. Tonlos verrichteten wir dann unsere Arbeiten im Tierheim, selbst Elene wagte ihre üblichen Scherze dann nicht. Diese Tage waren mir ein Grauen. Weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Weil ich mich so schrecklich hilflos fühlte. Ich wagte ihn nicht darauf anzusprechen. Das Thema Stiefvater hatten wir eh immer gemieden. Kaito hatte auch nie von ihm erzählt. Ich spürte grenzenlose, doch sinnlose Wut, wenn ich Kaito so sah. Rede mit mir! Vertrau dich mir an! Ich helfe dir! Ich wollte ihm diese Worte an den Kopf werfen und ihn schütteln, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht allein war. Doch ich tat es natürlich nicht. Aus Angst, ihn dadurch zu verlieren. Dieser Junge war mir so kostbar geworden wie meine eigenen Kinder. Wie mein Leben, das ich mir ohne ihn schon gar nicht mehr vorstellen konnte. Ich war fast süchtig nach diesen gemeinsamen Stunden im Tierheim; nach diesen Stunden, in denen ich mich der Illusion hingeben konnte, das Kaito und seine Aufmerksamkeit allein mir gehörten. Und ich fühlte mich frei und unbeschwert in dieser Zeit, die ich fern ab von Familie und Arbeit verbringen konnte. Wenn Kaito einmal nicht an meinem Auto wartete, war ich sofort unruhig, besorgt und stand förmlich neben mir. Lisa erzählte ich eines Tages die Wahrheit. Zumindest die teilweise Wahrheit. Ich berichtete ihr davon, dass ich abends oft noch im Tierheim aushalf mit einem Kollegen zusammen. Meine Frau war anfangs recht verwirrt, fast ungläubig. Ich im Tierheim?! Alan Harpor im Tierheim?! Wo mir doch früher schon rote Warnleuchten in den Augen aufgeblitzt waren, als Susan nur von einem Haustier gesprochen hatte. Doch nach einigen recht logischen Erklärungen gab sie sich damit zufrieden. Immerhin sprachen meine Anzüge voller Tierhaar ja ihre ganz eigene Sprache. Ab und an fand sich auf den teuren Klamotten sogar wieder ein kleines Unglück von einem Welpen, bei dessen Anblick ich natürlich sofort wieder an Kaito und jenen Tag nach dem Sommergewitter zurückdenken musste. Ich redete mir ein, dass es nichts als väterliche Gefühle waren, die ich für diesen jungen Japaner empfand. Eine ganze Weile funktionierte das auch wunderbar. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem jede Illusion zerbricht und die Wahrheit gnadenlos ans Licht strebt. Kapitel 11: Losgelöst --------------------- Eines Tages, als Kaito mal wieder einfach aus meinem Auto entschwand und es mir somit unmöglich machte, herauszufinden, wo er lebte, hinterließ er einen Briefumschlag auf seinem Sitz. Darin befand sich einfach ein schlichter Zettel mit der fein, geschwungenen Schrift des Japaners, darauf ein Datum, eine Uhrzeit und die Adresse einer Bar oder eines Clubs, wie ich vermutete. Darunter hatte Kaito notiert, dass mir meine Belohnung für meine Hilfe bei seinem damaligen Problem ja noch ausstand. Ich schmunzelte still vor mich hin und trat den Heimweg an. Stille Aufregung, ein seichtes Kribbeln, hatte sich in meinem Körper ausgebreitet. Kaito hatte versprochen zu singen. Würde ich ihn nun endlich wieder hören? Würde ich wieder dieser Stimme lauschen können, durch die alles begann? Welche Wirkung würde sie diesmal auf mich haben? Würde das meine, fast schon, Besessenheit für den Jungen noch steigern? Bis zu jenem bestimmten Tag tauchte Kaito nicht mehr auf. Ich erwischte mich dabei, dass ich es bedauerte, dass ich es schmerzlich vermisste, ihn an meinem Auto so gewohnt stehen zu sehen. Doch Kaito war wohl niemand, der sich einfangen lassen würde. Er war unberechenbar und frei wie ein wildes Tier. Er würde sich auch nicht von mir an eine Leine legen lassen, um mir das Gefühl zu geben, etwas oder jemand Besonderes in seinem Leben zu sein. Oh, Alan, enttäuscht dich das jetzt? Tut es, oder? Denn du hattest bereits gedacht, dass der Junge dich genauso braucht wie du ihn, nicht wahr? Ich hasste diese Stimme und doch waren ihre Worte mehr als wahr, wie ich verschämt feststellen musste. Ich brauchte Kaito. Ich brauchte seine Gegenwart, sein Lachen, sein faszinierendes Wesen, was mich aus meiner staubigen Welt des Alltages riss und daraus etwas Besonderes machte. Und irgendwo tief in mir drin hatte ich wohl gehofft, dass es Kaito genauso erging. Doch das war ein Trugschluss. Der junge Japaner brauchte mich nicht. Eigentlich wusste ich immer noch nicht, was ich für ihn war. War ich wichtig für ihn? Eine Hilfe? Eine vertrauenswürdige Person? Spielzeug, Alan. Du bist nichts als ein Spielzeug für den Jungen. Er hat dich völlig in der Hand und du merkst es noch nicht mal. Das war nicht wahr! Zumindest redete ich mir das immer noch ein. Der Tag, denn Kaito aufgeschrieben hatte, war dann auch endlich irgendwann da. Die Arbeit, die Konzentration auf meine Fälle, war an diesem Tag fast unmöglich. Meine Gedanken kreisten einzig und allein um den Abend und was mich da vielleicht erwarten würde. Ich war nervös, stellte ich mit milder Überraschung fest. Eigentlich war ich mehr als nervös, was sich gegen Abend noch steigerte. Rascher als sonst fuhr ich nachhause, um mich für diese Begegnung vorzubereiten. Lisa sah mir verdutzt hinterher, als ich ihr nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückte als Begrüßung und schief grinsend Richtung Badezimmer entschwand. »Wir wollen heute Abend noch weg. Die Jungs der Kanzlei und ich. Ein Kunde hat uns zu einem Drink eingeladen.« Die Lüge kam mir ohne Mühe über die Lippen. War ich schon so erkaltet? Skrupellos? Blödsinn. Es würde ja nichts passieren, was ein schlechtes Gewissen nötig machte. Ach wirklich, Alan? Natürlich. Wieder fiel es mir nicht schwer, Kaito nur als weiteres Familienmitglied zu sehen. Als weiteren Sohn. Und was war verwerflich daran, sich somit mit diesem Jungen zu treffen? Richtig. Nichts. Hm, wann hörst du auf, dich selbst zu belügen, Alan? Wieder blieb ich ungewöhnlich lange im Badezimmer, versuchte das spießige Äußere des Anwaltes hinter mir zu lassen, um nicht völlig verstaubt und altbacken zu wirken. Dass mir das gelungen war, drückte die mehr als verblüffte Miene meiner Frau und die anerkennende meiner Tochter aus. »Siehst toll aus, Paps. Mal nicht so spießig wie sonst immer. So würde ich sogar mit dir vor die Tür gehen.« »Danke, Susan. Du schmeichelst mir.« Ich drückte meine Tochter herzlich an mich und sie ließ es zur Abwechslung sogar einmal geschehen. Ich glaube, ihr war die unterschwellige Wandlung ihres Vaters nicht entgangen. Und sie schien es nicht zu stören. Lisa hingegen war wohl nicht so ganz überzeugt von meiner neuen Art. Das Misstrauen schimmerte nun recht deutlich in ihren Augen. Sie musterte mich abschätzend. Ich hatte die altbekannten Klamotten einmal gegen lockere Sachen getauscht, trug eine enge Jeans und ein dunkles Hemd, was am Kragen offen stand. Ich fühlte mich so wohler. Und bestimmt nicht wie 34. Mein gut gebauter Körper kam deutlich zur Geltung. »Nur ein Drink mit einem Klienten?« fragte Lisa mit gehobener Braue. Ich trat zu meiner Frau und erstickte jeden Zweifel in einem leidenschaftlichen Kuss, was Susan genervt aufstöhnen und verschwinden ließ. Die Wangen Lisas waren gerötet, als ich meine Lippen von ihren löste. So hatte ich sie eine ganze Weile schon nicht mehr geküsst. »Nur ein Drink. Vertrau mir, hm?« Sie nickte benommen und strich sich das blonde Haar aus der Stirn. Du bist ein Lügner, Alan. Ach und ein Arsch, hab ich das schon erwähnt? Voller Aufregung fuhr ich in einem Taxi durch die bereits dunkle Stadt, überall blinkten mir Leuchtreklamen und kunterbunte Lichter entgegen. Vor dem Club ließ mich der Taxifahrer heraus. Dutzende Leute tummelten sich schon davor, zumeist Jugendliche mit dunkel angemalten Gesichtern und ziemlich ausgefallenen, schwarzen Klamotten. Nur gut das ich mich für diesen Abend ebenfalls für etwas Dunkles entschieden hatte, sonst wäre ich aufgefallen wie ein bunter Hund. So aber schenkten mir die jungen Männer nur flüchtige Blicke, die der Frauen blieben da schon länger an mir haften, um mich interessiert zu mustern. Doch dafür hatte ich kaum Augen. Über die Köpfe der wartenden Menge suchte ich nach Kaito. War er schon hier? Wie sollte ich ihn in diesem Gewühl überhaupt finden? Wir hatten keinen Treffpunkt ausgemacht. Kurzentschlossen zog ich mein Handy hervor und wählte mit leiser Nervosität die Nummer des Jungen. Hoffentlich ging er ran. Hoffentlich war er überhaupt hier. Hoffentlich hatte er sich nicht nur einen Scherz mit mir erlaubt. Meine Bedenken wurden recht schnell zerstreut, als nur nach einem Klingeln die Stimme Kaito’s erklang. Hatte er auf meinen Anruf gewartet? »Alan?« Warum jagte mir mein Name allein von seiner Stimme gesprochen solche Schauer über den Leib? »Hey, Kaito. Ich steh vor dem Club. Mir ist nur eben aufgefallen, dass wir keinen wirklichen Treffpunkt ausgemacht haben.« Ich lachte leise und er fiel darin ein. Dann spürte ich schon ein seichtes Tippen auf meiner Schulter und wand mich mehr als verwirrt um. Kaito stand grinsend vor mir, das Handy am Ohr, welches er nun rasch zuklappte. »Hab dich gefunden.« Die dunklen Augen glitzerten zu mir auf und ich hatte die völlig bescheuerte Vision, wie ich den Jungen in jenem Moment an mich zog und in meine Arme schloss. Sicher Alan, mach dich zum Vollidioten. Scheiße, wie hatte ich diesen Anblick vermisst. Dieses Lachen. Diese Augen. Und…diesen Körper, stellte ich mehr als verschämt fest. Kaito trug wieder solch hautenge, knappe Klamotten, dass ich wahrlich Mühe hatte, meinen Blick abzuwenden. Wie musste es dann erst Frauen ergehen? Und tatsächlich warfen recht viele junge Frauen in der Schlange verstohlene Blicke auf den jungen Japaner, was dunkle Gefühle in mir aufwühlte, die ich schwerlich benennen konnte. Ich hatte das irrsinnige Bedürfnis, Kaito als mein eigen zu markieren und zog ihn nun wirklich einfach zu mir, um den Arm um seine Schulter zu legen. Er sah kurz ein wenig überrascht aus, doch ohne weiteres lehnte er sich dann leicht gegen mich und lächelte zu mir auf. Für alle anderen wirkten wir nicht mehr als gute Freunde, doch für mich war es viel mehr. Diese Gedanken waren schwächlich und ich schob sie nachdrücklich beiseite. Nur ein weiterer Sohn, hm, Alan? Oder wie war das? Der Club war gut gefüllt. Überall tanzende und feiernde Menschen, die sich zu den Bässen der düsteren Musik bewegten. Es war lang her, dass ich in einem Club gefeiert hatte. Dass ich überhaupt gefeiert hatte. Und ich spürte, wie ich es vermisst hatte. Harte, elektronische Musik klang aus den Boxen, gegen Mitternacht kam sogar eine noch recht unbekannte Band auf die Bühne des Clubs und brachte die Menge mit wilden Gitarrenriffs und kehligem Gesang in Wallung. Bis vor kurzem noch wäre ich wohl aus diesem Club mit einem Kopfschütteln geflüchtet, doch durch Kaito hatte ich die Nuancen einer jeden Musikrichtung erst wirklich kennengelernt. Ich begann in Musik mehr als nur Töne zu sehen, die aneinandergereiht zur bloßen Unterhaltung dienten. Die Musik drückte Lebenseinstellungen aus. Brachte Gefühle und Gedanken musikalisch herüber. Und diese Musik hier war rebellisch und aufbegehrlich. Was hätte besser zu meinem jetzigen Lebensabschnitt gepasst? Ich mischte mich ohne Hemmungen in die wogende Menge und bewegte mich intuitiv zu den Klängen der Musik. Was würde Lisa wohl sagen, wenn sie dich jetzt sehen könnte? Oder deine Kollegen Alan? Alle Gedanken, alle Sorgen, jedes Gefühl, außer dem der völligen Zufriedenheit, wurde von den Klängen der Musik hinfort gewischt. Es war befreiend. Hier konnte ich einmal ein anderer Mensch sein als nur der Anwalt, der seriöse Alan Harpor, den ich sonst verkörpern musste. Ich hatte lange Zeit vergessen, was Spaß und Vergnügen überhaupt war. Die Nähe und Wärme dieser vielen Menschen hatte einen ganz besonderen Reiz. Gepaart mit den Drinks, von denen ich zu späterer Stunde schon einige vernichtet hatte, kam eine sinnliche, fast erotisch-ausgelassene Stimmung auf. Nicht selten tanzten Frauen und Mädchen in meiner Nähe, die rasch näher rückten und ihre Hüften und Arme um mich herum kreisen ließen. Mehr als eindeutig war das Interesse in den hübschen, weiblichen Gesichtern und oft musste ich mich all zu aufdringlichen Damen erwehren, deren Hände schon in gefährliche Tiefen rutschen wollten. Natürlich schmeichelte mir diese Aufmerksamkeit. Welcher Mann fühlte sich nicht gern begehrt? Frauen hatten sich mir schon lang nicht mehr so genähert, mit diesem lüsternen Glitzern in den Augen, was nur eins verheißen konnte. Sex war hier genauso an der Tagesordnung wie Alkohol und Drogen; alles konnte man bekommen, wenn man nur wollte. Doch darauf hatte ich es nicht abgesehen. Nein, mein Ziel war ein anderes. Immer, wenn die Situation es zuließ, ohne dass es seltsam gewirkt hätte, war ich in Kaito’s Nähe und berührte jenen flüchtig. Wir lachten und steckten die Köpfe zusammen, wenn wieder einmal besonders seltsame Gestalten an uns vorbeischritten oder recht aufdringliche Damen verscheucht werden mussten. Ich schirmte Kaito vor den Händen vieler Mädchen ab und er tat mir denselben Gefallen, indem er mir die Frauen vom Leib hielt. Oft musste ich mich beherrschen, nicht einen Arm um Kaito’s Hüfte zu schlingen und so mit ihm zu tanzen, um den niederen Gefühlen in mir nachzugeben, wenn meiner Meinung nach wieder einmal zu viele Blicke auf dem Körper des jungen Japaners lagen. Ich wollte ihn beschützen. Und ich wollte… Was, Alan? Ihn besitzen? Ich wusste es nicht. Noch immer wehrte ich mich hartnäckig gegen jeden Gedanken, der von meinem frommen Weg und der Vorstellung von Kaito als Sohn abwich. Eigentlich hätte mir zu jenem Zeitpunkt schon klar sein müssen, dass meine fast offensichtlich eifersüchtigen Gefühle nicht nur von väterlichem Beschützerinstinkt herrührten. Doch das Verdrängen war wohl eine Gabe des Menschen, die tief verwurzelt war und sich schwerlich überwinden ließ. Irgendwann in der Früh, nach etlichen Drinks und stundenlangem Tanz, schnappte Kaito meine Hand und zog mich aus dem Club in die Nacht hinaus. Wir rannten kichernd wie Schuljungen durch die Straßen, vorbei an geschlossenen Geschäften und Behörden. Ich hatte keine Ahnung, wohin der junge Japaner wollte, doch ich folgte ihm ohne Zögern. Er schien ja ein Ziel zu haben. Irgendwann erreichten wir ein Viertel der Stadt, das wenig vermögend schien und aus zumeist dunklen Wohnblöcken bestand, in denen nicht selten die Fenster eingeworfen waren oder die Wände mit wildem Graffiti besprüht. Solche Gegenden mied ich eigentlich. Vor allem bei Nacht. Kaito zog mich in einen dunklen Hauseingang, zielsicher die Treppen hinauf und schloss eine Tür auf, die zu einer schäbigen Dreiraumwohnung in einem oberen Stockwerk führte. Alan, was machst du hier? Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Du weißt weder, wo du hier bist, noch was der Junge vor hat. Egal, ich vertraue Kaito. Sicher. Und wenn jetzt hier gleich noch drei Typen auf der Matte stehen, die einzig und allein darauf warten, dir den Schädel einzuschlagen, um dich dann auszurauben? Vertraust du ihm dann immer noch, Alan? Kapitel 12: Gefährliche Gefühle ------------------------------- Kaito schloss die Tür hinter uns und ergriff wieder meine Hand, um mich mit sich zu ziehen. »Wohnst du hier?« fragte ich leise, während ich flüchtige Blicke in die Räume warf. Diese chaotische, recht unsaubere Wohnung wollte in meiner Vorstellung so gar nicht zu dem jungen Japaner passen. »Ab und zu.« sprach Kaito schmunzelnd und führte mich in ein Zimmer, welches nun doch aufgeräumter und fast gemütlich war. Wieder wurde ich nicht schlau aus dem Jungen, aber das war ja nun schon kein großes Geheimnis mehr. Ich war mir ziemlich sicher, dass dies nicht das eigentliche Heim des Japaners war. Vielleicht war es ein Ort, um seinem Zuhause zu entfliehen. Außerdem sprach die Größe der Wohnung für Mitbewohner. Das Zimmer, in welches mich Kaito geführt hatte, war nicht groß, doch schien es schon ehr dem Wesen des Jungen zu entsprechen. Auf dem Boden lag eine Matratze mit vielen Kissen, welche wohl als Bett missbraucht wurde. Ein riesiges Bücherregal beherrschte den Raum, darin unzählige Titel über Heilkunde, Tiere und Veterinärmedizin. Die Gitarre, die ich unfehlbar als Kaito’s identifizierte, lehnte an einer Wand, daneben ein Stapel CDs und eine teuer aussehende Musikanlage. Gut, dass war eindeutig das Reich des jungen Japaners. Alles hier passte völlig auf Kaito. Ich trat zu dem Regal und musterte interessiert und beeindruckt die vielen Bücher. »Lernst du hier?« Kaito schloss die Tür gerade hinter sich, zwei Flaschen Bier in der Hand balancierend, die er wohl aus der Küche entwendet hatte. Er drückte mir eine davon in die Hand und trank einen Schluck aus seiner Flasche. Meiner Meinung nach hatte er bereits genug getrunken, doch ich würde jetzt wohl kaum Vorträge über die Gefahren von Alkohol halten. »Hier hab ich meine Ruhe.« bemerkte er schlicht. »Zuhause ist mir das Lernen von solchen Dingen nicht gestattet.« Er nahm wieder einen Schluck Bier und grinste mich schief an. Der Alkohol hatte seine Zunge gelockert, er sprach sonst kaum von seinem Zuhause. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen. Ich hob die meine Flasche jetzt ebenfalls an die Lippen. »Erlauben dir deine Eltern nicht zu studieren?« Mit forschendem Blick fixierte ich den Jungen. Er zuckte knapp die Schultern, stellte sein Bier ab und trat auf mich zu. »Studieren schon. Doch keine Tierheilkunde. Das ist in ihren Augen…« Er machte einen strengen, missbilligenden Tonfall nach. »…Schwachsinn. Genauso wie einige andere Dinge ihr Missfallen wecken…« Er stand plötzlich so dicht vor mir, dass ich Mühe hatte zu atmen, ohne wieder zu viel von seinem betörendem Duft einzusaugen. Ich hätte nur die Hand ein wenig ausstrecken müssen, um ihn dicht an mich zu ziehen. Ich fühlte mich zu jenem Moment im Regen zurückversetzt; meine Kehle war trocken, als mein Blick unfehlbar von seinen dunklen Augen flüchtig tiefer rutschte. Was hatte dieser Junge nur für eine seltsame Wirkung auf mich? Erst jetzt sackten seine Worte in mein vom Alkohol benebeltes Hirn. »Andere Dinge…?« Er schmunzelte leicht und entzog die Flasche meinen Fingern, um sie achtlos beiseite zu stellen. Dann hoben sich tatsächlich diese schlanken Hände und legten sich sachte auf meine Brust, ohne das die Fingerspitzen des Jungen diesen gefährlichen, entblößten Bereich meines Halses berührten. »Hm…andere Dinge…« wisperte er und sah mit verklärten, dunklen Augen zu mir auf, wobei sein Blick doch einen Deut länger auf diesem Stück Haut unterhalb meiner Kehle hängen blieb, welches nicht vom Stoff meines Hemdes bedeckt war. Ich schluckte hart. Was zur Hölle hatte er denn vor? Ach, Alan, nun stell dich mal nicht dumm. Warum nimmt er dich wohl mit zu sich, zeigt dir sein Zimmer und sieht dich jetzt mit diesem Blick an? Hm, klingelt es? Es ist doch offensichtlich, was er will. Was?! Scheiße, nein. Doch. Ich wusste ehrlich nicht, was ich in jenem Moment hoffen sollte. Wollte ich, dass die Stimme in meinem Kopf recht hatte? Aber…wir sind doch beide Männer! Und er hat doch sicher eine Freundin. Er musste doch eine haben, verflucht… Ach, Alan, nun erweitere mal deinen Horizont. DAS geht auch zwischen zwei Männern. Und vielleicht WILL Kaito gar keine Freundin, hm? Aber ich steh nicht auf Männer. Ganz sicher nicht. Wirklich nicht, Alan? Stehst du nicht? Meine Gedankengänge wurden jäh unterbrochen, als Kaito mich mit Nachdruck in Richtung der Matratze schob und mich dort niederstieß. Ich fiel erschrocken zurück, schaffte es aber, mich zumindest sofort wieder in eine sitzende Position zu begeben. Kaito sah schmunzelnd auf mich herab, dann ließ er sich auf mich fallen und kam auf meinem Schoß zu sitzen. Mein Herz machte den Eindruck, als wollte es sich sofort wieder verabschieden. Die Luft in diesem Raum schien mit einem mal zu dünn. Zu heiß. Was der Alkohol bis jetzt nicht geschafft hatte, das schaffte die Nähe des Jungen nun mit Gewissheit. Mein Hirn war leer. Ich bekam kaum mehr einen klaren Gedanken zu fassen. Und ich ertappte mich dabei, dass es mir mehr als zusagte, dass Kaito nun auf meinem Schoß thronte. »Was für andere Dinge, Kaito?« schaffte ich gerade noch zu murmeln, um zumindest den Anschein zu wahren, dass diese ganze Situation hier noch normal war und ich nicht kurz davor stand, einige Dinge in meinem Leben wohl noch einmal überdenken zu müssen. Kaito hatte die Hände wieder gehoben und rieb die Aufschläge meines Hemdes fast gedankenverloren zwischen seinen schlanken Fingern, während sein Blick sich tief in meinen bohrte. »Nun, zum Beispiel die Tatsache, dass ich nicht auf Frauen stehe.« Er grinste mich fast schelmisch an, wobei ein flüchtiges, trauriges Funkeln in seinen Augen aufblitzte. Kaito war schwul. Dieser Gedanke hämmerte in meinem Kopf und wollte sich dort nicht mehr vertreiben lassen. Er stand auf Männer. Stand er auf mich? Wollte er mich verführen? Oh man, Alan, sonst bist du doch auch nicht so langsam mit logischen Schlussfolgerungen. Ich musste an Lisa denken. Doch nur flüchtig. Der Anblick des Jungen auf mir vertrieb meine Frau gefährlich schnell aus meinen Gedanken. Aber, zur Hölle, ich war doch nicht schwul! Ich hätte kaum zwei Kinder, wenn es so wäre, oder? Und trotzdem, warum wollte ich dann nicht, dass Kaito von mir stieg? Warum fühlte es sich so verdammt richtig an, dass er mir jetzt so nah war? »Du hast mir den Dank für meine Hilfe versprochen. Du wolltest singen.« unternahm ich einen letzten Versuch mit dünner Stimme, die Situation zu retten und wieder in jene Gefilde zu lenken, in denen meine Moralvorstellungen nicht so strapaziert wurden. Kaito hob eine Braue und richtete sich wieder auf, mit einem Finger klopfte er sich kurz nachdenklich gegen die volle Unterlippe. »Oh, richtig. Stimmt.« Wenn ich gehofft hatte, dass er nun aufstand, um vielleicht seine Gitarre zu packen, so wurden meine Hoffnungen schnell zerstreut. Kaito beugte sich vor und schmiegte sich so dicht an mich, dass mir wahrlich der Atem für einen Moment weg blieb. Seine dünnen Arme schlangen sich um meinen Nacken und ich konnte seinen Atem an meinem Ohr spüren, als er begann mit reizend leiser Stimme zu singen. Oh nein, das passiert gerade nicht wirklich, oder? Das durfte einfach nicht passieren. Diese sinnliche, rauchige Stimme hauchte gesungene Worte in mein Ohr, leidenschaftlich und tiefgründig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich hatte diesem Gesang schon vorher kaum widerstehen können. Gepaart mit der Nähe dieses warmen Körpers war es mehr, als ich ertragen konnte. Ich war dem Jungen ausgeliefert. Ich war es eh die ganze Zeit über schon gewesen. Mein Verstand und mein Gewissen unternahmen vereint den letzten Versuch, mich wieder auf die rechte Bahn zu lenken. Alan, du bist verheiratet. Du hast zwei Kinder. Dein Leben verläuft geregelt und ohne Probleme. Mach dir jetzt keine, indem du diese ganze Sache zu einem Ende führst, welches du morgen vielleicht bereust. Du wolltest den Jungen als Sohn sehen. Du wolltest ihn beschützen. Du wolltest sein Vertrauen. Seine Freundschaft. Zerstöre das jetzt nicht. Und vergiss nicht, dass Kaito erst 17 ist. Ich wusste, dass die Stimme in meinem Kopf recht hatte. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich einen Schritt tun würde, der schwerlich wieder rückgängig zu machen sein und der mein Leben ändern würde, ob ich das nun wollte oder nicht. Der Gedanke daran und die Vorstellung, dass Kaito ebenso wie ich betrunken war, ließ mich doch wieder ein wenig wach werden. Ich durfte sexuelle Begierde nicht über alles stellen. Ich hob die Hände, die ich bis jetzt nur tatenlos in die Matratze unter mir gekrallt hatte und legte sie an die Hüfte des Jungen. Eigentlich, um ihn von mir zu schieben. Um derjenige von uns beiden zu sein, der die Situation retten würde. Doch als meine Hände auf die zarte, warme Haut des Jungen trafen, die zwischen Jeans und Shirt entblößt war, verabschiedete sich auch der letzte Rest Verstand in unbekannte Weiten. »Kaito…« brachte ich rau hervor, halb bestimmt, halb flehend. Ich wusste eigentlich nicht, worum ich flehte. Darum, dass er aufhörte oder darum, das er es bloß nicht tat. Er hielt mich weiterhin mit seinen Armen umschlungen und sang lockend in mein Ohr; immer wieder spürte ich seinen heißen Atem, der mir über die Haut strich. Gleichzeitig bewegte er sich in einem wohl nur ihm bekannten Takt auf meinem Schoß, rieb sich sinnlich und lockend an mir. Der Druck des Jungen auf meinem Schoß war reine Folter. Ich wollte nicht darauf reagieren. Doch ich tat es. Meine Finger begannen sich ungewollt auf der weichen Haut seiner entblößten Hüfte zu bewegen, die ich noch immer umklammert hielt. Hatte ich ihn nicht eigentlich von mir schieben wollen? Das war jetzt nicht mehr wichtig. In meinen Gedanken existierte nur noch Kaito. Seine Stimme. Sein Duft. Seine Wärme. Sein Körper. Wenn ich bis jetzt schon fasziniert von dem jungen Japaner gewesen war, so war ich ihm nun verfallen. Endgültig. Unwiderruflich. Ich spürte Kaito’s Lippen plötzlich an meinem Ohr, sanft strich er mit diesen über die Linie meiner Ohrmuschel. »Dich haben vorhin viele Frauen angesehen, Alan. Das hat mir nicht gefallen. Keiner soll dich so ansehen…« hauchte er leise. Oh Gott, war er etwa eifersüchtig gewesen? Eifersüchtig wie ich selbst? Brachte ihn allein der Alkohol dazu, diese Dinge zu sagen? Ich biss mir selbst mit einem Keuchen in die Unterlippe und krallte meine Finger mit Nachdruck in Kaito’s schlanke Hüfte. Die Besitzgier war wieder da. Sie sollte nicht da sein, doch sie war es. Der Junge begrüßte meine fordernden Finger mit einem Schnurren und ließ seine Zunge nun über die Seite meines Ohres wandern, um dann mit köstlich, reizenden Bissen mein Blut zum Kochen zu bringen. Meine Finger schoben sich zittern ein wenig höher, krochen unter das dünne Shirt des Jungen, um endlich das zu erforschen, was bisher nur mein Blick flüchtig wahrnehmen durfte. Kaito drückte sich meinen Händen entgegen, gab mir so zu verstehen, dass ich auf dem rechten Weg war. Seine Haut war so unglaublich weich und warm. Hatte ich je die Haut einer Frau erlebt, die sich so samtig unter meinen Händen anfühlte? Kaito´s Mund ließ nun von meinem Ohr ab, nur um mit lockenden Zungenschlägen die Seite meines Halses hinabzuwandern und meinen Hals heiß und feucht in Besitz zu nehmen. Oh Himmel, wann hatte ich je solche Gier erlebt? Wann war ich das letzte Mal so in Lust verglüht? Und doch wurde das hervorgerufen von einem Mann. Dieser flüchtige Gedanke ließ mich doch kurz unsicher innehalten; meine Hände verweilten tatenlos auf dem Rücken des Jungen. Kaito musste mein Zögern und meine Unsicherheit gespürt haben. Seine Lippen wanderten sofort höher, über mein Kinn, um dann wie ein Windhauch flüchtig über meine Lippen zu streifen. Ich konnte ihm nun direkt in die dunklen Augen sehen, die lustvoll verschleiert auf mich herab sahen. Ich sah keine Angst darin, kein Zögern, keine Fragen. Nur Begehren. Er begehrte mich. Dieser einzigartige Junge wollte mich. Diese Erkenntnis schob nun endgültig jeden Zweifel beiseite. Ich wusste, dass ich morgen mit vielen Bedenken und wahrscheinlich auch Schuldgefühlen kämpfen musste, doch das zählte jetzt nicht. Jetzt zählte einzig und allein Kaito. Die weichen Lippen des Jungen schoben sich wieder auf meine und lockten meinen Mund zu einem vorsichtigen, zögerlichen Kuss. Ich schloss die Augen und gab mich dem einfach hin, denn unbewusst war mir klar, dass ich genau das die ganze Zeit über schon gewollt hatte. Kaito´s Lippen waren warm und weich wie seine blasse Haut. Und der Junge schmeckte so gut, so verlockend. Der Kuss wurde rasch inniger, seine Hände fanden sich an den Seiten meines Gesichtes ein, um mich näher zu sich zu ziehen. Ich erspürte die Zungenspitze Kaito’s, die versuchsweise gegen meine Lippen stieß, um Einlass bittend. Ich ließ das nur zu gern zu. Ich öffnete die Lippen ohne Zögern, begrüßte die Zunge des Jungen mit der eigenen, um beide in einem sinnlichen Tanz zu vereinen. Wir keuchten im Gleichtakt auf, während unsere Zungen um Vorherrschaft stritten. Ich selbst erforschte mit meiner Zunge die Mundhöhle des Jungen, konnte gar nicht genug bekommen von der verlockenden Süße, die sich mir da endlich offenbarte. Allein der dringend benötigte Atem unterbrach die heiße Vereinigung unserer Lippen und Kaito nutzte die Zeit, um mit seinen Zähnen lockend an meiner Unterlippe zu knabbern. Ich beantwortete das mit einem leisen Stöhnen, während ich wohlig erschauderte und grub meine Finger mit Sicherheit schmerzhaft in die weiche Haut auf dem Rücken des Jungen. Doch es schien ihn nicht zu stören. »Ich wusste, das du gut schmecken würdest, Alan.« wisperte er mit heißem Atem an meinen Lippen, um jene dann wieder für einen gierigen Kuss einzufangen. Ich war zu Worten in jenem Moment völlig unfähig. Mein Körper schien nur noch aus heißer Lust zu bestehen. Die immer noch reizenden Bewegungen Kaito’s auf meinem Schoß taten ihr übriges. Wenn ich bis dahin gedacht hatte, dass ich niemals Leidenschaft bei einem Mann empfinden könnte, so belehrte mich nun mein Körper eines Besseren. Mein Schwanz war so hart und drückte aufbegehrend gegen den Stoff meiner Hose, dass ich wahrlich Mühe hatte, Kaito nicht noch fester auf mich zu pressen, um allein durch dessen Reiben auf meinem Schoß mir Erleichterung zu verschaffen. Ich hatte es noch nie mit einem Mann getan. Ich wusste nicht, wie diese Art der Liebe funktionierte. Doch Kaito nahm mir jede Überlegung in diese Richtung ab, indem er einfach die Initiative ergriff. Er löste seine Lippen von meinen, was mir ein fast mürrisches Knurren entlockte und ihn siegreich schmunzeln ließ. Er hatte mich in der Hand. Und er wusste es. Seine Hände wanderten nun endlich an meinem Hals hinab und strichen zuerst lockend über die Falten meines Hemdes, bevor seine Finger begannen, jeden Knopf quälend langsam zu öffnen. Ich beobachtete ihn dabei, während meine Hände immer wieder ungeschickt über seinen Körper unter dem Shirt streichelten. Ich wollte ihm ebenso Lust bereiten, doch ich wusste nicht, wie. Fast hilflos löste ich meine Hände von ihm, um sie auf seine Wangen zu legen. Meine Finger strichen zittrig über seine Lippen und sein Gesicht, bevor ich dieses zu mir hob, sodass er mich ansehen musste. Mein Blick wanderte langsam über sein Gesicht, welches mir nun so nah war, wie nie zuvor. Ich saugte den Anblick in mich, um diesen Moment nie zu vergessen. Denn ich wusste nicht, wohin mich das Schicksal von hier an führen würde. War dies ein einzigartiger Zauber? Würde diese Nacht ein einmaliges Erlebnis bleiben, dass schlussendlich in Zukunft einfach vergessen oder verdrängt werden würde? Warum tat Kaito das hier? Diese dunklen Augen, diese feinen Züge… »Kaito…« begann ich mit rauer Stimme, ohne wirklich zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Diese ganze Situation war so neu, so völlig fremd für mich. Ich war unsicher. Ich war erregt. Ich war völlig verwirrt. Es hätte sicher vieles zu sagen gegeben. So viele Fragen, die hätten gestellt werden sollen. »Willst du das wirklich?« fragte ich dann einfach schlicht, denn zu mehr war ich nicht in der Lage. Der junge Japaner schmunzelte, nahm eine meiner Hände in seine und führte jene zwischen seine Beine. Ich sog die Luft scharf ein, als meine Finger die harte Erregung des Jungen unter dem Stoff ertasteten. Er war also genauso erregt wie ich. Bevor ich in Versuchung kommen konnte, meine Handfläche über diese harte Erhebung des Stoffes zu reiben, stieß mich Kaito wieder auf die Matratze zurück. Er hockte nun auf mir, drückte meine Hände über meinem Kopf zu Boden und erstickte jeglichen Protest meinerseits mit einem feuchten, gierigen Kuss. Dann machten sich seine schlanken Finger wieder ans Werk und öffneten mein Hemd nun endgültig. Fast ehrfürchtig entblößte er meine Brust und ließ seine warmen, geschickten Finger über meine Haut gleiten. Ich keuchte leise und schloss die Augen. Diese Empfindungen waren einfach so wunderschön, dass ich mich gern völlig vertrauensvoll in die Hände des Jungen gab. »Du siehst einfach toll aus, Alan.« hauchte Kaito’s sinnliche Stimme nah an meiner Brust, was mir der warme Hauch verriet, der über meine Haut strich. »Überlass alles mir…« Schon spürte ich die Feuchte von Kaito’s Zunge an meinen harten Brustwarzen. Die Frauen, die ich bisher hatte, hatten sich kaum die Mühe gemacht, jenen Teilen meines Körpers besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Kaito tat es. Und nun wurde mir bewusst, wie empfindlich mein Körper doch war. Mit Zunge und Zähnen bearbeitet der junge Japaner meine Brustwarzen, bis jene völlig hart und empfindlich glühten. Ich selbst glitt in einen Zustand, in dem ich völlig losgelöst dahinschwebte und nur noch aus den Eindrücken meines Körpers zu bestehen schien. Ab und an versuchte mein Gewissen wieder die Stimme erklingen zu lassen, um mich an Lisa und die Kinder zu erinnern. Doch dieses Leben schien mir jetzt so fern und fremd, dass ich die Gedanken daran einfach beiseite schieben konnte. Der Alkohol und die Nähe Kaito’s hatten meine Vernunft nun endgültig verbannt. Kaito tauchte wieder über mir auf und küsste mich erneut, völlig hingebungsvoll und begehrlich, das diese Vereinigung der Zungen allein reichte, um meinen Unterleib schmerzhaft zum Pochen zu bringen. Mein Glied verlangte Erleichterung. Ich ließ die Hände nach oben schnellen und drückte den Schoß des Jungen auf meine harte Mitte, stöhnte dann seufzend in den Kuss. Kaito verstand diesen Wink ohne Weiteres, schon glitt er wieder grinsend an mir herab; seine Zunge zog eine feuchte Spur über meine Brust, umkreiste meinen Nabel und kam schlussendlich über dem Bund meiner Hose zu stehen. Ich hielt den Atem an. Mein Unterleib zuckte und bettelte förmlich nach Aufmerksamkeit. Fast waren mir die Reaktionen meines Körpers ein wenig peinlich. Hatte ich mich jemals so gehen lassen? Kaito ließ mich nicht lange warten, sondern öffnete mit geschickten Fingern meine Hose und zog sie mir rasch über die Beine. Meine Shorts folgten gleich mit. Nun lag ich hier, völlig entblößt vor diesem Jungen, dem ich so offensichtlich verfallen war. Ich richtete mich auf und stützte mich auf meine Ellenbogen, sah Kaito schwer atmend und deutlich erregt an. Mein Penis stand steif und mehr als bereit von meinem Körper ab, erinnerte mich fast obszön daran, was ich hier gerade tat. War das wirklich richtig? Sollte ich nicht spätestens jetzt einen Schlussstrich ziehen? Sollte ich. Aber ich konnte nicht. Ich sah Kaito’s Blick nun über meinen völlig nackten Körper wandern und die Bewunderung und das Begehren in dem dunklen Blick heizte mich nur noch mehr an. Ja. Ich wollte, dass er mich begehrte. Ich wollte, dass ich denselben Reiz auf ihn ausübte, wie er auf mich. So widerlich und falsch diese Gedanken auch sein mochten, ich konnte nicht verhindern, dass sie mich einnahmen. Der junge Japaner hockte zwischen meinen Beinen, strich mit den Fingerspitzen über meine Oberschenkel, was mir dort eine Gänsehaut verursachte. Völlig gefesselt beobachtete ich jede Bewegung seinerseits; mein Penis zuckte begehrlich und bettelte förmlich nach Berührung. So hart, so gierig, war ich noch nie gewesen. Auf der dunklen Spitze meiner Erregung glänzten bereist die ersten Tropfen, stille Zeugen meiner Lust. Kaito sah mich unentwegt an, auch als sich eine seiner schlanken Hände um meinen heißen Penis schloss und seine Finger die feuchten Tropfen auf meiner Spitze verrieben. »Oh…Gott…Kaito…« keuchte ich heiser, während mein gesamter Körper sich anspannte. Der Junge schmunzelte leicht, fast zufrieden, doch irgendwie auch wehmütig, dann zog er seine Hand zurück und stand auf. Der plötzliche Verlust seiner Nähe brachte mich fast zum Schreien. Ich wollte seine Hand wieder an meiner pochenden Erregung, ich wollte, dass er weitermachte. Langsam, quälend langsam, zog sich Kaito das Shirt über den Kopf, dann schälte er sich aus seiner Hose. Völlig gefesselt beobachtete ich ihn dabei, während meine Gier nach ihm nun fast ins Unermessliche stieg. Er war perfekt. So perfekt. Ich sollte diesen Jungen nicht so begehren. Das war falsch. Völlig falsch. Nackt stand er über mir und reizte mich allein durch den Anblick seines nackten Körpers so sehr, dass ich kurz davor war, mich selbst zu berühren, um mir Erleichterung zu verschaffen. Diese helle Haut. Diese schlanken Hüften. Diese langen Beine. Und sein glatter, perfekter Penis, der mir nun deutlich vor Augen führte, dass nicht ich allein hier zitternd um Fassung rang. Eine meiner Hände schob sich über meinen Bauch zu meinem Schwanz, da der Druck schier unerträglich wurde. Ich schämte mich für meine Lust. Ich verachtete mich für meine Gier. Ich verfluchte mich für meinen verräterischen Körper. Kaito schob meine Hand sofort mit dem Fuß beiseite und schüttelt den Kopf, dann kniete er wieder zwischen meinen Beinen nieder. Nun ließ er sich nicht mehr so viel Zeit, wohl hatte er meine mehr als missliche Lage deutlich erkannt. Seine Hand fand sich wieder an meinem zuckenden Schaft ein und er begann meinen Penis nun mit Nachdruck und geschickten Bewegungen zu massieren. Ich keuchte und stöhnte leise, krallte meine Hände wieder in das Laken auf der Matratze unter mir. Mein Körper glühte in Lust und Begierde, meine Hüften hoben und senkten sich nun fast selbstständig zu den Handbewegungen des Jungen. Noch immer beobachtete ich jede Bewegung Kaito’s verlangend, obwohl mein Blick lustvoll verschleiert war. Ich trieb unaufhaltsam meinem Höhepunkt entgegen. »Kaito…Kaito….ich…oh Gott…das ist gut…« Bevor ich die Schwelle überschritt und ich mich heiß über die Hand des Jungen ergießen konnte, hörte er auf. »Nein…hör nicht auf…bitte…« flehte ich heiser. Wie erbärmlich ich doch war. Kaito lächelte und senkte seinen Kopf nun zu meinen Penis, um mit der Zunge über die glänzende Spitze zu fahren und jene in die zarte Spalte zu drücken. »Keine Angst, Alan. Ich höre nicht auf…« Schon hatte er meine empfindliche Eichel zwischen die Lippen genommen, ließ die Zunge darüber gleiten und knabberte mit seinen Zähnen sanft daran. Ich glaubte, gleich sterben zu müssen. Ich stöhnte jetzt ungehalten, rau und laut, spornte den Jungen damit zu immer schnelleren Zungenbewegungen an. Schlussendlich nahm er meinen Penis auf ganzer Länge in seinen süßen, verheißungsvollen Mund, während er sich selbst mit der freien Hand rieb und sich so ebenfalls dem Höhepunkt entgegen trieb. Ich spannte mich krampfhaft an, während ich spürte, dass der Orgasmus in schnellen Wellen heran rollte. »Kaito…ich…ich komme…« Ich rutschte unter ihm herum und wollte ihm mein Glied entziehen, um ihm zu ersparen, meinen Samen mit dem Mund auffangen zu müssen. Er krallte die Hand in meinen Oberschenkel, löste sich kurz von dem, von seinem Speichel glänzendem, Schaft und schüttelt den Kopf. »Es ist okay, Alan. Komm für mich. Bitte. Ich will es…«hauchte er. Er sah mich für einen Moment mit seinen tief dunklen Augen an, dann nahm er meinen Penis wieder mit ganzer Länge in seinem Mund auf. Für mich gab es nun kein Halten mehr. Hatte er mich wirklich darum gebeten, in seinem Mund zu kommen? Himmel, vergib mir, dass mich das schärfer macht, als eine Frau es je könnte. Ich wusste, dass ich verloren war, als ich mich kehlig stöhnend aufbäumte und heiß in seinen Mund ergoss. Kapitel 13: Erwachen -------------------- Irgendwann in der Nacht erwachte ich wieder. Mit Kopfschmerzen und dem Gefühl, einen höllischen Fehler begangen zu haben. Ein paar Momente brauchte ich, um überhaupt zu realisieren, wo ich war. Ich bewegte mich leicht; ein leises Seufzen und ein warmer Körper neben mir ließ die Erinnerung mit Wucht zurückkehren. Scheiße. Ich blinzelte und langsam gewöhnten sich meine müden Augen an das düstere Licht. Ich wagte kaum zur Seite zu blicken, aus Angst, dass ich mir dann nicht mehr einreden konnte, dass alles nur ein Traum war. Alan, ich glaube, spätestens jetzt brauchst du dich nicht mehr selbst zu belügen. Das ist so wenig ein Traum wie der Papst dein Vater ist. Ich schloss die Augen noch einmal, lauschte allein auf meinen Herzschlag und betete stumm, dass sich die Zeit zurückdrehen würde. Leider tat mir Gott den Gefallen nicht. Mit ziemlicher Sicherheit sah er jetzt mit brüllendem Lachen auf mich herab und amüsierte sich köstlich über meine Situation. Der warme, zierliche Körper, der in meine Arme geschmiegt da lag, wurde mir wieder bewusst. Kaito. Ich sollte gar nicht erst anfangen, mich an das Gefühl des Jungen in meinen Armen zu gewöhnen. Himmel, was hatte ich nur getan? Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht mal, was ich denken sollte. Der einzige Gedanke, der mit Macht an die Oberfläche drang, war der nach Flucht. So vorsichtig wie möglich, um den Jungen nicht zu wecken, zog ich meinen Arm unter dem nackten Körper neben mir hervor und rollte mich zur Seite. Kaito schlief tief und fest, was mein Glück war. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich ihm sagen sollte. Ich wusste ja selbst nicht mal, mit welchen Gründen ich mein Verhalten erklären wollte. Fahrig suchte ich in dem dunklen Zimmer meine Klamotten zusammen und zog diese rasch über. Alan, weißt du eigentlich, dass du dich gerade wie der letzte Arsch verhältst? Du haust ab wie ein feiger Hund. Vielleicht war ich das ja auch. Leicht schwankend stieg ich in meine Schuhe und schaffte es mit Mühe, nicht gegen das Bücherregal zu fallen. Hastig stolperte ich zur Tür, hatte die Klinke schon in der Hand. Dann wand ich mich doch noch einmal um. Kaito lag noch immer friedlich schlafend da, seine Umrisse waren auf dem hellen Laken deutlich zu sehen. Ich fühlte mich elend. Ich wollte nicht gehen. Bei dem Anblick des jungen Japaners wurde mir wieder bewusst, dass ich seine Nähe brauchte. Dass ich sie genoss. Am liebsten hätte ich mich wieder neben ihn gelegt und ihn erneut in meine Arme gezogen. Er sah so verletzlich aus. So allein. Und wer lässt ihn allein, Alan? Ja, ich. Ich war der Idiot hier. Ich war der 34 jährige Anwalt, der seine Hormone nicht unter Kontrolle hatte. Ich hätte mich niemals darauf einlassen dürfen. Mit äußerster Willenskraft öffnete ich die Tür und verließ das Zimmer, in welchem ich diesen schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Ich ließ die Wohnung und den Wohnblock rasch hinter mir, stolperte ziel- und orientierungslos durch die Straßen. Der Morgen dämmerte schon, am Horizont zog sich ein schmaler Streifen orangen Lichtes dahin. Ich wusste nicht einmal wirklich, wo ich war. Kaito hatte mich vor Stunden in völliger Dunkelheit hierher geführt, sodass ich keinen wahren Anhaltspunkt hatte, in welchem Teil der Stadt ich mich eigentlich befand. Es war kühl und mir wurde das Fehlen einer Jacke sehr deutlich bewusst. Doch die Kälte vertrieb auch den betäubenden Nebel des Alkoholes und lichtete meine Gedanken. Ob ich dafür dankbar sein sollte, wusste ich nicht. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, sich noch nicht mit den verheerenden Gedanken auseinandersetzen zu müssen, die nun mit Gewalt an die Oberfläche schwappten. Ich setzte fast mechanisch einen Fuß vor den anderen, lief in irgendeine Richtung, während ein Wort immer wieder wie ein Alarmsignal in meinem Kopf aufblinkte. Warum? Warum hatte ich das getan? Warum hatte ich mich darauf eingelassen? Warum hatte Kaito mich verführt? So oft ~warum~, dass ich kaum eine Antwort darauf finden konnte. Hatte der Alkohol uns beide soweit enthemmt und verändert, dass wir zu anderen Menschen wurden? Unwahrscheinlich. Also blieb nur welche logische Schlussfolgerung, Alan? Hm? Ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Und es wäre ja auch absurd, oder? Absurd, Alan? Du hast dir von einem Jungen einen blasen lassen und es hat dir gefallen. Meinst du nicht, dass es ein wenig spät ist, um die ganze Situation unlogisch zu finden? Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich Kaito mochte. Dass ich ihn vielleicht ein wenig zu sehr mochte. Und das ich ihn körperlich begehrte. Ich konnte es nicht. Ich durfte es nicht. Denn das Bild meiner Familie blitzte wieder vor meinem geistigen Auge auf. Wenn ich Lisa, Susan und Colin bis jetzt erfolgreich verdrängt hatte, so schoben sie sich nun fast aufbegehrend wieder in meine Gedanken und sahen dort voller Verachtung auf mich herab. Ich war ein schlechter Ehemann. Ein schlechter Vater. Ein schlechter Mensch. Endlich hatte ich eine dichter befahrene Straße erreicht und winkte mir ein Taxi heran. Während der Fahrt schwebte ich in einer trüben Leere. Ich sah auf die vorbeifliegenden Häuser und Bäume, wurde von Scheinwerfern geblendet und schreckte beim Ertönen einer Sirene zusammen. Alles in allem stand ich völlig neben mir. Immer wieder wischte ich meine zitternden Hände an meiner Jeans ab, was das schmutzige Gefühl jedoch nicht vertrieb. Ich fühlte mich nicht durch Kaito beschmutzt, Gott bewahre, nein. Ich fühlte mich dreckig. Ich selbst war hier der einzige Schmutz. Ach ja, Alan?! Für ein schlechtes Gewissen und Reue ist es nun auch reichlich spät. Vor meiner Haustür blieb ich noch eine ganze Weile in der kühlen Morgenluft stehen. Im Wohnzimmerfenster sah ich das Flimmern des Fernsehers. Irgendjemand war wohl schon wach. Doch diese Gewissheit, dass ich mich gleich zumindest einem Mitglied meiner Familie stellen musste, ließ mich noch länger in der Dämmerung hier draußen verharren. Ich war mir sicher, dass man mir im Gesicht ansehen konnte, was ich getan hatte. Ich fühlte mich abscheulich. Alan, vielleicht hörst du mal auf zu jammern. Bedenk lieber, dass du Kaito ganz allein dort gelassen hast. Der Junge hätte wohl noch viel mehr Grund, sich jämmerlich zu fühlen. Wunderbar. Nun kam nicht nur das schlechte Gewissen meiner Familie gegenüber, nein, auch die Sorge um Kaito gesellte sich fröhlich dazu. Ich öffnete die Tür und betrat leise mein Haus. Vereinzelte Wortfetzen schallten mir aus dem Wohnzimmer entgegen. Ich ging langsam den Flur entlang, wollte nichts sehnlicher, als eine heiße Dusche. »Alan?« Lisa stand plötzlich in der Schwelle zwischen Wohnzimmer und Flur, einen Morgenmantel um sich geschlungen und sah mir besorgt entgegen. Ich bemühte mich um ein flüchtiges Lächeln. »Guten Morgen, Schatz. Bist du schon wach?« Ihre Miene änderte sich schlagartig, ich musste mich wohl doch nicht so sehr im Griff haben, wie ich vielleicht gehofft hatte. Für einen kurzen Moment hatte ich auch wahres Missfallen verspürt, jetzt hier zu sein. In jenem Moment musste ich mir eingestehen, dass ich mich zurück zu Kaito sehnte. Zurück zu seinem warmen, nackten Körper. Durfte ich diese Sehnsucht verspüren? Wahrscheinlich nicht. »Alan, was ist los? Du siehst furchtbar aus. Ist etwas passiert?« Oh, so vieles war passiert. Lisa trat zu mir und hob die Hand, um mir über die Wange zu streichen. Ihr Gesicht drückte ehrliche Sorge aus, die ich nicht verdiente. Ich entzog mich ihrer Hand und rückte fast erschrocken von ihr ab, lächelte jedoch sofort wieder gequält und stieg die Treppen Richtung Badezimmer hinauf. »Hm, das Treffen war nicht so toll. Der Klient ist abgesprungen. Wir haben den Fall nicht bekommen. « murmelte ich schwach und stürzte fast fluchtartig die Stufen hinauf, ohne auf die verwirrte Stimme meiner Frau zu hören, die mir noch irgendetwas nachrief. Im Bad riss ich mir die Klamotten vom Leib, sperrte die Tür ab und stellte mich dann unter die Dusche, um heißes Wasser über mich prasseln zu lassen. Ich schloss die Augen und ballte die Fäuste an die Fliesen gelehnt, mein Herz hämmerte nun unaufhörlich in meiner Brust; es fühlte sich an, als hätte ich gerade einen Marathonlauf hinter mir. Ich wusch mich, um das Gefühl mit Wasser und Seife von mir zu bekommen, dass ich schmutzig war. Ich hatte meine Familie beschmutzt. Ich hatte Kaito beschmutzt. Doch jede Stelle, die ich an meinem Körper berührte, rief mir sofort wieder das Bild des dunkelhaarigen Japaners ins Gedächtnis, wie seine Finger mich dort liebkost hatten. Wie seine feuchte Zunge über mich geglitten war. Wie sein Mund geschmeckt hatte. Selbst in dieser Situation, in der ich von Schuldgefühlen und Zweifeln geplagt war, wollte ich ihn. Ich wollte ihn wieder spüren. Mein verräterisches Glied stand sofort steif nach oben und erinnerte mich daran, dass selbst ein Mann mich erregen konnte. Nein. Kein Mann, Alan. Nicht irgendeiner. Nur Kaito. Himmel, war ich wirklich verdammt? Ich rutschte an den Fliesen nach unten, das Gesicht in den Händen gebettet und verlor mich im Gefühl des heißen Wassers, was unerbittlich auf mich niederfiel. Irgendwann, ich weiß nicht, wie lang ich so unter der Dusche verharrt hatte, vernahm ich das sachte Klopfen meiner Frau an der Tür. »Alan, alles in Ordnung?« Sie klang mehr als besorgt. Sie klang völlig verwirrt. Ich kam ruckartig wieder zu mir und richtete mich auf, stellte das Wasser ab. »Ja, alles okay. Bin kurz eingeschlafen.« Finde zu dir zurück, Alan. Erinnere dich daran, wer du bist. Und welches Leben du führst. Und genau das versuchte ich in den nächsten Tagen. Ich versuchte wieder normal zu leben. Ich ging gewohnt zur Arbeit. Behandelte meine Familie vertraut freundlich und liebevoll. Doch wenn ich gedacht hatte, dass ich das Geschehen jener Nacht vollkommen aus meinem Gedächtnis löschen könnte, dann war ich auf dem Holzweg. Ich konnte Kaito nicht vergessen. Und die Sehnsucht, die zuerst unterschwellig gebrodelt hatte, wurde immer mächtiger in mir. Diesen Funken, den der Junge in dieser verhängnisvollen Nacht in mir entzündet hatte, konnte ich nicht mehr löschen. Er wurde zu einem alles verzehrendem Brand, der mich ganz einnahm. Das Schlimmste war, dass ich Kaito, seid dem ich ihn an diesem Morgen so feige und ohne Worte verließ, nicht mehr gesehen hatte. Er wartete nicht mehr an meinem Auto. Er war nicht mehr im Tierheim aufgetaucht. Selbst Elene war verwundert darüber. Auch als ich mich dazu durchrang, vor seiner Schule auf ihn zu warten, fand ich ihn nicht. Ich versuchte ihn anzurufen, doch das Klingeln blieb unbeantwortet. Ich hatte mich noch nie so schmerzlich verlassen gefühlt. Du, Alan? Du fühlst dich verlassen? Kannst du dir nur im Entferntesten vorstellen, wie der Junge sich fühlen musste? Hast du nur ein einziges Mal daran gedacht, wie es ihm jetzt ging? Nein, das hatte ich nicht. Ich erschrak über mich selbst. War ich wirklich so widerlich, so egoistisch geworden? Mir tönten die Worte des jungen Japaners von jener Nacht wieder im Kopf. Er war eifersüchtig gewesen. War es möglich, dass er mehr für mich fühlte, als bloße Freundschaft? War es möglich, dass er etwas für mich empfand? Hatte er in dieser Nacht, angefüllt mit Alkohol und Musik, den Schritt gewagt, mir das zu offenbaren? Und was hatte ich getan? Ich hatte seine zarten Gefühle mit Füßen getreten. Ich hatte ihn allein gelassen, wobei ich mir doch geschworen, es Elene versprochen hatte, dass ich mich um ihn kümmern würde. Ich musste unbedingt mit ihm reden. Ich musste mich entschuldigen. Ich musste die Dinge richtig stellen. Ich bekam es recht schnell mit der Angst zu tun. Was, wenn er etwas Dummes getan hatte? Der junge Japaner war wahrlich kein Mensch, der Gefühle einfach so offenbaren konnte. Wie schwer musste es ihn getroffen haben, als er bemerken musste, dass ich weg war? Was musste er jetzt von mir denken? Alan, er wird die einzig richtige Schlussfolgerung gezogen haben; das du zurück zu deiner Familie bist, dorthin, wo du hingehörst. Vielleicht warst du eh nicht mehr als ein Spielzeug für eine Nacht. Ein Abenteuer, Alan. Für diese ~Sache~ zwischen euch gibt es sowieso keinen Platz in deinem Leben. Sei froh, dass es nun vorbei ist. Nein! Nein, es war nicht vorbei. Zumindest für mich nicht. Denn wenn es das wäre, hätte ich nicht diese verstörenden Gefühle anhaltend noch in mir, immer wenn ich an den Jungen denken musste. Und selbst, wenn ich in seine Worte zu viel hinein interpretiert hatte, ich wollte ihn wiedersehen. Kaito. Himmel, du fehlst mir. Wo bist du nur? Kapitel 14: Schmerzliches Wiedersehen ------------------------------------- Ich hatte viel Zeit in diesen Tagen, die den ersten Schnee schon vermuten ließen, mir über meine Gefühle zumindest ansatzweise klar zu werden. Der Herbst verabschiedete sich mit schnellen Schritten und machte kühlen Nächten Platz, die Bäume standen kahl und trostlos; ragten wie warnende Finger in den sturmgrauen Himmel. Lisa hatte meine Veränderung, meine anhaltend trübe Stimmung, das trostlose Wesen hinter dem gestellten Lachen, längst erkannt. Ich war nun schon so lang mit ihr verheiratet, dass ich ihr in dieser Hinsicht wenig vormachen konnte. Doch den wahren Grund für meinen Wandel hätte sie wohl nicht mal im Traum vermutet. Sie dachte wohl immer noch an einen schlechten oder schwierigen Fall bei der Arbeit. Allein Colin schaffte es mit seinem fröhlichen Gekicher und dieser herzlichen Kleinkinderart mein Herz ein wenig aufzutauen. Doch die feste Frostschicht, die sich darum gebildet zu haben schien, wollte nicht wirklich weichen. Nicht, wenn ich jeden Tag in Sorge und Sehnsucht nach Kaito lebte. Ich war mir bewusst geworden, dass mir dieser Junge unheimlich viel bedeutete. Ich fühlte mich ihm nicht nur als Beschützer verpflichtet, denn wenn dies so gewesen wäre, hätte ich ihn in jener Nacht ohne Mühe abweisen können. Ich hatte immer wieder über diese Stunden nachgedacht, um schlussendlich nur wieder auf ein und denselben Schluss zu kommen. Ich fühlte mich von Kaito angezogen. Von seinem Wesen. Von seinem Körper. Noch würde ich diesen Gefühlen nicht mehr als eine Art sexuelle Besessenheit zugestehen, im höchsten Fall vielleicht eine Art Besitzgier, die der hübsche Japaner bei mir ausgelöst hatte. Eigentlich drehte ich mich im Kreis, denn immer wieder wurde mir bewusst, wie sehr mir Kaito fehlte. Also fasste ich einen Entschluss. Ich musste ihn finden. Irgendwie. Wenn er mich dann abwies oder beschimpfen würde, so wäre alles leichter zu ertragen und ich könnte vielleicht einen Schlussstrich unter die ganze Sache ziehen. Doch die Ungewissheit machte mich krank. Eigentlich stand der geplante Kurzurlaub für mich und meine Familie schon an, den ich jedes Jahr für uns auf die Beine stellte. Ein verlängertes Wochenende irgendwo in der Wildnis, fern ab von Straßen und Geschäften. Meine Frau war bereits dabei, zu packen, als ich leise ins Schlafzimmer trat und ihr eine Weile schweigend bei der Arbeit zusah. Irgendwann wand sie sich um und sah mich erschrocken an, dann lachte sie. »Verflucht, Alan. Du hast mich erschreckt.« Sie stopfte weiter Sachen in den schon übervollen Koffer. »Du solltest auch langsam packen, Schatz.« »Ich komme nicht mit.« Lisa verharrte in ihrer Bewegung und hob eine Braue, nachdenklich, als hätte sie meine Worte nicht verstanden. »Was?« Ich trat neben sie und griff nach ihrer Hand. »Ich komme nicht mit.« Sie schien die Bedeutung dieser Worte endlich zu realisieren und entzog mir ihre Hand, nun war ihr Blick misstrauisch. »Warum nicht?« »Lisa. Ich wäre keine gute Begleitung. Fahr allein mit den Kindern. Ruht euch aus. Gönnt euch etwas. Ich muss hier bleiben. Ich muss einige Dinge regeln.« versuchte ich sie in einem halbherzigen Versuch davon zu überzeugen, dass meine Entscheidung die Richtige war. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass das kaum klappen konnte. Nun, Alan, die Naivität scheinst du dir in letzter Zeit gut angewöhnt zu haben. Lisa reiste schlussendlich allein mit den Kindern. Doch sie hatte mir vorher unmissverständlich klar gemacht, dass sie mir das nicht so einfach verzeihen würde. Und die Kinder mit Sicherheit auch nicht. Colin weinte herzerweichend beim Abschied; der Kleine konnte einfach nicht verstehen, warum sein Papa nicht mitkam. Bei den Tränen meines Sohnes schwankte ich doch in meinem Entschluss. Ist es richtig, was ich tue? Nein, ist es nicht, Alan. Aber du hast eh nun schon so viel verbockt, da kommt es darauf auch nicht mehr an. Ich sah dem Taxi hinterher, mit dem meine Familie davonfuhr und wusste nun untrüglich, dass ich einen Schritt über die Schwelle getan hatte; über jene Schwelle, die mich zu jemand anderem machen würde. Sofort, als das gelbe Taxi in der Ferne verschwunden war, lief ich eilig ins Haus zurück und kramte die Telefonnummer von Henry heraus. Mein alter Freund von der Polizeistation hatte mir schon einmal geholfen, er musste es nun erneut tun. Auch wenn es mich unter gegebenen Umständen ein paar Geldscheine kosten würde. Ich benötigte eine Adresse. Sofort. Ich erklärte Henry knapp den Sachverhalt, wobei ich natürlich einige ziemlich pikante Details Kaito betreffend ausließ. Ich gab ihm Kaito’s Namen und den Namen seiner Schule. Dann wartete ich ungeduldig ein paar Stunden, um schließlich die Adresse von Kaito’s Mutter in der Hand zu halten. Das war der einzige Anhaltspunkt, den ich im Moment hatte. Die einzige Möglichkeit, Kaito noch zu finden. Mein Herz hämmerte jetzt wie wild in meiner Brust und es war nicht nur Nervosität und Aufregung in jenem Augenblick, was mein Innerstes in Aufruhr versetzte. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Ich konnte es weder vertreiben, noch es ignorieren. Irgendetwas stimmte nicht. Alan, das Einzige, was nicht stimmt, das bist du. Du und deine vertrackte Denkweise. Ich schnappte meine Jacke und fuhr in Eile in die Stadt, den Zettel mit der Adresse nervös in der Hand. Das seltsame Bauchgefühl wollte immer noch nicht verschwinden. Mein Navi lenkte mich in eine Gegend, wieder angereichert mit hohen Wohnblöcken, in der Drogen und Sex in dunklen Hauseingängen verkauft wurden und man Kinder ungern allein auf die Straße ließ. Hier sollte Kaito wohnen? Hier lebte seine Familie? Nun, Alan, nicht jeder lebt so wohlbehütet wie du. Denk mal darüber nach. Vor dem Block, der mein Ziel sein sollte, stieg ich aus und zündete mir sofort eine Zigarette an. Lange starrte ich zu den vielen Fenstern auf, während ich mir in Gedanken eine plausible Geschichte bereitlegte, für den Fall, dass Kaito nicht hier war. Vielleicht wussten seine Eltern jedoch, wo er sich aufhielt. Ich schnipste die Zigarette von mir und trat meinen Weg an. Mit einem nun wahrlich schlechten Gefühl in mir erreichte ich die schäbige Wohnungstür und klingelte. Bitte lieber Gott, lass ihn hier sein. Doch meine Hoffnungen wurden jäh zerstört, als eine kleine, dunkelhaarige Frau öffnete und mit großen, fast besorgten Augen zu mir aufblickte. Die feinen, exotischen Züge waren deutlich sichtbar, die sie als Japanerin kennzeichneten. Einst war sie wohl recht hübsch gewesen, doch jetzt wirkte sie alt und verlebt. Ich bemühte mich um ein freundliches Lächeln. »Frau Yamada?« Die Frau sah fast erschrocken über ihre Schulter, dann nickte sie hastig. Ihr Verhalten schien seltsam. Sie wirkte fast gehetzt und ich sah Angst in den großen, dunklen Augen, die mich so sehr an Kaito’s erinnerten. »Frau Yamada, ich suche Ihren Sohn Kaito. Ist er denn zuhause? Ich würde ihn gern sprechen.« fragte ich ruhig und freundlich, in leisem Tonfall. Die kleine Frau zuckte unmerklich zusammen, dann schüttelte sie rasch den Kopf. »Ist nicht da.« Schon wollte sie mir die Tür vor der Nase wieder zudrücken. Dass sie log, konnte ich ihr überdeutlich ansehen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Rasch schob ich meinen Fuß zwischen die Tür. »Warten Sie bitte kurz. Es ist wirklich wichtig.« Nun wirkte die Frau fast panisch und sah immer wieder über ihre Schulter. Ich quittierte ihr Verhalten mit einem Stirnrunzeln. Was hatte sie denn nur? »Ayaka!? Wer ist denn an der Tür?« vernahm ich eine raue, männliche Stimme aus dem Hintergrund und schwere Schritte wurden laut. Ein hochgewachsener Mann trat aus einer Tür, fixierte mich kurz, dann kam er rasch näher. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Das ergraute Haar war militärisch kurz geschnitten, der kräftige Körper und das Auftreten mit hoch erhobenem Haupt, während er mich abschätzend mit einer Zigarette im Mundwinkel musterte, ließen auf einen Ex-Soldaten schließen. Die silberne Erkennungsmarke, die er am Hals trug, bestätigte meinen Verdacht. Klasse , Alan. Du weißt ja, wie diese Kerle drauf sind. Der wird dich in der Luft auseinandernehmen. »Was wollen Sie?« raunzte mich der Kerl an, schob sich an der kleinen Frau vorbei und musterte mich nun mit hochgezogener Braue von oben bis unten recht gründlich. Dann nahm er einen Schluck aus der Bierflasche, die er in der Hand trug. Nun, in seinem Zustand würde er mich vielleicht nicht auseinandernehmen. Der stank schlimmer als eine ganze Brauerei. Okay, Alan. Nun wird es Zeit für eine logische Erklärung. Mir fiel Elenes Verdacht wieder ein. Das dieser Kerl für die Verletzungen Kaito’s womöglich verantwortlich war. Ich würde es ihm genauso zutrauen. Ich musste die Situation mit Feingefühl anpacken, wenn ich etwas über Kaito’s Aufenthaltsort herausfinden wollte. »Er sucht Kaito.« wisperte die zierliche Frau vorsichtig. Sofort wand sich der bullige Kerl um und hob drohend die Hand. »Hab ich dich gefragt? Hä?« Kaito´s Mutter schüttelte hastig den Kopf und wich ein paar Schritte zurück. In mir kochte es bereits. Ich hasste solche Typen. Es war allein die Tatsache, dass ich Kaito finden wollte, die mich ruhig bleiben ließ. Auch wenn ich mich dafür verabscheute, ich würde wohl auf die Art dieses Ex-Soldaten eingehen müssen, um an meine Informationen zu kommen. Wenn man ihr Verhalten gut hieß, so waren diese Kerle fast geschmeichelt und redeten bereitwillig. Ich hatte das schon oft erlebt. »Frauen sind manchmal so unbedacht in ihren Handlungen.« sprach ich kopfschüttelnd. Der grauhaarige Kerl sah wieder zu mir und seine Züge entspannten sich ein wenig. » Sie sagen es. Nun, wie kann ich Ihnen helfen, Mister…?« Er sah mich fragend an. Ich hob kurz meine Visitenkarte vor seine Augen. »Harpor.« Ich war mir ziemlich sicher, dass er sich in seinem angetrunkenen Zustand eh nicht mehr an meinen Namen erinnern würde. »Ich bin der Vater von einem von Kaito’s Mitschülern. Ich würde ihren Sohn gern einmal sprechen.« »Hat der kleine Pisser wieder was angestellt?« Das er damit ja nur Kaito meinen konnte, rüttelte wieder bedrohlich an der Mauer meiner Selbstbeherrschung. »Das will ich herausfinden. Mein Sohn behauptet, ihm wäre das Handy entwendet wurden. Eventuell von ihrem Sohn. Ich wollte Kaito nun selbst danach befragen.« Der bullige Kerl vor mir fluchte und packte die Bierflasche fester, um sie im nächsten Moment hinter sich in die Wohnung zu schleudern. Gut, mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Ebenso wenig mit dem, was in den nächsten Minuten geschah. Er baute sich vor seiner Frau auf, außer sich vor Zorn. Die zierliche Japanerin drückte sich mit angstgeweiteten Augen an die Wand. Mich schienen die beiden völlig vergessen zu haben. »Scheiße, Ayaka. Was hast du deinem Gör eigentlich beigebracht, hä? Nicht nur, dass er Schwänze lutscht und sich nur mit Alkohol und Drogen vollstopft, nun klaut er auch noch?! Muss ich ihm erst sein dämliches Hirn aus dem Leib prügeln, bevor er kapiert, wie das Leben läuft?!« Er packte Kaito’s Mutter am Kragen und schüttelte sie. Okay, nun war meine Selbstbeherrschung dahin. Das ging zu weit. Ich ballte die Fäuste und tat einen Schritt in die Wohnung, allein die Stimme der Vernunft in meinem Kopf hielt mich davon ab, dem Typen sofort eine zu verpassen. Alan, misch Dich nicht in Dinge, die Dich nichts angehen. Aber so behandelte man keine Frau. So sprach man nicht von Kaito. Niemand sollte so über diesen einzigartigen Jungen sprechen. Doch bevor ich zwischen die beiden gehen konnte, stieß der tobende Kerl die kleine Japanerin von sich und stapfte mit bedrohlicher Miene auf eine Tür zu, die bisher verschlossen gewesen war. Fahrig fingerte er einen Schlüssel hervor und stieß diese Tür auf. Was dann geschah, nahm ich nur noch durch einen Nebel war, der mein Sichtfeld einnahm und logisches Denken unmöglich machte. Aus dem Zimmer, in dem der alternde Soldat verschwunden war, erklang ein ersticktes Wimmern. Dann das Geräusch eines Schlages. Und noch eines. Und noch eines. Gefolgt von gequältem Stöhnen. »Was hast du nun schon wieder angestellt, Mistratte, hm?« brüllte der aufgebrachte Mann. Als ich realisierte, was in diesem Moment in dem Zimmer vor sich gehen musste, schaltete mein Verstand ganz ab. Ich sah sprichwörtlich rot. Mit ein paar Schritten war ich in der Wohnung und stand in der Schwelle zu dem Raum, in dem der grauhaarige Kerl über ein Bündel am Boden gebeugt stand und völlig außer sich auf den zierlichen Körper unter sich einschlug. Im Hintergrund erklang das Weinen der Frau, die an der Wand zu Boden gesackt war und sich die Ohren zuhielt. Wie in Zeitlupe nahm ich die Bilder dieses Raumes, was hier gerade geschah, in mich auf. Ich sah die zerbrochene Gitarre Kaito’s, die lieblos in einer Ecke lag. Ich sah eine alte Matratze, die man wohl kaum noch als Bett bezeichnen wollte oder konnte. Ich sah ein paar Tüten mit undefinierbaren, farbigen Pillen darin. Ich sah die Kette an dem Heizungsrohr, die den Jungen in dem Zimmer gefangen hielt. Und ich sah das Blut, was plötzlich überall zu sein schien. Kaito´s Blut. Kaito. Niemand darf dir wehtun! Irgendwo in meinem Kopf legte sich ein Schalter um, der bisher mein Denken gesteuert hatte. Ich bestand in diesem Moment nur noch aus Sorge und grenzenloser Wut. Ich stürzte mich auf den Ex-Soldaten und schlug ihm meine Faust in die Seite. Er taumelte völlig verblüfft zurück, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Er war kräftig, doch sein Hirn vom Alkohol benebelt, was mir einen großen Vorteil verlieh. Er sah mich an, als würde er nicht verstehen, was ich von ihm wollte. »Was soll das? Sind Sie irre?« fuhr er mich an. Ich ließ ihm keine Zeit, über seine Frage nachzudenken. Ich stürzte mich völlig außer mir auf den Mann, hämmerte meine Fäuste in sein Gesicht und in seinen Leib, bis er irgendwann stöhnend zusammensackte. Doch selbst dann hörte ich nicht auf. Ich trat und schlug völlig von Sinnen auf diesen grauhaarigen Kerl, der es gewagt hatte, Kaito anzufassen. Der es gewagt hatte, meinen Kaito zu berühren. Ihm wehzutun. Ich bestand in diesen wenigen Augenblicken nur noch aus Instinkt. Allein das Gefühl, dass beschützen zu müssen, was mir wichtig war, trieb mich an und verlieh mir Kraft. Irgendwann ließ ich schwer atmend von dem Mann ab, denn mein Verstand erinnerte mich daran, dass dort jemand war, der meiner Hilfe bedurfte. Ich konnte mich nicht in Rachegelüsten verlieren. Kaito brauchte mich. Ich fiel neben Kaito auf die Knie und streckte die Hände nach jenem aus. Meine Kehle schnürte sich zu und mein Herz setzte aus, denn für einen Moment meinte ich, dass er nicht mehr atmete. »Kaito…!?« Ich erkannte meine eigene Stimme nicht mehr. Sie war zittrig und kraftlos. Der Anblick des Jungen war zu viel für mich. Die eiskalte Hand der Angst griff nach meinem Herz. Mit dem Verlust dieses Jungen würde ich mich nicht abfinden können. Kaito war in einer furchtbaren Verfassung. Sein Gesicht war grün und blau geschlagen, seine Lippen aufgeplatzt. Sein Körper lag zusammengerollt und verkrampft am Boden, durch einige Löcher seiner Kleidung konnte ich furchtbare Wunden sehen. Er war völlig blass und dünn, dass Haar fiel ihm wirr ins Gesicht. Wie lang hatte er hier schon ausharren müssen? Wie oft hatte man ihn geschlagen? Ich zerrte an der Kette, die das Fußgelenk des Jungen an das Heizungsrohr gefesselt hatte. Vergeblich. Ein Schloss hielt alles an Ort und Stelle. Ich robbte keuchend zu dem stöhnenden Ex-Soldaten zurück, packte ihn am Kragen und schlug erneut in sein blutendes Gesicht. Sein Wimmern verschaffte mir echte Genugtuung. »Wo ist der Schlüssel für das Schloss?« brüllte ich ihn an, völlig verzweifelt und außer mir. Der Mann fingerte sofort zittrig aus seiner Hosentasche einen kleinen Schlüssel, bettelte und wimmerte irgendwas vor sich hin. Ich war nie ein gewalttätiger Mensch gewesen. Ich hatte Schläge und alle Arten von Gewalt immer verabscheut. Doch in diesem Moment, als man vor meinen Augen diesen Jungen, der mir so wichtig und teuer war, verletzt hatte, war irgendwo tief in mir ein Damm gebrochen. Ich wollte diesem Mann, der meinem Kaito das angetan hatte, genau solche Schmerzen zufügen. Ich wollte ihn leiden sehen. Am liebsten hätte ich ihm Nägel in die Augen gebohrt. Ihm jedes Glied einzeln gebrochen. In einem noch klaren Teil meines Kopfes war ich von meinen eigenen Gedanken angewidert. Doch dieser Teil verstummte rasch unter dem Tosen meiner Wut. Ich schnappte den Schlüssel aus seiner Hand und stieß seinen Kopf hart auf den Boden zurück. Ein dumpfer Laut, dann rollte sich der Kerl stöhnend zusammen. Rasch war ich wieder auf den Beinen. Ich hob meinen Fuß und trat mit Wucht auf die Hand des Mannes, die neben seinem Körper lag. Das leise Knacken, das das Brechen einiger Gelenke andeutete, war Musik in meinen Ohren. Der Kerl schrie wie am Spieß und drückte die geschundenen Finger an seine Brust. Mit völliger Befriedigung registrierte ich, dass er sich in die Hosen gemacht hatte. »Das ist für Kaito.« raunte ich eiskalt. Alan, es reicht langsam. Bedenke, wer du bist! Was du hier gerade tust! Du machst dich strafbar. Finde langsam wieder zu dir zurück. Das bist doch nicht du. Nein, das war nicht ich. Das hier war ein Mann, dem man etwas Liebes und Teures fast genommen hatte. Ich eilte zu Kaito zurück und löste ihn von seiner Fessel. Der Junge schlug für einen Moment stöhnend die flatternden Lider auf, seine extrem geweiteten Pupillen versuchten mich zu fixieren. »Al…an…?« Diese gebrochene Stimme erinnerte kaum mehr an diese süße Singstimme, die mir den Verstand geraubt hatte. Ungläubigkeit und Verwirrung schwangen darin mit. Ich musste die Augen für einen Moment schließen und mich selbst zur Ruhe zwingen. Ich wollte schreien. Ich wollte weinen. Ich wollte irgendetwas zerschlagen. Doch all das hätte Kaito wenig geholfen. Ich strich mit zitternden Händen über das geschwollene Gesicht des Jungen, so vorsichtig wie möglich, um ihn nicht noch mehr zu verletzen. Doch ich wollte ihm das Gefühl geben, dass ich da war. Das dieser Alptraum vorüber war. »Ganz ruhig. Ich hol dich hier raus, alles wird gut. Das verspreche ich dir, Kaito.« flüsterte ich leise und schob meine Hände unter den so zerbrechlich wirkenden Körper. Ich hatte das Gefühl, dass Kaito nicht mehr als eine Feder wog, als ich ihn aufhob und aus dem Raum trug. Ich sah mich nicht mehr nach seinem Stiefvater um. Der weinenden Frau auf dem Boden schenkte ich nur einen verachtenden Blick. Fluchtartig verließ ich die Wohnung mit Kaito auf den Armen. Der junge Japaner wimmerte bei jedem Schritt und rollte sich zusammen, drückte sich hilfesuchend an meine Brust und krallte die schlanken Hände in mein Hemd. Ich verkrampfte innerlich beim dem Anblick des Jungen. Ich hätte ihm diesen Schmerz so gern erspart. Ich hätte seine Qual mit Freuden auf mich genommen. Doch nichts davon hatte ich vermocht. »Kaito. Ich bring dich jetzt in ein Krankenhaus, hörst du?« Ich war schon an meinem Auto angelangt, öffnete die Beifahrertür und setzte den Jungen so behutsam wie möglich in den Sitz. Sofort griff eine zitternde Hand nach meiner, die nicht minder bebte. »K..kein…Kra…nken…haus…« keuchte Kaito und sah mich flehend an, ja, fast panisch. Ich nahm seine Hand in meine und blickte ihn eindringlich an. »Doch Kaito. Du brauchst Hilfe. Professionelle Hilfe.« »Bleib…b..ei…mir…« wisperte der Junge, seine dunklen Augen schienen sich förmlich an mir festzusaugen. »Lass…mich…n…icht…all…ein…« Himmel, warum fühlte ich mich in jenem Moment wie der allerletzte Arsch? Vielleicht, weil er erst durch dich in diese Lage gekommen ist, Alan?! Wenn du in jener Nacht nicht so feige geflüchtet wärst, vielleicht wäre Kaito das alles erspart geblieben. Du hast ihn im Stich gelassen, Alan. »Ich bleibe bei dir. Ich schwöre es. Ich lass dich nie mehr allein.« Ich beugte mich vor und bevor ich realisiert hatte, was ich tat, strich ich mit meinen Lippen über die Blutigen des jungen Japaners. Es war ein Versprechen. Ein Schwur. Mit Blut besiegelt. Alan, was redest du da für Blödsinn? Hast du einmal über die Tragweite dieser Worte nachgedacht? Was diese Worte für dich und dein Leben, für deine Familie bedeuten? Ja, zur Hölle, hatte ich! Und ich würde die Konsequenzen in Kauf nehmen. Kaito´s Lippen verzogen sich dem Hauch eines Lächelns, dann sackte er in dem Sitz zurück und wurde ohnmächtig. Ich glaube, so schnell und so rücksichtslos wie an jenem Tag war ich noch nie durch die Stadt gerast. Ich achtete auf keine Ampel, auf kein Warnschild. Ich überfuhr jede Kreuzung, ohne auf das Hupen der anderen Autos zu achten. Ich überschritt jedes Tempolimit. Allein der Gedanke, Kaito zu retten, war mein Antrieb. Ich hatte es ihm geschworen und ich würde meinen Schwur nicht brechen. Nie wieder. Denn dieser Junge gehörte zu mir. Unwiderruflich. Er war mein Schicksal. Das war mir in jenem Moment klar geworden, als ich ihn so blutend und völlig zerbrochen am Boden gesehen hatte. Mein Herz hatte aufgeschrien und meine Seele war in Tränen ausgebrochen. Ich würde Kaito nie mehr hergeben. Auch wenn meine Gefühle für diesen Jungen völlig irrational und falsch waren, ich konnte sie nicht mehr leugnen. War das etwa Liebe, was ich empfand? Kapitel 15: Erklärungen ----------------------- Ich wartete. Ich wartete Stunden, in denen ich nicht wusste, welche Hoffnungen ich mit mir tragen sollte und durfte. Das Krankenhaus war belebt, die Gänge zu dieser kalten Jahreszeit voll mit Menschen, die vor den kalten Nächten Schutz suchten. Ich lief im Warteraum auf und ab; blickt jedesmal hoffnungsvoll auf, wenn ein Arzt oder eine Schwester in meine Richtung sahen, nur um dann flüchtig lächelnd an mir vorbeizulaufen. Die vielen Becher Kaffee, die ich in der Zeit des ungewissen Wartens förmlich verschlungen hatte, füllten den Papierkorb. Immer wieder fuhr ich mir nervös mit der Hand durch das Haar, sah mich nach allen Seiten um, setzte mich, um im nächsten Moment wieder aufzuspringen. Ich war am Ende. Ich war krank vor Sorge. Vor Sorge um Kaito. Ich hatte ihn vor Stunden hierher gebracht, er war auf der ganzen Autofahrt nicht mehr wach geworden. Man hatte ihn mir in der Notaufnahme sofort aus den Armen gerissen und war mit ihm verschwunden. Ich wollte hinterher, doch man hatte mich mit Nachdruck aufgehalten. Ich durfte nicht zu ihm. Ich hätte den Ärzten wohl auch nur im Weg gestanden und doch… in mir lebte dieser schmerzliche Wunsch, ihm nah zu sein. Seine Hand zu halten. Ihm Kraft zu geben. Er hatte mich gebeten, ihn nicht allein zu lassen. Ich hatte es versprochen. Nun war er wieder allein. Super, Alan. Im Versprechen brechen bist du ein wahrer Held und Meister. Ach verflucht. Ich lief zum Fenster und erkannte die ersten Schneeflocken für dieses Jahr, die vereinzelt, fast schüchtern zu Boden segelten. Die Welt kam zur Ruhe, doch in mir war alles aufgewühlt und völlig verwirrend verkehrt. Ich lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe und genoss diesen plötzlichen Schock, der meinen Körper aus seinem betäubten Zustand der letzten Stunden riss. Ich hätte an meine Familie denken sollen. An Lisa. Und die Kinder. Ob sie bei diesem Wetter gut an ihrem Ziel angekommen waren?! Doch in meinem Kopf war nur noch Platz für eine Person; ein Name, der stets in meinen Gedanken war und alle meine Sorgen und Gefühle benötigte. Kaito. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ich nicht dieser plötzlichen Eingebung gefolgt wäre und ihn gesucht hätte. Hätte ihn sein Stiefvater totgeprügelt? Wäre er verhungert? Ich ballte wieder die Fäuste, wie so häufig in den letzten Stunden, denn die Erinnerungen an diese Minuten, als ich Kaito gefunden hatte, würden sich wohl nie mehr aus meinem Gedächtnis löschen lassen. Nie mehr würde ich vergessen, wie dieser Junge hatte leiden müssen. Vielleicht durch meine Schuld. Ich fluchte leise und schlug mit einer Faust gegen die Scheibe, die protestierend klirrte. Einige Patienten im Warteraum sahen mich empört, andere ein wenig furchtsam an. Einen schönen Anblick konnte ich nicht bieten. Ich sah mein Spiegelbild im Glas. Meine Augen leuchteten aufgewühlt, meine Haare waren vom vielen Durchfahren ganz zerzaust. Ich wirkte wahrlich wie ein Geisteskranker, der irgendwo entflohen war. Hm, Alan, vielleicht siehst du nun endlich wie das aus, in was du dich gewandelt hast? Ein Verrückter, der völlig vom rechten Weg abgekommen ist. Der rechte Weg… Was war schon der rechte Weg? Konnte es den überhaupt geben? War nicht der Weg der Richtige, auf welchem wir uns wohl fühlten? Meine Gedankengänge wurden jäh unterbrochen, als eine Ärztin hinter mich trat. Ich bemerkte ihr Spiegelbild in der Glasscheibe vor mir. »Mister Harpor?« Sofort wand ich mich um und war schon kurz davor, die Frau zu schütteln, damit sie mit ihren Informationen rausrückte. Egal, welche das sein sollten. Die dunkelhaarige, noch recht junge Ärztin schob ihre Brille auf die Nase und blätterte auf ihrem Klemmbrett. »Sie haben diesen bewusstlosen Jungen vor ein paar Stunden hergebracht?! Kaito Yamada, richtig?« Ich nickte sofort und trat wie mechanisch nach vorn. »Wie geht es ihm? Kann ich zu ihm?« Die Frau sah mit ihren großen blauen Augen zu mir auf und musterte mich skeptisch. »Sind Sie ein Verwandter von dem Jungen? Ich kann leider nur Auskunft an Familienangehörige geben, Sir.« Nein, scheiße. »Ich bin sein Onkel.« Klasse, Alan. Nun belügst du auch die nette Ärztin. Hast du eigentlich noch einen Funken Ehre im Leib? Egal. Ich musste zu Kaito. Ich hatte es ihm versprochen. Und mit Sicherheit würde hier niemand aus seiner Familie auftauchen, um sich nach seinem Wohl zu erkundigen. Ich trat auf die junge Ärztin zu und ergriff deren Arm, nicht grob, einfach flehend. »Bitte.« Nur dieses eine Wort brachte ich hervor und war selbst überrascht, wie kratzig und rau meine Stimme klang. Die Frau musste die Verzweiflung in meinen Augen gelesen haben, denn sie nickte mit einem leichten Seufzen. Sie hatte mit Sicherheit genug Patienten und Probleme hier, um sich nun noch zu erkundigen, ob ich wirklich verwandt mit Kaito war. Mein Glück. »Kommen Sie mit.« Schon lief sie voran durch diesen Wirrwarr an immer gleich aussehenden Gängen, die einen mit ihrem hellen Weiß zu ersticken drohten. Währenddessen blätterte sie wieder eifrig in ihren Papieren, wohl Patientenakten. »Der Junge war recht geschwächt, Mister Harpor. Unterernährt und unterkühlt. Außerdem wies er eine Menge Hämatome auf, vor allem im Bereich der Lendenwirbel, der Arme und Oberschenkel. Ebenso stellten wir eine leichte Gehirnerschütterung fest. Die Verletzungen…« Diese Worte der Ärztin rauschten an mir vorbei und ich hatte wahrlich Mühe, die Bedeutung dessen zu verstehen. Doch immer und immer wieder sagten mir auch diese Worte nur eines. Nämlich, dass ich Kaito im Stich gelassen hatte. Dass ich ihn vielleicht fast verloren hätte. Warum hatte ich ihn nicht beschützen können? Ich schwankte unter der Last meiner Schuld und stützte mich an der Wand des Ganges ab. Die Wände und Türen verschwammen vor meinem Blick. »Sir?! Alles in Ordnung?« Die Ärztin, die ich nun als Frau Athan dank ihres Namensschildes erkannte, war sofort an meiner Seite und stützte mich. Mit raschen Handgriffen an meinem Puls und einem geschulten Blick sah sie streng zu mir auf. »Wann haben sie das Letzte gegessen, Sir?« »Keine Ahnung…« nuschelte ich. »Haben sie außer Kaffee in den letzten Stunden etwas zu sich genommen?« »Vermutlich nicht. Ist doch egal.« Ich versuchte die Frau abzuschütteln. »Ich muss zu Kaito.« Die junge Ärztin war hartnäckiger, als ihr weiches Äußeres vermuten ließ. »Sie können zu dem Jungen. Aber ich werde Ihnen etwas zu essen und trinken bringen lassen. Und Sie werden mir den Gefallen tun und das zu sich nehmen. Ich habe keine Lust auf noch einen Patienten. Kommen Sie.« Mit ungeahnter Kraft zog sie mich mit sich. Leise öffnete sie eine Tür und schob mich in den Raum, bevor sie nach sich die Tür wieder schloss. Kaito lag allein in diesem Zimmer, die Augen hatte er geschlossen und schien zu schlafen. Fast verloren wirkte er in dem großen Krankenhausbett, seine Haut machte dem Weiß der Wände und Laken Konkurrenz, allein die blauen Flecken schimmerten in allen Farben und schienen mir voll grausigem Humor zuzuzwinkern. Mein Herz verkrampfte schmerzhaft. »Wir haben ihm ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben, damit er etwas schlafen kann; er war völlig aufgelöst und außer sich. Der Junge hat keine inneren Verletzungen davon getragen, was schon fast an ein Wunder grenzt. Wir werden ihn über Nacht zur Beobachtung hierbehalten.« Die Ärztin stand neben mir und sah ebenfalls auf den schlafenden Kaito hinab. »Was er jetzt am meisten braucht ist Ruhe, Beständigkeit und Nahrung. Genau wie Sie.« Die junge Frau lächelte ermutigend zu mir auf und klopfte mir aufmunternd auf den Arm, ehe sie sich zum gehen abwand. »Ich lasse Ihnen etwas zu essen bringen.« Damit war sie verschwunden. Ich umklammerte für einen Moment das Gestell des Krankenhausbettes mit stählernem Griff und sah wie erstarrt auf den schlafenden Jungen in dem weißen Bettzeug. Er lag entspannt da, atmete ruhig. Doch in mir kochte schon wieder der Hass hoch auf diesen Mann, der Kaito so zugerichtet hatte. Das, was ich diesem Kerl angetan hatte, war zu wenig gewesen. Eindeutig zu wenig. Zu wenig, um als Gerechtigkeit zu dienen. Zu wenig dafür, dass er es gewagt hatte, diesen Jungen zu berühren. Für so etwas gab es keine Gerechtigkeit. Keine rechtmäßige Strafe. Außer den Tod. Alan, mach mal halblang. Du weißt schon, dass Selbstjustiz verboten ist!? Denk an deine Familie, Himmel. Du kannst froh sein, wenn du keine Anzeige wegen Körperverletzung bekommst. Ich ging langsam um das Bett herum und ließ mich vorsichtig neben Kaito auf dem Rand der Matratze nieder. Zittrig griff ich nach der schmalen Hand des Jungen, so vorsichtig, wie ich vermochte. Ich traute meinen bebenden Händen selbst kaum; hatte furchtbare Angst, Kaito weh zu tun. Seine Finger wirkten so zerbrechlich in meiner Hand. Ich rieb leicht mit dem Daumen über die blasse Haut, wagte nicht, ihn mehr zu berühren, aus Angst, ihn zu wecken. Doch war meine Sehnsucht nach seiner Nähe nun fast schmerzlich intensiv. Ich hätte ihn am liebsten in meine Arme gezogen und fest an mich gepresst. Keine gute Idee, Alan. Keine gute Idee. Nein, wahrlich nicht. Denn ich wusste, ich würde ihn nie mehr loslassen wollen. Fast unbewusst streichelte ich seine Hand, vorsichtig und beruhigend, dann verschränkte ich meine Finger mit denen Kaito’s. Seine Haut war nicht mehr so kalt und klamm, wie in jenem Moment, als ich ihn hier abgeliefert hatte. Ein Glück. Ich saß eine ganze Weile so, betrachtete einfach das Gesicht des jungen Japaners, streichelte seine Hand weiter und versuchte meinen inneren Aufruhr zu ordnen und mich zu beruhigen. Was sich als weniger einfach erwies, als ich dachte. Ich wusste noch immer nicht genau, was ich für Kaito empfand. Vielleicht wusste ich es auch, wollte diese Gefühle aber nicht zulassen, da noch immer mein Verstand die Oberhand hatte, der mir stets und ständig einredete, dass ich das Falsche tat. Nur eines war mir nun ganz klar. Ich würde Kaito nicht mehr allein lassen. Egal, wie seine Gefühle mir gegenüber wirklich waren. Egal, was ich wirklich empfand. Ich würde ihn beschützen. Und diesmal würde ich nicht an dieser Aufgabe scheitern. Ich hob die freie Hand und strich zart mit dem Handrücken über Kaito’s Wange, wischte ihm so ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. Er seufzte leise und schlug die Augen langsam auf. Einen Moment wirkte er völlig desorientiert, dann fixierte sich sein Blick auf mich. Ich war noch immer schlecht darin, seine Stimmung zu deuten, denn niemand beherrschte das Spiel, Emotionen zu verstecken, so perfekt wie Kaito. Ich meinte Ungläubigkeit in seinem Blick zu lesen, vielleicht auch einen Hauch von Misstrauen und die leichte Ahnung von Freude. »Alan…« »Hey, Kaito.« flüsterte ich mit brüchiger Stimme und bemühte mich um ein leichtes Lächeln. Hey?! Sag mal, fällt dir nichts Besseres ein als ~hey~, Alan? Der Blick des Jungen senkte sich auf seine Hand, die noch in meiner lag. Unsere Finger waren ineinander verschlungen. »Du hast mich gefunden, Alan.« wisperte Kaito leise und sah mit seinen dunklen Augen wieder zu mir auf. Er machte keine Anstalten, mir seine Finger zu entziehen, eher hatte ich den Eindruck, dass er sich noch ein wenig mehr an mich klammerte. Wieder hatte ich die Empfindung, in seinen tiefen Augen zu versinken. Diese Augen raubten mir wie immer die Fähigkeit, logisch und rational zu bleiben. Erneut blitzte der Gedanke vor mir auf, dass ich den Anblick dieser wunderschönen Augen hätte verlieren können… Ich holte erstickt Luft und musste zur Seite sehen, da ich verräterische Feuchte im Augenwinkel spürte. Die Gewalt und Schwere dieses Gedanken überrollte mich in jenem Moment. Langsam zog ich Kaito’s Hand an meine Lippen und hauchte einen Kuss auf die zarten Knöchel. »Dachtest du, ich lass dich im Stich…?« hauchte ich rau gegen seine Haut und wagte den Jungen wieder anzusehen. Die Fassade der Stärke und Gelassenheit bröckelte bei mir erstaunlich schnell. Weichei, Alan. »Ich hatte ehrlich gesagt nicht gedacht, dich überhaupt wiederzusehen.« sprach Kaito tonlos, das Gesicht resigniert. Er war jemand, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Er gab sich nicht auf, doch die Hoffnung auf etwas Besseres hatte er schon lang verloren. Ich schluckte hart und senkte den Blick auf die weichen Finger des Jungen in meiner Hand. Ich wusste, dass er auf jene Nacht anspielte. Er hatte mein Verschwinden für meine Antwort auf diese Sache zwischen uns gehalten. Darum auch seine Ungläubigkeit und sein Misstrauen, dass ich, gerade ich, nun hier an seinem Bett saß. Sag ihm, dass du ihn magst, Alan. Genau das will er jetzt hören. Ich wollte zu einer Entschuldigung ansetzen. Ich wollte mich erklären. »Kaito, ich-« Die Tür schwang auf und eine Schwester rollte einen Wagen mit Essen herein. Ein köstlicher Duft erfüllte sofort den Raum und mir wurde bewusst, wie hungrig ich war. Verschämt musste ich feststellen, dass ich der rundlichen Schwester dankbar war, dass sie gerade in jenem Moment gestört hatte. Ich war Kaito gegenüber immer noch feige. Meine Gefühle für diesen Jungen waren ein solches Rätsel für mich, dass ich wohl ein Leben lang daran zu knabbern haben würde. Wir waren Freunde. Da war ich mir sicher. War diese Nacht vielleicht nur ein Ausrutscher gewesen? Durfte ich mehr in Kaito’s Worte aus jener Nacht hinein interpretieren? Durfte ich glauben, dass er mich nicht nur aus Lust geküsst und mich so berührt hatte? Wahrscheinlich durfte ich das nicht. Vielleicht war es arrogant zu denken, dass Kaito mehr in mir sehen könnte als einen Freund. Wenn du ehrlich bist, Alan, dann musst du zugeben, dass dieser Gedanke dir gar nicht so sehr zuwider ist, wie er vielleicht sein sollte. Hast du nicht genau das gehofft? Die Schwester verabschiedete sich wieder und wir machten uns schweigend daran, zu essen. Ich musste zugeben, dass die Ärztin recht gehabt hatte. Ich hatte verdammt großen Hunger. Vor dem Fenster fielen die Schneeflocken dichter; ab und an verirrte sich eine dieser kleinen Eiskristalle ans Fenster, um dort rasch zu schmelzen und zu einem Tropfen zu vergehen. Diese Sache jener Nacht, diese körperliche Nähe und Lust, die wir geteilt hatten, schwebte wie ein starrer Balken zwischen uns. Ich konnte diese Barriere fast fühlen. Und es störte mich. Es störte mich gewaltig. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr damit beschäftigen, auf meinem schon leeren Teller immer noch zu kratzen und stellte diesen vorsichtig beiseite. Auch Kaito hatte ein wenig gegessen und getrunken, was ich mit Freude und Beruhigung feststellte. Er hatte die Hände auf dem Laken verschränkt und sah mich wieder still an, als würde er auf etwas warten. Alan, er wartet auf eine Erklärung. Auf den Satz, den du vorhin begonnen hast. Ich holte tief Luft und sah kurz zum Fenster hinaus. Es war bereits dunkel. »Warum bist du wiedergekommen, Alan?« fragte Kaito frei heraus. Das unmerkliche Zittern der Unsicherheit in seiner samtigen Stimme schaffte er, gut zu übertönen. Ich schloss kurz die Augen, dann sah ich wieder zu dem dunkelhaarigen Japaner. Noch immer saß ich auf dem Rand des Bettes. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn berühren. Ich streckte die Hand aus und legte jene vorsichtig auf die Wange des Jungen, sah diesen fest an. »Weil du mir wichtig bist.« sprach ich leise und erstaunlich sicher. Kaito´s dunkle Augen weiteten sich ein Stück und das Funkeln darin war nun unverhüllt und ehrlich. Ein Gefühl, welches ich schwerlich deuten konnte, blitzte in diesen tiefen Teichen seiner Seele. »Ich bin dir wichtig?« »Natürlich. Wir sind doch Freunde.« So rasch und wechselhaft wie die See schimmerten Emotionen auf dem Gesicht des jungen Japaners, bevor er diese Maske der Gleichgültigkeit wieder aufsetzte und sein Gesicht unmerklich von mir abwand, sodass meine Hand auf seiner Wange ins Leere glitt. »Richtig. Wir sind Freunde.« Bildete ich es mir ein oder war seine Tonlage deutlich kühler geworden? Alan, du bist wirklich…Himmel, wie blöd bist du eigentlich? Warum kannst du nicht ein einziges Mal in der Gegenwart dieses Jungen die richtigen Worte finden? DAS war mit Sicherheit nicht das, was er hören wollte. Ich war wirklich ein Idiot. Ich hatte ihn schon wieder verletzt. Und warum? Weil ich zu feige war, die Wahrheit zuzugeben. Scheiße, Alan, du magst ihn doch! Du bringst dich für ihn in Gefahr und krempelst dein ganzes Leben um, nur für ihn. Nur sagen kannst du es dem Jungen nicht? »Kaito…tut mir leid…« sprach ich schwach. Dafür war es nun auch zu spät. Der junge Japaner sah mich wieder an, die Kälte des Momentes schien verschwunden. Er lächelte leicht. »Schon gut. Danke, dass du mich dort herausgeholt hast, Alan. Danke, das Du da warst.« »Dank mir nicht dafür.« Kaito sah nun ebenfalls zum Fenster. »Sie wollen mich über Nacht hierbehalten.« »Ich weiß.« »Wann gehst Du wieder, Alan?« »Willst Du, dass ich gehe?« fragte ich vorsichtig. Kaito schmunzelte leicht. »Nicht unbedingt.« Es war gut zu sehen, dass ihn das ganze Geschehen nicht das Lächeln geraubt hatte. »Dann bleibe ich bei Dir. Ich hab es versprochen.« Der Junge sah mich nun wieder direkt an und diesmal war er es, der nach meiner Hand griff. »Ich weiß. Ich hab es gehört. Du hast es mir geschworen.« Einen Moment war ich peinlich berührt. Ich hatte gedacht, er hätte meine Worte im Auto nicht wirklich mitbekommen. Hatte er dann auch…den Kuss? Wahrscheinlich. »Habe ich. Und diesmal werde ich diesen Schwur auch halten.« Kapitel 16: Ein neuer Weg ------------------------- Ich blieb in der Nacht bei Kaito, wie ich es versprochen hatte. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, an seinem Bett zu sitzen und ihm beim Schlafen zuzusehen. Ich wachte wie ein stummer Schutzengel über seinen Schlaf; mir selbst gönnte ich diesen kaum. Ich war immer noch voller Selbsthass und Vorwürfen, obwohl das vielleicht mehr als lächerlich war. Doch ich konnte es mir schwer verzeihen, dass ich Kaito einfach so feige allein gelassen hatte. Als er schlief, wagte ich ihn wieder zu berühren. Vorher hatte ich mir das nicht zugestanden. Doch jetzt, wenn er nicht vor mir zurückweichen konnte oder würde, wagte ich, meine Sehnsucht ein wenig zu stillen. Du bist noch immer ein feiger Hund, Alan. Meine Finger strichen federleicht über das hübsche Gesicht des Japaners; seine weichen Lippen ließen mir noch immer heiße Schauer über den Rücken laufen. Ich sollte ihn nicht berühren. Und ich sollte ihn nicht begehren, nicht in dieser Situation. Doch ich war besessen von dem Jungen. Ich bekam in dieser Nacht wenig Schlaf, verbrachte die Stunden eher damit, Kaffee in endlosen Mengen in mich zu kippen und unruhig auf und ab zu laufen, wenn ich nicht gerade an Kaito’s Bett saß. Meine Gedanken ließen mir keine Ruhe. Immer und immer wieder wälzte ich sämtliche Möglichkeiten, die mir jetzt blieben; überdachte mein Leben und den weiteren Verlauf dessen. Irgendwann in den frühen Morgenstunden musste ich dann wohl doch aus Erschöpfung eingeschlafen sein. Eine sanfte, vorsichtige Berührung weckte mich; unsicher strichen Finger durch mein Haar und über meine Wange. Ich war noch gefangen in meinem Traum und dachte im Halbschlaf zuerst an Lisa, die mich weckte. Nein, diese Finger. Dieser Duft. Das war nicht meine Frau. Und doch schmiegte ich mich seufzend gegen diese warmen Hände und genoss diese zarten Berührungen aus vollen Zügen. Es war lang her, zu lang, dass ich so berührt wurde. So liebevoll und gleichzeitig unsicher, als ob man Angst hätte, mich zu verletzen. Ich fühlte mich in jenem Moment so geborgen wie schon lang nicht mehr und weigerte mich hartnäckig zu erwachen. Doch irgendwann gelang mir die Flucht in meine Träume nicht mehr. Stöhnend schlug ich die Augen auf, nur um in Kaito’s dunkle Seelenteiche zu sehen, die auf mich herab schmunzelten. Der junge Japaner zog seine Hand sofort von meiner Wange, was mir fast einen protestierenden Laut entlockt hätte. Doch nur fast. Rasch richtete ich mich auf, wobei mein Rücken einige hässliche Knackgeräusche von sich gab. Ich hatte in einer recht unbequemen Haltung geschlafen, halb auf Kaito gelegen. Na, Alan, werden wir etwa alt? »Guten Morgen, Alan.« brachte Kaito mit einem Schmunzeln hervor, während er sich eine dunkle Strähne aus der Stirn schob. Er sah wesentlich besser aus als gestern, der Schlaf schien ihm gut getan zu haben. Sein zartes Lächeln verriet mir, dass es ihn wohl wenig gestört hatte, dass ich halb auf ihm eingeschlafen war. Verlegen räusperte ich mich und strich mein Hemd in eine einigermaßen ordentliche Form, dann sah ich ihn entschuldigend an. »Tut mir leid. Ich wollte eigentlich nicht einschlafen. Hab ich dich gestört? Dir wehgetan?« Sofort waren die Sorgen wieder da, diesen Jungen unbeabsichtigt verletzt zu haben. Kaito lachte leise und hob die Hände. »Alles noch dran. Schon gut, Alan. Es hat mich nicht gestört. Ganz im Gegenteil…« fügte er leise an und sah zur Seite. Hatte ich tatsächlich eben eine verlegene Röte auf dem hübschen, blassen Gesicht wahrgenommen? Ich war verblüfft und völlig unsicher, räusperte mich dann erneut. »Wie geht es dir heute?« Der Junge sah kurz aus dem Fenster; draußen hatte sich überall eine leichte, federweiche Schneeschicht abgelegt. Der Anblick hatte fast etwas Märchenhaftes. »Besser. Nicht gut, aber besser.« In diesem Moment kam die Ärztin von gestern zurück, ein freundliches Lächeln im Gesicht. »Guten Morgen, Mister Harpor. Mister Yamada.« Sie wand sich an Kaito. »Ich werde sie jetzt noch einmal mitnehmen, um abschließende Tests durchzuführen. Wenn diese positiv ausfallen, spricht nichts dagegen, sie heute schon zu entlassen. Die nötige Ruhe und Erholung finden sie sicher besser zuhause.« Sie machte eine einladende Geste aus der Tür hinaus. Der Junge sah fast flehend zu mir und ich ergriff seine Hand, ehe die Frau ihn mir davon schleppen konnte. »Ich warte hier. Versprochen.« Kaito schien sofort erleichtert und nickte. »Danke, Alan.« Als ich allein im Zimmer zurück blieb, ließ ich mich erschöpft auf das Bett sinken. Was nun? Wie ging es jetzt weiter? Ich rieb mir fast verzweifelt die Schläfen und starrte aus dem Fenster. Ruhe und Erholung brauchte Kaito, aber in seinem zuhause fand er die mit Sicherheit nicht. Und bestimmt auch nicht in dieser abgehalfterten Wohnung, die er wohl ab und an als Zufluchtsort nutzte. Wie ich es drehte und wendete, ich kam nur immer wieder zu dem Schluss, dass der Junge jemanden brauchte, der sich in den nächsten Tagen um ihn kümmerte. Weit weg von seinem bisherigen Leben. Alan. Nein. Diesen Gedankengang, den du da gerade zusammenspinnst, den kannst du gleich wieder verwerfen! Hörst du? Tu das nicht! Warum nicht? Lisa war noch ein paar Tage mit den Kindern weg. Niemanden würde es stören oder belasten, wenn ich Kaito mit zu mir nehmen würde. Es wäre ja nur vorübergehend. Natürlich, Alan. Und Schweine können fliegen. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass du den Jungen nicht mehr gehen lassen wirst. Dass du es nicht mehr kannst, wenn du dich zu sehr an ihn gewöhnst. Wenn du diesen Schritt gehst, gibt es keinen Weg zurück. Verflucht, ja. Das wusste ich. Aber ich hatte es Kaito geschworen. Und ich wollte mich um ihn kümmern, musste ich verblüfft feststellen. Ich wollte ihn bei mir, damit ich meine egoistischen Bedürfnisse befriedigen konnte, seine Aufmerksamkeit und seine Nähe allein bei mir zu wissen. Kaito gehörte zu mir. Du bist verrückt, Alan. Kaito kam irgendwann in Begleitung der dunkelhaarigen Ärztin zurück, die schon wieder eifrig in ihren Unterlagen blätterte. Dem Jungen hatte man seine Sachen zurückgegeben, es war ja auch das Einzige, mit dem er hier angekommen war. Wie sehr musste es ihm widerstreben, diese Sachen wieder zu tragen, die ihn so sehr an das vergangene Geschehen erinnerten. Fast ein wenig verloren stand er in seiner blutigen, kaputten Kleidung neben der Frau, die nun meinen Blick suchte. »Wir können ihren Neffen ohne Bedenken entlassen, Mister Harpor.« Kaito runzelte ein wenig verblüfft die Stirn und sah fragend zu mir, sagte aber nichts. »Die Tests waren allesamt zufriedenstellend. Es gibt keine Hinweise auf Spätfolgen. Sollte sich dennoch irgendetwas in den nächsten Tagen ankündigen; Schwindel, Übelkeit oder sonstiges, dann kommen sie sofort wieder her.« Dann wand sie sich an Kaito. »Sie brauchen jetzt unbedingt Ruhe. Und meiden sie für die Zukunft Schlägereien.« Ich musste hart schlucken. Wenn die Frau doch nur wüsste… Die Ärztin verabschiedete sich freundlich und schon rollte eine Schwester nach ihr an, um das Bettzeug abzuziehen. Unmissverständlich wurden wir somit aus dem Zimmer gezwungen. Kaito schwieg und schritt langsam den Krankenhausgang entlang, der Richtung Ausgang führte. Seine Schritte waren schwer und wurden immer langsamer, je näher wir dem Ausgang kamen. Mit Sicherheit kam nun auch ihm der Gedanke, dass er eigentlich nicht wusste, wohin. Und ich konnte die Angst vor der Ungewissheit nun fast deutlich in seinem Gesicht lesen. Doch natürlich ließ er sich wie immer nichts anmerken. Entschlossen trat er nach draußen in den kalten Morgen, mit seinen zerrissenen, dünnen Klamotten. Die Sonne kletterte gerade über die Dächer der Häuser und ließ den frischen Schnee hell glitzern. »Ich danke dir nochmal, Alan, für alles…« begann Kaito gerade. Ich konnte sehen, wie feine Gänsehaut auf seinen Armen entstand, doch er blieb tapfer und schlang die Arme nicht um sich; Schwäche zu zeigen, fiel ihm noch immer schwer. Verflucht, Junge. Wenn du doch nur ein einziges Mal um Hilfe bitten würdest. Ich bin hier. Ich bin da für dich. Ich zog meine Jacke einfach ohne Worte aus und warf sie Kaito über, dann legte ich ihm einen Arm um die dünne Schulter und zog ihn an mich, um ihn in Richtung meines Autos zu führen. Oh, verflucht, es war so schön, ihn wieder in meinen Armen zu spüren. Seine Nähe zu fühlen. Kaito fügte sich eindeutig verwirrt; er sah fragend zu mir auf, vor meinem Auto blieb er fast protestierend stehen. »Alan, du hast schon zu viel für mich getan. Du musst nicht-« Ich unterbrach seine Worte fast wütend, packte ihn an beiden Schultern und drehte ihn zu mir, sodass er mich ansehen musste. Ich brachte mein Gesicht nah vor seines, wobei das fast schon wieder ein Fehler war, da sein einzigartiger Duft in meine Nase stieg und mir das Denken erschwerte. »Kaito. Ich habe es dir versprochen. Geschworen. Du hast es selbst gesagt. Ich lasse dich nicht mehr allein, hörst du? Fang endlich an, mir zu glauben. Du bist nicht allein.« Der junge Japaner holte tief Luft und ich spürte, wie er sich versteifte. »Ich will niemanden zur Last fallen…« erwiderte er nur tonlos. Diese Lippen… warum nur wuchs in mir gerade jetzt der Wunsch, ihn zu küssen? Meine Lippen auf diese weichen, sündigen Lippen dieses Jungen zu pressen? »Du fällst mir nicht zur Last. Ich habe dich gern bei mir, also hör auf damit. Ich werde dich jetzt mit zu mir nehmen, ob du willst oder nicht. Ich lasse dich nicht hier draußen allein. Vergiss es.« Mit diesen Worten öffnete ich die Beifahrertür und schob den Jungen in den Wagen. Kaito schwieg von da an. Ab und zu konnte ich sehen, wie er angestrengt auf seiner Unterlippe kaute, während er wahlweise auf die Hände in seinem Schoss sah oder aus dem Fenster. Ich hatte mir so sehr gewünscht, es wirklich gehofft, dass der junge Japaner sich mir nun komplett öffnen würde, doch dem war nicht so. Fast schien es, er würde sich noch mehr zurückziehen. Als ob es ihm nun unangenehm wäre, wie ich ihn gefunden hatte. Oder hatte ich wieder etwas Falsches gesagt? Um mich und vielleicht auch ihn abzulenken, fuhr ich zu einem Einkaufszentrum in der Stadt und parkte den Wagen in der Tiefgarage. Kaito sah mich verwirrt an, als ich ausstieg, doch er folgte mir schweigend. »Wir besorgen dir ein paar neue Sachen. Mit denen, die du trägst, kannst du ja schlecht die ganze Zeit herumlaufen.« erklärte ich, während ich uns einen Weg durch die Menschenmassen bahnte. Vor einem Laden, der Meinung nach noch am ehesten Kaito’s Ansprüchen genügen würde, blieb ich stehen und deutete auffordernd hinein. Der Junge sah mich schon wieder völlig verwirrt an, als wäre ich geistig nicht ganz auf der Höhe. »Ich habe keine Geld, Alan.« Sein Blick schweifte über die Auslagen. Ich konnte sehen, dass ihm einiges gefiel, doch er beherrschte sich und schluckte hart, als er die Preise studierte. »Das kann ich mir nicht leisten.« Er war schon drauf und dran, kehrt zu machen, um davon zu laufen. Ich erwischte gerade noch seine Hand und zog ihn wieder zu mir. In diesem Moment wurde Kaito unsanft angerempelt, da sich eine junge Frau ihren Weg durch die Leute bahnte und somit stolperte der Junge mir förmlich in die Arme. Ich umfing ihn sofort schützend und konnte mich einfach nicht beherrschen, die Hände sanft über seinen Rücken streifen zu lassen. Fast im Stillen dankte ich der Frau für ihre rücksichtslose Art, denn nun war Kaito genau da, wo er meiner Meinung nach hingehörte. In meine Arme. »Ich habe nicht gesagt, dass du die Sachen bezahlen musst.« wisperte ich nah am Gesicht des jungen Japaners, während meine Finger noch immer getrieben von ihrem eigenen Willen über Kaito’s Rücken streichelten. Dieser sah mit großen Augen zu mir auf, das Funkeln darin konnte ich nicht deuten. Doch das er sich an mich drückte und seine Hände in mein Hemd krallte, das war ziemlich real und mehr als eindeutig. Für dich eindeutig, Alan. Du bildest dir wieder zu viel ein. Mir wurde schlagartig recht warm, denn die Bilder von unserer gemeinsamen Nacht schoben sich sofort wieder vor meine Augen und ich drückte Kaito noch mehr an mich, genoss das leichte Prickeln, was die Nähe seines schlanken Körpers bei mir auslöste. Alan, du stehst hier, in einem belebten Einkaufszentrum, tausende Menschen um dich, die euch beobachten könnten und denkst an Sex?! Nun, ja. Das war wohl so. Der Gedanke, dass uns jemand sehen könnte, der mich vielleicht kannte oder das wir schief angeschaut werden könnten, kam mir überhaupt nicht. »Ich kann nicht erwarten, dass du das für mich bezahlst, Alan. Das…das geht nicht.« flüsterte Kaito ebenso leise. Er senkte den Blick, doch die Nähe zwischen uns blieb bestehen. »Ob das geht oder nicht, das solltest du mir schon überlassen, hm? Ich will es so.« erwiderte ich und schaffte es, Kaito mit größter Kraftanstrengung aus meinen Armen zu lassen und seine Hand zu ergreifen, um ihn mit in den Laden zu ziehen. »Ich glaube, du hast immer noch nicht verstanden, was ich dir gesagt habe.« murmelte ich, während ich Kaito durch die Kleiderständer schob. »Ich habe das schon verstanden, Alan. Aber es geht nicht, dass du mir Sachen kaufst. Deine Familie würde das sicher nicht gutheißen-« Dieser Junge machte mich verrückt. Ich musste ihn davon überzeugen, dass ich es mehr als ernst meinte. Wieder zog ich ihn an der Hand zu mir und schnappte sein Kinn, um seinen Blick zu mir zu zwingen. »Jetzt lass meine Familie einfach aus dem Spiel. Das Einzige, was jetzt zählt und was für mich wichtig ist, bist du, Kaito. Meinst du, ich spreche Schwüre so leichtfertig aus? Meinst du, ich hab gelogen, als ich sagte, dass du mir wichtig bist?« »Nein, aber-« Oh, ich hatte genug von diesem Aber. Bevor Kaito noch weitere Gründe hervorbringen konnte, warum ich das Falsche tat, beugte ich mich ruckartig vor und presste meine Lippen auf die des Jungen. Ich bedachte nicht wirklich, was ich tat, doch es war mir ein schmerzliches Bedürfnis, Kaito wieder zu spüren, um ihn vielleicht so die Aufrichtigkeit meiner Worte näher zu bringen. Mir waren die seltsamen Blicke der Leute im Laden egal. Mir war in diesem Moment alles egal. Außer Kaito. Dieser Kuss war nicht leidenschaftlich und süß, wie die Letzten, die wir in jener Nacht getauscht hatten. Es war mehr ein hartes, fast schmerzliches Aufeinanderpressen unserer Münder; in diesem Moment war meine Verzweiflung recht deutlich zu spüren. Es war, als müsste ich mich der Nähe dieses Jungen versichern und ihm so mitteilen, dass ich wirklich da war. Kaito keuchte völlig überrascht auf und weitete die Augen, versuchte mich erst von sich zu schieben, um schlussendlich die Finger nur in mein Hemd zu graben, um mich wieder näher zu ziehen. Er öffnete seine Lippen bereitwillig, schon spürte ich wieder seine süße Zunge, die tastend über meine Lippen fuhr und in meinen Mund wollte. Wenn ich das zugelassen hätte, wenn ich diesen Kuss in jenem Moment wieder so intensiviert hätte…ich wusste nicht, ob ich mich dann soweit hätte beherrschen können, um Kaito nicht gleich hier auf dem Boden des Ladens meinen Stempel aufzudrücken. Ich wollte ihn. Ich hatte versucht, es zu unterdrücken. Ich hatte versucht, es zu vergessen. Doch alles einreden, dass dies das Falsche war, das Kaito ein Mann und das ich nicht schwul war, hatte rein gar nichts gebracht. Mein Körper und meine Seele wussten ganz genau, was sie wollten. Ich unterbrach den Kuss schwer atmend und schob Kaito an den Schultern etwas von mir, um meine Beherrschung wieder zu finden. Er sah ebenso atemlos zu mir auf, völlige Verblüffung im Blick neben dem Glitzern des Begehrens in seinen dunklen Augen. »Such dir jetzt bitte einfach ein paar Sachen aus, okay?« brachte ich rau hervor, während ich an einem der Kleiderständer Halt suchte. Kaito musste meinen inneren Aufruhr nun sehr deutlich gespürt haben, denn er nickte schweigend. Dann verschwand er zwischen den Gängen des Ladens. Ich lehnte mich an den Kleiderständer hinter mir und schloss die Augen. Hatte ich wirklich geglaubt, die Beziehung mit diesem Jungen auf einer freundschaftlichen Ebene halten zu können? Hatte ich geglaubt, mich beherrschen zu können? Fast wäre ich in verzweifeltes Lachen ausgebrochen. Alan, was bist du nur für ein dämlicher Idiot. Du wirst nie mehr von diesem Jungen loskommen. Du befindest dich schon in einem Strudel, der dich unaufhörlich nach unten in eine ungewisse Zukunft zieht. Und du kannst ihm nicht entkommen. Kapitel 17: Der Fall -------------------- Kaito fügte sich in den nächsten Stunden in sein Schicksal. Er widersprach nicht mehr, was ich irgendwo tief in meinem Innerstem schon bereute, da ich seine Lippen liebend gern noch einmal mit meinen versiegelt hätte. Musste ich mir selbst immer einen Vorwand geben, um dem Jungen ohne Reue nah sein zu können? Wahrscheinlich. Ich kaufte Kaito Sachen für eine Menge Geld. Für mich war es nichts besonderes, für ihn musste es ein halbes Vermögen sein, was ich da ausgab. Seine Augen weiteten sich ab und an verdächtig, wenn ich an der Kasse bezahlte, doch jeden leisen Protest seinerseits erstickte ich mit einem mahnenden Blick. Wenn er es eben nicht freiwillig wollte, so musste ich ihn wohl zu seinem Glück zwingen. Und ich war fest entschlossen, ihn glücklich zu machen. Das Leben, was er bisher gelebt hatte, war diesem Jungen nicht würdig. Er verdiente etwas Besseres. Etwas viel besseres. Und du meinst, du bist besser für diesen Jungen, Alan? Pass auf, dass du ihn nicht in einen Käfig sperrst. Irgendwann, nachdem wir viele Läden durchstöbert hatten und beide vollgepackt mit Beuteln durch das Einkaufszentrum stolperten, erhob Kaito doch wieder die Stimme. »Das reicht jetzt aber wirklich, Alan. Bitte. Ich…würde lieber etwas essen.« murmelte er leise und sah zur Seite. Ich wand mich beschämt zu dem jungen Japaner um. Ich hatte in meinem Wahn nicht einmal bemerkt, dass er Hunger hatte. »Okay. Gehen wir etwas essen. Worauf hast du Hunger?« Kaito sah sich suchend um und deutete dann einfach auf eine Sushi-Bar. Ich hatte noch nie Sushi gegessen, aber irgendwann war ja immer das erste Mal. Hm, du hast ziemlich viele ~erste Male~ in letzter Zeit, findest du nicht, Alan? Der erste Kuss mit einem Mann, der erste Sex mit einem Mann… Ach verflucht, halt die Klappe, dämliches Gewissen. »Gut. Okay. Dann dorthin.« Ich bahnte uns einen Weg zu dem gewünschten Restaurant und suchte uns dort einen Platz am Fenster, sodass wir auf die winterliche Stadt hinausschauen konnten. Es war Anfang Dezember und mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich Kaito schon fast ein halbes Jahr kannte. Der rasche Verlauf der Zeit war mir gar nicht bewusst gewesen. Irgendwo in meinem Hinterkopf meldete sich wieder ein kleines, böses Stimmchen und erinnerte mich daran, dass ich noch nicht einmal Weihnachtsgeschenke für meine Kinder hatte. Das traf mich nun doch und ich betrachtete die vielen Beutel, in denen Sachen für Kaito steckten. Himmel, was war nur mit mir los? Hatte ich meine Familie wirklich vergessen? Ich hatte Lisa nicht einmal angerufen, um zu fragen, ob sie gut angekommen waren. Zögerlich ergriff ich die Speisekarte und blätterte unschlüssig darin. Ich konnte mit den Begriffen nicht wirklich viel anfangen. Kaito entzog die Karte schmunzelnd meinen Fingern. »Ich bestelle uns etwas.« Ich nickte erleichtert. »Gut. Ich habe eh keine Ahnung, was das alles ist. Ich hab noch nie Sushi gegessen.« Kaito lächelte flüchtig sein süßes, zauberhaftes Lächeln, was so selten seine Lippen zierte und streckte die Hand aus, um diese auf meine zu legen. »Es wird dir schmecken. Vertrau mir.« Alan, der Junge könnte dir doch auch Gift auftischen, du würdest es trotzdem essen, nicht? »Das tue ich.« sprach ich ernst und sah ein wenig verblüfft auf Kaito’s Finger, die so selbstständig die meinen gesucht hatten. Er folgte meinem Blick, sah einen Moment völlig reumütig aus und zog seine Hand rasch wieder zurück. Dann erhob er sich. »Ich bin schnell auf Toilette und bestell uns gleich etwas.« Damit war er schon weg. Ich vergrub das Gesicht kurz in den Händen und holte mehrmals tief Luft. Dann kramte ich mein Handy heraus und tätigte einen längst überfälligen Anruf. »Ja?« »Lisa. Ich bin es. Alan.« »Oh, das der Herr sich auch noch meldet. Welch Wunder.« Der beißende Sarkasmus traf mich stechend in der Brustgegend. »Tut mir leid. Hier ist einiges passiert. Ich…hab die Nacht im Krankenhaus verbracht.« sprach ich wahrheitsgemäß. Lisa war sofort gewandelt, ihre Stimme voller Sorge. »Was ist passiert, Alan?« »Mir nichts. Mach dir keine Sorgen. Ein Freund aus dem Tierheim wurde eingeliefert.« Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Kaito langsam an den Tisch zurückkam. Doch ich konnte das Gespräch nun unmöglich einfach abbrechen. »Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert.« tönte die erleichterte Stimme meiner Frau aus dem Hörer. »Nein, alles in Ordnung. Seid ihr gut angekommen?« Kaito nahm mir gegenüber wieder Platz, sah mich kurz an, dann wand sich sein Blick aus dem Fenster. Er nippte flüchtig an seinem Wasser, seine Züge waren wieder verhärtet wie eh und je. »Ja. Wir hatten ein paar mal kürzere Staus durch den plötzlichen Schnee, aber sonst ist alles gut. Die Kinder vermissen dich, Alan…« fügte Lisa leise an. Ich holte tief Luft und schloss kurz die Augen. »Ich weiß. Sag ihnen liebe Grüße und…sag ihnen, dass es mir leid tut, okay?« Ich hatte die Stirn nun in die Hand gestützt und sah auf die dunkle Tischplatte. »Werde ich. Alan…?« »Hm?« »Ich liebe dich.« Ich hatte gewusst, dass diese Worte kommen mussten und doch ließen sie mich einen Moment erstarren. Was sollte ich antworten? Vor einiger Zeit wäre mir die Erwiderung auf diese Worte nicht schwer gefallen. Was willst du jetzt sagen, Alan? Wen wirst du jetzt verletzen, Kaito oder Lisa? Flüchtig blickte ich wieder auf. Der junge Japaner sah noch immer aus dem Fenster. Mir fiel auf, dass er die Lippen aufeinander gepresst hatte und das Glas in seiner Hand so fest umklammerte, dass seine zarten Knöchel weiß hervortraten. »Ich weiß.« erwiderte ich nur lahm. Ich konnte meiner Frau nicht mehr sagen, dass ich sie liebte, weil ich mir nicht mehr sicher war, dass dies der Wahrheit entsprach. »Ich muss Schluss machen. Ich ruf dich wieder an. Bis dann.« Ich klappte das Handy zu und schob es rasch über den Tisch von mir. »Tut mir leid…« murmelte ich und griff nach meinem Glas Wasser, um hastig ein paar Schlucke hinunterzukippen. Kaito nickte leicht und wand sich wieder zu mir um. »Deine Frau?« fragte er schlicht. Er wusste seid Anfang an, dass ich verheiratet war und zwei Kinder hatte. Er hatte einst das Bild meiner Familie in der Kanzlei gesehen. Meist war meine Familie nur flüchtig in unseren Gesprächen aufgetaucht, ebenso wie seine. Beides waren Themen, die wir stets gemieden hatten. »Ja. Sie ist mit den Kindern weggefahren. Eigentlich war der Urlaub für uns alle geplant.« Unser Essen wurde gebracht, hungrig und schweigend machten wir uns darüber her. Ich hatte einige Mühe, mit den dünnen Holzstäbchen zu essen und nicht selten fielen mir die kunstvoll gerollten Fisch- und Reisteilchen in die Sojasoße oder einfach zurück auf den Teller. Kaito entlockte das ab und an ein wahrlich erheitertes Lachen. Ich war froh, dass er sein Lachen wiedergefunden hatte. Sein Gesicht war größtenteils glücklicherweise diesmal von den Schlägen verschont geblieben. Und der Rest würde auch verheilen. Kaito war ein Kämpfer von starker, unnachgiebiger Natur. Nachdem ich sicher fast eine Viertelstunde damit zugebracht hatte, vergeblich zu versuchen, die Fischröllchen mit den Stäbchen zu essen, hielt mir Kaito normales Besteck hin. »Du kannst auch damit essen.« Ich schob das Besteck entschlossen von mir. »Nein, ich lass mich doch nicht von diesen dummen Holzstäbchen in die Knie zwingen.« Kaito lachte, rutschte seinen Teller nun über den Tisch und nahm kurzentschlossen neben mir Platz. »Dann lass es mich dir wenigstens zeigen.« Bevor ich mich versah, hatte er meine Hand ergriffen und legte die Essstäbchen in die richtigen Positionen. »Siehst du, so geht es. Benutze sie wie eine Zange.« erklang die samtige Stimmte nah neben meinem Ohr. Kaito hielt meine Hand und ich schaffte es nun, mit seiner Hilfe doch eines dieser kunstvollen Röllchen in meinen Mund zu bekommen. Konzentriert kaute ich, um dann feststellen zu müssen, dass dieses Zeug verdammt lecker war. Kaito beobachtete jede Regung meines Gesichtes genau und prüfend. »Und?« »Das ist echt gut. Hätte nicht gedacht, dass das so gut schmeckt.« Der Junge strahlte fast wie ein Sonnenkönig, ließ seinen Blick über seinen Teller wandern und schnappte sich ein anderes Stückchen, welches er mir nun vor den Mund hielt. »Probier das mal.« Ich sah verwirrt auf das Stück Fisch vor meinen Lippen, dann zu Kaito. Wollte er mich wirklich füttern? Mein Herz hämmerte sofort schneller und auch der junge Japaner errötete, als er erkannte, was er da gerade anfing zu tun. »Verzeih-« Schon wollte er seine Hand zurückziehen, doch ich hielt sein Handgelenk entschlossen fest und führte die Stäbchen zu meinem Mund, um die Lippen langsam um das Stück Fisch zu schließen. Kaito ließ ich nebenher nicht aus den Augen. Der Blick des Jungen hing gebannt an mir, vor allem an meinen Lippen. Mir gefiel dieser Blick sehr, vor allem als wieder ein Funken Begehren in den dunklen Augen aufblitzte. In diesem Moment war wieder eine heiße, angespannte Stimmung zwischen uns, angefüllt mit Leidenschaft. Wir sahen uns an und dachten beide dasselbe. Nur mit dem Unterschied, dass er diese Gedanken haben durfte, ich allerdings nicht. Was dich natürlich nicht daran hindert, sie zu haben, nicht wahr, Alan? Ich entließ Kaito’s Handgelenk langsam meinem Griff, doch nicht ohne die Finger liebkosend über die zarte Haut gleiten zu lassen. Die Gänsehaut des Jungen war Antwort genug. »Lecker.« raunte ich. Dass mein Blick in diesem Moment starr auf dem jungen Japaner hing, ließ die Bedeutung meines Wortes ziemlich offen oder das, was ich damit gemeint hatte. Kaito wurde wieder rot; eine Farbe, die besonderen Reiz auf sein hübsches Gesicht brachte und wand sich nun rasch wieder seinem eigenem Teller zu. Schweigend brachten wir den Rest des Essens hinter uns. Ich verfluchte mich im Stillen abermals, dass ich das getan hatte. Dass ich den Jungen gereizt, ihm vielleicht Hoffnungen gemacht hatte. Ich sollte das nicht tun. Das Problem war immer noch, dass ich es wollte. Dass ich ihn wollte, mehr als alles andere. Das Gespräch mit meiner Frau schien schon wieder so fern, dass es auch vor Wochen hätte gewesen sein können und nicht vor einer Stunde. Ich schwankte wahrlich bedrohlich, um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Dass ich es nicht schaffen würde, war mir längst klar. Doch den Zeitpunkt meines Falles würde ich noch hinauszögern. Irgendwann saßen wir wieder im Auto und ich lenkte den Wagen zielsicher durch die leichten Schneeflocken, die erneut zur Erde segelten. Dieses Jahr war der Winter wohl ganz versessen darauf, seine Macht frühzeitig zu demonstrieren. Kaito war noch nie bei mir zuhause gewesen. Aus gutem Grund. Denn ihn meiner Familie vorzustellen, hieß ihn real und greifbar zu machen. Dann wäre er nicht mehr nur mein süßes Geheimnis, sondern ein ernsthafter und gefährlicher Teil in meinem Leben. Lächerlich, Alan. Als ob er das nicht jetzt schon wäre. Ich schloss die Tür auf und deutete einladend nach drinnen. Kaito blieb eine ganze Weile unschlüssig vor der Tür stehen und machte erneut den Eindruck, als wollte er gleich fluchtartig verschwinden. »Alan…« begann er zögerlich. »Nun komm schon. Es ist ja keiner da. Oder willst du hier draußen erfrieren?« Ich ging nun einfach vorweg, machte überall Licht und ließ die vielen Beutel erleichtert seufzend auf die Couch im Wohnzimmer fallen. Das Schließen der Haustür und die vorsichtigen Schritte sagten mir, dass Kaito sich nun doch auch herein gewagt hatte. Er blickte langsam um die Ecke ins Wohnzimmer, ehe er dann ganz hereinkam und sich mit großen Augen sichtlich beeindruckt umsah. Mein Haus war keine Prunkbude. Es war ein normales Mittelklassehaus, so hätte ich es zumindest bezeichnet. Doch für Kaito musste das hier schon fast an Luxus grenzen. Kein Wunder bei seinem Leben bisher. Ich schmunzelte kurz, trat zu dem völlig erstarrten Jungen und öffnete seine neue Jacke, um sie ihm langsam von den Schultern zu streifen. »Fühl dich ganz wie zuhause, Kaito.« Der junge Japaner sah zu mir auf und ich konnte spüren, wie er unter meinen leichten, diesmal wahrlich ungewollten, Berührungen erschauderte. Okay, Alan, nun bleib mal hart. Werde bloß nicht weich. Du hast ihn nicht mit hierher genommen, um ihm gleich all seiner neuen Klamotten auf dem Wohnzimmerboden zu entledigen. Mein Blick glitt nur kurz über seine neuen Sachen, die er für sich ausgewählt hatte. Alles war wieder verdammt figurbetont und knapp. Und doch stand es ihm ausgezeichnet. Er musste sich ja auch nicht verstecken. Recht deutlich schoss die Erinnerung in mein Hirn, wie er nackt aussah, was heftig an der Fassade der Ruhe rüttelte. Ich warf seine Jacke rasch zu den vielen Beuteln auf der Couch und machte mich fast fluchtartig Richtung Küche auf. »Willst du noch etwas essen? Trinken?« Kaito sah sich nun ein wenig mutiger im Wohnzimmer um und linste gerade in den Kamin. »Tee wäre toll.« Okay. Er will Tee. Dann bekommt er Tee. Ich klapperte geräuschvoll in der Küche und lenkte mich mit banalen Tätigkeiten wie Wasserkochen davon ab, dass Kaito nun wahrhaftig hier war. Hier, in meiner Nähe. In meinen eigenen vier Wänden. Alan, hast du ihn nicht sowieso schon die ganze Zeit hier haben wollen? Dass der junge Japaner nun noch plötzlich unvermittelt neben mir stand und sich an den Küchenschrank lehnte, um mich zu beobachten, machte alles noch schlimmer. Fast wäre mir die Tasse aus der Hand gefallen. »Ich hoffe, du wirst dich hier ein wenig wohl fühlen. Ruhe wirst du hier auf jeden Fall bekommen. Wenn du willst, kannst du nachher ein Bad nehmen. « Ich schob ihm die Tasse Tee hin und schenkte mir selbst noch eine ein. Kaito nickte leicht. »Ein Bad wäre wirklich toll. Ich bin ziemlich erschöpft.« Er nippte an seiner Tasse und fixierte mich über den Rand hinweg. »Warum bist du nicht mitgefahren, Alan?« Ich wusste sofort, dass er auf die Reise mit meiner Familie anspielte. Für einen Moment betrachtete ich unschlüssig mein Spiegelbild in meiner Tasse. Was sollte ich ihm sagen? Wie wäre es endlich mal mit der Wahrheit, Alan? Ewig kannst du dieses Spielchen eh nicht weiterspielen. Ich sah Kaito nun direkt an. »Ich hatte einfach das Gefühl, dass es falsch wäre. Ich machte mir Sorgen um dich. Du…bist eine ganze Weile nicht aufgetaucht. Du hast nicht auf meine Anrufe gehört. Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert ist. Ich musste dich einfach finden.« Kaito drehte die Tasse zwischen seinen Händen und hatte den Blick darauf gesenkt. Noch immer lehnte er am Küchenschrank, die Beine leicht verschränkt. »Wie gesagt, ich hatte nicht das Gefühl, dass du mich noch sehen wolltest. Darum hielt ich mich fern. Du warst an jenem Morgen einfach verschwunden, ohne eine Nachricht, ohne Worte. Was sollte ich denn denken?« fragte Kaito leise und sah nun von seiner Tasse auf und direkt zu mir. »Ich bin nicht blöd, Alan. Ich weiß, dass du eine Familie hast. Dass diese Sache zwischen uns wohl nie hätte passieren dürfen. Es tut mir leid. Ich habe dich dadurch in Schwierigkeiten gebracht…« Der Junge stockte in seinen Worten und ich konnte die Tasse leicht in seinen Händen zittern sehen. »Kaito…« »Nein, Alan. Ich weiß, dass es falsch von mir war. Es war rücksichtlos und egoistisch, deine Schwäche in jener Nacht auszunutzen. Wir waren beide betrunken. Das hätte nie passieren dürfen. Ich verstand, dass du sauer auf mich warst und gegangen bist.« Ich schüttelte heftig den Kopf, stellte meinen Tee geräuschvoll ab und trat vor Kaito. Vorsichtig entwand ich seinen Fingern die Tasse, um auch jene achtlos beiseite zu stellen. Dann hob ich eine Hand und strich sanft über die Wange des Jungen, um schlussendlich sein Kinn mit den Fingern einzufangen. Die dunklen, gefühlvollen Augen sahen überrascht, aber auch hoffnungsvoll zu mir auf. Ich blickte versonnen auf den Jungen hinab und ließ meinen Daumen sachte über seine weichen Lippen wandern, die sich sofort ein wenig öffneten. Oh, verflucht, warum war dieser Junge nur so sinnlich? So unwiderstehlich? »Kaito, meinst du wirklich, ich war sauer auf dich? Meinst du wirklich, ich hätte das in jener Nacht nicht auch gewollt…?« wisperte ich leise. Der warme Atem des Jungen strich ein wenig rascher über meinen Daumen, der noch immer zart die Linie von Kaito’s Lippen nachfuhr. »Du…du bist verheiratet. Du hast Kinder. Du bist nicht schwul, Alan. Mehr als einen Ausrutscher konntest du darin doch gar nicht sehen. Du wirst nie Gefühle für mich entwickeln, wie ich sie-« Er brach ab und biss sich auf die Unterlippe. »Sprich weiter, Kaito.« bat ich fast flehend, während ich mich zielsicher tiefer beugte und den jungen Japaner zwischen mir und dem Schrank förmlich einschloss. Er konnte nicht fliehen. Unsere Lippen berührten sich nun fast, mein Herz schlug einen wahren Trommelwirbel, während ich begierig auf die weiteren Worte des Jungen wartete. »Gefühle, wie ich sie mir vielleicht wünsche…« vervollständigte Kaito den Satz leise, die Stimme nicht mehr als ein warmer Hauch auf meinen Lippen. Er sah beschämt zur Seite und ich konnte an seinem angespannten Körper spüren, dass er am liebsten weg wollte. Doch mein Körper, der ihn gegen den Schrank presste, hinderte ihn an der Flucht. »Alan, lass mich gehen. Bitte.« »Warum?« fragte ich atemlos. »Ich will nicht nur ein Ausrutscher deinerseits sein…« Meine Hand wanderte in den Nacken des Jungen, der andere Arm schlang sich um seine Hüfte. »Du bist viel mehr als das, Kaito. Du bist so viel mehr für mich.« Ich beugte mich nun vor, überwand die letzten Zentimeter zwischen unseren Lippen und legte meine zärtlich auf die des Jungen. Kaito entspannte sich schlagartig in meinen Armen, bog sich mir willig entgegen und öffnete die Lippen für mich. Unsere Zungen trafen sich wieder und es war wie eine kleine Explosion, die meinen Körper erschütterte. Der Kuss war langsam, quälend langsam und innig. Ich ließ mir Zeit, jede Faser und jedes Stück von Kaito’s Lippen auszukosten und zu liebkosen, seine Zunge und seinen süßen Mund zu erforschen. Es war schwer, sich in Zurückhaltung zu üben, vor allem, nachdem ich so lang auf diesen Moment gewartet hatte, dass sich unsere Lippen endlich wieder vereinen würden. Dass sie sich auf diese hingebungsvolle Art und Weise wieder treffen würden. Ich hatte Angst gehabt. Angst, dass ich jetzt, in diesem nüchternen Zustand vielleicht Abscheu empfinden könnte. Oder weniger Lust, da es ein Mann war, denn ich da so hingebungsvoll küsste. Doch alle Ängste waren verschwunden. Kaito zu küssen, ihn diesmal bewusst mit allen Sinnen schmecken zu können, war ein wahres Feuerwerk von Eindrücken. Seine Lippen waren noch weicher als die einer Frau, so schien es mir und er küsste wunderbar. Geschickt, leidenschaftlich und sinnlich; auf eine Weise, die mir den Atem raubte. Unsere Lippen schienen wie füreinander gemacht. Ich konnte gar nicht genug bekommen, konnte nicht aufhören, meine Zunge in Kaito’s Mund zu schieben und seine Zunge zu umwinden und zu ertasten. Alles war so neu und doch so vertraut. Ich hätte ewig hier so stehen können, die Zeit schien plötzlich unwichtig. Meine Hand strich sanft über Kaito´s Nacken, die andere hielt ihn fest an mich gepresst und gab ihm den nötigen Halt, den er offensichtlich suchte, als sich seine Arme um meinen Hals schlangen. Da war er dann. Der Moment, in dem ich fiel. Rückhaltlos und ohne Hoffnung auf Rettung. Und ich genoss ihn in vollen Zügen. Kapitel 18: Eine heiße Dusche ----------------------------- Wenn mir jemand noch vor ein paar Monaten erzählt hätte, dass Küsse einer Droge gleichen konnten, dann hätte ich diesen sicher nur müde belächelt. Jemanden zu küssen war reizvoll, doch sicher nicht so magisch, dass man sich darin verlieren könnte. Nun wurde ich eines Besseren belehrt. Kaito belehrte mich dessen. Himmel, ich konnte nicht mehr von den Lippen dieses Jungen lassen. Ab und an unterbrachen wir die Vereinigung unserer Lippen, jedoch nur um keuchend Luft zu holen, bevor wir uns wieder wie Ertrinkende aneinanderklammerten und den Mund des anderen in Besitz nahmen. Ich wusste wahrlich nicht mehr, wie lang wir so in der Küche standen, völlig versunken in unsere Nähe. Allein unser rascher Atem und die sinnlichen, feuchten Geräusche unserer Münder, die sich begehrlich vereinten, waren zu hören. Ich hatte mich noch nie so einem Kuss hingegeben, hatte noch nie diese Magie gespürt, die einen immer nach mehr fordern ließ und rasch die Lust und das Verlangen steigerte. Ich war allein durch den Kuss mit Kaito so erregt, wie es sonst nur direkte Berührungen vermochten. Mein Herz raste in schnellen Schlägen, meine Hände waren feucht und mein Körper zitterte. Ich wollte mehr. Immer mehr. Kaito´s Lippen waren eine Offenbarung, der Kuss mit ihm so einzigartig und mitreißend, wie ich es noch nie erlebt hatte. Was war ich doch nur für ein Idiot gewesen, in einem Kuss nur eine nötige Aufgabe zu sehen, die schlussendlich zum Ziel führen würde. Zur körperlichen Vereinigung. Diesen Jungen zu küssen, seine Lippen in Besitz zu nehmen und seine Zunge zu spüren, die ebenso geschickt die meine umschlang, das war fast so intensiv wie Sex. Verflucht, wie würde es dann erst sein, ihn richtig zu spüren? Ihn ganz zu nehmen? Diese Nacht, die wir im Nebel des Alkoholes geteilt hatten, erschien mir nun mehr nur wie ein blasser Vorgeschmack auf alles, was da noch sein könnte. Nur, darf das überhaupt sein, Alan? Meine Hände hatten sich inzwischen selbstständig gemacht, fuhren Kaito’s Rücken hinab, bis sie diesen gefährlichen Punkt oberhalb seines verführerischen Hinterns erreichten. Alan, komm zu dir. Du bist bei dir zuhause. In deiner Küche. Lisa kocht hier. Colin spielt hier. Das ist nicht richtig, was du tust. Das Bild meiner Familie blitzte hell und erschreckend ernüchtern in meinen Gedanken auf und ich löste mich krampfhaft und mehr als widerwillig von Kaito. Die Lippen des Jungen waren gerötet von unseren wilden Küssen, seine Wangen trugen ebenso zarte Röte und seine Augen waren verklärt. Er zitterte genau wie ich und umarmte mich noch immer. Hatte ich ihn überrumpelt? Hatte er das vielleicht gar nicht so gewollt? »Kaito. Tut mir leid…« brachte ich heiser hervor und versuchte ein Stück von dem Jungen abzurücken. Mein Oberschenkel streifte seinen Schritt und die harte Wärme, die ich da spürte, machte mir doch deutlich, dass er es sehr wohl gewollt und auch genossen hatte. Ich widerstand mit allergrößter Anstrengung dem Verlangen, mein Bein an seiner Mitte zu reiben, um noch mehr Röte in seinem Gesicht zu sehen. Ich selbst war hart und völlig scharf auf diesen Jungen. Das er ein Mann war, kühlte mein Verlangen in keinster Weise ab. Doch es war falsch, ihn zu wollen. Vieles war so falsch. Ich durfte diesen Jungen nicht nur für mein Begehren missbrauchen. Er hatte Gefühle für mich, dass war mehr als offensichtlich. Ich wäre wirklich der letzte Arsch auf diesem Planeten, wenn ich seine Gefühle ausnutzen würde, um mein Verlangen und meine Gier nach diesem jungen Japaner zu lindern. Vielleicht auch um meine Neugier zu stillen. Ich konnte nicht leugnen, dass ich neugierig war. Begierig, herauszufinden, wie die Liebe mit einem Mann funktionierte. Wie die körperliche Nähe zwischen zwei Männern wohl war? Ob es besser war, als mit einer Frau? Anders bestimmt. Doch ich wollte Kaito nicht nur benutzen, um das herauszufinden und schlussendlich vielleicht zu entscheiden, dass dies alles nichts für mich war. Dass diese Gefühle, die ich vielleicht für den Jungen hatte, nur heiße Luft waren. Das konnte ich ihm nicht antun. Ich musste mir zuerst klar werden, wirklich klar darüber werden, was ich für Kaito empfand. Er wollte kein Ausrutscher sein. Kein Spielzeug. Und dazu wollte ich ihn auch nicht machen. Das hatte er nicht verdient. Diese ganze Situation war so vertrackt und kompliziert. Es waren ja nicht nur meine unsicheren Gefühle, die mich zurückhielten. Auch meine Familie konnte ich nicht einfach vergessen, um mich vorbehaltslos Kaito zu öffnen. Wo war ich da nur hineingeraten? Alan, das hast du dir alles ganz allein zuzuschreiben. Du hast diesen Weg gewählt. Ich hielt Kaito an den Schultern fest und rückte selbst ein wenig von dem Jungen ab. »Tut mir wirklich leid…« Der Junge schüttelte den Kopf, seine Arme glitten von meinem Nacken. »Schon gut…« »Kaito. Ich mag dich. Ich mag dich sehr…ich…« Ich biss mir selbst auf die Unterlippe und seufzte, hielt ihn noch immer auf Abstand, doch eher für mich, da ich mir selbst nicht traute. »….es ist nur alles recht kompliziert…ich muss über vieles nachdenken…« »Ich weiß, Alan.« Kaito nickte und griff nach seiner Teetasse, um diese in einem Schluck zu leeren. Dann schob er sich an mir vorbei, wirkte beherrscht und verschlossen wie eh und je. «Ich sollte jetzt vielleicht gehen. Ich habe deine Gastfreundschaft schon zu lange in Anspruch genommen.« Von der Leidenschaft, die wir eben noch geteilt hatten, war nicht mehr viel zu spüren. Er hatte wieder jene Maske aufgesetzt, die ihn vor Leid und Enttäuschung schützte. Vorhin war mir ein seltener Blick dahinter gewährt wurden. Meine Unsicherheit machte es noch schlimmer für den Jungen. Ich stand ein paar Augenblicke regungslos in der Küche und starrte auf die leere Tasse von Kaito, während ich ihn im Wohnzimmer hörte, wie er seine Jacke überzog. Was jetzt, Alan? Willst du ihn wirklich gehen lassen? Weißt du, ich glaube, noch einmal wird er nicht zurückkommen. Ich lief rasch los, erwischte Kaito gerade noch an der Haustür, die er schon geöffnet hatte, um in den nun dichteren Schnee hinauszutreten. Ich packte ihn einfach, zog ihn an mich und schmiss die Tür mit einem Knall wieder zu. Dann hob ich den völlig verblüfften Jungen auf meine Arme, um mit ihm die Stufen zum ersten Stock zu erklimmen. »Bleib bei mir Kaito. Ich hab dir versprochen, mich um dich zu kümmern. Das werde ich tun.« Der Junge sah mich mit nicht zu deutendem Blick an; immer wieder huschten Freude, Hoffnung, aber auch Schmerz über seine blassen Züge. Ich ließ ihn wieder runter auf seine eigenen Beine, als wir oben angekommen waren und öffnete die Tür zum Badezimmer. »Ich werde dich auch nicht mehr anrühren, wenn du es nicht willst. Das verspreche ich dir.« Ich lächelte beruhigend, strich Kaito fast väterlich über die dunklen Haare und schob ihn dann ins Bad. »Komm.« Dieses Versprechen, ihn nicht mehr anzurühren, würde schwer einzuhalten sein. Das wusste ich. Doch ich wollte es uns beiden nicht noch schwerer machen, als es ohnehin war. Kaito litt. Das war offensichtlich. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, in welcher Lage er steckte. Etwas für jemanden zu empfinden, den man wohl eh nie haben konnte, musste furchtbar sein. Er rechnete sich keine Hoffnungen aus. Und ich durfte ihm keine machen, bis ich mir nicht sicher war, wie es weitergehen sollte. Was ich wollte. Alan, du wirst dich irgendwann entscheiden müssen. Das ist so sicher wie der Verlauf der Zeit. Das Badezimmer war warm und hell, draußen vor dem Fenster schwebten dichte Schneeflocken vorbei. »Du solltest wirklich ein Bad nehmen und dann ein wenig schlafen. Der Tag war anstrengend.« Ich ließ Wasser in die Wanne und kramte Handtücher heraus, die ich auf dem Wannenrand bereitlegte. Das Rascheln der Kleidung verriet mir, dass Kaito diesen Vorschlag wohl guthieß. Er war wieder in Schweigen verfallen, was mir das Herz schwer machte. Ich hasste es, wenn er schwieg. Wenn ich keinen wirklichen Anhaltspunkt darauf hatte, wie es ihm ging und was er dachte. Ich widerstand dem Drang, mich umzuwenden, beschäftigte mich lieber damit, die Wassertemperatur zu überprüfen und Badezusatz in die Wanne zu füllen, sodass sich ein ordentlicher Berg Schaum bildete. »Ich hoffe, das Wasser ist dir so angenehm-« Ich hatte mich nun doch umgewandt und Kaito stand nackt vor mir. Sofort bildete sich ein harter Kloß in meiner Kehle, der mir das Sprechen unmöglich machte. Warum tat er das? Er macht das mit Absicht, Alan. Um dich zu reizen. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick über Kaito’s nackten Körper glitt. Was ich in jener Nacht nur undeutlich wahrgenommen hatte, raubte mir jetzt in vollem Licht den Atem. Oh Gott, er war so wunderschön. Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Mann mal als wunderschön bezeichnen würde, doch auf Kaito passte einfach kein anderer Begriff. So zarte, fast zerbrechliche Glieder. Ein komplett haarloser Körper; selbst diese lüsterne Stelle zwischen seinen Beinen war glatt, musste ich jetzt mit trockener Kehle feststellen. Seine Haut war hell und weich, wie ich ja wusste, allein jetzt entstellt von den blauen Flecken, die wohl noch eine ganze Weile an sein Leid erinnern würden. Ich wollte ihn berühren. Ihn streicheln. Ihn mit sanften Berührungen die Schmerzen nehmen. Mein verräterischer Körper wollte das nicht minder, denn sofort breitete sich Wärme von meiner Lendengegend in alle Bereiche meines Körpers aus, was nicht allein nur an dem warmen Wasserdampf lag, der das Badezimmer nun erfüllt. Kaito stand einfach schweigend vor mir und schien meine Reaktionen genau zu beobachten. Ich zwang meinen Blick von dem Jungen, deutete mit einem Räuspern auf die Handtücher. »Es sollte alles da sein. Wenn etwas fehlt, ruf einfach. Ich geh nebenan duschen.« Ich musste weg. Und das schnell. Dass du nicht gut im Versprechen halten bist, wissen wir ja schon, Alan. Die Dusche war zum Glück von der Badewanne durch eine Trennwand abgeteilt. Ich hätte den Anblick des Jungen bestimmt nicht länger ertragen, ohne ehrliche Probleme zu bekommen, meinen Körper unter Kontrolle zu halten. Ich entkleidete mich schnell, auch mir steckten der Tag und die letzte Nacht in den Knochen. Ich hörte Wasser plätschern und musste mir Kaito lebhaft bildlich vorstellen, wie er in das heiße Wasser stieg, die Haut gerötet, die Lippen… Okay, Schluss damit. Schon reagierte mein Körper mit heißen Wellen und in meiner unterhose wurde es bedrohlich eng. Ich ließ die letzten Stofffetzen zu Boden fallen und stieg in die Dusche. Zuerst bestrafte ich mich selbst mit eiskaltem Wasser, um meine Erregung in die Knie zu zwingen und mir selbst einen klaren Kopf zu verschaffen. Was eigentlich noch weniger förderlich war. Denn sofort waren all diese verzehrenden Gedanken wieder da, die sich in den Abbildern meiner Familie um mich versammelten und anklagend auf mich deuteten. Mein Kopf schlug kurz fast schmerzhaft gegen die kalten Fliesen, als ich mich gegen die Wand lehnte. Ich hatte wirklich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, nicht wahr? Und warum? Weil ich etwas anderes im Leben suchte, als nur den mir vorgegebenen Weg zu gehen? Moralisch und menschlich war wohl alles falsch, was ich bisher getan hatte. Ich begehrte einen noch nicht einmal volljährigen Jungen. Vielleicht tat ich auch noch mehr, als ihn nur körperlich zu begehren. Alles hatte mich Freundschaft angefangen. Doch mit was würde es enden? Und welche Rolle würde meine Familie in Zukunft spielen? In jenem Moment wäre ich am liebsten einfach geflohen. Irgendwohin. Weg von meinen Fehlern. Weg von der Verantwortung. Weg von meinen Gefühlen, die mehr und mehr ihren eigenen Willen entwickelten. Ich stellte das Wasser nun endlich wieder auf heiß, nachdem meine Füße schon eiskalt und meine Lippen blau geworden waren. Die plötzliche Wärme war nun eine angenehme Wohltat, die meine Glieder entspannte. Ich stand mit dem Rücken zur Tür, den Kopf unter dem rauschenden Wasserstrahl und bemerkte so nicht, dass sich noch jemand in die Kabine geschlichen hatte. Ich schreckte kurz auf, als schlanke Arme sich von hinten um mich schlangen und Finger über meine Brust strichen. Kaito. Wie erstarrt blieb ich stehen, ließ ihn gewähren. Das Wasser rann mir über den Körper und perlte über Augen und Lippen, sodass ich die Lider geschlossen hielt. Diese Blindheit verstärkte die Empfindungen der tastenden Finger noch, die vorsichtig meine Brust erforschten und dann über meinen Bauch tiefer rutschten. Ich sog die Luft scharf ein, als ich einen warmen Körper an meinem Rücken spürte, der sich gegen mich presste. Ich hatte versprochen, ihn nicht zu berühren. Doch er konnte tun und lassen, was er wollte. Ich war ein Sklave unter seinen Händen. Ich stand weiter einfach nur still da, die Hände gegen die Wand der Dusche gestützt, während ich heftig mit mir und meinem Körper rang. Das Problem war, dass mein Körper schon sehr genau wusste, was er wollte. Mein Glied hatte sich bereits selbstständig gemacht, stand steif und hoch aufgerichtet von meinem Körper ab. Und Kaito’s Hände bewegten sich zielsicher darauf zu. Ich ließ mich fallen. Ließ mich ganz in die Hände dieses Jungen gleiten und überließ ihm die Führung. Ich wollte ihn glücklich machen. Wenn er das hier wollte, wäre es nicht grausam, es ihm zu verwehren? Alan, wäre es nicht auch grausam, es zuzulassen? Ich keuchte leise, als Kaito’s Hände sich gleichzeitig um meinen Hoden und meinen geschwollenen Schaft schlossen. Gespannt wie eine Bogensehne stand ich an die Wand gestemmt da, mein Körper glühte in innerem Feuer. Kaito hatte sich noch näher an mich gedrückt, ich konnte seinen Atem an meinem Rücken spüren, ab und an auch seine Lippen, die bedächtig die Spuren des Wassers nachfuhren. Seine Erregung drückte gegen meinen Oberschenkel, heiß und hart, was mir ein weiteres Keuchen entlockte. Die Finger des Jungen waren zuerst vorsichtig, als hätte er doch Bedenken, dass ich ihn gleich von mir stoßen könnte. Doch als von meiner Seite kein Widerstand kam, sondern nur erregtes Raunen, wurde sein Griff um meinen pochenden Penis fester und er begann, seine Hand an dem heißen Schaft auf und ab zubewegen. Die andere seiner schlanken Hände hielt meine Hoden umfangen und knetete und drückte diese im Rhythmus seiner Bewegungen. Ich konnte nur noch keuchend atmen, meine Hände haltsuchend gegen die Fliesen der Dusche stemmen, während verzehrende Leidenschaft meinen Körper einnahm. Ich öffnete nun doch kurz die Augen, blinzelte gegen das Wasser. Doch ich musste es sehen. Ich musste sehen, was dort geschah. Kaito´s blasse Hände rieben meinen heißen Schwanz geschickt und immer schneller, sodass dieser begierig in den Fingern des Jungen zuckte. Seine andere Hand massierte noch immer meine Hoden. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass ich dort so empfindlich war. Der Daumen des jungen Japaners fand seinen Weg zu meiner geröteten nassen Spitze und strich darüber, immer und immer wieder, was mich fast wahnsinnig machte. Mit einem heiseren Stöhnen stieß ich mich von der Wand, packte die Hände des Jungen und wand mich zu jenem um. Kaito stand völlig nass wie ich selbst vor mir, die dunklen Haare hingen ihm in das gerötete Gesicht, während seine faszinierenden Augen unter den nassen Strähnen hervor blitzten. Dass er ebenfalls erregt war, war kaum zu verbergen. Er war genauso hart wie ich, unsere Ständer berührten sich nun fast. Ich holte schwer Luft, hielt Kaito’s Hände noch immer umfangen, obwohl mein Körper, vor allem mein verräterischer Schwanz danach schrie, dass diese Finger sich wieder um ihn kümmerten. »Kaito…was tust du da…?« War dieses heisere Krächzen wirklich meine Stimme? Der Junge leckte sich über die geröteten Lippen, dann schob er sich näher zu mir, sodass unsere Hüften sich nun wirklich berührten und unsere heißen Erregungen aneinander vorbeistrichen. Ich stöhnte verhalten auf. Das war nun doch zu viel. Ich ließ die Hände des Jungen los, was dieser nun sofort nutzte, um meine zu ergreifen und auf seine Brust zu legen. »Ich will, dass du mich berührst, Alan.« Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, dann wäre ich sicher gewesen, dass mein Herz in diesem Moment kapitulierte. »Was?!« krächzte ich. »Bitte. Berühr mich. Ich will es.« Schon führte er meine Hände über seinen Körper, schob jene dorthin, wo er sie haben wollte. Oh Gott, nichts wollte ich mehr, als ihn anzufassen. Doch wie? Ich hatte keine Ahnung, ob Männer genauso reagierten, wie Frauen. »Du hast doch sicher noch Schmerzen.« versuchte ich die Situation mehr als lahm zu entspannen. Mein Blick fiel auf die blauen Flecken, die noch immer auf seiner makellosen Haut schillerten. »Wenn du mich berührst, Alan, dann vergesse ich alles. Dann tut mir nichts weh…« Schon hatte er sich auf die Zehenspitzen gehoben und hing an meinen Lippen. Mein Widerstand war gebrochen. Ich zog ihn an mich, küsste ihn gierig und leidenschaftlich, völlig versessen darauf, seinem Wunsch nachzukommen. »Ich weiß nicht, wie ich dich berühren soll.« keuchte ich leise an seinen Lippen gegen das Rauschen des Wassers. »Du…du musst mir zeigen, was du willst…« Ich fühlte mich wie ein kleiner Junge vor seinem ersten Schultag, völlig unbeholfen und unwissend. Kaito lächelte leicht und nickte, nahm wieder eine meiner Hände und führte sie zu seiner Brust, umkreiste mit einem meiner Finger seine Brustwarze, die schon gerötet und fest war. »Berühr mich hier, Alan.« Wenn er meinen Namen weiter mit dieser sinnlichen Stimme aussprach, würde ich ohne weiteres Zutun kommen. Warum reagierte ich nur so heftig auf diesen blassen Japaner mit den dunklen Raubtieraugen? Ich kam der Aufforderung Kaito’s ohne Zögern nach, strich über seine feste Knospe und rieb sie leicht zwischen zwei Fingern, um mit einem leisen Keuchen belohnt zu werden. Der Junge drückte sich näher an mich, schloss die Augen und legte den Kopf leicht in den Nacken. »Genau…so…« Ich fühlte mich bestätigt, wollte noch mehr von seiner süßen Stimme, die heiser war vor Lust. Ich widmete mich ausgiebig seinen Brustwarzen, knetete, zwirbelte und streichelte jene, bis sie völlig verhärtete Perlen waren, die vor Leidenschaft glühten. »Kaito…soll ich dich dort mit den Lippen berühren…?« fragte ich rau. Der Junge erschauderte wohlig und nickte. »Oh ja…ja…« Ich beugte mich vor, hielt Kaito in meinen Armen und nahm eine seiner sinnlichen Knospen zwischen die Lippen, kostete das Gefühl dieser kleinen, festen Kiesel und den Geschmack von Kaito’s Haut völlig aus. Nun war es an dem Jungen, laut zu keuchen und sich lustvoll zu winden. Oh ja, Kaito, genauso will ich dich haben. Sei mir ergeben. Ich beschäftigte mich noch eine ganze Weile ausgiebig mit Kaito’s Oberkörper, genoss es, ihn in Lust vergehen zu sehen; Lust, die durch mich hervorgerufen wurde. Was mir bei einer Frau vielleicht schnell langweilig geworden wäre, war bei diesem Jungen ganz anders. Sein Körper war so empfindlich, jede Berührung rief süße, wimmernde Laute von ihm hervor, die mich fast wahnsinnig machten. Irgendwann suchte Kaito wieder meine Hand und schob sie über seinen Bauch tiefer zu seinem harten Penis, den er bisher verlangend an meiner eigenen Erregung gerieben hatte. Nun wirkte der Junge zögerlich, wohl war er sich selbst nicht sicher, ob er das verlangen konnte. »Willst du, dass ich dich dort anfasse, Kaito?« wisperte ich atemlos an seinem Ohr, ein leichtes Nicken und verhaltenes Stöhnen war Antwort genug. Meine Finger tasteten sich langsam vor, strichen erst flüchtig um die zuckende Spitze, dann an der empfindlichen Unterseite hinab zu den kleinen, perfekten Hoden, die ich kurz in der Hand wog. Ich war selbst unsicher. Ich hatte mich selbst oft dort berührt und doch war es etwas völlig anderes, einen anderen Mann dort anzufassen und ihm Lust zu bereiten. Doch es stieß mich nicht ab, Kaito dort zu berühren. In keinster Weise. »Ist das…gut so?« Kaito´s Finger drückten meine Hand leicht, animierten mich zu festeren Bewegungen und führten meine Finger erneut um seinen hoch aufgerichteten Penis. »Mehr…fass mich…richtig an…bitte…« Ich umgriff sein zuckendes Glied nun ganz und begann ihn zu reiben und zu massieren, erst vorsichtig und langsam, weil ich mir furchtbar ungeschickt vorkam. »Alan…ja….mach….weiter…« Kaito sackte gegen mich, sein ganzer Körper schien zu zittern und zu beben. Er suchte erneut meine Lippen, küsste mich atemlos und stöhnte heiser an meinem Mund. Angetrieben durch seine Reaktionen, beschleunigte ich meine Bewegungen an seinem Schaft, die andere Hand ließ ich über seinen Rücken wandern, um ihm den nötigen Halt zu geben. Wir waren beide vollkommen erhitzt und heiß aufeinander. Nachdem ich Geschmack daran gefunden hatte, Kaito diese herrlichen Töne zu entlocken; mein Name gestöhnt aus seinem Mund trieb mich fast in den Wahnsinn, wurden meine Bewegungen nachdrücklich und fester. Als sich die Hände des Jungen nun noch an meinem bereits tropfnassen Glied einfanden, schien mein ganzer Körper nur noch aus brennendem Verlangen zu bestehen. Ich stöhnte ungehalten, schob meine Hüfte willig und fordernd gegen den Jungen, der mein Drängen mit geschickten Handbewegungen beantwortete. Nun standen wir hier unter dem warmen Wasserstrahl, völlig losgelöst von allem, schwer atmend und gaben uns einfach unserer Gier hin. Immer wieder suchte ich Kaito’s Lippen, genoss das Beben seines Körpers und seiner Stimme, hervorgerufen durch meine Nähe und meine Hände. Bald schon wurden die Reize zu viel. Das Gefühl, seine Lust mit meinen Fingern zu steuern, seine heiße Erregung in den Händen zu halten, während er mich gleichzeitig zum Höhepunkt trieb, war eindeutig das Schärfste, was ich bisher erlebt hatte. Wir kamen fast gleichzeitig, klammerten uns laut stöhnend und aufbäumend aneinander, während unsere Hände vom Samen des anderen benetzt wurden. Ich war noch nie so heftig und so schnell gekommen. Und in mir wuchs das Verlangen auf mehr. Auf viel mehr. Kapitel 19: Erkenntnisse ------------------------ Nachdem die heiße Leidenschaft abgeklungen war, wartete ich gefasst auf die Schuldgefühle und das schlechte Gewissen, was mich mit Gewissheit überrollen würde. Doch der kalte Schauer der Ernüchterung kam nicht. Er blieb einfach aus. Alles, was ich fühlte, war tiefe Zufriedenheit und Ruhe. In diesem Moment, als ich mit Kaito schwer atmend unter der Dusche stand, den Jungen in meinen Armen hielt und das Wasser die Zeichen unserer Sünde von unseren Körpern spülte, war ich das erste Mal wieder im Gleichklang mit mir selbst. Ich fühlte mich frei. Ich fühlte mich wieder als Alan Harpor. Nicht wie der Anwalt. Der Vater. Der Ehemann. Sondern wie der Mensch Alan Harpor. Ein Gefühl, was ich lange vergessen hatte. Ich hielt Kaito fest an mich gedrückt, wagte ihn nicht loszulassen, da ich diesen Moment nicht zerstören wollte. Ich wollte keine Reue in seinem Blick sehen. Keine Entschuldigungen hören. Es war perfekt so, wie es war. Alan, ich reiße dich ungern aus deinen zuckersüßen Träumen, doch die eiskalte Besinnung wird spätestens folgen, wenn Lisa hier wieder mit den Kindern- Ich verbot meinem Gewissen die Stimme. Nicht jetzt, nicht in diesem Moment, wollte ich von Zweifeln zerfressen werden. Ich bereute es nicht, was zwischen mir und Kaito geschehen war. Ich hatte es genossen und herbeigesehnt, dass zu leugnen wäre so sinnlos gewesen, wie die Sonne am Aufgehen zu hindern. Der Junge klammerte sich nicht minder heftig an mich, sein Gesicht lag an meine Brust gebettet und er hatte die Augen geschlossen. Ob wegen des Wassers, was noch immer über uns rauschte, oder etwas anderem, konnte ich schlecht sagen. Ich ließ meine Finger sehr vorsichtig über seinen Rücken gleiten und schob eine Hand unter sein Kinn, um sein Gesicht zu mir zu heben. Kaito kniff die Augen zusammen gegen das strömende Wasser; ich beugte mich einfach vor und küsste ihn ganz sanft und federleicht auf die feuchten, roten Lippen. Diese Geste sollte eine ganz besondere Bedeutung haben. Ich würde nicht einfach wieder verschwinden. Ich würde es nicht bereuen. Und ich war auf keinen Fall böse auf ihn. Sein zitternder Körper hatte mir genau jene Gefühle und Gedanken verraten, als er mich so fest umarmt hatte. Er gab sich schon wieder die Schuld für das, was zwischen uns geschehen war. Und mit Sicherheit war er der festen Überzeugung, dass ich ihn nun rauswerfen würde. Mein Kuss hatte die gewünschte Wirkung. Kaito riss die Lider völlig verblüfft auf, bekam natürlich das Wasser nun doch in die Augen und brachte sich vor dem Wasserstrahl leise fluchend in Sicherheit. Ich hielt ihn schmunzelnd fest, damit er auf den nassen Fliesen nicht ausrutschte. »Hey, Vorsicht…« raunte ich leise und zog ihn begierig sofort wieder an mich. Seine Wärme zu spüren, diesen vollkommenen, nackten Körper so nah an meinem zu wissen, war mir ein fast schmerzliches Bedürfnis. »Ich geh davon aus, dass du nicht lange in der Wanne warst…« hauchte ich leise gegen Kaito´s Ohr und strich die feuchten, dunklen Strähnen beiseite. Der Junge erschauderte allein durch meine Stimme und ich fühlte schon wieder Lust in mir aufsteigen. Wie würde er dann wohl reagieren, wenn ich meine Zunge über die Linie seines Ohres…? Alan, nun ist aber wirklich Schluss. Vergiss nicht, was du versprochen hast. Ach, verdammt… »Ich war gar nicht drin….« gestand Kaito; seine Hände wanderten meinen Rücken hinauf und über meine Brust nach vorn, die er fast ehrfürchtig erforschte. Oh bitte, berühr mich nicht so. Das macht es mir nicht gerade einfach. Ich schloss kurz die Augen und zwang mich wirklich dazu, jeden Gedanken an Sex zu verdrängen, was mir nicht wirklich gelang. Aber ich hoffte, dass man mir zumindest den guten Willen anrechnen würde. »Du solltest wirklich noch etwas in das heiße Wasser und Dich aufwärmen….« Kaito´s Finger zogen verschlungene Kreise um meine Brustwarzen. »Mir ist schon warm.« Okay, Alan, Zwickmühle. Nun rette die Situation mal, du Held. Kurzentschlossen hob ich den Jungen einfach wieder auf meine Arme und trat mit ihm aus der Dusche, tropfnass und nackt wie ich war. Schämen bräuchte ich mich ja nun wirklich nicht mehr. Ich ging mit vorsichtigen Schritten zur Wanne; der dichte Berg Schaum und der Dampf des Wassers verrieten mir, dass unser heißes Spiel unter der Dusche nicht all zu lange gedauert haben konnte. Ich setzte Kaito wieder in die Wanne. »Glaub mir, das wärmt besser als eine Dusche.« Die Hand des Jungen schnellte aus dem Wasser und packte mein Handgelenk, während er mich unter halb geschlossenen Lidern ansah. »Sicher aber nicht besser als du, Alan…« Hach ja, wie ich meinen Körper doch liebte, der sofort verräterisch auf die Gesten des jungen Japaners ansprang. Scheiße, ich war ihm wirklich ausgeliefert. Ohne wirklich zu überlegen; das fiel mir eh in Kaito’s Nähe verdammt schwer; packte ich sein Gesicht mit beiden Händen und beugte mich über ihn, küsste ihn heftig und heiß, um die schon wieder aufflammende Begierde in mir zumindest ein wenig zu stillen. Kaito stöhnte leise in den Kuss, wand sich wohlig in dem heißen Wasser und machte mich allein mit seinem Geruch und seinem raschen Atem fast wahnsinnig. Himmel, das konnte doch nicht wahr sein. Ich wollte ihn schon wieder. Bevor ich wirklich in Versuchung kam, meine Hand in das Wasser zu tauchen, um seinen Körper darin zu berühren, richtete ich mich keuchend wieder auf. Mir war nun doch ein wenig kalt, so nass hier draußen zu stehen, war nicht lang angenehm. Kaito sah mir wahrlich enttäuscht und sehnsüchtig hinterher. »Alan…gehst du wieder…?« fragte er leise und senkte den Blick von mir auf den Schaumberg vor sich. Ich ging neben der Wanne in die Knie, die Gänsehaut ignorierend, die über meinen Körper zog, hervorgerufen durch die vielen Wassertropfen, die nun in der kühleren Luft über meinen Körper perlten. »Kaito. Sieh mich an.« Der Junge folgte meiner Aufforderung nach einer Weile und suchte meinen Blick. Die Schimmer von Emotionen, die ich in seinen tiefen Augen lesen konnte, gefielen mir gar nicht. Dort war Unsicherheit und Angst. Ich strich Kaito mit dem Daumen über die Wange. »Ich geh nicht, okay? Ich verlass dich nicht. Nie wieder.« Ich griff nach der Hand des Jungen und drückte diese fest. »Versprochen.« Kaito entspannte sich sichtlich, die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen. Er lächelte leicht und nickte. »Mir wird nur verdammt kalt hier. Deswegen würde ich mich gern abtrocknen und mir etwas anziehen.« Ich grinste leicht schief und stand langsam wieder auf. Kaito rutschte tiefer in das heiße Wasser, bis nur noch seine dunklen Augen über den Rand des Schaumes blickten. Ich war mir seines intensiven Blickes auf meinem Hintern sehr deutlich bewusst, als ich zur Dusche ging, mir dort ein Handtuch schnappte und mich rasch trocken rieb. Ich bereute es nicht, was ich mit Kaito getan hatte. Ganz im Gegenteil. Diesen Moment, den wir so leidenschaftlich geteilt hatten, war unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Und ich wollte ihn von dort auch gar nicht verbannen. Doch ich brauchte trotz allem einen Moment für mich. Denn irgendwie musste ich mir darüber klar werden, wie es nun weitergehen sollte. Ich zog mir einen Bademantel über und knotete diesen noch zu, während ich zu Kaito zurück lief. »Ich hab jetzt doch noch Hunger bekommen. Wie sieht es mit dir aus? Lust auf ein Sandwich?« Der junge Japaner nickte leicht, dann versank er wieder in Wasser und Schaum. »Du kannst dann einfach nebenan gehen, wenn du fertig bist. Dort ist mein Schlafzimmer.« Ich verließ das Bad und tapste barfuß hinunter in die Küche. Alan, hm, ich frage ungern nach, aber….du hast den Jungen jetzt nicht wirklich in dein Schlafzimmer geschickt? In das Zimmer, was du mit deiner Frau teilst? Ähm, doch, das hatte ich wohl. Und du findest das kein bisschen falsch? Nicht mal so ein winziges bisschen? Nun, ich hatte den Weg in den Abgrund doch eh schon angetreten. Also warum sollte ich mich jetzt an so etwas aufhalten? Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Ich öffnete den Kühlschrank und durchstöberte diesen nach Dingen, die man für ein Sandwich noch missbrauchen konnte. Normalerweise war das hier Lisas Reich. Das merkte ich auch schnell, da ich mich unheimlich schwer tat, bestimmte Sachen in den Schränken zu finden. Als ich dann in der Küche stand, Sandwichs für mich und Kaito zubereitete, kam ich mir kein bisschen blöd oder fehl am Platz vor. Alles war richtig. Ich bereitete Essen für den Menschen, den ich- Nun hielt ich doch inne in der Bewegung und das Messer wäre mir fast aus der Hand geglitten. Was, Alan? Für den Menschen, den du….was? Liebst? Ich sah auf meine Hände hinab, lauschte dem Ticken der Küchenuhr und dem Tropfen des Wasserhahnes, den ich vorhin wohl nicht richtig geschlossen hatte. Dieser Gedanke, den ich nicht zu Ende zu denken wagte, war so mächtig, dass es mir fast vorkam, als wäre die Zeit stehen geblieben. Als hätte die Welt für einen kurzen Moment aufgehört, sich zu drehen, um meine Erkenntnis mit voller Wucht auf mich prasseln zu lassen. Liebe. Wie konnte ich Liebe definieren? Einst hatte ich geglaubt, Lisa zu lieben. Ich hatte sie aus Liebe geheiratet. So war es mir erschienen. Doch jetzt? Was war jetzt? Ich mochte Lisa und sie war mir wichtig. Meine Kinder waren mir wichtig. Doch Kaito übertraf all diese Gefühle noch bei Weitem. Ich verzehrte mich nach ihm. Ich wollte ihn bei mir. Ich wollte ihn lachen sehen. Ihn glücklich machen. Ich allein sollte sein Herz berühren und in seinen Gedanken sein. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann würde ich nie mehr ohne diesen Jungen leben können. Ich würde keinen Tag mehr aushalten, ohne zu wissen, wo er war, wie es ihm ging, was er tat. Nun, Alan, dann steht allein die Frage im Raum, ob das Liebe ist oder schlichte Besessenheit auf ein neues Spielzeug? Kaito ist nicht nur ein Spielzeug für mich. Das weiß ich ganz sicher. Du solltest dir noch über viele andere Dinge bewusst sein, Alan. Kaito ist ein Mann. Keine Frau. Diese Beziehung, wenn sich denn überhaupt so etwas entwickeln sollte, würde alles andere als einfach sein. Könntest du einen Mann vorbehaltslos lieben? Für immer lieben? Und Kaito ist erst 17. Sicher, er wird älter, doch euer Altersunterschied ist groß und irgendwann wird er euch vielleicht im weg sein. Hast du darüber nachgedacht, Alan? Hast du? Und deine Familie, Alan? Was ist mit der? Willst du Lisa und die Kinder einfach verlassen? Ich holte schwer und tief Luft, ehe ich meinen Kopf mit einem Knall gegen den Küchenschrank hämmerte. Sei doch endlich still, Gewissen. Es wäre so einfach, sich Kaito hinzugeben, den Momenten mit ihm. Warum gönnte mir das Schicksal dieses Glück nicht? Warum legte man mir stets Steine in den Weg? Hasste Gott mich? Sollte das eine Prüfung sein, um mich zu testen? Um zu testen, wie standhaft und fest ich meinen Weg beschritt? Ach scheiße… Was machte ich mir eigentlich vor. Ich hatte meinen Weg eh schon verlassen. Ich hatte den Schritt in jenem Moment getan, als ich Kaito in dieser Bar gesehen hatte. Ich konnte ihn nicht mehr gehen lassen. Der Rest…würde sich zeigen. Ich packte den Teller mit den Sandwiches und nahm gleich zwei Stufen auf einmal, um zurück nach oben zu gelangen. Irgendwie hatte ich plötzlich Angst, dass Kaito weg sein könnte. Doch er war noch da. Er hatte sich ebenfalls einen Bademantel übergeworfen, stand mit dem Rücken zu mir am Fenster meines Schlafzimmers und sah hinaus auf die winterliche Landschaft, die sich im Mondlicht offenbarte. Ich stellte den Teller leise auf dem Nachttisch ab und trat hinter Kaito, um die Hände vorsichtig auf seine zarten Schultern zu legen. Er zuckte kurz zusammen, sah flüchtig über die Schulter und lächelte leicht. Ich ließ die Hände nach unten gleiten und schlang die Arme um seine Hüfte, um ihn fest zu umarmen. Ich brauchte jetzt einfach seine Nähe. Die Hände des Jungen legten sich über meine auf seinem Bauch. Den Kopf bettete ich auf Kaito’s Schulter; sein noch feuchtes Haar kitzelte meine Wange. Lange standen wir einfach so da, völlig versunken in dem Moment und in unserer Wärme. »Alan…?« kam es leise von Kaito. »Hm?« »Bereust du es? Dass du mich kennen gelernt hast?« fragte der Junge leise und tonlos, so als wäre er gefasst auf jede Antwort. Ich schnaubte kurz fast wütend und zog ihn noch näher an mich. »Natürlich nicht. Ich bereue gar nichts mit dir, Kaito.« Ich spürte, wie der Junge sich entspannte und leicht nickte, während er weiter nach draußen sah. »Bereust du die Sache vorhin unter der Dusche? Ich weiß, ich bin nur ein Mann. Ich kann dir nicht das bieten, was eine Frau-« Kaito stockte, als ich seine feuchten Haare beiseite strich und die Lippen auf seinen zarten Nacken drückte. »Kaito. Wenn ich eine Frau in jenem Moment gewollt hätte, meinst du, ich wäre so erregt gewesen? Ich wollte dich. Ich will dich noch immer….« hauchte ich leise, während ich die Lippen weiter über Kaito’s Nacken zu der Seite seines Halses wandern ließ und dort federleichte Küsse niederdrückte. »Du machst mich so scharf…« Tief sog ich diesen berauschenden Duft Kaito’s in die Nase, konnte gar nicht genug bekommen von seiner weichen Haut. Dass der Junge unter meinen Liebkosungen erschauderte, entfachte schon wieder solche Hitze in mir, dass ich nicht anders konnte, als die Zähne kurz und vorsichtig in Kaito’s Hals zu graben. Das leise, lustvolle Aufkeuchen des jungen Japaners ging mir durch Mark und Bein. Ich würde ihn wirklich nie mehr gehen lassen können. Nie mehr. Kaito wand sich in meinen Armen um, sodass er mich nun ansehen konnte. Ich sah flüchtig Tränen in seinen Augen schimmern, war verwirrt, da diese so unpassend schienen neben dem begehrlichen Glitzern in den tiefdunklen Pupillen. »Alan, wie geht es jetzt weiter?« fragte er leise. »Wie geht es mit uns weiter? Was ist mit deiner Familie?« Ich sah auf den Jungen in meinen Armen hinab und wusste nicht, was ich antworten sollte. Er stellte mir Fragen, die ich mir selbst schon oft genug gestellt hatte und auf die ich keine Antwort wusste. »Ich weiß es nicht…« Kaito nickte und lächelte resigniert, während er den Blick zur Seite wand. »Ich verstehe.« Sein Schmerz traf mich härter, als es eine Faust in die Magengegend gekonnt hätte. Ich packte ihn, hob ihn wieder auf meine Arme und ging zum Bett, um mich mit Kaito zusammen darauf fallen zu lassen. Ich zog ihn in meine Arme und wickelte die Decke um uns. Dann nahm ich sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn so, mich wieder anzusehen. »Kaito. Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht. Aber eins weiß ich mit Gewissheit. Ich kann nicht mehr ohne dich sein. Hörst du? Egal, wie es weitergeht, ich will dich an meiner Seite.« Die schmalen, dunklen Augen blickten mich forschend an, dann schimmerten sie in stillen Tränen, gepaart mit Hoffnung und Erleichterung. Kaito suchte daraufhin meine Lippen, küsste mich zittrig, während salzige Tränen sich in unsere Liebkosung mischten. Ich wusste, dass es schwer für ihn war. Für mich war es das nicht minder. Doch ich konnte ihn nicht anlügen, indem ich ihm erzählte, dass ich wusste, was die Zukunft bringen würde. Ich wusste es nicht. Doch ich würde für Kaito kämpfen. Der Junge drückte sich haltsuchend an mich, verschloss immer wieder meine Lippen mit seinen, während ich ihm beruhigend über den Rücken strich und die Tränen von den Wangen wischte. Irgendwann schlief Kaito völlig erschöpft ein, das feuchte Haar halb im Gesicht, die Arme und Beine um mich geschlungen. Ich streichelte noch lang über seine Wangen, sein Haar und seinen Körper. Nicht, um mich zu erregen, sondern um seinen Schlaf so angenehm und ruhig wie nur möglich zu machen. Ich hielt ihn fest, spürte seinen zarten Herzschlag an meiner Brust und betrachtete verklärt sein entspanntes Gesicht im Schlaf. Und je länger ich ihn ansah, je länger ich ihn in meinen Armen hielt, desto weniger wollte ich ihn loslassen. Der letzte Gedanke, bevor der Schlaf auch mich zu sich rief, galt Kaito. Und der Tatsache, dass ich mich wirklich in ihn verliebt hatte. Kapitel 20: Ein unliebsamer Anruf --------------------------------- Der nächste Morgen begann anders, als ich es vielleicht erwartet hätte. Ich schlug wahrlich erfrischt und endlich einmal wieder entspannt die Augen auf. Ich fühlte mich wunderbar. Ob es daran lag, dass ich Kaito die ganze Nacht im Arm gehalten und seine Wärme gespürt hatte? Ich konnte nicht leugnen, dass mir das gut gefallen hatte. Sehr gut sogar. Der Duft des Jungen hing noch in der Luft und hatte sich auf der Bettwäsche verteilt. Kaito selbst war weg. Ich hörte nebenan die Dusche rauschen. Meine Vorstellung war sofort wieder in Aufregung, als ich mir ausmalen musste, wie dieser zarte Junge unter dem warmen Wasserstrahl stand… In südlicheren Regionen begann mein Körper bereits schneller zu erwachen, als mir vielleicht lieb war. Mit einem Knurren rollte ich mich auf den Bauch und bestrafte meine Erregung dafür, dass sie überhaupt da war. In Kaito’s Nähe befürchtete ich manchmal wirklich, nicht mehr ich selbst zu sein. Da war ein Teil meiner selbst, den ich eigentlich schon lang abgelegt und in mir vergraben hatte. Es war schön, diesen Teil wieder begrüßen zu dürfen. Seufzend rollte ich mich wieder auf den Rücken. Ich legte mir einen Arm über die Augen und genoss einen Moment der völligen Leere. Meine Gedanken kreisten einmal nicht um jede möglichen Probleme und Fehler, die ich mir geleistet hatte, sondern einzig und allein um Kaito. Nur um Kaito. Das Wasser wurde abgestellt, dann war es still im Badezimmer nebenan. Ich blieb noch eine ganze Weile liegen, da ich hoffte, Kaito würde zurückkommen, doch die Tür zum Bad öffnete sich nicht. Irgendwann linste ich hinter meinem Arm hervor und sah auf die Uhr. Es war noch recht früh am Morgen. Ein wenig verwirrt runzelte ich die Stirn, als ich leise Schritte auf der Treppe nach unten vernahm. Sofort klopfte mein Herz schneller und ich setzte mich auf, um die Beine aus dem Bett zu schwingen. Kaito würde doch nicht gehen!? Wollte er vielleicht weg, ohne ein Wort zu sagen?! Nun, das wäre wohl nur gerecht, nicht wahr, Alan? Immerhin hast du ihm dasselbe angetan. Nein, das durfte er nicht. Ich stolperte aus dem Bett und zwang mich zur Ruhe. Kaito würde schon nicht einfach verschwinden. Ich hatte gespürt, dass er meine Nähe genossen hatte. Und ich hatte ihm versprochen, dass ich bei ihm bleiben würde. Warum also sollte er gehen? Er hat Dir aber nicht versprochen, dass er bei Dir bleibt, Alan. Ich selbst suchte kurz das Badezimmer auf, um mich wieder in eine vernünftige Form zu bringen. Aus dem Spiegel sah mich, entgegen aller Befürchtungen, ein doch recht frisches Gesicht an. Allein der Schatten eines leichten Dreitagebartes schimmerte auf meinen Wangen, was mir allerdings irgendwie stand. Naja, darum würde ich mich später kümmern. Ich huschte kurz unter die Dusche, in der ich nicht verhindern konnte, dass mich schon wieder die Bilder vom letzten Abend übermannten. Ich und Kaito hier, so leidenschaftlich aneinander gepresst… Eine kalte Dusche half meine überreizten Sinne schnell wieder abzukühlen. Na hoffentlich hast du in Zukunft immer kaltes Wasser parat, wenn du in Kaito’s Nähe bist, Alan. Ich schlüpfte nach der kurzen Dusche in eine lockere Hose und zog mir einfach ein Hemd über, was ich offen ließ. Ich fühlte mich gut. Ich sah gut aus, musste ich mit einem Blick in den Spiegel feststellen. Ob Kaito das genauso sah? Ich hoffte es. Ich wollte von ihm begehrt werden. Langsam schritt ich mit nackten Füßen die Treppen hinunter und nahm verblüfft den Duft von Kaffee und gebratenem Ei auf. Langsam trat ich zur Küche und blieb im Türrahmen stehen, leicht daran gelehnt, um total überrascht und verträumt zuzusehen, wie Kaito Frühstück machte. Ich hätte mit allem gerechnet, aber damit ganz sicher nicht. Der Junge bemerkte mich gar nicht; er war vertieft in seine Arbeit, einen so leckeren Duft durch das Haus wehen zu lassen, dass mein Bauch verräterisch knurrte. Kaito sah nun doch auf, wirkte kurz erschrocken, dann lächelte er zaghaft und strich sich das dunkle Haar aus dem Gesicht, während er Kaffee in die Tassen auf dem Tisch einschenkte. »Guten Morgen, Alan.« Ich trat nun doch ganz in die Küche und sah mich noch immer sprachlos um. »Was machst du denn da?« fragte ich ein wenig rau, da es mir falsch erschien, dass er das für mich tat. Kaito musste meinen Tonfall gleich falsch verstanden haben und sah betreten zu Boden. »Tut mir leid. Ich wollte nicht in deiner Küche stöbern. Ich wollte nur Frühstück machen. Wirklich…« Oh man, er war einfach so wunderbar. Ich war mit ein paar raschen Schritten bei ihm, hatte meine Hand an seiner Wange gebettet und mich zu ihm gebeugt, um ihn liebevoll zu küssen. Sanft und langsam, so wie er es verdient hatte. Kaito seufzte sofort leise, obwohl ihm die Überraschung über meine Aktion deutlich anzumerken war. Ich ließ seine Lippen wieder frei. »Es stört mich nicht, was du hier tust. Ich war nur völlig überrascht. Du musst das doch nicht machen.« Ich lächelte leicht und schob ihm eine dunkle Strähne hinters Ohr. Ich liebte es, ihn zu berühren. Ich liebte seine dunklen Augen, in denen so viele Emotionen gleichzeitig aufblitzen konnten. Ich liebte sein Wesen. Dass er so leidenschaftlich und dann doch wieder schüchtern sein konnte. Alan, warum sagst du nicht gleich, dass du ihn liebst!? Das wäre einfacher. Kaito sah jetzt sichtlich entspannter zu mir auf und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. »Du hast noch geschlafen. Ich wollte dich nicht wecken. Ich dachte, als kleines Dankeschön für deine ganze Hilfe…« Es war nicht schwer zu erraten, dass ihm diese ganze Sache auf der Seele lastete. Er fühlte sich schlecht, weil ich wohl seiner Meinung nach zu viel für ihn tat. Wenn er nur geahnt hätte, wie viel ich noch ohne Bedenken für ihn tun würde… »Kaito. Es ist okay. Du musst mir nichts zurückzahlen oder dich verpflichtet fühlen, irgendetwas für mich zu tun. Ich tue das gern, hörst du? Für dich tue ich das gern. Ich will Dir helfen.« Der Junge holte tief Luft und nickte dann. Ich wusste, dass es ihm schwer fiel. Mir selbst wäre es vielleicht auch zuwider gewesen, ohne Gegenleistung von jemandem Hilfe annehmen zu müssen. »Ich werde versuchen, mich dran zu gewöhnen, Alan.« Ich lächelte zufrieden und entließ ihn wieder aus meinen Händen, auch wenn es mir schwer fiel. Kaito hatte sich wirklich Mühe gegeben. Er hatte aus einem fast leeren Kühlschrank das Möglichste herausgeholt und ein wunderbares Frühstück gezaubert. Wir saßen eine Weile schweigend da und aßen in Ruhe. Für mich war es ungewohnt, dass Haus so ruhig und leer zu haben. Sonst tollte Colin meist durch die Zimmer oder Susan beschallte alles mit ihrer Musik. Das machte mir wieder bewusst, dass etwas fehlte. Meine Familie gehörte eigentlich hier her. Das schlechte Gewissen, was so lang geschwiegen hatte, meldete sich wieder. Ich hasste es. Ich wollte diese Gedanken nicht. Es war nicht falsch, Kaito hier zu haben. Er gehörte nun mal auch zu mir. Ich sah kurz zu ihm hinüber, während ich an meinem Kaffee nippte. Wir hatten den gestrigen Abend nicht noch einmal angesprochen. Ich wusste nicht, ob es Kaito unangenehm war, dass er geweint und in seinen Augen vielleicht so viel von sich offenbart hatte. Ich wollte ihn auch nicht danach fragen, um ihn nicht in Bedrängnis zu bringen. Ich war mir in der Nacht über meine Gefühle klar geworden. Doch was war eigentlich mit ihm? Hatte er vielleicht auch nachgedacht und war zu einem Schluss gekommen, der mir vielleicht weniger gefallen könnte? Ich hoffte es nicht. Ich betete, dass es nicht so war. Kaito´s Handy riss uns aus der Stille, indem es nachdrücklich einen Anruf verkündete. Der junge Japaner zog das Telefon stirnrunzelnd aus seiner Tasche, um dann ein wenig zu erbleichen, als er die Anruferinformation las. Er zögerte kurz, doch dann ging er ran. »Ja?« Sein Tonfall klang eiskalt, sodass ich gleich ungewollt fröstelte. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass eine solche Gefühlskälte in diesem zarten Jungen schlummerte. Ich ließ die Kaffeetasse langsam sinken und spielte noch mit dem Gedanken, die Küche zu verlassen, um nicht zu stören, blieb dann aber doch, da Kaito kurz meinen Blick suchte. »Mir geht es gut. Danke der Nachfrage, Mutter.« Ich sah, wie der Junge das Handy verkrampft festhielt. Eine Weile lauschte er wohl nur. »Das musst du nicht wissen. Es ist egal.« Wieder kurzes Schweigen. »Nein. Das werde ich nicht tun. Überall ist es besser als bei euch.« Der junge Japaner rang um Fassung, doch er begann zu zittern und ließ das Messer los, mit dem er die ganze Zeit nervös in den Fingern gespielt hatte. In mir staute sich schon wieder brennende Wut an, ihn so zu sehen. Hatten ihm seine Eltern denn nicht genug angetan? »Nein, Mutter. Ich komm nicht zurück. Und es ist egal, wo ich bin.« Die Stimme Kaito’s war bis zum Zerreißen angespannt und ich sah Tränen in seinen Augenwinkeln glänzen. Jetzt war Schluss. Ich streckte Kaito meine Hand hin und machte eine auffordernde Geste, damit er mir das Handy gab. Mein Blick war finster, genau wie meine Entschlossenheit. Der Junge zögerte kurz, dann drückte er mir das Telefon in die Hand, sichtlich froh, es los zu sein. Ich bekam noch die letzten Wortfetzen seiner Mutter mit. »….kannst du mir nicht antun, Junge.« Ich bemühte mich um eine gelassene und ruhige Wortwahl, was in Anbetracht der vorherrschenden Gegebenheiten gar nicht so einfach war. Ich war wütend, dass man Kaito nicht in Ruhe ließ. Dass er schon wieder unglücklich war. »Guten Morgen, Frau Yamada.« Ich konnte förmlich spüren, wie die Frau am anderen Ende zusammenzuckte. In ihr schien es zu arbeiten, dann erinnerte sie sich wohl an meine Stimme. »S-sie?!« »Ja, ich. Machen wir es kurz. Was wollen Sie noch von Kaito?« Meine Stimme klang hart, der abgebrühte Anwalt kam in jenem Moment wieder zum Vorschein. Die Frau schien nun auch verunsichert. »Kaito…er soll zurückkommen.« »Das wird er nicht. Sonst noch etwas?« Ich hatte kein Mitleid für diese Frau. Nicht im Geringsten. Mir war klar, dass dieser Arsch von Lebensgefährten sie geschickt haben musste, um diesen Anruf zu tätigen. Sie selbst stand mit Sicherheit unter dem Einfluss dieses Mannes. Was meinen Zorn nicht wirklich linderte. »Sie…Sie können mir meinen Sohn nicht einfach wegnehmen. Das…ich werde vor Gericht gehen…« Die Stimme von Kaito´s Mutter wurde zittrig und wenig überzeugend. »Sagen Sie, Frau Yamada. Lieben Sie ihren Sohn?« fragte ich tonlos und mit Eiseskälte in der Stimme, während ich den Blick Kaito’s suchte. Er sah mich offen und hoffnungsvoll an, eine seltsame Verbindung schien in jenem Moment zwischen uns zu bestehen. Die Mutter des Jungen schwieg eine ganze Weile. »Natürlich…« brachte sie dann leise heraus. »Warum lassen Sie dann zu, dass man ihm Schmerz zufügt?« fauchte ich fast. »Sie…Sie verstehen das nicht…« »Richtig. Ich verstehe das nicht. Lassen sie Kaito in Ruhe. Wagen Sie nie wieder, in seine Nähe zu kommen. Der Junge bleibt bei mir.« stellte ich die Frau vor vollendete Tatsachen. »Aber….« »Kein aber. Schönen Tag noch.« Mit diesen Worte legte ich einfach auf und war kurz versucht, dass Handy durch den Raum zu werfen. Allein, dass es Kaito’s Telefon war, hielt mich davon ab. Was bildete sich diese Frau ein? Jetzt auf besorgte Mutter zu machen, war wohl reichlich spät. Kaito hatte sich zu mir herüber gebeugt und entzog das Telefon meinen verkrampften Fingern. »Sie hat mit Gericht gedroht, nicht wahr?« Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und schnaubte. »Und wenn schon. Du bist fast volljährig. Sie hat eh keine Chance. Außerdem würde bei einer Anklage nur zu Tage kommen, was man dir angetan hat. So blöd werden die beiden nicht sein.« Kaito nickte leicht, die Lust am essen schien ihm genauso wie mir vergangen zu sein. Er wischte sich fahrig über die Augen. Ich stand auf und trat zu Kaito hinüber, um ihn auf die Beine zu ziehen und in meine Arme zu schließen. Er lehnte sich sofort dankbar an mich und umschlang mich fest mit seinen schlanken Armen. Lange standen wir so da, ohne zu sprechen. Ich wollte Kaito einfach das Gefühl geben, dass ich da war. Dass ich immer da sein würde. Ich strich dem Jungen über den Rücken und vergrub das Gesicht kurz in seinem dunklen Haar. »Du wirst Elene bitten, dich zu bezahlen.« Kaito rückte sofort ein Stück ab und schüttelte den Kopf. »Nein.« »Doch Kaito. Du wirst das Geld brauchen. Für deine Schule und dein Studium.« »Aber das ist nicht richtig…. Die Tiere brauchen das Geld dringender…« Ich legte die Hände an die weichen Wangen des Jungen und suchte eindringlich seinen Blick. »Vielleicht ist es nicht richtig. Aber du willst weiterkommen im Leben. Du hast einen Traum, Kaito. Dafür brauchst du Hilfe. Oder willst du lieber wieder zurück…?« Ich musste nicht sagen, wohin zurück, Kaito wusste sofort, was ich meinte. »Nein. Dahin will ich nie wieder.« »Aber du willst mir auch nicht auf der Tasche liegen.« Der Junge wand sich in seinen Gedanken und Idealen, doch er musste erkennen, dass ich recht hatte. Nach einer ganzen Weile spürte ich, dass er nachgab. »Okay…« sprach er leise. Ich streichelte über seine Wange und nickte zufrieden. »Du musst ja nicht viel verlangen. Ich hab eh noch eine andere Idee…« Alan, deine Idee, die hältst du nicht wirklich für eine Gute, oder? Eigentlich schon. Klar. Bring ihn noch weiter in dein Leben ein, damit dir wirklich jeder Rückweg versperrt bleibt. Kaito sah fast misstrauisch zu mir auf. »Andere Idee?« Ich nickte. »Wir werden in der Kanzlei sicher noch irgendeinen Praktikantenjob für dich finden, für den du Geld bekommst. Ich werde einfach mal nachfragen. Das wird zwar nicht gerade einfach für dich, Schule und Arbeit unter einen Hut zu bringen, aber-« Diesmal war es Kaito, der mich unterbrach, indem er seinen Zeigefinger auf meine Lippen legte. Diesen Funken Erregung, den ich schon wieder verspürte, verfluchte ich. Ich sollte diesen Jungen jetzt nicht wollen. Mein Körper war leider anderer Meinung. »Alan, egal wie schwer es wird, ich werde es tun. Ich will arbeiten, da ich nicht verlangen kann, dass du alles für mich tust und bezahlst. Außerdem…will ich in deiner Nähe sein.« gestand er mit leiser, weicher Stimme und schmiegte sich wieder an mich. Oh, ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als ihn in meiner Nähe zu haben. Die ganze Zeit. Mein ganzes Leben lang. Und deine Familie lässt du ganz außen vor, Alan? Die Würfel waren gefallen. Ich hatte mich verliebt. Und für diese Liebe würde ich nun kämpfen, mit allen Folgen und Schwierigkeiten, die mit Sicherheit noch kommen würden. Allein schon die Tatsache, dass ich Kaito am liebsten hier wohnen lassen würde, versprach Probleme. »Alan….danke.« Ich schmunzelte leicht und hauchte einen Kuss auf den dunklen Haarschopf, der jenem Menschen gehörte, dessen Herz ich allein begehrte. »Du musst dich nicht immer bedanken, Kaito. Ich hab es dir doch versprochen. Ich lass dich nicht allein. Und das werde ich auch nicht, egal was es kostet.« Kapitel 21: Ein Hauch Freiheit ------------------------------ Am nächsten Tag verabschiedete sich der Winter für kurz und machte dem letzten Hauch von warmer Luft und der Sehnsucht nach sonnigen Tagen Platz. Der Schnee, der gefallen war, taute recht schnell und es war angenehm, fast frühlingshaft. Ich wollte diesen Tag nutzen, um etwa mit Kaito zu unternehmen. Wir hatten in der Vergangenheit wenig bis gar keine Gelegenheit gehabt, uns außerhalb des Tierheimes zu treffen. Nun hatte ich Kaito bei mir. Den ganzen Tag. Immer. Es war ein schönes Gefühl und doch traute ich mir nicht soweit über den Weg, dass ich mein Versprechen ihm gegenüber wirklich halten konnte. Es war eine ziemlich schwere Prüfung, ihn unter meinem Dach zu wissen. Ich wollte ihn berühren. Ich wollte ihn besitzen. Ich wollte ihn ganz für mich. Und das Verlangen danach wurde stetig drängender. Ich war mir sicher, dass es den Jungen nicht gestört hätte. Doch ich wollte ihn nicht beengen. Ich hatte meine Gefühle benannt, für mich im Stillen. Trotzdem wollte ich warten, bis ich mir ganz sicher war, bevor ich Kaito meine Gefühle offenbaren würde. Wir waren beide im Moment in einer heiklen Lage; fast zerbrechlich muteten die Momente mit diesem Jungen für mich an, da ich nie wusste, wann und wie es vielleicht enden würde. Ich hatte Furcht vor dem Tag, an dem Lisa zurückkommen würde. Würde ich den Mut aufbringen, ihr alles zu sagen? Wirst du nicht, Alan. Und weißt du, warum nicht? Weil du feige bist. Und weil du niemandem wehtun willst. Doch dieser Moment wird eh kommen, indem du irgendjemandem das Herz brichst. Das wusste ich. Und ich hatte Angst davor. Wirklich Angst. Doch mich der naiven Vorstellung hingeben, dass sich schon alles von selbst richten würde, konnte ich auch nicht. Und es wäre nicht fair gewesen. Während ich wieder tief in Grübeleien versunken war, machte ich mich auf zu meiner Garage. In der hintersten Ecke stand mein Motorrad, welches einst mein ganzer Stolz gewesen war, doch nun einsam und verlassen vor sich hindämmerte. Ich zog das Tuch von der schweren Maschine und fuhr mit den Fingern andächtig über das schwarze Leder des Sitzes. Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich erinnerte mich an so viele schöne Momente, die ich auf diesen zwei Rädern durchlebt hatte. Vor einigen Jahren war ich selbst mit Lisa noch ausgefahren, doch irgendwann war diese Leidenschaft eingeschlafen; bedeckt von Arbeit und Alltag geriet sie in Vergessenheit. Eigentlich schade, denn auf diesem Motorrad hatte ich wahre Freiheit verspürt. Ich war wohl wirklich spießig geworden. Seufzend schüttelte ich den Kopf und rollte meine geliebte Maschine in den Sonnenschein hinaus. Irgendwie erschien es mir wie ein Symbol für diese Seite in mir, die frei und unbändig gewesen war. Es war an der Zeit, diese wieder ans Tageslicht zu holen. Und ein schönes Gefühl war es noch dazu. Ich holte tief Luft und genoss die frische, milde Luft, die einen wunderbaren Tag versprach. Die Vögel schienen mich mit ihrem Gesang anzufeuern und das Tropfen des Tauwassers war der Takt, zu dem ich die nächsten Schritte machen würde. Oh man, Alan, du drehst wirklich langsam ab. Und wenn schon. Wenn verrückt sein sich so anfühlte, dann hatte ich kein Problem damit. Ich schritt rasch ins Haus zurück, hastete die Stufen zum Obergeschoss hinauf und klopfte an Kaito’s Tür. Er war im Gästezimmer eingezogen. Ich hatte die mehr als naive Vorstellung, dass es so für uns beide sicherer wäre. Außerdem fand ich es doch falsch, mit ihm mein Ehebett zu teilen. Es war falsch Lisa gegenüber und einfach respektlos. Ich wollte meine Frau nicht zu etwas degradieren, was sie nicht verdient hatte. Ich wollte nicht einer dieser arschlosen Ehemänner sein, die ihre Frauen einfach und blindlings gegen jüngere Geliebte eintauschten. In deinem Fall ein junger Geliebter, Alan. Ob es für eine Frau schlimmer war, gegen einen Mann als gegen eine andere Frau eingetauscht zu werden? Ich wusste es nicht. Kaito öffnete nach einer Weile die Tür und lugte verschlafen heraus, ein kleines Gähnen hinter dem Handrücken versteckend. »Guten morgen, Alan.« Ich sah ihn schmunzelnd an und hielt ihm die vielen Beutel mit seinen Klamotten hin, die er bisher immer noch verweigert hatte, anzunehmen. »Zieh dir etwas an, was eine Motorradfahrt überlebt und komm dann runter.« Der Junge blinzelte verblüfft, nahm die Beutel aber vorsichtig entgegen. »Motorradfahrt?!« »Frag nicht soviel, mach einfach.« Ich grinste ihn an und beherrschte mich soweit, dass ich ihm nicht einen Kuss stahl. Er sah so verführerisch aus mit seinem vom Schlaf verwuschelten Haaren, dass sich die Vorstellung, ihn in sein Bett zurück zu tragen, ziemlich lebhaft in meinen Gedanken einnistete. Er lächelte nun ebenfalls leicht und nickte. »Okay…bin gleich da.« Ich selbst verzog mich in mein Schlafzimmer und kramte eine Lederjacke hervor, die ich schon einige Jahre nicht mehr getragen hatte. Ich schlüpfte in ein paar enge Klamotten und schob mir eine Sonnenbrille auf die Nase. Der Blick in den Spiegel offenbarte mir einen ganz anderen Menschen. Ich hätte fast als ein Mitglied dieser ganzen Motorradgangs durchgehen können. Hey, Alan, der Rocker, yeha! Sag mal, bist du nicht vielleicht ein wenig zu alt dafür? Bestimmt nicht. Außerdem musste man jenseits der 30 doch nicht anfangen, Wollunterwäsche und Strickpullover zu tragen. Ich fühlte mich gut. Ich fühlte mich jung. Und ich genoss es, einmal nicht wie der intolerante Anwalt zu wirken. Ich wartete im Wohnzimmer auf Kaito, der auch bald die Treppe herunter kam und mich einen Moment völlig sprachlos anstarrte. Prima, doch eine Scheißidee gewesen? Sah ich vielleicht doch lächerlich aus? Ich wurde nun selbst unsicher und sah an mir herab, bevor ich wieder den Blick des Jungen suchte. Kaito war ein wenig errötet und klebte mit den Augen förmlich an mir. Okay, doch nicht lächerlich. »Ich dachte, ich zieh mal etwas anderes an. Immer Anzug ist irgendwann lästig.« Kaito nickte mechanisch und ich konnte sehen, wie er den Blick angestrengt zur Seite wand. »Steht dir wirklich gut.« meinte er leise. War das leichte Verlegenheit in seiner süßen Stimme? Bewunderung in seinem Blick? Wir verließen gemeinsam das Haus und ich konnte sehen, dass auch Kaito die Sonnenstrahlen genoss. Er hob das hübsche Gesicht in die Sonne und wirkte sofort entspannt. Es war schön, ihn so zu sehen. Seine Wunden waren fast verheilt; seinem Gesicht sah man die Marter fast gar nicht mehr an. Ich drückte ihm einen Helm in die Hand und schwang mich auf den Sitz meines Motorrades. »Es ist eine Weile her, dass ich die Kiste gefahren bin. Aber ich denk mal, ich bekomm das noch hin.« Ich schmunzelte belustigt über den etwas besorgten Gesichtsausdruck des Jungen, bevor ich mir den Helm überstülpte. Kaito zögerte nicht und kletterte hinter mir auf den Sitz, rutschte sofort eng an mich heran und schlang die Arme um meinen Bauch. Okay, nun war meine Beherrschung wieder gefragt. Die Nähe des jungen Japaners jagte mir sofort wohlige Schauer über den Rücken, die sich zwischen meinen Beinen zu drängen schienen. Gott sei Dank trug ich eine verdammt enge Hose, die meine Erregung im Zaum hielt und an ihren Platz verwies. Ich hasste meinen Körper in jenem Moment, der so unkontrollierbar wie ein Sturm in der Nähe Kaito’s wurde. Zum Glück schien Kaito selbst nichts davon mitzubekommen. Ich beherrschte das schwere Motorrad noch ohne Probleme, was mich doch ein wenig stolz machte. Es war ungemein befreiend, so durch die Stadt zu jagen, den Wind auf den Sachen zu spüren und das Gefühl von Schwerelosigkeit zu genießen. Noch dazu Kaito’s Nähe an meinem Rücken zu spüren und mir der Gegenwart dieses Jungen voll und ganz bewusst zu sein, war ein wahrer Segen, der mich glücklich machte. Alles fühlte sich richtig und gut an, wenn Kaito bei mir war. Alles schien durch seine bloße Anwesenheit heller und freundlicher, mein Herz war frei und unbeschwert. Ob das diese wahrhafte, reine Liebe war, die so oft in Romanen und Filmen beschrieben wurde? Ob es wirklich stimmte, dass es für jeden Menschen einen Seelenverwandten irgendwo auf der Welt gab, der nur für einen selbst bestimmt war? Wenn es so wäre, dann war ich mir in jenen Augenblicken sicher, dass Kaito die Seele für mich war. Wie sehr ich mich und meine Denkweisen in den letzten Monaten doch geändert hatte. Es war erschreckend. Es war aufregend. Es war richtig. Unser erster Weg führte uns zum Tierheim. Elene begrüßte uns freudig und erleichtert, drückte uns beide herzlich wie eine Mutter. Sie hatte sich ebenso Sorgen um Kaito gemacht und war mehr als froh, ihn nun an meiner Seite anzutreffen. Ich schilderte ihr kurz die Vorfälle und erzählte ihr, dass ich Kaito vorübergehend bei mir aufgenommen hatte. »Alan. Ich bin froh darüber. Wirklich froh. Du bist gut für den Jungen.« meinte sie lächelnd zu mir, als Kaito sich kurz zu den Tieren zurückzog, die er ja nun schon eine Weile nicht besucht hatte. »Ich bin auch froh, ihn bei mir zu haben, Elene. Wirklich froh… ich hätte ihn nicht noch einmal in diesem Zustand sehen können.« Versonnen beobachtete ich Kaito, während Elene nachdenklich zu mir aufsah und meinen Blick sofort richtig deutete. »Alan, bist Du verliebt?« fragte sie unverblümt. Ihre offene Art war manchmal wirklich, hm, schwierig. Im ersten Moment hatte ich Mühe, dem raschen Wechsel des Gespräches zu folgen. »W-was?« »Ich bin vielleicht alt, aber nicht blind. Und blöd schon gar nicht. Dein Blick spricht Bände und verrät dich. Du hast dich verliebt.« Ich spürte, wie ich tatsächlich errötete und drehte die Sonnenbrille nervös in den Händen, während ich mich schrecklich ertappt fühlte und versuchte überallhin zu sehen, nur nicht zu Kaito. Ich wusste nicht, was Elene von dieser Sache halten würde. Würde sie die Liebe zwischen zwei Männern gutheißen? Würde sie mir Vorhaltungen machen, weil Kaito noch nicht volljährig war? Die grauhaarige Frau lächelte milde und schien meine Gedanken schon wieder überdeutlich lesen zu können, ob auf meinem Gesicht oder aus meiner Haltung wusste ich nicht. »Alan, es ist okay. Ich verurteile dich nicht dafür. Die Liebe geht manchmal seltsame Wege. Doch auch wenn diese noch so unüblich sind, heißt das nicht, dass sie falsch sind.« Sie sah wieder zu Kaito. »Nur frage ich mich eben, wie du diese Sache zu einem guten Ende für alle bringen willst. Kaito mag dich sehr. Er mochte dich schon, als du es noch nicht mal bemerkt hast. Ich will ihn nicht wieder unglücklich sehen, Alan.« Fast klang dies ein wenig drohend. »Ich habe nicht vor, ihn unglücklich zu machen, Elene…« sprach ich leise, aber ehrlich, während mein Blick unverwandt auf Kaito hing, der einen Hund gerade über die Wiese jagte. Elene nahm ihre Brille ab und putzte diese gedankenverloren an ihrem Pullover. »Wenn du dir deiner Gefühle nicht sicher bist, dann mach ihm keine Hoffnungen. Dieser Junge hat Glück verdient, Alan. Du bist verheiratet, hast Kinder. Du musst dir bewusst darüber sein, was du aufgeben und was du gewinnen willst.« Elene rührte wieder an jenen unsicheren Punkten in mir, die mir zu schaffen machten. Doch sie hatte ja recht. Ich würde viel aufgeben. Ich würde viel zerstören. War ich bereit dafür? War ich bereit, mich der Welt und ihrem Urteil zu stellen? Denn man würde urteilen. Über mich, über meine Familie, über mein Leben. Es würde Gerede geben. »Ich kann ihn nicht mehr gehen lassen. Ich bin mir jetzt fast sicher, dass ich…« Die nächsten Worte wählte ich mit bedacht und horchte in mich, nur um zu erfahren, dass sie der Wahrheit entsprachen. »….ihn liebe.« Ich seufzte leise und sah zu der alten Dame hinüber, die ebenso einen tiefen Seufzer von sich gab und dann ergeben lächelnd den Kopf schüttelte. »Irgendwie war mir schon klar, dass es so kommen musste. Ich bitte dich nur um eines, Alan. Bedenke deine Entscheidung gut. Wäge ab und handel nicht überstürzt. Denn egal welchen Weg du schlussendlich wählst, der andere wird dir dann verschlossen bleiben.« »Ich habe nicht vor, etwas Dummes zu tun, Elene. Es ist nur…weißt du, es ist seltsam.« Meine Stimme war ein wenig leiser geworden und die grauhaarige Frau sah mich neugierig an. »In Kaito’s Nähe fühle ich mich einfach…frei. Wie ich selbst. Ungezwungen und glücklich. Ich weiß, dass er einfach zu mir gehört.« Die alte Tierheimbesitzerin nickte langsam und bedächtig, dann drückte sie mir wieder mütterlich den Arm. »Dann ist es wohl Schicksal.« Ob es wirklich Schicksal war, wusste ich nicht. Doch es war ein schönes Gefühl, es so zu sehen. Denn wenn es wirklich vorherbestimmt wäre, dass ich Kaito traf und sich diese Gefühle zwischen uns entwickelten, dann konnte es doch gar nicht falsch sein, oder? Dann musste es doch von Gott gewollt sein. Ich versicherte Elene, dass ich Kaito’s Gefühle nicht verletzen würde, denn ich war mir sicher, dass sie mich nicht gehen lassen würde, bevor ich ihr das nicht versprochen hatte. Du machst in letzter Zeit ziemlich viele Versprechungen, Alan. Bist du sicher, dass du die auch alle halten kannst? Die rüstige, alte Dame regierte auch nicht mürrisch, als ich sie mit Kaito gemeinsam auf die Bezahlung des Jungen ansprach. Ihr war es ja eh schon lang ein Dorn im Auge gewesen, dass Kaito völlig ohne Lohn seine Hilfe hier anbot. Nachdem das alles geklärt war, schwang ich mich mit Kaito wieder auf mein Motorrad und fuhr in die Stadt zurück. Die Kanzlei würde ich vorerst meiden, da ich ja offiziell im Urlaub war und keine Lust hatte, mich lästigen Fragen zu stellen. Zumindest noch nicht. Das würde wahrscheinlich eh noch früh genug auf mich warten. Ich suchte ein Kino in der Innenstadt und erhielt Zustimmung und ein erfreutes Lächeln von Kaito. Uns beiden würde es vielleicht einmal ganz gut tun, für ein paar Stunden an nichts denken zu müssen und in einer visionären Welt zu versinken. Die Gedanken über die Zukunft konnten wir uns immer noch machen. Später. Vorerst sollten wir die Zeit genießen, die wir zusammen hatten. Denn uns beiden war klar, dass dies nicht ewig währen konnte. Das Kino war fast leer zu dieser Tageszeit, sodass ich mit Kaito in der letzten Reihe Platz nehmen konnte. Wir hatten uns beide für einen Fantasyfilm entschieden. Ohne lang zu überlegen, war unsere Wahl auf diesen Streifen gefallen. Auch hier hatten wir sofort die gleichen Vorlieben. Ab der Mitte des Filmes fiel es mir zunehmend schwerer, dem Verlauf der Geschichte aufmerksam zu folgen. Der Junge neben mir erschien doch immer noch interessanter als alles andere. In der Dunkelheit des Vorführraumes konnte ich unbeschwert meine Sehnsucht ausleben, ihn zu berühren. Ich hatte den Arm um Kaito gelegt und er war sofort ohne zögern gegen mich gesunken. Immer wieder fuhr meine Hand über seinen zarten Nacken, dann strichen meine Finger durch sein weiches Haar. Kaito hatte die Hand auf meinen Oberschenkel gebettet, was ich zuerst gar nicht bemerkt hatte. Doch als diese zarten Finger höher wanderten und sich gefährlich nah an meinem Schritt ablegten, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an die Hand des Jungen. Der Film war vergessen. Hm, prima, Alan. Also ich dachte eigentlich, du willst das hier zur Ablenkung nutzen, nicht um die Dunkelheit für deine niederen Gelüste zu missbrauchen. Was konnte ich denn dafür, dass er seine Hand dorthin legte? Der junge Japaner schien meine Zwickmühle recht deutlich zu bemerken und ich war mir mehr als sicher, dass er die Macht, die er über mich hatte, genoss. Sofort schob sich seine Hand über meinen Schritt und begann auf dem Stoff meiner eh schon engen Hose massierende Bewegungen zu vollführen. Es kostete mich all meine mühsam zusammengekratzte Beherrschung, nicht aufzustöhnen und die Leute ein paar Reihen vor uns darauf aufmerksam zu machen, was hier hinten passierte. Ich fiel leise keuchend gegen Kaito und vergrub das Gesicht in dessen Haar, um meine verräterischen Laute ein wenig zu dämpfen. »Kaito….keine….gute Idee…« wisperte ich rau am Ohr des Jungen, nur um daraufhin dessen Ohrläppchen mit den Zähnen einzufangen. Kaito dachte gar nicht daran, aufzuhören. Eher schienen ihn meine Worte noch anzustacheln. In der Dunkelheit suchte er meine Lippen, um mir kurz die Wärme seines Mundes zu gewähren. »Warum musstest du auch solche Sachen anziehen, Alan….das ist gemein. Das ist unfair…ich muss dich einfach berühren…« flüsterte er heiser zurück. Naja, ich würde später wohl nie behaupten, dass ich nicht genau das irgendwie damit bezweckt hatte, aber in jenem Moment kämpfte ich noch mit mir selbst. Es war seltsam reizvoll zu wissen, dass wir jederzeit erwischt werden konnten. Dieser Reiz des Verbotenen machte mich noch geiler und trug nicht gerade dazu bei, Kaito von seinem Vorhaben abzubringen. Schlussendlich rutschte der junge Japaner in seinem Sitz nach unten und kniete zwischen meinen Beinen nieder, versteckt durch die Sitze und die Dunkelheit. Das Geräusch meines Hosenverschlusses nahm ich sehr deutlich wahr und als Kaito’s Lippen sich über meine Erregung schoben, die die ganze Zeit schon darum gebettelt hatte, war mir eh alles egal. Ich biss mir schmerzhaft auf die Lippen und presste die Zähne so fest zusammen, dass der Druck rasch unangenehm wurde, nur um jeden Laut meinerseits schon in mir zu ersticken. Verflucht, ich bestand wirklich nur noch aus Verlangen und Sehnsucht, wenn Kaito mich berührte, der nicht nur mein Glied in jenem Moment in der Hand hielt, sondern auch mein Leben und meine Zukunft, so schien es mir. Ich wusste am Ende wirklich nicht mehr, wie ich es geschafft hatte, jedes Stöhnen zu unterdrücken und äußerlich ruhig auf meinem Sitz zu bleiben, während der Mund des Jungen mich zu höchster Verzückung trieb, doch irgendwie hatte ich es wohl geschafft. Mein Aufbäumen und das lustvolle Keuchen, was sich doch über meine Lippen stahl, als ich den Höhepunkt erreichte, ging glücklicherweise im Getöse des Filmes unter, als der Titelheld seinen Sieg über den Feind feierte. Ich allerdings war verloren. Nur nicht in die Hände eines Feindes, sondern in die Hände eines jungen Japaners, der mich mit seiner Art und seinem Wesen völlig in seinen Bann gezogen hatte. Nun, es scheint, als hättest du deine Entscheidung schon getroffen, Alan. Das hatte ich. Das hatte ich wirklich. Kapitel 22: Der harte Boden der Tatsachen ----------------------------------------- Der Abspann des Filmes drang wie durch einen dichten Nebel zu mir, der jedes Geräusch und jede äußere Empfindung dämpfte wie ein Kissen. Ich war völlig in mich zurückgezogen, lauschte meinem Herzschlag und dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Meine Gefühle schwankten zwischen Verlegenheit und höchstem Glück, während auch die Scham ein wenig an mir nagte. Was wir hier eben getan hatten, dass war…. Nicht richtig, Alan? Falsch? Schändlich? Nun, vielleicht. Doch ich hatte Gefallen daran gefunden, was zu leugnen doch ziemlich sinnlos gewesen wäre. Kaito saß inzwischen wieder in seinem Sitz neben mir, an mich gekuschelt, als wäre nie etwas gewesen. Allein unsere verschränkten Finger zeugten davon, dass etwas passiert war. Mein Atem beruhigte sich irgendwann, während mein Daumen seichte Kreise auf dem Handrücken des jungen Japaners zog. War dies eben wirklich geschehen? Wusste Kaito, welchen Damm er in mir zum Einsturz gebracht hatte? Wahrscheinlich konnte er es nicht einmal erahnen, welche Veränderungen allein seine Gegenwart bei mir bewirkte. Mein Leben war ein einziges, farbloses Dahingleiten von Momenten bisher gewesen. Nun, an Kaito’s Seite, erwachte ich zu wahrem Leben. Bevor die Lichter wieder angingen und das Ende der Vorstellung verkünden würden, schlang ich den Arm um Kaito und zog ihn eng an mich, um ihn mit Feuer zu küssen. Ich schmeckte mich selbst in der verhängnisvollen Süße seines Mundes und verlor mich in dem Gefühl, diesen Jungen zu besitzen. Kaito ließ sich willig in den Kuss fallen, während seine Hände sich in meinem Haar vergruben und mich näher an ihn zogen. Wie hatte ich bisher nur ohne diesen Jungen leben können? Es wurde heller im Kinosaal und die Zuschauer ein paar Reihen vor uns standen bereits auf, was uns dazu veranlasst, uns doch wieder voneinander zu lösen und ebenfalls den Ausgang aufzusuchen. Es war unglaublich schwer, meinen Arm nicht um Kaito’s Hüfte zu legen, um der ganzen Welt zu zeigen, dass er mir gehörte. Und ich spürte dieselbe krampfhafte Beherrschung bei Kaito, der immer wieder beim Gehen fast beiläufig meine Hand mit seiner streifte und mir ein sachtes Schmunzeln entlockte. Die Wolke der Freiheit und Freude, auf der ich schwebte, wurde jäh zerstört und ließ mich auf den harten Boden der Tatsachen knallen, als ich ein Tippen auf der Schulter verspürte. »Alan?!« Scheiße. Ich wand den Kopf sehr langsam und mehr mechanisch, sah in das ein wenig überraschte Gesicht von James, der mich prüfend musterte. In seinem Arm lag wohl seine neueste Eroberung, eine zarte Blondine, die sich an ihn geschmiegt hatte. Verdammte. Scheiße. Was machte er denn hier? Hm, Alan, ich würde sagen, er war im Kino. Und wie es aussieht, noch im selben Film wie du und Kaito. … Hatte er…uns gesehen? Im Kino? Gut, nun war ich mir sicher, dass Gott einen besonderen Reiz empfand, mich in außerordentlich schwierige Situationen zu stecken, um dann zu beobachten, wie ich mich retten würde. James grinste nun freudig, da er mich erkannt hatte und drückte die Frau neben sich noch näher an sich. Sein Blick schweifte zuerst nur flüchtig über Kaito, der neben mir stehen geblieben war und schweigend die Situation auf sich wirken ließ. Der Junge hatte mit Sicherheit bewusst sofort einen größeren Abstand zu mir eingenommen und nickte den beiden nur höflich zu. James verengte die Augen und sah noch einmal zu Kaito, dann konnte ich das Aufblitzen von Wiedererkennen in seinen grünen Augen sehen. Fantastisch. Er erinnerte sich. Er hatte, wie wohl noch einige andere aus der Kanzlei, Kaito bereits gesehen, als dieser mich vor einer ganzen Weile im Büro aufgesucht hatte. Außerdem war James auch an jenem verhängnisvollen Abend dabei gewesen, als ich Kaito das erste Mal in der Bar singen gehört hatte. Ich konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten begann. »Alan. So eine Überraschung, dich hier zu treffen. Ich dachte, du wärst im Urlaub?!« richtete James das Wort wieder an mich und endlich glitt sein Blick auch von Kaito. Dieses beengende Gefühl, was sich von meiner Brust zu meiner Kehle ausbreitete, war nicht gerade angenehm. Ich hatte zunehmend das Gefühl, dass mir die Luft aus den Lungen gesaugt wurde. Alan, du solltest langsam etwas antworten. Es sieht ziemlich blöd aus, wenn du wie ein hirnloser Affe hier stehst und schweigst. Das macht dich erst recht verdächtig. Mist. Mist. Mist. »Ja, das war eigentlich geplant. Aber…es ist anders gekommen. Lisa ist allein gefahren.« erwiderte ich schleppend und setzte jene Miene auf, die eigentlich ziemlich deutlich ausdrückte, dass dieses Thema heikel war. Komm schon, frag nicht weiter nach. Hau einfach ab. Doch James war leider kein Mensch, der das Feingefühl für sich entdeckt hatte. Er nickte zwar knapp, doch seine Neugier war noch nicht befriedigt. »Verstehe. Habt euch wohl gestritten?! Naja, wird schon wieder.« Halt doch einfach die Klappe… Ich konnte förmlich spüren, wie sich Kaito immer mehr in sich zurückzog und diese Maske der Gleichgültigkeit wieder fest auf sein hübsches Gesicht legte, um jedes Gefühl zu verbergen. Diese Themen, die ich eigentlich hatte meiden und verdrängen wollen, zerrte James gnadenlos wieder ans Tageslicht. Naja, ewig hättest du dich eh nicht deinen Illusionen hingeben können, Alan. Irgendwann musste dieser Moment ja kommen. James küsste die Blondine neben sich auf die Wange und deutete dann mit einem Nicken seinerseits auf Kaito. »Wer ist denn dein Freund, Alan? Der kommt mir irgendwie bekannt vor.« Ach Gott, warum tust du das? Warum sendet das Schicksal genau diesen Mann, der so feinfühlend wie eine Dampfwalze über jedes Gefühl rollte, ausgerechnet hier her? Was sollte ich jetzt antworten? Oh, das ist der Junge, in den ich mich verliebt habe, James. Du wirst es kaum glauben, aber ich fürchte, ich stehe neuerdings auf Männer. Schönen Tag noch… Ziemlich blöde Idee. »Das ist Kaito. Du kennst ihn wahrscheinlich noch von dem ~Black Roses~. Er hat dort gesungen.« klärte ich meinen Kollegen sachlich auf und trat unmerklich näher zu Kaito. Es verletzte ihn bestimmt, dass ich nicht offen zu ihm stand, auch wenn er es mit Sicherheit einsah. Doch der Schmerz würde bleiben. James nickte langsam, während er sich das Kinn rieb. »Ah, stimmt. Da war was. Aber…« Schon wieder hing sein forschender Blick meiner Meinung nach viel zu lang auf dem jungen Japaner. »…den hab ich doch auch schon mal in unserer Kanzlei gesehen, oder?« Warum hatten einige Menschen eigentlich diese besondere Begabung, nie zu merken, dass sie fehl am Platz waren? Ich öffnete gerade die Lippen, um eine Antwort zu geben, als mir Kaito zuvor kam. »Ich suchte fachlichen Rat zu einem Problem. Mister Harpor war so freundlich, mir zu helfen.« erklärte er tonlos. Himmel, woher nahm dieser Junge nur seine Kraft? Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, mich in eine verfängliche Situation zu bringen und somit dieses ganze Versteckspiel sofort zu beenden. Doch er half mir und wartete geduldig. Er würde es mir überlassen, wann ich diesen Schritt tat, mein Leben vielleicht für immer zu ändern und würde das nicht mit ein paar falsch gewählten Worten beeinflussen. Gott. Ich verehre diesen Jungen. James nickte erneut, dann schien ihm schon wieder etwas einzufallen. »Und dann hast du den Jungen ins Kino eingeladen, Alan?« fragte er lauernd. »Ich habe Mister Harpor eingeladen. Als Dank für seine Hilfe.« beantwortete der junge Japaner die Frage höflich und schlicht. Bevor mein Kollege auf die Idee kommen konnte, noch weitere Fragen zu stellen, deutete ich nun meinerseits auf die junge Blondine. »Was ist denn mit der kleinen Kellnerin von letzter Woche? Schon wieder vorbei?« Nun, dieser Punkt ging dann deutlich an mich. Die schlanke Frau schickte sofort einen finsteren, empörten Blick Richtung James, der sich zu winden begann wie ein Aal. »Ähm…naja…« Aus dem Augenwinkel sah ich das sachte Schmunzeln Kaito’s. Ich hob die Hand und verabschiedete mich kurz und knapp. »Nagut, wir müssen weiter. Man sieht sich, James.« Wir verließen das Kino mit raschen Schritten und fuhren mit dem Motorrad zu mir zurück. Ich fühlte mich auf dem ganzen Heimweg schlecht. Ich hatte gewusst, dass solche Situationen unweigerlich kommen würden und doch war es ein ziemlicher Schock gewesen, James zu treffen. Zum Glück hatte er offensichtlich nicht mitbekommen, was in der Dunkelheit im Kino geschehen war. Ich fühlte mich Kaito gegenüber jedoch furchtbar. Eben wie ein Drecksack. Dein Selbstmitleid ist ja furchtbar, Alan. Es liegt doch an dir allein, die ganze Situation zu ändern. Du hast es in der Hand. Kaito wartete geduldig, während ich das Motorrad an seinen Platz in der Garage zurückrollte. Seine Miene verriet wieder einmal gar nichts. Für jeden Schritt, den ich auf ihn zumachte, schien ich manchmal zwei zurückgetrieben zu werden, immer dann, wenn ich meine Gefühle versuchte zu verstecken. Diese Welt war nicht gerecht. Nein, das war sie nicht. Denn wenn sie das gewesen wäre, hätte ich Kaito jetzt ohne zu zögern sagen können, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Ich hätte keine Angst vor den Folgen haben müssen. Es stand niemanden frei, sich einfach zu verlieben. Denn wir wurden in Formen und Erwartungen gesteckt, die wir einfach erfüllen mussten, um ein Leben ohne Hindernisse führen zu können. Selbst etwas Reines wie die Liebe wurde in dieser Welt bestimmt und geregelt, durch Gesellschaft, Sitten, Geld und augenscheinliche Vorbestimmung. Nein, wir waren nicht frei. Freiheit war eine Lüge. Ich trat zu Kaito und strich vorsichtig über seine Wange, suchte seinen Blick, um ihm damit, zumindest damit, verständlich zu machen, dass ich ihm allein gehörte. Egal, was ich nach außen verkörpern musste, mein Herz besaß dieser Junge. »Tut mir leid, Kaito…« murmelte ich leise und lehnte die Stirn leicht gegen seine, um für einen Moment die Augen zu schließen. Der junge Japaner hob ebenfalls eine Hand an meine Wange und verschloss meine Lippen mit einem seiner Finger. »Es ist gut, Alan. Es ist okay.« Ich hatte sein Verständnis nicht verdient. Und trotzdem war ich mehr als froh darüber. Die Zeit der Illusionen war vorbei. Das war mir nun bewusst. Dass nun untrüglich ein neues Kapitel in meinem Leben beginnen würde, wurde mir unmissverständlich am nächsten Morgen klar, als mich ein spitzer Schrei aus dem Schlaf riss. Ich fuhr in meinem Bett auf und hörte zuerst nichts außer meinem rasenden Herzschlag. Hatte ich nur geträumt? Nein, das hatte ich leider nicht. Hastige Schritte und eine aufgeregte Mädchenstimme auf der Treppe vor meinem Schlafzimmer brachten mich sehr schnell in die Realität zurück. Verflucht. Ich schwang mich fast panisch aus dem Bett und rutschte beinahe auf dem Boden aus, als ich hastig zur Tür rannte und diese aufriss. Susan stand völlig aufgelöst auf der Treppe, ein Handtuch an sich gepresst und kreidebleich im Gesicht. Lisa kam die Treppe gerade herauf gestürmt, sah besorgt auf unsere Tochter, bevor sie auch mich entdeckte. »Mama…da…da ist ein nackter Mann im Bad….« Susan deutete hektisch auf die Tür des Badezimmers, die nur leicht angelehnt war. Ich brauchte deutlich zu lange, um zu begreifen, was hier eben geschehen war. Im ersten Moment war ich einfach völlig perplex, dass meine Familie wohl doch schon früher zurück war. Sie hätten eigentlich noch gar nicht hier sein dürfen… Wie erstarrt stand ich da, sah die heranrollende Katastrophe, doch war unfähig, sie abzuwenden. Lisa rannte die Treppe hinauf, warf mir einen finsteren Blick zu und riss die Tür zum Bad mit einem Ruck auf. Kaito stand völlig überrascht dahinter, nur ein Handtuch um die Hüfte und wusste gar nicht, was er sagen oder tun sollte. Er hob ein wenig unbeholfen die Hand und winkte meiner Frau und meiner Tochter zu. »…Guten Morgen…« Oh. Scheiße. So war das Ganze nicht geplant gewesen. Lisa fuchtelte völlig aufgebracht in Richtung Kaito, ihr flammender Blick hatte mich wieder fixiert. »Was ist denn hier los, Alan? Wer ist das?« Susan schien sich schneller wieder gefangen zu haben und musterte Kaito jetzt eher interessiert; eben mit den Augen eines bald 14-jährigen Mädchens, das vielleicht zum ersten Mal einen halbnackten, jungen Mann sah. Leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Lisa kam auf mich zu und packte mich am Kragen meines Morgenmantels. »Alan?! Was soll das?« So aufgebracht hatte ich meine Frau selten erlebt. Ihr die ganze Wahrheit zu sagen, wäre ein Hammer, den sie nun sicher nicht verkraftet hätte. »Beruhige dich erstmal. Lisa, bitte.« Ich befreite mich aus ihrem Griff, zog die Badezimmertür zu, da Susans Blick eindeutig zu lang auf Kaito klebte und bedeutete meiner Tochter, wieder nach unten zu gehen. »Sieh bitte nach Colin, Susan.« Den Kleinen konnte ich leise von unten vernehmen. Dann griff ich nach Lisas Arm und zog sie mit ins Schlafzimmer. Meine Frau kochte vor Wut. Sofort, als die Tür geschlossen war, wirbelte sie zu mir um und verpasste mir eine Ohrfeige. Der Schmerz schaffte es dann, mich ganz wach werden zu lassen. Gut, das hatte ich wohl verdient. Naja, eigentlich hast du noch viel mehr verdient, Alan. »Ich will jetzt endlich wissen, was hier los ist, Alan!« fauchte mich Lisa an. Ich hob beruhigend und auch ein wenig abwehrend die Hände. »Du solltest zuerst aufhören, zu schreien.« Das waren eindeutig die falschen Worte. »Ich schreie, soviel ich will, Alan. Das ist immerhin auch mein Haus. Mein Haus, indem du einfach fremde Leute einquartierst. Was soll der Scheiß, Alan? Weißt du, wie ich mich fühle? Du hast die ganze Zeit nicht angerufen. Die ganze Zeit hast du dich einen Scheißdreck für deine Familie interessiert. Der einzige Anruf, den ich von dir bekam, ist schon Tage her. Du klangst so aufgelöst, dass sich mir Sorgen gemacht habe. Ich machte mir auch noch Sorgen, ich dumme Kuh!« Lisa lief aufgebracht im Zimmer auf und ab und machte ihrer Wut Luft. Ich wusste, dass es besser war, sie erstmal ihren Frust ausleben zu lassen. Sie jetzt zu unterbrechen, wäre tödlich gewesen. Sie hatte ja auch recht. Mit jedem Wort hatte sie recht. Jedes Wort von ihr war ein Peitschenhieb, der auf mich niederging und mir schmerzhaft klar machte, was ich getan hatte. Und was ich noch im Begriff war zu tun. Kannst du dir vorstellen, wie sie erst reagiert, wenn sie die ganze Wahrheit erfährt, Alan? »Ich hab mir solche Sorgen gemacht, dass wir sogar eher nachhause gekommen sind. Und was muss ich vorfinden?! Der Herr lässt es sich gut gehen und feiert wohl noch Partys, während wir verreist sind. Ich glaub es nicht, Alan. Ich glaub es einfach nicht.« Okay, Lisa hatte die Situation offensichtlich ganz falsch gedeutet. Augenscheinlich dachte sie, Kaito wäre nur über Nacht geblieben, weil ich ein Saufgelage veranstaltet hatte. Als ob der einzige Grund, warum ich nicht mit meiner Familie gefahren war, allein meine Sehnsucht nach wilden Partys wäre… »Was ist nur mit dir los, Alan? Ich erkenne dich nicht mehr.« Meine Frau war wieder zu mir getreten und sah mich nun mehr verzweifelt an, wartete auf eine Antwort. Auf eine logische Erklärung. Ich ergriff ihre Schultern und ließ die Hände dort, auch wenn sie sich anfänglich dagegen wehrte. »Lisa. Ganz ruhig, okay? Lass es mich erklären.« Wow, auf die Erklärung bin ich mal gespannt, Alan. Meine Frau offensichtlich auch, denn sie hatte die Arme abweisend verschränkt und hob eine Braue, um mich mit aufforderndem Blick anzusehen. Gut, die Wahrheit war keine gute Idee. Ich konnte ihr jetzt einfach nicht sagen, was mich bewegte. Dass meine Gefühle für sie nachgelassen hatten. Dass ich mich verliebt hatte… Ich konnte sie nicht so verletzen. »Der Junge ist ein Bekannter aus dem Tierheim. Ich hab ihn nur vorübergehend hier aufgenommen, okay? Er war es auch, der im Krankenhaus lag.« Ich hielt meine Frau weiter an den Schultern fest und suchte eindringlich ihren Blick, während ich meine Stimme auf einen beschwörenden Tonfall senkte. »Er hat es nicht einfach zuhause. Sein Stiefvater hat ihn auf schlimmste Art und Weise misshandelt. Ich konnte ihn doch nicht allein lassen. Er braucht Hilfe, Lisa.« Du scheinheiliger Lügner. Wie lang willst du dich noch so vor der Wahrheit verstecken, Alan? Mit dem Appell an Lisas Menschlichkeit hatte ich offenbar den richtigen Punkt getroffen. Ihre Anspannung ließ ein wenig nach und sie sah mich misstrauisch, wenn auch schon ein wenig ruhiger an. »Und das ist wahr?« »Ich schwöre es. Ich hab ihn mit hierher genommen, weil ich nicht wollte, dass er dorthin zurück muss. Zu diesem Arsch von Vater. Verstehst du?« Langsam ließ ich meine Frau los und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Es soll ja nur vorübergehend sein. Er hat nichts, wo er sonst hinkönnte.« Lisa holte tief Luft und sah für einen Moment zur Seite; ich bemerkte, wie sie nun mit sich rang und offensichtlich die Wahrheit meiner Worte ab wägte. Schlussendlich sah sie mich wieder an und tippte mir mit dem Zeigefinger drohend auf die Brust. »Gut. Vorübergehend. Ich glaube dir, Alan. Weil ich keine Lügen von dir gewohnt bin. Aber ewig wird das nicht gehen. Lass dir etwas anderes für den Jungen einfallen.« Sie blickte mich noch einen Moment forschend an, dann schob sie sich an mir vorbei und verließ das Schlafzimmer. Ich sackte kraftlos gegen die Tür und lehnte den Kopf gegen das Holz im Rücken. Oh, verflucht. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Naja, denken tust du in letzter Zeit eh wenig, Alan. Ich hatte mich vorerst um eine Katastrophe gedrückt. Doch die nächste würde mit Sicherheit folgen. Und die wäre dann wohl noch gewaltiger. Es wurde langsam Zeit für klärende Worte, denn die Schlinge zog sich enger. Ich verwickelte mich immer mehr in meinen Gefühlen und Ängsten, sodass es kein gutes Ende mehr geben konnte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So, heute mal ein Kommi meinerseits. :) Erst mal wieder ein herzlicher Dank für alle Leser meiner Geschichte und die stets positive Rückmeldung. Ich bin selbst überrascht, wie weit es diese Geschichte schon gebracht hat. Anfangs war vielleicht Stoff für 10 Kapitel geplant und nun… O.o Die Charaktere entwickeln immer mehr ihr Eigenleben und betreten Wege, die ich vorher gar nicht so geplant hatte. :D Um es vorweg zu nehmen, ja, Alan ist feige. Oder sagen wir besser, er sucht den Weg des geringsten Widerstandes. Er hat wieder einmal die Wahrheit geschickt umgangen. Doch man sollte es ihm gutheißen, dass er eigentlich nur niemanden verletzen will. Außerdem habe ich noch so viele Ideen im Kopf, die ich ja mit einem vorschnellen Ende gar nicht umsetzen könnte. ;) Also möge man Alan sein Verhalten vergeben. Mit diesem Kapitel wäre dann auch KaNi´s Frage geklärt, wann seine Familie zurückkommt. ^.^ Na ich hoffe, es gefällt euch, bis zu nächsten Mal! Kapitel 23: Unumstößliche Wahrheit ---------------------------------- Kaito lebte also in den nächsten Tagen und Wochen mit unter meinem Dach. Lisa hatte sich nach ihrer anfänglichen Skepsis recht schnell mit der Situation und dem jungen Japaner abgefunden. Vielleicht entwickelte sie sogar so etwas wie Muttergefühle für Kaito, da ihr sein Schicksal doch irgendwie zu Herzen ging. Begeistert war sie natürlich immer noch nicht darüber, dass ich ihn einfach hier einquartiert hatte, doch Kaito wurde rasch fast zu einem Teil der Familie. Er war stets nett, half im Haushalt und kümmerte sich rührend um Colin, wenn dort Not am Mann war. Selbst Susan gab er Nachhilfe in problematischen Fächern, das alles noch neben seiner Schule, der Arbeit im Tierheim und den Stunden in der Kanzlei. Ich hatte ihm einen kleinen Praktikantenjob organisiert, der meist das Sortieren von Akten und das neu Katalogisieren des Archives beinhaltete. Der junge Japaner machte seine Arbeit gewissenhaft, war fleißig und ehrgeizig. Ich fragte mich nicht selten, wie dieser Junge das alles schaffte. Die Schule nahm viel Zeit in Anspruch, trotz allem half er weiter Elene mit den Tieren und brachte selbst in der Kanzlei höchste Leistung. Und auch zuhause konnte niemand ein schlechtes Wort über ihn verlieren. Colin hatte einen wahren Narren an Kaito gefressen; der Kleine sah ihn wohl schon als älteren Bruder. Selbst Susan legte ihr flegelhaftes Verhalten ab und bemühte sich verdächtig viel für die Schule und um gutes Benehmen. Mir war klar, dass das allein Kaito’s Verdienst war, der diese Wandlung bei meiner Tochter hervorgerufen hatte. Wie sie Kaito immer öfter ansah, mit diesen glänzenden Augen, ging mir durch Mark und Bein. Meine Tochter entwickelte nicht nur rein freundschaftliches Interesse an dem jungen Japaner. Verwunderlich war es ja nicht. Kaito sah verdammt gut aus, er war intelligent, zäh und trotz allem trug er diesen Hauch Verletzlichkeit mit sich, der jedes Frauenherz wohl aus Beschützerinstinkt anschwellen ließ. Unter anderen Umständen hätte ich mich für Susan gefreut. Doch nun war alles anders. Kaito gehörte mir. Nur mir. Scheiße, ich war eifersüchtig auf meine eigene Tochter. Sie konnte sich ihm unbefangen nähern, ihn immer wieder scheinbar unbeabsichtigt berühren und mit ihm offen lachen, selbst wenn Lisa in der Nähe war. Sie musste das begehrliche Glimmen in den Augen nicht verbergen. Niemand würde sich an der Verliebtheit eines jungen Mädchens empören. Kaito hatte die zarten Annäherungsversuche meiner Tochter auch bemerkt. Höflich hielt er sie auf Abstand, ohne abweisend zu wirken. Für mich war es reinste Folter. Pure Qual, Tag für Tag. Es dauerte nicht lang und ich wusste, dass dies mein größter Fehler gewesen war, Kaito hier wohnen zu lassen. Ich hätte das nie zulassen dürfen. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass es so weit kam. Ich wurde fast wahnsinnig vor Sehnsucht nach dem jungen Japaner und in den dunklen Augen Kaito’s konnte ich lesen, dass die ganze Sache auch an ihm nicht spurlos vorüber ging. Er lächelte stets und war freundlich zu meiner Familie. Doch dieses Lächeln und seine herzliche Art war mehr als gespielt. Meine Familie konnte er zwar täuschen, doch mich nicht. Seine Augen verrieten ihn. Sie zeigten seinen Schmerz. Ich hatte uns beide in eine Falle gelockt. Ich hatte uns beide zu Schmerz verdammt. Himmel, ich war so ein dämlicher Idiot. Ich sah Kaito leiden. Er litt wie ich selbst. Doch er war kein so unbedachter Mensch wie ich, dass er mit falschen Worten oder Taten alles zum Einsturz gebracht hätte. Wir versuchten beide die Illusion der Freundschaft aufrecht zu erhalten, während ich für Lisa und die Kinder weiterhin heile Familie spielte. Ich erwischte Kaito nur selten noch allein und ich spürte, wie er mir immer mehr entglitt. Er schien mir fast förmlich aus dem Weg zu gehen und mied meinen Blick. Alan, was hast du erwartet? Dass er sich weiter einfach verarschen lässt? Denn genau das tust du. Du verarschst ihn. Du hast ihm deine Nähe und deine Gefühle versprochen. Doch alles, was du ihm gibst, ist eine Lüge und Schmerz. Entscheide dich endlich! Sonst wirst du ihn verlieren. Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich verlor Kaito’s Herz, je mehr ich meiner Familie vorspielte, dass alles in Ordnung war. Meine scheinbar heile Welt zerbröckelte unter meinen Fingern. Alan, du kannst nicht alles haben. Begreif das endlich. Du kannst Lisa nicht glücklich machen und nebenher erwarten, dass Kaito ewig auf dich wartet. Die Zeit lief gegen mich. Weihnachten stand irgendwann vor der Tür; der Schnee war rasch zurückgekehrt und bedeckte das Land mit seiner weichen Kälte, die Märchen und Träume versprach. Zu träumen wagte ich schon lang nicht mehr. Ich fuhr noch am Morgen des 24. Dezembers in die Stadt, um Geschenke für meine Familie zu besorgen. Auch für Kaito fand ich etwas. Die Wahl von dessen Geschenk fiel mir nicht wirklich schwer. Eine Gitarre lachte mich förmlich aus dem Schaufenster eines Musikgeschäftes an. Mir war noch in Erinnerung geblieben, dass Kaito’s Gitarre von seinem Stiefvater zerstört wurden war. Seitdem hatte er nicht mehr gespielt. Ich hoffte, er würde sich freuen. Ich hoffte, er würde durch dieses Geschenk vielleicht meine wahren Gefühle erkennen und mir irgendwie vergeben können. Oh Alan, du bist so dumm. Wirklich. Denkst du tatsächlich, mit einem Geschenk kann man sich ein Herz erkaufen? Ich glaube nicht, dass Kaito ein Geschenk will. Alles, was er will, sind diese bedeutsamen drei Worte von dir, Alan. Lisa hatte unser Haus festlich und stimmig geschmückt, Susan und Colin waren in heller Aufregung. Kaito sah ich bis zum Abend nicht, er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen. Das Abendessen nahmen wir eher schweigend zu uns; über den Tisch hinweg suchte ich immer wieder Kaito’s Blick, doch er starrte auf seinen Teller und wieder einmal war an seiner Miene keine Regung zu erkennen. Für die Bescherung hatten wir uns im Wohnzimmer versammelt; ein großer, schön geschmückter Baum beherrschte den Raum und glänzte neben dem Kamin in traumhaftem Licht. Ja, ich war kurz versucht, meine Sorgen zu vergessen. Dass dieser Abend allerdings ganz anders verlaufen würde, als ich es vielleicht gehofft hatte, das konnte ich da noch nicht ahnen. Wir setzen uns also im Kreis vor den Weihnachtsbaum und packten, vom Prasseln des Kaminfeuers begleitet, unsere Geschenke aus. Susan hatte sich an diesem Abend besonders reizvoll herausgeputzt und natürlich sogleich den Platz neben Kaito beansprucht. Ich versuchte, das eifersüchtige Drängen in mir zu ignorieren, was mit eher mäßigem Erfolg gekrönt war. Die nächsten Minuten liefen seltsam verzerrt wie in Zeitlupe vor mir ab, sodass ich jede Regung, jedes Wort und jeden Blick mehr als überdeutlich wahrnahm. Lisa hatte von mir eine Kette bekommen, die sie sich auch sogleich gerührt umlegte und mir um den Hals fiel, damit sie mir einen Kuss auf die Wange drücken konnte. Ich versteifte mich unwillkürlich und versuchte, das zu verhindern, was mir allerdings nicht gelang. Kaito hatte inzwischen die Gitarre aus dem Papier befreit und auf seinen Schoß gelegt, den Blick darauf gesenkt, wobei ich das Funkeln seiner Augen unter den Haarsträhnen überdeutlich sehen konnte, als er mich in jenem Moment genau fixierte. Susan war begeistert und drückte Kaito ebenso an sich in einem Anfall von jugendlicher Begeisterung. »Cool, eine Gitarre. Kannst du spielen, Kaito? Das musst du mir unbedingt-« Meine Tochter brach erschrocken ab, als der junge Japaner aufsprang und die Gitarre mit einem lauten Missklang gegen die steinerne Wand des Kamines schleuderte. Susan rutschte sofort von Kaito ab und sah ihn an, als wäre er völlig wahnsinnig geworden. Selbst Lisa blickte völlig entsetzt auf den Jungen, ließ die Arme von mir sinken und hatte sichtlich Mühe, zu begreifen, was eben geschehen war. »Kaito…was sollte das denn…!?« brachte sie fassungslos heraus. Niemand hätte mit dieser Reaktion des jungen Japaners gerechnet. Der sonst so stille und beherrschte Kaito keuchte aufgebracht, seine Augen glühten in Schmerz und Verzweiflung, während er allein mich ansah und mit seinem Blick verurteilte. »Es reicht. Es ist genug…« raunte er mit unterdrückten Gefühlen und drehte sich auf dem Absatz um, dann stürmte er die Treppen zum Obergeschoss hinauf. »Kaito! Komm sofort zurück!« Lisa hatte sich schon erhoben, doch ich hielt sie am Arm zurück, rappelte mich selbst auf und drückte meine Frau zurück auf den Boden. »Bleib hier.« »Alan…« Lisa sah nun noch verwirrter aus als vorher. »Was hat er denn? So kenne ich ihn gar nicht.« »Es ist meine Schuld…« gab ich betreten zu und stürmte ebenso die Treppe hinauf. Kaito´s Zimmertür war verschlossen. Ich hämmerte dagegen, erst noch geduldig, dann doch mit Nachdruck und wachsender Verzweiflung. »Kaito. Mach auf. Bitte.« Ich hörte undefinierbare Geräusche von drinnen, das Klappern von Schranktüren und hastige Schritte. »Kaito!« »Verschwinde, Alan!« Diese Worte trafen mich wie Faustschläge hart und unnachgiebig. Meine Seele schien zu bluten; mein Herz in frostige, erstarrte Teile zu zerspringen. Nein. Tu mir das nicht an, Kaito. Schick mich nicht weg von dir. Ich hämmerte weiter gegen die Tür, meine Stimme schraubte sich in leichter Verzweiflung nach oben. »Kaito. Mach auf! Bitte…« Stille. Dann das Drehen des Schlüssels im Schloss. Ich riss die Tür völlig hektisch auf, sah mich Kaito gegenüber, der seine wenigen Habseligkeiten gepackt hatte und im Begriff war, zu gehen. »Kaito…« Ich trat auf den Jungen zu, versucht ihn in meine Arme zu schließen, doch er stieß mich von sich. Seine Augen waren so schmerzerfüllt, dass ein paar vereinzelte Tränen aus den Augenwinkeln rollten. Der schlanke Körper des jungen Japaners zitterte und ich konnte den Kampf der Gefühle in ihm überdeutlich nachempfinden. »Dachtest du, mit einem Geschenk wäre alles geregelt? Alles geklärt?« Kaito schien mich förmlich mit seinem gepeinigten Blick aufzuspießen. »Ich werde gehen, Alan. Ich…ich kann nicht mehr. Ich kann das alles hier nicht mehr ertragen.« Schon hatte er seinen Rucksack auf den Rücken geschwungen und sah mich nicht mehr an, als er versuchte, sich an mir vorbeizuschieben. Ich schnappte nach Luft, fühlte mich wie unter Wasser gedrückt und spürte das Leben langsam aus mir entweichen. Verzweifelt packte ich Kaito’s Arm und versuchte ihn aufzuhalten. Die Abweisung des Jungen war zu viel für mich. Ich durfte ihn nicht verlieren. Ich konnte ihn nicht verlieren. Alan, was hast du denn gedacht, wie lang das noch so weitergeht, hm? Kaito tut das einzig Richtige. Er nimmt dir deine Entscheidung ab. Die Entscheidung, die du schon lang hättest treffen müssen. »Kaito…nein…tu mir das nicht an…bleib bei mir…« wisperte ich erbärmlich flehend. Ich hatte kein Recht, zu betteln. Ich hatte kein Recht, Kaito’s Herz weiter einzufordern. Doch ich wusste, dass ich ohne ihn nicht mehr sein konnte. Der junge Japaner riss sich aus meinem halbherzigen Griff los, die Tränen rannen ihm nun stumm über die Wangen, während seine dunklen Raubtieraugen mir Wut und Verzweiflung entgegen schleuderten. »Ich kann nicht mehr, Alan. Ich kann keine heile Welt mehr für dich spielen und die Hand deiner Tochter halten. Ich habe es versucht…aber ich gehe kaputt daran. Ich sterbe, Alan…ich-« Er brach ab, schüttelte den Kopf, sodass ihm die dunklen Strähnen an den feuchten Wangen kleben blieben. »Ich halte es nicht mehr aus, dich nicht berühren zu dürfen….dich nicht haben zu dürfen…« Ich fühlte mich in jenem Moment so hilflos und so erbärmlich, dass mir selbst meine Stimme den Dienst versagte und allein ein wertloses »Tut mir leid« über die Lippen rollte. Kaito lachte humorlos und schmerzlich auf, während er mich zur Seite drückte, um durch die Tür zu treten. »Es tut dir leid?!….Ist das alles, Alan?« Einen letzten Blick warf mir der Junge über die Schulter zu, ein einziger, verzweifelter Vorwurf in seinen dunklen Augen. »Ich liebe dich, Alan…doch scheinbar ist das nicht genug….« Die Worte sackten langsam in mein träges Hirn. Er liebte mich… Was hast du denn gedacht, Alan? Meinst du, er hätte das alles hier über sich ergehen lassen nur wegen eines flüchtigen Ficks?! Bevor ich noch etwas erwidern konnte, stürmte Kaito die Treppe hinunter und warf meiner Familie noch einen letzten Blick zu. Dann riss er die Haustür auf und verschwand nach draußen. Ich hastete hinterher, fiel die Stufen fast hinab und lief ohne zu Überlegen in den Schnee hinaus, um Kaito zu folgen. Der Junge stieg gerade in ein Taxi, was er wohl vorhin schon gerufen haben musste. »Kaito!« Meine Stimme erklang erbärmlich und verzweifelt in der Nacht, die Schneeflocken tanzten fast hämisch um mich und legten sich neckend auf meinem Haar ab. Kaito sah nicht zu mir zurück, stieg einfach in den Wagen, welcher auch fast sofort hastig davon fuhr. »Kaito!« Ich brüllte schmerzerfüllt auf und fühlte, wie mir das Herz aus der Brust gerissen wurde und mit dem jungen Japaner verschwand. Scheiße. Scheiße. Was hatte ich nur getan? Ich hatte alles versaut. So hoffnungslos hatte ich mich noch nie gefühlt. Noch nie in meinem Leben. Ich war verloren. Ich hatte Kaito verloren. Und es war meine eigene Schuld. Lisa trat hinter mir in die Eingangstür und sah völlig verwirrt auf mich und das davonfahrende Taxi. »Alan? Was ist denn los? Warum geht er denn?« Ich drehte mich langsam wieder um, sah meine Frau eine ganze Weile an und schaffte es nicht mehr, ihr irgendwelche Geschichten aufzutischen. Ich wollte es auch gar nicht mehr. Ich spürte, wie meine Seele langsam zerbrach; wie der Schmerz über diesen Verlust anfing, mich aufzufressen. »Weil ich ein Idiot bin.« Lisa runzelte die Stirn, als ich schleppend an ihr vorbeischritt. »Was?!« Sie griff nach meinem Arm. »Kannst du mir vielleicht mal erklären, was hier eigentlich los ist?!« Leicht verzweifelte Ungeduld schwang in der Stimme meiner Frau mit. Ich blieb stehen, sah Lisa an und wusste in jenem Moment untrüglich, dass ich sie nicht mehr liebte. Die Gefühle, die ich einst für sie empfunden hatte, waren verschwunden. Ich fühlte kein Bedauern mehr darüber. Keine Reue. Nur Leere. Schmerzliche Leere. »Ich liebe ihn.« brachte ich tonlos heraus und sah meine Frau offen und ehrlich an. Es gab nichts mehr zu verstecken, nichts mehr zu verbergen. Auch wenn es jetzt vielleicht zu spät war, sie hatte die Wahrheit endlich verdient. Lisa hatte sichtlich Mühe, diese Worte zu verarbeiten. Sie blinzelte hektisch, schüttelte den Kopf, wie um ihn frei zu bekommen und sah mich dann prüfend, ja fast ungläubig an. »Du liebst ihn?!« fragte sie fast wütend, als hätte ich einen Scherz gemacht, der einfach nicht lustig war. Ich schob ihre Hand von meinem Arm und nickte. »Ich liebe ihn. Schon eine ganze Weile. Ich wollte es dir schon lange sagen, doch ich brachte es nicht fertig, weil ich Dich nicht verletzen wollte. Ich will nur noch Kaito. Ich will mit ihm zusammen sein-« Die schallende Ohrfeige meiner Frau unterbrach mich. Ich wand den Kopf zur Seite, während der brennende Schmerz auf der Wange sich in mich fraß und ließ es über mich ergehen. Zum ersten Mal stellte ich mich allem. Meinen Gefühlen, der Wut meiner Frau und den Folgen meines Eingeständnisses. Lisa hatte die Hand keuchend vor die Lippen gehoben und rang sichtlich um Fassung. Ihre Augen flackerten nervös und ungläubig. »Lügner…du lügst…« hauchte sie verzweifelt. Sie wusste, dass ich nicht log. Wahrscheinlich hatte sie unbewusst die Wahrheit die ganze Zeit über schon gespürt. »Nein. Ich lüge nicht. Es ist die Wahrheit.« Ich sah Lisa wieder an, hielt ihrem verletzten Blick stand, der noch mehr als zuvor zwischen Ungläubigkeit und Schmerz schwang. »Er ist ein Mann, Alan! Du bist doch nicht schwul! Wie kannst du ihn denn lieben? Wie…das ist unmöglich! Du liebst ihn nicht. Du….du lügst…« Die Worte meiner Frau gingen in Schluchzen unter, das sie hinter ihrer Hand zu verstecken versuchte. Ich sparte mir jegliche Worte, die um Verzeihung betteln würden. Kein ~Tut mir leid~ würde hier etwas bessern. Ich hatte viel zu lang mit der Wahrheit gewartet. Nun musste ich mit den Folgen meiner Unsicherheit leben. Mein Handy klingelte irgendwo im Haus. Sofort suchte ich danach, denn nur ein einziger Gedanke hämmerte in meinem Kopf. Kaito. Vielleicht war er es. Ich fand das Telefon unter einigen Zetteln auf dem Küchentisch und klappte es hastig auf, raunte ein flehendes »Kaito!?« in den Hörer. Meine Hoffnungen wurden allerdings zerstört, als sich Elene meldete, die nicht minder aufgewühlt klang. »Alan?! Was ist denn bei euch los, Herrgott? Kaito hat mich gerade angerufen-« Ein Funken Hoffnung entflammte in meinem Herzen. »Was hat er gesagt? Wo ist er? Kommt er zu dir?« »Nein, er hat nur angerufen, um sich zu verabschieden. Alan, er will das Land verlassen. Ich glaube, er will nach Japan zurück…« »….Nein….« Ein eisernes Band schnürte sich um meine Brust und Eiseskälte kroch mir von den Füßen in jeden Teil meines Körpers. Ich würde ihn wirklich verlieren. Endgültig verlieren. »Alan…bist du noch da?! Habt ihr euch gestritten?« »Elene. Wann….wann will er weg? Hat er das gesagt?« bellte ich hastig in das Mikro. »Es klang, als wäre er schon auf dem Weg zum Flughafen. Ich denke, er will heute noch weg.« Ich schlug mit der Faust auf den Küchentisch und wischte die Papiere darauf wütend herunter. »Scheiße!…« Elene´s Stimme klang sachlich und ruhig aus dem Telefon. »Ich weiß zwar nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber wenn du ihn aufhalten willst, dann solltest du dich beeilen. Lass ihn nicht gehen, Alan. Hol ihn zurück. Du liebst ihn doch…« Ich fuhr mir mit der Hand unkonzentriert durchs Haar und nickte, mehr für mich selbst. »Ja, das tue ich…« »Dann sag es ihm endlich, Alan!« Ich war schon drauf und dran, einfach aufzulegen, da hielt mich die Stimme der alten Dame noch einmal auf. »Alan. Die Straßen zum Flughafen sind völlig dicht. Es ist Weihnachten. Wenn du noch rechtzeitig dort sein willst, solltest du auf ein Auto verzichten.« Fast konnte ich ein leichtes Schmunzeln in der Stimme der alten Frau hören. »Danke. Danke, Elene.« Ich legte auf und wand mich um, Susan und Lisa sahen mich von der Küchentür aus schweigend an, Colin schlief in den Armen meiner Frau. In Lisas Augen glänzten Tränen, Susan starrte mich völlig ungläubig an, als hätte sie nicht ihren Vater, sondern einen völlig Fremden hier vor sich. »Wirst du uns jetzt verlassen, Alan? Jetzt…an Weihnachten?« fragte Lisa mühsam beherrscht. Nun Alan, jetzt ist der Zeitpunkt der Entscheidung unumstößlich gekommen. Und wenn du dich nicht ein bisschen beeilst, ist Kaito weg. Für immer. »Verzeiht mir. Aber mein Leben ist Kaito. Ich kann ihn nicht verlieren. Ich brauche ihn. Ich liebe ihn.« brachte ich rau heraus, schob mich zwischen meiner Familie hindurch und stürmte ins Schlafzimmer, um mir hastig ein paar Klamotten überzuwerfen. Ich war mir nun sicher, dass ich meine Familie zurücklassen würde. Und das ich es endlich ohne große Bedenken konnte. Ich liebte Kaito. Und ich musste ihn aufhalten, bevor er vielleicht für immer aus meinem Leben verschwand. Denn ein Leben ohne ihn war für mich undenkbar. Kapitel 24: In letzter Sekunde ------------------------------ Noch nie in meinem Leben war ich so verzweifelt gewesen, so nah am Rande des Wahnsinns, wie in jenen Momenten, die nach dem Anruf von Elene folgten. Ich hatte das Telefon im Laufen wieder aufgeklappt und rief immer wieder Kaito’s Nummer an, jedoch ohne Erfolg. Das war zu erwarten gewesen. Mein Herz raste wie das Herz eines Marathonläufers, während ich aus meinem Haus stürzte, mein Motorrad aus der Garage zerrte und mich auf den Sitz schwang. Eigentlich war es töricht, fast tödlich, wie ich mich verhielt. Ich jagte die aufheulende Maschine völlig rücksichtslos und rasant über die schneeglatten Straßen der Stadt. Alan, wenn du dir jetzt den Hals brichst, wirst du den Flughafen nie rechtzeitig erreichen. Ich machte mir keine Sorgen mehr um mich. Keinen Gedanken verschwendete ich an die Gefahr, an das Drohen eines Strafzettels oder meine Familie, die ich so hartherzig zurückgelassen hatte. In meinem Kopf und in meiner Seele war nur noch Platz für einen Menschen. Für den Menschen, den ich liebte. Über alles. Wieder schoss das Bild Kaito’s in mein Hirn, wie ich ihn gefunden hatte bei seinen Eltern, so völlig hilflos und verletzt. Meine Worte tönten mir wieder in den Ohren. ~Ich lass dich nicht mehr allein. Ich verspreche es.~ Ich Lügner… Ein entgegenkommender PKW pflügte mich fast von der Straße, als ich waghalsig an einem Stau vorbeifuhr, der sich Richtung Flughafen gebildet hatte. Adrenalin schoss mir in brennenden Pfeilen durch die Adern, mein Atem ertönte laut und keuchend im Schutz meines Helmes. Ich holte das Letzte aus dem Motorrad heraus, was mir treu den Dienst erwies, meine harten Forderungen zu erfüllen. In der Ferne, zwischen Schneeflocken und Autoscheinwerfern, konnte ich den Flughafen erkennen. Würde ich es noch schaffen? Würde ich rechtzeitig ankommen oder nur noch dem davonfliegendem Flugzeug nachsehen können? Ich tat in jenem Moment etwas, was ich zuvor noch nie bewusst getan hatte. Ich fing an zu beten. Ich flehte Gott stumm um Vergebung an, für meine Fehler und bat um ein wenig Glück. Nur ein wenig. Denn wahrscheinlich würde mir nur Gott oder das Schicksal jetzt noch helfen können. Alan, ich glaube, selbst wenn du jetzt zu allen bestehenden Glaubensrichtungen konvertierst, du hast Kaito trotzdem verloren. Schnauze. Das wollte ich nicht glauben. Daran dachte ich nicht einmal. Mit quietschenden Reifen und einer halsbrecherischen Bremsung, die mich mit dem Motorrad noch halb über den vereisten Vorplatz des Flughafens schlittern ließ, kam ich endlich an. Viele Köpfe wanden sich mehr als erschrocken in meine Richtung und einige Leute sahen mich völlig entsetzt an, als wäre ich ein Wahnsinniger, der hier so keuchend, in schwarzer Lederkluft auftauchte. Ich ließ mein Motorrad rücksichtslos zurück und stürmte in die Halle des Flughafens, in der meine wahre Prüfung erst begann. Es war Heiligabend und der Flughafen war voll. Zum Bersten gefüllt mit Menschen, die ihre Liebsten über die Feiertage besuchen wollten. Welch Ironie, hm, Alan? Und du versuchst, deinen Liebsten vom Gehen abzuhalten. Ich riss mir den Helm vom Kopf und sah mich schwer atmend um, während Adrenalin und Angst mein Blut zum Kochen brachten. Die meisten Reisenden, die an mir vorbeikamen, sahen mich mit seltsamem Blick an, als wüssten sie nicht, ob sie einen großen Bogen um mich machen oder mir vielleicht helfen sollten. Okay, Alan, dann fang mal an, logisch zu denken. Wo beginnst du am besten mit suchen? Zahllose Durchsagen von Flugaufrufen tönten an mein Ohr neben den summenden und wirbelnden Geräuschen von unzähligen Gesprächen, die sich fast höhnisch in die Höhe zu schrauben schienen und meine Verzweiflung belachten. Okay, dann mal los… Ich stürmte vorwärts und tat wahrscheinlich das einzig Richtige in dieser Situation. Ich suchte die Information auf. Die blonde Frau dahinter lächelte mir recht gequält entgegen, denn scheinbar war auch sie der Meinung, dass ich wahrlich irgendwo entflohen war. »Guten Abend, Sir. Wie kann ich Ihnen helfen?« Ich schlug die behandschuhte Faust auf den Tresen und drückte damit recht deutlich aus, dass ich ungeduldig war. »Flüge nach Japan?! Von welchem Gate?« bellte ich aufgewühlt. Die nette Frau blinzelte ein wenig irritiert und schielte schon verdächtig auf die Sicherheitsleute an den Ausgängen. Okay, Alan. Nun fahr dich mal wieder runter. Wenn du hier gleich aufgegriffen wirst von solchen muskelbepackten Gorillas, dann wird dir das auch nicht helfen. Ich holte tief Luft, fuhr mir mit der Hand durch mein eh schon wildes Haar und bemühte mich bei den folgenden Worten um einen freundlichen Tonfall, jedoch gepaart mit der dringlichen Notwendigkeit, die vermuten ließ, dass es mir verdammt wichtig war. »Von welchem Gate starten heute Abend Flüge nach Japan?« Die blonde Flughafenangestellte wirkte schon ein wenig ruhiger und rief in ihrem PC eine Liste der gewünschten Flüge auf. »Wohin soll der Flug denn gehen? Nach Tokio startet heute Abend ein Flug, der Flug nach Osaka hat leider eine Stunde Verspätung. Sapporo wird noch-« »Tokio. Von welchem Gate aus startet der Flug nach Tokio?« Ich wusste wirklich nicht, warum ich mir sicher war, dass Kaito den Flug nach Tokio wählen würde. Doch einer plötzlichen Eingebung folgend war ich mir sicher, dass ich ihn dort finden würde. Hatte er nicht einmal erwähnt, dass er dort einst gelebt hatte? Wenn er zurückwollte, dann sicher zu seinem Vater. Die junge Frau nickte leicht und fuhr mit den sorgfältig manikürten Fingernägeln über den Monitor. »Das wäre dann Gate 8.« »Und wie komm ich am schnellsten dorthin?« Ich fühlte mich furchtbar. Als würde ich versuchen, den Sand der Zeit mit bloßen Händen aufzuhalten. Unaufhörlich rann er mir durch die Finger. Mir kam es vor, als müssten schon Stunden vergangen sein, seitdem ich den Flughafen betreten hatte. Stunden, in denen Kaito unerreichbar von mir abrutschte. Die blonde Angestellte deutete wage nach links und eine Rolltreppe hinauf. »Einfach dort hoch, Sir.« Ich hatte mich schon umgewandt und setzte die ersten raschen Schritte, als die Stimme der Frau mir hinterher tönte. »Sir. Die Boarding-Time ist schon abgeschlossen. Wenn sie dort mitwollten, dann-« Nein, ich will nicht mit. Ich will nur jemanden aufhalten. Warum waren plötzlich so viel Menschen in meinem Weg? Ich kam nur schleppend voran, da ich mit alten Damen auf der Rolltreppe zu kämpfen hatte, die es einfach nicht fertig brachten, ihr Gespräch zu unterbrechen, um mich kurz durchzulassen. »Verzeihen Sie, aber könnten sie vielleicht-« Ungeduldig versuchte ich mich an den beiden Ladys vorbeizubringen. »Nun bleiben sie mal ganz ruhig, junger Mann. Nur Geduld. Sie kommen schon noch oben an.« versuchte mich eine dieser grell geschminkten Damen auch noch zu belehren. Herrgott, das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Ich würde Kaito vielleicht verpassen, wegen dieser…. Alan, tu nichts Unüberlegtes! Irgendwo in mir setzte eindeutig irgendwas aus. Der rücksichtsvolle Alan Harpor verschwand in jenem Moment und wurde ersetzt durch einen Mann, den ich selbst bis dahin nicht gekannt hatte. Einen Mann voller Sehnsucht und Liebe, für die er vielleicht sogar töten würde. »Verdammte Scheiße, macht Platz ihr alten Schachteln!« zischte ich und sprang über das Geländer der Rolltreppe, um mit Schwung auf der andere Seite der Treppe zu landen, die zwar nach unten führte, aber wesentlich leerer war. Einige Leute sahen mich empört und völlig entgeistert an. »Hast du gehört, was er gesagt hat, Marla?! Ist ja unfassbar!« schimpfte eine der alten Ladys. Dass ich vielleicht die Ehre einer alten Dame verletzt hatte, war mir in jenem Moment gelinde gesagt einfach verdammt egal. Ich wollte nur noch zu Kaito. Und wenn dieser Weg nur rücksichts- und herzlos zu beschreiten war, dann war es eben so. Ich stürmte die nach unten fahrende Rolltreppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmen, um mich etwas oberhalb der alten Damen wieder auf die richtige Seite zu befördern. Ich hoffte nur, dass keiner der Sicherheitsleute das gesehen hatte. Jetzt, so kurz vor dem Ziel noch abgefangen zu werden, nun, das wäre verdammt blöd. Ich kam endlich oben an und sah mich hektisch um. Gate 8. Gate 8. Wo bist du? Ich entdeckte mein Ziel, natürlich am Ende des schlauchförmigen Ganges, der mit Leuten nur so vollgestopft war. Familien mit Kindern neben telefonierenden Geschäftsleuten. Naja, niemand hat gesagt, dass es einfach werden würde, Alan. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn Gott mich ein einziges Mal nicht nur als Witzfigur gesehen hätte. Ich bahnte mir recht unsanft einen Weg durch die Menge und erntete nicht selten böse Blicke oder empörtes Ausrufen. All das hielt mich jedoch nicht davon ab, wie ein Berserker durch die Menge zu pflügen und dieser einen leuchtenden Zahl immer näher zu kommen, die so sehr mein Schicksal zu sein schien, wie Kaito selbst. Was machst du eigentlich, wenn er nicht dort ist, Alan? Wenn er doch woanders hinfliegt? Wenn du jetzt zum falschen Gate rennst, während Kaito vielleicht schon woanders startet…? Nein. Mein Herz sagte mir, das ich richtig war. Ich erreichte nach gefühlten Ewigkeiten endlich die Reihe der Menschen, die sich vor besagtem Gate tummelten. Die ersten Personen wurden bereits durch den Check-in-Schalter gelotst. Ich schob mich an wartenden Menschen vorbei, die mir wütende Worte hinterher sanden, die ich nicht mehr hörte. Ich sah allein diesen einen dunklen Haarschopf in der Reihe, den ich zwischen hunderten erkannt hätte. Mein Herz hämmerte so wild, dass ich Angst hatte, es würde seinen Dienst in den nächsten Sekunden quittieren. Kaito… Schwer atmend und aufgewühlt kam ich bei dem Jungen an und packte ihn am Arm, um ihn aus der Reihe zu ziehen, denn er wäre in wenigen Augenblicken der Nächste gewesen, der durch den Check-in-Schalter geführt wurde. Und dann wäre er für mich so unerreichbar wie die Sonne gewesen. Kaito fuhr wütend herum, sichtlich erzürnt darüber, dass man ihn einfach so von seinem Platz zog. Er wollte schon die Lippen öffnen, um mit Sicherheit wütende Worte gegen jenen Störenfried zu schleudern, hatte jedoch nicht damit gerechnet, wer ihn da aufhielt. Seine Augen weiteten sich ungläubig und er schien zwischen Fassungslosigkeit und Wut zu schwanken, als er mich erkannte. Das Funkeln der Freude, das so kurz in seinem blassen Gesicht aufgeblitzt war, verschwand recht schnell wieder. »Was willst du hier, Alan?« Die Menschen in der Warteschlange wurden bereits ungeduldig, wussten nicht, ob der Junge nun wieder an seinen Platz gehen würde. Ein Typ, der mich stark an mich selbst erinnerte, in Anzug und mit Handy am Ohr, fuhr mich aufgebracht an. »Hey, Mister. Was ist jetzt? Geht´s jetzt weiter? Ich will meinen Flug nicht verpassen-« Mein Kopf ruckte herum und ich musste einen solch drohenden Blick in Richtung dieses Mannes geschickt haben, dass dieser sofort mit gehobenen Händen abwiegelte. »Schon gut…« Kaito hatte sich inzwischen aus meinem Griff befreit, seinen Rucksack wieder über die Schulter geschwungen und war im Begriff, zu gehen. »Verschwinde, Alan. Verschwinde einfach…« Das leichte Zittern seiner Stimme konnte er jedoch nicht mehr verbergen. Auch wenn er mir den Rücken zugewandt hatte, so wusste ich, dass seine Augen in Schmerz glommen. »Nein, ich verschwinde nicht mehr, Kaito. Nie wieder.« Ich streckte die Hand erneut nach dem Jungen aus und ergriff seine Hand, um ihn am gehen zu hindern. »Weil ich dich liebe.« Da waren sie. Diese magischen drei Worte, die ich bisher nicht gewagt hatte, zu sprechen. Es war so befreiend, so erfüllend, es endlich sagen zu können. Die Menschen um uns verblassten und wurden nebensächlich, ihre Reaktionen waren sowas von unwichtig für mich; allein der dunkelhaarige Japaner vor mir zählte, der in jenem Moment erstarrte und sich wie in Zeitlupe zu mir umdrehte. »W-was..?!« Ich verschwendete keine Zeit mehr an irgendwelche Regeln und sinnlose Worte. Ich zog Kaito in meine Arme, vergrub das Gesicht in seinem Haar und keuchte heiser immer wieder diese drei Worte, während meine Lippen ihren Weg selbstständig antraten, um das Gesicht des Jungen mit bebenden Küssen zu bedeckten. »Ich liebe dich, Kaito. Ich liebe dich….« Der junge Japaner fing in meinen Armen zu zittern an und unterdrückte mit Mühe ein Schluchzen, das ich in seiner Kehle aufsteigen fühlen konnte. »Alan…« Ich konnte nicht länger warten, schob meine Lippen über die Kaito’s und küsste ihn so sehnsüchtig und verzweifelt, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Dass es Kaito nicht viel besser erging, verriet mir die verräterische Nässe, die mein Gesicht befeuchtete und nicht allein von meinen Tränen herrührte. »Ich liebe dich…bleib bei mir….« hauchte ich atemlos zwischen zwei Küssen, während ich einfach nicht von den Lippen des Jungen lassen konnte, ihn noch näher an mich zog, um dem Verlangen, ihn ganz zu besitzen, zumindest ein wenig gerecht zu werden. Kaito weinte nun ungehemmt, ließ diese ganzen angestauten Gefühle endlich frei, deren Käfig auch meine Taten gebildet hatten. Die schlanken Arme des jungen Japaners legten sich um meinen Hals, während Kaito einfach an mir hochsprang und die Beine um meine Hüften schlang. Ich presste ihn fest an mich, taumelte mit ihm aus der wartenden Menge, während unsere Lippen förmlich miteinander verschmolzen schienen. Meine Hände fuhren voller Besitzgier über den Rücken des Jungen, während wir an einer Wand zu Stehen kamen und endlich schwer atmend die Verbindung unserer Münder lösen konnten. Da standen wir nun, völlig aufgelöst, weinend, zitternd und getrieben von lang unterdrücken Gefühlen. »Kaito….« Mehr als der Name des Jungen wollte mir einfach nicht mehr über die Lippen kommen. Die ganze Anspannung der letzten Stunden, diese verzehrende Angst, ihn zu verlieren, fiel in jenem Moment von mir ab. Ich schloss kurz die Augen, bevor ich meinen Blick wieder in den tiefen Teichen von Kaito’s Augen versenkte. »Es tut mir so leid, Kaito…bitte…bleib bei mir….ich brauche dich….ich halte es nicht mehr ohne dich aus….« Wieder fuhren meine Lippen über die blassen Wangen, nahmen die Tränen des jungen Japaners auf. »Warum hast du das denn nicht einfach früher gesagt….« hauchte Kaito zittrig mit geschlossenen Augen, während er sich mir sehnsüchtig entgegen bog. »Weil ich ein Idiot bin, Kaito…« Ich bettete das Gesicht an seiner Halsbeuge, sog seinen süßen Duft tief in meine Lungen. »Ich hatte solche Angst….dich zu verlieren….da ist mir erst wirklich bewusst geworden, wie viel du mir bedeutest….verzeih mir….« Ich kniff die Augen zusammen und konnte doch nicht verhindern, dass ich wieder zu weinen begann. Sanfte, schlanke Finger strichen mir durchs Haar und über den Rücken, während ich den Blick wieder hob und forschend in Kaito’s hübsches Gesicht blickte. Würde er…mir vergeben? Sein darauffolgendes, gehauchtes »Ich liebe dich auch, du Idiot.« und der sanfte Kuss ließen all meine Befürchtungen schwinden und mich meinen Liebsten fest in die Arme schließen, während meine vor Erleichterung weichen Knie mich fast nicht mehr hielten. Ich hatte es noch rechtzeitig geschafft. Ich hatte rechtzeitig erkannt, was ich wollte, dafür gekämpft und gewonnen. Kapitel 25: (Be)sinnliche Weihnachten ------------------------------------- Huhu... ich melde mich mal wieder zu Wort. Wollte mich kurz entschuldigen, dass es etwas mit dem nächsten Kappi gedauert hat ~.~ Dafür hoffe ich einfach mal, dass sich das Warten für Euch gelohnt hat ^.^ Viel Spass ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Das höchste Glück auf dieser Welt war wirklich die Tatsache, jemanden zu lieben. Und diese Liebe erwidert zu wissen. Oft musste man hohe Hindernisse überwinden, um das zu bekommen, was man wollte. Doch vielleicht war genau diese Liebe; diese, die so schwer erkämpft wurde, die wahre, reine Liebe, die allein für den Rest des Lebens gemacht war. Ich war glücklich. Und ich war verdammt verliebt. Es brauchte nicht mehr viel, um Kaito schussendlich davon zu überzeugen, dass er doch bleiben würde. Seine Entscheidung war schnell getroffen. Ich hielt die Hand des Jungen fest in meiner, denn meine Sehnsucht und dieses kleine Fünkchen Angst, dass vielleicht alles wie eine Seifenblase zerplatzen würde, blieb. Die Blicke der Leute waren mir wahrlich völlig egal. Ich hatte diese ganze Achterbahn der Gefühle ja sicher auch nicht auf mich genommen, um es jetzt zu bereuen oder peinlich zu finden. Ganz bestimmt nicht. Nichts war peinlich. Nichts verkehrt. Kurz vor dem Ausgang der Flughafenhalle wand ich mich zu Kaito, zog ihn in meine Arme und musste ihn einfach immer und immer wieder küssen. Ich brauchte diese stille Versicherung, dass er wirklich war, hier bei mir und zu mir gehörte. Der junge Japaner keuchte ein wenig überrascht, doch hatte er nichts gegen meinen Überfall. Der Rucksack rutschte schon wieder halb von seinen zarten Schultern, doch die Welt um uns war eh vergessen. Ich hätte ewig hier so stehen können; allein Kaito zu küssen, ihn endlich offen und frei zu küssen, erfüllte mich mit dem höchsten Glück, dass es für mich geben konnte. Alan, fühl dich dezent auf die Schulter getippt. Die Leute schauen schon. Und wenn schon. Sie konnten ruhig alle sehen, wie glücklich ich war. Sollten sie doch sehen, dass ich mich aus den Zwängen der Gesellschaft befreit hatte und meinem Herzen gefolgt war. Es hatte lang gedauert, doch ich hatte diesen Schritt gewagt. Ich hatte es gewagt, mit einem lauten Schrei gegen das mir offensichtlich vorbestimmte Schicksal zu rebellieren. Einige der Reisenden, die uns ja mit ihrem Gepäck am Eingang umrunden mussten, warfen uns wütende Blicke zu. Andere blieben kurz stehen, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Wieder andere senkten den Blick verlegen und liefen mit einem wissenden, gerührten Lächeln weiter. Und in den Augen ein paar Vereinzelter hätte man vielleicht sogar Neid sehen können, der natürlich sofort hinter der perfekten Fassade eines perfekt „normalen“ Lebens versteckt wurde. Kaito löste sich nach Luft schnappend von meinen Lippen, die Wangen gerötet, der Atem aufgewühlt. Seine dunklen Augen wirken kurz ein wenig verlegen, die Lust glomm überdeutlich darin. »Alan…lass uns hier weg…bitte…« Oh, diese Stimme. So leise, so zittrig, so sinnlich. Ich hatte nun wahrlich Mühe, meine ganzen aufgestauten Begierden zu beherrschen, die so lang in mir schlafen und warten mussten. Ich drückte mich näher an den jungen Japaner und wisperte atemlos in sein Ohr. »Ich will mich aber nicht von dir wegbewegen…ich will dich am liebsten nie mehr loslassen…« Das Erschaudern des Jungen und dieses kleine wohlige Seufzen, was seinen Lippen entwich und über meine Wange strich, war erregender, als 100 nackte Frauen um sich zu wissen, die mich im Moment so wenig bewegt hätten wie ein toter Fisch. »Alan…wenn wir aber nicht bald gehen…könnte es ein wenig peinlich werden…« Kaito’s Hüfte strich an meiner vorbei und ich konnte das heiße, harte Pochen unter dem Stoff seiner Hose sehr deutlich spüren. Verdammt… Wenn ich in jenem Moment nicht zumindest noch ein Fünkchen Anstand besessen hätte, ich schwöre, ich hätte ihn sofort auf die Flughafentoiletten gezerrt. Doch mein Verstand arbeitete wieder. Und das sogar recht klar, seitdem ich mir bewusst geworden war, was ich im Leben wollte und woran mein Herz hing. Kaito auf so einer schmierigen Toilette zu nehmen und zu meinem Eigen zu machen, dass wäre nicht richtig gewesen. Das konnte diesem Jungen nie gerecht werden. Er hatte so viel mehr verdient… Ich wollte ihn auf Rosen betten. Ihm die Welt zu Füßen legen... Alan, Halt! Hör auf mit diesem Kitsch. Ist ja nicht zum aushalten. »Okay, dann sollten wir hier schleunigst verschwinden.« Ich stahl mir noch einen Kuss von diesen sündigen Lippen, drückte Kaito an mich und verließ mit ihm das Flughafengebäude. Es war noch kälter geworden und der Schnee fiel in dichten Flocken. Was mich vorhin wenig gekümmert hatte, bereitete mir nun echtes Kopfzerbrechen. Ich hatte schließlich nur mein Motorrad hier. »Bist du…bist du wirklich damit hierher gekommen?« fragte mich Kaito völlig ungläubig, als er meine Maschine entdeckte und den Schnee fast liebevoll von der Sitzfläche putzte. Ich spürte leichte Verlegenheit. »Es war der einzige Weg um rechtzeitig hier zu sein…« Der Blick, den der Junge mir zuwarf, wärmte mich wieder rasch auf, sodass mir der Schnee eigentlich doch egal war. Ich sah Ungläubigkeit, Verlangen, Rührung und Angst darin. »Du Idiot….das war doch verdammt leichtsinnig… du hättest dich verletzen können…« hauchte Kaito. Ich trat zu dem Jungen und wischte ihm die Schneeflocken von den dunklen Haaren, dann drückte ich ihm meinen Helm in die Hand. »Ich sollte ein Patent auf dieses Wort anmelden. Scheint gut zu mir zu passen. Leider müssen wir auch genauso wieder von hier verschwinden.« Ich grinste breit, doch Kaito zögerte zu meiner Überraschung nicht lang, stülpte sich den Helm über und nickte. Er war so ein verdammter Kämpfer… Ich war verrückt nach ihm. Erzähl mal was Neues, Alan. Den Rückweg trat ich wesentlich ruhiger und vorsichtiger an, denn nun war mir die Gefahr und diese verdammt wertvolle Fracht hinter mir bewusst. Ich fuhr zurück in die Stadt und zögerte nicht lang, vor dem teuerstem Hotel im Zentrum zu halten, welches mit besinnlicher Festtagsbeleuchtung alles tat, um seine Gäste in jene glückliche Weihnachtsstimmung zu bringen, die sie ihre Geldbörsen großzügig öffnen lassen würde. Kaito stieg hinter mir vom Motorrad, streifte sich den Helm ab und starrte mit großen Augen auf die ganze Pracht, die sich ihm bot. Ich drückte einem etwas unbeholfenem Angestellten des Hotels meine Schlüssel in die Hand, der recht unglücklich dreinsah. Scheinbar fuhr er sonst meist teure Schlitten ins Parkhaus und keine zweirädrigen Ungetüme, vor allem nicht bei diesem Wetter. »Alan…das…das ist doch sicher verdammt teuer hier…« wisperte Kaito mir entgegen, als wir die Lobby betraten. Ich schmunzelte nur still und wechselte ein paar kurze Worte mit dem Portier. Mir war es egal, wie teuer es werden würde. Ich hätte alles für Kaito getan. Für sein Glück, sein Wohlbefinden und seine Liebe. Alan, du bist ein völlig verliebter Trottel. Ja, genau das war ich. Das Hotel war „eigentlich“ ausgebucht, doch Geld öffnet einem bekanntlich Tür und Tor. Nach einigen knappen Worten und dem Wechsel von Geldscheinen fand man doch noch eine Suite, die man uns bereitstellen konnte. Wir betraten unser Zimmer und ich war froh, endlich wieder Gefühl in meinen Füßen und Fingern zu spüren. Die Fahrt war doch verdammt kalt gewesen. Kaito lief sofort völlig eingenommen zu der riesigen Fensterfront, von der man die weihnachtliche Stadt überblicken konnte. »Das ist ja Wahnsinn….« Ein gemütlich aussehendes Doppelbett beherrschte den Raum mit einem dunklen Samthimmel, was mir schon wieder sündige Gedanken ins Hirn schoss. Allein der Anblick von Kaito’s Rücken reichte schon, um mich scharf zu machen. Ich trat hinter den Jungen und umarmte ihn, zog ihn an mich und ließ die Lippen über seinen Nacken gleiten. »Ich bin so froh…dass ich dich noch rechtzeitig erreicht habe…dass du hier bist, Kaito…« Die Hände des jungen Japaners legten sich auf meine und drückten diese sachte, während er sich vertrauensvoll gegen mich sinken ließ. Doch ein Funken Reue und Sorge schwang in seinen nächsten Worten. »Du hast deine Familie zurückgelassen…an Weihnachten. Alan, ich fühle mich ein wenig schuldig deswegen-« Sekundenschnell hatte ich Kaito zu mir herumgezogen, ihn gegen das Fenster im Rücken gepresst und seine Lippen mit meinen verschlossen. Nein, keine Zweifel mehr. Ich wusste, was ich wollte und das hielt ich hier in den Armen. Ich löste mich nur soweit von Kaito’s Mund, dass ich die nächsten Worte flüstern konnte. »Vergiss meine Familie. Das ist mein Problem, nicht deines. Ich liebe dich, Kaito. Ich hätte bei ihnen niemals glücklich sein können… nicht mehr.« Immer wieder zupfte ich sachte mit den Zähnen an der Unterlippe des Jungen, was mir leises Keuchen aus diesem süßen Mund entgegentrieb. Doch auch Kaito’s Lippen waren kühl wie meine und Sorge nahm mich ein. »Du solltest heiß duschen. Wir sind beide halb erfroren.« Schon schob ich den jungen Japaner in das großzügig eingerichtete Bad, was mit Luxus kaum geizte. Während Kaito duschte, lief ich langsam durch das teure Zimmer und schälte mich aus den dunklen Lederklamotten, die eher kühlten, als das sie wärmten. Natürlich konnte ich nicht verhindern, dass die Gedanken zurückkamen. Die Gedanken an Lisa, ihren Blick und den Schmerz darin. Ebenso dachte ich an Susan und Colin. Ja, ich hätte eigentlich bei ihnen sein sollen… Doch allein Pflicht hätte mich zu ihnen getrieben. Ich liebte meine Kinder. Das war keine Lüge. Und ich hatte meine Frau einst geliebt. Aber diese Liebe, die ich für Kaito empfand…das war… Einfach anders. Viel größer und verzehrender, als die Gefühle, die ich je für Lisa gehabt hatte. Er war die Seele für mich. Kaito kehrte bald zurück, in einen dunklen Morgenmantel gehüllt, der ihm fantastisch stand, sodass ich ernsthaft Schwierigkeiten bekam, meinen Vorsatz, zu duschen, einzuhalten. Das warme Wasser war eine Wohltat und erweckte meine Lebensgeister wieder, die zwischenzeitlich irgendwo auf dem Motorrad erfroren waren. Nun, wer kommt auch auf diese selten dämliche Idee im Winter mit einem Motorrad durch die Stadt zu jagen, Alan?! Ich rieb mir die Haare trocken und hüllte mich ebenfalls in einen anschmiegsamen Morgenmantel. Im Zimmer sah ich mich ein wenig verwirrt um. Die Lichter waren ausgeschalten und ein paar Kerzen allein spendeten sanftes Licht, was nur schemenhaft beleuchtete. Ich wollte schon nach Kaito rufen, als ich ihn entdeckte. Und wirklich, in diesem Moment blieb mir das Herz stehen und mein Mund trocknete so schnell aus wie eine Wasserpfütze in der Wüste. Kaito lag inmitten des Bettes, halb an die Rückwand gelehnt und sah mir abwartend entgegen. Er hatte eine laszive Pose eingenommen, der Morgenmantel verhüllte kaum noch etwas, da er über der hellen Haut des Jungen aufklaffte und den Blick auf dessen schlanke, lange Beine völlig frei ließ. Halb war ihm der Stoff auch schon über die Schulter gerutscht und zeigte zu viel von dieser samtigen Haut. Nicht, dass ich es nicht genossen hätte. Nicht, dass es mich nicht schlagartig erregt hätte. Doch mein Verstand war sehr schnell daran, sich abzuschalten und allein Lust und Gier die Führung zu überlassen. Wie damals in meinem Bad sah mir Kaito schweigend entgegen, schien meine Reaktionen genau zu beobachten und abzuwägen. Dass ich ihn wollte, verhüllte der Stoff meines Morgenmantels nicht mehr wirklich. Und endlich musste ich mich auch nicht mehr für diese Lust schämen oder sie bereuen. Ich konnte sie bewusst erleben und genießen. Ich schritt langsam auf das Bett zu, behielt Kaito genau im Blick während ich mich auf die Matratze niederließ und auf Knien und Händen zu dem Jungen kroch. Das begehrliche Funkeln in Kaito’s dunklen Augen war Bestätigung und Anreiz genug. Ich brachte mich über den jungen Japaner, stemmte die Hände recht und links neben ihm an das hölzerne Bettgestell, während ich gierig auf ihn herabsah. Der Blick, den der Junge mir schenkte, drückte nicht minder Lust und Verlangen aus. Sein Atem war sofort ein wenig beschleunigt, wie fast zufällig streifte sein Bein an der Innenseite meines Oberschenkels entlang, was mir Gänsehaut an jener Stelle verursachte. Kaito ließ die Augen an mir herab wandern, während er mit lustvoll belegter Stimme wisperte. »Du hast noch Schuld bei mir zu begleichen, Alan…so lang musste ich auf deine Worte warten…« Oh, ich würde jede Schuld begleichen. Er hatte mich eh in der Hand. Ich beugte mich zu Kaito’s Ohr, welches ich kurz mit der Zunge erforschte und mit Genugtuung das leise Keuchen des Jungen vernahm. »Du hast recht. Was willst du, dass ich tue, Kaito?« hauchte ich begehrlich. Kaito reckte sich zu mir hinauf und wisperte nun an meinem Ohr. »Ich will dein sein. Ganz dein…« Die nächsten Worte waren mehr ein heißer Hauch, der ein schmerzliches Ziehen durch meinen Schwanz schickte. »Nimm mich, Alan…« Das war wahrlich eine Bitte, die mir das Blut zum Kochen brachte. Irgendwas in mir hätte Kaito den Morgenmantel am liebsten sofort vom Leib gerissen, um seinen Körper gierig in Besitz zu nehmen. Ich hatte wirklich noch nie diese drängende Pein erlebt, jemanden zu besitzen. Doch ich wollte ihn langsam und genüsslich erobern, wollte sein Keuchen und Stöhnen hören und ihn in meinen Händen zerfließen sehen. Zweifel hatte ich keine mehr. Ich wollte mit Kaito schlafen. Ihn ganz haben. Auch wenn er ein Mann war. Vielleicht genau deswegen. Ein Hauch Unsicherheit blieb natürlich, doch ich war mir sicher, dass Kaito mir helfen würde. Ich ließ mich ein wenig zurücksinken und führte meine zitternden Hände über die schlanken Beine des Jungen, hinauf und hinab, ohne all zu lang unter den Saum zu gleiten, der die Stelle zwischen seinen Beinen noch verhüllte. Kaito ließ ich nebenher nicht aus den Augen, wollte jede Reaktion in seinem hübschen Gesicht genau sehen. Der Junge biss sich leicht auf die Unterlippe, lehnte sich vertrauensvoll zurück und verfolgte jede meiner Bewegungen mit diesen dunklen Raubtieraugen, die sich rasch mit dem Nebel der Lust füllten. Mich in jenem Moment in Beherrschung zu üben, war wohl eine der schwersten Prüfungen, die ich je erlebt hatte. Mein eigener Körper brannte förmlich und wollte berührt werden, doch für mich zählte zuerst Kaito. Seine Lust, sein Wohlbefinden. Meine Fingerspitzen strichen zielgerichteter voran, streiften auch für einen kurzen Augenblick die deutlich sichtbare Stelle der Erregung unter Kaito’s Morgenmantel, woraufhin der Junge seufzend die Augen schloss. Meine Hände wanderten jedoch weiter, schoben den Stoff auf der blassen Brust ganz auseinander und entblößten die dunklen Brustwarzen, die schon hart nach Berührung gierten. Mit den Fingerkuppen strich ich flüchtig über diese festen Knospen, während ich das Feuer genoss, was Kaito’s Keuchen mir durch die Adern jagte. Ich beugte mich vor, biss zart in die vollen Lippen des jungen Japaners, um dann mit meiner Zunge die seine herauszulocken. Der Kuss war feurig und wild, schoss mir sofort kleine elektrisierende Stöße in meinen Unterleib, weswegen ich die Verbindung unserer Lippen auch unterbrach und den Mund tiefer gleiten ließ. Ich schabte mit den Zähnen sachte über den schlanken Hals, angespornt durch das wohlige Schaudern des Jungen grub ich sie sogar kurz in die warme Haut. Kaito keuchte laut auf und drückte sich mir sofort entgegen. » …du bist so scharf, Kaito…« raunte ich heiser gegen die zarte Haut, während meine Lippen weiter wanderten und eine feuchte Spur von Küssen und Zungenschlägen über Kaito’s Brust hinab zu seinen Brustwarzen zogen. Diese umkreiste ich zuerst träge mit der Zunge, bevor ich sie ganz zwischen die Lippen zog und sanft daran knabberte. Kaito hatte die Augen nun halb geschlossen, wand sich genüsslich unter mir, während er die Arme um mich legte und mich näher an sich drückte. Ich fuhr mit der Zunge tiefer, tauchte die feuchte Spitze kurz in den Bauchnabel des Jungen, was erneut ein raues Keuchen über die sinnlichen Lippen des jungen Japaners rollen ließ. »Alan…mehr…« Meine Hände wanderten noch tiefer, lösten den Knoten, der den Morgenmantel bisher noch an seinem Platz gehalten hatte, und schoben den Stoff dann vorsichtig beiseite. Kaito lag nun völlig entblößt vor mir, nichts war meinem Blick mehr verborgen, von seiner nun leicht geröteten Haut angefangen bis hin zu seinem Glied, was seine Lust mehr als alles andere verdeutlichte. Ich richtete mich ein wenig auf, ließ diesen Anblick auf mich wirken, während meine Hände weiter über den Körper des Jungen glitten, seine Brustwarzen sanft kniffen, über seine Seiten streichelten und zielgerichtet tiefer wanderten. Kaito beobachtete mich dabei, seine Wangen hatten sich gerötet, seine Augen waren lustvoll verschleiert, während sein Atem keuchend über seine halb geöffneten Lippen wehte. Ich umschloss seinen Penis ohne Zögern, genoss die samtige Wärme, die sich meinen Fingern offenbarte. Seine Spitze glänzte bereits feucht und weckte in mir den Wunsch, meine Zunge zu nutzen, um Kaito’s Geschmack auch dort auszukosten. Vor ein paar Monaten hätte ich mich für solche Gedanken geschämt und sie verlegen von mir geschoben. Ich beugte mich langsam wieder nach unten, bemerkte diesen seltsam bekannten Duft, der die Erregung des Jungen zu umhüllen schien. Kaito sah wohl, was ich vor hatte und schob eine Hand über seine geschwollene Eichel. »Du…musst nicht…Alan…« Ich sah zu ihm auf, schenkte ihm ein lüsternes Schmunzeln, um kurz darauf meine Zunge über seine Hand zu schicken und seine Finger zwischen die Lippen zu ziehen. Der Junge stieß so zarte, sinnliche Laute aus, allein davon so angeregt, dass ich das Zucken seines Gliedes in meiner Hand spüren konnte. Nun konnte ich wirklich nicht mehr zurück. Ich wollte wissen, wie er sich anhören würde, wenn ich erst… Kaito zog die Hand nun doch langsam zurück und hielt den Atem an. Diese süße Unsicherheit, die in jenem Moment über seine feinen Züge huschte, brachte mich fast um den Verstand vor Geilheit. Meine Zungenspitze glitt zuerst vorsichtig und tastend über die feuchte Spitze von Kaito´s Penis, was diesen begehrlich aufstöhnen ließ. Es war ein wenig seltsam, einen anderen Mann zu schmecken und doch war es besser, als alles, was ich bisher erlebt hatte. Kaito war selbst hier süß, die Tropfen seiner Lust zerflossen samtig auf meiner Zunge. Ich musste ihn einfach ganz kosten. »Sag meinen Namen, Kaito….« raunte ich dunkel. Ohne lang zu überlegen schob ich dann meine Lippen über das harte Glied des Jungen, saugte seinen Geschmack begehrlich in meinen Mund und umkreiste mit der Zunge seine zuckende Erregung. »Alan…Alan…« Immer wieder rollte mein Name, getragen von dieser sinnlich, zittrigen Stimme über die Lippen des jungen Japaners. Genau das wollte ich hören. Diese Stimme, die mich schon immer um den Verstand gebracht hatte. Kaito stöhnte nun heiser, wand sich gierig unter mir, während sich seine Hände wahlweise in mein Haar oder das Laken unter uns gruben. Meine Finger massierten währenddessen diese perfekten kleinen Kugeln, die schwer unter der heißen Erregung des Jungen ruhten, was ein Zittern nach dem anderen durch Kaito’s Körper schickte. Der junge Japaner ließ sich völlig fallen, keuchte und wimmerte sinnlich, sein Atem hallte laut in dem stillen Raum wieder, allein begleitet von den feuchten Geräuschen meines Mundes an seinem Glied. Kaito rutschte auf dem Bett umher und hob immer wieder das Becken leicht an, als ob er mir etwas zeigen oder mich zu etwas animieren wollte. Eine seiner Hände kroch über das Laken zu seinem Po, krallte sich kurz in die blasse Haut seines perfekten Hinterns. Was er wollte war selbst für mich nicht schwer zu verstehen. »Willst du meine Zunge dort, Kaito…?« hauchte ich die Worte heiser über die feuchte Spitze vor meinen Lippen. Schon wieder sah ich leichte Reue und Verlegenheit in Kaito’s Blick. Er wollte mich zu nichts zwingen, das wusste ich. Doch ich wollte ihm Lust bereiten. Er errötete fast schüchtern und nickte vorsichtig, während er die Unterlippe zwischen die Zähne zog. Ich war nicht blöd. Ich war mir im Klaren darüber, wie Sex zwischen Männern ablaufen würde. Ein flüchtiger Hauch von Unsicherheit und Zögern überrollte mich nun aber doch. Konnte ich das wirklich? War ich schon bereit dafür? Ich blickte wieder zu Kaito auf, der völlig in Lust aufgelöst auf dem Bett lag und war mir sicher, dass ich mehr als bereit dafür war. Es war Kaito, den ich hier vor mir hatte. Ich liebte diesen Jungen. Und auch sein Körper erregte mich bis aufs Äußerste. Ich schob die Hände unter den perfekten Po vor mir und hob ihn somit ein wenig an. Alles wurde nun vor meinen Augen offenbart; seine weichen Pobacken und auch die kleine Öffnung, die die Quelle weiterer Lust sein würde. Ich schloss die Augen, führte meine Lippen zögerlich und tastend über die Ränder von Kaito’s empfindlicher Kehrseite, bevor ich mit dem Mund auch über diesen kleinen Eingang streifte. Kaito´s Reaktion war besser als alles, was ich erwartet hätte. Er keuchte laut, zuckte unter jeder noch so flüchtigen Berührung zusammen, nur um sich mir dann wieder gierig entgegen zu schieben. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn noch mehr reizen. Ich ließ meine Zunge herausgleiten und strich flüchtig über dieses Gebiet, was mir noch völlig unbekannt war. Ein erwartungsvolles Vibrieren durchfloss den Körper des Jungen und brachte ihn zum Seufzen, den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und war halb in die Kissen hinab gerutscht. Seine Beine zitterten, während seine Worte nach mehr bettelten. »Alan…n-nicht aufhören…bitte…« Flüchtig stemmte er sich hoch, fixierte mich mit seinem Blick und brachte mich mit seinen lustverschleierten dunklen Augen fast um den wohl gehüteten Verstand. Ich ließ meine Zunge mit mehr Nachdruck diesen fremden Bereich erforschen, schob die neugierige, feuchte Spitze sogar leicht in die kleine Öffnung, nur um Kaito’s Keuchen laut durch den Raum zu jagen. Dieser Junge war der pure Wahnsinn, flüssiges Feuer in meinen Händen, was mich zu Dingen antrieb, die ich vor einiger Zeit noch für undenkbar gehalten hätte. Nichts an dem, was wir hier taten, war falsch oder abartig. Wir teilten Lust, genau so wie sie sein sollte. Kaito warf den Kopf hin und her, sein dunkles Haar verdeckte strähnig sein erregtes Gesicht. »Alan…bitte…bitte…« Ihn so wimmernd um Befriedigung seiner Gelüste zu sehen, machte mich rasend. Ich selbst rutschte nun mehr als unruhig über das Laken unter mir, rieb meine pralle, tropfende Erregung am Stoff meines Morgenmantels. Ich wusste nicht, worum er genau gebeten hatte, doch seine weit gespreizten Beine signalisierten mir sein Bedürfnis nach mehr. Nach noch mehr Nähe. Ich befeuchtete einen meiner Finger und umkreiste mit diesem Kaito’s zuckenden Eingang, während ich jede seiner Regungen wie ein Forscher beobachtete. Das kurze Aufbäumen seines Körpers bestätigte mir den richtigen Weg. Kurz spürte ich wieder leichte Unsicherheit, die jedoch bald im Feuer meines Verlangens verbrannte. Vorsichtig und tastend schob ich meinen Finger voran, um diesen im Körper des Jungen zu versenken. Ich hätte nie gedacht, dass es einem selbst solche Gier bringen würde, einen anderen Menschen in Lust verglühen zu sehen. Doch es war so. Je mehr Kaito zuckend und stöhnend unter meinen Händen lag, desto heftiger wurde mein Verlangen, ihn noch weiter zu treiben, um ihn schlussendlich über die Klinge in die Erlösung springen zu lassen. Alle Ängste, irgendetwas befremdlich zu finden, lösten sich auf wie Nebelschwaden. Ich reizte Kaito zu sinnlichen, wollüstigen Lauten, die das ganze Zimmer zum Klingen brachten und das allein durch meine Finger und meine Zunge. Aber irgendwann war mir selbst das nicht mehr genug. Ich ließ von Kaito ab und rutschte wieder über ihn, suchte seine Lippen, um ihn zittrig und heiß zu küssen, während mein zuckendes Glied an seinem Oberschenkel rieb. Nun blieben Kaito’s Finger nicht untätig. Ungeduldig schob er mir den Morgenmantel von den Schultern, bedeckte meine Brust und meinen Hals mit süßen, feuchten Küssen. »Alan…ich will dich in mir…« Völlig losgelöst von allem und vibrierend vor Lust leckte ich an Kaito’s Lippen, rieb unsere nun glühenden, nackten Körper aneinander. »Zeig mir wie…Kaito…« Er tastete fahrig nach der Seite und zog von irgendwoher ein kleines Plastiktütchen heran, was er rasch mit den Zähnen aufriss. Ohne den Blick von meinem Gesicht zu lassen, griff der Junge nach unten und schob mir mit geschickten Handgriffen das Kondom über meinen völlig gereizten Schaft. Allein diese flüchtige Berührung brachte mich zum Keuchen. Kaito rutschte ein wenig tiefer, schlang die Beine um meine Hüfte und dirigierte mich an den richtigen Platz. Ich spürte seinen zuckenden Eingang an meiner Spitze, sah sein lustverschleiertes Gesicht und doch zögerte ich kurz. Ich hatte ein wenig Angst. Ich wollte ihn nicht verletzen. »Kaito…ich will…dir nicht wehtun…« Der Junge reckte sich zu mir auf, küsste mich willig und begehrlich. »Das wirst du nicht…bitte Alan…tu es…füll mich aus….« Wer hätte dieser zarten Bitte widerstehen können? Ich stemmte die Arme zu beiden Seiten des jungen Japaners aufs Bett und schob mich unendlich langsam und vorsichtig in das enge Fleisch, was mich einiges an Beherrschung kostete. Kaito stöhnte kehlig auf, als ich ganz in ihm versank, hob sich mir noch entgegen und krallte die Finger in meine Schultern. »Beweg dich…Alan…nimm mich ganz….« wisperte er. Der Blick, der mir aus diesen tiefdunklen Seelenteichen in jenem Moment entgegenflog, ließ mich rau stöhnen und meine Hüfte gegen die des Jungen schnellen. Ich fühlte seine Wärme intensiv, in ihm war es so verdammt eng und reizend, dass ich dachte, eine Faust würde meinen Schwanz umschließen und diesen unerbittlich reiben. Dass es so gut sein würde, hätte ich mir niemals erträumt. Ich bewegte mich anfänglich langsam, doch Kaito’s Stöhnen und die kleinen Bisse, die er mir in die Schulter jagte, spornten mich dann doch zu rascheren Stößen an. Der Junge beantwortete jede Bewegung mit seiner Hüfte und lautem Keuchen. Unsere inzwischen verschwitzten Körper rieben aneinander; Kaito’s schlanke Beine lagen um meine Hüfte und drückten mich noch bestimmt mit jedem Stoß tiefer in ihn. Seine Finger kratzten gierig über meinen Rücken, während er den Kopf immer wieder in den Nacken warf und rau meinen Namen flüsterte. Ich beugte mich vor, ließ Zunge und Zähne über seinen Hals gleiten, um ihn kurz vor dem Höhepunkt meine Lippen auf seinen sinnlichen Mund zu drücken. »Ich…liebe dich…Kaito…« Der Junge bebte und erschauderte unter mir, bäumte sich wunderschön in seiner Lust und im Kerzenschein auf, während ich das Zeugnis seiner Erfüllung heiß und feucht zwischen uns spürte. Kaito´s Fleisch presste sich so fest und zuckend um mein Glied zusammen, dass es nur noch ein paar kurzer Stöße bedurfte, bevor ich mich stöhnend in den jungen Japaner ergoss und verlor. Ich drückte Kaito bebend an mich, wisperte immer wieder seinen Namen und wusste um meine fast unstillbare Sehnsucht nach diesem Jungen. Ich besaß sein Herz und seinen Körper in jenem Augenblick, in dem Schneeflocken still zu Boden schwebten und der Zauber der Weihnacht sich über das Land legte. Kapitel 26: Geständnisse ------------------------ Am nächsten Morgen schlug ich die Augen auf und fühlte mich wie neu geboren. Es war ein seltsames Gefühl, gerade so als hätte ich eine schwere Prüfung hinter mich gebracht und diese mit Erfolg bestanden. Oder als hätte ich etwas Verbotenes getan und erntete nun die süßen Früchte der Sünde. Der Mensch war nun einmal ein Sünder. Die scheinbar „unmoralischen“ Vergehen waren doch eh die, die am Schluss die höchsten Glücksgefühle einbrachten. Denn warum waren manche Dinge denn verpönt und verboten?! Doch nur weil sie Glückseligkeit und Erfüllung versprachen, die wohl in jener Welt einfach nicht geduldet waren. Vielleicht sollte der Mensch eigentlich in Leid und Unzufriedenheit leben, vielleicht war das der Weg, der uns vorbestimmt war. Unser Schicksal, warum auch immer. Ich lächelte still vor mich hin, als ich auf den Körper in meinen Armen hinabblickte, der dort so friedlich und ruhig lag, als wäre er genau für diese Position geschaffen worden. Kaito… Kaito war mein Glück. Meine Sünde. Meine verbotene Frucht am Baum der Erkenntnis. Vielleicht hätte ich diese Frucht nie kosten sollen und doch hätte ich der Verführung eh nie widerstehen können. Vielleicht bist du ja schwach wie Eva, Alan? Du weißt ja, was dann passiert ist. Die Vertreibung aus dem Paradies. Vertreibung… Ja, vielleicht würde mir das ebenso drohen. Vielleicht. Sehr wahrscheinlich sogar. Denn mit dem Weg, den ich nun eingeschlagen hatte, entfernte ich mich sehr weit von diesem „Idealbild“ des Menschen, dass unbemerkt in unseren Geist eingepflanzt wurde und welches uns immer wieder ermahnend den Finger heben ließ, wenn jemand es wagte, davon abzuweichen. Dann war ich wohl nun ein Außenseiter. Ein Querdenker. Und es gefiel mir. Denn wenn man keine Erwartungen und Hoffnungen mehr erfüllen musste oder konnte, dann war man frei. Wahrlich frei. Ich drückte Kaito fester an mich, ließ die Hand vorsichtig über sein entspanntes Gesicht und seinen Nacken wandern, um die Finger dann zärtlich über den hellen Rücken gleiten zu lassen. Ich beobachtete seinen Schlaf konzentriert, verfolgte jede Bewegung meiner Finger peinlich genau, als würde ich jeden Teil von Kaito’s Körper zum ersten Mal erforschen. Und irgendwie war es ja auch genau so. Zum ersten Mal sah ich ihn in hellem Licht, vollkommen nackt und ruhig, während ich mir Zeit lassen konnte, jeden Zentimeter Haut an diesem schlanken Jungen zu erforschen. Er war so schön… eigentlich viel zu schön für einen Mann. Diese sinnlichen, geschwungenen Lippen. Diese schmalen Augen. Die zierliche Nase. Der schlanke Hals… Meine Hand zog träge ihre Bahn über den Körper neben mir, während ich den Kopf in die andere gestützt hatte und den Anblick in vollen Zügen genoss. Die Sonne ging gerade auf und verströmte mildes Licht, was sanft auf unser Bett fiel und alles in einen fast unwirklichen Farbton tauchte. Wir hatten uns in dieser Nacht noch oft geliebt, denn nachdem ich in den Genuss dieser Art von körperlicher Vereinigung gekommen war…nun… Ich hatte gar nicht mehr genug bekommen können. Wahrscheinlich würde ich nie mehr genug bekommen. Ich liebte es, wie Kaito sich unter mir bewegte. Liebte es, wie seine Augen Lust verströmten und seine Lippen zittrig meinen Namen hauchten. Liebte es, wie er seufzte und stöhnte. Liebte es, seinen Körper mit jeder Faser meines Wesens zu spüren und ihn immer und immer wieder in Besitz zu nehmen. Alan, du führst dich komplett lächerlich auf. Wie ein vernarrter Sammler, der ein äußerst seltenes Stück ergattert hat und es nun eifersüchtig nicht mehr aus den Händen lassen will. Ich musste ein wenig schmunzeln, während mein Finger gerade eine dunkle Strähne von Kaito’s Haar aufrollte. Ja, diese Bezeichnung passte hervorragend. Kaito gehörte mir. Nun wirklich unwiderruflich. Ich würde ihn nicht mehr hergeben. Nie mehr. Ich beugte mich vor und strich bedächtig mit den Lippen über den Nacken des Jungen, wanderte mit den Fingern federleicht über seinen Hals, während ich wieder näher an diesen warmen, weichen Körper rutschte. Kaito seufzte wohlig und wurde wohl nun auch langsam wach. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, ihn noch ein wenig schlafen zu lassen, da ich ihn wirklich sehr gefordert hatte. Doch meine Lust und Gier nach diesem Jungen schien unersättlich. Und er hatte mich nicht minder immer wieder beansprucht in dieser Nacht. Wir waren beide so unersättlich gewesen, so hungrig aufeinander, als hätten wir die ganzen Monate, in denen diese Gefühle noch hinter Gittern geschlummert hatten, allein in ein paar Stunden ausleben müssen. Wir hatten uns aufgeführt wie verliebte Teenager. Ich grinste wieder still in mich hinein, während ich zärtlich in Kaito’s Nacken biss und sanft ein »Guten Morgen« gegen die weiche Haut hauchte. Ich konnte förmlich bis in jede Faser meines Körpers spüren wie der Junge erschauderte und ein kleines, sinnliches Geräusch tief in der Kehle ertönen ließ, was fast einem Schnurren glich. Dann rollte er sich herum und blinzelte schlaftrunken zu mir auf. Oh ja…. Ich war wirklich verdammt verliebt. Unendlich zärtlich schob ich die wirren Strähnen aus Kaito’s Gesicht, um die Hand dann schlussendlich auf seiner Wange zu betten, damit mein Daumen sachte über diese streifen konnte. Ich musste in diesem Moment sicherlich lächeln wie ein völlig glückseliger Idiot, aber das war ja nun auch egal. Kaito schmunzelte leicht, schmiegte das Gesicht gegen meine Hand und wand den Kopf ein wenig, sodass seine Lippen meine Handfläche streifen konnten. »Guten Morgen…« wisperte er leise. Seltsam, dass meine Lippen sich immer wieder selbstständig machten in der Nähe dieses Jungen. Ich zog Kaito an mich und bedeckte sein Gesicht mit sanften Küssen. Sein Geschmack war einfach der Wahnsinn. Genauso wie sein Geruch… »Gut geschlafen…?« hauchte ich leise, während ich träge und sanft über Kaito’s Rücken strich. Feine Gänsehaut und ein fast unmerkliches Schaudern des Jungen schickten wieder heiße Stöße in meinen Unterleib, wobei ich das eigentlich vermeiden wollte. Kaito schloss seufzend die Augen und bog sich mir sofort wohl eher unbewusst entgegen. »Ich habe in deinen Armen so gut wie noch nie geschlafen, Alan.« Dass mein Herz bei diesen Worten wahre Jubelschreie von sich gab, war mir schon fast ein wenig peinlich. Aber…ach…egal… Ich ließ die Lippen über die zarte Kehle Kaito’s gleiten und vergrub das Gesicht in dessen Halsbeuge, während ich ihn fest umarmte. »Das freut mich, Kaito…so sehr…« Und so war es auch. Den Jungen glücklich zu machen und dafür zu sorgen, dass er sich wohl fühlte, war von Anfang an mein oberstes Ziel gewesen. Ich hätte mich für Kaito komplett aufgeopfert. Immer und immer wieder. Eine warme Hand strich durch mein Haar, dann waren es Kaito’s Finger, die mein Gesicht wieder zu seinem anhoben. Er hatte den Kopf ein wenig schief gelegt und sah mit dunklen Augen und einem fast ungläubigem Ausdruck auf mich herab. Für ihn musste das genau wie für mich immer noch nach einem Traum anmuten. Doch endlich war dies alles kein Wunsch mehr sondern die Wirklichkeit. Die sinnlichen Lippen des Jungen verzogen sich zu einem hauchzarten, sanften Lächeln, während er sich nun zu mir herabbeugte und mich küsste. Vorsichtig, langsam und genüsslich. Er brauchte diese Vereinigung unserer Münder genauso sehr wie ich in jenem Moment. Eine stumme Bestätigung, dass wir beide nicht gleich in getrennten Betten in einer nüchternen Realität erwachen würden. »Alan…« Ich hatte die Augen wieder geschlossen und drohte mich im Hier und Jetzt komplett zu verlieren. Ich war endlich glücklich und für diesen Zustand hätte ich am liebsten die Zeit angehalten. Blinzelnd sah ich wieder zu Kaito, während ich meine Hände einfach nicht von ihm lassen konnte. Meine Finger waren schon wieder selbstständig unter die Decke gerutscht und strichen sanft und reizend über Kaito’s Brust bis hinab zu seinem flachen Bauch. Das scharfe Lufteinziehen des Jungen versicherte mir mit köstlicher Genugtuung, dass ihn das ebenso wenig kalt ließ wie mich. Doch er schien noch ein wenig mehr Beherrschung zu besitzen wie ich in jenem Moment. Zumindest noch… »Alan…ich liebe dich.« sprach er leise und fast ungewohnt ernst, während er meinen Blick suchte. Meine Hände hielten nun doch kurz inne, während seine Worte in mein noch müdes Gehirn sackten. Das war das erste Mal, dass er mir das so offen sagte, wenn man von dieser unschönen Situation in meinem Haus absah. Verflucht, dieser Abend schien so verdammt fern, dabei war es doch erst gestern gewesen… Ich schluckte leicht und spürte, wie ich errötete unter diesem offenen und verliebten Blick des jungen Japaners. Diese Tatsache so ehrlich und ohne Zweifel ausgesprochen zu hören war überwältigend. Ein anderes Wort hätte gar nicht gepasst. Ich musste wieder an diesen Abend in der Bar zurückdenken, als ich Kaito zuerst gesehen hatte. Schon damals hatte ich eine ungewöhnliche Verbindung zwischen uns gespürt. Dann der Tag, an dem Kaito in die Kanzlei kam… Die vielen Tage im Tierheim… Die Stunden im Krankenhaus… Alles lief noch einmal wie in Zeitraffer vor mir ab. Intensiv und verzehrend. Ich wusste in jenem Moment gar nicht, was ich sagen sollte. Alan, du hast dem Jungen in der letzten Nacht so oft deine Gefühle ins Ohr gehaucht und nun bist du sprachlos?! Seltsamerweise war es so. Denn Kaito hatte in jenem Moment, in jenem realen und wachen Moment, endlich diese Worte ausgesprochen, die ich unbewusst die ganze Zeit von ihm schon hatte hören wollen. Ich schloss die Augen kurz, dann rollte ich mich auf den Rücken und zog Kaito über mich, sodass sein warmes, zartes Gewicht angenehm auf mir ruhte. Liebevoll nahm ich sein Gesicht in beide Hände und sah forschend zu ihm auf. »Seid wann schon, Kaito…?« fragte ich rau. Ich musste es wissen. Wann hatte er diese Gefühle entwickelt? Wann war er sich dieser Tatsache sicher geworden? Kaito zögerte kurz und sah fast peinlich berührt flüchtig zur Seite, während sich seine Wangen unter meinen Händen erwärmten und zarte Röte über die helle Haut schickten. »Schon…ziemlich lange…« versuchte er ausweichend meine Frage zu beantworten. Ich zwang seinen Blick sanft wieder zu mir. »Seid wann, Kaito?« fragte ich leise und fast flehend nach. Der Junge biss sich kurz auf die Unterlippe und weckte sofort diesen Wunsch in mir, diese gepeinigte Stelle mit der Zunge zu liebkosen… »Seid…dieser Nacht vor der Bar…als du mir gefolgt bist…« flüsterte Kaito verlegen und senkte den Blick nun fast schüchtern. Mein Herz tat ein paar holpernde Schläge und sorgte damit dafür, dass mir kurz schwindelig wurde. »Seid da schon?!« krächzte ich ungläubig. Kaito nickte leicht und lächelte scheu, so unwiderstehlich wie in jenem Moment hatte er noch nie gewirkt. So verletzlich, so zerbrechlich und so rein wie ein Engel. »Du warst der Erste, der sich für meine Musik interessiert und scheinbar auch den Sinn hinter den Texten verstanden hat. Das…das hat mich beeindruckt. Und ich wollte mehr von dir wissen…« gestand der junge Japaner leise, während er bei den Gedanken daran wieder betreten errötete. Mir fehlten nun wirklich die Worte… So lang schon trug er diese Gefühle mit sich? So lang schon wie ich selbst… Wie musste er gelitten haben. Das nannte man dann wohl Ironie des Schicksals. Ich sah einfach weiter völlig fassungslos zu Kaito auf und brauchte nun wirklich einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. »Warum…hast du denn nie…etwas gesagt?« fragte ich lahm. Ach Alan, warum hat er das wohl nicht? Sicher aus demselben Grund, warum du die ganze Zeit geschwiegen hast. »Ich…hab es einfach nicht gewagt…« sprach Kaito leise und zuckte kurz mit den Schultern. »Ich hatte dann ja noch das Bild deiner Familie in der Kanzlei gesehen und dann…naja…ich hab mir keine Hoffnungen ausgerechnet. Du bist ja auch…viel älter und reifer und hast einen seriösen Job und-« Der Junge brach tief luftholend ab und senkte den Blick erneut. Ich spürte das leichte Zittern seines Körpers überdeutlich auf meinem nackten Leib, drückte ihn daraufhin noch näher an mich und schlang die Arme fest um ihn, während meine Finger nun beruhigend und liebevoll über seinen Rücken strichen. Wie schwer musste das alles für ihn gewesen sein… Kaito schmiegte sich dankbar an mich, ließ die Finger leicht über meine Brust wandern, während er den Kopf an meinem Hals abgelegt hatte, sodass sein warmer Atem immer wieder über meine Kehle strich. »Ich habe mir eingeredet, dass es reichen würde, dein Freund zu sein, Alan. Doch…ich hab mich nur selbst belogen…ich begehrte dich…ich wollte dich…und es hat mich fast zerrissen…« Ein ersticktes Geräusch entfloh der Kehle des Jungen und mein Herz krampfte schmerzlich zusammen. Das Schicksal hatte uns beide genarrt. Wir hatten beide diese Gefühle gehabt und doch durch Gesellschaft und Regeln nie gewagt, etwas zu sagen. »Kaito…mir ging es genauso…« flüsterte ich in den dunklen Haarschopf neben mir. Der Junge hob sofort den Blick zu mir auf und sah mich ungläubig an. Ich nickte leicht. »Es ist wahr. Seitdem ich dich in dieser Bar gesehen und gehört hatte…gingst du mir einfach nicht mehr aus dem Kopf…« gestand ich vorsichtig, während ich den Blick dieser tiefdunklen Augen an mich zu fesseln versuchte. »Ich war besessen von dir…wollte alles über dich wissen und in deiner Nähe sein…obwohl mein Gewissen mir immer wieder sagte, dass es falsch wäre…« »Alan…« Ich unterbrach Kaito, indem ich ihm einen Finger auf die Lippen legte. Ich musste diese Worte aussprechen. Ich musste endlich loswerden, was ich die ganze Zeit schon mit mir rumgetragen hatte. »Ich redete mir anfangs ein, dass ich dich nur als Freund, vielleicht sogar als Sohn, sehen könnte und das meine Gefühle allein Beschützerinstinkt und Kameradschaft wären…doch das war nicht so. Ich war immer eifersüchtig…immer darauf bedacht dich zu berühren, auch wenn es nur flüchtig war… ich wollte dich besitzen, Kaito. Ich wollte dein Lachen. Dein Herz. Deinen Körper. Einfach alles…« Nun war es endlich heraus. Nun hatte ich mein Herz und mein Wesen vor Kaito offenbart. Der Junge reckte sich zu mir auf und küsste mich einfach. Ein einziger Kuss, verzehrend und sinnlich, entschuldigend und alles erklärend. Mehr brauchte es nicht. Wir hatten beide gelitten. Doch diese Zeit war nun vorbei. Endgültig. »Lass uns von vorn beginnen. Ganz offen und ohne Regeln und Verbote. Ich will, dass du mir gehörst, Alan. Und ich will für immer dein sein.« wisperte Kaito ganz nah an meinen Lippen, während seine Hand über meine Brust fuhr und die Stelle meines klopfenden Herzens bedeckte. »Das klingt wunderbar…« raunte ich und spürte sofort wieder Lust durch meine Lenden schießen, da mir die Tragweite dieser Worte in jenem Moment bewusst war. Kaito. Für immer mein. Unsere Küsse wurden rasch wieder inniger, während meine Hände sich ihren Weg hinab zu Kaito’s verführerischem Hintern bahnten. Ich leckte über seine volle Unterlippe, um sie gleich darauf zwischen die Zähne zu ziehen, was Kaito lustvoll seufzen ließ. Mein Schoß war bereits wieder erwacht und ziemlich eindeutig drückte meine Erregung gegen den Leib des Jungen über mir. Kaito schmunzelte mit verklärten Augen auf mich herab und rieb sich an mir, um mich zu reizen und mir ein raues Keuchen zu entlocken. »Du bist unersättlich, Alan…« »Nur bei dir, Kaito…nur bei dir…« Kapitel 27: Was bringt die Zukunft? ----------------------------------- So schön diese Zweisamkeit auch war, so berauschend die Nähe des Jungen, doch irgendwann würden wir uns wieder der Wahrheit und der Realität stellen müssen. Denn das Leben würde weitergehen, auf dem einen oder anderen Wege. Und ewig würden wir uns auch nicht in diesem Hotel verkriechen können. Seufzend wurden mir diese Gedanken bewusst, als ich mich später auf die Seite rollte und aus der riesigen Fensterfront auf die Stadt blickte, die schon lang erwacht war. Ein Blick auf die Uhr verdeutlichte mir, dass es schon weit über den Morgen hinaus war. Sachtes Rauschen und das Fehlen von Wärme neben mir machte mich darauf aufmerksam, dass Kaito wohl schon eine Weile länger wach war und gerade das Bad für sich beanspruchte. Woher er nur diese Energie nahm? Ich fühlte mich nach dieser Nacht ausgelaugt und komplett erschöpft, wenn auch auf eine recht angenehme Art, wie ich zugeben musste. Nun, du wirst wohl doch alt, Alan. So eine Nacht voller Sex steckst du wohl nicht mehr so einfach weg. Ach, halt die Klappe. Stöhnend rollte ich mich nun auf den Rücken und streckte alle Viere von mir, während ich die perfekte Decke über mir anstarrte. Diese ganze Situation, dieser Wandel der Dinge war einfach…unglaublich. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich nun hier liegen würde, Kaito bei mir und diesen Schritt wirklich gewagt hatte. Kurz musste ich schmunzeln. Nein, der alte Alan hätte das mit Sicherheit auch nie getan. Doch ich war wieder ich selbst. Durch den jungen Japaner hatte ich endlich wieder zu mir zurückgefunden, zu diesem ursprünglichen Teil meiner selbst. Dieser Teil, dem Regeln relativ egal waren. Leider war mein Pflichtgefühl noch immer da. Und das würde mich mit ziemlicher Sicherheit bald daran erinnern, dass es dort draußen noch Menschen gab, denen ich etwas schuldig war. Deine Familie, Alan? Ja, meine Familie. Vielleicht würde ich noch für ein paar Tage die Tatsache ignorieren können, dass ich sie einfach verlassen hatte, doch irgendwann würden Probleme folgen. Denen würde ich mich stellen müssen. Und ich würde eine Lösung finden müssen. Eine, die für alle Beteiligten das Beste sein würde. Wie ich das allerdings anstellen sollte, wusste ich selbst noch nicht. Ich angelte nach dem Telefon auf dem Nachttisch und rief beim Service an, um nachzufragen, ob man noch Frühstück bekommen könnte. Die nette Dame am anderen Ende verneinte das, bot mir jedoch an, ein wenig Essen vorzubereiten und auf unser Zimmer zu schicken. Na also, es ging doch. Mehr als unwillig schwang ich mich aus dem Bett und tapste so nackt wie ich war, mit zerzausten Haaren und einem wohl mehr als glückseligem Gesichtsausdruck ebenfalls ins Bad. Weißt du, wie du aussiehst, Alan? Wie…ach, vergiss es. Irgendwie gefiel es mir langsam, die Stimme in meinem Kopf sprachlos anzutreffen. Doch dass jene keine weiteren Spitzen gegen mich warf, bedeutete ja eigentlich nicht, dass ich im Recht war. Vielleicht war es einfach nur so, dass mein Gewissen es langsam aufgab mit mir. Sehr richtig, Alan. Im Badezimmer begrüßte mich zarter Wasserdampf und milde Wärme, während das Plätschern des Wassers mich zu der Duschkabine in der Ecke des Raumes lotste. Kaito stand völlig versunken und still mit dem Rücken zu mir hinter der gläsernen Trennwand, den Kopf in den Wasserstrahl gehoben. Er wirkte wie eine erstarrte, wunderschöne Statue, so umtanzt vom Wasserdampf und dem Glänzen der abertausend Tropfen auf seiner hellen Haut. Ich stand gefühlte Ewigkeiten einfach nur da und betrachtete ihn. Noch immer erschien es mir irreal, dass er wirklich hier war. Und das er nun zu mir gehörte. Wahrlich, vor ein paar Monaten hätte ich das nicht einmal zu träumen gewagt. Doch er war hier. Greifbar. Wirklich. Lebendig. Flüchtig schoss mir wieder das Bild durch den Kopf, wie ich ihn in letzter Minute am Flughafen erwischt hatte. Dieser Gedanke ließ mein Herz sofort wieder stocken und schickte eisiges Kribbeln in jeden Teil meines Körpers. Angst. Oh ja, ich kannte diese Angst. Sie war nicht mehr so stark wie am letzten Abend, als sie mir förmlich den Atem geraubt hatte, doch noch immer war sie da, um mich ab und an daran zu erinnern, was ich fast verloren hätte. Hätte ich es mir je verzeihen können, Kaito gehen zu lassen? Wahrscheinlich nicht. Ich war mir nun, in jenem Moment in diesem Badezimmer, verdammt sicher, dass irgendetwas in mir zerbrochen wäre, wenn ich diesen Jungen verloren hätte. Irgendetwas wäre kaputt gegangen, was nie mehr hätte repariert werden können. Konnte man einen Menschen wirklich so tief und verzehrend lieben? Beseelt von diesem Gedanken zog ich die Tür der Duschkabine auf und trat hinein in die warme, feuchte Hitze hinter Kaito. Sehnsüchtig schlang ich die Arme um den zarten Körper, was den jungen Japaner kurz erschrocken zusammenzucken ließ. Als er jedoch bemerkte, wer sich da herangeschlichen hatte, entspannte er sich sofort wieder. Er wand sich in meinen Armen zu mir um und schob sich die nassen Strähnen aus der Stirn, um lächelnd, aber auch ein wenig fragend zu mir aufzusehen. »Alan. Alles in Ordnung?« Ich nickte nur stumm und drückte ihn wieder an mich, beruhigte mich erst wirklich, als ich seine Wärme nah bei mir spürte und den sinnlichen Duft seines Körpers tief in meine Lungen saugen konnte. Kaito bemerkte wohl meine leichte Verzweiflung und umarmte mich einfach fest, während er kleine, beruhigende Küsse auf meine Schulter drückte. Ich fing mich langsam wieder und für einen Moment war mir meine Schwäche durchaus unangenehm. Immerhin war ich hier der erwachsene Mann mit mehr Lebenserfahrung und Stärke; sollte man zumindest meinen. Leider war dem wohl ganz und gar nicht so. Ich war mir allerdings sicher, dass ich mich bei Kaito ohne Vorbehalte fallen lassen konnte und er es verstehen würde. Immer und immer wieder. »Ich liebe dich.« raunte ich leise gegen Kaito’s Ohr, während ich ihn ein letztes Mal fest an mich presste, um ihn dann endlich aus meiner klammerartigen Umarmung zu entlassen. Der junge Japaner lächelte mit diesem süßen, glücklichem Funkeln in den Augen zu mir auf, strich mit einer schlanken Hand über meine Wange und drückte mir einen zarten Kuss auf die Lippen. »Ich liebe dich auch, Alan.« Ich entschied für mich selbst, dass ich jeden Morgen so erleben wollte. Ich würde es jeden Morgen aufs Neue brauchen, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Für alle Ewigkeit. Durch das Rauschen des Wassers drang ein leises Klopfen an mein Ohr, fast hätte ich es überhört. Mir kam wieder in den Sinn, dass ich ja ein verspätetes Frühstück bestellt hatte. Auch Kaito schielte an mir vorbei, er musste es wohl auch durch die nur angelehnte Badtür gehört haben. »Unser Frühstück.« erklärte ich schmunzelnd, während ich Kaito liebevoll ansah, eine seiner Hände ergriff und an meine Lippen zog. Die flüchtige Röte auf den blassen Wangen des Jungen erfüllte mich wie immer mit Glück. Kaito löste sich mehr als widerstrebend von mir. »Dann sollte ich mich vielleicht darum kümmern.« Schon war er aus der Dusche, warf sich einen Bademantel über und öffnete die Tür, um den Angestellten mit dem Essen hereinzulassen. Der flüchtige Stich der Eifersucht, der sich plötzlich lästig in mich bohrte, war leider nicht zu ignorieren. Einer dieser Hotelangestellten würde nun in den Genuss kommen, Kaito nur im Bademantel zu sehen. Seine langen Beine. Seine gerötete Haut. Sein feuchtes Haar… Nein, das gefiel mir nicht wirklich. Denn das gehörte mir. Kaito gehörte nur mir allein. Jetzt wirst du lächerlich, Alan. Ja, wahrscheinlich. Seufzend schüttelte ich diese seltsamen Gedanken ab und machte mich rasch daran, den Schweiß und die Spuren der Leidenschaft der letzten Nacht von meinem Körper zu waschen. Eigentlich bedauerte es ein Teil von mir selbst, dass ich diese Zeugnisse unserer Liebe in den Abfluss spülte, aber irgendwann war eine Dusche einfach nötig, um Wohlbefinden und vor allem einen angenehmen Geruch wiederzuerlangen. Nachdem ich fertig war, stieg ich aus der Dusche, trocknete mir nur flüchtig die Haare und warf mir dann ebenfalls einen Bademantel über, da nun auch mein Magen erwacht war und lautstark nach Fütterung verlangte. Kaito hatte bereits den Tisch gedeckt und saß selbst schon bequem in einem Sessel, die Beine nach oben auf die Lehne gelegt und knabberte an einem frischen Brötchen. Dass mein Hunger von Nahrung plötzlich auf ganz andere Dinge umschwenkte, hatte ich nur dem Jungen zu verdanken, dessen Beine schon wieder aus dem Stoff des Bademantels blitzten. In seiner Gegenwart würde ich wahrscheinlich verhungern, da mir viele Dinge unwichtig wurden, wenn ich ihn sah. Kaito schien meinen Blick zu bemerken, grinste schelmisch und zog den Stoff wieder über seine entblößten Beine, was mir ein unwirsches Schnauben entlockte. »Du solltest erst einmal etwas essen, Alan.« bemerkte der junge Japaner nur schmunzelnd und schob mir eine Tasse Kaffee hinüber zu meinem Platz. Ich ließ mich in den Sessel ihm gegenüber fallen und seufzte. »Das ist Folter, das weißt du hoffentlich?!« Kaito zwinkerte mir zu. »Es ist ja aber nicht so, dass es dir nicht gefällt, oder?« Ich schüttelte lachend den Kopf und schnappte mir nun ebenfalls ein Brötchen, um meinen Körper doch endlich das zu geben, was er brauchte. Es war angenehm und wirklich befreiend, so mit Kaito ein einfaches Frühstück zu genießen. Endlich waren alle Dinge gesagt, keine Mauer aus Zögern oder Unsicherheit mehr zwischen uns. Ich war mir meiner Gefühle so sicher wie noch nie in meinem Leben und das war ungemein erlösend. Wir lachten gemeinsam, fütterten und neckten uns, eben so, wie es ein frisch verliebtes Pärchen tat. Ich hätte wirklich alles dafür gegeben, die Zeit in jenem Moment anzuhalten. Denn irgendwo tief in mir drin wusste ich, dass diese Losgelöstheit der Dinge nicht ewig halten würde. Die Welt würde uns Steine in den Weg legen, so sicher wie das Aufgehen der Sonne. Irgendwann, nachdem wir unseren Hunger gestillt hatten und zusammen schweigend aus dem Fenster auf die Stadt hinunter sahen, ergriff Kaito das Wort und brachte damit Dinge zur Sprache, die ich lieber noch eine Weile verdrängt hätte. »Wie geht es jetzt weiter, Alan?« Der Blick des Jungen löste sich langsam vom Fenster und blieb auf mir hängen, während er nach seinem Glas griff und einen Schluck Orangensaft trank. Es war kein Vorwurf oder böser Wille in seinen Worten, nur die schlichte Frage nach unserer Zukunft. Seine Worte schwebten eine Weile im Raum, während ich ebenfalls an meinem Kaffee nippte und versuchte meine Gedanken zu ordnen. »Ich werde zu Lisa gehen müssen und versuchen mit ihr zu reden.« bemerkte ich schlicht und stellte die Tasse zurück auf den Tisch, während ich Kaito’s Blick über den Tisch hinweg begegnete. »Sie wird es nicht verstehen.« sprach der Junge sachlich, während auch er sein Glas beiseite stellte und die Knie an den Körper zog, um die Arme darum zu schlingen. In dieser Pose wirkte er noch jünger und so verletzlich, dass ich ihn am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Ich seufzte. »Nein, das wird sie mit Sicherheit nicht. Wie könnte sie auch? Wie könnte sie auch verstehen, dass ihr Mann nach über 10 Ehejahren sich plötzlich dazu entscheidet, schwul zu werden und sich unsterblich in einen jungen Japaner verliebt?!« Ich sah Kaito bei diesen Worten unentwegt an, was ihm wieder zarte Röte auf die Wangen trieb und schüchtern lächeln ließ. »Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich diese Worte nicht glücklich machen, Alan. Aber…ich fühle mich auch irgendwie schuldig deiner Familie gegenüber.« Er zupfte ein wenig verlegen am Aufschlag seines Bademantels und senkte betreten den Blick. Natürlich fühlte er sich schuldig. In seinen Augen musste er allein der Grund sein, warum meine Familie zerbrochen war. Warum meine Frau nun Weihnachten allein feiern musste. Warum ich sie und meine Kinder verlassen hatte. Doch das war Blödsinn. Es war ja nicht so, dass ich aus der Welt war. Ich würde mich natürlich weiterhin um meine Kinder kümmern, ebenso darum, dass es ihnen an nichts fehlen würde. »Du hast an gar nichts Schuld, Kaito. Rede dir das bitte nicht ein. Ich allein trage die Schuld für meine Entscheidungen.« führte ich nachdrücklich meine Erklärung aus, vielleicht sogar ein wenig zu forsch, denn der Junge sah weiterhin zu Boden und kaute auf seiner Unterlippe. Ich kannte ihn soweit, dass ich das als Zeichen seiner Unsicherheit werten konnte. »Wenn ich aber nicht aufgetaucht wäre, Alan, wäre das alles nie passiert. Du hättest weiterhin dein normales Leben gelebt. Du hättest diese Sorgen nicht…« Ich erhob mich von meinem Platz, trat zu Kaito hinüber und ging vor ihm auf die Knie, was ihn ein wenig verwirrt aufsehen ließ. »Ja, ich hätte weiterhin mein normales Leben gelebt. Ein langweiliges, einengendes Leben, welches mich schon lange nicht mehr glücklich gemacht hat, Kaito…« wisperte ich eindringlich und streckte ihm auffordernd eine Hand hin. Der Junge zögerte kurz, dann legte er seine schmalen Finger in meine. Ich zog seine Hand erneut an meine Lippen und hauchte einen federleichten Kuss auf seine weiche Haut, während ich ihn unentwegt ansah. Die Situation, meine Pose, war bedacht von mir gewählt. Ich kniete hier vor der Liebe meines Lebens. Vor jenem Teil meiner Seele, der mir ein Leben lang gefehlt hatte. Ich war mir jetzt sicher, dass es für jeden Menschen eine Person gab, die als Gegenstück für einen selbst geschaffen wurde. Und Kaito war das für mich. Mein fehlendes Seelenfragment, mit dem ich allein wieder vollkommen sein würde. Wenn meine Familie nicht irgendwo im Hintergrund gestanden hätte, ich hätte keine Bedenken und keine Zweifel gabt, hier und jetzt um die Hand dieses Menschen anzuhalten, selbst wenn Kaito nun einmal ein Mann war. Kaito musste diese Situation und die Gedanken meinerseits ebenso gespürt und richtig gedeutet haben, denn er war völlig sprachlos, sah einfach errötet auf mich herab mit jenem Ausdruck, der milde Ungläubigkeit und Freude ausdrückte. Verräterisch funkelten seine Augen feucht auf. »Ich liebe dich, Kaito. Das Schicksal hat es leider nicht gut mit uns gemeint, da ich dich lieber schon viel früher getroffen hätte, wobei das vielleicht Probleme wegen deines Alters gegeben hätte…« raunte ich schmunzelnd, was dem jungen Japaner ein ersticktes Lachen entlockte, während er sichtlich um Fassung rang. »Doch all das ändert nichts daran, dass ich mich für dich entschieden habe. Du bist der, den ich liebe. Du warst es wahrscheinlich schon immer. Deshalb…bitte, mach dir keine Vorwürfe. Du trägst an gar nichts Schuld. Ich werde diese Dinge schon irgendwie regeln. Aber verlassen werde ich dich nicht mehr.« sprach ich inständig, dann zog ich den Jungen einfach zu mir herab und nahm ihn in meine Arme. Kaito atmete schwer und zitterte leicht, sodass ich ihm beruhigend über den Rücken strich und sanfte Küsse auf sein dunkles Haar drückte. »Ich werde morgen zu meiner Familie zurückgehen und versuchen zu retten, was zu retten ist. Und dann…« Ich hob das Gesicht des Jungen mit den Fingern an, sodass ich den Blick seiner hübschen Augen einfangen konnte. »…sollten wir uns vielleicht nach einer gemeinsamen Wohnung umsehen.« Kapitel 28: Schlussstrich ------------------------- Am nächsten Tag gab ich mir dann den nötigen Ruck, um den Weg anzutreten, der einer der Schwersten meines bisherigen Lebens sein würde. Ich würde nie behaupten können, dass ich davor keine Angst hatte. Oder das ich mich gut fühlte. Denn all das traf nicht zu. Kaito bestärkte mich allein mit seiner Nähe und einem liebevollem Abschiedskuss, sodass ich wusste, dass ich es irgendwie schaffen würde. Dass ich es schaffen musste. Am liebsten wäre er natürlich mitgekommen, doch uns war beiden klar, dass das keine gute Idee war. Lisa wäre mit Sicherheit so schon aufgewühlt genug, sie auch noch mit dem offensichtlichen Objekt ihrer Sorgen zu konfrontieren war einfach nicht akzeptabel. Selbst Kaito sah das ohne große Worte ein und blieb im Hotel zurück. Ich hatte diese Frau einst geliebt, denn sonst hätte ich kaum den Bund der Ehe mit ihr geschlossen und noch mehr als ohnehin schon wehtun wollte ich ihr nicht. Auf der Fahrt zurück zu meinem Heim wälzte ich viele Gedanken hin und her. Die Strecke auf dem Motorrad gab mir noch einmal Zeit, mir vielleicht ein paar passende oder hilfreiche Worte zu überlegen. Das Wetter war kurzzeitig wieder ein wenig milder geworden, sodass ich die frische Luft genießen konnte, ohne dass mir wieder der Hintern abfror. Die Stadt selbst war noch recht still an diesem letzten Feiertag der Weihnachtszeit, sodass mir nur wenige Menschen auf meinem Weg begegneten. Ebenso knapp besiedelt waren die Autos, sodass ich die Straße fast für mich allein hatte. Jedoch wurde mir das Herz auch durch diese befreiende Fahrt nicht leichter. Es wurde eher immer schwerer, je näher ich meinem Ziel kam und schien sich wie ein unsichtbarer Anker hinter mir in den Boden zu graben, sodass ich immer langsamer wurde. Ich rollte vor das Haus, was so lange mein Heim und meine glückliche Zuflucht gewesen war. Nun gut, gegen Ende zu war es mir meist wie ein Gefängnis vorgekommen, sodass ich auch nun nicht wirklich das Gefühl hatte, nachhause zu kommen. Wann hatte sich das eigentlich so gewandelt, dass aus Geborgenheit Enge wurde? Ich wusste es nicht mehr. Vielleicht hätte ich nie heiraten sollen. Vielleicht… Nun ja, diese ganzen Vielleichts retteten mich jetzt auch nicht. Sehr richtig, Alan. Du solltest lieber hineingehen und das tun, wofür du hergekommen bist. Ich stellte das Motorrad neben der Garage ab und trat mit schweren Schritten zur Haustür. Alles war still an diesem milden, sonnigen Morgen, nur vereinzelt sangen ein paar Vögel in den Büschen. Ich holte tief Luft und legte die Hand an die Klinke meiner Haustür, wobei meine Finger kaum die Stärke aufbringen konnten, sie herunter zu drücken. Alan, du hast es so gewollt. Du hast den Weg so gewählt. Dann hab auch jetzt den Arsch in der Hose, den letzten Schritt zu gehen. Ich hasste es, dass zugeben zu müssen, doch mein Gewissen hatte recht. Ich öffnete die Tür und trat langsam ein. Auch hier war alles ruhig. Kein fröhliches Kreischen von Colin, keine Musik von Susan oder die typischen Geräusche aus der Küche von Lisa. Ich runzelte knapp die Stirn und schloss die Tür leise hinter mir wieder, bevor ich die Stimme erhob. »Hallo?!« Keine Antwort. Ich sah flüchtig in die Küche, dann ins Wohnzimmer, doch fand ich niemanden vor. Alles lag und stand noch so, wie ich es vom Heiligen Abend in Erinnerung hatte. Selbst die kaputte Gitarre Kaito’s lag noch vor dem Kamin, dessen Feuer allerdings schon längst erloschen war. Die Geschenke meiner Kinder waren noch da, halb ausgepackt, als ob sie jeden Moment um die Ecke kommen würden, um dort weiter zu machen, wo sie aufgehört hatten. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals und für einen Moment überkam mich Übelkeit, die sich schwer herunterschlucken ließ. Ich stützte mich an den Kamin und lehnte die Stirn für einen Augenblick gegen den kühlen Stein, während die so vertrauten Gerüche in meine Nase stiegen und ich das Lachen meiner Kinder und die Stimme meiner Frau fast lebhaft hören konnte, als würden sie neben mir stehen. Es war nicht einfach, nein, das war es ganz und gar nicht. Doch das war mir ja bereits bewusst gewesen, als ich vom Hotel losgefahren war. Ich sammelte mich wieder, lief zurück in die Küche und zog noch währenddessen mein Handy aus der Tasche, um Lisa anzurufen. Ich drückte das Telefon an mein Ohr, während ich in der Küche stand, die so oft ein Ort der Begegnung für mich gewesen war. Nach scheinbar endlosem Klingeln hob tatsächlich jemand ab, doch kein Wort erklang am anderen Ende der Leitung. Ich schloss die Augen und rieb mir die Stirn. »Lisa?! Hörst du mich?« Es dauerte noch eine ganze Weile, sodass ich schon fast glaubte, vergeblich zu warten, bevor sich tatsächlich jemand meldete. »Was willst du, Alan?« Lisas Stimme klang kraftlos und leer, so ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Trotz allem meinte ich einen Funken Hoffnung aus den mehr geflüsterten Worten zu hören. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein. »Ich wollte mit dir reden. Ich bin zuhause, aber ihr seid nicht da…« Sehr gut kombiniert, Alan. Natürlich sind sie nicht da, du Depp. Ich lehnte im Türrahmen der Küche, hatte die Augen weiter krampfhaft geschlossen, da ich mir einredete, dass dann alles nicht so schwer zu ertragen wäre. »Lisa…?« Eine Weile hörte ich wieder gar nichts, bevor mich das durchdringende Besetztzeichen darauf aufmerksam machte, das ich wieder allein mit meinen Gedanken war. Schwer seufzend klappte ich das Handy zu. Na schön, dass war dann noch schlechter gelaufen, als ich vielleicht gehofft hatte. Ich stieß mich von der Wand ab und setzte meine Schritte gewählt hinauf in Richtung Schlafzimmer. Vielleicht würde ich es später noch einmal versuchen, Lisa zu erreichen. Wahrscheinlich war sie mit den Kindern zu ihren Eltern gefahren, die am anderen Ende der Stadt wohnten. Dorthin würde ich allerdings nicht gehen. Die Chance, dort in Ruhe mit ihr zu reden, wäre nämlich gleich null. Ich öffnete die Tür zu unserem gemeinsamen Schlafzimmer langsam, nicht ohne sofort wieder von verzehrenden Gedanken und dem vorsichtigem Drängen der Wehmut eingenommen zu werden. So lange war das hier der Ort gewesen, an dem ich meinte, zuhause zu sein. Der Ort, an dem ich in den Armen meiner Frau lag und gemeint hatte, der glücklichste Mann der Welt zu sein. Colins Kinderbett stand in der gegenüberliegenden Ecke; ich trat kurz hinüber und strich über die zartblaue Bettdecke meines Sohnes. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob irgendetwas mit mir vielleicht nicht stimmte… War mit meiner Gefühlswelt und mit meinem Wesen vielleicht einfach nur irgendetwas nicht in Ordnung, dass ich nicht zufrieden sein konnte, mit dem, was das Leben mir geschenkt hatte? Ich meine, ich hatte diese Frau doch einst geliebt, warum tat ich es dann jetzt nicht mehr? Waren meine Gefühle vielleicht doch keine wahre Liebe gewesen, sondern nur das Gefühl von Zusammengehörigkeit, welches zwangsweise dazu führte, dass man meinte, dieser Mensch musste es sein? Der Mensch, mit dem man alt werden könnte. Eigentlich würden all diese Grübeleien nun auch nichts mehr bringen. Ich sollte das wohl endlich alles hinter mir lassen und nach vorn sehen. Nach vorn in die Zukunft, die ich nun für mich gewählt hatte. Also öffnete ich die Schranktüren, zog meine Koffer heraus und begann meine Klamotten und sonstigen Habseligkeiten einzupacken. Für mich stand fest, dass ich hier weg wollte. Egal, wie sehr ich meine Kinder liebte und das schlechte Gewissen mich ihnen gegenüber quälte, ich konnte hier nicht mehr bleiben. Nicht ohne Kaito. Das ging einfach nicht. Ich hatte für mich selbst eine ordentliche Summe an Geld zurückgelegt, die ich immer für schlechte Zeiten und Notsituationen aufgespart hatte. Ich verdiente nicht schlecht als Anwalt und da unser Lebensstandard nie die Grenzen gesprengt hatte, blieb meist immer noch genug Geld übrig, auf welches man irgendwann zurückgreifen konnte. Auch für die Kinder war Geld beiseite gelegt worden, doch das würde ich nicht anrühren. Es gehörte Susan und Colin und war für ihre Zukunft gedacht. Das Haus war bereits abgezahlt, also würde Lisa es behalten können und meine Familie würde nicht mit Schulden und sonstigem zurückgelassen werden. Du hast das ja gedanklich schon alles schön für dich durchdacht, Alan. Nur, was wird Lisa dazu sagen? Um das zu erfahren, würde sie erst einmal bereit sein müssen, mit mir zu reden. Es würde mit Sicherheit nicht leicht für sie sein, doch ich hatte sie nun lang genug von der Wahrheit ferngehalten. Damit war nun endgültig Schluss. Die Wahrheit und meine Pläne würden ihr wahrscheinlich nicht gefallen, doch war es besser, als ihr weiter vorzuspielen, dass die heile Welt existierte. Besser für sie oder für dich, Alan? Meine Koffer füllten sich rasch, nicht nur mit Kleidungsstücken, auch mit Akten, die ich für die Arbeit benötigte und anderen diversen, kleinen Sachen, die mir über die Jahre ans Herz gewachsen waren. Es war irgendwie seltsam, mein Leben hier auf 3 Koffer reduzieren zu müssen und doch war es auch ein Schlussstrich, um etwas Neues beginnen zu können. Ich hatte in meinen Gedanken die Haustür nicht gehört, ebenso wenig bemerkte ich, dass Lisa mit leisen Schritten plötzlich hinter mir in der Tür des Schlafzimmers stand. »Du gehst also wirklich…« Ich schrak leicht auf und drehte mich zur Tür, in der die Frau lehnte, mit der ich die letzten Jahre so innig verbracht hatte. Wieder einmal überraschte es mich, dass ich in ihrer Nähe so gar nichts mehr fühlte. Eigentlich war es erschreckend, wenngleich auch befreiend auf seltsame Art und Weise. »Lisa. Ich dachte, ihr seid nicht da…« Meine Frau nickte knapp, während sie den Hausschlüssel fahrig durch die Finger gleiten ließ. Ihr Blick hing auf meinen Koffern. »Ich bin gleich losgefahren, nachdem du angerufen hattest… « Ich nickte langsam, während ich kurz in meiner Tätigkeit inne hielt, eines meiner Hemden auf dem Arm und Lisa einfach nur ansah. Wie sollte man ein solches Gespräch beginnen? Ein Gespräch, welches Träume zerstören und Hoffnung nehmen würde. »Schön, dass du gekommen bist...« begann ich vorsichtig, während ich knapp auf das Bett deutete, als Zeichen, dass Lisa sich setzen sollte. Doch sie schüttelte den Kopf und nickte nur flüchtig in Richtung meiner Koffer, während sie weiterhin meinen Blick mied. »Ich hatte eigentlich auf etwas anderes gehofft, aber das war wohl nur eine kindische Hoffnung, nicht…?« Ihr Lächeln war müde und traurig. Ich seufzte leise und sah auf meine gepackten Sachen, die das Ende eines Abschnittes meines Lebens anzeigten. »Auf was hattest du gehofft?« fragte ich rau, während ich wieder versuchte, ihren Blick einzufangen. Obwohl ich vielleicht nicht mehr so für sie empfand wie am Anfang, so war sie mir ja doch nicht egal. Ich wollte zu ihr gehen und sie in die Arme schließen, doch das wäre wohl noch schlimmer gewesen, als ihr die Wahrheit so frei zu offenbaren. Lisa sah nun doch auf, wenngleich auch nur flüchtig. Ihre Augen flackerten in Schmerz und Ungläubigkeit und diesem Hauch von Unwillen, dass alles zu begreifen. »Ich hoffte, es wäre ein Traum, Alan. Das hatte ich gehofft. Ich dachte, ich würde hierher kommen und alles wäre wie früher. Dass diese ganze Sache…das alles nur ein…schlimmer Traum gewesen wäre…« Ein Teil von mir hätte sich das wahrscheinlich auch gewünscht. Hätte sich gewünscht, dass wir alle aus einem Traum erwachen würden und das diese Sorgen und der Schmerz nicht mehr da wären. Doch dieser naiven Vorstellung gab ich mich nicht mehr hin. »Es tut mir leid, Lisa. Aber ich kann dir keinen Traum mehr vorspielen. Mein Herz kann das nicht mehr…« sprach ich betont sachlich, während ich die Faust um den Stoff in meiner Hand ballte, bevor ich das Hemd endlich auch in den Koffer legte und diesen langsam schloss. Nun war ich es, der den Blick mied. Ich hatte das Gefühl, dass jedes Wort, das ich sprach, eh vergeblich war. Es würde nichts heilen und nichts besser machen. Ich kam mir wie ein unglaublich großer Heuchler vor. »Warum, Alan?« flüsterte Lisa erstickt, während sie sichtlich um Fassung rang. Die zarte Hand hatte sie um die Schlüssel geschlossen, um das Zittern ihrer Finger zu verbergen. Warum… Wie oft ich dieses Wort in letzter Zeit selbst in meinen Gedanken vernommen hatte. Ich schluckte schwer, dann holte ich tief Luft und sah wieder zu Lisa hinüber, die mich nun ebenfalls fest ansah, auch wenn ihre Augen in Tränen schwammen. »Ich weiß es nicht. Bei Gott, ich weiß nicht, warum. Ich würde dir gern eine Erklärung liefern, die dich zufrieden stellen würde, doch die gibt es nicht. Ich würde gern Worte finden, die es dir leichter machen würden, doch es gibt keine.« Ich selbst schloss kurz die Augen und sah wieder Kaito vor mir. »Es gibt einfach einen Menschen, den ich an meiner Seite will. Um jeden Preis. Ich kann nicht mehr ohne ihn sein. Darum muss ich gehen.« Lisa verzog die Lippen in dem halbherzigen Versuch eines Lächelns, während ihre Züge Qual und nun auch Wut ausdrückten. Wer konnte ihr Zorn verdenken? »Hast du mich eigentlich je geliebt, Alan? Hast du mich je geliebt, dass du jetzt so einfach deine Sachen packen kannst, um zu gehen? Um mich und deine Kinder zu verlassen?« schleuderte sie mir mit bebender Stimme entgegen. Diese Worte trafen mich hart, denn rührten sie doch wieder an jenen Punkten in mir, die Reue und das schlechte Gewissen beherbergten. Nun, Alan, du bist kein guter Vater, egal wie sehr du es drehst und wendest. Selbst wenn du weiterhin deine Kinder mit allem versorgst, was sie brauchen, verlassen hast du sie trotzdem. Das ist eine Tatsache. »Ich habe dich geliebt, Lisa. Auf eine andere Art und Weise, doch du warst mir nie egal…« Meine Frau schüttelte den Kopf, als wollte sie das alles nicht hören und hielt sich für einen Moment mit der freien Hand die Stirn, während sie zu Boden starrte. »Warum dieser Junge, Alan? Er ist ein Mann. Was kann er haben, was ich dir nicht bieten kann? Das…ich verstehe das nicht…warum entscheidest du dich für diesen Jungen? Warum lässt du für ihn alles hier zurück?« Lisas Stimme hatte sich leicht in die Höhe geschraubt, während sie einen Schritt in den Raum getreten war und aufgebracht auf das Zimmer und somit unser Leben deutete. Ich sah ihr fest entgegen, denn der Grund, warum ich mich für Kaito entschieden hatte, war ganz einfach. Und allein an dieser Tatsache hegte ich keine Zweifel. »Weil ich ihn liebe.« Lisa sah mich für einen Moment wortlos an; ich konnte förmlich spüren, wie sie in meinen Augen und meinem Gesicht nach Lügen oder Täuschung suchte. Doch sie würde nichts finden. Schlussendlich nickte sie langsam, während ihre Lippen wieder dieses traurige, resignierte Lächeln widerspiegelten. Ich trat beiseite und nahm meine Koffer. Vielleicht wurde es Zeit zu gehen. »Alan…liebt er dich auch? Oder bist du nur der Weg aus seiner Verzweiflung?« fragte Lisa leise, jedoch mit einem Unterton, der mir wenig gefiel. Ich sah über die Schulter zurück. »Was meinst du damit?« erwiderte ich barscher als beabsichtigt. Meine Frau sah mich nun fest an, selbst ihre Stimme war eindringlich, als wollte sie unbedingt, dass ich ihr glaube. »Alan, sei doch nicht so dumm zu glauben, dass er dich wirklich liebt. Sieh, wo er herkommt. Du bist doch nur der Weg, um aus diesem Loch herauszukommen. Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass er dich nur benutzt?!« Ich wusste, dass ihre Worte aus Not und Verzweiflung geboren wurden und doch bohrten sie sich tief in mich und setzten den Keim der Unsicherheit. Nein, ich wollte nicht zweifeln. Nicht an Kaito. Vielleicht hat sie ja aber recht, Alan. Nein! Das hatte sie nicht! »Hör auf damit, Lisa! Ich vertraue Kaito. Ich weiß, dass er mich liebt. Da ändern auch deine Worte nichts daran.« Entschlossen packte ich meine Koffer und schob mich an ihr vorbei, während mein Mitleid für sie deutlich erkaltet war. »Ich werde veranlassen, dass es dir und den Kindern weiterhin an nichts fehlt.« Mit diesen Worten trat ich aus der Tür und arbeitete mich mit meiner Fracht die Treppe hinunter. Die verzweifelte Stimme meiner Frau begleitete mich noch bis nach unten, bevor sie in einem Schluchzen unterging. »Alan! Tu das nicht! Bitte…« Mir war bewusst geworden, dass es hier nichts mehr für mich gab. Ich wollte jetzt nur noch eins… Ich wollte zu Kaito. In seine Arme fallen und ihn wieder spüren. Um mich zu beruhigen und vielleicht auch, um diesen hässlichen Stachel der Zweifel loszuwerden, den Lisa durch ihre Wort in mich gestoßen hatte. Kapitel 29: Abbruch der Brücken ------------------------------- Ich lud meine Koffer hastig in meinen Wagen und schlug die Heckklappe mit ein wenig zu viel Schwung zu. Ich war aufgebracht und sauer. Warum bist du wütend, Alan? Du hast nicht den geringsten Grund wütend zu sein. Vielleicht. Fakt war, dass Lisas haltlose Anschuldigungen Kaito gegenüber mich jedoch in den Wahnsinn trieben, da diese dämlichen Gedanken nun unersättlich an mir nagten. Warum musste sie das sagen? Warum zur Hölle? Ich zog gerade die Fahrertür auf, um mich in den tiefen Sitz des Autos zu schmeißen, als ich rasche Schritte vom Haus vernahm und durch die Windschutzscheibe Lisa sah, die eilig auf mich zu kam. Wunderbar… Ich ließ die Hand vom Zündschlüssel fallen und sah ihr abwartend entgegen; ihre Schritte wurden langsamer, als sie bemerkt hatte, dass ich wohl warten würde. Mit einem leisen Seufzen fuhr ich mir durchs Haar und stieg wieder aus. Vielleicht würde sich ja jetzt doch Gelegenheit für ein „vernünftigeres“ Gespräch bieten. Ich schlug die Autotür wieder zu und lehnte mich leicht gegen den Wagen, während ich die Arme verschränkte und ihr entgegensah. Ich wusste, dass meine Haltung wenig Kompromissbereitschaft ausdrückte, doch ehrlich gesagt war ich im Moment auch nicht mehr in der Laune, Lisa alles recht machen zu wollen. Alan, du weißt schon, dass du dich kindisch verhältst?! Und wenn schon… »Wenn du gekommen bist, um wieder wilde Anschuldigungen gegen Kaito zu feuern, hättest du dir den Weg sparen können.« sprach ich kühl und sachlich, als Lisa neben mir ankam und hasste mich eigentlich in jenem Moment selbst, dass ich in ihrer Gegenwart den harten Anwalt raushängen ließ. »Ich mach mir Sorgen um dich, Alan…« begann sie leise, während sie sich mit beiden Händen durch ihr blondes Haar fuhr, um den Anschein von Gefasstheit zu wahren. Ihre Augen jedoch sprachen eine ganz andere Sprache. Sie war die verlassene Ehefrau, die in einem letzten Aufbegehren versuchen würde, dass zu behalten, was ihr perfektes Leben bisher bestimmt hatte. »Danke. Aber mir geht es gut. Du musst dir keine Sorgen machen.« raunte ich ein wenig versöhnlicher und entspannte auch meine harten Züge. Es würde uns beiden wohl wenig bringen, wenn wir uns hier zerfleischen würden mit Anschuldigungen und Vorwürfen. Dafür war ich auch eigentlich nicht hergekommen. Ich sah, wie Lisa zu einer Antwort ansetzte, wahrscheinlich zu neuen, besorgten Worten mir gegenüber, doch sie schien sich der ganzen Situation in jenem Moment auch bewusst zu werden, denn sie schloss die Lippen wieder und nickte schlicht. Vielleicht verstand auch sie in jenem Moment, dass die Würfel nun einmal gefallen waren und dass ich nicht zurückkehren würde. Ja, ich denke, dessen wurde sie sich bewusst, denn sie lächelte gequält, dann jedoch begannen die Tränen haltlos zu fließen, die sie noch versuchte, hinter den Händen zu verbergen. Sie tat mir leid, bei Gott, sie tat mir wirklich leid. Eigentlich hatte sie es wirklich nicht leicht. Ihre Welt brach von einem Moment auf den anderen zusammen, ohne das sie die Chance bekommen hätte, etwas daran zu ändern oder etwas zu retten. Es war nicht fair. Wann ist das Leben schon fair, Alan? Ich stieß mich vom Auto ab und trat auf meine Frau zu, um sie in die Arme zu schließen. Ich wollte ihr den Schmerz nehmen, obwohl ich wusste, dass es nicht ging. Um sie wieder glücklich zu machen, hätte ich einen anderen Menschen vergessen müssen. Und das ging nicht. Lisa jedoch zuckte vor mir zurück und schob mich von sich, den Kopf schüttelnd. Ich respektierte ihre Entscheidung. Sie wollte meine Nähe nicht und vielleicht hätte die auch nur noch tiefere Wunden geschlagen. Ich trat wieder zurück und wartete ab, bis sie sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. Ich unterbrach sie nicht mit Worten oder Taten, sondern ließ sie ihren Schmerz erst einmal ausleben. Nach einer ganzen Weile hatte sie sich wieder gefangen, wischte sich fahrig über die Augen, wobei ihre Finger kaum noch zitterten. Sie holte tief Luft, dann schaffte sie es, mich auch wieder anzusehen. In jenem Moment war mir klar, das jede Brücke hinter mir eingestürzt war. Es würde kein Zurück mehr für mich geben. Nur noch den Weg nach vorn. Der Ausdruck in Lisas Augen hatte sich gewandelt, wirkte regelrecht erfroren und leer. Erkenntnis war ein hartes Brot. »Beantwortest du mir eine Frage, Alan?« brachte sie rau hervor, wobei sie ein paar wirre Strähnen aus ihrer Stirn wischte, wahrscheinlich einfach nur, um ihre Finger zu beschäftigen. Ich nickte nur und lehnte mich wieder an den Wagen neben mir. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis nach Halt. Lisas forschender Blick blieb weiterhin auf mir. »Hast du mich je betrogen in den Jahren unserer Ehe?« Ich schüttelte sofort den Kopf, denn das hatte ich nie. Außer dieser wahnwitzigen Sache mit Kaito hatte ich nie das Bedürfnis nach der Nähe eines anderen Menschen verspürt oder mich nach Abenteuer gesehnt. »Nein. Außer dieser einen Sache jetzt war ich dir immer treu. Das schwöre ich.« Meine Frau nickte stockend, während ein Lächeln, flüchtig wie ein Wimpernschlag, über ihr Gesicht huschte. »Ihr habt miteinander geschlafen…du und Kaito…?!« fragte sie bebend, wobei es mehr nach einer Feststellung klang. Ich war mir vorher schon sicher gewesen, dass sie es innerlich bereits geahnt hatte. Frauen hatten meist ein Gespür für solche Sachen, wo auch immer sie das hernahmen. Ich sah zu Boden, da diese Frage doch einen beschämten Ausdruck auf mein Gesicht brachte. Irgendwie kam es mir falsch vor, dass Lisa das fragte, wobei es wahrscheinlich ihr gutes Recht war. Ich jedoch wollte diese privaten Details eines Lebens, in dem sie nun kein Teil mehr sein würde, ungern vor ihr offenbaren. Immer noch sah ich diese Sache mit Kaito mehr wie ein Wunder, wie ein zartes Geheimnis, dessen Offenbarung vielleicht alles zerstören würde. Nichtsdestotrotz war ich ja für die Wahrheit gekommen… »Ja.« beantwortete ich ihre Frage knapp, denn für mich gab es keinen Grund, diese intimen Momente weiter auszuschmücken. Und Lisa tat mir den Gefallen und fragte auch nicht weiter nach. Ein leises, ersticktes Keuchen ihrerseits war Antwort und Reaktion genug. Sie wusste nun, dass mir Kaito wichtig war und dies alles keine Verirrung meinerseits oder eine „Phase“, aus der ich vielleicht irgendwann einmal wieder entkommen würde. Eine Weile herrschte bedrückende Stille zwischen uns, die allein der Wind ein wenig auflockerte, der durch die Bäume säuselte. »Wie geht es jetzt weiter?« hauchte Lisa dann leise in die Stille, schlicht und gefasst, da jegliche Hysterie wohl auch nichts mehr bewirkt hatte. Ich senkte den Blick, den ich eben noch in den Himmel gehoben hatte, da ich mir wieder einmal der Unwirklichkeit dieser ganzen Situation bewusst wurde. Die Sehnsucht nach Kaito wurde für einen Moment wieder so übermächtig, dass es fast körperlich schmerzte. Ich würde seine Nähe brauchen, um mir meiner und der Realität wieder bewusst zu werden. »Ich werde ausziehen. Ich habe ja schon fast alles beisammen, was wichtig ist. Den Rest kann ich später holen…« erklärte ich ruhig. »Ich suche mir eine Wohnung in der Stadt.« »Mit ihm…!?« Lisas Augen versprühten für einen Moment wieder unbändigen Hass, bevor sie sich auf die Lippe biss und zur Seite sah. »Ja. Mit ihm.« Was sollte ich auch lügen? Jede Lüge würde es nur noch schlimmer machen. Meine Frau nickte knapp, während sie weiterhin auf einen Punkt in weiter Ferne sah. »Wirst du dich von den Kindern verabschieden?« fragte sie tonlos. Ich sah flüchtig zum Haus zurück, zu dem Haus, in dem ich bis vor kurzem noch alt werden wollte. »Ich denke nicht, dass ich mich verabschieden muss, Lisa. Ich bin nicht aus der Welt. Ich werde sie weiterhin besuchen und weiterhin ihr Vater sein-« Der Kopf meiner Frau ruckte zu mir herum, während ihre Haltung Abweisung ausdrückte, die sämtliche Warnsignale in mir schrillen ließ. »Vielleicht halte ich es aber für das Beste, wenn du sie nicht mehr siehst, Alan.« sprach sie mit solcher Kühle, dass mir leicht fröstelte. »…das tust du mir doch nicht an… ich bitte dich…« Nun war es wohl an mir, zu flehen. Lisa verschränkte die Arme und rieb sich jene, als würde sie in der plötzlich auffrischenden Brise frieren. »Ich bin mir nicht sicher, ob der Umgang mit einem plötzlich schwulen Vater so das Richtige für sie ist…« Ich schlug mit der flachen Hand erzürnt auf das Dach meines Wagens, was meine Frau erschrocken zusammenfahren ließ. Aufgebracht deutete ich in ihre Richtung. »Das ist mehr als lächerlich und das weißt du! Ich bin immer ein guter Vater gewesen, warum sollte ich es jetzt nicht mehr sein?! Du glaubst doch nicht wirklich, dass mein Privatleben etwas an ihrer Entwicklung ändert?« Das konnte ich jetzt wirklich nicht glauben… Naja, eigentlich hättest du mit so etwas rechnen müssen, Alan. Sie ist eine verletzte Frau… Das mag sein, aber das war doch pure Rache ihrerseits! Sie wusste, wie wichtig mir meine Kinder waren. Lisa schien dann doch weniger beeindruckt von meinen Worten, was auch verständlich war. Sie würde bei dem Fall einer Scheidung, der nun sehr wahrscheinlich war, mit ziemlicher Sicherheit das Sorgerecht zugesprochen bekommen. Und das nur, weil sie die Mutter war. Somit würde sie auch über den Umgang der Kinder bestimmen können. »Alan, du hast mir viel genommen. Doch die Kinder gehören mir.« flüsterte sie mir ruhig entgegen, während sich eine Träne aus ihren Augen löste. Ich hatte ihre Wut verdient. Vielleicht sogar ihre Rache. Aber das ging zu weit! »Lisa, tu das nicht. Ich liebe die Kinder. Ich habe immer alles für sie getan. Nimm mir das nicht weg! Ich bitte dich… Lass uns diesen Streit nicht auf dem Rücken der Kinder austragen. « sprach ich eindringlich und appellierte an das Gewissen dieser Frau, mit der ich einst Bett und Leben teilte. Für einen Moment sah ich Einsicht in Lisas Augen; sie blickte betreten zu Boden, während sie die Finger in den Stoff ihrer dünnen Jacke krallte. Sie wusste, was sie mir damit antun würde. Nach einer ganzen Weile seufzte sie leise und sah wieder auf. »Wir werden sehen.« Erneut suchte sie einen fernen Punkt am Horizont. »Ich gehe davon aus, dass du dich um die Scheidung kümmern wirst?!« fragte sie stockend nach. Mir bildete sich jetzt doch ein Kloß im Hals. Da war es dann also… Das Ende. »Ich kümmere mich darum.« bestätigte ich leise. Lisa warf mir einen letzten Blick zu, indem allein eine große Leere schwebte, bevor sie sich umwandte und langsam zum Haus zurückging. Ich stand gefühlte Stunden noch vor unserem Haus und starrte auf die Steine in der Einfahrt, während ich verzweifelt versuchte, dass Chaos in meinem Kopf zu ordnen. Ich war wahrscheinlich wirklich naiv gewesen, zu hoffen, dass dies alles irgendwie unkomplizierter über die Bühne laufen würde. Verärgert über mich selbst und über den Ausgang dieses Gespräches trat ich einen Stein mit einem Fluch über den Weg. »Scheiße.« Fahrig wischte ich mir die Strähnen aus der Stirn, riss die Fahrertür des Autos auf und ließ mich in den Sitz fallen. Fast fluchtartig verließ ich diesen Ort; ließ mein altes Leben hinter mir, bis es nur noch ein unscheinbarer Fleck am Horizont im Rückspiegel war. Mit starrer Haltung und verkrampften Fingern fuhr ich zum Hotel zurück, während jede Faser in mir, jede Körperstelle sowie meine Seele förmlich nach Kaito verlangten. Seine Nähe würde ich jetzt brauchen. Allein seine Wärme und seine Stimme würden mich beruhigen können und mir helfen, wieder Ordnung in meine wirren Gefühle und Gedanken zu bringen. Erst dann, wenn ich mir seiner wieder vollkommen sicher war, würde ich die Kraft und den Mut aufbringen können, mich den kommenden Problemen und Hürden zu stellen. Immer wieder ertönten die Worte Lisas in meinen Gedanken, wie kleine, hässliche Parasiten, die sich einfach nicht abschütteln ließen. ~ Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass er dich nur benutzt?!~ Nein, das war mir noch nie in den Sinn gekommen. Und der Grund hierfür war auch nicht die rosarote Brille oder die Dummheit der Liebe. Eigentlich wusste ich doch, dass ich Kaito vertrauen konnte. Er hätte sich wohl kaum so lang mit seinen Gefühlen zurückgehalten, wenn er sich nur eine finanzielle Hilfe für seine Zukunft erhoffte. Er hätte so oft die Chance gehabt, meine Gutmütigkeit auszunutzen, doch er hatte es nicht getan. Du bist dir also sicher, dass du mehr bist für diesen Jungen als eine hörige Geldbörse, Alan? Warum konnte dieses verdammte Gewissen nie die Klappe halten? Mit quietschenden Reifen hielt ich vor dem Hotel und gab dem Angestellten am Empfang den Auftrag, meine Koffer später auf mein Zimmer bringen zu lassen. Mit tauben, zittrigen Finger öffnete ich die Suitetür und fiel fast in das Zimmer, da die Tür meinem Drängen schneller als gedacht nachgab. Ich mahnte mich zur Ruhe, ließ die Jacke und die Autoschlüssel achtlos auf die Garderobe fallen. Kaito kam sofort um die Ecke, zu meinem Bedauern hatte er den Bademantel von früh gegen eine Jeans und ein enges, schwarzes Oberteil getauscht. Allein seine Füße lugten nackt unter dem Stoff der Hose hervor. Aus dem Hintergrund drang der Fernseher, mit dem sich der junge Japaner wohl die Zeit vertrieben hatte. Sein Gesicht war zuerst freudig, bevor er mich recht besorgt ansah. »Alan, alles in-« Weiter kam er nicht, denn ich trat zu ihm, hob ihn auf meine Arme, sodass er sich ein wenig erschrocken an mich klammerte. Ich ging zum Bett und ließ mich mit dem Jungen zusammen auf die weiche Matratze fallen. Sofort war ich über ihm und presste meine Lippen auf den süßen Mund des jungen Japaners. Kaito blinzelte einen Moment recht überrascht, doch seine Verblüffung hielt nicht lang an; fast sofort legte er die Arme um meinen Hals und zog mich somit noch näher zu sich herunter, während er die Zunge schon in meinen Mund schob und die Beine um meine Hüfte schlang. Oh ja, ich war mir nun sicher, dass nicht nur ich allein in Sehnsucht gelitten hatte. Und ich war mir verdammt gewiss, dass er mich liebte, so wie er sich seufzend an mich drückte, begehrlich meinen Kuss erwiderte und seine Finger zärtlich durch mein Haar wühlten. Das hatte ich gebraucht. Diese Versicherung, dass Kaito da war. Dass er immer da sein würde, um auf mich zu warten. Mehr würde ich nie brauchen. Nur die Liebe dieses Jungen. Ich unterbrach unseren Kuss trotz allem, ließ mich halb auf Kaito fallen, jedoch darauf bedacht, ihm nicht wehzutun, während ich ihn fest in meine Arme zog und das Gesicht an seinem Hals vergrub. Lange lagen wir so schweigsam da, während ich im Duft des Jungen schwelgte und seine Wärme genoss. Kaito schwieg ebenfalls, er schien einfach zu spüren, dass ich vorerst nur Ruhe und Nähe brauchte. Liebevoll spürte ich seine Hände, die über meinen Nacken und meinen Rücken glitten. Irgendwann bewegte ich mich doch ein wenig und hauchte einen zarten Kuss auf Kaito´s schlanken Hals, bevor ich seinen Blick suchte. Ich war verwundert, immer wieder aufs Neue, wie schnell er meine Stimmung deuten konnte und das ganz ohne Worte. »Es ist nicht gut gelaufen, hm?« Ich schüttelte den Kopf und setzte mich langsam auf, während ich fahrig die ersten Knöpfe meines Hemdes öffnete, da ich das Bedürfnis nach Freiheit verspürte. »Nicht wirklich. Lisa hat sogar angedeutet, dass sie mir den Umgang mit den Kindern verbieten will…« Kaito setzte sich ebenfalls auf und zog die Stirn in tiefe Falten, bevor er meine Hände griff, die immer noch erfolglos mit dem Hemd kämpften und sie beiseite zog. Dann machte er sich geschickt daran, die lästigen Knöpfe zu öffnen. »Ich denke nicht, dass sie das wirklich tun wird, Alan. Sie ist wütend und aufgebracht im Moment. Sie will dir wehtun… irgendwo ist es ja verständlich…« Meine Antwort war ein knappes Brummen, während ich den Blick senkte. Natürlich hatte er recht. Und ich hoffte, dass er auch recht behalten würde mit seiner Vermutung. »Sie sollte die Kinder da einfach nicht hineinziehen. Für sie sollten wir doch versuchen uns irgendwie zu einigen…« Kaito legte eine Hand an meine Wange, sodass ich wieder zu ihm sah. »Das siehst du jetzt so. Aber du solltest nicht vergessen, dass sie jetzt im Moment wohl schlimmer dran ist als du. Sie wurde betrogen und verlassen.« »Ich weiß… Ich fühl mich ja auch nicht gut dabei….ach verflucht…« Verzweifelt und aufgebracht vergrub ich das Gesicht in den Händen. Die Matratze bewegte sich leicht unter mir, bevor ich Kaito’s warmen Körper an meinem Rücken spürte. Er legte die Arme um mich und hielt mich einfach nur fest. »Lass ihr ein wenig Zeit, Alan. Sie wird dann bestimmt selbst einsehen, dass deine Kinder ihren Vater brauchen.« Ich löste die Hände von meinem Gesicht, griff stattdessen nach Kaito’s Fingern und zog diese an meine Lippen. »Ich liebe dich, hab ich dir das heute schon gesagt?« fragte ich rau. Das leise Lachen im Rücken heiterte mich doch ein wenig auf. »Mindestens schon zehn Mal… aber von dir kann ich es gar nicht oft genug hören, Alan.« Kapitel 30: Ein Freund, ein guter Freund... ------------------------------------------- Wenn das Schicksal bisher mit meinen Gefühlen gespielt und wohl einen besonderen Reiz daran gefunden hatte, meine Emotionen völlig durcheinander zu wirbeln, so schien es sich nun doch einmal zu entscheiden, mir gegenüber gnädiger zu sein. Ich wollte nicht hoffen, dass von nun an vielleicht alles ein wenig unkomplizierter laufen würde, aber… Nun ja, ich war nun einmal ein Mensch und Hoffnung war so schwer abzustellen wie Gefühle, die sowieso meist das machten, was sie wollten. Also hoffte ich und mein stummes Flehen schien sogar einmal erhört zu werden. Ich verbrachte die Tage nach Weihnachten noch mit Kaito im Hotel, wobei dies doch langsam anfing, Reserven zu verschlingen, die mein Geldbeutel gar nicht hergeben wollte. Zudem ich ja einiges wohl noch in eine Wohnung stecken würde müssen. Doch im Moment hatten wir beide keine wirkliche Ausweichmöglichkeit, also waren wir vorerst hier festgekettet. Ich trat die Arbeit nach den Feiertagen wieder an, wobei ich es sorgfältig vermied, das Gespräch auf Familie oder die Festtage kommen zu lassen. Natürlich musste es immer einen geben, der diese Grenzen ohne große Skrupel überschritt und nicht wirklich Gedanken daran verschwendete, das bestimmte Themen vielleicht ein wenig heikel sein konnten. Und so sollte ich nicht um eine Erklärung dieses Themas herumkommen, da James schon immer ein Gespür für Neuigkeiten und Veränderungen hatte. Eigentlich war er nur Hochschüler, der auf dem Wege seines Studiums bei uns in der Kanzlei gelandet war, um sich nebenher praktische Erfahrungen anzueignen. Doch irgendwie war er in der Zeit hier zu viel mehr geworden, ein wahrer Kumpel für die Jungs und mich, wobei seine Art doch manchmal ein wenig schwierig war. Aber ein ehrlicher und hilfsbereiter Kerl war er ja trotzdem. Vielleicht war das auch der Grund, dass ich ihm irgendwie mein Herz ausschütten sollte. James kam also an jenem grauen Dezembertag zu mir, der erste Arbeitstag nach Weihnachten und schwang sich locker und fröhlich auf meinen Schreibtisch, während ich eigentlich gerade versuchte, wichtige Unterlagen zu ordnen. »Alan, was machst du eigentlich Silvester? Lust was mit uns zu unternehmen oder bist du mit deiner Familie unterwegs?« Ich erstarrte kurz, schob die Lesebrille dann etwas höher auf meine Nase und versuchte wieder den verdammt beschäftigten Anwalt zu mimen, um den Jungen irgendwie in seinem Eifer abzuwürgen. Mir hätte klar sein müssen, dass das wenig brachte. »Keine Ahnung, hab noch keine Pläne…« brummte ich nebenher, während ich weiter Akten auf dem Schreibtisch hin und her schob. James beobachtete mich für meinen Geschmack ein wenig zu aufmerksam, während er ziemlich nervtötend laut Kaugummi kaute. »Sag mal, gab es Weihnachten Streit bei euch? Du wirkst seid den Feiertagen so in dich gekehrt. Irgendwas stimmt doch nicht. War ja schon damals so komisch, als ich dich im Kino mit diesem Jungen getroffen hab.« Hatte dieser Kerl eigentlich einen sechsten Sinn für Probleme?! Wieder hielten meine Finger in der Bewegung inne und ein paar Blätter rutschten mir aus den fahrigen Händen, während ich es tunlichst vermied, James anzusehen. »Alles in Ordnung. Danke der Nachfrage.« Hey Alan, ich könnte mich zwar täuschen, aber der Junge ist doch nicht dämlich. Natürlich kaufte mir James meinen halbherzigen Versuch, dieses Thema zu umschiffen, nicht ab. Er kniff die Augen misstrauisch zusammen, dann rutschte er von meinem Schreibtisch und schloss meine Bürotür. Ich sah auf, doch natürlich hatte er mir nicht den Gefallen getan und war gegangen. Mit verschränkten Armen stand er vor der Tür und hätte mit diesem grimmigen Gesichtsausdruck schon einem Türsteher Konkurrenz machen können. »Okay, Alan. Ich will jetzt wissen, was mit dir los ist! Das sich irgendwas verändert hat sieht doch ein Blinder.« Wahrscheinlich auch jeder andere… In mir kämpften in jenem Moment die Vernunft, die mir riet, meine Klappe zu halten und mein Herz, das endlich einmal ein wenig Verständnis und Beistand vertragen konnte. Da ich die Vernunft zu diesem Zeitpunkt eh schon längst über Bord geworfen hatte, so siegte eben mein Herz. Seufzend rieb ich mir die Schläfen und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, um zu James zu sehen, der noch immer wie ein unüberwindbares Hindernis vor meiner Tür stand. Einst musste man ihm ja lassen, er war hartnäckig. Das würde ihm später im Job viel helfen. »Okay…« gab ich widerwillig auf. »Ich erzähl es dir. Aber komm von der Tür weg und hör auf mich anzusehen, als wäre ich ein Schwerverbrecher. Da bekommt man ja Angst.« James grinste siegessicher und kam zum Schreibtisch zurück, um sich gelassen auf den Stuhl davor fallen zu lassen. Abwartend verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und sah mich neugierig an. Und du hältst das für eine gute Idee, Alan? Naja, eigentlich… Nein. Aber nun hatte ich ja damit angefangen und wenn James erst einmal Blut geleckt hatte, gab er nicht so einfach auf. Eben ein echter Anwalt. Ich zog die Brille von der Nase und betrachtete diese eine Weile in meiner Hand, während ich nach Worten suchte, um die ganze Geschichte irgendwie erklären zu können. So zu erklären, dass ein anderer das überhaupt nachvollziehen konnte, was mich bewegte und es mit verständlichen Worten rüber zu bringen. Doch je länger ich überlegte und dem stetigen Geräusch von James´ Kaugummi lauschte, desto weniger wollte mein Gehirn was Brauchbares ausspucken. »Ich bin schwul.« Klasse, Alan! Hundert Punkte für die Erkenntnis des Tages! Naja, immerhin war es verständlich… Die plötzliche Stille ließ mich dann doch aufsehen, da ich einen Moment die Befürchtung hatte, James hätte einen Schock erlitten oder ähnliches. Doch der starrte mich einfach mit heruntergeklapptem Kiefer an, die Augen aufgerissen, sodass ich das Weiß darin sehr deutlich sehen konnte. Ich hob ein wenig skeptisch die Braue, während James´ Geist zu seinem Körper zurückzufinden schien. Mit einem undefinierbaren Geräusch klatschte er in die Hände und grinste mich gewinnend an. »Ich wusste es!« Warum wussten eigentlich immer alle anderen vor einem selbst Bescheid? »Du…wusstest es?!« brachte ich stockend hervor, wenngleich auch recht misstrauisch. War ich wirklich so leicht zu durchschauen gewesen? James nickte mit diesem selbstbewussten Grinsen, das ihn schon fast eine Spur überheblich erscheinen ließ. Was bei anderen abweisend gewirkt hätte, machte ihn seltsamerweise noch sympathischer. Er kippte auf dem Stuhl nach vorn, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und sah mich offen an. »Ich hab es mir gleich gedacht, als ich dich und den Jungen im Kino gesehen hab. So wie du den angesehen hast… Junge, Junge.« Er lachte anzüglich, was mir verräterische Röte aufs Gesicht trieb. »Da war einfach irgendwas zwischen euch. Meine Begleitung hast du ja kaum eines Blickes gewürdigt.« bemerkte James amüsiert, während er gespielt schmollend die Unterlippe vorschob. Ich fuhr mir leise lachend durch meine Haare und schüttelte den Kopf, wobei die Erleichterung wie eine warme Woge über mich schwappte. »Ich hatte zu der Zeit ganz andere Probleme als deine Begleitung…« »Na, das glaube ich dir gern.« Mein Kollege wurde ein wenig ernster und sah mich forschend an. »Es ist der Junge, nicht? Du hast dich in ihn verliebt?!« »Ja, das hab ich.« Es war ungemein befreiend, dieses Geheimnis lüften und einmal mit irgendjemand Neutralen darüber sprechen zu können. Und das Beste war, dass ich in James’ grünen Augen keine Abscheu oder Unverständnis sah, sondern nur ehrliches Interesse. »Oh man, Alan.« Er lehnte sich wieder zurück und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. »Kein Wunder, das du rumläufst wie ein Geist. Lass mich raten, deine Frau hat es rausbekommen?!« Ich sah wieder zu Boden und meine Stimme wurde eine Spur leiser. »Ich hab es ihr gesagt. Weihnachten…« James stieß die Luft geräuschvoll aus. »Ach du heilige Scheiße…« Die nächste Stunde verbrachte ich damit, meinem Kollegen alles von Anfang an zu erzählen, beginnend von der Nacht in der Bar, der Sache mit dem Tierheim und dem Krankenhaus. Sogar die leicht verfänglichen und recht intimen Situationen schnitt ich mit knappen Worten an, wobei ich immer wieder verstohlen James’ Gesicht musterte, um seine Reaktionen zu beobachten. Doch er hörte schlicht gespannt und neugierig zu, grinste ab und an wissend bei einigen Stellen, aber eigentlich war es nicht anders, als wenn ich ihm von der Eroberung einer Frau erzählt hätte. Vielleicht lag es an seinem Alter, dass er diese ganze Sache recht locker sah und nicht angewidert das Gesicht verzog, wie es einige ältere Kollegen wohl getan hätten. Ich endete irgendwann mit der Tatsache, dass ich nun mit Kaito im Hotel untergekommen war und griff dann nach meiner Kaffeetasse, da mir der Mund vom vielen Reden förmlich ausgetrocknet war. James fingerte in der folgenden Stille eine Zigarettenpackung heraus und steckte sich eine Kippe an, hielt mir die Packung dann auffordernd entgegen. Eigentlich war das Rauchen im Büro ja untersagt, aber… Ach, scheiß drauf. Ich griff mir eine Zigarette aus der Schachtel und genoss nach langem einmal wieder den grauen Rauch, der wirbelnd durch die Lungen zog. Gesund war es bestimmt nicht, aber beruhigend. Ungemein beruhigend. Eine ganze Weile saßen wir stumm und rauchend da, bis James wieder das Wort ergriff. Die Zigarette hing ihm schief im Mundwinkel, was ihm schon etwas leicht Verwegenes verlieh. Kein Wunder, dass er jede Woche eine neue Frau an seiner Seite hatte. »So wie das für mich aussieht…« begann mein Kollege, während er nachdenklich mit den Fingern auf dem Schreibtisch trommelte. »…brauchst du ganz dringend eine Wohnung und ein paar helfende Hände.« Ich seufzte schwer. »Ja, und an beiden fehlt es mir irgendwie…« Ich hatte wenige Freunde, da ich die letzten Jahre ja meist damit zugebracht hatte, mich in Arbeit zu stürzen oder eben bei meiner Familie zu sein. Früher hatte ich nicht mehr gebraucht, doch jetzt fiel es mir eben auf die Füße. Ebenso schienen alle Wohnungen, die annähernd meinen Ansprüchen genügen würden, schon vergeben zu sein. Resigniert sah ich James an, der mich nur breit angrinste, während man es förmlich hinter seiner Stirn arbeiten sehen konnte. »Ah, lass mich mal machen. Ich glaub, ich weiß da was.« Er zwinkerte mir geheimnisvoll zu und schwang sich vom Stuhl. »Lass James das mal regeln. Aber dafür wirst du in Zukunft mal öfter mit mir weggehen, mein Lieber.« Mit diesen Worten und einem knappen Winken verschwand mein Kollege aus dem Büro, die Zigarette weiter dreist im Mundwinkel, was ihm empörtes Kopfschütteln von den älteren Kollegen einbrachte. Ihm war es egal. Ich sah ihm schmunzelnd hinterher und fühlte wieder ein wenig Hoffnung. James war zwar ein Chaot und Weiberheld, aber seine Arbeit erledigte er ohne Tadel und stets war auf ihn Verlass. Ich wusste, dass er mein Geheimnis nicht breittreten würde. Und wenn er sagte, er könnte mir helfen, dann war das auch so. Es dauerte auch nicht lang und noch am selben Tag später am Abend bekam ich einen Anruf, der für mich und Kaito eine Wende bedeuten würde. James´ Stimme tönte mir gelassen aus dem Hörer entgegen. »Alan, klemm dir dein Schätzchen unter den Arm und schwing deinen Hintern her. Ich hab hier was für euch.« Er nannte mir noch eine Adresse, dann hatte er auch schon wieder aufgelegt. Kaito sah mich neugierig an. »Wer war das denn?« Ich zog den Jungen an mich und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Ein Freund, der uns vielleicht helfen kann.« raunte ich mit einem Zwinkern. Ich fuhr mit Kaito zur genannten Adresse, eine noble Gegend, etwas abseits des Stadtkernes und doch noch zentral genug, damit man ohne Probleme von hier aus schnell überallhin kommen würde. Unser Ziel war ein frei stehendes Hochhaus, vor dem uns James schon ungeduldig erwartete. Er begrüßte mich mit festem Handschlag, auch Kaito reichte er höflich die Hand. »Schön, dass man sich wieder sieht. Ich bin James, aber du erinnerst dich vielleicht noch an mich aus dem Kino!?« meinte er grinsend zu Kaito, der auch gleich schmunzelnd nickte. Mein Kollege fuhr mit uns im Lift bis in die oberste Etage, wo sich uns ein kleines, aber recht beeindruckendes Penthouse offenbarte. Rundherum konnte man durch große Glasfronten die gesamte Stadt überblicken, draußen führte eine schmale Terrasse rund um die Wohnung. James stapfte recht selbstzufrieden in die Wohnung und sah uns abwartend entgegen. »Na, wie findet ihr das?« Oh, ich fand die Wohnung klasse. Keine Frage. Selbst Kaito blickte sich mit großen Augen um, sowas sah er in seinem Leben mit Sicherheit zum ersten Mal. Das Problem war, dass ich mir das nie im Leben leisten konnte. Selbst mit meinem guten Gehalt war so eine Wohnung einfach nicht drin. Noch dazu, dass sie vollkommen leer und kahl war. Ich trat zu James, während ich mir den Nacken rieb und zweifelnd auf die Stadt hinabblickte. »Die Wohnung ist super. Aber… das kann ich mir nicht leisten, James.« raunte ich ihm eindringlich entgegen, während Kaito neugierig durch die Räume stöberte. Mein Kollege hatte wieder eine Zigarette im Mundwinkel, keine Ahnung, wo er die schon wieder her hatte und grinste mich gewohnt locker an. »Alan, meinst du, ich würde dir das hier anbieten, wenn ich nicht wüsste, das du dir das leisten kannst?!« Naja, bei ihm war ich mir manchmal nicht so sicher… Er klopfte mir kameradschaftlich auf den Rücken. »Das hier gehört meinem Onkel. Er selbst weilt eh wenig in der Stadt und die Wohnung war eigentlich mal für seine Geschäftskunden gedacht, die auf Dienstreise hier verweilen sollten. Leider ist die Bude immer noch leer und steht sich sozusagen die Beine in den Bauch.« James lehnte sich an das große Fenster, während er auf die leeren Räume vor uns deutete. »Ich konnte eine Vereinbarung mit meinem Onkel aushandeln. Wir werden die Bude herrichten und auf Vordermann bringen, dafür könnt ihr dann hier wohnen für einen…sagen wir, vernünftigen Preis.« »Das klingt schon besser. Bleibt nur die Tatsache, dass ich allein wahrscheinlich Wochen brauche, um die Wohnung bewohnbar zu machen…« James winkte schmunzelnd ab. »Auch dafür hab ich schon gesorgt.« Und das war tatsächlich so. Später hatte ich öfter den Gedanken, dass James ein Engel war, den mir der Himmel gesandt hatte. Wobei es schwer war, sich den chaotischen Macho mit Flügeln vorzustellen… Er hatte tatsächlich durch seine vielen Kontakte und Freundschaften einen Haufen an Leuten zusammengetrommelt, die mit mir und Kaito zusammen die Wohnung herrichteten. Es war ein lustiger, bunter Haufen an Männern und Frauen, die da zusammengefunden hatten und uns tatkräftig unterstützten. Die Wohnung musste wirklich von Grund auf erneuert, die Wände gestrichen, tapeziert und selbst der Fußboden an einigen Stellen ausgebessert werden. Für mich allein wäre das eine zu große Aufgabe gewesen, doch mit diesen vielen helfenden Händen ging die Arbeit rasch voran. Es war für mich amüsant und eine wahre Prüfung, Kaito bei der Arbeit zuzusehen, wie er in engen Klamotten und über und über mit Farbe beschmiert durch die Wohnung huschte und motiviert überall mit anpackte. Ich wusste nicht, ob James’ Freunde genauso locker auf diese Beziehung zwischen mir und dem Jungen reagieren würden, daher musste ich mich mit Zärtlichkeit in den nächsten Tagen wahrlich zurückhalten. Vor allem, da ich das Zimmer im Hotel vorzeitig aufgegeben hatte und wir nun vorübergehend mit in James’ kleiner Wohnung untergekommen waren. Also blieb uns nicht viel Zeit für uns, doch die Wohnung war leider erst einmal wichtiger. Die Arbeit und der Umgang mit anderen Menschen half mir aber auch wieder, ein Stück weit in das normale Leben zurückzufinden und ausgelassen sein zu können, ohne das ich ständig an meine Familie denken musste. Selbst Kaito taute recht schnell auf und lachte mit den anfänglich fremden Menschen, die schnell zu wahren Freunden für uns wurden. Meine Scheidung stand nun auch noch in den Startlöchern und ich würde mich wohl bald wieder mit dieser Tatsache und der Angst vor dem Verlust meiner Kinder auseinandersetzen müssen. Durch die viele Hilfe und stetige Arbeit schafften wir es tatsächlich in wenigen Tagen, die Wohnung halbwegs bewohnbar zu machen, sodass wir schon am Silvesterabend eine kleine Einweihungsparty feiern konnten. Es fehlten zwar noch ein paar Möbel, doch das würde dann alles im neuen Jahr folgen. Das Wichtigste war getan, sodass man zumindest erst einmal vier Wände und ein Dach hatte, unter dem man leben konnte. Ich hatte natürlich alle fleißigen Helfer zu der kleinen Feier eingeladen und alle waren gekommen, sogar James mit einer neuen Eroberung an der Seite. Ich schmunzelte still vor mich hin, bevor ich meinen Kollegen beiseite zog und ihn herzlich umarmte. »Danke, James. Danke für das alles hier.« Er lachte nur verschmitzt und knuffte mich leicht in die Seite. »Hey, kein Problem. Ist doch Ehrensache unter Freuden.« Es wurde eine lustige, ausgelassene Feier, auf der mir Kaito kurz vor Mitternacht noch gestand, dass er Geburtstag hatte. »Wie?! Du hast Geburtstag? Heute? Warum hast du denn nichts gesagt?« Ich zog den jungen Japaner ein wenig zur Seite, damit wir ungestört reden konnten. Kaito kaute verlegen auf seiner Unterlippe und zuckte mit den schmalen Schultern. »Wir hatten so viel zu tun, da wollte ich nicht mit so etwas Unwichtigem stören…« Ich zog ihn an mich, ungeachtet der feiernden Meute um uns. »Kaito, dein 18. Geburtstag ist doch keine unwichtige Sache! Ich hab nicht mal ein Geschenk für dich…« murrte ich vor mich hin. Der Junge umarmte mich innig, während ich seinen süßen Atem am Ohr spürte. »Du bist doch eh das beste Geschenk für mich, Alan. Ich brauch nichts anderes…« War es normal, dass mir allein seine träge, sinnliche Stimme heiße Schauer über den Rücken schickte? Ja, es war wohl normal. »Hey, alle mal herhören! Der Kleine hier feiert heute seinen 18. Geburtstag! Stoßen wir mal mit ihm aufs neue Jahr an!« James grinste neben mir dümmlich vor sich hin, natürlich musste er alles mitgehört haben. Aber wirklich sauer war ich ihm natürlich nicht. Die vielen Menschen, die mir in den letzten Tagen eine wahre Hilfe gewesen und irgendwie auch zu Freuden in dieser schweren Zeit geworden waren, wandten sich zu uns um, hoben jubelnd ihre Sektgläser und beglückwünschten Kaito, der recht verlegen wegen der vielen Aufmerksamkeit rot anlief. Ich zog ihn wieder an mich, konnte nun einfach nicht mehr an mich halten, da er in jenem Moment so unglaublich süß war, dass ich ihn einfach küssen musste. Vor versammelter Menge drückte ich ihm meine Lippen auf, was den Gästen verzücktes Raunen und begeistertes Klatschen entlockte. Ja, dieser Rutsch ins neue Jahr war einer der Besten, die ich je erlebt hatte, da ich endlich das Gefühl hatte, irgendwo angekommen zu sein. Kapitel 31: Überstunden ----------------------- So, heute mal ein Leckerbissen für meine treuen Leser, ganz besonders wohl für ~beast~, um deren Kopfkino und Wunsch nach brennenden Laken gerecht zu werden *schmunzel* Ich dachte mir, ich lasse Kaito auch mal zu Wort kommen. Der Arme musste gedanklich ja bisher immer schweigen. Und ja, auch Kaito hat ein kleines Stimmchen *g* Danke an ~Dayce~, ~beast~ und ~Hamsta-chan~ für eure stets lieben Kommis! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ein Traum. Ja, oft hatte ich das Gefühl, dass alles ein Traum sein müsste, der irgendwann wie eine Seifenblase zerplatzen würde. Komischerweise tat er es nicht. Nein, es war tatsächlich real, dass ich jetzt in einer eigenen Wohnung mit diesem Mann lebte, der selbst seine Familie verlassen hatte, um mit mir zusammen zu sein. Mit mir, einem mittlerweile 18 jährigen jungen Mann, der eigentlich bisher kein besonderes Glück im Leben hatte. Das, was ich dafür jetzt hatte, reichte mir eigentlich, damit ich den ganzen Scheiß vergessen konnte, der hinter mir lag. Ich konnte endlich hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft blicken, ohne da nur ein großes, schwarzes Loch zu sehen, in das ich unweigerlich irgendwann stürzen würde. Ich war froh, so froh, endlich aus dieser Hölle herauszukommen, die sich Familie nannte, ohne das ich dafür die Hilfe des Alkoholes oder zwielichtiger Freunde suchen musste, deren größte Begabung darin bestand, Drogen für das Vergessen zu verticken. Doch noch besser war, dass mir ein Engel in Menschengestalt dort herausgeholfen hatte. Ein Engel, dessen Gefühle mir gebührten. Mir allein. Ich sah Alan amüsiert dabei zu, wie er hektisch seine Krawatte band und nebenher versuchte, Akten vom Wohnzimmertisch zusammenzuschieben, um diese in seinem Koffer zu verstauen. Er war ein wenig spät dran, was auch nicht wirklich verwunderlich war an diesem Morgen des 2. Januars, der auch gleichzeitig wieder der erste Arbeitstag für viele war. Unsere „kleine“ Feier mit James und seinen Freunden hatte länger gedauert als gedacht und eigentlich hatten wir den gestrigen Feiertag nur damit zugebracht, aufzuräumen und Schlaf nachzuholen. »Soll ich dir vielleicht helfen?« kicherte ich amüsiert, während ich nur mit einer lockeren Hose bekleidet von meinem Platz hüpfte und zu Alan trat, um ihm zumindest die Krawatte richtig zu binden. Sein Blick glitt sofort über meinen nackten Oberkörper und ich konnte förmlich beobachten, wie er um Fassung rang und krampfhaft versuchte, Gedanken zurückzuhalten, die ich allerdings nur zu gern in ihm weckte. »So hilfst du mir auch nicht wirklich, Kaito…« raunte er mit belegter Stimme, während er sich nun doch zu mir herabbeugte, um meine Lippen für einen viel zu flüchtigen Kuss einzufangen. Ich seufzte resigniert, als er sich zurückzog. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du noch ein wenig bleiben würdest…« säuselte ich leise, während ich den Blick seiner so wunderschönen blauen Augen suchte. Oh ja, seine Augen waren wirklich klasse. Sie waren das Erste gewesen, was mir an ihm aufgefallen war, gleich neben seinem schiefen Lächeln, was er mir auch jetzt wieder schenkte. »So gern ich dieses Gespräch vielleicht im Schlafzimmer vertiefen würde, ich muss jetzt wirklich los…« Ich schob schmollend die Lippen nach vorn und sah ihn gespielt traurig an, um somit zumindest noch in den Genuss einer kurzen, heftigen Umarmung zu kommen. »Sieh mich nicht so an, Kaito. Das ist nicht fair…« wisperte Alan reumütig, während der betörende Duft seines Aftershaves und sein ganz eigener herb - männlicher Geruch in meine Nase stieg und sofort wieder schamlose Gelüste in mir weckten. Nach meinem Geschmack war es viel zu lange her, dass ich seinen kräftigen Körper über mir gespürt hatte, sein raues Keuchen gehört… Mein Unterleib reagierte viel zu schnell auf diese Vorstellung, sodass ich mich seufzend an dem großen Körper rieb, der mich noch umfangen hielt. Auch Alan musste mein kleines Problem bemerkt haben, denn er schob mich mit einem wissenden Blick von sich, wobei ich in seinen Zügen lesen konnte, dass er eigentlich genau das Gleiche wollte. »Später…« flüsterte er nur rau, während seine warme Hand über meine Wange strich, bevor er sich mühsam abwandte und aus der Tür verschwand. Da stand ich nun, mit einem pochenden Ständer in dieser noblen Wohnung und wünschte nichts sehnlicher, als das dieser Mann, an dem mein Herz hing, zurückkommen würde, um mich flachzulegen. Leider würde ich damit wohl bis heute Abend warten müssen. Geduld ist eine Tugend, Kaito. Na klasse… Mit einem missmutigen Schnauben nahm ich wieder am Tisch der offenen Küche Platz, wobei ich das lästige Ding zwischen meinen Beinen so schob, dass es mir nicht all zu sehr im Weg war, bevor ich den Rest meines Frühstücks verdrückte. Ich hatte noch ein wenig Zeit, bis ich zur Schule los musste, also genug Gelegenheit, um in Gedanken zu schwelgen. Mein Blick schweifte durch die Wohnung, die an einigen Stellen noch recht leer wirkte, doch Alan hatte gemeint, dass man den Rest der Möbel auch nach und nach kaufen konnte. Er hatte sicher recht. Ich war unheimlich froh, dass ich ihn an meiner Seite wissen konnte. Ich selbst hatte wenig bis gar keine Ahnung von diesem ganzen Kram was Wohnungen, Miete und Rechnungen anging. Alan war in allem immer so bewandert und erfahren, dass ich mir oft wie der letzte Trottel vorkam, der eigentlich zu gar nichts beitrug. Als Gegenleistung würde ich meine Schule mit perfekten Leistungen abschließen und mein Studium bald beginnen, das hatte ich mir geschworen. Ich wollte unbedingt, dass Alan stolz auf mich sein konnte. Und natürlich wollte ich auch schnell irgendwas zu der Wohnung beisteuern können, denn noch immer behagte mir der Gedanke nicht, jemandem auf der Tasche zu liegen. Egal wie oft mir Alan versichern würde, dass es in Ordnung wäre, ich selbst fand es einfach nur schrecklich. Denn irgendwo in mir war immer noch diese blödsinnige Angst, diesen Mann zu verlieren. Eigentlich war diese Furcht unsinnig, denn Alan hatte seine Familie für mich verlassen. Nur für mich. Trotzdem konnte ich diese unterschwelligen Gefühle nicht ganz abstellen. Ich erinnerte mich noch genau an diese Begegnung nach meinem Auftritt in der Bar, als mich Alan das erste Mal angesprochen hatte. Mir war sofort klar gewesen, dass ich diesen Mann wollte. Oh ja, ich wollte ihn und doch hatte ich damals keine Ahnung gehabt, wie ich das anstellen sollte. Ich hatte wirklich noch nie einen Mann getroffen, der mich so auf Anhieb umgehauen hatte. Diese Augen... Diese Lippen... Diese Stimme... Dieser Körper. Einfach alles schien an Alan zu stimmen, noch dazu war er achtbar, klug und einfühlsam. Da war es natürlich verständlich, dass ich mir keine Chancen ausgerechnet hatte. Überhaupt keine. Vor allem nicht, nachdem ich das Bild seiner Familie auf dem Schreibtisch gesehen hatte. Natürlich war so ein Mann hetero und noch dazu verheiratet. Und mit Sicherheit hätte er überhaupt kein Interesse an einem Jungen wie mir. Ich war mir sicher gewesen, dass ich mir die Zähne an Alan ausbeißen würde und trotzdem wollte ich nicht locker lassen. Ich wollte ihn nur ein einziges Mal küssen dürfen, ihn verführen, um nur einmal diese wundervollen Hände auf meinem Körper spüren zu können… Diese Gedanken waren mehr als egoistisch gewesen. Ich fühlte immer noch Reue wegen Lisa und Alan´s Kindern. Sie waren herzlich und wirklich nett und unter anderen Umständen hätte ich mich vielleicht gut mit ihnen verstehen können. Eigentlich hatte ich nie vorgehabt, eine Familie zu zerstören… Doch Gefühle waren oft stärker als gute Vorsätze. Dann kam diese verhängnisvolle Nacht mit zu viel Alkohol und viel zu viel Nähe, in der ich mir das erste Mal die Hoffnung erlaubte, dass Alan vielleicht doch mehr für mich fühlen könnte als reine Freundschaft. Die Erinnerung an diese Nacht machte meine Hose wieder verdammt eng, sodass ich die Gedanken lieber abschüttelte, um nun doch auch meine Sachen zu packen und mich zur Schule aufzumachen. Die Zeit im Unterricht zog sich an diesem Tag träge wie Kaugummi dahin, während ich immer wieder aus dem Fenster sah und das Ende der Schule herbeisehnte. Der Abend würde ja endlich die Erlösung meiner Qual bedeuten… Uh, ich sollte meine Gedanken wirklich in unverfänglichere Richtungen lenken und dem Unterricht folgen, sonst hätte ich bald Mühe, ein kleines, dezentes Problemchen noch länger geheim zu halten. Und bei diesen Raubtieren, die sich Frauen nannten, wäre das schrecklich. Ich hatte so schon oft genug mit all zu eindeutigen Angeboten zu kämpfen, die meist mehr lästig als wirklich reizend waren. Für mich gab es nur einen Menschen, den ich so fühlen wollte. Und der war leider gerade nicht zur Stelle. Nachdem ich diese Pflichtveranstaltung, die sich Schule nannte, endlich hinter mich gebracht hatte, fuhr ich mit dem Bus noch zum Tierheim, um Elene noch ein gutes, neues Jahr zu wünschen und sie über die neuesten Ereignisse Alan und mich betreffend zu informieren. Sie freute sich natürlich unglaublich für mich und ich war froh, ihr endlich ein wenig die Sorgen nehmen zu können. Meiner Ansicht nach hatte sie sich immer viel zu viele Gedanken um mich gemacht. Ich erledigte meine Arbeit bei den Tieren gewissenhaft, bevor ich mir am späten Nachmittag einen Bus schnappte und wieder zurück in die Stadt und zur Wohnung fuhr. Ich plante in Gedanken schon den Verlauf des Abends, als mich mein Handy in die Wirklichkeit zurück rief, indem es piepsend den Eingang einer Nachricht verkündete. Als ich das kleine Telefon hervorzog, kam mir flüchtig in den Sinn, dass sich meine Mutter seid der Sache mit Alan nicht mehr gemeldet hatte. Gut so. Mir war es ganz recht, ich hatte kein Bedürfnis mit ihr zu reden, da sie für mich nicht mehr war, als die Frau, die mich auf die Welt gebracht hatte. Eine wahre Familie hatte ich eh nie gehabt. Ich klappte das Handy auf. Die Nachricht war von Alan. ~Hey. Es wird heut etwas später. Sitz noch über einem Fall. Wollte nur, dass du Bescheid weißt.~ Wunderbar… Damit waren dann meine Pläne für den Abend wohl gelaufen. Seufzend schob ich das Telefon in meine Tasche zurück und stieg an meiner Haltestelle aus, um recht unzufrieden in unsere Wohnung zurückzukehren. Ohne Alan waren diese Räume viel zu groß und viel zu kalt. Ich vermisste ihn jetzt schon wieder so sehr, dass ich einen Moment mit dem Gedanken spielte, ihn anzurufen. Aber das wäre sinnlos gewesen und hätte mich auch nicht wirklich befriedigt. Wobei seine raue, dunkle Stimme allein schon mein Herz zum Hüpfen bringen konnte. Also Kaito, was tun? Diese drängende Erregung, die ich schon den ganzen Tag über gespürt hatte, ließ mich einfach nicht los und setzte ziemlich eindeutige Bilder in mein Hirn, welche sich auch hartnäckig dort hielten. Ich brauchte Alan. Ich wollte Alan. Und das sofort. Ähm, Kaito…deine Gedankengänge machen mir Angst. Ich stapfte entschlossen ins Schlafzimmer und wühlte ein paar meiner Klamotten heraus, die mit untrüglicher Sicherheit ihre Wirkung auf die Außenwelt nicht verfehlen würden. Besonders bei Alan nicht. Ich wusste, dass er es liebte, wenn ich diese knallengen Sachen trug. Ich konnte seinen Blick dann stets förmlich überall auf meinem Körper fühlen. Ich betrachtete mein Spiegelbild zufrieden und wand mich hin und her. Ja, das war perfekt. Alles schwarz und verdammt eng. Mir selbst wurde schon heiß, allein bei den Gedanken an das, was ich nun vorhatte. Kaito, dir ist schon bewusst, dass du Alan in eine ziemlich heikle Situation bringen wirst?! Er wird dir die Klamotten vom Leib reißen wollen. Ja, genau das sollte er auch wollen. Und es am Besten noch tun. Ich warf mir eine Jacke über und war schon drauf und dran, wieder aufzubrechen, als mir noch etwas einfiel. Mit fühlbarer Wärme auf den Wangen lief ich kurz zurück ins Schlafzimmer und kramte ein unverzichtbares Hilfsmittelchen aus meinem Nachttisch. Nun, dann auf in die Schlacht. Ich kämpfte mich im abendlichen Stadtverkehr mit einem Taxi zur Kanzlei, vor der ich mit klopfendem Herzen ausstieg. Mit größter Anstrengung musste ich meinen Körper beherrschen, der bei meinen sündigen Gedanken wieder einmal Blut an Stellen schicken wollte, wo ich es im Moment noch wenig gebrauchen konnte. Ich betrat den Eingangsbereich und nickte den Empfangsdamen höflich zu, die mir freundlich zurückwinkten. Die Meisten hier kannten mich ja, da ich ab und an im Archiv half. Mit einem drängenden Kribbeln im Bauch fuhr ich mit dem Lift in jene Ebene, in der Alan´s Büro lag. Auch hier grüßten mich die meisten Anwälte, auch James entdeckte ich, der mir aus einem Büro fröhlich zuwinkte, während er mit den Füßen auf dem Schreibtisch ein Telefonat tätigte. Ich grinste verstohlen zurück. James war schon ein toller Typ, so offen und stets gut gelaunt. Ich mochte ihn wirklich sehr und das nicht nur, weil Alan und ich ihm viel verdankten. Auch seine Freunde waren super nett. Keiner hatte mich schief angesehen, weil ich auf Männer stand, was für mich schon ein großes Wunder war. Irgendwie war mir ja meist nur Abscheu und Unverständnis entgegen geschlagen, selbst aus meiner eigenen Familie, so war es nun eine wahre Wohltat, einmal ganz man selbst sein zu können. Ich steuerte zielsicher ein bestimmtes Büro an, dessen Tür nur leicht angelehnt war. Die kehlige Stimme, die aus dem Raum tönte, ließ mich sofort erschaudern. Ich spähte durch den Türspalt, sah Alan an seinem Schreibtisch sitzen, das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt, während er geschäftig etwas auf seiner Tastatur eingab. Die Brille, die er nur trug, wenn er viel lesen musste, thronte auf halber Höhe auf seiner geraden Nase, während er über die Gläser verbissen auf den Monitor vor sich starrte und nebenher wohl mit einem Klienten telefonierte. Ich war mir sicher, dass er gar nicht wusste, wie sexy er in diesem Moment aussah. So seriös, so ernst und professionell, dass ihm dieser erotische Hauch von Macht und Kraft anhaftete. Ich leckte mir die trockenen Lippen, während mein Blick an der Stelle etwas oberhalb von Alan´s Brust hängen blieb, an der er seine Krawatte ein wenig gelockert hatte. Ich spürte einen Stich der Besitzgier und Eifersucht auf jeden gesichtslosen Klienten, der meinen Alan so sehen würde. Doch gleichzeitig ließ auch noch ein anderer Gedanke mein Herz regelrecht rasen. Nur ich würde wissen, wie er nackt aussah. Welche Töne er von sich gab, wenn er diesen Anzug und seine seriöse Maske ablegte, um mich zu beherrschen. Um mich… Kaito, willst du jetzt reingehen oder weiter hier draußen wie ein Spanner lauern? Ich glaube, einige von Alan´s Kollegen mustern dich schon skeptisch. Ich holte tief Luft, drückte die Tür auf und schob mich leise in das Büro. Alan sah nur kurz auf, blinzelte überrascht, bevor er sich wieder dem Gespräch mit seinem Kunden zuwenden musste. Ich nutze diesen Moment, um die Tür hinter mir zu schließen und auch den Schlüssel im Schloss zu drehen. Langsam schritt ich auf den Schreibtisch zu, während ich mich leicht im Schatten der einzigen Lampe im Raum hielt, die auf dem Tisch stand. Alan warf immer wieder verstohlene Blicke in meine Richtung. Ich stellte recht zufrieden fest, dass sein Blick musternd über meine Gestalt glitt und recht lange an meinen Beinen hängen blieb, die in einer hautengen, schwarzen Lederhose steckten. Er hatte sichtlich Mühe, seine Augen wieder abzuwenden und sich auf die Worte seines Klienten zu konzentrieren. Ich genoss es, diese Macht über ihn zu haben; ihn allein mit meinem Anblick und meiner Nähe schon so zu erregen, dass seine Gedanken unweigerlich nur noch um mich kreisen würden. Ich wusste, dass es gemein war, ihn hier so unvermittelt zu überfallen, doch mein Körper verlangte jetzt einfach nach Nähe. Nach seiner Nähe. Nach Alan. Irgendwann, nach einer Ewigkeit, wie mir schien, legte er endlich auf und rieb sich die Stirn, bevor er den Kopf wand und zu mir herüberblickte. Ich hatte mich an eines der Fenster gelehnt und hier stumm gewartet. »Kaito, was machst du denn hier?« brachte er endlich heraus, während seine blauen Augen schon wieder über meinen Körper glitten. Ich wollte dieses Spielchen noch ein wenig ausreizen, schob mir betont langsam die Jacke von den Schultern und ließ diese achtlos zu Boden fallen. Auch kletterte ich aus meinen Schuhen und schob diese einfach beiseite. Dann trat ich langsam an Alan heran, der mir abwartend entgegensah, wobei seine Augen verräterisch lustvoll flackerten. »Ich hatte Sehnsucht nach dir, Alan. Und zuhause wollte ich nicht auf dich warten…« wisperte ich mit dunkler Stimme, mit genau jener Stimme, die er so liebte. Forsch schob ich mich zwischen ihn und den Schreibtisch, auf dem ich mich niederließ, sodass Alan auf seinem Stuhl zwischen meinen geöffneten Beinen eingeschlossen wurde. Es war amüsant und reizvoll zuzusehen, wie Alan mit sich selbst kämpfte. Er hatte wahrscheinlich noch eine Menge zu tun, doch dieses Angebot hier auf seinem Schreibtisch, direkt vor sich, ließ ihn auch nicht kalt. »Kaito… ich muss das wirklich noch fertig machen-« begann er, zog die Luft aber scharf mit einem Zischen ein, als ich einen Fuß hob und sachte auf die Stelle zwischen seinen Beinen setzte. Da ich nicht viel von Socken hielt, trafen meine Zehen ungehindert auf den teuren Stoff der Anzughose und vollführten dort kleine, neckende Bewegungen. Alan leckte sich über die Lippen, während sein Blick kurz zwischen seine Beine glitt, bevor er mich wieder ansah und die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkniff. Hm, ich reizte ihn gerade und das gefiel mir ungemein gut. Dieses finstere Gesicht, welches immer wieder von Lust erhellt wurde, war ziemlich geil. »Kaito…« zischte er drohend; flüchtig huschte sein Blick zur Tür. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und wand es wieder zu mir, bevor ich mich herabbeugte und gierig über seine vollen Lippen leckte. »Ich hab abgeschlossen.« raunte ich lüstern gegen seinen verführerischen Mund, bevor ich meine Zunge vorschnellen ließ, um sie zwischen Alan´s Lippen zu stoßen. Ein heißeres Knurren war die Antwort, während er meine nackten Arme packte, wohl in dem Versuch, mich von sich zu schieben. Allerdings schien sich sein Hirn im nächsten Moment doch anders zu entscheiden, da er mich näher zu sich zog und meine Zunge heiß mit seiner begrüßte. Dass meine Bemühungen recht schnell Früchte trugen, bestätigte mir diese harte Erhebung unter meinem Fuß, den ich weiter stetig auf dem Stoff auf und ab gleiten ließ. Es beruhigte und erfreute mich gleichzeitig, dass die lange Durststrecke, die wir hinter uns hatten, wohl auch an Alan nicht spurlos vorübergegangen war. Er wollte mich, oh ja. Nur war ihm die Vernunft noch ein wenig im Weg. Ich küsste ihn gierig und leidenschaftlich, erforschte seine Mundhöhle mit meiner Zunge, als wäre es das erste Mal, dass wir uns so küssen würden. Ein kleines Seufzen entwich mir in den Kuss, was ein merkliches Schaudern durch den kräftigen Körper vor mir schickte. Alan beendete die Vereinigung unserer Lippen irgendwann und schob mich doch ein Stück von sich, während wir uns eine Weile nur schweigend und schwer atmend ansahen. »Kaito, wir sind hier im Büro…« brachte er heiser hervor. Und? Wo war das Problem? Die Tür war doch zu. Büro, Kaito. Das heißt, hier könnte jemand etwas von eurer kleinen Zusammenkunft mitbekommen. Ich hob die Hände und zog Alan die Brille vorsichtig von der Nase, um diese dann achtlos neben mir abzulegen. Wieder beugte ich mich zu ihm, genoss seinen Duft und die Wärme, die sein großer Körper ausstrahlte. Ich arbeitete mich mit den Lippen über seine leicht stoppelige Wange zu seinem Ohr vor, an dem ich die Zähne ansetzte, was ihn unterdrückt keuchen ließ. »Alan…ich will dich aber…hier…jetzt…bitte…« hauchte ich in seine Ohrmuschel, die ich gleich darauf mit der Spitze meiner Zunge nachfuhr. Schon spürte ich die warmen Hände, wie sie von meinen Armen glitten und sich auf meinen Oberschenkeln einfanden, die verführerisch in dunklem Leder steckten. »Du bist ein Teufel…du weißt ganz genau, dass ich dir so kaum widerstehen kann…« hörte ich Alan dunkel raunen, während seine Finger hauchzart über meine Schenkel höher glitten und mir ein wohliges Schnurren entlockten. Ohne Vorwarnung hatte er meine Hüfte gepackt und mich zu sich herunter auf seinen Schoß gezogen, fast ein wenig grob, doch das störte mich in jenem Moment wenig. Ich schlang die Arme willig um seinen Hals und drückte ihm wieder meine Lippen auf, genoss sein leises Seufzen, während seine Hände von meiner Hüfte höher wanderten, unter den Stoff meines schwarzen Shirts fuhren und heiße Spuren auf meiner Haut hinterlassend an meinen Seiten auf und ab glitten. Oh Gott, wie scharf ich es fand, seine großen, starken Hände auf meinem Körper zu fühlen. Hektisch lockerte ich zwischen zwei Küssen Alan´s Krawatte und pfefferte diese achtlos beiseite, bevor ich gierig sein Hemd Knopf um Knopf öffnete. Wir klammerten wie zwei völlig ausgehungerte Wölfe aneinander, kämpften um Vorherrschaft im Mund des jeweils anderen, während unsere Finger gar nicht schnell genug die Haut des anderen spüren konnten. Ich schob Alan das nun offene Hemd über die Schultern, ließ meine Hände begehrlich über seine warme Haut wandern, tiefer zu der haarlosen Brust und dem festen Bauch. Sein Körper war einfach göttlich. Wer würde auf Anhieb vermuten, dass unter dem strengen Anzug eines Anwaltes solch ein Körper schlummerte? Er war perfekt, mein Alan. Groß, kräftig, mit den Muskeln an den richtigen Stellen, wobei er eher den sehnigen Körperbau eines Läufers hatte. Auch er blieb nicht untätig, schob mir fahrig das enge Shirt über den Kopf, um sofort die Lippen an meinem Hals herabgleiten zu lassen. Wenig später erreichte sein Mund meine empfindlichen Brustwarzen, die er neckend immer wieder zwischen die Zähne zog und träge mit der Zunge umkreiste. Ich wimmerte lustvoll, wobei ich mir redlich Mühe gab, nicht zu laut zu werden. Immerhin konnte man uns vielleicht hören, wobei Sehen glücklicherweise ausfiel, da die einzigen Fenster des Büros auf die abendliche Stadt zeigten. Ich wollte mehr. Und ich wollte schnell mehr. Ungeduldig rieb ich mich an seinem Schoß, um ihm die Dringlichkeit meiner Erregung deutlich zu machen. Meine Fingernägel kratzten leicht über seinen Rücken, während ich mich noch näher an ihn presste, da sein warmer Körper meine Haut ebenfalls in wildes Glühen hüllte. Ich spürte seinen heißen Atem keuchend an meiner Brust, seine Finger drückten mich fest auf seine Mitte, was mir elektrisches Prickeln durch den Unterleib schickte. Ich schnappte mit den Zähnen erneut nach seinem Ohr, unterdessen rutschten meine Hände über seinen flachen Bauch tiefer und nestelten fahrig an dem Verschluss seiner Hose. »Alan…bitte…ahh…nimm mich…« Als wäre das die Grenze gewesen, die ihn noch bei seiner Vernunft gehalten hatte, brach wohl die Begierde nun mit rasender Schnelligkeit über ihn herein. Mit einem kehligen Brummen erhob er sich von seinem Stuhl, schaffte das mir unfassbare Kunststück, mich mit einem Arm zu halten, während er den anderen nutzte, um forsch und ohne wirkliche Rücksicht die Akten von seinem Schreibtisch zu schieben. Polternd und nicht gerade leise verabschiedete sich da einiges auf den Fußboden. Doch bevor ich mir näher Gedanken darüber machen konnte, fand ich mich auf dem Rücken auf der kühlen Tischplatte wieder, Alan über mich gebeugt, der mit glänzenden, verengten Augen und schwerem Atem auf mich herabsah. »Ich hoffe, du kannst leise sein…» wisperte er so dunkel, dass mir ein kleines Stöhnen über die Lippen rutschte, allein bei den Gedanken, was diesen Worten folgen würde. Ich merkte, dass er noch immer ein wenig sauer war, dass ich ihn zu so etwas verführte. Wahrscheinlich war er aber eher wütend auf sich selbst, da die Lust immer mehr die Oberhand in ihm gewann. Mit raschen Handgriffen öffnete er meine Hose und zog sie mir hastig über die Beine, dann folgten meine Shorts, sodass ich nun völlig nackt und erregt vor ihm lag. Sofort spreizte ich meine Beine lüstern, wollte nichts mehr, als ihn in mir zu spüren. Doch nun wollte es mir Alan schwer machen… Wieder beugte er sich über mich, küsste mich so leidenschaftlich und fest, dass mir sprichwörtlich der Atem wegblieb. Sein Mund löste sich von meinen Lippen, nur um über meine Kehle tiefer und immer tiefer zu rutschen, bis er meine heftig pochende Erregung erreichte, die schon seid langem nach Berührung gierte. Seine starke Hand schloss sich um mein Glied, welches den geschickten Fingern sofort hungrig entgegen zuckte, während mir ein leises Stöhnen aus der Kehle rollte. Alan sah kurz zu mir auf, das Verlangen brannte fast leuchtend in seinen Augen. »Sei leise...« Kaum hatte er das gesprochen, spürte ich seinen feuchten Mund, der meinen Penis umfing und ihn bis tief in seinen Rachen saugte. Oh, dieser Mistkerl…das machte er mit Absicht… Ich wand mich auf dem Schreibtisch, krallte die Finger haltsuchend in das glatte Holz, während ich zittrig jeden Ton im Keim erstickte, indem ich mir fest auf die Lippen biss. Alan steigerte seine Bemühungen noch, kitzelte meine empfindliche Spitze mit der Zunge, bis mir bald nur noch bunte Punkte vor den Augen tanzten. Scheiße, war das gut… Diese feuchte Hitze, die meinen Schwanz umfing, die fordernden Finger an meinen Hoden und die Gefahr und der Reiz des Verbotenen waren eine explosive Mischung, die mir einen feinen Schweißfilm auf den Körper trieb. Bald spürte ich noch seinen Daumen, der quälend um meinen Eingang strich und sanft dagegen drückte, was mich nun doch, entgegen aller Bemühung, ein raues Keuchen ausstoßen ließ. Mein Körper zitterte inzwischen unkontrolliert, während mir abwechselnd heiß und kalt wurde und ich nur noch aus sinnlichen Empfindungen zu bestehen schien. Alan schien wohl zu spüren, dass ich an der Grenze zur Erlösung balancierte, denn er ließ abrupt von mir ab, richtete sich auf und sah mit fast zufriedenem Ausdruck auf mich herab. Ich räkelte mich mit obszön gespreizten Beinen vor ihm, sah mit glasigen Augen zu ihm auf, bevor meine Lippen nur eine stumme Bitte formen konnten. »Mehr.« Und mehr sollte ich bekommen… Alan öffnete seine Hose und stieg aus dieser, unterdessen angelte ich nach meiner, die noch halb über dem Monitor hing. Ich fingerte mit zittrigen Händen die kleine Tube aus der Tasche, die ich geistesgegenwärtig eingepackt hatte und hielt diese Alan entgegen. Dieser nahm sie entgegen und schüttelte mit einem schiefen Grinsen den Kopf. »An alles gedacht, hm?« raunte er mit sexy, heiserer Stimme. Ich sparte mir eine Antwort, schlang die Beine einfach um seine Hüfte, um ihn nah an mich zu ziehen. Verdammt, er sah einfach so geil aus, so völlig nackt im Dämmerlicht des Büros, dass mir das Herz fast die Kehle hinauf hüpfte. Mein verschleierter Blick wanderte an ihm herab und sein völlig steifer Schwanz zeigte mir mit Genugtuung, dass mein kleiner Plan voll aufgegangen war. Alan öffnete die Tube Gleitgel rasch und rieb sich sein Glied großzügig ein, während ich ihm gebannt zusah und mir immer wieder über die Lippen lecken musste. »Mach…schon…« Das ließ er sich auch nicht zweimal sagen. Er schob sich zwischen meine Beine, packte meine Hüfte, um meinen Hintern ein wenig anzuheben, bevor ich das sachte Tasten seiner festen Erregung an meinem Eingang spürte. Ich hob mich ihm noch entgegen, damit er mich Stück für Stück quälend langsam ausfüllten konnte. Mein Keuchen konnte ich nun nicht mehr unterdrücken, versuchte es aber zumindest durch meinen Handrücken zu dämpfen, den ich mir geistesgegenwärtig auf die Lippen presste. Auch Alan hatte nun mit sich zu kämpfen; sein Atem brach stoßweise über seine Lippen, während er mich bald voll ausfüllte und mir einen Moment ließ, um mich an ihn zu gewöhnen und meine Muskeln zu entspannen. Als er spürte, dass ich mich völlig gehen ließ und anfing, mich auffordernd unter ihm zu winden, begann er sich zu bewegen. Seine Finger krallten sich in meine Hüfte, jeder Stoß drang immer tiefer in mich und schon bald hatte er jenen Punkt erreicht, der einen Blitz nach dem anderen durch meinen Körper zucken ließ, sodass Geräusche nun nicht mehr vermeidbar waren. Ich stöhnte verhalten hinter meiner Hand und hoffte, dass das reichen würde, um das Ärgste zu dämpfen. Alan sah verlangend auf mich herab, genoss das Aufbäumen meines Körpers, während seine Augen sogar leichte Missgunst ausdrückten, dass ich meine Stimme beherrschen musste. Ich wusste, dass ihn mein Stöhnen erst recht anheizte. Sein Eindringen in mich wurde immer heftiger und nachdrücklicher, dass ich bald das Gefühl hatte, wahnsinnig zu werden, wenn ich den ganzen Druck in mir nicht in Geräuschen loswerden konnte. Unsere heißen Körper trafen mit feuchten, eindeutigen Geräuschen immer wieder aufeinander, unser rascher Atem erfüllte den ganzen Raum. Ich hob meine zittrigen Hände und musste mich einfach selbst berühren, da die Erregung so übermächtig wurde, dass ich nicht abwarten konnte, den Gipfel der Lust zu erreichen. Ich pumpte mein Glied im Takt zu Alan´s Stößen, genoss sein lustverzerrtes Gesicht, während er mir gierig dabei zusah, wie ich vor lauter Leidenschaft bei mir selbst Hand anlegen musste. Seine Brust hob und senkte sich im Rhythmus seiner heftigen Atemzüge, den Kopf leicht in den Nacken gelegt stöhnte er tief und rau, wobei auch er sichtlich Mühe hatte, sich nicht all zu sehr gehen zu lassen. Ich musste mein zuckendes, feuchtes Glied schlussendlich aus meinen bebenden Händen entlassen, tastete fahrig nach Alan´s Fingern, die sich noch immer in meine Hüfte gruben. Ich packte seine Hände und zog ihn zu mir herunter, wollte ihn nun nur noch ganz nah bei und auf mir. Ich wollte seinen Geruch, seine Stimme, seine Leidenschaft. Er stützte sich mit den Armen links und rechts neben mir ab, hielt mit den Händen meine Schultern, während er meine Lippen begehrlich suchte und seine unterdrückten Laute in meinen Mund entließ. Ich bog mich ihm wimmernd entgegen, die Beine um seinen Leib geschlungen, damit ich ihn zu noch tieferen und schnelleren Stößen anfeuern konnte. Meine Hände wanderten über seinen verschwitzten, glühenden Körper, hinterließen vielleicht sogar kleine Nagelspuren; so genau konnte ich das im Taumel der Lust nicht mehr sagen. Mit einem rauen und, ja, verdammt lauten Stöhnen kam ich unter ihm, entlud mich zuckend zwischen uns und schnappte nach Luft. Auch Alan folgte mir rasch über diesen Berg und ich konnte mit Befriedigung fühlen, wie er heiß in mir kam und mich mit seinem Saft erfüllte, bevor er keuchend über mir zusammensackte. Ich schloss die Augen und drückte diesen Mann, den ich so sehr liebte, besitzergreifend an mich. Das waren doch mal die besten Überstunden, die man sich vorstellen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)