Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Kapitel 47: Warten ------------------ Am späten Nachmittag des letzten Tages des Monats verhingen dicke Wolken den Himmel. Die Sonne war den ganzen Tag kaum zu sehen gewesen und das Tageslicht schwand mit jeder Minute mehr. Die Straßenlaternen erleuchteten den großen Parkplatz vor der großen Sporthalle. Es herrschte reges Treiben, denn die ersten Zuschauer für ein Basketballspiel am Abend waren bereits angekommen und der Parkplatz füllte sich immer mehr. Anhand der Autokennzeichen konnte man erkennen, dass einige eine stundenlange Fahrt hinter sich gehabt hatten. Die meisten machten sich gleich auf den Weg zur Halle, mit den Tickets in der Hand sich laut über Prognosen bezüglich des Spielverlaufes unterhielten. Einige wenige blieben noch bei ihren Autos, hatten die Musik laut gestellt und reckten und streckten sich. Niemand jedoch achtete wirklich auf den anderen. Und niemand achtete so wirklich auf die junge Frau, die zwischen den Parkplätzen auf einer kleinen Grünfläche unter einem Baum saß. Keinen schien es zu beschäftigen, dass sie trotz der Kälte, die heute herrschte, frierend die Arme an sich gepresst hatte, da sie keine Jacke trug. Doch die junge Frau schien sich auch nicht um die anderen Gäste zu kümmern. Sie hatte den Blick starr auf die Einfahrt des Parkplatzes gerichtet und schien zu warten. Ashley hatte ihren Rucksack immer noch auf dem Rücken und lehnte mit diesem gegen den Baum. Falls sie aus unvorhergesehenen Gründen die Flucht antreten musste, wollte sie sicher sein, dass sie ihre Tasche - samt Inhalt - nicht verlor. Ashley wartete nun schon seit zwei Stunden - geduldig und so unauffällig wie möglich. Aus den Augenwinkeln hatte sie immer wieder eine Uhr beobachtet, um zu wissen, wie spät es war, damit sie die vereinbarte Zeit nicht verpasste. Sie hatte gestern Trinity angerufen, hatte ihr gesagt, wo sie ungefähr war und dass ihr die Schattengänger wohl auf den Fersen waren. Trinity hatte sie gebeten, kurz zu warten und nach einem Rückruf mitgeteilt, dass sie heute um diese Zeit hier sein sollte. Sam würde organisieren, dass sie jemand von dort holen kam. Die Idee an sich war genial. Wer würde denn schon darauf kommen, dass sie ein Basketballspiel als Tarnung nutze, um aus der Stadt zu verschwinden? Und sollte es doch so sein, hatte sie genügend Möglichkeiten zu fliehen - selbst wenn sie dafür ein Auto klauen musste! Das Problem war, dass Trinity ihr leider nicht hatte sagen können, auf welche Art sie hier abgeholt werden würde. War es ein Auto, ein Kleinbus oder ein Motorrad? Deshalb war sie nun seit etwa zehn Minuten darauf konzentriert, zu erspüren, wer in den Fahrzeugen saß, die durch die Einfahrt auf den Parkplatz kamen. Da sie nicht direkt sehen konnte, wer hinter den Lenkrädern saß, war dies die einzige Möglichkeit, ohne direkt aufzufallen. Vor den normalen Menschen konnte sie sich verstecken - aber es reichte ein aufmerksamer Unterweltler oder Schattengänger, der zufällig hier war und sie war entdeckt. Deshalb konnte sie auch nicht direkt am Eingang warten, sondern hatte sich hier postiert, versteckt durch die bereits geparkten Wagen, aber zumindest noch mit dem Eingang im Sichtfeld. Ashley wagte einen Blick auf die Uhr. Es war bereits zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit. Sie versuchte, nicht nervös zu werden. In den letzten zwanzig Minuten waren die Autos wie von einem Fluss durch die Einfahrt gespült worden. Es hatte sich eine lange Schlange gebildet und Ashley vermutete, dass es einfach einen kleinen Stau gegeben hatte. Doch dass so viele Autos auf einmal hereinfuhren, konnte auch bedeuten, dass sie ihre Rettung vielleicht auch übersehen hatte. Und ihre Anstrengung, ihre eigene Nervosität im Zaum zu halten, sich aber gleichzeitig auf die Fahrzeuge zu konzentrieren, machten es nicht besser. Ashley warf einen erneuten Blick auf die Uhr. Fünfzehn Minuten zu spät. Jetzt konnte sie nicht mehr sitzen bleiben. Sie musste einen Blick in ihre Umgebung riskieren, um sicher zu gehen, dass sie sie doch nicht übersehen hatte. Gerade als sie sich umsah und in Richtung Halle, auf die weiteren Parkplätze blickte, spürte sie ein seltsames Kitzeln in ihrem Nacken. Blitzschnell drehte sie sich um. An der Einfahrt stand ein hellblauer Geländewagen mit hinten geschwärzten Gläsern. Ashley konnte lediglich erkennen, dass ein Mann hinter dem Steuer saß, aber sie konnte nicht erkennen, ob es jemand war, den sie kannte. Doch von diesem Auto ging eine merkwürdige Aura aus, die Ashley im Moment nicht einordnen konnte. Also beschloss sie, zu beobachten. Der Fahrer bog nach links ab und entfernte sich damit erstmal von ihr. Ashley ging an den geparkten Autos vorbei und parallel zu dem Auto die Straße hinab auf die Sporthalle zu. Auffällig war, dass das Auto sehr langsam fuhr. Das konnte zwar viele Gründe haben, aber es könnte auch bedeuten, dass man sie suchte. Ashley beschloss etwa zwanzig Meter vor der Querstraße stehen zu bleiben, um sich im schlechtesten Fall nicht zu nah an das Auto ranzuwagen. Während das Auto wieder abbog, dieses Mal aber in ihre Richtung, schloss Ashley die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Irgendetwas war seltsam daran, dass sie nicht zuordnen konnte, ob dieses Gefühl gut oder schlecht war. Auch, dass sie nicht mal sagen konnte, wie viele Leute in dem Auto saßen - denn sie spürte nicht mal den Fahrer - löste in ihr den Drang aus, am liebsten abzuhauen. Aber da war noch etwas, eine Art Instinkt, der sie daran hinderte. Ashley stand neben einem Kleinbus, so dass man sie von der Querstraße aus nicht sehen konnte. Dennoch bog der Wagen in die Straße ab, in der sie stand. Ashley wich weiter zurück. Lass mich erst sehen, wer drin sitzt. dachte sie. Langsam rollte der Wagen auf sie zu, Ashleys Herz schlug ihr bis zum Hals. Als der Geländewagen an ihr vorbei rollte, konnte Ashley zum ersten Mal den Fahrer sehen. Doch er hatte eine Baseballkappe aufgesetzt und Ashley konnte sein Gesicht nicht völlig sehen. Das was sie sehen konnte, war ihr unbekannt. "Okay, dann solltest du mal zusehen, dass du Land gewinnst!" murmelte sie sich selber zu und drehte sich um. Just in dem Moment hörte sie hinter sich lautes Reifen quietschen und eine Autotür wurde aufgerissen. "Verdammt!" fluchte sie und lief los. Doch sie kam nicht weit. Bereits noch bevor sie den Grünstreifen zwischen den Parkreihen überquert hatte, wurde sie von hinten gepackt. Doch Ashley wollte sich nicht kampflos ergeben. In ihren Ohren rauschte das Blut, sie spürte das Adrenalin durch ihre Adern pumpen. Sie schaffte es, ihren Angreifer zu Boden zu werfen, doch das kostete auch sie das Gleichgewicht und auch sie fiel. Ihr war klar, dass das wahrscheinlich ihren Untergang bedeuten würde. Und innerhalb weniger Augenblicke hatte ihr Angreifer sich wieder aufgerappelt und packte sie am Arm, damit sie nicht weglaufen konnte. Ashley wehrte sich, schlug um sich. Doch es nützte nichts. Innerhalb einer Sekunde waren ihre Hände an den Gelenken auf den Boden gedrückt und Ashley lag hilflos auf dem Rücken. "Hörst du jetzt endlich auf damit, Engelchen!" schlug ihr eine wütende Stimme entgegen. Ashley erstarrte und zum ersten Mal besah sie sich ihren Angreifer. Und all ihr Widerstand brach, als sie das Gesicht vor sich erkannte. Es war Lily. Die ließ sie los, als sie bemerkte, dass Ashley sich nicht mehr wehren würde. Lily hatte ein verschmitztes Lächeln aufgesetzt. Ashley setzte sich auf und fuhr Lily mit einer Hand über die Wange. Es war eigenartig, denn für einen Augenblick war sie sich nicht sicher, ob das was sie vor sich sah, nicht doch nur Einbildung war. Doch als Lily ihre Hand in ihre nahm und ihr einen zärtlichen Kuss auf den Handrücken hauchte, ließ die Erkenntnis, dass das hier auch wirklich war, Tränen in Ashleys Augen hochsteigen. "Du bist frei." krächzte Ashley schwach. Ihre Stimme versagte ihr ihren Dienst. Lily nickte nur und zog Ashley dann an sich und küsste sie stürmisch. Sie schlang ihre Arme um Ashleys Rücken und presste sie fest an sich. Auch Ashley ließ ihre Hände durch Lilys Haare gleiten und genoss die fordernde Liebkosung ihrer Lippen und das zärtliche Spiel ihrer Zungen. Ashley verlor sich in diesem Kuss. Sie vergaß alles andere um sich herum. Es war ihr egal, dass sie mitten auf einem Parkplatz auf einer Wiese lag, Lily auf ihr saß und ihr gerade mit den Händen unter das Shirt fuhr. Es war ihr egal, dass es genügend Leute gab, die sie wahrscheinlich tot sehen wollten und die sie hier jederzeit entdecken konnten. Lily war frei, sie war zu ihr zurückgekehrt. Und auch sie selbst war nun nicht mehr allein, auch sie war gerettet. Und Lily küsste sie gerade und ihre Küsse ließen keinen Zweifel darüber, dass Lily es nicht nur dabei belassen wollte. Und Ashley hätte sie auch gelassen - so verloren war sie in diesem Glücksgefühl, das alles übertraf, was sie je gespürt hatte - doch durch den Schleier, der ihren Verstand völlig eingehüllt hatte, drang eine ziemlich ungehaltene, wohlbekannte Stimme. "Ich will eure ungebremste und äußerst freizügige Wiedersehensfreude nicht unterbrechen, aber wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!" merkte Trinity hinter den Beiden an. Nur langsam konnte Lily sich von Ashley trennen. Sie löste den Kuss, blieb aber immer noch nahe bei Ashley, die nach Luft schnappte. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sie den Sauerstoff gebraucht hatte. Lily flüsterte: "Lass sie sich bitte nie wieder so viel Sorgen machen, okay." Ashley nickte schwach, ohne wirklich zu verstehen, warum. Lily fügte hinzu: "Und mich auch nicht, Engelchen." Ashley nickte wieder und küsste Lily erneut. Doch dieser Kuss wurde schnell unterbrochen, denn Trinity ließ ein ziemlich lautes und aussagekräftiges Räuspern vernehmen. Lily rappelte sich schließlich auf, bot Ashley eine Hand, um ihr auf zu helfen. Ashley bedachte auch Trinity mit einer Umarmung und flüsterte ein viel sagendes "Tut mir leid." in ihr Ohr. Mehr brauchte es nicht. Trinity drückte sie ein weiteres Mal fest, ließ sie dann los und Lily zog Ashley zum Auto. Trinity stieg vorne auf dem Beifahrersitz ein. Ashley und Lily hinten. Trinity stellte den Fahrer kurz als Daniel vor, doch Ashley hatte gar keine Zeit ihn zu begrüßen. Kaum waren die Türen geschlossen, stürzte Lily sich erneut auf sie und auch dieses Mal hielt sie sich nicht zurück. Daniel zog die Brauen hoch, Trinity verdrehte die Augen und meinte nur: "Lass uns lieber fahren und auf die Straße konzentrieren, damit wir die beiden schnell in ihrem Schlafzimmer abliefern können, bevor ich erblinde und für den Rest meines Lebens psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen muss, wegen diesem Anblick." Daniel lachte laut und ließ das Auto wieder anfahren. Wie lange Ashley und Lily so vertieft ineinander waren, konnte Ashley nicht sagen. Sie hatten die Stadtgrenzen aber schon hinter sich gelassen, als Lily ihr den Rucksack - welchen sie immer noch trug - abnehmen wollte. Ashley, die seit gestern keinen anderen Gedanken mehr fassen konnte, als diese Tasche nicht zu verlieren, schreckte auf und zog sich augenblicklich zurück. Lily war durch diese Reaktion ebenfalls geschockt. Verwirrt fragte sie: "Was ist los? Habe ich was falsch gemacht?" Ashley schüttelte energisch den Kopf. Sie zog den Rucksack von ihrem Rücken und legte ihn auf ihren Schoß. Das Wiedersehen mit Lily hatte sie das Manuskript völlig vergessen lassen. Doch jetzt saß sie hier, bei dem Menschen, den sie so sehr brauchte, den sie liebte - und wusste, dass sie die einzige war, die mit dem Manuskript definitiv nichts zu tun haben wollte. Wie sollte sie es Lily erklären, ohne dass diese ablehnend reagieren würde. Doch sie musste es ihr sagen, denn Lilys Blick war aufgrund ihrer Reaktion voller Sorge und Angst. Ashley sah ihr fest in die Augen. Sie hatte bemerkt, dass Trinity ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Rückbank gewidmet hatte. "Es gibt da etwas, was ihr wissen müsst." fing Ashley an. Lily schluckte schwer und nickte nur. Was auch immer sie erwarten würde, das was Ashley ihr sagen würde, könnte sie niemals voraussehen. "Ich habe etwas geholt. Damit sie es nicht bekommen." Lily wurde kreidebleich. Sie wusste augenblicklich von was Ashley sprach. Auch sie wich etwas vor Ashley zurück - sie hatte das wirklich nicht erwartet. Trinity fand ihre Sprache schnell wieder: "Du willst doch nicht sagen... du hast das Manuskript, das richtige?" fragte sie ungläubig. Daniel legte fast eine Vollbremsung vor Schreck hin, als er verstand, um was es hier ging. Ashley nickte zur Antwort nur und tippte auf den Rucksack. Trinity sah zu ihrer Mutter hin. Lily starrte auf den Rucksack in Ashleys Händen mit einer Mischung aus Verachtung und ... Panik. Sie brachte kein Wort heraus. Ihr Blick sprach aber Bände und schien laut und deutlich "Bitte, bitte nicht" zu rufen. Also nahm es Trinity auf sich die entscheidende Frage zu stellen: "Und was hast du damit vor? Willst du es lesen?" Ashley sah zu Lily hinüber und Lily sah nun sie an. Es brauchte keine Worte, damit Ashley wusste, was Lily dazu zu sagen hatte und um was sie sie bitten würde, wenn sie etwas gesagt hätte. Ashley suchte Lilys Hand und drückte sie. Es tat so weh, Lily so zu sehen. In ihren Augen stand blankes Entsetzen und pure Angst. Also sagte Ashley etwas, von dem sie wusste, dass es eigentlich gelogen war: "Ich weiß es nicht." Und mit diesen Worten ließ sie den Rucksack auf den Boden des Autos gleiten und schloss Lily tröstend in die Arme. Trinity wandte sich wieder nach vorne, sie hatte erkannt, dass Ashley ihre Entscheidung schon getroffen hatte. In ihrem Brief, den sie geschrieben hatte, bevor sie abgehauen war, war die Antwort bereits zu lesen gewesen: Da gibt es etwas, dass ich jetzt tun muss. Trinity hoffte nur, dass Lily das auch so sehen würde, wenn Ashley sich eingestehen würde, dass sie das Manuskript nicht nur finden, sondern auch lesen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)