Das Maleficium von Rahir ================================================================================ Kapitel 36: ------------ Hargfried zog seine Klinge aus dem letzten Gegner, einem galdorianischen Soldaten. Dann stürmte er los in Richtung des Kreises aus vermummten Kämpfern, die sie umzingelt hielten. Sarik erkannte die Lage und stellte dem vorbeilaufenden Mann ein Bein. In seiner Kampflust übersah er das gestreckte Bein und fiel der Länge nach hin. Bevor Hargfried sich noch aufrappeln konnte, drückte ihm Sarik ein Knie in den Rücken, ohne den Blick von der Übermacht zu nehmen, die sie eingekreist hielt. „Geh von mir runter…!“ stöhnte Hargfried völlig außer sich. „Ich werde sie alle töten“, keuchte er und rang um die Luft, die Sariks Knie aus ihm herauspresste. „Nur mit der Ruhe“, flüsterte Sarik ihm zu. Der Blick seines gesunden Auges glitt über die Armee der vermummten Krieger, die sich kampfbereit, aber noch abwartend verhielt. Einer von ihnen trat vor und steckte sein Schwert weg. Sarik erkannte an den erwartungsvollen Blicken der anderen Kämpfer, dass dies der Anführer sein musste. Die Gestalt lüftete ihre Vermummung. Zum Vorschein kam ein Gesicht von sehr dunkler, fast schwarzer Hautfarbe. Braune Augen musterten die kleine Gruppe mit Argwohn wie auch Neugier. Kurzgeschorenes dunkles Haar mit ausgeprägten Geheimratsecken sowie ein die Kinnpartie freilassender Backenbart umrahmten dieses Gesicht, das mehr Interesse als Feindseligkeit zu zeigen schien. „Ihr gehört nicht zu den galdorianischen Truppen“, begann die Person mit einer rauen Stimme, die nach intensivem Tabakkonsum klang. „Normale Reisende seid ihr aber auch nicht.“ Hargfried stöhnte immer noch unter Sariks Knie. Dieser beobachtete die Situation, und aus den Worten dieses Anführers erkannte er die Bereitschaft zu Verhandlungen, zumindest aber den Wille, ihn und seine Gruppe nicht sofort zu töten. „Wir haben keine feindliche Absicht euch gegenüber“, sagte Sarik und lockerte sein Knie in Hargfrieds Rücken. Dieser stöhnte und fluchte immer noch leise vor sich hin. Sarik legte ihm die Hände auf die Schultern, und diese Geste schien tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf ihn auszuüben. „Dafür habt ihr aber einige von meinen Leuten getötet“, antwortete der Fremde und verschränkte dabei die Arme. Ganz vorsichtig ließ Sarik Hargfried auf die Beine kommen. Diese Situation war ein Pulverfass und Hargfried der fehlende Funke, war er sich nur zu gut bewusst. „Ihr habt angegriffen, und wir haben uns verteidigt“, sagte Sarik mit Nachdruck, vermied aber einen aggressiven Ton. Sein Blick schwenkte kurz zu Brynja und Dorian. Erleichtert stellte er fest, dass sie sich ruhig verhielten und nichts taten, das ihre Lage verschlimmern konnte. „Ich werde… alle töten…“, stammelte Hargfried zwischen zwei tiefen Atemzügen. Das Rot seines Gesichts schwand nur langsam. Sein wirrer Blick glitt über die Anzahl der Kämpfer, die sie umstellt hielt. Sariks Hände lagen auf seinen Schultern und streichelten diese fast. Zugleich war er aber bereit, ihn jeden Moment zu Boden zu reißen, sollte er Anstalten machen, nach seinem vor ihm liegenden Schwert zu greifen und die Situation eskalieren zu lassen. „Hier wird niemand mehr getötet…“, flüsterte Sarik in Hargfrieds Ohr. „Das hoffe ich zumindest. Mein Name ist Sarik Metharom“, sagte er dann lauter und für alle hörbar. „Und wer, wenn man fragen darf, sind Sie?“ Der dunkelhäutige Mann löste die Verschränkung seiner Arme und stützte sie in seine Hüften. An der Art, wie die anderen Kämpfer auf jede seiner Bewegungen achteten, erkannte er ihre unbedingte Loyalität ihm gegenüber. Und an dem sich vorsichtig auf seinem Gesicht abzeichnenden Lächeln las er die Überlegenheit ab, an der dieser Mann keinen Moment zweifelte. „Ich bin Largo Cotter, und ich leite die Befreiungsarmee Galdorias. ‚Tod den Unterdrückern, und Freiheit dem Volke‘, das ist unser Wahlspruch. Und welche Angelegenheit führt euch in diese Gegend?“ Sarik zögerte einen Moment, bevor er antwortete. Dabei ließ er seine Hände keinen Moment von Hargfried. Dorian beobachtete fasziniert das Kräftemessen zwischen diesen beiden Männern und vergaß darüber völlig die Gefährlichkeit der Situation, in der sie nach wie vor schwebten. „Unser Reiseziel ist nicht von Belang für- “ „Ich suche das Maleficium!“ schrie Hargfried plötzlich und schnitt Sarik so das Wort ab. Dieser fuhr herum, und zum ersten Mal, seit Dorian sich erinnern konnte, zeigte sein Gesicht so etwas wie Entsetzen. Ein Raunen ging durch die Menge der vermummten Kämpfer. Der Mann namens Largo Cotter hob eine Augenbraue. „So ist das also… Sehr interessant.“ Sarik schüttelte langsam den Kopf und seufzte gedehnt. Hargfried ballte die Fäuste und warf trotzige Blicke, wie ein in Wut geratenes Kind, in alle Richtungen. „Ich finde das Maleficium, und damit die Mörder meines- “ „Halt deinen verdammten Mund“, zischte ihn Sarik an, und tatsächlich verstummte der junge Mann. „Sagt bloß, ihr seid an den Geschehnissen im Palast beteiligt gewesen“, fragte Largo Cotter, und seine Stimme hatte einen belustigten Klang. Sarik, der offenbar den nächsten Zug in dieser schwieriger werdenden Partie überlegte, drehte den Kopf hin und her. „Und wenn es so wäre?“ „Die Feinde des Kaisers sind unsere Freunde. Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?“ erwiderte er lachend. „Das hat sich ja schnell herumgesprochen“, flüsterte Dorian. Brynja warf ihm einen pessimistischen Blick zu, dann richtete sie ihr Augenmerk wieder auf die sie umzingelnde Übermacht. „Woher glauben Sie das zu wissen?“ fragte Sarik, der sichtlich um seine sonst so gefestigte Fassung rang. „Wir mögen nur eine kleine Gruppe sein“, erklärte Largo Cotter, „aber wir haben unsere Informanten. Auch im Kaiserpalast, und dort herrscht seit zwei Tagen der Ausnahmezustand.“ Er begann, vor ihnen auf und ab zu schreiten, und lachte zeitweise dabei. „Der gute Modestus sieht nun sein Kaiserreich den Bach hinuntergehen. Der Krieg steht nicht zum Besten für unser Land.“ Sarik blickte den fröhlich wirkenden Mann scharf an. „Sie wirken ja richtig erfreut über diese Situation.“ „Alles, was den Kaiser schwächt, ist gut für uns!“ entgegnete er harsch, als hätte Sarik einen wunden Punkt getroffen. „Lange genug hat dieser Unterdrücker wie ein Gott geherrscht, seine Zeit ist nun abgelaufen!“ „‘Tod den Unterdrückern‘…“,wiederholte Sarik angesichts dieses Gefühlsausbruchs die Parole der Rebellen. „Zählt ihr diese Leute“, er deutete auf die getöteten Zivilisten, die zwischen den Soldaten des Kaisers lagen, „auch zu den Unterdrückern?“ Die bis dahin überlegen wirkende Miene von Largo Cotter bekam einen Riss. Wutschnaubend ging er auf Sarik zu. Dieser hielt immer noch Hargfried fest, der nun ruhig, beinahe apathisch wirkte. Gelassen sah Sarik dem Mann entgegen, der mit weiten Schritten auf ihn zu kam. Bevor er ihn erreichte, stoppte ihn aber einer seiner eigenen Leute. Die vermummte Gestalt hielt ihn an der Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die anderen Kämpfer ringsum tauschten verunsicherte Blicke; es war offensichtlich, dass sich etwas geändert hatte. Cotter lauschte seinem Mitstreiter, dann klarte sich seine Miene. Sie nahm wieder einen sachlichen Ausdruck an, und so wandte er sich mit ruhigen Worten an die Gruppe. „Wir sind hier nicht mehr lange allein, habe ich gerade vernommen. Entscheidet euch: Wenn ihr wollt, könnt ihr mit uns kommen. Oder ihr bleibt hier und wartet auf die kaiserliche Armee, die diesen Vorfall schon sehr bald untersuchen wird. Weiterfahren könnt ihr jedenfalls nicht mehr“, sagte er und deutete auf die Lok, die immer noch schwarz zum Himmel qualmte. Das Gewicht dieser Entscheidung war Sarik anzusehen. Trotzdem fällte er sie innerhalb weniger Momente. Er nickte dem Mann namens Largo Cotter zu. „Einverstanden. Wir nehmen eure Gastfreundschaft in Anspruch, wenn es Ihnen recht ist.“ Dorian hörte ein entsetzt klingendes Einatmen von Brynja neben ihm. Dann antwortete Cotter lachend. „Gerne! Die Feinde des Kaisers sind unsere Freunde! Und nachdem ihr jetzt unsere Freunde seid, habt ihr sicher auch kein Problem damit, uns eure Waffen auszuhändigen.“ Brynja öffnete weit den Mund, und Dorian glaubte schon, einen lebhaften Widerspruch aus ihrem Mund zu hören. „Ist das wirklich nötig?“ fragte Sarik, der immer noch Hargfried an den Schulter hielt. Aus diesem schien aber jegliche Kampflust gewichen zu sein; er blickte nur abwesend zu Boden. „Ich fürchte, ja“, erklärte Cotter und zeigte auf einen der getöteten Rebellen, von denen mehrere auf das Konto ihrer Gruppe gingen. „Ich traue euch ja, aber meine Leute sind noch etwas skeptisch, wie ihr sicher verstehen könnt. Und wir wollen doch kein blutiges Missverständnis riskieren, oder?“ Sariks Blick streifte Dorian und Brynja. Dann wandte er sich wieder dem Anführer der Befreiungsarmee zu. „In Ordnung.“ Im Nu sahen sie sich von vermummten Gestalten umringt. Im Hintergrund hörte Dorian, wie sie ihre lärmenden Fahrzeuge in Betrieb nahmen. Sarik reichte den Männern Hargfrieds Schwert. Dabei schien er allein mit der Kraft seines Blickes den irrsinnigen jungen Mann im Zaum zu halten. Doch dieser reagierte kaum, als die Rebellen seine riesenhafte Waffe mit sichtbarem Erstaunen begutachteten und in Verwahrung nahmen. Sarik selbst überreichte ihnen ebenfalls sein Schwert, und danach Dorian, der in diesem Moment sogar eine gewisse Erleichterung spürte. Es war ihm, als würde er nicht nur diese Waffe abgeben, sondern als könnte er sich auf diese Weise der Verantwortung und auch der Vergangenheit, die dieser Waffe anhaftete, entledigen. Als Letztes war Brynja an der Reihe. Mit unübersehbarem Widerwillen händigte sie die vielen kleinen Dolche aus, die sie an allen möglichen und unmöglichen Stellen ihres Körpers trug. Zum Schluss deuteten die vermummten Kämpfer auf ihre Armschiene und den Stachel darin, den sie zu verbergen suchte. Dorian sah, wie sie allein mit Blicken die Umstehenden zu töten versuchte; erst auf ein Wort Sariks betätigte sie einen Mechanismus, woraufhin sie den Stachel aus der Armschiene entfernen konnte. Sie blickte der Waffe hinterher, als hätte ihr jemand das eigene Kind geraubt. Dann funkelte sie Sarik so finster an, dass es Dorian mit der Furcht zu tun bekam. Daraufhin folgte sie mit einem Gesicht gleich einer Gewitterwolke den Anweisungen der Rebellen, die ihnen einen Platz auf der Ladefläche eines der Gefährte zuwiesen. Dorian wandte sich nach dem Zug um und lief los. Die Aufmerksamkeit der Rebellen richtete sich auf ihn, und auch Sarik blickte ihm hinterher. Dann sahen sie, wie er mit Iria und Nadim zurückkehrte. Iria blickte sich verängstigt um und klammerte sich unwillkürlich an Dorians Arm, der versuchte, ihr die Situation zu erklären. Nadim trottete hinterher, starrte auf nichts anderes als seine Füße und wirkte in seiner emotionalen Lähmung wie ein Schlafwandler. Innerhalb kurzer Zeit saßen die Rebellen auf ihren Fahrzeugen auf, von denen aus sie diesen Angriff ausgeführt hatten. Als Dorian gerade auf die Ladefläche hinaufklettern wollte, sah er unter den vielen Toten im Sand auch den Zugvorsteher, der ihnen vor der Abfahrt die Karten verkauft hatte. Eine Wunde am Hals hatte ihn getötet, und seine Augen starrten leer, beinahe friedlich in den Morgenhimmel. Wäre das viele Blut nicht auf seiner Kleidung gewesen, Dorian wäre der Illusion erlegen, dass ein zufriedener Ausdruck auf seinem leblosen Gesicht lag. Die breiten Räder der mechanischen Ungetüme federten die Unebenheiten des Wüstenbodens nur zum Teil ab. Bald schmerzte ihm der Rücken. Um sich abzulenken, sah Dorian sich auf der Ladefläche des Fahrzeugs um. Er und seine Begleiter saßen auf der einen Seite der Ladefläche. Nadim und Iria flankierten ihn. Iria hielt immer noch seinen Arm fest, und dies berührte ihn seltsam. Deutlich spürte er ihre Verunsicherung, die sie den nächstbesten Halt suchen ließ. Es weckte aber auch ein anderes Gefühl in ihm. Er spürte das Bedürfnis, sie zu schützen, doch dieses Bedürfnis hatte einen schweren Stand. Einerseits wegen seiner Unfähigkeit, ihr weiteres Schicksal beeinflussen zu können angesichts dieser Übermacht, deren Gefangene sie in Wahrheit waren. Und andererseits wegen seiner Überzeugung, dass sie außerhalb dieser bedrohlichen Situation ihm gegenüber wieder jene Kälte zeigen würde, die sie ihn von Anfang an hatte spüren lassen. Etwas weiter neben sich sah er Sarik, und danach Hargfried. Wie durch ein Wunder verhielt sich dieser immer noch ruhig. Es schien, dass durch den Verlust seiner Waffe auch sein Irrsinn gedämpft worden war. Aber Dorian spürte, dass dieser immer noch da war und unter seiner apathischen Oberfläche lauerte. Sarik wirkte, als wäre er bereit, ihn jederzeit überwältigen zu können, um mit einem Anfall des jungen Mannes auch eine Verschlimmerung ihrer ohnehin prekären Situation zu verhindern. Ganz am Rand, direkt an der Ladeklappe, saß Brynja. Sie starrte die meiste Zeit nach hinten in die Ferne. Nur hin und wieder wandte sie sich den Insassen des Fahrzeugs zu. Selbst den Rebellenkämpfern, die ihnen gegenüber saßen und die hinter ihren Vermummungen keine Reaktionen sichtbar werden ließen, schienen ihre giftigen Blicke Respekt einzuflößen. Sie galten aber besonders Sarik, den nur Hargfried von ihr trennte. Mehrmals sah Dorian einen Blick von ihr aufblitzen, der Sarik galt, und der den Umstand, sie zum Feind zu haben, als etwas im höchsten Maße Bedrohliches wirken ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)