23 days - L's Last Note von StarlightsMarti ================================================================================ Kapitel 2: Gewissensbisse ------------------------- Marti dachte nicht mal mehr im Geringsten an das, was sich in ihrer Wohnung ereignet hatte, als sie eilig die Haus- und Wohnungstür aufschloss und den Fremden mit letzten Kräften auf ihre Wohnzimmer-Couch schaffte. Nach einer Zeit war er ihr doch sehr schwer geworden und Marti war froh, ihn erst einmal "los zu sein". Sie atmete erleichert auf nachdem sie ihn möglichst sanft auf ihre Couch abgelegt hatte. Daraufhin erhielt sie zum ersten Mal die Möglichkeit, richtig in sein Antlitz zu blicken. Mit geschlossenen Augen lag er da vor ihr. Sein Gesicht war auffallend jung und eigentlich sogar ziemlich hübsch, wie Marti gleich feststellen musste. Die Wimpern seiner entspannt geschlossenen Augen waren dunkel und sogar ein wenig länglich, was aber nur in diesem Zustand so deutlich feststellbar war. Sein Mund war leicht geöffnet, so dass seine Zähne ein wenig zu sehen waren. Er wirkte mit einem Mal sehr entspannt ruhend. Sein Atem war nun spürbar ausgeglichen. Zwei Haarsträhnen hingen ihm im Gesicht. Diese strich Marti ihm sanft zur Seite. Sie schaute ihn lange an und schien sich in diesem engelhaft schlafenden Gesicht selbst zu verlieren. 'Der Arme scheint ja einiges mitgemacht zu haben!' dachte Marti dabei. "Du bist mir lustig!" schmunzelte Muse, worauf sie Marti wüst aus ihre Gedanken riss: "Kaum ist dein einer Macker hinüber, schon hast du gleich den Nächsten hier liegen!" Doch Marti reagierte nicht weiter auf sie. Viel eher stellte sie sich nun die Frage: "Was soll ich jetzt mit dem machen?" "Du solltest ihn, denk ich, erstmal in Frieden lassen", antwortete Muse und musste nun wieder an das denken, was sie über Ls Kopf gelesen hatte: Nur noch mickrige 23 Tage Restlebenszeit. Normal durften Shinigami den Menschen keine Auskünfte darüber geben und Muse war wirklich bereits tief genug in den Schlamassel gerutscht, Marti überhaupt ihr Death Note zur Verfügung gestellt zu haben... So verblieb sie mit einem Schweigen. "Ich hol ihm erstmal ein nasses Tuch." entschied Marti und hastete aufgeregt ins Badezimmer um einen kleinen Lappen zu befeuchten. Diesen legte sie dem Kranken dann vorsichtig auf seine Stirn nachdem sie mit ihrer Hand auch die anderen verbliebenen Haarsträhnen seines überaus langen Ponys nach hinten gestrichen hatte. Mit einem etwas verkrampften Gesicht stieß er einen kläglichen Seufzer aus. "Oh Mann, was mach ich denn nur mit dir??" fragte Marti langsam völlig ratlos. "Nun", mischte sich Muse ein: "Ich kenne mich ja mit all dem Kram nicht aus, aber du könntest ja versuchen, ihn mal zu füttern!?" Marti sah ihn sich weiter an und überlegte: "Hm, sicher nicht schlecht! Wollte eh bald Mittagessen machen." L verfiel wieder in eine Art Tiefschlaf; sein Gesicht entspannte sich wieder und fiel auf die linke Seite. Ein letzter langer Seufzer, dann war er wieder ruhig. Marti begab sich nun in die Küche, mit der zuvorigen Bitte an Muse, etwas auf ihn aufzupassen, was sie nur flacksig beantwortete: "Was kann ich groß tun? Der sieht doch noch nicht einmal, dass ich überhaupt da bin, sofern er denn überhaupt nochmal irgendwas sieht..." "Jetzt laber keinen Scheiß!" grummelte Marti. In der Küche bereitete sie alle Zutaten für eine köstliche Miso-Suppe vor. Während sie das Gemüse schnitt und alles nach und nach in einen mittelgroßen Kochtopf gab, gingen ihr einige sehr beklemmende Gedanken durch den Kopf. Ihr fiel wieder Akiba ein und sie wurde partout wieder von den grausigsten Tatsachen eingeholt, dass sie allein seinen Tod zu verantworten hatte. Sie waren immerhin stolze vierJahre zusammen gewesen und früher oder später würde sich seine hinterbliebene Familie an sie wenden. Sie trug immerhin als seine jahrelange Partnerin einen guten Teil an Verantwortung für ihn. Was also sollte sie ihnen bloß erzählen? Ferner musste sie wahrscheinlich auch selbst die Todesnachricht überbringen. Wie gerne hätte sie jegliche Verantwortung und Rechenschaft von sich geworfen und sich am liebsten vor allen versteckt. Das wiederum konnte sie allein schon mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, welches ohnehin schon mehr als getrübt war. Marti fühlte sich nur noch am Ende, und es würde wohl grad erst angefangen haben... Und jetzt hatte sie sich auch noch einen Fremden aufgeladen, der nun ebenfalls in ihrer Verantwortung steckte. VERANTWORTUNG - ein Wort, welches Marti allmählich zu hassen begann. Das machte sie redlich charakterschwach, denn normal sollte sie schon zu dem stehen, was sie getan und verschuldet hatte. "Ohje!" sagte sie sich und wurde mit einem Mal wieder ganz betrübt. Sie hatte Angst. Noch eine ziemlich lange Weile saß sie schweigend mit gesenktem Kopf in ihrer Küche an ihrem Esstisch und malte sich die schrecklichsten Dinge aus, die ihr wohl noch bevorstehen würden. Die Suppe wurde aufgesetzt und schon bald machte sich erster Geruch von den köstlichsten Gewürzen und Gemüsesorten breit. Marti gab noch Asianudeln dazu. Nun handelte es sich nur noch um wenige Minuten, dann würde es Essen geben. Plötzlich klingelte das Telefon. Marti nahm ab. Wer konnte das denn um diese Zeit sein? Die häufigsten Anrufe kamen meist erst immer in der Abendzeit und selbst das war mittlerweile äußerst selten geworden. "Chemitoshi-chan hier!" war sogleich eine leise, abgeschnitten klingende Frauenstimme zu hören, welche von deutlichem Schluchzen untermalt war. Es war Akibas Mutter. "Es... t-tut mir... so... leid!" weinte sie hörbar zitternd: "Soeben hat mich die Polizei verständigt. Es... ist so schrecklich, Marti...!" Martis Puls stieg auf 180; sie fühlte sich äußerst überrumpelt und hatte sich nun natürlich in die Situation gemäß hinein zu versetzen, was jedoch bereits auch hier schon wie von allein ging, da Martis übles Gewissen ihr wahrlich mit Schweißausbrüchen zusetzten. Sie hätte am liebsten selbst losgeweint. "J-j-ja... ist es..." schluckte sie bitter. "... ich kann es nicht glauben." weinte Mutter Chemitoshi-chan noch kläglicher: "Warum nur? Warum mein Junge? Warum ausgerechnet er??" "Ich weiß es doch selber nicht! Es ist einfach nur furchtbar..." jammerte Marti, dass ihr plötzlich selbst Tränen in die Augen stiegen. Sie hätte zu gerne sofort aufgelegt, doch das konnte sie auch nicht so ohne Weiteres machen. So sagte sie leise: "Ich würde so gerne was tun, nur..." Sie hielt inne und schnappte gequält nach Luft. "Hattest du in der ganzen letzten Zeit irgendwelche Auffälligkeiten in seinem Verhalten und seiner Gesundheit festgestellt?" wollte Chemitoshi-chan wissen und hatte größte Mühe bei all dem unwillkürlichen Schluchzen und Weinen überhaupt noch einigermaßen deutlich zu sprechen. "Nein!" antwortete Marti schnell und direkt: "Gar nix!" Sie klang als konnte sie es selber auch noch nicht fassen. Alles, nur unter gar keinen Umständen irgendwas anmerken lassen, dass sie in Wahrheit über jede Einzelheit bescheid wusste... Sie hoffte bloß, dass niemand, mit Ausnahme von Muse natürlich, irgendetwas von dem Streit, den sie zuvor gehabt hatten, mitgekriegt hatte. "Liebes Kind, willst du nicht besser zu uns kommen?" schlug Chemitoshi-chan mitleidig vor. "Du bist jetzt allein. Wir alle sind es! Komm doch besser für einpaar Tage zu uns! Arbeiten gehen wirst du wohl die nächsten Tage über sowieso sicher nicht können." Marti japste. Das würde ihr grad noch fehlen, eine solch direkte Konfrontation ertragen zu müssen; sich stundenlange Diskussionen, Spekulationen und Trauerausbrüche über jenen Menschen anhören müssen, den sie selber auf dem Gewissen hatte. Und dann noch so zu tun als wäre sie selber völlig fertig und wüsste nicht, wie das alles nur passieren konnte. Nein, das wollte und konnte sie einfach nicht. Zwar war ihr Verhältnis zu seinen Eltern bisweilen immer ziemlich gut, aber sie wollte nun am liebsten auch ihnen möglichst für immer aus dem Weg gehen. Zügig lehnte sie mit einem Ton von dankbarem Mitleid ab: "Wirklich sehr lieb, aber bitte hab Verständnis dafür, dass ich meine Ruhe brauche! Ich möchte in den nächsten Tagen einfach nur allein sein..." In diesem Moment schwebte Muse aus dem Wohnzimmer zu Marti hinüber und befand sich nun stillschweigend an ihrer Seite im Flur bei dem Telefon, welches dort an der Wand montiert war. Sie lauschte dem Gespräch nun aufmerksam. "Aber Marti..." wendete Chemitoshi-chan ein: "Meinst du, das ist auch wirklich gut, wenn man sich so vergräbt? Du musst grad jetzt offen und bereit sein, dich anderen über deinen Kummer anzuvertrauen. Nichts in dich rein fressen! Am Ende wirst du nur verbittert und verschlossen..." Damit hatte die gute Frau, die eigentlich stets nach dem Besten gesinnt war, in Marti einen wunden Punkt getroffen. Entsprechend dem fauchte sie nach einigen Sekunden des Schweigens nur noch leise in den Hörer: "... Das bin ich doch bereits schon!" Mit diesen Worten legte sie auf und steckte das mobile Telefonteil auf seine Station an der Wand. Dann begab sie sich zu der Telefondose und zog den Stecker. Sie wollte vorerst keine Anrufe mehr erhalten. Auch wenn ihr Akibas Familie nach all der Zeit ziemlich an Bedeutung gewonnen hatte, so wollte sie den Kontakt nicht länger aufrecht erhalten. Zu riskant wäre es für sie, wenn seine Eltern vielleicht am Ende "mehr sehen/befürchten" könnten als andere, denn meist haben Eltern ja ihren ganz eigenen gewissen Spürsinn... Marti war ganz mulmig bei dem Gedanken, es sich mit ihnen zu verscherzen, doch es gab nun mal kein Zurück mehr. Und der erste Meilenstein war gelegt, indem sie seine Mutter nun eiskalt abgewimmelt hatte. Gerade sie traf sowas bisweilen immer sehr hart und sie war da meist äußerst empfindlich. Muse schmunzelte mal wieder auf ihrer zynischen Art: "Marti, du gewitztes Weibsbild, du..." "Was bitte soll ich denn anderes machen?!!" fuhr Marti sie gereizt an. "Ich hab doch nix gesagt!" grollte Muse zickig zurück: "Du fühlst dich aber auch jedes Mal gleich angegriffen...!" "Sei du mal in so einer beschissenen Situation! Bin eben völlig durcheinander und weiß echt nicht, wie es nun weitergehen soll..." Martis Blick sank besorgt zu Boden. "Du lebst jetzt dein freies, unbeschwertes Leben, genießt es und hast an neuer Erkenntnis gewonnen, das Richtige getan zu haben, indem du endlich mal über deinen Schatten gesprungen bist." riet Muse: "Glaub mir, nichts ist für eine Frau von höherer Wichtigkeit als Freiheit und die Tatsache, frei über sich selbst bestimmen zu können. Alles andere regelt sich immer irgendwie, aber DAS ist nun mal die absolute Grundvoraussetzung! Sieh mich an, ich tue laufend irgendwelche Dinge, deren Richtigkeit ich nur allzu häufig hinterfrage, und am Ende war ich bislang immer froh, es getan zu haben! Ich bereue nichts!" Und sie begann zu singen: "Je ne regret rien... Je ne regret rien...." Dann schwebte sie einmal um Marti herum und stellte fest: "Nun, Marti, ich hab das Gefühl, eigentlich ganz froh zu sein, dass wir uns begegnet sind. Ich sehe so vieles von mir in dir wieder! Du bist nahezu das Ebenbild meinerseits als ich so jung war wie du!" "Erleben denn Shinigami überhaupt einen Altersprozess?" hinterfragte Marti skeptisch. "Na sicher!" grollte Muse: "Halt anders als ihr Menschen. Wir leben über Jahrhunderte hinweg bis in die Unendlichkeit; sind fast unsterblich. Wir haben vieles gesehen und erlebt und wir sind deshalb hocherhobene weise Wesen!" Muse begann ganz leicht über ihre eigenen Worte zu schmunzeln. Dies steckte Marti im Nu an, denn der Gedanke, sich eine derart durchgeknallte Lady wie Muse in irgendeiner Form als weise vorzustellen, war derart absurd, dass er schon wieder witzig war. "Leg dich lieber nicht mit einem von uns an und unterschätze uns niemals!" warnte Muse etwas gekünstelt. Marti musste amüsiert lachen, was Muse sogar ein wenig Erleichterung verschaffte, denn sie war froh, sie ein wenig aufmuntern zu können. Plötzlich vernahmen beide ein gequältes Stöhnen aus dem Wohnzimmer, gefolgt von einem Bewegungsgeräusch, ausgehend von der Couch. Marti wusste sofort bescheid und hastete ins Wohnzimmer hinein. Muse folgte ihr wieder. L war gerade dabei, sich auf der Couch aufzurichten zu versuchen. Er fasste sich an seinen schmerzenden Kopf und hielt darauf das noch immer etwas feuchte Tuch in seiner Hand. Fragend blickte er es an. "Bleib liegen!" rief Marti und lief eilig auf die Couch zu um ihn festzuhalten. L sah sie mit kläglichen, irritierten Augen an. Er hatte erschöpfte dunkle Augenringe. "Wie geht es dir?" fragte Marti und hockte sich zu ihm runter, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. "Geht. Danke." antwortete L knapp und musterte die Umgebung leicht. "Du warst zusammen geklappt, da habe ich dich mit zu mir genommen." klärte Marti ihn auf: "Wr gar nicht einfach, dich den ganzen Weg über zu stützen." "Aha." antwortete L müde: "Nun, danke jedenfalls. Ich werde dann jetzt besser..." Er versuchte aufzustehen, doch ehe er auch nur einen Fuß auf den Boden aufsetzen konnte, hielt Marti ihn gleich zurück: "Den Teufel tust du! Du bleibst gefälligst liegen, kurierst dich aus und genießt gleich erstmal 'ne schöne warme Suppe, die dich wieder zu Kräften kommen lassen wird!" "Aber..." L wollte sofort protestieren, wurde jedoch sogleich abgewimmelt. "Kein 'aber'! Das ist doch kein Zustand, so wie du aussiehst! Bist doch ganz offenbar krank, armer Kerl!" L hielt inne und sah Marti nur mit großen, runden Augen entgeistert an. "Wie heißt du denn?" fragte diese nun. L antwortete erst gar nicht. Viel zu perplex war er von dieser Situation gestimmt. Er wollte ja eigentlich von Grund auf jedem sozialen Kontakt aus dem Weg gehen; gar niemandem großartig auffallen, geschweige denn wissen lassen, dass es ihn gab. Das würde nicht gut sein, so war er sich sicher. Und nun war das eingetroffen, was niemals hätte passieren dürfen. Er hasste sich in diesem Moment selbst und warf sich innerlich bloße Unachtsamkeit vor. Er überlegte nun verzweifelt, wie er sich bloß schnell dieser Situation entziehen konnte. Was sollte er tun? Ihr antworten? Oder sie besser gleich grob zur Seite schubsen und aus der Wohnung flüchten? Dann aber wäre die Frage, ob seine Kräfte dafür ausreichten... L wendete seinen Blick ganz von ihr ab. Er drehte sich zur anderen Seite hin und vergrub sich fast völlig in die Lehne der Couch. Dabei krümmte er seinen Nacken. "Was denn?" Marti war überrascht über dieses fragwürdige Verhalten. Hatte er irgendetwas zu verbergen? Es wirkte jedenfalls so. L murmelte leise: "Danke für Ihre Hilfe, aber ich kann schon selbst auf mich aufpassen. Daher beliebe ich es jetzt zu gehen. Haben Sie bitte Verständnis." "So wie es um dich bestellt ist, hältst du vermutlich nicht mal mehr bis zur Wohnungstür durch und klappst mir erneut zusammen! Und lass es dir gesagt sein, nochmal stütz ich dich nicht!" sagte Marti konsequent. "Und wenn schon..." L seufzte. "Nun sei doch nicht so!" bat Marti und streckte sich ein wenig näher zu L hin, der ihr immernoch verschlossen den Rücken zu kehrte: "Sei froh, dass nicht alle so ignorante Gaffer sind wie die meisten Leute dort draußen in der Stadt!" L schwieg. Marti begann langsam, sich etwas aufzuregen. Sehr geduldig war sie grundsätzlich noch nie und stelle dieser Typ sie wahrlich auf die Probe. "Warum bist du nur so undankbar, verdammit???" wetterte sie ihn an. Von ihm kam keine Reaktion. "Hach.." Marti knurrte: "Ich muss nach meiner Suppe sehen! Und du bleibst hier ja brav liegen!" Sie stapfte beleidigt aus dem Zimmer hinaus Richtung Küche. Die Suppe kochte mittlerweile schon aromatisch und nachdem Marti sie mit einem Kochlöffel vorsichtig abgeschmeckt hatte, wusste sie, sie wäre nun in wenigen Minuten fertig. Sie holte ein kleines Schälchen aus ihrem Küchenschrank und befüllte dieses mit der noch kochend heißen Suppe. Angenehm würziger Duft machte sich in der Wohnung breit und erreichte schließlich auch L im Wohnzimmer. Mit einem Mal begann sein Magen wieder extremst zu knurren. Er wendete sich auf der Couch wieder um und setzte sich leicht auf während er sich mit einer Hand seinen dürren Bauch hielt. Da kam auch schon Marti mit der Suppe und zwei Stäbchen ins Zimmer gelaufen. Sie warf L ein freundliches Lächeln zu. "Hast wohl Hunger, wie?!" grinste sie und konnte ihm die Antwort praktisch von seinem großäugigen Blick ablesen. Sie hockte sich neben ihn auf die Couch und nahm mit den Stäbchen die ersten mit Gewürzen versehenen Nudeln aus dem Schälchen auf. Sie pustete einmal vorsichtig und führte die Portion schließlich zu Ls Mund hin. "Na dann, guten Appetit!" wünschte sie ihm dabei. L jedoch musterte die Suppe nur kritisch, fragte dann vorsichtig: "Welche... Gewürze sind da alles drin?" Marti blickte ihn darauf etwas verdutzt an: "Wie?" "Ist sie denn mit i-irgendwas Süßem verfeinert?" fragte L mit leerer, müder Stimme. Marti schaute ihn weiterhin nur fragend an, musste dann jedoch kichern. "Ach, einfach probieren! Los, versuch einfach mal!" Sie lächelte ihn dabei erneut lieb an. So nahm L vorsichtig den ersten Bissen von den Stäbchen. "Hmhmm, Miso ist es also!" stellte er ein wenig enttäuscht fest: "Naja, geben Sie halt her!" Und er nahm Marti das Schälchen aus der Hand, verzichtete gänzlich auf die beiliegenden Stäbchen und kippte sich die ganze Suppe gierig rein als wenn er nahezu über Jahre schon nichts mehr gegessen hätte. Marti warnte ihn dann nur noch völlig überwältigt: "Vorsicht! Die ist doch noch ganz... heiß!?" L schmatzte ungeniert als er die ganze Suppe hastig hinunter schlang. Nur eine Minute später reichte er Marti die leere Schale zurück mit der bittenden Frage: "Noch mehr?" Marti lächelte müde, erklärte sich aber gleich bereit, ihm einen kräftigen Nachschlag zu bringen. Bevor sie gänzlich aus dem Wohnzimmer schritt, rief L ihr noch nach: "Ach, und wenn Sie vielleicht auch noch etwas zu trinken hätten? Das wäre sehr nett." Marti kicherte. Muse hatte das Ganze natürlich wieder weitestgehend mit verfolgt und schwirrte Marti in die Küche nach. "Ich glaub, den haste an der Angel, Süße!" lachte sie hämisch: "Und wieder so'n Kerl, der dich ausnutzt!" "Muse, bitte!" widersprach Marti: "Der Typ ist hilflos und krank! Der braucht eine dringende Stärkung!" "Ich mein ja nur..." rechtfertigte sich Muse: "Gib einfach Acht!" "Jaja!" Marti verdrehte genervt die Augen, ehe sie mit der nächsten Portion Suppe und einem Glas Mineralwasser wieder ins Wohnzimmer zurück ging. Dankend nahm L beides entgegen und schlürfte genüsslich auch die nächste Portion in sich hinein. Dabei kleckerte er sogar ein wenig auf sein weites, weißes Oberteil. Marti schaute ihm dabei nur amüsiert zu. Sie freute sich, dass ihm ihre Suppe, trotz seiner anfänglichen Skepsis, sichtlich zu schmecken schien. Mit einem leisen Rülpser beendete er sein kleines "Festmahl" und reichte Marti die nun leere Schale mit den Stäbchen rüber: "Haben Sie vielen Dank! Ich muss gestehen, das hat mir wirklich ganz gut getan." "Geht es dir denn schon ein wenig besser?" erkundigte sich Marti, während sie das Geschirr an sich nahm. "Sicher, es wird schon." antwortete L in einem sehr trockenen Tonfall. Er schaute sie dabei reichlich nachdenklich an. Er verstand beim besten Willen nicht, dass und vor allem warum sich irgendjemand so um ihn kümmerte. Das war für ihn ein höchstbeklemmendes Gefühl, denn er hatte ja bisher, bis auf Watari, keine vertrauten Kontakte. Nun wurde für ihn seit einer Ewigkeit plötzlich gesorgt, obendrein noch von einer wildfremden Person, die anscheinend pures Mitleid mit ihm hatte, und er fragte sich, was das sollte. Mit erdrückender Bitterkeit im Gefühl fragte L sich verzweifelt, was denn das alles überhaupt noch für einen Sinn haben würde, da er doch eh bald sterbe. Zwar konnte diese Fremde das natürlich nicht wissen, aber es beeinflusste ihn insofern darin, ob er diese Hilfe denn überhaupt weiter groß zulassen sollte. Marti bemerkte Ls traurig gestimmten Gesichtsausdruck. „Aber, aber, was hast du denn nur? Warum so trübe? Bist doch in Sicherheit und es ist ja nichts passiert!“ Sie sah ihn eindringlich an, doch er erwiderte ihren Blick nicht länger als er nur trübselig seinen Kopf senkte und diesen auch noch bewusst von Marti abwandte. „Ist meine Sache.“ murmelte er stur. Marti wurde langsam ratlos. In diesem Moment kam er ihr sogar regelrecht undankbar vor. Sie versuchte es noch ein letztes Mal, indem sie vorsichtig seine Schulter berührte und mit sanfter Stimme zu ihm sprach: „Bitte, ich will dir doch bloß helfen!“ Doch L antwortete darauf nur direkt: „Ich brauche keine Hilfe mehr! Von nichts und niemandem!!“ „Bist wohl’n ganz Sturer, wie?!“ stellte Marti langsam etwas gereizt fest. L schwieg wieder. Das provozierte sie nur zusätzlich. Sie fuhr aufgebracht hoch und schrie ihn plötzlich barsch an: „FEIN!!! Dann hau doch ruhig ab hier! Wenn du wirklich meinst, du packst das alleine! Also ehrlich, so einer wie du ist mir auch noch nicht untergekommen! PAH!“ Wütend drehte sie ihm den Rücken zu und hastete aus dem Wohnzimmer hinaus in die Küche. L erstarrte in dem Moment. Diese Reaktion kam ihm etwas überraschend und hatte ihn entsprechend erschrocken. Ihm war die ganze Zeit alles so gleichgültig, dass er dabei gar nicht bemerkt hatte, wie unhöflich er sich Marti gegenüber wohl benommen haben musste. Nun hatte er sie sichtlich verärgert, was er zu keiner Zeit gewollt hätte. Er senkte wieder bestürzt seinen Kopf. Ihm waren sein Verhalten und die ganzen Umstände an sich nun einfach nur noch peinlich. Er wollte hier weg – um jeden Preis! Langsam versuchte er von der Couch aufzustehen. Anfangs mit zittrigen, schwachen Beinen, doch schließlich gelang es ihm doch, sich einigermaßen zu halten. Die Suppe hatte ihm wenigstens einen kleinen wenig seiner verschwundenen Kraft wieder gegeben. Auf dem Couchtisch stand immer noch das Glas Mineralwasser, welches Marti ihm mit der zweiten Portion gebracht hatte. Dieses trank er mit einem Schluck leer und er spürte, dass es ihm sehr gut tat und ferner, wie lange er wohl auch schon nichts mehr getrunken haben musste. Seine Kehle fühlte sich nun zunehmend belebter an. Mit schweren Schritten ging er aus dem Zimmer durch den Flur. Er bewegte sich zur Hautür hin, riskierte aber noch einen letzten, vorsichtigen Blick in die von dort aus gut einsehbare Küche, in der Marti auf dem Boden an ihrem Esstisch hockte und ihr Gesicht traurig in ihrer linken Handfläche vergraben hatte. L wusste nicht recht, wie er sich nun verhalten sollte. Immerhin hatte sie ihm sehr geholfen und sich um ihn zu kümmern gemüht. Er wusste sehr wohl, dass sein Verhalten nicht richtig war und er diese junge, fremde Frau nun gekränkt haben musste. Dennoch hatte er große Hemmungen, noch mal zu ihr in die Küche zu gehen... Mit einer Spur von Bedenken jetzt das Richtige zu tun, wandte er sich wieder der Haustür zu und öffnete diese schließlich, um sich leise aus der Wohnung zu schleichen. Marti allerdings hatte ihn die ganze Zeit über bemerkt; jeden einzelnen seiner Schritte. Und sie war ziemlich sauer. Muse hingegen belächelte die ganze Situation nur wieder. „Ich glaube, da liegt wohl etwas Gewittriges in der Luft, wie?!“ lachte sie zu Marti, die immer noch nicht aufschaute. Diese fauchte Muse daraufhin diskret an: „Hau ab, los! Verpiss dich!“ „Hey, hey, hey, ich hab den nicht rausgegrault!“ wetterte Muse eingeschnappt entgegen. Da Marti sprang plötzlich ganz überraschend von ihrem Platz auf mit ihrem wütenden Blick zu Muse gerichtet. Ihre Augen blitzten den Shinigami stocksauer an als sie sie wie von Sinnen anschrie: „Verschwinde!! Du bist hier jetzt absolut überflüssig!“ Muse schreckte ein wenig zurück, gab dann aber gleich kontra: „Biste nun völlig meschugge, oda wat? Nagut, dann bin ich halt erst einmal wech. Ganz los kannste mich eh nimmer werden, solange du an meinem Death Note gebunden bist! So ist die Regel! Na dann, bis dann wann! Ciao, du olle Zicke!“ Und sie verdünnisierte sich durch die Wand ihrer Küche bis sie ganz aus Martis Sichtweite glitt. Marti war einfach nur noch am Ende und wollte vorerst keine Gesellschaft mehr. Nicht einmal die eines Shinigami. Sie fühlte sich schlichtweg allein, unverstanden und vergolten. Warum da noch weitere Erniedrigungen und Spott? Das konnte sie nun wirklich nicht länger gebrauchen, auch wenn sie insgeheim wusste, dass Muse sie lediglich gern aufzog und ihr im Grunde eine Art „Freundin“ sein wollte... L fühlte sich an diesem frühen Nachmittag nicht viel anders. So sehr er sich auch mühte, er konnte das Geschehene von vorhin einfach nicht vergessen und er machte sich selbst immer noch die bittersten Vorwürfe, sich falsch verhalten zu haben. Ferner spürte er, dass ihm die Suppe physisch schon ziemlich gut getan hatte, denn seine Kräfte kamen allmählich wieder. Ihm war zumindest nicht mehr ganz so schwindelig und sein erbärmliches Hungergefühl schien vorerst auch ein wenig gestillt. Er fühlte mit einem Mal wieder etwas mehr Appetit; das Bedürfnis, sich selbst etwas Gutes zu tun. Das hatte er seit Monaten nicht mehr in der Form gefühlt. Scheinbar war es wirklich notwendig, dass jemand ihm da geholfen hatte. Umso reumütiger war ihm nun zumute. Normal entsprach dieses Verhaltensmuster, welches er ihr gegenüber an den Tag gelegt hatte, wirklich nicht seinem Charakter. Ihn regte jener Undank, von dem unsere heutige moderne Welt großteilig beherrscht war, häufig schon selbst auf und nun war er selbst in dieses Muster gerutscht. Zwar war er nicht danach gesinnt, mit dieser Fremden näheren Kontakt zu suchen, aber irgendeine Gestik des Dankens wollte er schließlich dennoch vonstatten lassen. So schritt er nun durch die Innenstadt in einem jener Läden, die zu Wataris einstigen Stammläden gehörten, wenn es um ein hohes Sortiment an guten, qualitativen Süßwaren ging. Dort stellte er eine Vielfalt an Donuts, Schokolade, Erdbeereis, Pralinen, Bonbons und noch vieles mehr in Rechnung, was, nach seiner Einschätzung, wohl für die restlichen ihm noch zur Verfügung stehenden Lebenstage ausreichen würde. So nahm er sich vor, dass dies das letzte Mal sein würde, wo er sich an die Öffentlichkeit begeben hätte... Im Totenreich der Shinigami herrschte zur gleichen Zeit auch eine angespannte Stimmung. Shiozzan, der Oberste aller Todesgötter, hatte von Muses „Ausflug“ in die Menschenwelt erfahren; ebenso was mit ihrem Death Note geschehen war, und er geriet schier in Aufruhr. Wütend befahl er Muse zu sich. Diese glitt nur lässig zwischen sämtlichen Gebeinen und Totenschädeln zu seinem Thron und fragte noch vollkommen kühl: „Joa, was gibt’s denn so?“ „Das fragst du mich auch noch??“ wetterte Shio sogleich ungehalten los: „Du weißt am allerbesten, warum ich dich zu mir gerufen habe!“ „Äh nö? Kein Plan, echt!“ tat Muse auf dumm, jedoch mit einer gewissen Vorahnung, die ihr insgeheim gar nicht behagte... „Du hast dein Death Note in die Menschenwelt eingebracht, worauf schwere Folgen entstanden sind – durch DEINE Anstiftung!“ Shio hob seine ohnehin schon sehr laute, dominante Stimme an: „Weißt du eigentlich nicht, was für Unheil du damit angerichtet hast und noch anrichten wirst?!??“ Muse zuckte nur mit den Schultern. Shio konnte sie schon ewig nicht mehr richtig beeindrucken. Sie hörte mittlerweile über alles, was er ihr sagte, nur noch hinweg, denn er ging ihr mit seiner „Wichtigtuerei“ und seinem ewigen Gebrüll einfach nur noch auf die Nerven. Sie belustigte sich daran stets lediglich noch. „War klar, dass du wieder so bist!“ grunzte Shio und wurde immer wütender, wenn auch das bereits jetzt kaum mehr möglich zu sein schien, so sehr wie er sich bereits in Rage geredet hatte. „Was soll ich dazu denn jetzt groß sagen?“ tat Muse fast schon gelangweilt: „Es war Notwehr! Nicht mehr und nicht weniger...“ „Notwehr? NOTWEHR??“ Shio traute seinen Ohren nicht. „Hab du erstmal ‚nen Macker, der dir dein Leben zur Hölle macht und du dir nur noch wünschst, dass er endlich abkratzt...“ versuchte Muse anzudeuten, erntete von Shio jedoch, wie erwartet, nur einen verständnislos verachtenden Blick. „Hä? Muse, du nimmst die Sache mal wieder ganz leicht und denkst, das hier wäre alles nur eins deiner vielen blöden Spielchen, wie?!“ brüllte Shio weiter. „Bist eben auch nur ‚n männlicher Volltrottel und kapierst rein gar nix, aber das war ja uch so was von klar...“ winkte Muse entnervt ab. „SEI NICHT SO VERDAMMT VORLAUT!“ wetterte Shio ganz außer sich vor Zorn. „Schon gut, schon gut!“ Muse wendete sich langsam nur noch genervt von ihm ab: „Und nun? Hab noch anderes zu tun als mir dein behindertes Gelaber anzuhören, welches sowieso nun frei von jeglichem Sinn ist, denn es ist nun einmal passiert. Und? Der Kerl ist jetzt hinüber, Marti eine freie, ungebundene Frau, was sie auch verdient hat, und ich halte mein Death Note doch bei mir. Es wird damit nix weiter Tragisches passieren...“ „Damit ist es nicht getan!“ klagte Shio: „Du bist nicht imstande, dieses Heft länger bei dir zu führen! Du bist dumm und unreif wie ein Mensch! Ich will, dass du mir dein Death Note aushändigst! Jetzt sofort hier und auf der Stelle!“ Shio machte mit seinem skellettierten, mit einem schwarzen eisernen Ring versehenden Finger eine deutliche Geste, indem er damit knallhart auf den Boden deutete; dabei schwenkte er seinen Finger immer wieder auf und ab. „Hach, wenn du meinst, dass wir dann wieder alle glücklich sind, meinetwegen!“ seufzte Muse immer genervter. Natürlich gefiel es ihr alles andere als gut, ihr Death Note beschlagnahmt zu wissen. Das wies ihr Umfeld nur darauf hin, dass sie seiner nicht würdig war, was sie deutlich unreif und beschränkt aussehen ließ. Es kränkte sie merklich in ihrem Stolz. Sie griff schließlich in die linke Tasche ihrer zerfetzten Lederjacke, wo sie ihr Death Note bisher immer sicher verwahrt hatte. Jedoch schien jene Tasche leer zu sein. Muse wühlte intensiver darin herum, knöpfte sich dann anschließend ihre rechte Tasche vor. – Auch nichts! Sie hatte noch einige weitere, in denen sie anschließend noch herumwühlte, doch alles, was sie letztendlich fand, war lediglich nur der kleine Taschenkuli, der ihrem Death Note stets angefügt war. Weiter nichts. „Ähm... nun.... reicht auch der Kuli?“ Und sie wollte ihn dem Shinigami-Oberhaupt überreichen. Der jedoch schaute Muse nur ganz entgeistert an und schlug ihr den Kuli in einem Anfall von packender Wut aus ihrer Hand. Er landete zwischen einigen Gerippen auf dem Boden des Todesreichs. „Hey, hey, ganz easy, ja?“ grummelte Muse außer sich. „Jetzt sag ja nicht, du hast...“ Shio wollte es lieber erst gar nicht laut aussprechen. Er schüttelte nur stocksauer seinen Kopf: „Nein, nein, nein! Das kann doch nicht wahr sein!“ „Ich muss es wohl irgendwo in meinem Territorium haben! Wenn du also eben einpaar Minuten warten könntest!?...“ Schnell wendete sich Muse ab und zischte davon, noch ehe Shio dagegen dementieren konnte, was er nur zu gern getan hätte. „Himmel, Blitz und Donner!“ wütete er: „Komm bloß schnell wieder, ich warne dich! Ansonsten hagelt es schwere Konsequenzen!“ Natürlich wusste Muse ganz genau, dass ihr Death Note nicht in ihrer Tasche war. Auch wusste sie, dass sie es nicht in ihrem Revier hier im Totenreich gebunkert hatte. Sie wusste ganz exakt, wo sie es hatte, da sie darauf vorbereitet war, dass Shio es ihr abnehmen wollen würde; bereits als dieser sie zu sich bestellt hatte. Also ließ Muse es gezielt in Martis Zimmer fallen, wo es fürs Erste sicher verwahrt sein würde. Und offiziell würde Muse vor Shio weiterhin den „verpeilten Tollpatsch“ spielen, der sie für ihn sowieso schon immer gewesen war. Niemals hätte sie es so einfach zugelassen, dass man ihr Death Note fortnehmen würde, wenn auch sie selbst wusste, dass sie schlichtweg besser drauf hätte Acht geben sollen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)