Line und Butterplätzchen von CarterBrooks ================================================================================ Kapitel 3: Line und Schneeschicksal ----------------------------------- Ich war nicht der Partyheld. Ich war nicht einmal jemand mit vielen Freunden. Folglich war ich auch nicht gerade der Typ Mädchen, der alle sofort ansprach und somit den ersten Schritt wagte. Und daraus lies sich schließen, dass ich eben nur solche Menschen als Freunde hatte, die absolut extravagant waren. „Pinker Lippenstift würde passen“ Mein Kumpel Kenny. Ich kam zu spät, ich kam in Begleitung einer Neuen, ich kam in die Klasse. Und das war das Erste, was er sagte. Er war nicht schwul. Das vermutete ich jedenfalls, denn er hatte schon ein paar Freundinnen. Allesamt total verrückte Gören. Ich konnte sie alle nicht leiden. Jedenfalls, ich und Line kamen an, ich entschuldigte mich in Windeseile beim Lehrer und stotterte garantiert fünf Minuten lang. Und dann kam dieser Satz von Kenny. In einer Mordsstille. Er hatte auf jeden Fall ein Händchen dazu. Ich sah ihn entsetzt an. „Schweig Stille, Kenny“, ermahnte der Lehrer, ich wuselte demütig auf meinen Platz. Line versuchte mir unauffällig und glatt zu folgen, doch der Lehrer packte sie an der Schulter und hielt sie zurück. Alle schienen den Atem anzuhalten. Der Satz 'Eine Frau mit Dreadlocks hält man nicht so einfach auf' schien in der Luft zu hängen. „Stellen sie sich bitte vor“ Noch so ein intelligenter, inhaltsreicher Satz des Lehrer. Line drehte sich motiviert zur Klasse um, hob eine Braue und strich sich über die Strähnen. „Ich bin Line“, und mehr schienen die Anderen nicht wissen zu dürfen. „Linie“, lachte irgendwer. „Wie bitte?“ Line klang gereizt. „Naja, du heißt Linie...auf Englisch. Line“, wieder lachte er. Sein Todesurteil. „Du kleine Kröte, wie auch immer du heißt. Du hast dicke Pickel im Gesicht, wahrscheinlich so einen einfallsreichen Namen wie 'John Smith' und wohl auch keine Freunde und lachst über meinen Namen?“ Und damit schien Line ihre ersten Freunde in dieser Klasse zu gewinnen. Ihr Glück, dass niemand Andreas leiden konnte. Ich blieb still in der Ecke, bis die Stunde rum war. Dann war Pause. „Sie sieht verdammt hübsch aus“, sprach mich Kenny als erstes an, als ich mir in der Pause was zu Essen holte, „wo hast du sie aufgetrieben? Hat sie dich bedroht? Wenn ja, hat jemand eine Aufzeichnung davon? Es wäre zu lustig; 'Nein. Ehm! Ich habe ihre Haare nicht angeschaut!...Bitte lassen sie mich doch gehen..'“, grinste er. Und ich wollte ihm das heutige Tagesgericht ins Gesicht pfeffern. „Kenny, du bist nicht lustig“ „Und genau deswegen wird alles wieder lustig“, grinste er. Gab es auch noch Nachtisch, der in seinem Gesicht landen konnte? „Nein“ Mehr sagte ich nicht und nahm mein Essen. Gefolgt von Kenny setzte ich mich an den Tisch und fing an das Zeug zu mampfen, was sie uns auftischten. Es schmeckte nicht unbedingt schlecht, wie man es eigentlich von Kantinenessen erwartete. Es schmeckte nur generell ungesalzen, dafür gab es aber immer massig Zwiebeln. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Zwiebeln. Aber nicht, wenn ich unter Menschen bin. Zwiebeln werden nur gegessen, wenn niemand dabei ist. Oder wenn niemand dabei ist, bei dem es mir peinlich sein könnte. Mutter, Vater. Stinkende Brüder. Ohne Vorwarnung verlagerte sich das Gewicht der kurzen Bank, auf der ich saß und mein Mittagessen verspeiste nach links. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, wer hier saß. „Hey Line“, half auch Kenny. Seine Augen hingen an ihrem Gesicht, nicht an ihren Brüsten. Untypisch für ihn. Line sah ihn kurz an, nickte, sah dann zu mir, ich konnte den intensiven Blick spüren. Mir wurde heiß, also wandte ich mich zu ihr. „Hab ich was im Gesicht?“ „Ja“, antwortete Line, sanft strich ihre Hand Krümel von meiner Wange. Ich zuckte zurück. „Ich bin fertig mit dem Essen.“, ruckartig stand ich auf, nahm mein Tablett, brachte es weg. „Ach Lila, komm doch zurück“, rief Kenny amüsiert. Er hockte dort, wie der Oberchecker. Ich drehte mich nur einmal zurück. Unzwar, um ihm einen möglichst vernichtenden Blick zuzuwerfen. Dann ging ich. Ich konnte mich auch mit anderen abgeben. Und ich und Line waren ganz bestimmt keine Freunde. Und wir würden auch nie welche werden, fasste ich den Entschluss. „Folgst du mir?“ „Nein, ich muss in denselben Zug einsteigen.“ Klar, hatte ich fast vergessen. Also stieg sie hinter mir die eisernen Stufen rauf, in den Zug hinein, ohne dass ich sie daran hindern konnte. Der Schnee fiel in Massen; ich konnte mir das Wetter erklären. Später sagte ich mir, es hatte mit Schicksal zu tun. Dabei glaubte ich doch gar nicht an soetwas. „Wo wohnst du?“, fragte Line, als sie sich – ungefragt - zu mir setzte. „Geht dich das was an?“ Ich war äußerst unfreundlich; ich konnte sie nicht dermaßen leiden. Sie war ungehobelt, sagte laut, was sie von anderen hielt, hielt sich nicht mit ihrer Meinung zurück, und außerdem war sie beeindruckend hübsch, trotz den Haaren. Unnötig zu erwähnen, dass sie Piercings trug. „Vielleicht tut es das.“, meinte sie und lächelte. Ihr Lächeln war angenehm, warm, aber auf der anderen Seite ziemlich geheimnisvoll. Ich merkte zugegebenermaßen schnell, dass ich für sie schwärmte. Da sie mich erneut so direkt anschaute, ich dem Blick aber nicht mehr standhalten konnte, schaute ich aus dem Fenster. „Tut es weh?“, fragte ich schüchtern, als ich wieder Line und ihre Piercings betrachtete. „Was?“, fragte sie und hob verwundert die Augenbrauen. Meine Frage war auf mehrere Dinge übertragbar. Ob es vielleicht wehtat, mit mir in einem Abteil sitzen zu müssen. Ob die Kälte unangenehm war. Ob sie ein schreckliches Schicksal erlitten hatte, und dieses ihr wehtat. Ob sie keine Jungfrau mehr war, und das.. Nichts von alldem interessierte mich in dem Moment wirklich. Es ging um ihre Piercings. Nachdenklich fasste ich an meine Lippe, seitlich, fast am Mundwinkel und rieb vorsichtig über diese Stelle. Sie schien zu verstehen, lachte, musterte mich. „Du siehst nicht wie jemand aus, der sich darum sorgt.“ Und damit hatte sie Recht. Langweilige braune Haare, wenig Schminke, Jeans und Pulli waren wohl nicht die besten Vorraussetzungen für Piercings. Beleidigt verschränkte ich die Arme. „Vergiss es.“ Wir schwiegen, ich sah den Schnee weiter fallen. Ich mochte zwar Kälte und Winter weniger, aber ich mochte die warmen, langen Sachen, die ich dann tragen konnte. Es gab mir das Gefühl von Sicherheit, da man sich in diesen schlabbrigen Sachen verstecken konnte. Line hingegen schien kein bisschen Sicherheit zu brauchen. „Es tut nicht sehr weh; wenn es ein erfahrener Piercer das tut, so schmerzt es nur unglaublich, im selben Moment, indem er dir den Schrott reinstich, aber es heilt schnell und blutet auch kaum, oder gar nicht.“ Erst hatte ich nicht verstanden, wovon sie redete, meine Gedanken waren schon weitergeeilt. Doch nun nickte ich. „So ist das.“ Line nickte gütig, leckte über den kleinen, silbernen Ring in ihrem Mundwinkel, ich musste ein wenig ihr Lächeln spiegeln. Und dann fiel ich mit einem heftigen Ruck auf sie. „T-tut mir leid.“, meinte ich erschrocken. Der Zug quietschte, ich rollte mich von Line runter. „Liebe Fahrgäste, aufgrund des starken Schneefalls...“ Ich würdigte der Durchsage keine weitere Beachtung, abgesehen von den ersten paar Worten. Ich wusste jetzt schon, worum es sich handelte. Es kümmerte mich nicht weiter, meine Haltestelle war nur noch ein paar Meter entfernt. „Verdammte Scheiße.“, murmelte Line. Denn sie schien weiterfahren zu müssen. Warum? Das fragte ich mich oft. Warum kamen diese Worte aus meinem Mund? „Du kannst zu mir kommen, von dort aus deine Eltern anrufen. Der Zug braucht sicher noch Stunden, um weiterzukommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)