Im Rausch des Vollmondes von Shinosuke ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- Kurze Vorabinfo: Die geraden Texte stammen von mir und sind aus Nicolas' Sicht geschrieben. Für den kursiven Teil ist Raphael, bzw. verantwortlich. Ich öffnete die Augen und es war dunkel. Allerdings nicht so ein halbdunkel, wie man es kennt, nein, es war zappenduster, also so richtig schwarz. Maximal pigmentiertes Sichtfeld. Cool. Ich wollte doch schon immer mal aufwachen und mich quasi noch im Halb-Koma befinden. War schon immer mein Lebenstraum... "Alter! Warum is'n das so dunkel jetzt auf einmal?", fragte ich mich innerlich, als ich meine Augen wieder öffnete und weder irgendeine Farbabstufung meiner Umgebung geschweige denn einen Umriss erkennen konnte. Hatte ich meine Augen überhaupt richtig aufgemacht? Tja, für solche Momente wünschte man sich doch immer das, was man nicht haben konnte. Einen Lichtschalter, oder eine Taschenlampe, wobei ein Lichtschalter mitten im Wald uneffektiv ,um nicht zu sagen vollkommen bescheuert gewesen wäre. Herr im Himmel. Ich hatte ja nichts gegen die Farbe Schwarz, aber als sich nach wenigen Minuten meiner komischen Rumliege-phase immer noch nichts veränderte, wurde ich doch so langsam sauer. "Aua!" war das erste, was ich sagte. Da war mir doch tatsächlich jemand auf die Hand gelatscht. Oder? Nein. Ich streckte meine Finger und ballte sie wieder zur Faust. Alles in Ordnung. Aber ich hatte mir das doch nicht eingebildet! Wer bin ich denn, dass ich schon halluziniere?! Kommt gar nicht in die Tüte. Ich setzte mich auf und sah mich um. -Naja, mehr oder minder. Ich versuchte, mich umzusehen, aber neben Schwarz auf Schwarz vor schwarzem Hintergrund sah ich -richtig: gar nichts. Schöne Scheiße, ey. Kein Wunder, dass man mir auf die Hand trat... So das reichte mir jetzt doch. Mit einer schnellen Bewegung beförderte ich meinen Oberkörper wieder in die Senkrechte und machte mich danach daran, ganz und gar aufzustehen. Ich kam mir wie ein alter Mensch vor, weil ich doch meine Zeit brauchte, um hochzukommen. Oooh ja! Das wurde ja immer schöner. All meine Wut steckte ich jetzt in die Aufsteh-Aktion und holte beinahe zu viel Schwung, als ich eigentlich benötigte. Als ich wieder auf beiden Füßen stand, machte sich der Restschwung bemerkbar und ich stolperte noch einen Schritt nach vorne. Kurz stutzte ich und trat dabei glatt auf die Hand meines Bruders. "HÄ?", entfuhr es mir nur. "Hattest du nicht wenige Sekunden vorher schon "Aua" gesagt?", fragte ich verwirrt in die Richtung, aus der ich meinen Bruder vermutete. "Aua!" Konnte man ein Déjà-vu haben, ohne etwas zu sehen? "Ja, hatte ich.", murrte ich. "Und ich find's ganz schön dreist von dir, mir glatt zwei Mal auf die Hand zu latschen. Trottel." Raph wusste ja, dass ich den Trottel nicht so meinte. Beim Aufstehen stieß ich mit ihm zusammen, fluchte und fand mich sofort wieder auf dem Boden sitzend, als hätte ich mich nicht gerührt. "Hä?", war es diesmal an mir zu denken. Okay, nächster Versuch. Ich stand erneut auf und konnte meinem Bruder diesmal früh genug ausweichen. So weit, so gut. Wir standen. Und weiter. "Hast du eine Ahnung, wo wir sind und -vielleicht noch wichtiger- wie wir nach Hause kommen?", fragte ich in die Dunkelheit hinein. Allmählich bekam ich Durst und, ob man's glaubt oder nicht, ich würd' ganz gerne aus dieser Dunkelheit raus. Die ersten Sekunden in neuer, erstandener Freiheit waren ja mal komisch. Nicht nur, dass mein Bruder mich mit den blöden Kommentaren sowie Wortfetzen, denen ich eh kaum Gehör schenkte, verwirrte, sondern auch die Tatsache, dass auch ich wirklich keine Ahnung hatte, wo wir beiden überhaupt waren. Unschlüssig und die Gegend absuchend legte ich mir eine Hand an den Hinterkopf und hoffte vielleicht innerlich, das mein Denken dadurch angeregt wurde. Doch wie so oft, wartete ich vergebens auch die erwünschte Eingebung und so musste auch ich passen. "Ich weiß rein gar nichts mehr. Noch nicht mal, warum wir überhaupt hier draußen sind.", gestand ich und wollte nachher nochmal ein ernstes Wörtchen mit meinem Gehirn wechseln, dass mich immer in den falschen Momenten im Stich ließ. Ich seufzte. "Na dann sind wir ja auf dem selben Stand.", sagte ich resignierend. Hm. Hier muss es doch irgendwo Licht geben, oder? "Probieren wir einfach irgendeine Richtung? Oder bleiben wir hier und..." Ich musste die Frage nicht zu Ende bringen, um zu wissen, wie Raphael antworten würde. Wir würden nicht warten. "Also los." Ich begann, mich wie ein Blinder durch die Gegend zu tasten. Erstaunlicherweise hörte ich verdammt gut, dafür, dass ich nichts sah. Ich hörte die Vögel so laut, als umkreisten sie meinen Kopf wie in einem Cartoon, in dem jemand irgendwo gegengelaufen ist. Aufs Stichwort war dieser dämliche Vergleich gekommen, denn in dem Moment prallte ich gegen einen Baum. "Pass auf, hier sind über- Man, was machst du denn?!", fluchte ich, als mein Bruder von hinten auf mich auflief wie die Titanic auf ihren Eisberg. "EY! Hör gefälligst auf, loszurennen, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen!", warf ich noch als Protest ein, ehe er schon prompt eine beliebige Richtung einschlug. "Und außerdem, möchte ich gerne für mich antworten. Ich kann das nämlich sehr gut!", sagte ich noch nebenbei. Während meiner ignorierten, ausgerufenen Anschuldigungen drehte ich den Kopf immer wieder nach links und nach rechts, in der stillen Hoffnung, nur die kleinste Abhebung erkennen zu können. Fehlanzeige. Also, wenn wir uns wieder Erwartens in einer Höhle befinden sollten und uns gleich ein wütender Bär das Leben zur Hölle macht, dann hätte ich wahrscheinlich angefangen zu lachen. Doch es war kein Bär zu hören....und auch kein Lacher. Nico hatte wieder auf stur geschaltet und hörte mir nicht mehr zu. Sollte mir nur recht sein. Plötzlich lief ich mehr oder weniger auf ihn auf, weil das kleine Kerlchen zu kuschelbedürftig war, um dem vor ihm stehenden Baum auszuweichen. Ich taumelte einige Schritte nach hinten und rieb mir leise fluchend die Stirn. "Oh man. So wird das nie was.", moserte ich und fragte mich gerade, wie doof das wohl für unbeteiligte aussehen musste, wie zwei Teenager durch den Wald rannten, wie die Maulwürfe. "Nee, irgendwie...", stimmte ich zu und blieb stehen. "Und was schlägst du vor?", fragte ich, doch die Antwort hörte ich mir gar nicht erst an. Ich roch etwas und es roch köstlich. Als ob hier jemand mit einem Speisewagen vorbeifuhr. Und ich hörte Schritte. Mmmhh... Das roch wirklich verdammt gut. Aber was war das? "Raph? Riechst du das?" "Mjaaaa, riecht endlich nach was zum Futtern.", seufzte ich zufrieden und versuchte den Standpunkt des guten Geruches auszumachen. Eins war klar Nico war's nicht und den konnte man auch nicht essen. Ein Glück~ Komisch, warum sollte es aber mitten im Wald was Nahrhaftes geben? Waren wir vielleicht doch schon näher an unserem Zuhause, als uns eigentlich bewusst war? Ich blieb stehen, um den Geräuschen zu horchen, die sich uns langsam aber kontinuierlich näherten. "Ich kenn' den Geruch.", murmelte ich. "Hilf mir mal auf die Sprünge, was war denn das?" Sowas ließ mich ja nicht mehr los. Ich bewegte mich mehr unbewusst und unkontrolliert auf den süßlichen, vertrauten Duft zu. Die Geräusche der Schritte kamen näher und blieben schließlich stehen. "Entschuldigung? Sucht ihr was? Oder habt ihr euch verlaufen?", fragte eine Frauenstimme. Ihr Parfum roch geradezu ländlich im Vergleich des wunderbaren Aromas, das von ihr ausging. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und Raphael musste das Reden übernehmen. Eigentlich ein Fehler, aber das war mir egal. "Toll, ich nicht!", grummelte ich als Antwort, obwohl auch mir der Duft auf irgendeine Art und Weise bekannt vorkam. Als Nico dann nicht mehr antwortet und ein mehr oder weniger betretenes Schweigen das Geschehen bestimmte, musste ich das Wort ergreifen. Ehrlich gesagt wusste ich aber gar nicht, was ich antworten sollte. Sätze wie:" Ja, wir sind im Wald, wissen nicht wo wir sind und seit neustem können wir nichts mehr sehen!", oder, "Gott sei Dank, wir sind gerettet! Ich dachte, ich müsste für immer als blinder Wurm durch die Gegend rennen.", kamen mir zwar in den Sinn, passten zu dieser merkwürdigen Situation jedoch absolut nicht. Wahrscheinlich würde die Frau uns auslachen und uns dann wieder stehen lassen. Klasse. Ich startete einen sich halbwegs schlau anhörenden Versuch. "Öhm, wir haben uns....naja eigentlich nicht, aber irgendwie schon....also ich weiß echt nicht, wo wir sind und...und....und." Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Meine Fresse, hat sich das dumm angehört. Ich zog ein Gesicht und versuchte es erneut. "Wir haben uns verlaufen und kommen jetzt nicht mehr zurück!", sagte ich wie aus einer Pistole geschossen und fühlte mich danach wie der Sieger eines Marathon-Laufes. Raphaels halbherziges Gebrabbel riss mich in die Wirklichkeit zurück. Reden war echt nicht seine Stärke, weshalb mich der gelungene zweite Versuch überraschte. Wie ich ihn kannte, war er jetzt stolz wie Oscar. "Oh.", sagte sie. "Wo müsst ihr denn hin?" Ich überlegte. Wenn ich mich richtig erinnerte, waren wir vor unserem Blackout gestern Nacht ziemlich weit gekommen. Machte es da Sinn, ihr unseren Heimweg zu beschreiben? Wohl eher nicht. "Was ist denn hier am Nächsten?", fragte ich. "Wenn wir einen Punkt haben, an dem wir uns orientieren können" und an dem es hell war "finden wir schon zurück.", sagte ich in die Richtung, aus der ihre Stimme und der unglaubliche Geruch kamen, der mich allmählich wirklich verdammt hungrig machte. "Hmm.", machte die Frau langgezogen. "Ich wohne fünf Minuten von hier." Sie zögerte. Kein Wunder. Ich wäre als Frau wohl auch vorsichtig, wenn ich zwei jungen Männern anbot, zu mir nach Hause zu kommen. Ich lächelte charmant und versuchte, sie zu überzeugen. "Wenn wir kurz mit dorthin kommen könnten, wäre das fabelhaft. Wir bleiben auch wirklich nicht lange.", versprach ich. Beleidigt verschränkte ich die Arme, als Nico wieder so mir nichts dir nichts anfing zu reden. Hatte der Kerl mich absichtlich auflaufen lassen? Reden konnte er doch. Dann sollte er das alles doch alleine regeln. Ich würde auf jeden Fall jetzt nichts mehr sagen. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, die Frau nicht zu fragen, ob sie gut schmecken würde, denn dieser Geruch machte mich langsam kirre. Er legte sich auf meine Sinne und war wirklich drauf und dran, mich zu überreden, dass die junge Frau da vor uns ein echter Leckerbissen war. Stopp! Was dachte ich da überhaupt? Ich hatte noch nie einen Menschen von seiner "leckeren" Seite betrachtet und hatte es in Zukunft eigentlich auch nicht vor. Ich legte mir eine Hand auf die Nase, um den Geruch nicht weiter so intensiv einatmen zu müssen. Sonst hätte ich sie wahrscheinlich noch bei dem nächstbesten Versuch angeknabbert. Nach einem weiteren kurzen Zögern stimmte sie zu. "Okay.", sagte sie, was ich mit einem weiteren Lächeln quittierte. "Vielen Dank.", fügte ich hinzu. "Wir sind übrigens Nicolas und Raphael.", stellte ich uns vor. "Darf ich fragen, wie sie heißen?" Zu fragen, was sie dabei hatte, das hier so gut duftete, erschien mir doch etwas zu dreist. Der Gedanke, dass das vielleicht sogar sie selbst war, kam mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Sie ging los und wir folgten ihr. "Ihr könnt ruhig noch 'du' sagen.", sagte sie freundlich. "Sonst komm' ich mir so alt vor." Hatten Frauen keine anderen Sorgen? Das hörte ich in letzter Zeit ständig. Egal. Solange wir nach Hause kamen, war's ja okay. "Und mein Name ist Sylvie." Dann kam die überflüssigste Frage, die man uns beiden stellen konnte. "Seid ihr Zwillinge?" Nein. Wir sehen nur zufällig gleich aus. Oh man. "Nein, sind wir nicht. Das da neben mir ist nur ein Möchtegern ich und er verfolgt mich schon seit meiner Geburt!", knurrte ich meinen Bruder an. Das jetzt Richtung Sylvie....was war das überhaupt für ein Name? Egal, weiter im Text. Das jetzt also Richtung Sylvie zu sagen, wäre ganz schön dreist gewesen. Mir war es relativ egal, ob sie uns jetzt hasste oder nicht, aber den Weg aus diesem stockfinsteren Wald alleine zu finden, war immer noch unser Hauptproblem. Also musste ich mich so gut ich halt konnte, zusammenreißen und all meine miesen Sprüche meinem Bruder an den Kopf werfen. Entweder konnte er damit leben oder nicht. Sein Pech, wenn nicht. Aber er sollte sich nicht beschweren, dass ich mir keine Mühe gegeben habe, freundlich zu ihr zu sein. Wütend und nicht auf meinen Weg achtend stapfte ich weiter und stolperte über eine Wurzel oder was das auch immer war."Gah, das glaub ich nicht!", fluchte ich, als ich mich langsam wieder fing und aufholte. Mit einem satten Kick, der hoffentlich gesetzt haben musste, beförderte ich die Wurzel in die nächstbeste Böschung und war mir sicher, dass ich es jetzt dem Baum richtig gezeigt hatte. Ich war seine Sprüche ja gewöhnt und konnte ebenso gut kontern, aber sein Knurren hatte sich täuschend echt wie das eines Raubtiers angehört. Das war neu. "Nun bild' dir nicht noch was darauf ein, zwei Minuten älter zu sein.", grummelte ich. Die Frau namens Sylvie hatte betreten geschwiegen. Scheinbar war es ihr nun selber peinlich, so eine blöde Frage zu stellen. Immerhin waren wir eineiig und sahen nahezu identisch aus. Als meine Kopie stolperte, prustete ich. "Mach halt die Augen auf." Ich musste gerade reden, dachte ich, als ich an einem tiefhängenden Ast hängenblieb. Wieder trat das selbe Phänomen ein wie vorhin. Gerade hatte ich noch Rinde gespürt, als ich wieder hörte, wie Raphael den Ast oder was auch immer ins Gebüsch trat. Ich duckte mich und kam so galant unter dem Ast weg. Praktisch, so eine Zeitverzerrung. "Na und?! Du musst mich trotzdem nicht verfolgen!", protesierte ich weiterhin und machte mich weiterhin daran den Waldboden gnadenlos mit meinen Schritten zu plätten. Wehe solch eine kackfreche Wurzel wagte es nochmal, sich mir in den Weg zu legen! Die konnte sich auf was gefasst machen. Zu allem Übel rannte ich auch noch gegen einen Ast, den mein Bruder anscheinend gemieden hatte. Ich legte die Hand an den Ast und fuhr langsam an der Rinde entlang. Merkwürdig. Ich konnte jede einzelne Einkerbung erkennen und mir auch ein klares Bild davon machen, wie der Ast wohl aussah. Nur wirklich sehen konnte ich ihn nicht. Ironie... Obwohl dieses Monsterding über dem ganzen Weg hing, schaffte Nico es anscheinend rechtzeitig auszuweichen, denn von ihm war kein sich beschwerender Laut zu vernehmen. Konnte er etwa schon wieder was sehen? Die Frage konnte ich ihm schlecht stellen, weil uns Sylvie dann bestimmt für komplett idiotisch und verrückt erklärt hätte. Mit einem ehrwürdigen Abstand bog ich mit unter dem Ast hindurch und rieb mir die Stirn. In solche Fettnäpfchen schmiss und wälzte ich mich wohl geradezu... Nach einer Weile, hörte ich, wie das Mädchen, ihren Namen hatte ich wieder vergessen, stehenblieb und so langsam konnte ich ganz schwach was erkennen. Ich wollte schon euphorisch rumgrölen, fand es aber nicht angemessen und schluckte es runter. Ich blieb stehen, als ich allmählich wieder sah und blickte mich um. Raphaels Blick war mehr als deutlich zu entnehmen, dass er ebenso überrascht war wie ich. Und er sah verändert aus. ein wenig blasser, was daran liegen könnte, dass wir im Wald gepennt hatten. Und irgendwie... Ja, wie soll ich das sagen, ohne gleich Twinzest-Hoffnungen bei euch zu wecken? Irgendwie schöner. Es ließ sich nicht leugnen. Er sah einfach besser aus als gestern. Und das nach einer Nacht auf dem Waldboden. Respekt. "Da wären wir." Wie ein Gong weckte Sylvie mich aus meiner Verwunderung. Ich sah zu ihr. Wirklich alt war sie echt noch nicht. Anfang zwanzig, vielleicht. Und sie trug weder eine Tasche noch einen Korb. Was zur Hölle roch so gut?! "Ja, das hier kenne ich.", sagte ich und schaute zurück auf den Weg, den wir gekommen waren. Merkwürdig. Die Sonne schien hell und trotzdem konnte ich erst etwas sehen, seit... Ja, seit wir unter Sylvies Vordach standen. Seit wir aus der Sonne raus waren. Komisch. Verwirrt blickte ich mich in der Umgebung um. "Himmel", entfuhr es mir nur. Wo wir waren konnte ich ehrlich gesagt immer noch nicht sagen, aber Nico schien es zu wisse, so schlau wie er gerade aussah. Ich stutzte. Hatte ich mir wirklich gerade eingeredet, dass er schlau aussah? Irritiert musterte ich ihn von oben bis unten und stellte baff fest, dass er nicht nur schlau sondern wirklich gut aussah. War etwa Waldmatsch die neue Methode, um jünger und besser auszusehen? Krass. Das müssten wir öfter mal ausprobieren. Irgendwie wendete ich davon meinen Blick ab, der auch sofort wieder an dem Mädchen hängen blieb. Ich hätte sie ehrlich gesagt älter eingeschätzt. Vielleicht praktizierte sie ja eine Intensiv-Waldmatsch-Kur. Scheint ja zu wirken das Zeugs. Warum ich jetzt allerdings etwas erkennen konnte, wusste ich nicht und ich machte mir auch weiter keine Gedanken darüber. "Na endlich.", murrte ich und war froh, dass ich meinen Seh-Sinn wiederhatte, obwohl er zu etwas Speziellem mutiert war. Ebenso wie meine restlichen vier Sinne. Cool! "So lange waren wir nun auch nicht unterwegs.", sagte Sylvie vorsichtig, die ihn offenbar falsch verstanden hatte. Ich konnte mir schon denken, was er meinte und war ebenfalls froh, wieder etwas zu sehen. Nachdenklich trat ich einen Schritt aus der Veranda hervor zurück ins Sonnenlicht und prompt wurde mein Blickfeld wieder schwarz. Das konnte doch nicht sein, oder? Ich ging zurück und -tadaa- konnte wieder sehen. Herrje. Und was ich sah... Holla, the woodfairy, wie unser Opa immer sagte. Jedes Detail, jede Farbe. Man, das knallte alles ganz schön. Hatten wir Drogen genommen?! Waren wir deswegen nicht weiter gekommen? Das war die einzige Erklärung, die mir dazu spontan einfiel. "Hey, Raph. Schon drauf gekommen, was ich vorhin meinte? Wegen des Geruchs.", ergänzte ich, denn so viel und so deutlich ich auch sah, was auch immer den Duft verströmte, konnte ich nicht erkennen. Sylvie schien es an sich zu tragen, aber was war das? Ihr recht billiges Parfum auf jeden Fall nicht, so viel stand fest! "Nein. Nur was es auch ist, ich bekomm richtigen Hunger davon." Musste er mich wieder daran erinnern? Ich hatte es den Weg über gerade so geschafft, nicht die ganze Zeit darüber nachzudenken. Jetzt schien mir der Duft unvorteilhaft wieder intensiver, als je zuvor. Ich suchte mit meinem Blick die Veranda ab, konnte aber nichts finden, was diesen Duft hervorrief. Das Fenster an der hölzernen Hauswand war ebenfalls geschlossen. Von dort konnte es auch nicht kommen. Wie verwirrend das alles so plötzlich war. Ein Duft, dem man keinem Gegenstand zuordnen konnte, das veränderte Aussehen meines Bruders, unsere lichtbedingte Sehfähigkeit und mein neu ausgeprägter Tastsinn. Von den Geräuschen und Stimmen, die ich nun wesentlich klarer hören konnte, mal ganz ausgenommen. Was war bloß los? Träumte ich das alles nur? Ich verstand nichts mehr und dementsprechend fehlten mir die Worte. Sylvie schien verwirrt. „Ihr habt Hunger?“ Wir nickten. „Also, ich hab‘ noch was da. Wenn ihr noch was essen wollt, bevor ihr geht…?“ Das musste sie nicht fragen. „Gerne.“, sagte ich und sah Raphael an, dass er ebenso wenig abgeneigt war, etwas zwischen die Zähne zu bekommen. „Dann kommt mal rein.“, sagte sie und schloss die Haustür auf. Drinnen war es noch dunkler als auf der Veranda und es roch irgendwie muffelig. Als wären das Brot und der Aufstrich, den sie uns gab, verdorben. Ich hatte Mühe, nicht angewidert zu gucken. Wir setzten uns und Sylvie verschwand noch einmal kurz in der Küche. Als sie zurückkam, beugte sie sich direkt neben mir über den Tisch und stellte Raphael ein Glas hin. Ich weitete die Augen, als ich den betörenden Duft einsaugte. Reflexartig griff ich nach ihrem Arm und hielt sie fest. Jetzt wusste ich es. Sie war es, die hier so duftete! Ihr Hals war direkt neben mir und ich war wie in Trance. „Hm? Ähm, lässt du mich bitte los?!“, fragte sie, nun doch in die Enge gedrängt. Wahrscheinlich bereute sie es zutiefst, uns reingelassen zu haben. „Hey? Hey! Lass mich los!“, rief sie und versuchte, frei zu kommen. Vergeblich. Ich war kräftig und deutlich stärker als sie. Mein Hunger wurde noch größer und ich spürte ein Ziehen in einigen meiner Zähne. Was passierte hier?! Verdutzt ließ ich das Brot in meiner Hand zurück auf den Teller fallen. Waren Nico da gerade tatsächlich zwei lange, weiße Beißerchen aus den Mundwinkeln getreten? Sie sahen nicht nur scharf, sondern auch extrem gefährlich aus. So langsam begriff ich. "Nico! Hör auf mit dem Scheiß!", rief ich zu ihm rüber und hoffte, dass meine Worte in seinem Kopf überhaupt angekommen waren. Das bereitete mir jetzt doch langsam Angst. Es konnte nicht sein. Unsere Verhalten, die Sinne und besonders das, was mein Bruder da gerade an den Tag gelegt hatte, deuteten darauf hin, dass wir zu etwas geworden waren, was ich nicht aussprechen wollte. Ich stützte meine Handflächen auf den Tisch und war jeden Moment bereit, einzugreifen. Wobei.....würde ich nicht jeden Moment dann auch so reagieren? Ich hörte kaum, was mein Bruder mir zurief. Alles, was ich wahrnahm, war der köstliche Duft, ausgehend von Sylvies Hals. Mein Körper handelte von allein, als ich wie hypnotisiert tief einatmete. Ein nie gekanntes Verlangen durchströmte mich und ich wusste, was ich gleich tun würde. Wusste es, als hätte ich das schon oft getan. Ich reckte mich zu ihr. Halb stehend, halb sitzend, schlug ich meine Zähne in ihren Hals und begann, zu trinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)