Deutschland. Nichts geht mehr. von Phillia (Aus glücklichen Familien besteht das Wohl des Staates.) ================================================================================ Fünf Minuten vor der Zeit ist des Preußen Pünktlichkeit ------------------------------------------------------- Überpünktlich, um fünf vor Eins, kam Albrecht am vereinbarten Treffpunkt mit Berlin an, einer alten Eiche im Tierpark. Paul hingegen ließ sich Zeit und kam erst zwanzig Minuten später ruhig angeschlendert, während er in der rechten Hand einen Döner hielt und ihn gedankenverloren zerkaute. Man reichte sich die Hand, und Brandenburgs Herz fing bei der Berührung an, schneller zu schlagen. Er wusste selbst, dass dies nicht sein durfte. Das war eine Katastophe. Berlin war ein äußerst kompetenter Informant, und Albrecht kannte ihn schon ewig, noch bevor er jemals in die Mafia eingestiegen war – freilich, ohne dass Berlin ihn gekannt hatte. Paul war der Deutschlehrer seines Sohns gewesen, und obwohl Albrecht niemals auf Elternabenden gewesen war, hatte er gewusst, dass sein Sohn bei „Herr Albrecht“ (er hatte schon damals ein wenig darüber schmunzeln müssen) gut aufgehoben war. Paul war persönlich vorbeigekommen, nachdem Nikolai gestorben war, und er war der einzige gewesen, der in dieser Zeit für Albrecht da gewesen war mit seiner unnachahmlichen, sorglosen Art. Glücklicherweise hatten sie nie über Brandenburgs Beruf gesprochen – erst, als er Mitglied geworden war bei den Schwertfischen, und damals hatte sich dann enthüllt, dass Berlin schon seit Jahren ein geheimer, unabhängiger Informant für beide Gruppen gewesen war. Und hier zeigte sich das Problem: Berlin lebte auf extrem gefährlichem Fuß. Es war ein lukrativer Job, aber zwischen den Fronten gefangen zu sein, hatte sein Leben schon mehr als einmal in große Gefahr gebracht. Albrecht hatte nicht vor, seinen besten Freund – von dieser Beziehung zwischen den beiden ahnten weder die Schwertfische noch Dominus Tecum etwas – in noch größere Gefahr zu bringen, indem er ihn auf eine Seite zog. Dominus Tecum wusste viel zu viel von ihm, und er wusste zu viel von Dominus Tecum, als dass sie ihn würden leben lassen können, sollte er sich für Brandenburg – und damit die Schwertfische – entscheiden. „Auch 'n Bissen?“ fragte Berlin und hielt Brandenburg den angefressenen Döner hin. Brandenburg verneinte höflich, stattdessen holte er einen Umschlag aus seinem dünnen Mantel heraus und übergab ihn Berlin, der ihn kurz ansah und dann zerknüllte, damit er in seine Jackentasche passte. Trotzdem guckte am Ende ein braunes Zipfelchen heraus, aber das störte Berlin nicht. Sie sahen sich lang schweigend an. Dann grinste Berlin. Er war froh, dass Brandenburg überlebt hatte. Er hatte sofort gewusst, was geschehen sollte, als Baden ihn nach Informationen bezüglich Brandenburgs Leben gefragt hatte. Bei jedem anderen hätte er die Informationen wohl weitergegeben, aber nicht bei Albrecht. Die Vorstellung eines toten Albrechts, der, noch schlimmer, durch seine Schuld umgekommen war, schnürte ihm die Kehle ab. Schon der Anblick damals, vor ein oder zwei Jahren, als er in die kleine Wohnung gekommen war, die Albrecht alleinerziehend mit seinem Sohn bewohnt hatte, als der Vater ohne Sohn ihn mit geröteten Augen angesehen hatte und ganz allein auf der Welt gewesen war, hatte ihm schon einen Schauer über den Rücken gejagt, und damals hatte der Lehrer sich selbst versprochen, an Albrechts Seite zu bleiben, bis er wieder würde lachen können. Aber bis heute hatte er dieses wertvolle Lachen nur ein oder zwei Mal sehen dürfen – seine Aufgabe war also noch nicht beendet, und im Gegensatz zu allen anderen Aufgaben nahm er diese hier ernst. „Ich brauch deine Hilfe, Keule.“ teilte er Brandenburg mit. Sie hatten sich zwar auf Brandenburgs Initiative hin getroffen, schließlich musste er den Brief weitergeben, aber nach dieser Falschinformation, die er Dominus Tecum gegeben hatte, wusste er, dass er nicht mehr so weitermachen würde können wie bisher. Er blickte Albrecht uncharakteristisch ernst in die Augen. „Ich will ein Schwertfisch werden.“ Das kam unerwartet. Brandenburg schüttelte spontan den Kopf. „Das ist viel zu gefährlich.“ Was war in Berlin gefahren? Albrecht spürte, wie der Schweiß anfing, von seinem Nacken zu tröpfeln, obwohl es so kalt war, dass er die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Sie werden dich umbringen. Ganz sicher. DT ist gefährlich.“ Albrecht merkte nicht, dass er anfing, zu zittern. Paul winkte ab, ließ achtlos das leere Dönerpapier fallen und steckte sich eine Zigarette an. Erst, als sie sicher in seinem Mund war, blickte er wieder Albrecht an. In seinen klaren blauen Augen zeigte sich nicht das kindische Verhalten, das ihn sonst ausmachte, sondern ein tiefes Verständnis der Lage. „Ich hab' ihnen falsche Informationen zugespielt. Sobald sie das rausfinden, bin ich tot. Wenn ich nicht euren Schutz kriege, kann ich bald die Radieschen von unten bewundern, oder die Typen werfen mich in die Spree. Zu den Bullen kann ich auch schlecht gehen.“ Er zwinkerte. „Außerdem will ich eh bei euch mitmachen, seitdem du auch dabei bist.“ Er blies Rauch aus, sodass seine Sicht etwas eingeschränkt wurde, ansonsten hätte er wohl gesehen, dass sich auf Brandenburgs Wangen eine Röte schlich. Gegen diese Argumentation konnte er nichts sagen. Nur eine einzige Sache fiel ihm ein: er war selbst ein Bulle. Es würde nicht mehr lang dauern, bis er und seine Vorgesetzten diese Schwertfische aufgeräumt hatten. Und wenn Berlin dann auch noch dabei war, würde er sicherlich nie wieder das Tageslicht erblicken. Auf der anderen Seite hatte Paul Recht. Sie würden ihn töten. Je nachdem, zu welchen Folgen diese Falschinformation geführt hatte. Alles führte schnurstracks in die Katastrophe. Albrecht wusste nicht, wie er die Situation retten konnte. Seine Handflächen klebten geradezu aneinander vor Nervösität, als er mit flimmerndem Blick Berlin ansah. „Ich-“ setzte er an, wurde aber von einem breit lächelnden Berlin unterbrochen, der ihm auf die Schulter klopfte. Brandenburg verspannte sich. „Danke, Alter! Du rettest mir echt das Leben damit, weißte das? Ok, wo kann ich mich einschreiben?“ Albrecht sollte inzwischen daran gewöhnt sein. Er nahm Berlins Hand und entfernte sie vorsichtig von seiner Schulter. „So einfach ist das n-“ „Albi, ich hab' dir dein Leben gerettet, jetzt bist du dran, mir meins zu retten!“ Pauls Lächeln war noch immer sorgenfrei, und man sah auf den ersten Blick, dass er diese Rechnung nicht ernst nahm, sondern nur irgendwie versuchte, Albrechts Schild zu durchbrechen. „Komm schon.“ Wieder fand seine Hand den Weg auf Albrechts Schulter. Dieser seufzte auf. „Ich spreche mit Schleswig-Holstein. Aber ich kann nichts-“ „Super!!“ wurde er von Berlin unterbrochen, der seine Hand nahm. Erst in diesem Moment bemerkte Albrecht, dass ihm kalt war, denn Pauls Hand war warm, und während sie die seinige umschloss, stieg eine angenehme Hitze in ihm auf. Dann fing der Berliner an, ihn mit sich zu ziehen. Albrecht stolperte nur hilflos hinter ihm her, bis die beiden bei einem kleinen Zweisitzer angekommen war, der in allen möglichen Farben des Regenbogens lackiert war. Berlin zerrte Brandenburg auf den Beifahrersitz und stieg selbst, noch immer eine Rauchfahne hinter sich herziehend, links ein. Während er den Schlüssel umdrehte, rief er ein lautes „Auf nach Kiel!“ aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)