Criminal Minds - Das Leben danach von Flitzkatze ================================================================================ Kapitel 11: Gideon ------------------ Es dauert keine zwei Minuten bis ich bis auf die Knochen durchnässt bin. Ich zittere, aber ich weiß nicht ob vor Kälte oder aus anderen naheliegenden Gründen. Inzwischen bin ich aber auch so weit, dass es mir egal ist. Fakt ist, dass ich alleine durch das abendliche Chicago laufe und der Tag noch nicht daran denkt, zu Ende zu gehen. Die Straßen sind wie ausgestorben, bis auf die vereinzelten Autos, die nahe an mir vorbeirauschen und mich zusätzlich nass spritzen. Ich bin am Boden. Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, einem dieser Autos in den Weg zu springen, um das ganze Elend zu beenden. Wenn ich über mein Leben nachdenke, dann sehe ich nur zwei Zustände, in denen ich mich befinden kann: High sein und darauf warten, high zu werden. Diese grimmige Routine zieht sich durch meinen gesamten Alltag: Ich stehe auf und versetze mir die erste Dosis. Ich bringe meinen Arbeitstag mehr schlecht als recht hinter mich, in Gedanken an die nächste Dosis. Zuhause kommt der zweite Schuss, gefolgt von tiefer Ohnmacht und Halluzination – dann bin ich wach, die Nacht hindurch, bis zum Morgen, bis zur nächsten Dosis. Wo liegt darin der Sinn? Abgesehen davon, die völlige Isolation – meine Kollegen hassen mich, bei meiner Mutter habe ich mich seit Monaten nicht gemeldet. Die Einsamkeit frisst mich auf. Und in solchen Momenten, wenn mich die Bilder nicht loslassen, wenn da niemand ist, mit dem ich reden kann, wenn ich um vier Uhr nachts alleine in meiner Küche sitze und die Maserung des Tisches anstarre, dann gibt es nur eine Sache, die diese Schmerzen beruhigt, und die kommt in flüssiger Form durch eine Spritze. Ganz ehrlich, ich habe kein Problem mit Dilaudid. Nur ohne. Das Krankenhaus baut sich grau und bedrohlich vor mir auf, es hebt sich kaum vom dunklen Himmel ab und die erleuchteten Fenster sehen aus wie Fremdkörper. Ich gehe in Richtung Notaufnahme, hoffnungslos und im Bewusstsein dessen, dass ich bestenfalls wieder hinausbefördert werde und mir gesagt wird, ich solle mich nie wieder blicken lassen. Ich zögere kurz, mit der Hand am Öffnungsknopf der Glastüre, und höre in mich. Aber der beginnende Schmerz in den Beinen bringt mich dazu, hineinzugehen. Es herrscht Hochbetrieb. Bei diesem Wetter drehen die Menschen durch und es gibt am Tag in einer Großstadt im Durchschnitt 30 Autounfälle. Dazu kommen die Stürze, Wespenstiche, Hitzschläge und Dehydrierungen, die der Sommer mit sich bringt. Kein Wunder also, dass ich auf einem Plastikschalenstuhl Platz nehmen muss, bis einer der Behandlungsräume frei wird. Rechts neben mir drückt eine Latino-Frau einem kleinen Kind ein blutiges Stück Stoff an den Kopf, das Kind schreit und wimmert laut. Links neben mir beschwert sich ein älterer Herr lautstark über die lange Wartezeit. Mir gegenüber liest jemand Zeitung und raschelt beim Umblättern. Es ist so laut. Ich drehe fast durch. Ich stütze meine Hände auf meine Knie und sehe zu, wie es aus meinen Haaren und meiner Kleidung zu Boden tropft. Ich rattere hunderte von Schmerz-Rechtfertigungen im Kopf herunter, keine einzige davon ist glaubwürdig. Hin- und hergerissen zwischen Entzug und Angst hoffe ich, schnell an der Reihe zu sein und noch möglichst lange warten zu müssen. Mein Kiefer zittert. „Der Stress in diesen Krankenhäusern ist wirklich unerträglich“, meint Gideon und faltet seine Zeitung zusammen. Ich sehe überrascht auf. „Hallo Spencer“, sagt der Mann, der mir seelenruhig gegenüber sitzt, die Beine überschlagen, und lächelt. Was soll ich darauf antworten. Am besten sage ich gar nichts. Gideon übernimmt zum Glück das Reden. „Und das Wetter hat ja auch ziemlich schnell umgeschlagen“, meint er mit einem kurzen und leicht amüsierten Blick auf meinen Pudelzustand. „Gehen wir ein Stück.“ Gideon steht auf und nach einem „Du hast keine andere Wahl“-Blick seinerseits, tue ich es ihm gleich. Ich frage gar nicht erst, woher er wusste, dass ich hier bin. Ich frage auch nicht, warum es ihn interessiert, was ich mache. Ich trotte einfach geistesabwesend hinter ihm her und tropfe. Entgegen meiner Befürchtungen müssen wir keinen romantischen Spaziergang im Regen machen, sondern steigen in den SUV, in dem Gideon gekommen ist. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und starre trübselig aus dem Fenster. Ich zittere schon wieder, oder immer noch? Gideon startet den Motor und fährt los. Die Gegend um das Krankenhaus herum ist schäbig, und das weiß er auch. Wahrscheinlich steuert er deswegen keineswegs die Polizeiwache an, oder das Hotel, sondern fährt mit mir im Kreis. Immer an den gleichen Gassen und Straßen vorbei. Immer an den gleichen heruntergekommenen Leuten, die da draußen versuchen, sich vor dem Regen zu schützen. „Ich bin wirklich froh, dass sich wenigstens diese Hitze verzogen hat“, plaudert er heiter vor sich hin. „Hotch war ja wirklich unausstehlich. Das ist das Problem, wenn man immer nur in Anzug und Krawatte herumläuft: man schwitzt wie ein Tier.“ Ich sehe weiterhin nur aus dem Fenster. Gideon fährt so langsam, dass man das Elend da draußen nicht übersehen kann – Penner und Nutten und, wer hätts gedacht, Junkies. Als ich seine Absicht erkenne, verdüstern sich mein Blick und meine Gedanken und ich sehe auf meine Oberschenkel. „Eigentlich ist diese Hitze hier in Chicago wirklich seltsam, man möchte meinen, dass es hier kühler ist, aber da haben wir uns wohl getäuscht.“ Wir. Gruppensprache. Ist ja wirklich nett. „Vielleicht war das sogar der heißeste Tag des Jahres, wundern würde mich das ja nicht.“ Sein heiterer Plauderton macht mich rasend. Am liebsten würde ich ihm sein freundliches Lächeln einschlagen, aber dafür fühle ich mich zu schwach. Ich pople an den Dreckspritzern auf meiner Hose herum und versuche, den aufsteigenden Schmerz in den Beinen zu ignorieren. Ich habe keine Zeit für sowas. „An solchen Tagen bin ich immer froh, etwas außerhalb der Stadt zu wohnen. Im Ernst, die Hitze staut sich zwischen den Hochhäusern sehr stark.“ Ich bin kurz davor zu schreien, als Gideon anhält. Ich sehe auf und wir stehen vor dem Hotel. Überrascht sehe ich Gideon an und noch überraschter bin ich, als ich sehe, dass er eine aufgezogene 2ml-Spritze in der Hand hält. „Du bist nicht so“, sagt er abschließend. Ich sage darauf gar nichts und frage auch nicht nach. Ich nehme ihm die Spritze aus der Hand, öffne die Tür und steige aus. Der Regen prasselt schwer auf meine Schultern und ich will mich plötzlich bedanken, aber Gideon sieht nicht zu mir her. Ich werfe die Autotüre zu und ohne ein weiteres Wort fährt er los. Spencer versteht die Welt nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)