Die Kälte einer Winternacht von Jefferson ================================================================================ Kapitel 1: One Shot ------------------- Vorwort: Mir ist schon lange eine Geschichte wie diese im Kopf herumgespukt. Und sie wollte zu 'Papier'. Nun, jetzt steht sie hier, aber ganz so ist es nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Vielleicht schreibe ich noch einmal eine...? Denn der Schluss hätte auch anders sein sollen - aber wie immer hat die Geschichte sich verselbstständigt. ûu ~ ~ ~ ~ ~ ~ Völlig lautlos tanzten die Schneeflocken durch die Luft, schwebten zu Boden und sammelten sich dort. Eine dünne, weiße Decke lag bereits über den Straßen, auf den Hausdächern, überzog Wiesen und Grünflächen. Doch da die Dunkelheit längst schon ihren Schleier über all das gelegt hatte, konnte sich kaum noch jemand an der Pracht erfreuen. Die meisten Menschen hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, die Lichter in den Fenstern zeugten davon, dass die Menschen noch beschäftigt waren, sich noch nicht zur Nachtruhe begeben hatten. Recht verloren wirkte nur der Junge dort draußen auf der Straße. Seine Finger waren in dicke Fäustlinge eingepackt, ein alter, gelber Schal war um seinen Hals geschlungen und schien den erbärmlichen Versuch zu starten, ihn warm zu halten. Denn die Jacke die er am Leib trug konnte das alleine unmöglich schaffen. Sie war dünn, der eisige Wind zerrte an ihr. Für diese Jahreszeit war das Kleidungsstück in jedem Falle unpassend. Zu stören schien den Jungen das aber nicht. Ebenso wenig wie die feine, weiße Schicht Schnee die sich auf seine blonden Haare gelegt hatte. Längst schon hatten seine Hände mitsamt den Handschuhen sich in den dünnen Taschen seiner Jacke vergraben, während er dort stand, auf dem Gehsteig. Mit gebührendem Abstand zu dem Fenster des Hauses durch das er hindurchspähte. Es war, wie es so oft war: zu nahe wollte er ihr nicht kommen, doch getrennt sein von ihr, das wollte er auch nicht. Hinter dem Fenster befand sich eine junge Frau, sie stand mit dem Blick zum Fenster gerichtet, blickte aber nicht nach draußen. Andernfalls hätte sie den Jungen vielleicht bemerkt. Nein, so wie es aussah, war sie damit beschäftigt, etwas zu kochen. Oder aber zu backen… Der Junge wusste davon, dass das Mädchen, das in diesem Haus lebte, Kekse und Plätzchen liebte. Gerade zur Weihnachtszeit. Oh, wie gern hätte er selbst ein paar davon gemacht und ihr diese geschenkt. Doch seine Fähigkeiten beschränkten sich zumeist den geistigen Bereich. Auch waren seine Finger geschickt, doch backen oder kochen hatte er niemals gekonnt. Gerne würde er es für das Mädchen lernen. Für seine Elisa… dennoch hatte er Angst, sich dabei ungeschickt anzustellen und in Ungnade zu fallen. So stand er tatsächlich noch immer hier und blickte nur von weitem zu. Nicht einmal sie selbst konnte er sehen, sondern nur Elisas Mutter. Ob das Mädchen schon im Bett lag…? Sorge stieg in ihm auf. Vielleicht ging es ihr erneut nicht gut? Vielleicht hatte die Krankheit ein weiteres Mal an ihr gezehrt? Vielleicht lag sie dort oben in ihrem Bett und litt….! Doch nein, er schalt sich einen Dummkopf. In diesem Falle wäre Elisas Mutter sicherlich besorgter gewesen, würde nicht dort in aller Seelenruhe am Küchenherd stehen und backen. Für ihre Tochter backen. Der Junge wünschte, auch er könne hin und wieder mit seiner Mutter dort stehen, ihr zumindest zusehen wie sie Vorbereitungen für das bald anstehende Weihnachtsfest traf. Aber dies würde nie mehr der Fall sein. Erst vor wenigen Monaten war sie von ihnen gegangen. Einen Verlust, den er schmerzlich hinnehmen musste. Obwohl seine Familie dutzende Krankheiten geheilt hatte, Gegenmittel gefunden hatte, so war sein Vater nicht in der Lage gewesen, die Mutter zu retten. Etwas, was ihn selbst noch mehr beflügelte, nicht den gleichen Fehler bei dem Menschen zu machen, den er über alles liebte. Wie dumm und töricht es schien, in diesem Alter soetwas zu sagen. War er doch kaum zehn Jahre alt, schien von Liebe noch nichts zu verstehen, war quasi nur ein dummes Kind. Dennoch wusste er sehr genau, dass Elisa die Einzige war, für die er je Augen haben könnte. Das einzige Mädchen, der einzige Mensch, der ihm je zuwinkte. Wie sie dort oben saß, in ihrem Zimmer. Ihm immer wenn er vorbei kam, zulächelte. Vielleicht, nur vielleicht, mochte sie ihn ja doch ein klein wenig. All die Mühe die er sich machte, all das Wissen das er aus seinen Büchern schöpfte – das war es wert, solange er nur hin und wieder dieses Lächeln geschenkt bekam. Als die Kirchturmuhr unweit von ihm vier Mal schlug, fiel ihm auf, dass er schon eine ganze Weile lang hier stehen musste. Hier in der Kälte, in der Dunkelheit. Wie ein Niemand versteckte er sich hier, befand es sich nicht als wert, an der Tür anzuklopfen. Nein. Er, den sie den Teufelsjungen nannten. Er, der er der Nachkomme des berüchtigten Faust war. Er, der Faust dem Ersten so ähnlich sah, wenn man den Geschichten glauben durfte…! Er, der das Blut seiner Vorfahren in sich trug. Er, der es vielleicht nicht einmal wert war, einen anderen Menschen mit sich in den Abgrund zu reißen. Denn wer wusste schon, was das Schicksal für ihn bereit hielt? Das Schicksal war aber noch niemals in der Lage gewesen, das Verlangen eines Menschen zu unterdrücken. So auch nicht das seine. Sein einziges Verlangen war sie. Seine einzige Schwäche, zugleich seine Stärke, das, was ihm die Kraft gab. Ja, er musste weiterstudieren, nur für sie. Wie zur Bestätigung spürte er eine Schneeflocke auf seiner Nase landen, sie kitzelte ihn, schmolz noch im selben Augenblick zu Wasser dahin. Behutsam streckte er die Hand aus, fing ein paar wenige Schneeflocken mit seinen Handschuhen auf. Wie schnell sie schmolzen… wie vergänglich ihre Schönheit doch war… Er durfte keine Zeit verlieren, wenn er das Schönste, das es in seinen Augen gab, erhalten wollte…! Gerade als der Junge sich herumdrehen wollte, hörte er wie sich eine Tür öffnete. Nicht wert, sich zurück zu drehen, um nachzusehen. Wer konnte schon etwas von ihm wollen? So hatte ihn doch niemand hier stehen gesehen unter der ausgeschalteten Straßenlaterne. Sie funktionierte schon lange nicht mehr, das wusste er. So oft stand er hier… so oft war er in seinen Gedanken versunken. So oft- „Johann?“ Eine Stimme zerriss die Nacht. Zerriss? Nein, dazu war der Klang zu sanft, zu besorgt, zu lieblich. Zu bekannt… „Möchtest du nicht herein kommen?“ Es war, als würde er erstarren, Überraschung machte sich in ihm breit, ebenso wie die Ungläubigkeit. Sie sprach mit ihm? Ganz ohne Zweifel! War doch, ausgenommen von ihm selbst, niemand hier. „Es ist so kalt… du wirst dir den Tod holen!“ Sorge klang aus der Stimme des Mädchens. Sie sorgte sich um ihn… Unsicher drehte er sich herum, trat tatsächlich einige Schritte auf das Haus zu. Seine Schuhe knirschten auf der Schneedecke, hinterließen Fußabdrücke, dort, wo er sie auf den Gehsteig aufsetzte. „Komm doch herein“, setzte Elisa noch einmal hinzu, mit einem Lächeln, das es ihm schwer machte, ‚nein’ zu sagen. Hätte er das noch gekonnt? Sein Mund fühlte sich trocken an, es fiel ihm schwer zu schlucken, als er auf sie zutrat, ein unsicheres Lächeln seine Lippen umspielte. Wieder war sie es, die sprach. Wusste das Mädchen, dass man viel Geduld mit ihm brauchte? Vermutlich. Doch oft hatten sie noch nicht miteinander gesprochen… sie besuchte kaum noch die Schule, war viel zu oft viel zu krank dafür. Älter als er selbst war sie auch noch. „Es gibt Kekse und warmen Tee. Oh Johann…“ Ihre Hände streiften ihn, zogen ihn sanft herein. Wie er die Stufen erklommen hatte zur Haustüre hinauf, vermochte er nicht zu sagen. Es war fast, als blende ihn eine unglaubliche Schönheit. Doch, war das nicht die Wahrheit…? Nur wenige Worte brachte der Junge über seine Lippen. „Gerne doch….! Und… danke ….“ Niemals zuvor war er bei ihr gewesen, wusste nicht, ob ihre Eltern ihn akzeptieren würden. Doch für den Augenblick zählte nur, dass er hier stand, dass ihre Hände an seinen Schultern lagen und ihn in die Wärme des Hauses schoben. Die Kälte lag hinter ihm, Wärme empfing ihn. Würde das vielleicht auch genau das sein, was in seinem Leben vor ihm lag…? Vielleicht. Der Junge konnte es nur hoffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)