Inhuman von CaptainMaggot ================================================================================ Kapitel 4: Erwachen ------------------- Ich fiel. Vom kältesten Wasser der Antarktis in die heißesten Feuerstürme der Sonne. Doch es interessierte mich nicht. Die Schmerzen waren unerträglich doch sie waren nichts im Vergleich zu den Erinnerungen die nun fortdauernd auf mich losgingen wie ein Haufen wütend gewordener, tollwütiger Höllenhunde. Sie zerrissen mich, zerfetzten meine Haut mit den ehemals zärtlichen Berührungen. Sie brüllten mir die, damals noch liebevollen Worte, in die Ohren, so dass meine Trommelfelle immer wieder aufs Neue in Stücke gerissen wurden. Bilder der lauen Sommer und weißen Winter verätzten mein Augen in dem sie mir ihren Schmerz in die Netzhaut einritzten. Der Hass, der nun in mir anschwoll war ein hungriges, gieriges Geschwür. Es fraß sich in mich hinein, vernetzte jedes negative Gefühl. Jeder noch so kleine bösartige, mörderische Gedanke knotete sich in den nächsten und begann ein gefährliches Wesen auszubrüten. Ich spürte wie es in mir wuchs und sich über jeden noch so kleinen trostlosen Gedanken hämisch freute. Krampfend versuchte ich meine Augen davor zu verschließen, doch es machte keinen Unterschied. Mit dem immer stärker drängenden Bedürfnis, mir die Seele aus dem Leib schreien zu wollen merkte ich mit jeder Sekunde in der ich atmete, dass ich aus dieser Hölle raus musste. Irgendwie. Verbluten. Würde es klappen? Ich hob meinen Arm durch die Dunkelheit und brachte mein Handgelenk an meine Lippen. Einen Versuch war es wert. Ich glaubte nicht wirklich daran, immerhin hatte ich auch die anderen Schmerzen überlebt. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob man diesen Zustand noch als Leben bezeichnen konnte. Es war eher nur noch eine leere Existenz. Noch ein letztes Mal versuchte ich die von bitteren Gerüchen schwangere Luft einzuatmen. Dann biss ich zu. Erst einmal. Als ich nichts spürte wurde ich panisch. Ich biss weitere Male zu, versuchte in einem rauschartigen Zustand meinen Arm so sehr zu zermalmen, dass er mir wohl abfallen würde, wenn ich in der verdammten Realität wäre. Endlich begann das Blut aus der zerfetzten Wunde zu quellen. Warm rann es an meinem Kinn herab doch an meinem Arm konnte ich nichts spüren. Es war, als wäre es nicht mein Arm, an dem ich hing wie eine Ertrinkende an einem Rettungsring. Es war- Grelles Licht blendete mich. Doch aus Angst, wieder in diesem Höllenloch zu landen, schloß ich meine Augen nicht. Etwas kaltes, Feuchtes berührte meine Wange, meinen Mundwinkel und anschließend mein Kinn. Noch immer hatte ich den Geschmack von Blut im Mund doch als ich schwerfällig auf meinen Arm blickte, konnte ich nicht einen Kratzer entdecken, geschweige denn eine Bisswunde. Perplex blickte ich mich in dem Raum um. Die beige gestrichenen Wände wurden in regelmäßigen Abständen von Kerzenleuchtern erhellt. Zu meiner Rechten befanden sich große doppelseitige Fenster von denen eins einen Spalt breit geöffnet war. Kalte Nachtluft schlüpfte durch den Schlitz und sorgte für frischen Sauerstoff, welchen ich begierig einatmete. Zwei Fenster wurden von schweren, weinroten Vorhängen verdeckt, deren Saum mit goldenen Stickereien verziert war. Als ich meinen Kopf langsam nach rechts drehte – ich fühlte mich, als hätte ich wochenlang schwerste körperliche Arbeit verrichtet – sah ich auch die massive hölzerne Tür. Ich selber lag auf einem riesigen Himmelbett, welches aus dem gleichen Holz gefertigt zu sein schien, wie die fast schwarze Zimmertür. Die weiße Decke war von Blut getränkt. „Na, bist du wieder wach?“, fragte eine freundliche Stimme leise. Alarmiert setze ich mich auf. Das Augenflimmern und den Schwindel ignorierend starre ich in das Gesicht einer jungen Frau. Sie sah mich gütig an und ihr ganzes Wesen schien eine Art Wärme auszustrahlen. Ihre Haut war alabasterfarben und glatt, seidenes, wasserstoffblondes Haar fiel ihr über Rücken und Schultern. Die Augen der elfengleichen Frau hatten das blasse grau eines Wintermorgens, während ihr schneeweißes, bodenlanges Kleid ihre Gestalt noch geisterhafter wirken ließ. Der brutale Gegensatz, den ihr blutbesudelter Arm bildete, erschrak mich und ich zuckte erneut zusammen. Mit dem anderen Arm hielt sie einen nassen Lappen. Notdürftig hatte sie sich ein Stück Stoff auf die Wunden gepresst, doch es war schon durchtränkt. Die Antwort meiner Frage schlug ein wie ein Blitz. Diese Wunden hatte ich ihr zugefügt, während ich geträumt hatte. Eine andere Erklärung konnte es für meine nichtvorhandenen aber dafür auf ihrem Arm befindlichen, frischen Bisswunden, nicht geben. Der kalte Schauer, der mir nun über den Rücken lief blieb von ihr nicht unbemerkt. Sie würde mir nichts tun, das spürte ich. Aber dennoch hatte ich keine Ahnung, wie ich auf was zuerst reagieren sollte. Doch glücklicherweise sprach sie erneut. „Mach dir darum keine Gedanken Jill. Es wird morgen wieder verheilt sein. Aber es war der Einzige weg, um dich wieder in die Realität zu holen. Du kennst mich noch nicht. Mein Name ist Reika Conel und ich bin Zuständiger der Krankenstation und nebenbei Lehrer für Soziologie.“ Ich zog die Augenbraue hoch. Hatte sich die Frau gerade als Mann bezeichnet oder hatte ich mich verhört? Diskret bemühte ich mich, etwas nicht Weibliches an ihr/ihm zu finden. Nun ja, ein flacher Vorbau war bei manchen Frauen oder Mädchen nicht selten. Aber sie hatte tatsächlich nichts. Als mein Blick wieder den verletzten Arm streifte, wandte ich mich schnell wieder ab. Sanft berührte das Wesen meine Wange mit dem Handrücken und lächelte mich unentwegt an. „Was bist du? Und…was ist überhaupt passiert während ich….weggetreten war?“ „Ich bin ein Sylph, ein Naturelf. Kannst du dich noch an alles erinnern, was in dem Haus passiert ist?“ Das erklärte seine Schönheit und Androgynität. Ich nickte. „Nachdem es passiert ist, hat sich Uriel um Darian gekümmert. Natürlich war das nicht so leicht für ihn, du hast wahrscheinlich schon mitbekommen, dass die Beiden wie Katz und Maus sind.“ Er lächelte kurz auf Grund seines Vergleiches und auch ich versuchte mir krampfhaft vorzustellen, wer von beiden Katz und wer Maus war. Doch die Antwort blieb mir verwehrt. „Elias brachte dich zu mir. Du musst wissen, dass es niemanden gibt, der jemandem aus dem Kollaps raus holen kann in den man fällt, wenn man einmal von einem Seelenfresser angefallen wird. Jedoch sind wir Sylphen sie Einzigen, die einen in die Realität zurück holen können, wenn man die ‘Fressattacke‘ überlebt und ins Delirium stürzt. Du warst eiskalt, hast nur sehr flach geatmet. Ungefähr sieben Stunden lang, warst du in diesem Zustand, bis die ersten Regungen in dich kamen. Du bekamst Fieber, sehr hohes sogar. Deine Hände zitterten und du konntest nicht mehr richtig atmen, als würdest du an irgendwas ersticken“ Reika unterbrach sich kurz um mir Zeit zu geben. Wenn ich alles recht verstand, dann beschrieb er gerade das Feuer…sollte ich etwa sieben Stunden lang durch die Dunkelheit gewandert sein? Wie viel Zeit war dann insgesamt vergangen? Doch ich wollte nicht mehr als unnötig viele Gedanken daran verschwenden. Die Übelkeit die mich mit jeder Sekunde von neuem überschwemmte, warnte mich davor. Ich nickte dem Sylph zu, als Zeichen dafür, dass er fortfahren sollte. „Aber immerhin war das für mich das Zeichen, dass du das Schlimmste überstanden hattest. Auch wenn es deiner Ansicht nach in dem Moment erst angefangen hat. Ein paar Stunden später hast du angefangen zu reden. Du hast dich an die Geschehnisse deiner Vergangenheit erinnert, beziehungsweise an das, was dich am meisten geprägt hat. Dein Fieber ist zwar gesunken aber du hattest angefangen dir die Seele aus dem Leib zu schreien. Wenige Sekunden später hatte ich dich verloren.“ Ich schluckte. „Du meinst…“, setzte ich mit trockenem Hals und heiserer Stimme an. Er nickte. „Du warst tot. Das war für mich der Moment einzuschreiten. Auf der anderen Seite hattest du gar nicht gemerkt, dass du gestorben bist. Du hättest es auch nie merken können. Erinnerst du dich noch an den Moment, in dem du beschlossen hattest, dich selbst zu verwunden? „D-das warst du?“ Reika schüttelt lächelnd den Kopf. „Nein, nicht direkt. Den Entschluss hast immer noch du gefasst. Aber ich habe dir….sagen wir, einen kleinen Schubs gegeben. Mehr musst du erst mal noch nicht wissen Jill.“ Perplex gucke ich ihn an. „Aber ich habe deinen Arm zerfetzt! I-ich meine…Ihren Arm…´tschuldigung“. Letzteren Satz nuschelte ich nur, peinlich berührt dadurch, dass ich meinen Lehrer die ganze Zeit wie selbstverständlich duzte. „Du darfst mich ruhig duzen. Ich bin einer der Vertrauenslehrer und da wäre es doch seltsam, wenn du mich wie jemanden behandeln müsstest, der in irgendeiner Art und Weise höher gestellt ist oder Ähnliches.“, lachte er leise. „Und was meinen Arm angeht, mach dir da bitte keine Gedanken drum. Wie ich schon sagte, morgen ist das nur noch ein bisschen gerötet und spätesten in zwei Tagen sieht mein Arm wieder genauso aus wie der Andere.“ Als ob er dadurch mein immer währendes, schlechtes Gewissen beruhigen könnte. Aber trotzdem nickte ich wieder. Bis mir das in den Kopf kam, was ich mich seit seinen ersten Worten hätte fragen müssen. „Reika……was genau ist ein Seelenfresser? Und was zur Hölle hat jemand wie Elias hier an dieser Schule zu suchen?“ Er schien mit diesen Fragen gerechnet zu haben. Sein freundliches Lächeln verwandelte sich in ein trauriges und er senkte den Blick kaum merklich. Fast schon fürchtete ich, dass er mir eine Antwort verweigern würde als er ansetzte. „Auch dazu kann ich dir nicht alles erzählen Jill. Elias trägt eine Last mit sich, ungewöhnlich größer als die der Anderen. Darian und Uriel sind hier, um ihn zu schützen und ihm bei seiner Aufgabe zu helfen. Zu deiner zweiten Frage….Sie sind Waffen welche zu einem bestimmten Zweck erschaffen wurden. Im späten Mittelalter wurden sie von Wissenschaftlern auf grausame Art und Weise gezüchtet. Wie genau, das weiß man heute nicht mehr. Alle Überlieferungen zu diesen Experimenten wurden vernichtet, genauso wie alle Seelenfresser. Bis auf vier Ausnahmen wurden alle auf Hetzjagden gefoltert und ermordet. Das aber auch nicht, ohne damit einen weiteren Zweck, außer dem der Vernichtung, zu befolgen. Man wollte sehen, ob sie menschliche Gefühle haben. Schmerz, Liebe, Hass, Verzweiflung. Also hat man die einzelnen Familienmitglieder alle hintereinander gequält, die die noch lebten mussten zusehen. Egal ob Frau, Mann oder Kinder oder Babys. Das geschah alles vor ungefähr zehn Jahren. Auch Darian hat das alles mit ansehen müssen, teils hat er auch die Folter miterlebt und er wurde zu Dingen gezwunge….doch gegebene Umstände machten es ihm möglich, dem Massaker zu entkommen. Er wird noch immer von vielen gejagt. Doch seine Aufgabe als einer von Elias´ Wächtern gibt ihm einen minimalen Schutz. Das ist alles, was ich dir dazu sagen kann.“ Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Innenseite meines Kopfes donnern. Während ich versuchte über das, was er mir erzählt hatte, nachzudenken, wurde mir mit jeder weiteren Sekunde mehr bewusst, dass das erst der Anfang sein würde. In meiner Brust pochte es. Unwillkürlich musste ich an das Dunkle in mir denken, das Wesen, welches zweifelsohne nicht nur in meinem Delirium existiert hatte. Sollte ich ihm von meiner Vergangenheit erzählen? Oder wusste er, hervor gerufen durch mein Verhalten, schon mehr als ich glaubte? „Ich…ich weiß nicht was ich denken soll…Ich bin gerade mal einen Tag hier und schon gerät alles aus den Fugen. Jemand, dem ich nicht mal auf einem Quadratkilometer Distanz begegnen dürfte, lässt mich meine Beherrschung verlieren. Ein Wesen, von dem ich bis heute nicht einmal wusste, dass es existiert, greift mich an. Irgendetwas verbindet diese Beiden auch noch. Meine Vergangenheit holt mich innerhalb weniger Sekunden oder Stunden wieder ein. Und das ist mit Sicherheit erst der Beginn von irgendetwas großem, von dem ich absolut keine Ahnung habe.“ „Aber in dem du jetzt zweifelsohne mit verwickelt bist.“ Fragend blickte ich ihn wieder an, nicke dann aber stumm. Reika legte seine Hand an meine Wange und schaute mich lächelnd aber mit ernstem Blick an. „Hör zu. Ich kann verstehen, dass alles in dir nach Antworten sucht. In Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber noch ist es dafür zu früh. Du wirst die Antworten finden aber du wirst auch sehr viel Geduld dafür brauchen. Am liebsten würde ich sagen, dass du dich von Darian fern halten sollst. Aber ich weiß, dass du genau das nicht tun wollen und können wirst, du wirst schnell verstehen, was ich damit meine. Such nach den Antworten. Er wird dich beschützen. Es wird eine Qual für euch beide werden aber niemand anderes kann die Rolle übernehmen, da er es war, der das Abkommen verletzt hat.“, kurz huschte ein dezentes Grinsen über sein Gesicht, “Uriel hat sich im Übrigen freiwillig gemeldet.“ Innerlich muss auch ich ein wenig grinsen, als ich mir das Bild von dem ungestümen Hünen ins Gedächtnis rufe. Doch nichts desto trotz würde ich mein Gehirn am liebsten für ein paar Tage oder am besten Wochen, ausschalten wollen. Oder einfach schlafen, denn die Müdigkeit und Erschöpfung kroch mir wieder in jeden Knochen. Dann fiel mir noch etwas ein, was er gesagt hatte. „Warum oder vor was soll ich denn überhaupt beschützt werden?“ „Vor deiner Neugier Kleines. Außerdem wirst du Freunde brauchen. Du musst wissen, dass wir Sylphen die Fähigkeit haben, aus den Sternen zu lesen. Du bist jemand, der Veränderungen bringen kann und wird. Deine Vergangenheit wird dir damit helfen, auch wenn du jetzt noch nicht wissen kannst, auf welche Art und Weise.“ Stumm nahm ich die Worte in mich auf. Doch wirklich klar denken konnte ich nicht mehr. Meine Sicht flimmerte und mir wurde wieder schwindelig. Sanft aber bestimmt drückte Reika mich wieder zurück auf die Kissen. „Du solltest jetzt schlafen Jill. Morgen wird ein neuer Tag und es gibt viel zu tun. Ruh dich aus.“ Das ließ ich mir nicht mehrmals sagen. Zwar immer noch von der Angst beseelt, zurück ins Delirium zu fallen, schloss ich trotzdem meine Augen. Ich schlief nicht sofort ein. Somit hörte ich noch, wie mein zukünftiger Lehrer aufräumte, mit großer Vorsicht meine Decke auswechselte, und zwei schwere Gegenstände auf den Nachtschrank stellte, von denen ich annahm, dass es eine Flasche Trinken und ein Glas waren. Dann klopfte es an der Tür. Es war ein zaghaftes aber gleichzeitig ausdrückliches Klopfen, als müsste sich die Person vor der Tür stark zusammenreißen, nicht lauthals gegen das massive Holz zu hämmern. Ich hörte, wie Reika fast lautlos zur Tür ging und sie öffnete. „Sei bitte leise, sie schläft schon.“, flüsterte er. Eine besorgte, bass-lastige Stimme antwortete. „Wie geht es der Kleinen?“ Uriel. „Den Umständen entsprechend. Hast du dich um Darian gekümmert?“ Ich konnte ihn erleichtert aufatmen hören und musste lächeln. Ein solcher Hüne konnte sich nach einem Tag schon Sorgen um mich machen? „Hat unglaubliche Anstalten gemacht dieser verdammte…Mistkerl. Hab ihn zu ihr gebracht, sie wird sich um ihn kümmern. Ganz ehrlich, ich glaube ich werde mich nie richtig an dieses Mädchen gewöhnen.“ „Komisch. Müsstet ihr nicht eigentlich sehr gut miteinander auskommen?“, fragte Reika. Er klang halb amüsiert, halb ernst. „Lass die Scherze. Du weißt genau, dass es zwischen uns Unterschiede gibt.“ „Ja, das ist mir klar. Schließlich habe ich sie damals befragt und untersucht. Wie lange wird Darian´s Zustand noch anhalten?“ „Maximal zwei Stunden meinte sie, allerhöchstens drei. Er dürfte also für morgen nicht ausfallen.“ Als ein kurzes Schweigen eintrat, war meine Konzentration auf´s Minimum gesunken. In nur wenigen Sekunden, würde ich einschlafen. Doch ich wollte nichts verpassen. Und als hätte mich irgendwer erhört, fing Reika wieder an zu reden, nicht ohne die Stimme noch mehr zu senken. „Gut. Ihr werdet euch dann mit den Andere zusammensetzen und wie geplant alles für die Versammlung organisieren. Nächste Woche darf keinesfalls etwas schief gehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)