Bruchstücke von flyingAngel (Jacob Black & Renesmee Cullen) ================================================================================ Kapitel 1: Please just save me from this darkness ------------------------------------------------- Der Titel dieses Kapitels, so wie der Titel des nächsten Kapitels und auch weitere kleine 'Zwischentitel' sind Zitate aus Songs, die ich während des Schreibens gehört habe und sehr passend fand. Dieses hier ist von Snow Patrol 'Make this go on forever' :) Die FF wird zweiteilig, das heißt, es wird hier nach noch ein Kapitel geben. Sie spielt circa 7 Jahre nach Breaking Dawn. Viel Spaß beim Lesen! Feedback würde mich überaus freuen! :) Liebe Grüße flyingAngel ~ - Please just save me from this darkness.- Erinnerungen sind sehr zerbrechlich. Sie können durch nachfolgende Geschehnisse verändert werden, ohne, dass wir es bewusst wahrnehmen. Sie können sich in Bruchstücke oder gänzlich auflösen, ohne, dass wir dagegen etwas tun könnten. Es gibt nichts, was sie festhalten kann. Bruchstücke. Einzelne Bilder, Wörter oder Gedanken, die man nicht zuordnen kann. Es macht den Menschen verrückt, wenn sie immer wieder auftauchen. Wenn er das Rätsel, was sie einem damit auftragen, nicht lösen kann. Man sieht sie, die Bruchstücke. Die Schlüssel zu allem, sie sind zum Greifen nah. Und doch so weit entfernt, weil man nicht einmal das zugehörige Schloss kennt. Und dann steht man da und weiß nicht, warum alles so geworden ist, wie es ist. Warum sich Personen, die einem doch eigentlich so viel bedeutet haben, so verändert haben. Warum sie so tun, als wäre man nicht mehr wichtig für sie- als wäre man nie wichtig für sie gewesen. Renesmee Cullen starrte weiter in das dunkle Wasser des Sees, was leicht im Mondschein glitzerte. Von hier aus betrachtet schien es, als wäre es nicht besonders tief. Aber sie wusste, dass der Schein trog und es in Wirklichkeit einige Meter tief war. Denn schließlich hatte sie sich als kleines Kind bei diesem See schon einmal verschätzt und war beinahe ertrunken- hätte sie nicht jemand gerettet. Der Gedanke daran brachte sie beinahe um. Mühsam hielt sie ihre Tränen zurück und schloss für einen Moment die Augen, obwohl sie sofort die Erinnerung vor sich sah, wie ihr Retter sie aus dem See gezogen hatte. Jake. An diesem Tag hatte Jake sie aus dem See gezogen und damit gerettet- so wie er das bereits hundert Male zuvor getan hatte. Seit sie denken konnte, war er für sie da gewesen und hatte ihr bei allem beigestanden und alles aus dem Weg geräumt, was sich ihr widersetzt oder ihr Schaden hatte zufügen wollen. Seit sie denken konnte, war er ihr bester Freund. Als sie klein gewesen war, hatte er mit ihr gespielt. Als sie älter geworden war, hatte er ihr beim Lernen geholfen. Hatte ihr bei Problemen zugehört und ihr versucht einen Rat zu geben- schließlich war das Leben einer Halbvampirin nicht gerade einfach. Aber das eines Werwolfes sicherlich auch nicht. Beide waren sie etwas besonderes, waren anders. Und nicht nur das machte ihre Verbindung ebenfalls zu etwas sehr Besonderem. Renesmee hatte sich immer von Jacob verstanden gefühlt und hatte andersrum auch gedacht, dass sie ihn verstehen würde, ihm blind vertrauen konnte- so wie er ihr. Aber das hatte sich geändert. Alles hatte sich geändert. Denn zwar waren sie manchmal – oder des Öfteren- aneinander geraten und hatten sich gestritten. Schließlich war er bekanntermaßen der schlimmste Hitzkopf der Welt und sie blieb zwar meist ruhig, aber wenn sie ausrastete, dann konnte derjenige was erleben. Doch nach jedem Streit hatten sie sich immer nach einer kurzen Zeit wieder versöhnt. Allein schon aus dem Grund, weil Renesmee Jacob nicht böse sein konnte. Er musste sie nur wieder mit diesem bestimmten Lächeln anlächeln, dann war ihr Ärger wie weggeblasen. Aber er lächelte sie nicht mehr auf diese Weise an. Eigentlich lächelte er sie gar nicht mehr an. Es war, als hätten sie den schlimmsten Streit allerzeiten hinter sich gehabt. Nur konnte Renesmee sich nicht daran erinnern, dass irgendetwas in der Art und Weise geschehen wäre. Sie spürte, wie ihr Kopf wieder anfing zu pochen. Kopfschmerzen überrollten sie, während sie zum tausendsten Mal versuchte, sich den Tag ins Gedächtnis zu rufen, an dem es passiert sein musste. Denn nach diesem Tag war Jacob verschwunden. Für einen ganzen Monat. Sie hatte weder etwas von ihm gehört noch gesehen und keiner hatte ihr wirklich gesagt, was los war. Sie war aufgewacht, mit den schlimmsten Kopfschmerzen, die sie je gehabt hatte. Auf ihrem Rücken war eine lange Wunde gewesen, als hätte ein Tier sie angefallen. Eine weitere Verletzung an ihrem Bein sah so aus, als wäre es ein Vampir gewesen. Aber niemand wollte ihr erklären, was geschehen war. Sie sagten, ein Vampir hätte sie angegriffen und dass Jacob zu einer Mission des Rudels aufgebrochen war. Keine weiteren Information. Rote Augen. Schmerzen. Eine Dunkelheit, dir ihr den Atem nahm. Das war das einzige, woran sie sich erinnern konnte. Renesmee musste ehrlich zugeben, dass sie gedacht hatte, dass Jacob auf der Jagd nach dem Vampir gewesen war, der sie angegriffen hatte. Wahrscheinlich war er komplett ausgerastet und ihm kopflos hinterher gejagt, hatte sie gedacht. Aber zwei Dinge widersprachen dem. Zunächst war ihm keiner gefolgt. Weder sein Rudel, noch jemand aus ihrer Familie, der ihm hätte beistehen können. Es hätte sein können, dass er es abgelehnt hatte, begleitet zu werden. Sie hatte sich 31 Tage, 744 Stunden, 44640 Minuten Sorgen gemacht, was nur in ihn gefahren war und ob es ihm gut ging. Keiner ließ sie nach ihm suchen, sie hielten sie zu Hause fest. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als vor Sorgen fast zu sterben und zu warten. Und seine Rückkehr war der zweite Grund, warum ihre Theorie nicht stimmen konnte. Er war zurückgekommen, ohne ihr etwas zu sagen, ohne bei ihr aufzukreuzen. Sie hatte es zufällig von Seth erfahren, einem Wolf seines Rudels. Daraufhin war sie mächtig wütend bei ihm aufgetaucht, um ihn zur Rede zu stellen, wo er gewesen war und was ihm überhaupt einfiel, einfach so abzuhauen und dann noch nicht mal zu ihr zu kommen. Aber ihr bester Freund war nicht mehr ihr bester Freund gewesen. Es war ihr vorgekommen, als hätte eine andere Person vor ihr gestanden. Er hatte weder etwas erklären wollen, noch allgemein mit ihr reden wollen. Auf seinem Gesicht war eine Maske der Gleichgültigkeit gewesen. Als würde ihn das alles nicht interessieren, hatte er sie abgewiegelt und war verschwunden. Und dieses Verhalten hatte sich in dem letzten Monat nicht mehr geändert. Sie hatte ihren besten Freund verloren, ohne zu wissen, warum. Es klang kitschig, das wusste sie, aber sie fühlte sich, als hätte sie ihre Sonne verloren. Den Lichtstrahl in ihrem Leben, der allem, auch schlechten Dingen, noch eine gute Seite verschaffen konnte. Sie nicht vollständig im Dunkeln verließ. Sie fühlte sich einfach verloren. Ohne ihre Erinnerung, ohne einen Halt, ohne ihn. Sie vermisste ihn einfach. Jetzt begannen doch Tränen über ihre Wange zu fließen. Was war nur geschehen? Was hatte sie falsch gemacht? Und wieso redete niemand mit ihr darüber? Sie wussten es doch, das konnte sie ihnen ansehen! Aber niemand verlor nur ein Wort darüber, sie taten so, als wäre nichts geschehen. Warum? Ein Geruch, der ihr plötzlich in die Nase stieg, ließ sie zusammenfahren. Schnell wischte sie sich mit der Hand über die Augen und die Wangen, damit man ihre Tränen nicht mehr sah. Ihr Herz schlug eine Sekunde doppelt so schnell wie normal, nur um, als sie den Geruch genauer wahrnahm, enttäuscht langsamer zu werden. Dort draußen war ein Werwolf, ja. Aber es war nicht Jake. Wenn sie den Geruch richtig einordnete- und eigentlich konnte sie sich da sicher sein-, dann war es Seth Clearwater. „Was gibt’s, Seth?“, fragte Renesmee in die Stille hinein, drehte sich aber nicht um. Sicherlich konnte man ihr noch ansehen, dass sie geheult hatte. Und um den Grund zu erraten, musste man auch kein Hellseher sein. Außerdem wusste Seth merkwürdigerweise sowieso immer, was einem fehlte. „Sollte ich das nicht eher dich fragen?“, hörte sie sogleich tatsächlich seine Stimme fragen. Er klang besorgt- etwas, das gar nicht zu ihm passte. Sie hörte, wie er aus dem Schatten des Waldes trat. Er kam näher und setzte sich neben sie. Sie spürte, dass sein Blick fragend auf ihrem Gesicht ruhte, das für den Moment noch von ihren Locken verdeckt wurde. Innerlich verfluchte sie sich, weil sie wieder die aufkommenden Tränen unterdrücken musste. „Nessie…was ist los?“, fragte er dennoch. Seth wusste genau, warum es ihr schlecht ging. Und er wusste sicherlich auch, was damals geschehen war und konnte ihr Jacobs Verhalten erklären. Aber das würde er nicht. So wie alle anderen auch. „Warum fragst du? Du kennst den Grund“, erwiderte sie mehr niedergeschlagen als wütend. Inzwischen hoffte sie schon gar nicht mehr auf eine Antwort. Nie hatte sie auch nur den Fetzen eines Anhaltspunktes erhalten. Sie bemerkte, wie Seth neben ihr unruhig hin und her rutschte. Er seufzte leise und nahm plötzlich ihre Hand in die seine. Überrascht schaute sie ihn an und sah, wie sich ein trauriges Lächeln auf seinem Gesicht ausbildete. „Ich will, dass du weißt, dass ich mit Jacobs Verhalten nicht einverstanden bin“, erklärte er eindringlich. „Und ich hoffe, du weißt, dass ich es dir gerne erklären würde. Aber ich kann nicht. Aus mehr als einem Grund.“ „Anweisung vom Alpha, nehme ich an?“, fragte sie bitter. Ihre dunklen, braunen Augen versuchten in den seinen zu lesen, was er dachte, aber er starrte nur zurück und nickte schließlich langsam. Er drückte ihre Hand und sie gab frustriert ein Stöhnen von sich. „Es will einfach nicht in meinen Kopf“, sagte sie verzweifelt. „Was kann nur passiert sein, dass er sich so verhält? Dass er einfach unsere Freundschaft wegwirft, als wäre sie nichts wert? Ich hatte immer gedacht…Immer, dass…“ Sie konnte nicht zu Ende sprechen, weil sie abermals ihre Tränen unterdrücken musste. Ein Schauer durchfuhr sie, während sie die Augen schloss, um ihre Tränen aufzuhalten. Ruhig versuchte sie ein- und auszuatmen. „Was hast du immer gedacht?“, fragte Seth vorsichtig. Renesmee wusste, wenn sie aufsah, würde sie direkt in seine mitfühlenden ebenfalls braunen Augen blicken. Genau aus diesem Grund tat sie es nicht. „Dass unsere Beziehung etwas besonderes ist, nichts vergleichbares“, flüsterte sie dennoch. Ein großer Klos hatte sich in ihrem Hals ausgebildet und ließ sie nur schwer schlucken. Obwohl sie gerne die aufwallenden Gefühle dieser Hilflosigkeit und Einsamkeit runterschlucken würde. Diesen Gedanken hatte sie des Öfteren gehabt, aber bisher hatte sie ihn noch nie ausgesprochen. Aber dennoch war es wahr. „Verdammt“, hörte sie Seth neben sich sagen und schlug sofort die Augen auf. Als sie ihn ansah, fuhr er sich gerade durch sein schwarzes Haar und gab ein frustriertes Knurren von sich. „Manchmal verfluche ich diesen Black wirklich“, murmelte er. „Er hätte es dir längst sagen soll, schon vor diesem dummen Tag…“ „Hätte mir was sagen sollen?“, unterbrach Renesmee ihn. Aufregung ließ ihr Herz höher schlagen. Wovon redete Seth? Gab es noch ein Geheimnis? Ein Geheimnis, das offensichtlich bereits lange vorhanden war? Und konnte es ihr vielleicht weiterhelfen? Wieder versuchte sie in seinen Augen zu lesen, aber er sah sie nicht mehr an. Scheinbar gedankenverloren oder unwohl schaute er starr auf den See. Seine Augen waren dunkle Kohlen im Schatten. Renesmee drückte auffordernd seine Hand, die er immer noch umfasste. „Wenn du wüsstest, dass Jake…“, fing er plötzlich leise an, verstummte aber augenblicklich. Es sah so aus, als würden die Worte in seinem Hals stecken bleiben. Schnell gab er auf. „Ich kann es einfach nicht sagen…Das nervt.“ Renesmee murmelte etwas Zustimmendes. Und wie das nervte! „Ness!“, rief Seth plötzlich und drehte sich zu ihr. Überrascht starrte sie ihn an, als er auch ihre andere Hand nahm und sie angespannt ansah. Fast, als würde er ihr versuchen seine Gedanken zu übertragen, weil er sie nicht aussprechen konnte. „Du hast eben gesagt, dass dir eure Beziehung immer als etwas Besonderes erschien. Denk noch einmal genauer darüber nach. Wie war eure bisherige Beziehung zueinander? Wie ist sie verlaufen?“ Verwirrt runzelte Renesmee die Stirn. Worauf wollte Seth hinaus? Es war doch offensichtlich, wie ihre Beziehung bisher verlaufen war- und wie sie jetzt war. Wie er sie ansah, machte ihr beinahe Angst vor dem, was er ihr sagen wollte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Wenn ich das recht annehme, kenne ich ihn seit meiner Geburt. Er war immer für mich da, immer, wenn ich ihn brauchte. Er war mein bester Freund“, sagte sie zögernd. „Wurdest du jemals von ihm vorher verlassen?“ „Ich habe das Gefühl, als wäre er mir nie von der Seite gewichen. Aber das ist mir erst richtig bewusst geworden, als er es doch getan hat.“ Sie holte tief Luft, um nicht wieder in Erinnerungen zu versinken. „Aber Seth…Was soll mir das sagen?“ Seth verdrehte seine Augen, nur um sie dann noch eindringlicher anzusehen. Sie war so angespannt, dass sie sich nicht bewegen konnte. „Momentan tut Jake das Selbstzerstörerischste, was jemand unserer Art tun kann.“ Er gab ein genervtes Geräusch von sich, als sie ihn verständnislos ansah, gab. „Für einen ausgewachsenen Halbvampir bist du aber ziemlich begriffsstutzig, Ness.“ Wieder spürte sie, wie sie Kopfschmerzen heimsuchten, als sie angestrengt nachdachte. Was versuchte er ihr damit zu sagen? Ihre Beziehung war schon immer etwas besonderes gewesen? Er hatte sie nie verlassen? Er war ihr bester Freund? Er tat das Selbstzerstörerischste… Es traf Renesmee wie der Blitz. Ihr Herz schien still zu stehen, während sie Seth mit großen Augen ansah. Langsam sah man ihr an, wie sie zu begreifen schien. Aber sie wollte es nicht- sie konnte so etwas nicht denken. Ist er…ist er auf mich…geprägt?, fragte sie Seth stockend über ihre Gedanken. Sie wagte es nicht, die Worte auszusprechen. Erleichtert, dass sie es erraten hatte, jedoch auch eine Spur gequält, nickte der Werwolf. „Niemand durfte es dir sagen, damit es eure Beziehung nicht beeinflusst. Aber jetzt…“ Er verstummte und sah sie nachdenklich an. Auf eine Reaktion wartend, bis sie es wirklich verstanden hatte. Aber es wollte nur langsam wirklich in ihr Bewusstsein dringen. Ihr Gesicht war mehr denn je eine Maske des Schocks. Jacob Black war auf sie geprägt. Ihre Freundschaft war eine noch viel engere Verbundenheit, als sie je geahnt hatte. Als sie je zu denken gewagt hatte. Wenn sie sich Recht daran erinnerte, hatte Jacob die Prägung als Seelenverwandtschaft bezeichnet. Seelenverwandtschaft. „Wieso?“, brachte sie schließlich heraus und bemerkte, wie Hysterie in ihr hochstieg. „Wieso wendet er sich dann von mir ab?“ Wenn die Prägung des Wolfes tatsächlich dieses starke Band war, für das sie es hielt, dann verstand sie das alles noch weniger. Sie hatte Quil und Claire gesehen, hatte gesehen, wie sie miteinander umgingen. Er hatte immer gesagt, dass er nur das Beste für sie wollte, sie beschützen wollte und nie von ihrer Seite weichen wollte. Das hatte sie auch von Jacob ihr gegenüber gehört. Und was war jetzt? Was hatte sich geändert, dass er versuchte sich einem Band zu entziehen, dem man sich eigentlich nicht entziehen konnte? Dass so selbstzerstörerisch war… Alle ihre Gedanken fielen tosend wie ein Kartenhaus in sich zusammen. „Ness, es tut mir Leid…“, begann Seth, als er sah, dass es sie mehr aus der Bahn warf, als er gedacht hatte. „Nein!“, zischte sie hilflos und strich sich über ihr Gesicht, was sich plötzlich taub anfühlte und so, als würde es nicht mehr zu ihrem restlichen Körper gehören. Nein, das konnte sie nicht mehr hören. Sie wollte nichts mehr hören. Es war zu viel, in ihrem Kopf herrschte Chaos. Es machte alles keinen Sinn. Plötzlich war ihr zu heiß und ihre Haut fing an zu kribbeln, sodass sie schreien wollte, um dem zu entkommen. Oder einfach nur, um die Gedanken in ihrem Inneren zu übertönen, die jetzt mit voller Wucht auf sie einschlugen. „Ich muss jetzt gehen, Seth…“, stammelte sie, befreite sich hastig von den Händen des Werwolfs und stand abrupt auf, um zu verschwinden. So weit wie möglich weg. „Ich weiß nicht, ob ich dich gehen lassen sollte“, machte Seth hastig einen Versuch Renesmee aufzuhalten. Er streckte seine Hand nach ihr aus, um sie zurückzuhalten, aber er war in Menschengestalt nicht schnell genug. Die Halbvampirin entwischte ihm flink, bevor er nur einen Fetzen ihres T-Shirts erwischen konnte und war in den Tiefen des Waldes verschwunden. Kapitel 2: Done all wrong ------------------------- Diesmal sind die Lieder von Black Rebel Motorcycle Club (done all wrong), Death Cab For Cutie (meet me on the equinox) und Massive Attack (teardrops).Wie immer würde ich mich sehr über Feedback freuen Liebe Grüße, flying Angel - Done All Wrong. - Renesmee rannte und rannte und rannte, rannte, rannte. Es war ihr egal, dass der Wind nur so an ihr vorbeizischte, dass Äste ihre Haut streiften und dass der Boden unter ihren Füßen gewaltsam von ihr weggedrückt wurde, als wäre sie eine Dampfwalze. Alles, was sie interessierte, war, dass sie so schnell wie möglich weglief. Vor was genau, war ihr nicht bewusst. Denn schließlich konnte sie eigentlich nicht vor den Sachen davon rennen, vor denen sie wirklich wegrennen wollte. Vor den Tatsachen. Vor den neuen Fragen. Vor ihren wirren Gedanken und Gefühlen. Mit aller Macht versuchte sie, nicht zu denken. An einfach nichts. Sie versuchte anstelle dessen die Freiheit und das unglaubliche Gefühl, was sie immer beim Rennen verspürte, zu empfinden und loszulassen. Aber es ging nicht. Etwas hielt sie davon ab, ließ immer wieder Jacob Blacks Gesicht vor ihr auftauchen. Immer wieder sah wie eine Diashow oder einen Film Erinnerungen vor sich. Wie sie mit Jake jagen gewesen war und er sie für ihren tollen Fang gelobt hatte. Wie er sie angesehen hatte, so stolz wie ein Bruder seine Schwester. Das Bild rauschte vorbei und wich einem anderem, das ihr noch viel klarer vor Augen stand. Jake, wie er sie tröstend im Arm hielt und ihr immer wieder beruhigende Worte zuflüsterte. Selten hatte sie sich so behütet und beschützt gefühlt. Er war immer ihr Beschützter gewesen. Immer da, wenn sie ihn gebraucht hatte. Das nächste Bild zeigte ihr die andere Seite, die sie an ihm liebte. Seine Unbekümmertheit, seine Scherze, seine Sticheleien, seine vertrauten ,gemeinen‘ Bemerkungen. Und wie er im nächsten Augenblick wieder ernst war und ihr einen Rat geben konnte. So vom besten Freund zur bester Freundin. Sie unterdrückte einen frustrierten Schrei und legte noch einen Zahn zu, so fern das noch möglich war. Ein Schatten in der Dunkelheit, der sich fragte, wie dumm er hatte sein können. Wieso hatte sie sich darüber nie gewundert? Über ihre Verbindung? Sie hatte andere Werwölfe und diejenigen, auf die sich geprägt hatten, gesehen. Und doch hatte sie Jakes und ihre Verbindung zwar immer als etwas besonderes, aber auch als selbstverständlich angesehen! Aber das war sie zur Hölle nicht! Er war auf sie geprägt. Er hatte gar nicht anders handeln können- bis er sich dazu entschlossen hatte, es doch zu tun. Aber warum? Wieso tat er so etwas? Obwohl es unsinnig war, begann sie eine unbeschreibliche Wut gegenüber Seth zu hegen. Sie hatte gedacht, er wollte ihr helfen! Anstelle dessen, hatte er jedoch nur neue Fragen aufgeworfen. Noch schlimmere Fragen, als sie vorher je hätte haben können. Und ihre alten Fragen waren weitaus quälender als zuvor. Plötzlich trug der Wind ihr abermals einen Geruch zu, den sie nur allzu gut kannte. Werwolf. Das war ihr einziger Gedanke. Seth war tatsächlich so lebensmüde ihr zu folgen? Das war wirklich mutig von ihm! Renesmees Augen brannten, während sie stur geradeaus rannte und nicht einen Blick zurück warf. Sie spürte, dass etwas hinter ihr her war, das sagte ihr ihr Instinkt. Aber sie hatte nicht vor anzuhalten und ein weiteres Kaffeekränzchen zu halten. Er würde ihr nicht das sagen können, was sie hören wollte. Das einzige, was aus seinem Mund kommen würde, wären Entschuldigungen und die Bitte, dass sie nach Hause zurückkehren sollte. Aber das wollte und würde sie nicht. Am liebsten würde sie bis ans Ende der Welt laufen. Das Geräusch eines Werwolfes – eines ziemlich wütenden Werwolfes- ließ sie zusammenfahren. Es war ziemlich dicht hinter ihr und verursachte Gänsehaut in ihrem Nacken. Gänsehaut, die sich über ihren ganzen Körper ausbreitete. Sie kannte dieses Knurren. Diese Art von unbändiger Wut und Kraft, die sie spürte. Und wenn sie nicht so unkonzentriert gewesen wäre, was ihre Umgebung betraf, hätte sie zuvor auch den Geruch erkannte. Sofort wurde sie langsamer, obwohl sie das gar nicht beabsichtigt hatte. Dass Werwölfe schneller waren als sie, war kein Geheimnis. Er würde sie also so oder so einholen, es war nur eine Frage von Sekunden. Jedoch war er wahrscheinlich gerade die erste, aber auch die letzte Person auf der Welt, die sie sehen wollte. Aber es war sicher, dass er der einzige war, der ihr ihre Fragen beantworten konnte. Langsam verringerte sie ihr Tempo, bis sie schließlich gänzlich stehen blieb. Wenigstens konnte sie ihr schnell pochendes Herz auf das Laufen schieben. Ihr Gesicht war heiß, die Gänsehaut wollte nicht verschwinden. In ihrem Kopf wollte sich kein zusammenhängender Gedanke, keiner, der Sinn machte, zusammenfügen. Ihre Gefühle spielten ebenfalls Achterbahn und sie wusste nicht, was sie zuerst fühlen sollte. Sie fühlte sich niedergeschlagen, betrogen, wütend, hysterisch und gleichzeitig glücklich. Absurderweise fühlte sie sich glücklich, weil er hier war und sie alleine waren. Es vergingen keine zehn Sekunden, als sie es hinter sich knacken hörte. Zwar konnte sie es nur ahnen, aber sie glaubte zu wissen, dass er in Menschengestalt hinter ihr stand. Schnell stellte sie sich vor, wie er dort stand. Sie anstarrte, mit diesem wütenden Gesichtsausdruck auf dem Gesicht, der Löcher in Gegenstände brannte. Dass er hier war, konnte nur eins bedeuten: entweder hatte Seth es ihm sofort gesagt oder –was viel wahrscheinlicher war- er hatte alles direkt in den Gedanken des Werwolfs gehört. „Du kehrst sofort wieder zurück nach Hause, Renesmee“, hörte die Halbvampirin Jacob Blacks Stimme hinter sich sagen. Angespannt, jedes einzelne Wort betonend. Er war mehr als wütend. Ihr Herz schlug bis in ihren Hals hoch, als sie tatsächlich seine Stimme hörte. „Du weißt, dass ich es weiß“, erwiderte sie mit erstickter Stimme. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Sofort öffnete sich in ihr ein Ventil der Wut. „Natürlich hast du die. Ganz genau sogar. Schließlich ist dir deine Prägung sicherlich nicht erst seit gestern bekannt, oder?“, zischte sie. Sofort tat ihr Leid, dass sie sarkastisch wurde. Aber das wurde sie immer, wenn sie wütend wurde. Jedoch schwieg Jacob nur. Gespannt wartete sie auf eine Reaktion seinerseits, aber es kam keine. Langsam drehte sie sich um und starrte ihm ins Gesicht. Es war verschlossener wie eh und je. „Du leugnest es nicht einmal?“, fragte sie schrill. Wenigstens das hätte sie von ihm erwartet, nachdem er ihr ganze sieben Jahre nicht einen Ton davon gesagt hatte! Sie fühlte sich, als hätte er sie die ganze Zeit belogen! Und er sagte nichts dazu?! „Ich könnte es nicht leugnen, selbst, wenn ich es wollte.“ „Ist das die einzige Erklärung von dir, die ich dazu bekommen werde?“ Wieder schwieg er und wendete seinen Blick von ihr ab. Wahrscheinlich hatte er es sich anders vorgestellt, wie sie davon erfahren würde. Oder war es ihm egal? „Ich will einfach nur wissen, warum“, sagte Renesmee schließlich leise. Beinahe versagte ihre Stimme. „Was habe ich getan, dass du das tust?“ „Dass ich was tue?“ Bitter lachte sie auf und fuhr sich durch ihre langen Locken. Da war es doch: das Leugnen. Sie rieb ihre Hände aneinander, weil sie wieder anfingen zu prickeln. „Das, was du auch gerade tust“, erwiderte sie. „Dass du dich verhältst, als würdest du mich nicht kennen. Als würdest du nicht seit meiner Geburt mein Freund sein. Als würdest du…als würdest du…nichts für mich empfinden“, flüsterte sie die letzten Worte beinahe. „Was habe ich getan, bitte…Jake.“ Es war lange her, dass sie ihn so genannt hatte. Bisher war es leichter gewesen, seine Neutralität zu erwidern. Sie waren nicht mehr Jake und Nessie. Sie waren Jacob Black und Renesmee Cullen. Als sie seinen Namen jetzt aussprach, löste sich etwas in ihr und ein Schluchzen entwich ihrem Mund, ohne, dass sie es verhindern konnte. Als er nichts sagte, wiederholte sie ihre Frage noch einmal verzweifelt: „Was habe ich getan?“ „Hör auf damit zu fragen, was du getan hast. Du hast nichts getan, okay?“, schrie Jake ihr plötzlich beinahe entgegen. Sie war wie vor den Kopf gestoßen. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Wenn sie nichts getan hatte, was war dann geschehen, dass er so abwesend war? Umso mehr sie darüber nachdachte, umso mehr Kopfschmerzen bekam sie- aber keine plausible Erklärung. Nichts, woran sie sich erinnern konnte, gab ihr eine. Sie musste doch irgendetwas gesagt oder getan haben. „Was ist es dann?“, schrie sie zurück, verzweifelt und auf einmal ebenso wütend. Er konnte nicht weiter so tun, als wäre nichts! „Was hat sich in dieser kurzen Zeit so verändert, dass du mich nicht mehr ansehen kannst? Dass du so dagegen ankämpfst?!“ Das letzte hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber in ihrer Wut war es ihr entwichen. Und es war notwendig, wie sie insgeheim wusste. Denn sie wollte es ihn vielleicht nicht fragen, weil sie Angst vor seiner Reaktion und vor der Antwort auf diese Frage hatte. Andererseits war es genau das, was sie unbedingt hören wollte. Was sie hören musste. „Wogegen soll ich ankämpfen?“, kam seine Frage abweisend, aber Renesmee war sich sicher, dass er es wusste. Einige Sekunden lang sagte keiner etwas. Das Wort schrie in ihrem Inneren danach, ausgesprochen zu werden. Der Drang danach war fast zwingend. „Gegen deine Prägung“, brachte sie schließlich hervor und senkte sofort den Blick, weil sie ihm nicht länger in die Augen sehen konnte. Wieso kämpfte er gegen seine Prägung an, gegen die man laut Seth kaum ankämpfen konnte- es sei denn, man wollte sich selbst zerstören? Vorsichtig sah sie auf und sah gerade noch, wie er seine entgleisten Gesichtszüge versuchte zu verbergen. „Ich kämpfe nicht dagegen an“, sagte er. Sein Gesicht nahm wieder jenen Ausdruck der unterdrückten Wut und Verbitterung an. „Du kannst es nicht verstehen, weil du keine von uns bist. Und ich kann es nicht erklären.“ „Ich glaube nicht, dass es da viel zu verstehen gibt. Du hast es selbst mal als Seelenverwandtschaft beschrieben“, sagte Renesmee. „Man trennt sich nicht so einfach von seinem Seelenverwandten, oder? Und außerdem hast du gesagt, dass man denjenigen, auf den man geprägt ist, in seiner Nähe haben möchte…“ Wieder versagte ihre Stimme. Er wusste aber, was sie sagen wollte. Dass er sie nicht mehr in seiner Nähe haben wollte. Dass er die Verbindung zwischen ihnen durchtrennt hatte. Und dennoch sagte er wieder nichts. Hatte er selbst keine Antwort? Darling, understand, that everything ends. „War es dumm von mir zu glauben, dass es immer so weitergehen würde, Jake?“ Es klang mehr Wehmut in diesen Worten durch, als sie jemals gewollt hätte. Es kam ein Geräusch von ihm, was sie nicht richtig zuordnen konnte. Etwas zwischen Stöhnen, Seufzen und frustriertem Aufheulen. Jedenfalls das Streichen durch seine Haare verriet ihr, wie aufgewühlt er war. „Es ist nicht deine Schuld“, presste er schließlich zwischen seinen Zähnen hervor. Wenn sie es richtig sah, dann zitterte er am ganzen Körper. „Dann ist es deine?“, platzte es aus ihr raus. Seine Reaktion hätte sie jedoch nicht erwartet. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Über alle Maße schmerzerfüllt. „Das ist sie wohl…“, hörte sie ihn leise sagen, kaum hörbar. „Aber das tut längst nichts mehr zur Sache. Ich habe eine Entscheidung getroffen und es ist besser für dich, wenn du nicht weiter darüber nachdenkst. Lass es einfach, okay?“ Okay? Okay? Okay? „Das ist nicht dein Ernst, oder? Das kannst du einfach nicht ernst meinen!“, rief sie wütend und hob bei jedem Wort immer mehr die Stimme. Während sie sich an den Kopf packte, ging sie einen Schritt auf ihn zu und machte eine schneidende Handbewegung. „Ich soll es einfach lassen nachzudenken? Das kannst du vergessen! Ich werde das alles nicht einfach so stehen lassen! Du hast eine Entscheidung getroffen? Schön, das lass ich aber nicht zu, denn ich hab da auch noch etwas mitzureden! Du kannst nicht einfach so unsere Freundschaft beenden und denken, ich würde das einfach so hinnehmen! Ich werde dich nicht so gehen lassen!“ „Du kannst mich nicht davon abhalten“, erwiderte er kalt. Sie sah, dass er kurz vor einem Ausbruch stand. Er zitterte und jeder Muskel seines Körpers schien angespannt. Seine Augen glühten- aber ihre auch. „Das kann ich nicht?“, erwiderte sie leise und unheilverkündend. Keine zwei Sekunden später hatte sie ihn an einen Baum gedrückt, ihr Körper schloss den seinen ein. Beide Hände hatte sie jeweils neben seinem Körper abgestützt. Mit brennendem Blick schaute sie zu ihm auf, weil er mindestens einen Kopf größer war als sie. Aber sie spürte das Vampirblut durch sich rauschen, diese Kraft. Und wenn er ein Mensch war, konnte er ihr nichts entgegensetzen. „Sag mir nicht, was ich kann oder nicht“, zischte sie. Plötzlich breitete sich das Kribbeln wieder in ihrem ganzen Körper aus. Ihre Handflächen brannten und ihr wurde merkwürdig schwindelig zumute, während sie seinen Duft einatmete. Sie hatte vergessen, wie sehr sie seine Nähe genießen konnte. „Renesmee Cullen, lass mich sofort los oder ich weiß nicht, was ich tun werde“, knurrte Jake seinerseits. Er legte eine Hand auf ihren Arm und obwohl ihr seine –für einen normalen Menschen- heißen Hände normalerweise nicht auffielen, kamen sie ihr jetzt doch ziemlich heiß vor. Es war, als würde er Brennspuren auf ihrer Haut hinterlassen. „Das letzte, was du tun wirst, ist, mir weh zu tun“, erwiderte sie so ruhig wie möglich. Das würde und könnte er nie, das wusste sie. Er hätte sich leicht in einen Werwolf verwandeln können, aber damit riskierte er es, sie zu verletzten, weil sie ihm zu nahe stand. Und deswegen tat er es nicht. Plötzlich hatte er wieder diesen Ausdruck auf seinem Gesicht, den sie vorhin schon gesehen hatte. Diesmal mischte sich noch eine Spur…Hass mit darunter? Sofort legte sie eine Hand auf seine Wange. Was ist los?, fragte sie mental. Beste-Freundin-Instinkt. Intime Gedankenvermittlung. Fehler. „Oh Gott, Ness, hör auf“, rief er verzweifelt und konnte sie auf Grund ihrer Überraschung wegdrücken. Schnell brachte er einige Meter zwischen die beiden. Er war mehr als aufgebracht. Er war außer sich. „Du glaubst, ich könnte dir nicht weh tun? Ich bin dazu geschaffen einen Teil deiner Selbst zu töten! Außerdem, hast du dich mal gefragt, woher diese Wunde auf deinem Rücken stammt?“ Es war, als hätte er ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst. Der Schock stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben- und der Unglaube. Die Wunde auf ihrem Rücken, die jetzt nur noch eine silbrige Narbe war, stammte von Jacob? Ihrem Jake? Entsetzt starrte sie ihn an, brachte keinen Ton heraus. „Ja, genau so solltest du mich ansehen“, sagte Jake bitter und drehte sich abrupt um, bereit davonzulaufen. Er konnte nur einige Meter laufen, da konnte sich Renesmee wieder fangen. Schnell schüttelte sie ihren Kopf und schrie: „Lauf jetzt nicht weg!“ Und als er weiterlief, fügte sie außer sich hinzu: „Wehe du läufst jetzt weg und rennst vor mir davon! Du gemeiner Feigling, du elender Hund!“ Obwohl sie es nicht erwartet hätte, blieb Jake abrupt stehen. „Diese Worte habe ich wohl verdient“, hörte sie ihn sagen. Sie hatte noch nie gehört, dass jemand so viel Selbsthass in seine Worte legen konnte. „Jake, was ist damals geschehen?“, versuchte sie es noch ein letztes Mal verzweifelt, während ihr Herz beinahe drohte zu explodieren. Sie hasste es, ihn so zu sehen. Er sollte nicht leiden- und schon gar nicht wegen ihr. „Bitte…“ Er drehte sich wieder zu ihr um und machte eine hilflose Handbewegung. Lange sagte er nichts, sie starrten sich nur an. „Ich habe mir geschworen, es dir niemals zu sagen- niemand sollte das“, sagte er schließlich aufgebracht an. „Aber ich habe mir auch geschworen, dich zu beschützen und dir nie weh zu tun. Wie du siehst, bin ich also nicht besonders gut im Schwören…“ Ein zynisches Lächeln lag auf seinen Lippen. Wieder zerriss es Renesmee das Herz, ihn so zu sehen. Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu, wollte ihn in den Arm nehmen, irgendwas tun, nur damit er sie nicht mehr so ansah. Aber er hob abwehrend seine Hand. „Wenn ich es dir sagen soll, musst du Abstand halten“, stoppte er sie und sie blieb widerwillig vor ihm stehen. Obwohl er jetzt scheinbar endlich bereit war, ihr alles zu erzählen, spürte sie noch nicht den erwarteten Triumph oder die Vorfreude, dass sich gleich alles auflösen würde. Er war immer noch so abweisend. Seine Haltung abwehrend, sein Gesicht verschlossen, seine Augen zu Boden gesenkt. Würde sich das überhaupt ändern, wenn sie die Wahrheit kannte? „Damals…da waren du und ich zusammen im Wald- alleine“, fing er schließlich an zu erzählen. Es fiel ihm mehr als schwer, das konnte sie hören. „Du hast mir von einem Streit zwischen dir und deinem Vater erzählt und ich habe versucht dir zu helfen. Ich habe mich so sehr auf dich konzentriert…dass ich es nicht bemerkt habe. Ich vergesse zu leicht alles um mich herum, wenn du da bist, aber das kann keine Entschuldigung sein.“ Wieder dieser schmerzliche Ausdruck auf seinem Gesicht, alles bei ihm schien angespannt. Und obwohl er gleichzeitig sagte, dass etwas nicht zu entschuldigen war, sah er sie so flehend an, als würde er um eine Entschuldigung bitten. „Jake…“, setzte Renesmee an und wäre auf ihn zu gegangen- das Verlangen war mehr als übermächtig- aber abermals wehrte er sie ab. Er schüttelte den Kopf. „Ich habe den Vampir nicht wahrgenommen, bis er mich am Genick gepackt und gegen den nächsten Baumstamm geschmettert hat. Wäre ich ein Mensch, wäre ich sofort tot gewesen, so war ich zunächst nur halb ohnmächtig. Konnte mich kaum bewegen“, fuhr er fort. Renesmees Augen weiteten sich schockiert und ihr Herzschlag setzte einen Moment aus. Vampir? Ihre Vermutung war richtig gewesen. „Ich hörte kaum, was er sagte, ich war zu weggetreten. Aber du hast es mir später durch deine Gedanken vermittelt.“ Als er jetzt weitersprach, war seine Stimme voller Hass und Zorn. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gedacht, dass er sie gleich verwandeln würde. „Er sagte, er hätte dich schon einige Zeit lang beobachtet. Und du wärest das interessanteste Wesen, was er jemals gesehen hätte. Lebst mit Vampiren und mit Werwölfen zusammen. Hast Eigenschaften von einem Vampir und bist doch keiner. Denn in dir schlägt ein Herz, in dir rauscht Blut. Und das wollte er haben- er könnte sich kaum zurückhalten, so sehr verlangte es ihn danach. Deswegen hatte er auch endlich zuschlagen müssen. Und dann griff er dich an.“ Renesmee war in eine Art Schockstarre geraten, während Jacob weitersprach. Es wollte nicht ganz in ihren Kopf, was er sagte. Und gleichzeitig tauchten wieder einzelne Bruchstücke vor ihren Augen auf. Keine zusammenhängende Erinnerung, nur wieder diese Bruchstücke. Diese roten Augen, wie sie sie blutdürstend und verlangend angesehen hatten. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper auf. „Konnte ich mich verteidigen, flüchten?“, brachte sie mit hoher Stimme heraus. Schließlich hatte sie einen guten Unterricht genossen. Ihr Vater, Emmett und Jasper waren ihre Lehrer gewesen. Und die ‚Kämpfe‘ mit Jake waren sicher auch ein gutes Training gewesen. Jake lachte sarkastisch auf. „Das hättest du, sicher“, erwiderte er. „Aber du warst viel zu besorgt um mich. Du hast dich soweit es ging verteidigt, obwohl er dir zugesetzt hat. Du wolltest jedoch nicht flüchten, weil ich dort lag. Meine Aufgabe war es, dich zu beschützen. Anstatt dessen war ich der Grund dafür, dass du dich nicht selbst beschützen konntest.“ Einen Moment schwieg er, schien sich erst einmal wieder fangen zu müssen. „Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, aber sicher hat es nur zwei Minuten gedauert, bis ich wieder vollständig zu Bewusstsein kam. Da schriest du, weil er dich zu Boden geschmettert hatte. Das war eindeutig genug gewesen- ich sah Rot. So schnell habe ich mich, glaube ich, noch nie verwandelt. Und ich bin auch noch nie so rasend blind vor Wut gewesen. Ich…ich…“ Jetzt stockte er und schien nicht mehr weitersprechen zu können. Seine Hände waren inzwischen zu so festen Fäusten geballt, dass sie weiß wurden. Er schien mit sich zu kämpfen, konnte nicht weitersprechen. Renesmee hielt den Atem an und in ihr schrie wieder alles danach zu ihm zu gehen. Aber sie hielt sich zurück. Was auch immer er zu sagen hatte, er würde es tun. „Ich…habe nichts anderes mehr gesehen als diesen Vampir. Ich wollte ihn in Stücke reißen, quälen, töten. Er war überrascht von meinem Angriff, aber er war nicht dumm. Er…benutzte dich als Schutzschild, hielt dich vor sich. Und ich konnte nicht mehr…es war zu spät, ich…hatte ausgeholt und fuhr mit meinen Krallen quer über deinen Rücken...“ Absolute Stille. Der Wald schien zu schweigen und auch Renesmees Gedanken waren verstummt. Stille. Stille in ihrem Kopf, Stille in ihrem Herzen. Teardrop on the fire of a confession… „Ich werde dieses Geräusch nie wieder vergessen- und auch dein Gesicht nicht. Du hast nicht einmal geschrien“, Jake wurde, während er sprach, immer leiser. „Zu den Geschehnissen danach gibt es nicht mehr viel zu sagen. Ich tötete den Vampir und brachte dich so schnell es ging zu Carlisle. Zwar blieb ich einige Stunden, um zu sehen, wie es dir ging, aber dann floh ich. Und schwor mir nie wieder zurückzukehren.“ Wieder dieses ironisches, schmerzhafte Lächeln. „Wieder ein Schwur, den ich gebrochen habe. Seth und Leah haben mich nach einiger Zeit gefunden und mir gesagt, wie schlecht es dir geht. Und mein ohnehin schon loser Selbstzwang nicht wieder zurückzukehren, wurde dadurch gebrochen. Ich kehrte zurück, um dir klarzumachen, dass ich nicht mehr derselbe war- und unsere Verbindung zueinander ein für alle Mal Geschichte. Du solltest nie den Grund erfahren. Dass du dich an die Geschehnisse nicht mehr erinnern konntest, war für mich wie ein Zeichen.“ „Und du dachtest, es würde so einfach werden? Dass ich es dir so einfach machen würde?“, fragte Renesmee sofort. Ihre Worte kratzten in ihrem Hals, in ihrem Mund. Als hätte sie seit Wochen nicht gesprochen. „Nein, natürlich dachte ich das nicht. Aber das war mir in dem Moment, ehrlich gesagt, scheiß egal“, zischte er, wurde wieder wütend. „Ich habe dir wehgetan. Dir. Der wichtigsten Person in meinem Leben, meiner Geprägten. Dabei ist es mein oberstes Ziel, dich zu beschützen!“ In diesem Moment fügten sich auch die restlichen Puzzelteile für Renesmee zusammen. Ein Flackern des Verständnisses huschte über ihr Gesicht, ihr Herz raste wieder und ihr Atem ging schneller. Jake hatte ihre Verbindung nicht wegen ihr getrennt, sondern wegen sich selbst. Er war auf sie geprägt, er hatte sie verletzt und dafür machte er sich mehr als riesige Selbstvorwürfe. Dafür hasste er sich selbst. Entsetzen breitete sich in ihr aus. Nein, das konnte sie nicht zulassen! „Oh Jake…”, entwich es der Halbvampirin. Wieder dieses abscheuliche Bedürfnis, ihn zu berühren. „Du hast versucht mein Leben zu beschützen. Und es ist mir egal, was du sagst. Du warst da und hast mir geholfen, du hast diesen Vampir getötet. Du hast mich beschützt, so wie du es schon hundert Male zuvor getan hast. Ich würde dir nie vorwerfen…“ „Aber ich tue es!“, brüllte er wütend und jetzt zitterte er so sehr, dass er sich an einem Baum abstützen musste. Er versuchte die Fassung zu bewahren, fuhr sich durch sein rabenschwarzes Haar und atmete tief ein und aus, um die Kontrolle zu bewahren. „Ich mache mir die Vorwürfe und es ist richtig, dass ich das tue“, fuhr er weiter fort, leiser, aber immer noch mit einer unbändigen Wut. „Und genau, weil du es nicht tust, habe ich es dir nicht gesagt. Hör auf mich als jemanden zu sehen, der ich nicht bin. Oder besser, seh‘ mich endlich als der, der ich bin: ein Werwolf, der zu jeder Sekunde eine Gefahr für dich werden könnte.“ Diese Worte lösten etwas in Renesmee aus. Sie ließ alle Vorsicht fallen und war in weniger als einer halben Sekunde direkt vor ihm, keine zwanzig Zentimeter entfernt. Ihre braunen Augen starrten in seine rabenschwarzen. Funken sprühten. „Und du glaubst, ich könnte dir nicht wehtun?“, sagte sie leise und fuhr mit einer Hand über seinen Hals. Über seine pochende Halsschlagader. „Ich könnte dich genauso gut töten. In einem Moment der Unachtsamkeit. Ich könnte dir die Halsschlagader rausreißen, so wie ich es mit hundert Tieren zuvor gemacht habe.“ Weiter starrte sie in seine Augen, aber sie sah keine Angst in ihnen. Natürlich nicht. Die würde er wegen sich auch nie in ihren Augen finden. …Fearless on my breath „Aber ich würde es nie tun. Und das weißt du. Du weißt, dass ich es nicht will, dass ich dich nie ernsthaft verletzten könnte.“ Sie ließ ihre Hand auf seiner Wange liegen. Genau so, wie ich weiß, dass du ein Werwolf bist und mir dennoch nie wirklich weh tun könntest. Nicht, weil du es willst, nicht, weil du es beabsichtigst. Ich weiß, dass du mich beschützen willst. Denn ich will das gleiche auch für dich tun, fuhr sie mental fort. „Ness…das kannst du nicht tun. Bitte, tu es nicht“, flehte Jake. Verzweifelt. Am Boden. „Verzeih mir nicht.“ Ich hab es dir eben schon gesagt: du kannst mir nicht sagen, was ich tun kann und was nicht. Ich brauche dir nicht zu verzeihen. Aber ich verzeihe dir dennoch. Langsam ließ sie sich nach vorne sinken, bis ihre Stirn auf die seine traf. Ihre Haut perlweiß, seine gebräunt. Ein Kontrast wie Tag und Nacht. „Und jetzt hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln. Du hast mir deine Prägung verschwiegen“, wisperte sie und er zog seinen Kopf ruckartig weg und starrte sie an. „Und du hast mir das hier verschwiegen. Aber ich entscheide, wie ich mit diesen Dingen umgehe. Du hattest nicht das Recht, sie mir vorzuenthalten. Das werfe ich dir vor.“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Die Prägung hätte nichts geändert- und das sollte sie auch nicht“, erwiderte er. „Sie sollte unsere Beziehung, sollte dich nicht beeinflussen. Und letztendlich hatte sie nur Auswirkungen auf mich. Dass ich dich nicht allein lassen kann. Dass ich deine Nähe aufsuchen musste, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Aber es hätte nichts an dieser Situation geändert, nicht hier ran. Das war nicht deine Entscheidung.“ Renesmee musste ihre Zähne heftig zusammenbeißen, um nicht auf ihn loszugehen oder ihn anzuschreien. Ihr Puls war auf 180. „Du bist ein Idiot“, zischte sie hilflos. „Es hätte alles geändert. Es hätte die letzten Monate nicht gegeben, in denen ich mich gefragt habe, ob ich verrückt geworden bin. In denen ich mich gefragt habe, ob ich einfach alles falsch fühle.“ Sie bemerkte, wie Jake versuchte vor ihr zurückzuweichen und sie ungläubig anstarrte. Und fassungslos. „Du hast diese Entscheidungen alleine getroffen- aber ich habe schon lange vorher eine getroffen.“ Sie war wie immer zu schnell für ihn. Ihre Lippen legten sich auf die seinen, bevor er nur einen Ton herausbringen konnte. Und dann war es zu spät. Eine Sekunde hatte sie sich noch gefragt, ob sie das Richtige tat. Lange vorher hatte sie darüber nachgedacht. War das wirklich der richtige Moment? Würde er sie nicht sofort zurückstoßen- und konnte sie das ertragen? Aber er überraschte sie wieder einmal. Zuerst blieb er unbewegt, bewegte nicht einen Muskel. Dann jedoch, als Renesmee sich gerade hatte lösen wollen, erwiderte er plötzlich den Kuss. Aber nicht vorsichtig, sanft oder zögernd, wie man es hätte erwarten können. Nein, dieser Kuss war alles andere als das. Verlangend, hungrig- und verzweifelt. Spätestens, als er seine heiße Hand in ihre Locken vergruben hatte und sie näher an sich heran zog, war Renesmee in eine Art Rauschzustand gefallen. Alle ihre Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft. Sie hörte das Rauschen der Blätter im Wind, aber sie roch, schmeckte und fühlte nur Jake. Hitze, nichts als pure Hitze. Und dann war es so schnell vorbei, wie es angefangen hatte. Abrupt löste er sich von ihr und wandte sich ab, ehe sie die Augen öffnen konnte. Sie hörte ihn schwer atmen, aber auch sie keuchte leicht. Er zitterte wieder und sein ganzer Körper schien angespannt. Was hatte sie wieder angerichtet? Seine Zweifel bestärkt, ihn weiter von sich zurückgedrängt? Als er anfing zu sprechen, wusste sie es. „Ness, ich…“ Ihm schienen die Worte zu fehlen. Aber sie wusste, was er sagen wollte. Dass es nicht sein konnte und nicht durfte. Weil er sie verletzen könnte. Jedoch musste sie ihm hierbei scheinbar immer noch etwas klar machen. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. „Du hast einmal gesagt, dass die Prägung die Verwandtschaft zwischen zwei Seelen ist, oder?“ Überrascht sah er sie an und nickte. Auf ihrem Mund breitete sich ein kleines, schmerzvolles Lächeln aus. „Jake…Eine Seelenverwandtschaft betrifft beide Seelen und du kannst sie nicht einfach trennen. Es würde nur Schmerzen hervorrufen und sich dennoch nie wirklich lösen. Seelennarben sind viel größer und schlimmer als körperliche Narben es jemals sein könnten.“ Plötzlich umfasste sie seine Hand mit der ihren und führte sie unter ihr T-Shirt an die Narbe an ihrem Rücken. Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft. Er spürte nichts, es war gut verheilt. Aber er wusste, dass sie dort immer noch silbrig zu sehen war. Und es lange, wenn nicht sogar immer, sein würde. „Du willst mich beschützen, das Beste für mich? Dann bleib bei mir.“ Ihre Worte waren flehend und jetzt, plötzlich, weinte sie. Aber es war anders, als die Male zuvor, als er sie hatte weinen sehen. Es war nur wegen ihm. Wegen dem, was er tun könnte. Etwas, was sie mehr als alles andere verletzten würde- genauso wie ihn. Sie verlassen. Sein Gesicht verzog sich vor Qual, genauso wie das ihre. Beide waren sie untrennbar miteinander verbunden. Er hatte seine Schmerzen bedacht, als er sie verlassen hatte. Aber nicht die ihren. Er hätte alleine alle Schmerzen der Welt ertragen, wenn sie dabei glücklich geworden wäre. Aber das konnte sie nicht. Anstatt glücklich zu sein hatte sie die gleichen Schmerzen wie er gehabt und würde sie immer haben- und die Tränen vergießen, die sie jetzt nicht stoppen konnte. Das hatte er nie gewollt. Das Einzige, was er je gewollt hatte, war bei ihr zu sein. Und sie glücklich sehen. Ihre Worte sagten nur eines und auch in seinem Inneren schrie es danach: dafür musste er bei ihr bleiben. Obwohl es sie und ihn vielleicht zerreißen würde. Behutsam strich er ihr über die Wange, die Tränen fort. Als wäre sie aus Porzellan. Dann küsste er sie auf ihre Stirn. Auch das hatte er viele Male zuvor getan. Aber dieses Mal enthielt es einen Schwur, nein, ein nicht brechbares Versprechen. Als er ihr in die Augen sah, sah er, dass sie verstanden hatte. Das langsame Nicken, was er hinzufügte, war beinahe überflüssig. Und das Leuchten, welches daraufhin in ihre Augen trat, würde er nie in seinem Leben vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)