Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Kapitel 15: Eine große Schwäche ------------------------------- Charon saß auf einem Sessel in der Ecke seines Büros, welches er erst vor wenigen Monaten von Lucas für seine Verdienste zugewiesen bekommen hatte. Eigentlich war es verwunderlich, dass er es ihm aufgrund seines „Versagens“ nicht wieder weggenommen hatte. Doch dazu war es bisher nicht gekommen, allerdings fragte Charon sich, ob es nicht bald so weit sein würde. Deshalb legte er auch keinen Wert auf Ordnung in diesem Raum. Über den Boden lagen haufenweise Papiere verstreut, der Mülleimer quoll über und war schon seit Wochen nicht mehr ausgeleert worden. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass Charon nicht gerade sehr viel Wert auf dieses Büro legte, war die Tür, die eigentlich nur noch angelehnt war. Seit Lily sie damals zur Hälfte aus den Angeln getreten hatte, hing sie so komisch schief und Charon hatte keine Lust, sie zu reparieren. Irgendwie gab es ihm ein besänftigendes Gefühl, wenn er die Tür anstarrte. So konnte er seine ganze Wut und alles, was in den letzten Wochen so schief gegangen war, auf seine Frau schieben und sich in Gedanken ausmalen, dass er sie dafür bezahlen ließ – nicht nur für die Tür. Er nippte an einer Flasche mit einer undefinierbaren, durchsichtigen Flüssigkeit. Das Etikett hatte er abgerissen. Er wollte selbst nicht wirklich wissen, was für einen Dreck er sich die Kehle runter goss. Aber es war egal, denn so schnell würde er ja eh nicht betrunken werden. Dämonen hatten einfach eine viel höhere Toleranz als Menschen oder Schattengänger. Während er in Gedanken versunken war, hatte er nicht bemerkt, dass jemand die Tür vorsichtig beiseite gedrückt hatte und eingetreten war. Erst als Lucas sich auf einem Stuhl Platz gemacht hatte und ein paar Stapel Papier auf den Boden geworfen hatte, bemerkte Charon ihn. Allerdings schenkte er ihm nur einen kurzen Blick, als dieser sich hinsetzte. Dann wandte er sich wieder ab und widmete sich seiner Flasche und nahm einen weiteren Schluck. Lucas, dem es offensichtlich nicht gefiel auf diese Art und Weise ignoriert zu werden, setzte eine Miene auf, die ihn ganz schön bedrohlich aussehen ließ. „Was bitte ist nur aus dir geworden, Charon? Ich fürchte du spielst deine Rolle als Büßer etwas zu gut.“ Als Antwort kam von Charon nur ein Schnauben, welches irgendwie zu einem Grunzen verkam. Lucas lächelte, jedoch keineswegs amüsiert – ganz im Gegenteil. Er fand das hier nicht im Mindesten komisch. „Ich verstehe, dass du deine Chance willst, dich wieder hoch zu arbeiten. Und der Rat hat meinem Vorschlag zugestimmt, dass wir sie fernab von den Massen bestrafen werden. Diese Ehre wird dann dir zukommen.“ Charon warf die leere Flasche auf den Boden und sah etwas verächtlich zu Lucas. „Wenn ihr sie jemals findet.“ Lucas lehnte sich zurück und legte die Stirn in Falten. „Gibt es da etwas, dass du mir mitteilen willst?“ Charon drehte sich zu Lucas um mit einem Blick, wie auf einer Beerdigung. „Du lässt sie von deinen Dämonen suchen und vergisst schlichtweg, dass sie uns den Rücken gekehrt hat.“ Nun wirkte Lucas tatsächlich interessiert. „Sprich weiter!“ forderte er ihn auf. Charon stand auf und ging im Zimmer herum. „Sie kennt uns und unsere Methoden, sie ist viel zu clever für alles, was der Rat ihr hinterher schicken könnte.“ Lucas schien durch diese Worte sehr besorgt und Charon erkannte das. Und das war seine Chance. „Erklär es mir.“ meinte Lucas schließlich in dem Versuch seine Besorgnis zu verstecken, was ihm aber so gar nicht gelang. Charon huschte für eine Sekunde ein kaltes Lächeln übers Gesicht, als er sich zu Lucas umdrehte, war es jedoch verschwunden. „Sie hat über Jahre und Generationen hinweg unter den Menschen gelebt. Das hat abgefärbt. Was vermutlich auch der Grund ist, warum sie übergeschnappt ist und ihre kleine Schlampe mitgenommen hat.“ Er machte eine kurze Pause, um Lucas zu mustern. Er genoss es zu sehen, wie sehr er sich das Hirn darüber zermarterte, dass eine der mächtigsten Erzdämoninnen ihre eigenen Leute für ein dummes Flittchen von den Schattengängern verlassen hatte. Charon aber hatte eine Erklärung für diese Sache gebracht und er schien noch mehr zu haben. „Sie weiß genau wie wir denken, und deswegen weiß sie, wie wir nach ihr suchen werden. Wir sollten nicht nach dem Dämon suchen, sondern nach der Seite, die das verursacht hat. Sie handelt wie ein Mensch, emotional und engstirnig. Nur so können wir sie auch finden.“ Lucas ließ sich diese Vermutung einige Minuten durch den Kopf gehen. Charon lehnte lässig an der Wand. Schließlich stand Lucas auf und kam auf ihn zu. „Ich denke mal, du hast eine Idee, wo du ansetzten würdest.“ Charon nickte und lehnte sich vor. „Wir folgen einfach ihrer größten Schwäche. Und die wird uns zu ihr führen. Zumal ich vermute, dass auch die Schattengänger das tun werden. Und diese Tatsache könnte sich durchaus als nützlich erweisen.“ Lucas lächelte, dieses Mal aber definitiv aus einem anderen Grund als vorher. „Na schön, dann mach dich auf die Suche und bring sie mir, hast du verstanden?“ Nun lächelte auch Charon und schritt auf die Tür zu. Er gab dieser einen Tritt, so dass sie nun völlig aus der letzten Angel flog und drehte sich um. „Mit dem größten Vergnügen, Boss.“ Dann ging er hinaus auf den Gang und war verschwunden. Lucas sah ihm noch eine Weile nach und war in Gedanken versunken. Irgendwie hatte die Idee, sich an die Schattengänger zu hängen etwas zu gefährliches. Auf keinen Fall konnte er zulassen, dass Ashley ihrer alten „Familie“ wieder in die Hände fiel. Denn er traute Duncan nicht im Mindesten zu, die Sache so zu regeln, dass es nicht noch mehr Staub aufwirbelte. Denn schließlich war es ein unüberlegtes Handeln, welches das Ganze verursacht hatte. Hätte er das Mädchen Lily einfach überlassen, anstatt den beiden diese Spielchen zu gestatten, wäre dieses Chaos nicht passiert. Doch andererseits hatte dieses Chaos ihnen einen Weg geöffnet zu dem, was sie seit Jahrhunderten schon suchten: das Manuskript. Und Duncan würde nie und nimmer das Richtige tun, falls es ihm in die Hände fallen würde. Deshalb wusste Lucas, dass es wohl nicht damit getan sein würde, Lily und Ashley zu finden. Er würde sich die Hilfe von jemand anderem sichern müssen, wenn es soweit war. Und bis dahin würde er die Suche einem von Wut getriebenen Charon überlassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)