Kopfherzchaos von Samehada ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Spätherbstliche Sonnenstrahlen drangen durch die putzmittelverschmierten Fenster und tauchten die äußerste der drei Pultreihen in helles, warmes Licht. Sie fielen auf Bücher und Stifte, auf Hausschuhe, aufgestützte Köpfe die über Heften brüteten und auf den metallenen Haltebügel an Dominiks Füllfeder. Er fand es faszinierend wie das Licht auf dem kleinen gebogenen Metallstück je nach Einfallswinkel seine Farbe änderte. Plötzlich zerriss ein lautes Knallen die Stille. Dom schreckte auf, die Füllfeder fiel aus seinem Mund und landete auf dem zugeschlagenen Heft auf seinem Pult. Er schaute sich erschrocken um. Einundzwanzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet, musterten ihn stumm und ausdruckslos. "Dominik, ich sag es dir jetzt zum letzten Mal, pass gefälligst auf! Ich glaube nicht, dass du noch einen Eintrag ins Klassenbuch möchtest, oder? Falls doch mach nur so weiter!", schimpfte seine Klassenlehrerin. "Ja Frau Eisinger...", sagte Dom kleinlaut und schlug das vor ihm liegende Heft auf, bevor er sich auf die Ellbogen gestützt darüber beugte. Leises Gekicher drang ihm von seinen Mitschülern entgegen. Frau Eisingers Unterricht ging weiter und weiter in schier endlosen Erklärungen und Beispielen. Nach weiteren fünf Minuten hatte Dom, wie zuvor sein Interesse, auch seine Konzentration wieder vollständig verloren. "Mama, ich bin daheim!", rief Dom durch die Wohnung. Verächtlich ließ er den Schulranzen neben sein Bett fallen. Mit wenigen Schritten war er an seinem Schreibtisch und griff zielstrebig nach einer großen, dunkelbraunen Ledermappe, die er sich unter den Arm klemmte. Am liebsten hätte er sein Zimmer genauso schwungvoll wie er es betreten hatte wieder verlassen, doch ungünstigerweise versperrte ihm seine Mutter den Weg. "Hi Dominik. Essen ist gleich fertig." Sie schaute skeptisch auf die Mappe unter seinem Arm. "Willst du etwa schon wieder los?" Eigentlich lag ihm "Ja Mama, ich will schnell raus, ist doch so schönes Wetter!" auf der Zunge, sein Magen allerdings hätte gerne "Mama, gib mir Essen!" gesagt. So kam es, dass die Worte die Doms Mund verliessen " Essen aber... raus, schönes Wetter... äh..." waren. Seine Mutter lachte herzlich und wuschelte Dom durch die braunen Haare. "Jetzt komm erstmal ins Wohnzimmer und iss was, du verwirrter kleiner Spatz. Dann kannst du los." Dom setzte sich leicht widerstrebend auf die Couch und machte den Fernseher an. Kurz darauf stand auch schon ein Teller mit dampfenden Spaghetti Carbonara vor ihm, die er gierig verschlang. Als seine Mutter wieder ins Wohnzimmer kam, war Doms schon auf den Beinen. Das letzte was sie von ihm hörte, war: "Danke fürs Essen Mum, bin bald..." Die bereits zugeschlagene Tür versperrte dem Satzende recht effektiv den Weg. Frau Eisinger mochte die ruhigen Nachmittage in der Schule. Sie schlenderte langsam durch die Pultreihen und vergewisserte sich, dass niemand etwas vergessen hatte. Wie jeden Tag fand sie noch allerlei Zettelwerk, teils krakelige Liebesbeteuerungen, teils kleine Nachrichten die nur ob des Reizes der Heimlichkeit geschrieben zu sein schienen. An Dominiks Pult hielt sie kurz inne. Auch in diesem Bankfach lag ein zusammengeknüllter Zettel, doch war es keine der zuvor erwarteten Nachrichten oder Liebesbriefchen. Zwar waren allerlei sinnlose Schmierereien darauf, doch der Großteil des Zettels war ausgefüllt mit Rechnungen. Schlussrechnungen wie die heute erklärten waren zu sehen, jedoch auch nie zuvor durchgenommene Dezimal und Bruchrechnungen, und einiges war gar Stoff der nächsten Klassen. Die Ergebnisse stimmten durchwegs. Frau Eisinger blieb noch einige Minuten verwundert stehen, bevor sie sich kopfschüttelnd umwandte und zielstrebig das Klassenzimmer verließ. Die alte Burgruine, welche Dom ansteuerte, trohnte auf einem Plateau hoch über der, mit Bergen umgebenen Stadt. Sein Weg führte über lange Treppen, leidlich angelegte Wanderwege und schließlich über eine alte Traktorenspur ins Innere des bereits zur Hälfte zerfallenen Gemäuers. Immer wenn der Junge diese Spur beschritt stellte er sich vor er sei auf der Fährte eines Lindwurms, der hier oben seine Höhle hatte und sich des Nachts mit bedrohlichem Zischen und Fauchen durch den Wald wand. Behände erkletterte Dom die Außenmauer der Ruine, die ob ihrer einstigen enormen Dicke und ihres recht gleichmäßigen Verfalls nun einen formidablen Weg formte. An seinem Lieblingsplatz angekommen, beeilte er sich seine Tasche zu öffnen und den Inhalt auf der breiten Mauer zu verteilen. Ein großer Block kam zum Vorschein, sowie eine gut sortierte Sammlung an Buntstiften, Wachsmalkreiden, Filz- und Kohlestiften. Zeichnen war seine große Leidenschaft. "Zeichner hm?", hörte er eine Stimme neben sich. Dominik erschrak sichtlich und wandte ruckartig seinen Kopf. Neben ihm, auf einem etwas erhöhten Mauerstück saß ein Mädchen. Ihre Lieblingsfarbe war definitiv schwarz, was man an Jacke und Rock erkennen konnte. Dazu trug sie Stiefel mit Stahlkappen und eine dicke, schwarz-weiß gestreifte Strumpfhose. Dom starrte sie fassungslos an. "Zeichner und stumm? Das hat... Potential. Du könntest dir noch ein Ohr abschneiden." Sie lachte herzlich. "Was machst du hier?", fand Dom nun endlich seine Sprache wieder. "Naja, ich... finds gemütlich hier. So friedlich und still. Keine Angeber und Spießer hier, wie dort unten." Sie deutete abfällig auf die unter ihnen liegende Stadt. "Ja, mir gehts genauso.", antwortete Dom sarkastisch. "Zumindest bis gerade eben..." "Ich bin Sandra. ", stellte sich die sonderbar gekleidete Störenfrieda vor, Doms offensichtlichen Seitenhieb ignorierend. "Dom.", meinte eben jener kurz angebunden. "Was zeichnest du?", fragte Sandra freundlich, kletterte von ihrem Mauervorsprung und setzte sich neben ihn. "Hm, noch nicht allzu viel, hm?", kicherte sie beim Anblick des noch leeren Blocks. "Du hast mich auch gerade beim Anfangen gestört.", meinte er vorwurfsvoll und hielt wie zur Bestätigung den Kohlestift hoch, den er gerade zum skizzieren benutzen wollte. "Oh, verzeih. Ich wollte dich nicht unterbrechen.", entschuldigte sich Sandra. "Was dagegen wenn ich hier sitzenbleibe und dir zusehe?" "Naja... nein.", druckste Dom herum. "Aber stör mich bitte nicht." "Ja Sir." meinte Sandra lächelnd, hielt sich aber dann ruhig. Nach einigen Minuten begann Sandra jedoch wieder damit, Fragen über alles mögliche zu stellen, bis Dom schlussendlich seufzend nachgab. Die Unterhaltung war jedoch interesanter als er gedacht hatte und sie redeten bis in die Abenddämmerung. "Ich muss jetz los.", meinte Sandra plötzlich unvermitelt, mit einem Blick auf die untergehende Sonne. "Spießereltern. Du verstehst." Sie grinste genervt. "Ich hoffe wir sehn uns wieder, war schön mit dir zu reden. Tschüss!" Bei diesen Worte war sie bereits von der Mauer auf einen Kieshaufen ins Innere der Ruine gesprungen. "Wann!?", rief Dom ihr nach, obwohl er selber nicht genau wußte warum. Sandra drehte sich noch einmal um und lächelte ihn an. "Morgen! Wieder hier!" Sie winkte noch einmal kurz, dann war sie verschwunden. Am nächsten Tag kreisten Dom´s Gedanken ausnahmsweise nicht um langweiligen Unterricht oder irgendwelche Grüppchen auf dem Schulweg. Fast öfter als ihm lieb war, musste er an dieses seltsame Mädchen denken. Die Schule ging recht schnell vorbei, überraschenderweise war selbst die strenge Frau Eisinger heute offensichtlich in recht versöhnlicher Laune. Wirklich seltsam jedoch war es, dass die Lehrerin Dom nach dem Unterrischt bat noch kurz zu bleiben. "Ich möchte dir jemanden vorstellen, komm mit." sagte sie freundlich. Dom tat wie ihm geheißen. Frau Eisinger führte ihn hinunter in einen Klassenraum neben dem Konferenzzimmer, wo ein freundlich aussehender älterer Mann auf die beiden wartete. "Du musst also Dominik sein." begrüßte der Mann ihn lächelnd. "Ich bin Doktor Frankner. Keine Angst es geht um nichts schlimmes." Der Mann, bat Dom mit einer Geste sich zu setzen. "Wir haben hier einige Aufgaben vorbereitet und möchten dich bitten sie so schnell wie möglich zu lösen." Dom sah sich die Sachen, die vor ihm auf dem Tisch lagen genauer an. Es war ein Zettel mit einigen Fragen, ein kleiner Bausatz eines Motorrades, ein paar Würfel mit komischen Symbolen darauf und noch einige weitere Dinge. "Na schön..", meinte Dom. "Das klingt lustig. Kann ich anfangen?" Dr. Frankner nahm eine Stoppuhr und ein Klemmbrett zur Hand. "Ja, du kannst loslegen." Ein paar Stunden später saß Dom wieder auf seinem angestammten Platz auf der Mauer der Ruine. Er fragte sich wo Sandra blieb. Seufzend zog er ob der aufkeimenden Langeweile seinen Zeichenblock aus der Tasche und begann zu skizzieren. Die Ruine in der Abenddämmerung mit zwei vertrauten Gestalten auf der verfallenen Mauer. Plötzlich hörte Dom jemanden hinter sich. Hastig schlug er den Block zu und steckte ihn in die Zeichentasche. "Hi du.", bergrüße Sandra Dom fröhlich. "Äh... hi.", meinte Dom. Sie setze sich seufzend neben ihn und atmete tief durch. "Bei diesem Weg versteh ich wirklich, dass hier so wenig Leute raufkommen." "Ja, ist schon etwas anstrengend.", kommentierte Dom knapp und freundlich. "Na wie gehts dir? Alles klar?", fragte Sandra. "Ja... alles in Ordnung. Hat sich nicht viel getan seit gestern.", antwortete Dom. "Schön. Hast du denn was neues gezeichnet?" "Äh, naja... es.. ist nicht fertig." "Sandra setze sich ein wenig auf. "Och zeigs mir bitte, ich mag deine Bilder. Bitte, bitte.", jammerte sie grinsend. "Na schön..." Dom zog langsam den Block aus der Tasche. "Hier." Sandra betrachtete die Skizze. "Sind wir das?", wollte sie wissen. "Naja ich... ja, wir sind das." "Ahja, wir lernen uns gestern kennen und heute zeichnest du mich schon?", frage Sandra mit einem Seitenblick. Dom wurde rot. "Nein, einfach nur so... das hat nichts mit dir zu tun." Sandra lachte. "Ich versteh schon." Dom konnte sich schließlich ein Kichern nicht verkneifen. "Ja, scheint so.", meinte er lächelnd. Eine Woche verging, in der sich Dom und Sandra jeden Tag an der Ruine trafen. Sie redeten viel, meist über unwichtige Dinge und lernten sich dabei besser kennen. Doch auch weiterhin traf Dom sie nicht in der Schule und auch nicht zu anderen Gelegenheiten. "Na schön... das hat sich gelohnt.", meinte Sandra außer Puste und stützte ihre Hände auf die Knie. Der lange Weg den Berg hinauf hatte ihr einiges abverlangt. "Sagte ich doch.", grinste Dom und ging auf die alte Hütte zu, die sich vor den beiden auf einer Lichtung befand. "Die hab ich letztes Jahr mit ein paar Freunden entdeckt. Drin ist nicht mehr viel, aber wir haben da ein super Lager gebaut. Willst du´s sehn?" "Gern.", meinte Sandra, deren Atem sich langsam wieder normaliserte. Die beiden richteten sich das Lager mit alten Decken, welche in der Hütte verstaut waren und machten es sich darauf gemütlich. "Wirklich schön hier." Sandra ließ die Füße von der kurzen Pritsche baumelnd auf der sie die Decken ausgebreitet hatten. Dann war es still. Doms Gedanken überschlugen sich und sein Herz klopfte. Er wollte so viel sagen, nichts jedoch kam ihm richtig vor. "Dom?", brach Sandra schließlich das Schweigen. "Ja?" Dom versuchte seine Nervosität zu verbergen, jedoch blieb es bei dem Versuch. "Ich... bin froh, dass ich dich kennengelernt hab." sahte sie leise. Zögernd wandte sich sich zu ihm und drückte ihm sanft und zaghaft einen Kuss auf die Wange. "Ich ... bin auch froh. Echt froh sogar.", sagte Dom, doch er traute sich komischerweise nicht sie anzusehen. Stattdessen nahm er all seinen Mut zusammen und legte seinen Arm um Sandras Schultern. Und als sie sich zufrieden an ihn kuschelte, schwebte er im siebten Himmel. Als Dom an diesem Abend nach Hause kam, hielt sich ein zufriedenes Lächeln standhaft auf seinem Gesicht. Aus dem Wohnzimmer war zu seinem Erstaunen ein reges Gespräch zu hören. Langsam öffnete Dom die Tür. "...ergab einen Wert von Einhundertvierundfünfzig. Das ist eine außerordentlich ausgeprägte Hochbegabung. Und absolut einer Förderung wert, wenn ich das so sagen darf." Die Stimme gehörte zu Dr. Frankner, den Dom schon in der Schule kennengelernt hatte. "Äh... hallo.", sagte Dom zaghaft. "Dom!" Seine Mutter kam freudig auf ihn zu und umarmte ihn. "Ich wusste ja garnicht, dass du so viel auf dem Kasten hast." "Herzlichen Glückwunsch Dominik.", sagte Dr. Frankner, der nun ebenfalls aufgestanden war. "Deine Intelligenz ist weit über dem Durchschnitt. Wir reden gerade darüber wie dies am besten gefördert werden kann." "Gefördert?" Dom verstand die Situation noch nicht ganz. "Naja, du sagst doch immer, dass die Schule dich so langweilt. Da hat Doktor Frankner das Angebot gemacht, dich auf ein Berner Internat zu schicken, das sich damit beschäftigt." Dom stand wie vom Blitz getroffen da. "Nein! Ich ... will nicht weg von hier!", sagte er laut. "Aber Dom.. das ist eine riesige Chance für dich.", meinte seine Mutter ernst. "Jetzt schlaf erst mal drüber, Doktor Frankner und ich besprechen alles weitere." Dom wollte noch etwas erwidern, doch seine Mutter schob ihn mit sanftem Druck aus dem Zimmer. Die nächsten Tage war Dom nur schwer aus seinem Zimmer zu bewegen. Das Wochenende verbrachte er dauerhaft in oder unter seinem Bett, in die Schule ging er in der darauf folgenden Woche nur unter Androhung von Taschengeldentzug. Er traute sich nicht Sandra zu treffen, ihr zu sagen, dass sie sich warscheinlich nicht mehr sehen würden. Eines Tages, zwei Wochen vor Dominiks geplantem Eintritt in das Internat, klingelte es an der Tür. Dom blieb wie sonst auch an seinem Schreibtisch sitzen. Das Gemurmel im Vorraum interessierte ihn wenig, gezeichnet hatte er seit Tagen nicht mehr. Irgendwie hatten die Zeichnungen ihren Sinn verloren. Da klopfte es an der Tür. "Ja...", meinte Dom genervt, ohne sich umzusehn. "Hey.", ertönte es hinter ihm. Mit großen Augen wandte er sich um. Da stand Sandra vor ihm, lächelte ihn an und zog zur Begrüßung ihre Augenbrauen hoch. "Was is denn los mit dir, du warst ja seit Tagen nicht mehr auf der Ruine. Alles klar?" Dom senkte den Kopf. "Nein, nichts ist klar. Wir können uns nicht mehr sehen..." Man konnte die Verbitterung in Doms Stimme fast fühlen. "Warum? Bist du blind?" Sandra kicherte und knuffte seine Schulter. "Nein.... ich..."Dom schniefte."Ich muss auf ein Internat." Kurz war es still in Doms Zimmer. "Hm.. Das ist traurig..." meinte Sandra schliesslich "Ich kenn das, da kommst du fast nur am Wochenende nach hause, wenn überhaupt..." "Ja... alles nur weil ich offensichtlich hochbegabt bin..." "Du... bist hochbegabt...?" Sandra schaute misstrauisch. "Ja, dieser Doktor Frankner hat das jedenfalls gesagt. Das Internat is in Bern, irgendwie für Hoch- und Höchstbegabte...." "Höchstbegabte", sagte Sandra gleichzeitig mit Dom. Sie lächelte ihn sonderbar an. Langsam zog sie ein kleines Etui aus ihrer Tasche, nahm eine Plastikkarte heraus und hielt sie Dom hin. Auf der Karte war neben einer Stilisierung der Athener Akropolis Sandras Foto abgebildet und darüber stand in roter Schrift "Institut für Hoch und Höchstbegabung Bern - Sandra Hofer" Dom schaute sie mit großen Augen an. Sandra wartete nicht auf eine Reaktion. "Naja, die Karte ist für die Eingangstüre unten... Es soll da ja nicht jeder rein." Sie lachte herzlich bei ihren Worten. "Scheint als würden wir bald viel mehr Zeit zusammen verbringen." FIN Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)