Winterszenen von July-chan ================================================================================ Kapitel 1: Alles Gute kommt von 'Oben' -------------------------------------- Song: I'm Going Slightly Mad (Queen) Mein Bruder Koushoku und ich hatten einander immer blendend verstanden. Trotz unseres Altersunterschiedes, trotz des ewigen Geschlechterkampfes, trotz unseres intakten Elternhauses, trotz der Pubertät, und wenn es nicht um eine ganz andere Sache ginge, dann könnte ich noch lange damit weitermachen. Der Punkt war nämlich, dass wir einander nicht mehr verstanden. Das heißt, er wurde immer eigenbrötlerischer und leichter zu reizen und unternahm auch nicht mehr diese Sachen mit mir, die tolle große Brüder mit ihren jüngeren Schwestern unternehmen. Und ich, ich war nun mal ein verzogenes kleines Gör und wollte meinen alten Kousho zurück. Als ich genau das auf einen Zettel schrieb und diesen beim ersten Vollmond nach dem ersten Schnee draußen auf die Fensterbank legte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass der Wunschzettel sich, von einem Windstoß aufgewirbelt, in Luft auflösen würde und mit einem Blitzen und Donnern plötzlich ein junger Mann mit einer Art Toga, einem unechten Heiligenschein und Flügeln auf unserer Terrasse im Schnee säße. Elegant stand er auf, zupfte missmutig an dem knappen Stück Stoff um seine Hüften, blickte sich verstohlen um und wurde dann unauffällig den falschen Heiligenschein los. Fasziniert trat Nozomi Noeru zu ihm nach draußen und grabschte ohne zu fragen nach seinen Flügeln. „Hey!“, warnte der Was-auch-immer und wich einen Schritt zurück. „Nicht anfassen, die sind von dem Sturzflug zerzaust genug. – Hast du mich gerufen?“ Sich der Situation bewusst werdend, sah sie ihn zum ersten Mal richtig an und legte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Hast du den Wunschzettel geschrieben?“, hakte er ungeduldig nach, als sie nicht antworte, und erhielt im Gegenzug ein gestammeltes „Nein, ja, doch, vielleicht, was bist du?“ Zufrieden mit dieser Entgegnung stellte er sich mürrisch vor. „Aijou Tenshino, Engel. Zu Diensten. Hast du was dagegen, wenn ich mich umziehe, diese Dienstkleidung ist äußerst unpraktisch.“, sagte er monoton, wartete nicht auf ihre Antwort sondern holte eine kleine Reisetasche von Gott-weiß-wo hervor und zog eine zerschlissene Jeans, alte Turnschuhe und ein enges schwarzes Sweatshirt mit einem nicht entzifferbaren weißen Schriftzug heraus. Nachdem er sich umgezogen hatte (und seine Flügel auf unerklärliche Weise verschwunden waren und nur zwei schlichte Tattoos auf seinen Schulterblättern zurück ließen) kramte er nach einem Haargummi und band sich die rotbraunen Haare zurück. „Ehrlich mal, ich bin doch kein dicker kitschiger Putte, diese dummen Klischees gehen mir echt auf den Sack.“, grummelte er, dann betrachtete er das immer noch verwirrte Mädchen. „Wie heißt denn du? Ich will wenigstens wissen für wen ich mich hier zum Affen machen durfte, scheiß Bewährung, ich will endlich was Richtiges machen und nicht diesen Kinderkram, verdammt…“ „Nozomi Noeru.“, brachte sie zustande und betrachtete noch einen Moment länger das absurde Bild, das sich ihr bot. Ein Engel. Ein verdammt gut aussehender und verdammt schlecht gelaunter Engel stand vor ihr auf ihrer Terrasse und sollte ihren Wunsch erfüllen, wovon er nicht sehr begeistert schien… „Kinderkram?!“, wiederholte sie dann ungläubig. „Kinderkram? Hör mal, wenn das Kinderkram wäre, dann hätte ich den Quälgeist von nebenan um Hilfe gebeten! Mein Bruder driftet zum Arschloch ab und das macht weder mir noch meinen Eltern Spaß! Sogar seine Freunde haben sich schon bei mir beschwert und ich glaube auch nicht, dass Koushoku“ – sie ignorierte das Kichern des Engels angesichts des ungewöhnlichen Namens – „gerne alle Menschen in seiner Umwelt vergrault, wenn er sie nur anguckt!“ Sie fühlte, wie ihre Rage ihre Wangen erröten ließ und Tränen der Frustration ihr die Kehle zuschnürten. „Du bist hübsch wenn du dich aufregst.“, hauchte Aijou, dessen Gesicht plötzlich nur noch eine handbreit von ihrem entfernt war, nahm ihre Hand und führte ihr Handgelenk lasziv an die Lippen ohne den Augenkontakt zu brechen. Nozomi atmete zittrig ein als er einen federleichten Kuss auf ihren unregelmäßigen Puls presste, zarte warme Lippen streichelten ihre vom Wind kühle Haut und jagten kribbelnde Schauer durch ihren ganzen Körper. Bis ihr klar wurde, was der Engel gerade tat und sie ihm ihre Hand entriss und eine Ohrfeige verpasste. „Du Perverser! Denkst du, du kannst mich ablenken?! Denkst du, ich bin so leicht zu kriegen!?“, wetterte sie und versuchte nicht darüber nachzudenken, dass ihre Stimme bei ‚leicht’ äußerst unwürdevoll brach und dass sein Plan beinahe aufgegangen wäre. Seine Äußerung des letzteren –nicht gedachten! – Gedankens brachte ihm eine weitere Ohrfeige auf die blasse Wange, auf der sich bereits ein roter Handabdruck zu zeichnen begann. „Au!“, protestierte er gegen die grobe Misshandlung, besann sich dann aber auf die Gardinenpredigt, die sein Vorgesetzter ihm gehalten hatte, und fuhr in einem zivilisierteren Tonfall fort. „Okay, Frieden jetzt. Möchtest du mich nicht vielleicht einladen hereinzukommen? Du siehst ja auch schon halb erfroren aus, ohne Schuhe durch den Schnee laufen, mal ehrlich!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)