Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Kapitel 39: Unterredung auf dem Friedhof ---------------------------------------- Der Begriff „Neutrales Territorium“ schien auf mehrere Weise interpretierbar zu sein. Shane hatte zwei Tage intensiver Diskussionen daran verschwenden müssen, dem Abgesandten von Lucas verständlich zu machen, was er – oder vielmehr Duncan – darunter verstand. Doch irgendwann aus heiterem Himmel, oder weil Shane einfach nicht nachgab, wurden sie sich schließlich einig. Und nun stand Duncan fünf Minuten vor Mitternacht auf einem halb verfallenen und überwucherten alten Friedhof eines Dorfes der Umgebung. Der Himmel war düster und Wolken verhangen. Doch selbst wenn keine einzige Wolke am Himmel gewesen wäre, hätte es keinen Mond gegeben der diese Nacht erhellte. Aber das war auch gut so. Obwohl es eher unwahrscheinlich war, dass sich um diese Zeit irgend jemand hierher verirren würde, konnte man doch nicht vorsichtig genug sein. Und deshalb war eine Neumondnacht wohl der perfekte Zeitpunkt für ein Treffen. Duncan war sich sicher, dass er hier und heute ein Problem beseitigen konnte, welches ihn nun schon eine ganze Weile plagte. Und vielleicht konnte er ja sogar den einen oder anderen Vorteil dabei rausschlagen. Als die Uhr der kleinen Kirche am anderen Ende des Friedhofes Mitternacht schlug trat Lucas aus den Schatten hervor. Wahrscheinlich hatte er ein Portal genommen und nun – pünktlich auf die Sekunde genau war er am Treffpunkt erschienen. Nun war es Zeit eine Einigung zu finden. Und das würde für beide nicht einfach werden, denn – und das war Duncan durchaus bewusst – auch Lucas hatte Hintergedanken bei diesem Treffen, auch er hatte ein Problem zu beseitigen. "Es freut mich, dass deine Uhren noch funktionieren." rief er ihm durch das Dunkel der Nacht hinzu. Lucas lachte zur Antwort. Es war ein kehliges, abschätziges Lachen, welches schnell verklang. Er kam auf ihn zu, nahm dann wie selbstverständlich auf einem verwitterten Grabstein Platz, während Duncan stumm stehen blieb und ihn anstarrte. Schließlich ließ sich Lucas zu einer Antwort herab: "Du und die deinen habt einen sehr gefährlichen Zug gemacht, mein Freund. Und um ehrlich zu sein, bin ich nicht sicher, welche Reaktion die beste wäre. Sollen wir euch dafür alle töten oder sollen wir euch beglückwünschen?" Nun war es an Duncan zu lachen, schallend und laut, dass es über den ganzen Friedhof schallte. "Nun, es war niemals meine Absicht, über Ilyana zu richten, sie sollte sich als Mittel zum Zweck erweisen. Doch ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass das wohl nicht geschehen wird, also..." Lucas unterbrach ihn barsch: "...willst du sie los werden. Genauer gesagt willst du sie an mich verscherbeln." Er musterte Duncan eingehend, um anhand seiner Miene Bestätigung für seine Theorie zu erhalten. Doch Duncans Ausdruck war unergründlich und kaum lesbar. Erst als er nickte, hatte Lucas die ersehnte Antwort. Ein unruhiges Schweigen legte sich über den Friedhof. Keiner der beiden Männer gab einen Laut von sich oder wagte sich zu bewegen. Sie musterten sich nur mit einer trügerischen Ruhe, die jedes andere Lebewesen in weitem Umkreis verstummen ließ. Keine Vögel oder andere Tiere gaben einen Laut von sich. Erst nach Minuten war es an Duncan diese unruhige Stille zu zerstören. "Sieh es so, ich präsentiere dir eine Verräterin an deiner Sache auf dem Silbertablett. Sie gehört dir und du kannst mit ihr machen, was du willst. Es ist mir und den meinen einerlei. Auch wenn wir uns insgeheim natürlich über die schlimmste Bestrafung freuen würden, die ihr zu bieten habt." Lucas lachte erneut kurz auf: "Das bedeutet aber auch, dass du dafür eine Gegenleistung verlangst. Auch du machst mir keine Geschenke aus reiner Nächstenliebe. Also, was verlangst du von mir für Ilyanas Herausgabe?" Duncan schwieg, schien kurz zu überlegen, aber Lucas wusste, dass das nicht stimmte, er wusste, dass sein Gegenüber sich schon lange überlegt hatte, was er für die Erzdämonin verlangen konnte. "Ich will meine Verräterin. Und ich weiß, dass du Mittel und Wege hast sie zu finden, die mir verschlossen sind." antwortete er ihm. Dabei konnte er die Wut in seiner Stimme kaum verbergen. Diese Göre hat ihm wirklich ganz schön ans Bein gepinkelt, dachte Lucas. Aber das interessierte ihn gar nicht. "Warum sollte ich meine Ressourcen an eine Schattengängerin verschwenden? Die Kleine ist mir egal. Sie war mir schon immer egal und auch was Ilyana mit ihr angestellt hat. Es gibt nur eine Sache, die sie momentan reizbar für mich macht und das gilt auch für dich. Ansonsten hättest du längst ihren Tod vorgetäuscht und es darauf beruhen lassen, so wie bei den anderen, die dir in alle den Jahren abgehauen sind." Duncan hatte befürchtet, dass es nicht so einfach werden würde, mit Lucas zu verhandeln. Auch ihm war der Wert, den Ashley - oder vielmehr ihr Wissen - darstellte, durchaus bewusst. Und Lucas wollte es ihm nicht einfach so in den Schoß werfen. Also versuchte Duncan eine andere Taktik. "Wir haben keine Bestätigung, dass sie das Manuskript wirklich gefunden hat. Es wurde nirgends gefunden, nicht in ihrer Wohnung oder bei ihrer Familie. Wenn dann musste es Ilyana haben und wenn ihre Abneigung gegen dieses Dokument betrachtet, gehe ich davon aus, dass dem nicht so ist." Doch Lucas ließ sich nicht beirren. "Das heißt aber nicht, dass sie es nicht irgendwo anders versteckt hat. Egal wie sehr ich dieses Mädchen verachte, ich halte sie bestimmt nicht für dumm. Und ich denke, wenn sie das Manuskript in Händen gehalten hat, dann wusste sie, was sie da hatte. Und da du sie nicht auf Schritt und Tritt überwachen hast lassen, kannst du nicht wissen, ob und wo sie es vielleicht versteckt hat. Das kann nur sie beantworten. Warum also sollte ich dir helfen, diese Antwort zu finden?" Duncan knirschte mit den Zähnen. Dieses Unterfangen schien aussichtslos. Lucas wusste was er wollte und er wusste, dass er in der besseren Position war. Eine Verräterin zu bestrafen war nicht halb so befriedigend wie das Manuskript zu finden, er war in der besseren Position und nicht - wie zuerst angenommen - Duncan selbst. Doch das ließ Duncan auch stutzig werden. Lucas war ihm in der Tat voraus, aber warum war er dann überhaupt hier? Eine Erkenntnis dämmerte in ihm. "Wenn sie für dich genauso wertvoll ist, warum hast du sie nicht schon lange gefunden?" fragte er Lucas ruhig. Und er erzielte die gewünschte Wirkung. Zum ersten Mal zeigte Lucas eine unbewusste Regung. Sein rechter Mundwinkel zuckte und er atmete tief ein. Er war ertappt und Duncan setzte seinem Erfolg noch eines drauf: "Ich denke, weil du sie nicht finden kannst. Irgendetwas sorgt dafür, dass du sie nicht aufspüren kannst. Und du hast keine Ahnung was das ist." Aus Lucas Kehle drang ein drohendes Knurren hervor. "Vorsicht, mein Freund, ich bin nicht hier um mich von dir veräppeln zu lassen!" drohte er. Duncan nickte: "Aber ich habe doch recht, oder? Gibt es denn einen anderen Grund warum du ihrer noch nicht habhaft werden konntest?" Lucas schien sich eine Antwort wohl zu überlegen. Schließlich stand er auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sie wird beschützt. Von jemand mächtigem." Duncan wartete einen Moment, in der Hoffnung, noch mehr zu erfahren, doch es kam nichts mehr, also fragte er: "Und von wem?" Lucas schüttelte den Kopf. "Das weiß ich nicht." Duncan war überrascht und konnte dies nicht vor Lucas verbergen. Zum einen, war es erstaunlich, dass Lucas so ehrlich gewesen war, zuzugeben, dass er keine Ahnung hatte, wer ihm da in die Suppe spuckte, zum anderen, dass er es wohl wirklich nicht wusste. Dieser Gedanke war aber gleichzeitig beunruhigend. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. "Soll das bedeuten, dass du denkst, es könnte noch eine dritte Partei hier mitmischen, von der wir keine Ahnung haben?" fragte er Lucas, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. "Ehrlich gesagt, ist mir das egal. Was ich will ist das Manuskript und jeder der sich mir in den Weg stellt - egal wer - ist mein Feind." Duncan lächelte, darin waren sie sich beide einig, dachte er. "Das bringt uns in eine schwierige Situation. Ich habe keine Lust, dir deine Arbeit abzunehmen und Ilyana ihrer Strafe zu zuführen, zumal ich euch damit einen Vorwand liefere, 'Rache' für sie zu nehmen. Ich habe aber genauso wenig Lust sie zu behalten - sie ist nicht besonders unterhaltsam. Und noch weniger bin ich gewillt, sie frei zu lassen, damit sie wieder zu ihrer Hure läuft." Lucas schien zu überlegen. Er wollte auch keine der drei genannten Optionen annehmen, das war Duncan klar. Auch er musste vor seinen Leuten eine Position wahren und er würde als schwach da stehen, wenn er am Ende nicht mit der in Ketten gelegten Verräterin vor ihnen stand. Doch Duncan und den Schattengängern einen Gefallen zu schulden wollte er genauso wenig. Während beide noch fieberhaft überlegten, wie sie diese Situation bereinigen konnten, dass beide Seiten etwas davon hatten, trat aus dem Dunkel eine weitere Gestalt hervor. Ein hoch gewachsener Mann, mit langen, dunklen Haaren und einem roten Mantel trat an sie heran. Duncan und Lucas wurden von seiner Anwesenheit aus den Gedanken gerissen. Einen Moment waren sie alarmiert, befürchteten einen Eindringling, der für dieses Verbrechen umgehend zahlen musste und zückten einen Dolch - die einzige Waffe, die bei diesem Treffen einander gestattet war - , doch als sie den Mann erkannten, der sich genähert hatte, entspannten sie sich. Beide kannten ihn, doch beide reagierten unterschiedlich. Lucas kniete nieder und neigte den Kopf, während Duncan entspannt und ruhig stehen blieb. Lucas sprach als erster: "Mein Herr, ich habe euch hier nicht erwartet." Der Mann trat an ihn heran und tippte ihn an. Lucas sah auf und erhielt mit einer Handbewegung den Befehl, sich wieder zu erheben. Dann erhielt er Antwort: "Ich bin gekommen, um das Chaos, dass ihr angerichtet habt, zu beseitigen." Lucas sah verwirrt drein, Duncan aber sprach mit einem Hauch Ärger: "Warum, glaubst du dich als der Retter in unserer Notlage, Darius? Ist dein Verstand in deinem Altern schon mit dir durch gegangen?" Darius lachte - lauter und kehliger als die beiden anderen es zuvor getan hatten. "Ich dachte eigentlich, dass du klug genug bist, den Dingen ihren Lauf zu lassen, alter Freund." Duncan lächelte belustigt, während Lucas dem Gespräch der beiden wie ein Kind folgte, das seinen Eltern bei einem Gespräch lauschte. "Dann erleuchte mich, und schlage vor, was jetzt für uns zu tun ist!" forderte Duncan ihn auf. Darius erwiderte das Lächeln und mit diesem Lächeln gesellte sich auf sein wettergegerbtes Gesicht ein glühendes, bedrohliches Leuchten in den Augen. "Gibt Lucas das, für das du keine Verwendung mehr hast. Und ich bin sicher, dann wirst du deine Chance bekommen, das Mädchen zu fangen. Eine Chance, die natürlich auch mein Diener nutzen kann. Ein ehrlicher Wettstreit. Wer sie als erstes bekommt, hat gewonnen." Beide Männer schien diese Idee zu gefallen. Lucas stimmte mit einer Verneigung vor Darius zu. Duncan allerdings schien noch nicht ganz überzeugt. "Was geschieht mit Ilyana?" Darius' Grinsen wurde breiter und schien nun einer schrecklichen Fratze zu gleichen, als er antwortete: "Ich erhebe Anspruch auf sie. Ich habe... große Pläne mit ihr." Duncan hob erstaunt eine Augenbraue. "Was macht dich sicher, dass sie an deinen Plänen teilnehmen wird?" Darius funkelte ihn an, jedoch nicht feindselig, sondern siegessicher auf eine unbeschreibliche Weise, wie Duncan sie noch nie gesehen hatte. "Die Zeit läuft gegen sie." flüsterte Darius zur Antwort. Duncan sah ein, dass dies alles war, was er zu diesem Thema erfahren würde, also nickte auch er als Zustimmung zu Darius' Vorschlag. Damit war das Schicksal der Erzdämonin besiegelt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)