Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Kapitel 49: Ein Funke --------------------- Keine Sonne war an diesem Morgen aufgegangen. Die Dunkelheit hatte sich einfach nur zurückgezogen. Der Himmel war so dicht mit Wolken verhangen, dass nur sehr getrübtes Licht den Tag erhellte. Kein Sonnestrahl durchbrach die Wolkendecke. Das einzig positive war, dass es nicht mehr regnete. Doch auch das hätte an der Stimmung, die in der großen Scheune gegenüber vom Haupthaus des Verstecks herrschte geändert. Sam hatte am späten Vormittag einen jeden seiner Leute, der hier auf dem Grundstück war zusammengerufen - sie hatten alles stehen und liegen gelassen und waren sofort gekommen. Sam hielt solche Zusammenkünfte nur selten und nur in Notfällen ab. Alle waren neugierig und auch besorgt gewesen, was der Grund für dieses Treffen sein könnte. Doch keiner hatte mit dem gerechnet, was Sam ihnen schließlich als Grund genannt hatte. Um aus mehreren Tischen bestehendes Podium hatten sich alle versammelt. Das ganze war eine wackelige Angelegenheit, doch um sich das Gehör aller Anwesenden zu versichern, war es nötig gewesen, da ansonsten die meisten vom wichtigen Geschehen nichts mitbekommen würden. Sam war als erster auf die Tische gestiegen. Aufmerksam hatten sie ihm und dann Ashley zugehört, die eine lange Zeit vorgelesen hatte - aus dem Manuskript. Innerhalb weniger Sätze zeigten einige Zuhörer bereits empörte Regungen. Auch Ashley war sehr emotional gewesen. Ein ums andere Mal hatte ihr ihre Stimme versagt. Bis sie schließlich nicht mehr weiter konnte und das Schriftstück wütend und mit einer unendlichen Trostlosigkeit auf den Tisch geworfen hatte. Sam hatte es dabei belassen. Ashley selbst hatte es nicht über sich gebracht, das Manuskript vollständig zu lesen. Allein die ersten Absätze hatte ihr gereicht. Letzte Nacht war sie in Lilys Armen wütend und traurig eingeschlafen, nachdem sie das Manuskript in die Ecke geworfen hatte. Jetzt hatte sie etwas weiter gelesen - doch mehr konnte sie nicht ertragen. Das Manuskript hatte eine traurige Wahrheit erhalten, die keiner - auch Sam und Lily nicht - für möglich gehalten hatte. Während Sam mit seinen Leuten anfing zu diskutieren, wie man mit diesem Wissen umgehen sollte und ob und was man tun sollte, hatte Ashley sich zu Lily und Trinity in eine hintere Ecke zurückgezogen. Sie sah müde und verzweifelt aus. In ihr brodelte es - eine unbändige Wut - und gleichzeitig war da diese Traurigkeit mit der sie nicht umgehen konnte. Sie hasste dieses Gefühl. Nur einmal zuvor hatte sie etwas Vergleichbares gefühlt und wenig später hatte sie versucht sich umzubringen. Dieser Gedanke wog schwer auf ihren Schultern, weshalb sie sich in Lilys Arme geflüchtet hatte. Sie wollte jetzt nicht allein sein, wollte nicht ihren Gefühlen alleine ausgeliefert sein. Auch Lily hatte mit sich gekämpft. Sie hatte immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt, als Ashley ihr letzte Nacht vorgelesen hatte. Sie konnte es nicht fassen. Die einzige, die diese Enttäuschung und Wut nur nebenher mitbekam, war Trinity. Sie konnte verstehen, warum ihre Mutter, Ashley und Sam so empfanden, doch es betraf sie nicht und das machte es schwerer. Es war auch schwer, jetzt eine Entscheidung zu treffen darüber, was denn nun eigentlich zu tun war. Sollte man das alles einfach ignorieren? Doch genauso wenig wie es richtig war, das Manuskript zu ignorieren, war es richtig seinen Inhalt zu ignorieren. Und Ashley hatte immer noch die Hoffnung, dass sie, sobald sie etwas gefunden hatte, worauf sie ihre Wut und ihre Enttäuschung richten konnte, auch die Kraft haben würde, das Manuskript weiter zu lesen. Das was sie heute gelesen hatte, war nicht mal die Hälfte gewesen. Aber es war mehr als genug gewesen. Genug um ihre Welt und ihr Bild davon gehörig ins Wanken zu bringen. Es war immer so klar, schon bevor Duncan sie gefunden hatte und zur Ausbildung mit ins Kloster genommen hatte, war alles in so klaren Konturen. Nichts hatte sie erschüttern können. Doch es war alles eine Lüge. Nichts von alledem war wirklich so. Und das was Ashley am meisten schmerzte, war dass es so viele da draußen - Dämonen und Schattengänger - gab, die davon nicht die geringste Ahnung hatten. Sie wussten nicht, dass sie eine Lüge lebten. Ashley dachte an Emma, dachte an das Gespräch, dass sie vor kurzem mit ihr hatte, nachdem Lily sie aus dem Kloster geschickt hatte. Sie hatte angedeutet, dass Duncan ein ziemlicher Schweinehund war, dem man nicht vertrauen konnte. Mann, hätte sie gewusst, dass sie damit mehr als nur Recht hatte! Doch wie sie jetzt wusste, war er nicht der einzige Schweinehund. Es war aber auch der Gedanke an Emma, der Ashley keine Ruhe ließ. Ich kann sie nicht dort lassen. Sie muss die Wahrheit wissen. Und die anderen auch, auch wenn sie mich für verrückt halten. Sie sollen die Wahl haben, die so viele vor uns nie hatten. dachte sie. Lily beobachtete sie. Ashley war sich sicher, dass sie ähnlich dachte, jedoch gab es bei den Dämonen niemanden, der es rechtfertigte, ihnen die Wahrheit zu sagen. Die Debatte hatte inzwischen hitzige Ausmaße erreicht. Die Lautstärke hier war so angeschwollen, dass sich alle gegenseitig anzuschreien begannen, um sich besser zu verstehen. Ashley lauschte und versuchte zu filtern, was gerade besprochen wurde. Sie konnte zumindest ausmachen, dass Colin, Daniel, Sam und noch drei andere Schattengänger sich darüber berieten, ob man die Schattengänger und Dämonen über diesen Fund irgendwie informieren wollte. Es gab viele Gründe, die dagegen sprachen - zu gefährlich, jeder Bote wäre zu unglaubwürdig und es gab bestimmt einige Personen, die das zu verhindern suchten. Doch es gab auch Gründe die dafür sprachen, wusste Ashley. Doch keiner davon wurde genannt. Emma, warum denkt niemand an Emma, an Connor und an so viele andere? Sie kannte jedoch die Antwort: weil keiner hier sie kannte und weil sie keinem so viel bedeuteten wie ihr. Wer sollte also für sie sprechen, sie erwähnen und als Grund aufführen? Wer sonst außer ihr. Ashley stand auf, löste sich von Lily, die vor Schreck beinahe von der Holzkiste gefallen war, auf der sie gesessen hatte, und ging auf Sam zu. Der unterhielt sich nun angeregt mit einigen Dämonen, die so wütend waren, dass ihre Körper von Dämonenfeuer umhüllt waren. Kurz grinste Ashley, bei dem Gedanken, dass sie das unter Umständen auch könnte. Doch für solche Späße war jetzt keine Zeit. Sie zog Sam am Arm und weg von seinen Gesprächspartnern. Die wollten zuerst protestieren, doch als sie Ashley erkannten, wurden sie still. Aus irgendeinem Grund hatte sie hier eine besondere Stellung erhalten. Man liest ein paar Sätze aus einer alten Schriftrolle und schon ist man der Boss! dachte sie spöttisch. Sam sah sie erstaunt an. Ashley hatte mit ihm kein Wort mehr gewechselt, nachdem er sie am Morgen darum gebeten hatte, das Manuskript vor der Zusammenkunft der Außenseiter vorzulesen. "Wir müssen es ihnen sagen. Ihnen allen. Wir können sie nicht einfach im Dunklen lassen, nicht ihm überlassen." Sam verzog das Gesicht. "Du sprichst von Duncan, nicht wahr? Aber es geht hier nicht nur ihn, er ist nur ein kleiner Teil des ganzen." Ashley nickte. "Aber er ist der Teil, der mich angeht. Er hat mich meiner Familie weggenommen und mir nur Lügen erzählt. Und das hat er mit so vielen gemacht, auch einigen von hier. Aber du hast Recht, er ist nicht der einzige, der gelogen hat. Deshalb sollten wir es ihnen allen sagen. Wir können doch nicht zulassen, dass sie ungestraft so weiter machen." Erst jetzt hatte Ashley bemerkt, dass es wieder Mucksmäuschen still in der Scheune war. Anscheinend hatte sie alle ihre Unterhaltungen eingestellt, nachdem sie Ashley und Sams Gespräch bemerkt hatten. Etwas peinlich berührt sah Ashley zu ihnen hin. Sie erkannte Lily die wenige Schritte von ihr weg hinter Daniel stand. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte zufrieden. Wieso zum Teufel lächelte sie jetzt und warum konnten die anderen nicht einfach weiter miteinander diskutieren. Sie hasste es so auf dem Präsentierteller zu sitzen und von allen angestarrt zu werden. Und dieses Schweigen verschlimmerte dieses Gefühl. Schließlich trat Caryn hervor und sprach: "Sie hat Recht. Alle wurden betrogen und alle sollte die Wahrheit erfahren und selbst entscheiden, ob sie uns glauben oder nicht. Wir sollten ihnen die Möglichkeit geben sich uns anzuschließen und dann..." Colin unterbrach sie mit einer Frage: "Was dann? Darum geht es doch eigentlich. Was sollen wir jetzt tun? Wir haben uns von den unseren abgewandt, weil wir nicht unterstützen konnten, wie mit unseresgleichen oder anderen umgegangen wird. Weil wir nicht weiterhin fragwürdige Befehle ausführen oder Dinge tun sollten, hinter denen wir nicht standen." Er machte eine Pause und sah um sich: "Ich denke das es Zeit ist, diesen jahrhunderte langen Kampf zu beenden. Jeder von uns, egal ob Schattengänger, Unterweltler oder Dämon hat seinen Zweck. Alles Gute und alles Böse hat seinen Zweck. Doch diejenigen, die momentan die Dinge in der Hand haben, sind Lügner, die diesen Krieg schon so lange künstlich am Leben halten. Ihnen muss das Handwerk gelegt werden." Daniel schaltete sich nun ein: "Du bist seit langem, der Meinung, dass gegen die Anführer der Parteien vorgegangen werden muss, ist das Manuskript nun dein Aufhänger, damit du uns überzeugen kannst?" fragte er herausfordernd. Colin lächelte milde. "Es stimmt, ich bin schon lange der Überzeugung gewesen, dass eine Auseinandersetzung unvermeidbar ist. Doch es ist nicht das oder das Manuskript, weswegen ich nun diesen Vorschlag machen." Sam war neugierig: "Sondern? Was ist es dann?" Colin zeigte auf Ashley, die sofort puterrot anlief: "Seht euch Ashley an und seht euch Ilyana an. Eine Schattengängerin und eine Erzdämonin. Aus irgendeinem Grund hat Ilyana lange versucht, Ashley das Schicksal eines Schattengängers zu ersparen, doch letztlich konnte sie das nicht. Dennoch haben sie sich nicht aufgegeben. Und jetzt so viele Jahre später stehen sie hier." Trinity rollte die Augen, Lily gab ihr einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein. Colin lächelte und fuhr fort: "Einige von euch kennen Ilyana aus einigen ihrer früheren Leben. Sie war eine Erzdämonin, unbarmherzig, grausam und Furcht erregend. Doch das war einmal. Ich sehe sie hier stehen, ein Schatten von dem was sie einmal war. Sie hat das alles hinter sich gelassen - für ihre Tochter" er deutete auf Trinity, "und fuhr eine Schattengängerin, die sie liebt." er zeigte wieder auf Ashley. "Und ich glaube, dass das der Grund ist, warum wir jetzt handeln müssen. Wenn es möglich ist, dass eine Erzdämonin aus Liebe bereit ist, sich allen in den Weg zu stellen, warum sollten wir es nicht tun, aus Respekt und im Gedenken an alle, die unter diesen Leuten leiden mussten. Schattengänger und Dämonen, Freunde, Familie und auch Konkurrenten." Wieder machte er eine Pause, es schien ihn zu erschrecken, wie gebannt sie seiner Rede lauschten. Dann fügte er hinzu: "Ich glaube wir sind es ihnen schuldig." Colin nickte Sam zu, um ihm zu zeigen, dass er fertig war. Sam wartete kurz, damit Colins Worte noch nachwirken konnten, dann stieg er wieder auf das provisorische Podium aus Tischen. "Colin hat Recht. Wir sind es jedoch nicht nur ihnen schuldig. Wir sind es auch Ashley schuldig, die so viel riskiert hat, um das Manuskript vor unseren Feinden in Sicherheit zu bringen und die uns an diesem Wissen teilhaben lies. Und..." Sam wurde unterbrochen - von einer Stimme aus der Menge, die heute noch gar nichts gesagt hatte, doch deren Laut alle aufhorchen ließ. "...wir sind es uns selbst schuldig." rief Lily. Sam nickte und alle stimmten jubelnd zu. Ashley warf Lily kurz einen Blick zu. Sie nickte nur, doch da war immer noch dieses Lächeln auf den Lippen und Ashleys Herz machte einen freudigen Sprung. Welch unendlich großer Schatz es war, sie so lächeln zu sehen. Sam brachte seine Leute nur schwer wieder zum Schweigen. Als es ihm endlich gelungen war, richtete er das Wort wieder an alle: "Nun gut, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir vorgehen werden. Wie informieren wir alle über unsere Entdeckung." Es gab Meldungen, einige riefe Vorschläge, doch noch bevor Sam auf eine davon eingehen konnte, war Ashley an seiner Seite und rief: "Ich habe eine Idee." Wieder hatte sie die Menge zum Schweigen gebracht und fragte sich, ob es vielleicht eine Fähigkeit war, die sie unbewusst wieder irgendwo ausgeliehen hatte. Sam nickte ihr zu. Lily stand inzwischen vor dem Podium und sah sie fragend an. Ashley fuhr fort und wandte sich dieses Mal an alle: "Ich habe einen Vorschlag, aber zuerst habe ich auch eine Bitte - oder vielmehr zwei Bitten." Sam nickte zustimmend: "Ich denke, dass du von uns alles erbitten kannst, was in unserer Macht steht, dir zu geben. Das hast du dir verdient." Zustimmendes Gemurmel und Nicken kam von den Leuten vor ihr und Ashley begann zu erklären, um was sie Sam und die Außenseiter bitten wollte. Nachdem Sam ihr die Erfüllung erneut zugesichert hatte, begann Ashley ihren Vorschlag auszuführen. Erstaunlicherweise hatte die breite Zustimmung aller Anwesenden. Freiwillige fanden sich für die jeweiligen Aufgaben. Sam hatte Mühe alle zu beruhigen und den Überblick zu behalten. Ashley stand neben ihm und fühlte sich einen Moment lang fehl am Platz, obwohl es ihr Vorschlag war, der nun diskutiert wurde. Doch dann fand sie Lily nur einen Meter vor ihr stehen. Dieses wunderbare Lächeln war immer noch nicht aus ihrem Gesicht verschwunden - im Gegenteil, es war noch breiter und fröhlicher, sofern das überhaupt noch möglich war. Sie sah Ashley an und sagte etwas, dass Ashley aber wegen der Lautstärke nicht hatte hören können. Aber sie hatte es von ihren Lippen lesen können: "Ich bin stolz auf dich!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)