Das Rudel des Wolfes von Rejah (RL / SB) ================================================================================ Kapitel 13: Einsamer Wolf ------------------------- Einsamer Wolf Nachdem er das Einverständnis von Potter bekommen hatte, begann Remus noch am gleichen Abend die Suche nach einem geeigneten Zauberspruch. Diese gestaltete sich schwieriger als erwartet: Zwar kannte er sich in der Bibliothek wahrscheinlich besser aus als Madam Pince, die Bibliothekarin. Jedoch wurde er in keiner der Abteilungen, in denen er jedoch etwas Nützliches erwartet hatte, fündig. So schnell wollte er jedoch nicht aufgeben und so durchsuchte er in den nächsten Tagen auch andere Abteilungen, von denen er sich zwar nicht viel erhoffte, die er aber nicht unversucht lassen wollte. Zu seinem Erstaunen hatten Potters Hänseleien zum gleichen Zeitpunkt erheblich nachgelassen. Sie waren nicht ganz verschwunden – immerhin ging es hier um Potter. Doch sie waren auf ein erträgliches Maß heruntereschraubt. Ob es an seiner Recherche lag oder ob Black ihn dazu gebracht hatte oder eine Mischung aus beidem – Remus war es relativ egal. Zum ersten Mal seit Langem hatte er das Gefühl, dass etwas Gutes im Gange war. Vollbepackt mit einem Stapel von schweren Büchern ging er wieder zurück an den Tisch, den er seit mehreren Tagen in der Bibliothek belagerte. Auf dem Tisch lagen weitere Bücher, von denen manche mit kleinen Zetteln bespickt waren, die er zwischen die Seiten gesteckt hatte. Auf ihnen standen Notizen, von denen er glaubte, dass sie ihm vielleicht einmal nützlich werden konnten, auch wenn er dort nicht viel Hoffnung hegte. Daneben lagen verstreut einzelne Pergamentbögen mit weiteren Notizen, doch keiner seiner Ansätze hatte ihn weitergebracht. Bisher war er immer wieder in einer Sackgasse gelandet. Konzentriert schlug er das erste Buch seines Stapels auf und überflog das Inhaltsverzeichnis. Tatsächlich befasste sich ein Unterkapitel mit Passwörtern und wie man sie an Objekte anbringen konnte. In der Hoffnung, diesmal tatsächlich etwas gefunden zu haben, schlug Remus die Seite auf und griff nach seiner Feder, die er auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Seine Hand glitt über Pergament, dann über das raue Holz des Tisches. Stirnrunzelnd blickte er zur Seite, um die Feder zu finden. Sie war nicht da. Dabei war er sich sicher, dass er sie auf dem Pergament liegen gelassen hatte, auf dem er sich zuletzt Notizen gemacht hatte. Verärgert darüber, dass er jetzt seinen Gedanken festhalten musste, bis er die Feder gefunden hatte und sich Notizen machen konnte, hob er die einzelnen Blätter hoch, blickte hinter die Bücherstapel, sah sogar unter dem Tisch nach – doch nichts. Jetzt war Remus nicht nur genervt, sondern auch irritiert. Er hatte die Feder doch an genau dieser Stelle abgelegt! Selbst wenn sie aus irgendeinem Grund vom Tisch heruntergerollt wäre, hätte sie doch darunter liegen müssen. Vielleicht war sie weitergerollt? Remus stand auf und ging zum nahegelegensten Regal, wo er sich herunterbeugte, um nachzusehen, ob sie vielleicht darunter gerollt war. Seine Feder fand er nicht. Dafür ein Paar Schuhe, die sich hektisch entfernten, als er sie erblickte. Jetzt vollends verwirrt, stand Remus wieder auf und blickte über die Buchrücken hindurch auf die andere Seite des Regals, doch natürlich war derjenige, wer auch immer dort gewesen sein mochte, schon längst verschwunden. Verärgert darüber, dass seine Feder anscheinend spurlos verschwunden war, machte er sich auf den Weg zu Madam Pince, von der er sich eine neue leihen würde. ~~~~~*~~~~~ Es war schon später Abend und kurz vor Sperrstunde, als Remus beschloss seine Recherchen für diesen Tag zu beenden. Er gähnte und streckte sich, sodass die Knochen in seinem Rücken knackten und stand auf. Die Bücher musste er leider alle wieder zurück in ihre jeweiligen Regale stellen, da Madam Pince sonst einen mittleren Anfall bekommen würde, er hatte sich jedoch aufgeschrieben, welche er noch nicht durchgesehen hatte und machte sich deshalb keine Sorgen, diese wiederzufinden. Er war der Letzte in der Bibliothek, selbst die Bibliothekarin war schon gegangen, wissend, dass er ihren geliebten Büchern kein Haar krümmen würde. Auf dem Gang vor der Bibliothek war es auch schon dunkel. Nur ganz am Ende, kurz bevor der Gang eine Biegung machte, spendeten zwei Fackeln ein wenig Licht. Remus schulterte seine Tragetasche und machte sich auf den Weg in den Gryffindorturm. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er sich besser beeilen sollte, falls er noch zur erlaubten Zeit ankommen wollte und so legte er einen Schritt zu. Während er durch die Gänge hastete, glitten seine Gedanken immer wieder zu Black. Seit er die meiste Zeit in der Bibliothek verbrachte, hatten er und Black keine Zeit mehr füreinander gehabt. Tatsächlich war ihr letztes Stelldichein fast eine Woche her. Vielleicht sollte er sich den nächsten Tag einfach frei nehmen und Black eine Nachricht zukommen lassen. Der würde sich über ein bisschen Initiative sicher freuen. Bei diesem Gedanken errötete Remus innerlich und beschloss, sich wirklich mit Black am nächsten Tag zu treffen. Jedoch achtete er nicht auf seinen Weg. Die Dunkelheit, die nur alle paar Meter durch Fackeln neu erleuchtet wurde, trug ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass Remus schließlich über irgendetwas stolperte und der Länge nach auf den Boden knallte. Seine Tasche flog im hohen Bogen davon und landete ein paar Meter weiter auf dem kalten Stein. Remus hatte sich bei dem Fall den Kopf gestoßen, welcher sofort zu pochen anfing. Mühsam rappelte er sich auf und hielt sich die Stirn. Das würde eine Beule geben. Er sah sich um, um zu sehen worüber er gestolpert war. Doch nichts. Der Gang war vollkommen leer. Es stand auch kein Stein heraus, über den er hätte fallen können. Und er war sich ziemlich sicher, nicht über seine eigenen Füße gestolpert zu sein. Vielleicht ein Tier? Viele Schüler hielten sich ein Haustier, es war gut möglich, dass ihm eine Katze über den Weg gelaufen war und er sie einfach übersehen hatte. Andererseits hatte sich das, wogegen sein Fuß gestoßen war, viel kleiner als eine Katze angefühlt. Erst seine verschwundene Feder – und jetzt das. Remus war nicht nur irritiert, jetzt fürchtete er sich auch. Paranoid geworden schwenkte er seinen Kopf schnell in beide Richtungen des Ganges, dann hob er seine Tasche auf, packte die herausgefallenen Bücher unter seinen Arm und setzte seinen Weg etwas schneller fort. ~~~~~*~~~~~ Als er endlich im Gemeinschaftsraum ankam, fand er ihn halbvoll mit Schülern. Black und Potter saßen in einer Ecke nahe dem Kamin und spielten ein Kartenspiel. Black sah auf, als Remus gehetzt durch das Portraitloch kam. Er wusste, dass er einen seltsamen Eindruck machen musste: Er war vollkommen außer Atem, in einer Hand hatte er seine Tasche, in der anderen deren Inhalt, den er in der Eile nicht mehr an seinen Ort zurückgepackt hatte. Keuchend ließ er sich auf das Sofa direkt neben Black plumpsen. Er wollte nun wirklich nicht allein in ihren Schlafsaal. Nicht, dass schon wieder irgendetwas Seltsames geschah. „Was ist los?“, fragte Black ihn irritiert und warf eine Karte auf den Stapel in der Mitte. „Du siehst aus, als wärst du im Verbotenen Wald gewesen.“ Remus wollte schon zu einer Antwort ansetzen, schloss seinen Mund aber wieder. Was sollte er sagen? Dass er seine Feder verloren hatte? Dass er gestolpert war, aber nicht wusste worüber? Es klang so banal, doch Remus wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahinter steckte. Oder bildete er sich das alles einfach nur ein? „Nichts, ich bin nur … ich hab mich nur beeilt. Wegen der Sperrstunde.“ Immerhin war das die halbe Wahrheit. Black schien diese jedoch zu genügen und er wandte sich wieder dem Kartenspiel zu. Remus legte seine Tasche neben dem Sofa ab und setzte sich neben ihn. Er versuchte eine Weile, dem Spielverlauf zu folgen, ohne überhaupt zu erwarten, zum Mitspielen aufgefordert zu werden – er war tatsächlich ein sehr schlechter Spieler. Während er das Konzept des Spieles verstanden hatte, war er einfach nicht schnell genug, um die richtige Karte abzuwerfen, eine Fähigkeit, die unabdingbar war. Black saß nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Remus erinnerte sich daran, wie sie zusammen im Hogwarts-Express gesessen hatten, beinahe Bein an Bein, als er ihm das Spiel beigebracht hatte, und kämpfte gegen die aufkommende Röte in seinen Wangen an. Einen Augenblick lang wünschte er sich, näher rücken zu dürfen, doch war das in Potters Anwesenheit wie auch der zahlreicher anderer Schüler keine gute Idee. Merlin, er sollte ihm wirklich eine Nachricht zukommen lassen. Black dagegen schien seine Nähe nicht das Geringste auszumachen. Seine Gedanken waren vollkommen auf das Spiel konzentriert und er lachte triumphierend, als er in einer Runde die Oberhand gewann. Potter streckte ihm nur die Zunge entgegen und schwor auf Rache. Remus wusste, dass Black ihm hier keine große Zuneigung entgegenbringen konnte, dennoch hoffte er auf geradezu lächerliche Weise auf einen Blick, ein kurzes Lächeln oder sonst irgendein Anzeichen, dass Black überhaupt noch wahrnahm, dass er neben ihm saß. Doch nichts von alldem geschah und Remus, der wegen der seltsamen Geschehnisse früher an diesem Abend sowieso schon angespannt war, spürte, wie sich seine Laune Minute um Minute verschlechterte. Schließlich entschuldigte er sich und stand auf, Black einen vielsagenden Blick zuwerfend. Dieser winkte ihm jedoch nur zu und wandte sich dann wieder zu Potter, der wiederum gar nicht registriert hatte, dass er ging. Remus seufzte innerlich, für heute würde er es jedoch auf sich beruhen lassen. Es war ein langer Tag gewesen – erst seine üblichen Schulstunden, dann die Erledigung seiner Hausaufgaben und, als ob das nicht schon Arbeit genug gewesen wäre, die Recherche für Potters Karte. Er fühlte sich wirklich ausgelaugt, körperlich wie auch geistig. Müde schlurfte er die Treppe zu ihrem Schlafsaal hoch. Er wollte gerade die Tür öffnen, als sie auch schon von innen aufgerissen wurde und Pettigrew an ihm vorbeihastete. Er warf ihm einen unverhüllt bösen Blick zu und ging dann hinunter in den Gemeinschaftsraum. Remus blickte ihm noch kurz hinterher, war aber einfach zu müde, um sich weitere Gedanken zu machen. Die Türe hinter sich schließend begab er sich ins angrenzende Bad und machte sich bettfertig. Es musste schon spät in der Nacht sein, als die Rumtreiber endlich in den Schlafsaal kamen. Remus glaubte nicht eine Sekunde daran, dass sie Rücksicht auf die einzige schon schlafende Person nehmen würden, nicht nur, weil das wirklich etwas Neues gewesen wäre, sondern auch, weil sie schon beim Aufmachen der Türe unglaublich laut waren. Black war der Einzige, der seine Stimme zumindest ein bisschen gesenkt hatte, als sie im Badezimmer verschwanden. Potters laute Stimme konnte er jedoch noch durch die Tür hören, ganz zu schweigen von Pettigrews schriller, piepsiger Stimme. Er drückte den Kopf in sein Kissen. Er war gerade wieder am Eindösen, da ging die Badezimmertür erneut auf und er bekam wieder die volle Lautstärke ihrer Unterhaltung mit. Nach einigem Geraschel und Bettquietschen und noch mehr nur wenig auf ihn Rücksicht nehmender Gespräche – irgendetwas über die Stärke von Ravenclaws Quidditchmannschaft – kehrte endlich wieder Ruhe im Schlafsaal ein. Remus drehte sich auf den Rücken. Die Decke bis zum Kinn hochgezogen, starrte er an die Decke seines Himmelbettes. Jetzt war er hellwach. ~~~~~*~~~~~ Am nächsten Morgen fühlte Remus sich wie gerädert. Zwar hatte für den Rest der Nacht Ruhe geherrscht – einmal wach war es ihm jedoch nicht mehr gelungen, ein Auge zuzumachen. Erst gegen frühen Morgen war er eingeschlafen, nur um wenige Zeit später von einem viel zu enthusiastischen Black geweckt zu werden. Wohlgemerkt, indem dieser auf sein Bett gesprungen war. Auf sein Bett. Während er geschlafen hatte. Remus wusste nicht, ob man in seinem Alter schon einen Herzinfarkt bekommen konnte. Gemeinsam hatten sie sich auf den Weg in die Große Halle gemacht. Remus wühlte mit halb geschlossenen Augen in seinem Müsli herum. Eine Nacht keine Ruhe zu bekommen war angesichts seiner Krankheit nichts Neues, aber eigentlich hatte er noch ein bisschen Zeit bis dahin. Dass er trotzdem nicht geschlafen hatte, nahm er ihnen übel. Das hieß, wenn er wieder wach genug war, um sauer auf jemanden zu sein. Und es war ja auch nicht so, als könnte er viel dagegen tun. Natürlich hatte er nicht angenommen, dass sich nur durch Blacks neuentdeckte Freundschaft zu ihm alles ändern würde. Potter würde wohl eher mit dem Kraken um die Wette schwimmen, als ihn als einen Gleichberechtigten anzusehen. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, warum er ihm vor einigen Tagen auf die Schulter geklopft hatte, aber er glaubte auch nicht eine Sekunde daran, dass es freundschaftlich gemeint war. Wahrscheinlich war es einfach nur die Erleichterung gewesen, dass Remus zu keinem Lehrer gegangen war, um die Rumtreiber zu verpetzen – als ob das jemals eine Option gewesen wäre. Sie hätten ihn in Stücke zerrissen. „Isst du das noch?“ Black zeigte kauend auf seine Müslischale. Remus schüttelte den Kopf und schob sie ihm herüber, woraufhin Black sich sofort über seine Reste hermachte. Er hatte eh nicht wirklich Hunger. Sein Appetit würde mit jedem Tag, an dem der Mond zunahm, immer weniger werden, um dann nach Vollmond mit doppelter Kraft wieder zurückzukehren. Wenige Minuten später schulterte er seine mit Büchern vollgestopfte Tasche und folgte den anderen aus der Großen Halle. Sie hatten als erste Stunde des Tages Verwandlung bei der Hauslehrerin von Gryffindor, Professor McGonagall. Verwandlung fand Remus eigentlich ganz in Ordnung, war es doch eine willkommene Abwechslung zu den sonst eher theoretischen Fächern, die er den Rest des Tages hatte. Was er weniger gut fand, war, dass der Klassenraum in Gruppentische unterteilt war und Black Anfang des Schuljahrs beschlossen hatte, dass er von nun an zusammen mit ihm sitzen würde – leider aber auch mit Potter und Pettigrew. Sich seinem Schicksal ergebend setzte sich Remus zu ihnen und begann Feder und Pergament auszupacken. Er war einer der wenigen, die sich Notizen zu den Übungen machten, aber er wusste, dass früher oder später einer der Rumtreiber zu ihm kommen und seine Notizen kopieren wollen würde. Ihre Lehrerin kam wenige Minuten später ebenfalls in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Heute werden Sie und Ihre Tischpartner abwechselnd versuchen, die vor ihnen stehenden Tische verschwinden und wieder auftauchen zu lassen.“ Sie blickte prüfend zu ihnen herüber. „Es ist kein einfacher Zauber, da es sich hierbei um ein großes Objekt handelt. Aber da sie Ihre ZAGs alle gut bestanden haben, gehe ich davon aus, dass es für Sie kein großes Problem darstellt. Nun – kennt jemand den Zauberspruch?“ Zögerlich blickte Remus in die Runde und, als er sah, dass niemand sonst sich regte, zeigte er auf. „Ja, Mr Lupin.“ „Evanesco.“, antwortete er und deutete danach die dazugehörige Handbewegung an. „Exakt. Wie ich sehe, haben Sie über die Sommerferien nicht wieder alles vergessen.“ Sie rümpfte die Nase. „Bitte beginnen Sie.“ Augenblicklich beugte Potter sich vor und flüsterte zu Black: „Den Verschwindezauber üben, wie einfach! Ich dachte, wir würden endlich mal was richtig Cooles machen!“ „Das habe ich gehört, Mr Potter!“ McGonagall sandte ihnen einen missbilligenden Blick, woraufhin sie sich endlich an die Arbeit machten. Potter war der erste, der es versuchte. Es brauchte nur einen Anlauf, da verschwand der Tisch auf einmal ohne das leiseste Geräusch. Remus‘ Pergament, seine Feder wie auch sein Tintenfass, die darauf gelegen hatten, fielen zu Boden. Beim Aufprall zersprang das Fässchen und Remus fasste sich an die Stirn. Wieso hatte er seine Sachen überhaupt auf dem Tisch abgelegt? Hatte er nicht zugehört? Mit einem Schwenker seines Zauberstabs und dem leise gemurmelten Zauberspruch – Reparo – konnte er den Schaden wieder beheben. Pettigrew kicherte hinter vorgehaltener Hand, während Remus‘ Ohren vor Scham glühten. Zum Glück hatte niemand außer den Leuten an seinem Tisch sein Missgeschick mitbekommen. Diese besondere Auswahl an Schülern genügte jedoch völlig. Auch Black konnte den Tisch ohne weiteres verschwinden lassen, nachdem er ihn vorher wieder hatte entstehen lassen. Remus konnte beobachten, dass die Schüler am Nachbartisch offensichtlich ratlos waren, wie sie den einmal verschwundenen Tisch wiederholen sollten. Pettigrew versuchte sich mehrfach an dem Zauberspruch, doch es zeigte sich erst beim vierten Mal ein sichtbarer Erfolg – auch wenn es sich hierbei nur um das Verschwinden dreier Tischbeine handelte. Der restliche Tisch kippte augenblicklich um. Remus war glücklicherweise diesmal schlau genug gewesen, seine Utensilien auf seinem Schoß zu behalten. Als Letztes war Remus selbst an den Reihe. Auch für ihn war der Zauberspruch kein Problem. Er hatte zwar über die Sommerferien nicht üben können – erstens, da es ihm erst mit siebzehn erlaubt sein würde, außerhalb von Hogwarts zu zaubern und er würde es nie riskieren, wegen eines kleinen Fehltritts aus der Schule geschmissen zu werden, und zweitens, da Black ihn sowieso abgelenkt hätte. Aber er hatte sich die Theorie angeschaut. Außerdem hatte Potter Recht. Der Zauber war wirklich einfach. Nachdem sie jeweils McGonagall ihre Erfolge gezeigt hatten, machten sie sich einen Spaß daraus, zu sehen, wer den Tisch am schnellsten verschwinden und wieder auftauchen lassen konnte. Remus wurde das Spiel schnell langweilig, stattdessen machte er sich einige Notizen, auch wenn er diese wahrscheinlich schon in irgendeiner Form besaß, wenn man bedachte, dass es sich hierbei um Wiederholung handelte. Aber bisher hatten sie noch nie einen Gegenstand dieser Größe verschwinden lassen und er notierte sich eifrig die Veränderungen, die er dabei gespürt hatte. Er zuckte zusammen, als ihn plötzlich ein Bein unter dem Tisch berührte, den Potter gerade wieder herbeigezaubert hatte. Instinktiv sah er zu Black, der ihn jedoch gar nicht weiter beachtete. Stattdessen zog er sein Bein wieder zurück und ließ den Tisch abermals verschwinden. Remus war sich nicht sicher, ob die Berührung mit Absicht erfolgt oder nur ein Zufall gewesen war. Von seiner Arbeit einmal abgelenkt – und wenn er ehrlich war, hatte ein Teil von ihm sich die Notizen nur gemacht, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, stumm und mit nichts zu tun bei den Rumtreibern zu sitzen – beobachtete er Black aus dem Augenwinkel. Im Moment lief es nicht so gut zwischen ihnen. Das hatte er geahnt – eher würden sich Gryffindor und Slytherin die Hand reichen, als dass Black ihn einfach so über Potter stellen würde. Die Theorie war jedoch um einiges leichter zu ertragen gewesen als die Realität. Er kam sich dumm vor, doch er vermisste ihn. Er vermisste diese kleinen Neckereien und Merlin, er vermisste seine Berührung. Als er ihn so beobachtete, fühlte er einen kleinen Stich in der Brust und seine Hände umfassten das Tintenfässchen stärker. Black machte seinen Namen wirklich alle Ehre: Seine Haare waren von einem so tiefen Schwarz, wie man es nur selten fand. Remus erinnerte sich daran, wie er einmal seine Hände darin vergraben hatte, während sie sich küssten. Wie Blacks Hände über seinen Körper gewandert und unter sein Hemd geschlichen waren. Er hatte diese ganzen verrückten Dinge mit ihm getan und jetzt saß er in aller Seelenruhe neben ihm, das Hemd lose aus der Hose gerupft, die Krawatte zerknittert, als hätte er sich gerade erst angezogen und das in großer Eile. Remus hatte das Gefühl, ihn mit jedem verstreichenden Moment mehr zu spüren und musste sich letzten Endes dazu zwingen, seinen Blick von ihm abzuwenden. Leider hörten seine Gedanken deshalb immer noch nicht auf, die wahnsinnigsten Bilder in seinem Kopf zu produzieren. In was hatte er sich da bloß hineingeritten? Ein Teil von ihm wusste schon lange, dass er einen Weg eingeschlagen hatte, auf dem er nicht mehr umdrehen konnte. Ein anderer, weitaus größerer Teil wollte diesen Weg jedoch nicht weitergehen und sehen, was am Ende auf ihn wartete. Stillstand war jahrelang ein guter Schutz gewesen, doch einmal niedergerissen konnte er seine Mauer nicht wieder aufbauen. ~~~~~*~~~~~ Der Tag hatte sich in die Länge gezogen und Remus ging früher als alle anderen in den Schlafsaal. Erschöpft schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich für einen Moment dagegen. Black. Sirius Black. Wieso bekam er ihn einfach nicht mehr aus dem Kopf? Es war nicht so, dass sie sich besonders gut verstanden. Die meiste Zeit konnte er ihn noch nicht einmal sonderlich gut leiden. Und trotzdem war da irgendetwas – etwas, das ihm sagte, dass in Black mehr steckte, als er sehen konnte. Vielleicht hatte er sich aber auch nur in der Hoffnung verloren, endlich einen Freund zu finden. Nicht irgendeinen Freund, sondern einen, der ihn verstand, der ihn nicht auslachte, weil er sich mit Freude in Büchern vertiefte, der ihn nicht wegen seiner Krankheit als besonders ansah, sondern weil er er war. Er stieß sich von der Tür ab, ging gähnend auf sein Bett zu und zog sich für die Nacht um. Obwohl er das Licht nicht eingeschaltet hatte, war der Schlafsaal hell von dem Mondlicht erleuchtet, das durch das Fenster schien. Sein Blick blieb daran hängen und er ließ sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, auf den Fenstersims sinken, die Beine an den Körper angezogen. Der Mond schien so hell in dieser Nacht, weil er schon beinahe voll war. Er hob sich beinahe kreisrund vor dem dunklen Nachthimmel ab. Nur noch wenige Tage, dann war es wieder so weit. Black saß in diesem Moment mit seinen Freunden im Gemeinschaftsraum und spielte Karten, alberte herum oder lachte Potter für seine Avancen für Lily Evans aus. In jener Nacht würde er wahrscheinlich das Gleiche tun. Spaß haben. Zusammen mit seinen Freunden. Und er war wieder allein. Remus lehnte seine Stirn an die kühle Fensterscheibe und schloss kurz die Augen, ehe er sich wieder zur Disziplin rief. In dunklen Launen zu versinken hatte keinen Sinn. Er vermisste Black. Er sollte etwas dagegen tun. Er ließ seine Beine wieder von der Fensterbank gleiten und tapste mit nackten Füßen zu seiner Tasche, zog Pergament und Feder heraus und schrieb zwei kurze Sätze darauf, ehe er aufstand und den zusammengefalteten Zettel in Blacks Schultasche steckte, direkt neben seiner eigenen Feder, sodass er sich sicher sein konnte, dass dieser ihn auch fand. Danach legte er sich ins Bett, doch das Mondlicht hielt ihn noch lange Zeit wach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)