Die Chroniken der Drachen von Caildyn ================================================================================ „Guten Morgen, Louarra“ Verschlafen schlug sie die Augen auf und wandte sich zu ihm um. „Wie hast du mich genannt?“, fragte sie müde und gähnte verhalten aber herzhaft. „Ich sagte 'Louarra'“, wiederholte er. „Klingt schön. Und was heißt es?“ „Das... verrate ich nicht!“, grinste er und begann zu lachen, als sie ihn empört ansah und ein Kissen nach ihm warf. „Hey, sowas kann ins Auge gehen!“, brachte er entrüstet zwischen dem ersten und einem weiteren Kissen hervor, bekam das zweite jedoch voll ins Gesicht geschleudert und revanchierte sich mit einem Volltreffer. Schon bald waren die beiden in eine Kissenschlacht von beinahe epischem Ausmaß verstrickt und schleuderten sich die Kissen mit solcher Wucht um die Ohren, dass bald das gesamte Schlafzimmer in ein Federmeer getaucht war. „Na toll, jetzt brauche ich neue Kopfkissen.“, maulte sie, als sie das Chaos sah, dass sie angerichtet hatten. „Ich ersetze sie dir, bin ja schließlich mit Schuld an der Zerstörung der alten.“, versprach er. „Aha, und von welchem Geld willst du das tun? Ah, wo wir gerade davon sprechen: langsam aber sicher, wird es ziemlich teuer für mich, wenn du weiter so einen Appetit hast. Entweder du verdienst dir selbst Geld, von dem wir Essen kaufen können, oder du musst wohl oder übel weniger essen.“, erklärte sie ihm und ging in die Küche. „Ich fürchte, wenn ich noch weniger esse, werde ich krank, also wähle ich lieber die Variante mit dem Geld verdienen.“, eröffnete er ihr wenig später. „Und wie willst du das anstellen?“, harkte sie nach. „Ich weiß nicht, was gibt es denn für Möglichkeiten?“ „Hmm... bei deinem Aussehen könntest du Model werden.“ „Was, bitte, ist ein Model?!“ „Erinnerst du dich an die Bilder mit der modernen Kleidung?“ „Ja, und an das unbequeme Zeug auch.“ „Nun, Models sind Leute, die gut aussehen und Geld dafür bekommen, dass sie sich mit neuen Sachen fotografieren lassen.“ „Fotografieren? Was ist das?“ „Zu kompliziert zum erklären. Aber wenn dir die Sachen damals schon unbequem vorkamen, ist das vielleicht nicht das Richtige für dich. Was, denkst du, kannst du gut? Was sind deine Talente?“ „Ich... Ich weiß nicht. Ich male gerne, aber...“ „Siehst du? Das ist doch schon einmal ein Anfang!“ „Was ist ein Anfang?“ „Du malst gerne, und wie ich finde, sogar sehr gut! Warum also nicht auch Geld damit verdienen?“ „Meinst du, das geht?“ „Aber sicher. Wenn du wüsstest, wie viel Geld einige Menschen für Kunst zu zahlen bereit sind, würden dir die Augen aus dem Kopf fallen.“ „Na gut, versuchen wir's.“ Als sie am nächsten Tag von der Arbeit heimkehrte, brachte sie ihm einige kleine Leinwände, Zeichenblöcke, Pinsel, eine Staffelei und eine kleine Auswahl von Farben, Stiften und anderen Dingen, die er zum Malen brauchen würde, mit. Er nahm sich etwa eine Stunde Zeit, um sich mit den Materialien vertraut zu machen und wagte anschließend einige Versuche auf Papier. Schließlich wollte er seine Fähigkeiten weiter prüfen und bat sie, ihm für ein Portrait Modell zu stehen, was sie ablehnte. „Ach, komm schon, Louarra!“, bettelte er und der Klang seines Spitznamen und die Art und Weise, wie er ihn aussprach, ließen sie weich werden. „Na gut. Aber nur, wenn du mir danach verrätst, was das heißt!“ Nachdem er einige Zeit lang auf einer Leinwand gezeichnet hatte, rief er sie zu sich, um sie seine Skizze von ihr bewerten zu lassen. „Oh, Himmel... Das ist wunderschön, Drisaonar!“, lobte sie den Tränen nahe und betrachtete die Skizze. „Ich male nur, was ich sehe.“, antwortete er ihr sanft und drehte sie zu sich um. „Ist das denn schon fertig?“, hauchte sie und blickte ihm tief in die sanft schimmernden Augen. Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein, aber ich denke, ich werde mir auch viel Zeit mit der Fertigstellung lassen.“ „Warum denn das? Mach doch weiter!“, bat sie, doch er lehnte ab. „Du solltest so langsam zu Bett gehen. Es ist schon spät und wenn ich mich richtig erinnere musst du morgen wieder arbeiten.“, erklärte er sich und schob sie ins Schlafzimmer. Bevor er in seine Hälfte des Betts kroch, holte er einige der Kissen von der Couch, damit sie wenigstens diese hatten. Dann fiel ihm noch ein, zu fragen, wie er mit Malerei Geld verdienen sollte und hörte ihr ruhig zu, als sie ihm erklärte, dass er sich zunächst mit der Staffelei, einem Zeichenblock und seinen Stiften in eine Fußgängerzone setzen und dort Passanten zeichnen sollte, die dies wollten. „Und wie soll ich auf mich aufmerksam machen? Ich kann mich wohl kaum verhalten, wie ein Marktschreier!“, fiel ihm dann auf und sie erklärte erschöpft, dass er einige seiner Zeichnungen und auch ruhig das Portrait von ihr mitnehmen und ausstellen sollte, damit die Leute sehen konnten, was er zu bieten hatte. Bevor ihm noch weitere Fragen einfallen konnten, schlief sie ein, also kroch er schweigend unter seine Decke und rollte sich auf die Seite, um ihren Schlaf zu beobachten. Bevor sie am nächsten morgen zur Arbeit ging, erklärte sie dem Drachen, wie viel Geld er verlangen konnte und wie er die Preise für seine Arbeit festlegen konnte. Wenig später saß er in einer Fußgängerzone und wartete darauf, dass einige der Passanten auf ihn aufmerksam wurden. Gegen Mittag bat ihn ein junges Paar darum, die beiden zu zeichnen und er kam der Bitte nach. Als sie über seine schnelle und beinahe perfekte Arbeit staunten, wurden immer mehr der Passanten auf ihn aufmerksam. Als er dann am Abend erschöpft zur Wohnung zurückkehrte, war Mourndra noch nicht da, also bat er den älteren Herren, der ihn schon einmal eingelassen hatte, ihn in die Wohnung zu lassen. Der ältere Herr konnte ihm jedoch auch nicht helfen, da er den Schlüssen zu Mourndras Wohnung kürzlich abgebrochen und noch keinen Ersatz besorgt hatte. Ihm blieb also nichts weiter übrig, als auf Mourndra zu warten. Wenig später kam dann Mourndra nach Hause und fand Drisaonar schlafend vor ihrer Wohnungstür sitzend vor. „Warum kommst du so spät?“, fragte er müde, als sie ihn weckte und erhob sich schwankend vor Müdigkeit und Hunger. Eine ausgedehnte Mahlzeit und eine Ananas später war er wieder weit genug zu gebrauchen, um ihn über seinen Tag auszufragen. Auf die Frage hin, wie es gelaufen war, zog er einen Beutel hervor, den sie ihm für das eingenommene Geld gegeben hatte und staunte nicht schlecht, als er dessen Inhalt vor ihr auf den Wohnzimmertisch kippte. „Du meine Güte, für das Geld müsste ich ganze drei Tage arbeiten. Und das rund um die Uhr!“, staunte sie nachdem das Geld gezählt war. „Ist das viel?“, fragte er unschuldig. „Ob das viel ist? Drisaonar, wenn du jeden Tag so viel einnehmen würdest, müsste ich bald nicht einmal mehr arbeiten gehen!“ „Oh. Klingt nach viel Geld.“ „Oh ja... Ich habe noch eine Ananas da, die kannst du gerne haben, aber erst malst du weiter!“, forderte sie zwinkernd und er kam lachend ihrer Aufforderung nach. Knapp drei Stunden später hatte er keine Lust mehr, weiter zu malen, also legte er die Stifte beiseite, und rief sie zu sich, um ihr den Fortschritt zu zeigen. Sie sah sich nur kurz das Bild an und fiel ihm dann um den Hals. Zögerlich schloss er die Arme um ihre Taille und zog sie näher an sich. Wenig später saß er auf dem Sofa, sie auf seinem Schoß. Während er mit ihren Haaren spielte und verträumt schaute, bemerkte sie ein weiteres Mal, wie gut er eigentlich aussah. Dann betrachtete sie das Portrait von ihr und schüttelte innerlich den Kopf. Nein, sie würde niemals mit ihm mithalten können. Und wahrscheinlich bin ich sowieso nicht sein Typ. Der Kerl hat Klasse, ich nicht. Warum also sollte er sich ausgerechnet für mich... „Was denkst du gerade?“, fragte er plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken. „Hm? Ach, nichts. Ich dachte nur gerade, dass ich gar nicht so schön bin, wie du mich auf dem Bild dargestellt hast.“, antwortete sie schnell und lehnte ihren Kopf an seine Brust. „Hmm, wenn du meinst.“, war alles, was er sagte, dann hörte er auf, mit ihren Haaren zu spielen und streichelte ihr über die Schulter. Plötzlich lag sie auf dem Rücken auf dem Sofa und starrte überrascht in sein Gesicht, das sich jetzt mit einigem Abstand über ihrem befand. Er kniete direkt über ihr und stützte sich mit den Armen neben ihrem Kopf ab, während er sie von oben bis unten betrachtete. „Stimmt, du hast recht. Du bist nicht so schön, wie auf dem Bild.“, sagte er schließlich. Sie blickte ihn verletzt an und versuchte, ihn von sich zu drücken und aufzustehen. „Eigentlich bist du sogar viel schöner, ich bin nur nicht fähig, alle Aspekte deiner Schönheit einzufangen, Louarra“ Mit angehaltenem Atem starrte sie ihn an, konnte aber keinerlei Anzeichen dafür ausmachen, dass er log. Fand er sie also wirklich... schön? „Ich erkenne Unglauben in deinem Blick. Du glaubst mir also nicht, dass ich dich schön finde?“ Sie schwieg, also fuhr er fort: „Wie kann ich dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage?“ „Ich weiß es nicht.“, flüsterte sie und versuchte wieder, sich aufzusetzen. Diesmal ließ er sie gewähren und sah ihr nach, als sie das Wohnzimmer verließ. Mitten in der Nacht wachte sie auf und war allein. Mit einem Schlag hellwach verließ sie das Wohnzimmer und durchsuchte systematisch ihre Wohnung, beginnend in der Küche. In der Küche war Drisaonar nicht, das Bad war ebenfalls leer, also ging sie ins Wohnzimmer. Vor der Tür nahm sie leise Stimmen wahr und sah ein fahles licht unter der Tür herkommen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt und spähte in das Wohnzimmer. Drisaonar saß auf dem Sofa und unterhielt sich mit dem Geist seiner Mutter, jedoch verstand sie kein Wort, da sie wieder die Sprache benutzten, die sie auch schon in der Ahnenhalle der Drachen benutzt hatten. Zu ihrem Erstaunen schienen die beiden sich über sie zu unterhalten, da wiederholt ihr Name fiel. Mit einem mulmigen Gefühl, als würde gleich etwas schlechtes passieren, öffnete sie die Tür und trat in den Raum. Drisaonar stand auf und drehte sich blitzartig zur Tür um, atmete aber auf, als er Mourndra erkannte. Dann kam er ihr entgegen und führte sie am Arm zum Sofa, wo er sich wieder setzte. Unschlüssig darüber, ob sie sich setzen sollte oder nicht, weil sie fürchtete, dem Geist seiner Mutter damit keinen Respekt zu erweisen, wenn sie sich hinsetzte, blieb sie stehen und wartete auf eine Reaktion der nächtlichen Besucherin aus dem Jenseits. Als diese zu lachen begann und auf das Sofa wies, setzte sie sich verlegen und schwieg bis der Geist das Wort an sie richtete: „Also Mourndra, wisst Ihr, was Euer Name bedeutet?“ „Ihr Sohn sagte mir, Mourndra bedeute in etwa soviel wie 'legendäre Gefährtin'.“, antwortete sie nervös. „So, hat er das? Drisaonar, ich hätte von dir erwartet, dass du die Sprache der Menschen besser beherrschen würdest.“, wandte sie sich an ihn. „Mutter, was meint Ihr? Habe ich den Namen etwa nicht richtig in die Sprache der Menschen übersetzt?“, vermutete er und versteifte sich etwas. „Nun, der Fehler den du gemacht hast lag darin, das '-dra' als Gefährtin zu übersetzen, obwohl es eher den Sinn des Worts 'Geliebte' hat.“ Schweigend sah Mourndra zunächst den Drachen an, der neben ihr saß und wandte sich dann an dessen Mutter: „Mir erschließt sich der Unterschied nicht.“ „Ganz einfach: eine Gefährtin sucht sich genau einen Drachen, den sie sich erwählt und bleibt ihr Leben lang bei diesem. Zudem ist sie für jeden anderen Drachen tabu. Eine Geliebte hingegen... Nun sagen wir, selbst wenn sie sich einen Drachen erwählen würde, könnte sie weiter von anderen Drachen umworben werden und mehrere Drachen zugleich erwählen. Außerdem wird jeder Drache, der ihr länger als einen Tag lang nahe kommt, geradezu dazu gezwungen, sich in sie zu verlieben und um sie zu werben.“ „Erwählen? Ist das so etwas wie eine Heirat bei uns Menschen?“, fragte sie nach einer kurzen Pause. „Nun, dieser Vergleich ist durchaus passend, auch wenn das Band, das die Erwählten verbindet, nie wieder gelöst werden kann, selbst durch den Tod nicht.“, antwortete der Geist. „Und was hat das jetzt mit mir zu tun?“, fragte Mourndra skeptisch und blickte abwechselnd Drisaonar und seine Mutter an, während sie auf eine Antwort wartete. Als er begann, zu sprechen, legte er seine Unterarme auf die Knie und wandte den Kopf von ihr ab. „Du musst wissen... Wir Drachen glauben an die Macht der Namen. Einfach gesagt, erhält jeder, der den Namen eines Drachen erfährt die absolute Macht über ihn. Und doch bestimmen unsere Namen auch unser Schicksal. Der Name, den meine Mutter mir gab, als ich geboren wurde, bestimmte mir voraus, der letzte und doch auch der erste Drache zu sein, der auf dieser Welt wandelt. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was du damit bezweckt hast, Mutter.“ „Oh, du hast es endlich verstanden, mein Sohn?“ „Ja Mutter.“ „Moment mal, was hat er verstanden? Ich verstehe im Moment nicht das Geringste!“, fuhr Mourndra dazwischen. „Mein Kind, Ihr habt es noch immer nicht gemerkt, nicht wahr?“, wandte sich Drisaonars Mutter an Mourndra, „Möchtet Ihr nicht wissen, was die alten Weisen mir über Euch erzählen konnten, als wir uns das erste Mal in der Ahnenhalle im Feuergebirge trafen?“ Wie gelähmt starrte sie den Geist an und wartete. „Sie sagten mir, Ihr wärt ein Halbblut. Sowohl Drachen- als auch Menschenblut fließen durch Eure Venen. Damit seid Ihr Teil beider Welten und die Macht des Namen verfügt auch über Euch. Mit Eurem Namen wurde Euch euer Schicksal als Geliebte eines Drachen schon von dem Moment, in dem Ihr ihn erhalten habt, vorherbestimmt. Ich freue mich, die Tochter des Drachen kennenlernen zu dürfen, der zu den ersten gehörte, die als Menschen unter den Menschen wandelten. Drisaonar, diese Frau ist die letzte Hoffnung für die Drachen. Hilf ihr, die in ihr schlummernden Kräfte des Drachenbluts in ihren Adern zu wecken, damit sie ihrer Bestimmung folgen und die Drachen zu alter Pracht führen kann.“, wies sie an und Drisaonar erhob sich von dem Sofa um vor seiner Mutter nieder zu knien. „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Mourndra bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu helfen, wo ich nur kann. Dies schwöre ich bei der Macht, die mein Name über mich hat. Halte ich mein Versprechen nicht, so werde ich meinen Platz bei denen einnehmen, die scheiterten und dem Bösen verfielen.“, gelobte er feierlich und drehte sich zu ihr um, um ihr seine Hand entgegen zu strecken. „Erwähle mich, Mourndra, und wir werden gemeinsam die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen überstehen! Erwähle mich, und bleibe bei mir, es soll dir an nichts fehlen!“, trug er feierlich vor und hielt ihr weiter seine Hand entgegen, „Erwählst du mich, so nimm meine Hand, sie soll dich immer leiten und tragen! Erwählst du mich, so nimm mein Leben, nur du sollst fortan darüber verfügen! Erwählst du mich, so nimm mein Herz, auf immer soll es dir gehören!“ Zögerlich hob Mourndra ihre Hand und legte sie in die seine. Während er sich langsam erhob und sie mit auf die Beine zog, schlossen sich seine Finger um ihre. Als sie beide standen, begann Mourndra, zu lächeln. Da hatte sie sich doch tatsächlich in den Drachen verliebt, dem sie das Leben gerettet hatte. Noch während sie dies dachte, verwandelte sich der Geist von Drisaonars Mutter in ein silbern glänzendes Band aus Licht, welches sich um ihre Handgelenke legte und sich ihrer Kleider statt um ihre Körper schmiegte. Plötzlich spürte Mourndra ein ihr bisher unbekanntes Gefühl von Hitze, das sich von ihrem Herzen aus durch ihren gesamten Körper ausbreitete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)