Scream in the sphere of destiny von Ceydrael (Wage den Schritt hinaus) ================================================================================ Kapitel 2: Der erste, zögerliche Schritt ---------------------------------------- Der nächste Tag begann grau in grau. Das Wetter lud nicht gerade zu Begeisterungsstürmen ein. Und mein Kopf dröhnte von den vielen Gedanken, die mir auch den Rest der Nacht keine wahre Ruhe gelassen hatten. Wo war dieser verdammte Schalter, mit dem man seinen Kopf zum Schweigen bringen konnte? Matt und antriebslos bereitete ich mein Frühstück, selbst das Lachen meines Sohnes konnte mich wenig aufheitern. Mechanisch drückte ich diesen an mich und wünschte meiner Tochter einen guten Tag. Lisa bemerkte von meiner trüben Stimmung wenig. Nun, ich war es gewohnt, die Haltung zu wahren. Gedankenverloren hob ich die Kaffeetasse an die Lippen und sah aus dem Fenster. »Hast Du heute wieder einen langen Tag, Schatz?« Ich registrierte am Rande meines Denkens, das ich mit dieser Frage gemeint war. Ich nickte leicht und erhob mich dann vom Tisch. »Ja, ich denke, heute wird es wieder später. Ich werde noch die letzten Fälle ordnen und katalogisieren müssen. Das dauert immer eine Weile. Ich ruf dich dann noch einmal an wegen dem Abendessen.« Lisa nickte lächelnd und drückte mir zum Abschied einen sanften Kuss auf die Wange. Mir fiel seltsamerweise heute auf, dass sie noch genauso hübsch war, wie an jenem Tag, als ich sie das erste Mal traf. Blondes, halblanges Haar, große, blaue Augen und ein herzliches Lächeln. Jeder Mann hätte sich wohl ein Bein ausgerissen, um mit ihr verheiratet zu sein. Gut, viele hatten auch alles versucht, um damals in ihrer Gunst zu steigen. Doch sie hatte mich gewählt. Heute wollte mich auch dieser Gedanke nicht aufmuntern. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, aber das ging ja noch weniger, als einfach nur mit schlechter Laune den Tag zu beginnen. Es war einfach seltsam, als würde eine dicke Glocke über mir hängen und die Welt um mich herum ausblenden. Die Fahrt zur Arbeit verlief ereignislos. Langweilig und stumpfsinnig wie immer. Ich nahm alles nur gedämpft wahr. Ab und an erwischte ich mich bei dem Gedanken oder besser bei der Frage, ob es den anderen Menschen genauso ging wie mir in jenem Moment. Ich sah viele durch regennasse Windschutzscheiben, die Gesichter meist ausdruckslos oder verspannt auf den Verkehr konzentriert. Woran diese Menschen wohl alle gerade dachten? Ob sie auch ab und an über ihr Leben grübelten? Vielleicht. Das Büro, meine Arbeit und die Kollegen schafften es dann, mich zumindest wieder in die Welt der Lebenden zu ziehen und bald hatte ich dieses nächtliche Geschehen vergessen. Oder besser, irgendwo tief in mir abgelegt. Ich beschäftigte mich mit alltäglichen Problemen von Leuten. Sorgerechtsstreits. Nachbarschaftskriege. Scheidungsauseinandersetzungen. Manchmal blickte ich von meinem Schreibtisch auf und fragte mich, was Menschen eigentlich antrieb, sich das Leben gegenseitig schwer zu machen. Alan, du lebst davon, dass sie es tun. Also hör auf dich darüber zu beschweren. Später folgte die Frage, was passieren würde, wenn ich jetzt einfach aufstehen würde, um zu gehen und vielleicht den Rest des Tages mich in einem Wellnesshotel verwöhnen lassen würde? Natürlich blieb ich sitzen. Und arbeitete brav. Wie immer eben. Die Zeit verging. Der Tag floss träge dahin. Es war schon später Nachmittag und ich brütete noch immer über meinen Akten, abgeschlossenen Fällen, die nun endlich auch als solche behandelt werden mussten. James trat an meinen Schreibtisch heran und stellte eine neue, von geschätzten zwanzig, Kaffeetasse, an diesem Tag auf meinen Tisch und boxte mir leicht gegen die Schulter. »Alan, du siehst scheiße aus.« Danke für die Blumen. »Hm, hab schlecht geschlafen.« Ich vergrub eine Hand in meinem kurzen Haar und versuchte mich wieder auf den Ordner vor mir zu konzentrieren. Wenn ich etwas hasste, dann waren es Gespräche über mein Wohlbefinden. Außerdem würde eh keiner meine, zugegeben, wirren Gedankengänge der Nacht nachvollziehen können oder wollen. Am Rande meines Denkens fiel mir mit einem Blick auf die Uhr ein, dass ich Lisa noch anrufen wollte, damit sie wegen dem Essen bescheid wusste. »Die Jungs und ich wollen nachher noch in eine kleine Bar hier gleich um die Ecke. Willst du nicht mitkommen?« James war Anfang 20 und eigentlich beendete er fast jeden Tag in irgendeiner Bar mit irgendeinem Mädchen. Ich sah zu ihm auf und er lächelte mir auffordernd und freundlich entgegen. Er wurde es nie leid, zu fragen. Normalerweise hätte ich nun, wie die vielen Male zuvor, dankend abgelehnt, doch heute war ja kein normaler Tag. James sah mich schon ein wenig seltsam an, wohl wusste er nicht, was er von meinem ungewohnt langem Schweigen halten sollte. Mein Blick huschte zu dem Bild meiner Familie auf dem Schreibtisch. Es war noch gar nicht so alt. Lisa in einem blauen Kleid, Colin mit seinen süßen 2 Jahren auf dem Arm und meine Tochter ein wenig mürrisch daneben. Susan wurde nun 14 und kam in das Alter, in dem es zunehmend schwieriger wurde, sie zu verstehen. Zumindest für mich als Vater. »Hm, okay. Ich mach das hier noch schnell fertig, dann komm ich mit.« Mein Kollege wirkte, als hätte ich ihm gerade erklärt, dass ich schwanger war. »Ehrlich!?« »Ja. Ehrlich. Und nun hau ab, bevor ich es mir anders überlege.« Ich warf lachend einen Bleistift nach ihm und er verzog sich kichernd mit abwehrend gehobenen Händen. Alan, was hast du gerade getan? Ich habe zu einem Treffen mit Kollegen zugesagt. Und wann hast du das das letzte Mal getan? Ist schon eine Weile her. Ich glaube, seid ich verheiratet bin…gar nicht mehr?! Aber irgendwie fühlte sich das verdammt gut an. Mein Tag würde einmal nicht enden wie das Standartprogramm. Wenn ich geahnt hätte, wie anders ab diesem Moment mein Leben verlaufen sollte, vielleicht hätte ich dann nicht zu diesem Treffen zugesagt. Vielleicht hätte ich aber auch auf Knien darum gebettelt. Ich starrte noch eine Weile auf den geöffneten Aktenordner vor mir, dann sah ich kurz hinaus. Es dämmerte bereits. Ich schlug den Ordner mit einem entschlossenen Nicken zu und schob ihn beiseite. Morgen war auch noch ein Tag. Ich fuhr meinen Rechner herunter und schnappte meine Jacke. Unsere Kanzlei bestand aus einigen Männern; eine Handvoll hatte sich nun versammelt, um wie gewohnt einen Abend der Woche „gemütlich“ ausklingen zu lassen. Die genannte Bar war wirklich nicht weit entfernt. Draußen wurde für diesen Abend eine Art Talentwettbewerb angekündigt. Doch dem Plakat schenkte ich weniger Aufmerksamkeit, eher wurde mein Blick von den vielen halbnackten Frauen angezogen, die sich in offensichtlich eindeutigen Posen an der Bar aufgereiht hatten. Die Röcke der meisten waren, oh ja, höllisch kurz. Was dort an Stoff fehlte, hatten sie sich in Form von Farbe in ihre Gesichter gepackt. Herrlich, Alan. Du bist verheiratet. Und eindeutig fehl am Platz. Sofort kamen Zweifel auf, dass meine Entscheidung vielleicht doch die Falsche gewesen war. Doch James gab mir keine Gelegenheit mehr zu Flucht. »Komm, Alan, wir haben dahinten einen Tisch.« Ich folgte den Jungs zu einer etwas abgedunkelten Ecke. Sofort stand die erste Runde auf dem Tisch. Nach einigen Gläsern wurde auch meine Stimmung besser. Und ich wurde lockerer. Ich lachte ebenso ausgelassen mit den Männern neben mir und riss anzügliche Witze über die anwesenden Frauen. Wenn Lisa mich jetzt sehen könnte, würde sie wohl abwertend die Nase rümpfen. Oh… Lisa. Ich wollte sie ja noch anrufen. Ich fummelte das Handy aus der Tasche. Klappte es auf. Ich sah die vielen verpassten Anrufe. Meine Frau war es nicht gewohnt, dass ich mich nicht meldete. Und das ich abends nicht zuhause war. Wahrscheinlich starb sie vor Sorge, die schlimmsten Horrorszenarien schon im Kopf. Aber all das war mir in diesen nächsten Augenblicken egal. Why is it so hard, to go my own way? Me alone, shall choose my fate. Why is this path, so hard to follow? I will not follow, the others, no more. Diese Stimme. Dieser Text. Mein Blick ruckte wie von unsichtbaren Fäden gezogen nach oben. Durch den Rauch von unzähligen Zigaretten und vorbei an leicht bekleideten Frauen fanden meine Augen den Besitzer dieser Stimme. Auf der kleinen Bühne, die ich bis jetzt kaum bemerkt hatte oder schlichtweg ignoriert, weil seltsame Leute dort ihr zweifelhaftes Talent präsentiert hatten, stand nun ein junger Mann. Auf die Entfernung konnte ich nur schlecht genaue Details erkennen. Er wirkte jung, schlank, mit halblangen, dunklen Haaren. Seine Klamotten waren von dieser Sorte, wie ich sie oft schon bei meiner Tochter gesehen hatte. Locker, zerrissen, ein wenig schlampig. Ich verstand bis heute nicht, warum Jugendliche so etwas tragen mussten. Doch seltsamerweise störte es mich in diesem Moment wenig. Mein Augenmerk lag eh auf anderen Dingen. Der junge Mann hauchte mit solcher Sinnlichkeit und so tiefem Gefühl seinen Text in das Mikro, dass mir unbekannte Schauer über den Körper rannen. Nebenher spielte er eine E-Gitarre. Die Finger des Jungen huschten flink und geschickt nur so über die Saiten und entlockten diesen herrlich wehmütige Töne. Mal rauer, mal sanfter, mal schneller und dann wieder so schmerzlich, dass ich hart schlucken musste, schwangen die Töne durch die Bar. Selten hatte ich so etwas gehört, was mich so in seinen Bann gezogen hatte. Musik war für mich meist eh etwas, was nebenher irgendwo am Rand des Bewusstseins aufgenommen wurde, doch nie wirklich bewusst gehört. Jetzt war dies anders. Der Text dieses Liedes, so tiefgründig und gefühlvoll vorgetragen, berührte etwas ganz tief in mir drin. So nah waren diese Worte an meinen nächtlichen Gedanken, dass ich schon meinte, dieser junge Mann musste geschickt worden sein, um mir ein Zeichen zu senden. Alan, du wirst langsam verrückt… »Hey, Alan, alles okay?« Einer meiner Kollegen rüttelte leicht an meinem Arm. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wie erstarrt zur Bühne sah, das Handy auf halbem Weg zum Ohr, der Mund aufgeklappt. Ich schüttelte mich und nickte mechanisch. »Ja, alles klar. War nur eben in Gedanken…« Das Handy in meiner Hand vibrierte erneut. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass es das wohl schon die ganze Zeit getan hatte. Ich ging ran, mein Blick klebte noch immer an dem Jungen auf der Bühne. »Alan?« Es war Lisa. Sie klang aufgelöst und voller Sorge. »Hm. Ja..?« »Himmel, wo bist Du denn? Ich mache mir Gedanken, verflucht.« Ihre Stimme änderte sofort die Tonlage, wurde vorwurfsvoll und deutlich verstimmt. Sie hatte wohl das Stimmengewirr und die Musik im Hintergrund richtig gedeutet. Ich hatte Mühe, mich auf das Gespräch mit ihr zu konzentrieren. Der junge Mann hatte sein Lied beendet und nickte knapp in den düsteren, rauchgeschwängerten Raum der Bar. Jetzt fielen mir seine exotischen Züge auf. Eindeutig ein Japaner. »Hm….was?« »Alan…wo bist Du?« »Mit den Kollegen noch ein bisschen feiern. Hab vergessen, dich anzurufen, tut mir leid.« »Es tut Dir Leid?! Ich bin hier tausend Tode gestorben! Und Du gehst feiern?!« Plötzlich nervte mich die Stimme meiner Frau unsäglich. Der junge Japaner verließ in jenem Moment die Bühne, machte Platz für den Nächsten, der sich beweisen wollte. »Könnte noch ein bisschen später werden. Warte nicht auf mich. Und reg Dich nicht so auf.« Mit diesen unterkühlten Worten legte ich einfach auf und schaltete das Handy ab. James hatte das Gespräch mit einem Ohr mitgehört und sah mich an, als wäre ich zum Satan persönlich mutiert. Das ich so mit meiner Frau sprach, kam selten vor. Um genau zu sein, kam es nie vor. Doch in jenem Moment schien ich an einem Scheideweg zu stehen. Entweder, ich ging sofort nachhause, um den mit ziemlicher Sicherheit drohenden Streit abzuwenden oder… Oder? Oder was, Alan? Ich kippte mein Glas Bier mit einem Zug hinunter. In meinem Kopf begann sich ein Gedanke zu formen, der sich schließlich recht bildlich und fordernd in mein Hirn brannte. Auch wenn dieser Gedanke alles andere als überlegt, logisch oder vernünftig war. Und schon gar nicht schien er einen bestimmten Sinn zu haben. 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