Denn jeder Jäger, ist auch immer ein Gejagter von CaptainSchlurpomon ================================================================================ Prolog: Und sie überschreiten den Rubikon ----------------------------------------- Das Lagerhaus stammte noch aus den Siebzigern, war von gewaltiger Größe und setzte sich aus mehreren Räumen zusammen, die fast alle aus braunroten Ziegelsteinen mit einem Wellblechaufsatz und einem ebensolchen Dach bestanden. In regelmäßigen Abständen ließen sich Fenster finden, durch die man stellenweise die Skyline oder gar den Nachthimmel sehen konnte. Offiziell stand das Gebäude seit fast zehn Jahren leer und an einigen Ecken zeichnete sich der Verfall bereits ab. Bröckelndes Mauerwerk, Löcher im Wellblechdach, zersprungene Fenster oder in sich zusammengefallene Eisenregale. Es war offensichtlich, dass sich niemand mehr um das Aussehen der Halle kümmerte. Den jetzigen Bewohnern kam es auch mehr auf die Funktionalität an und die war in jedem Fall gegeben, da es eigentlich nur um ausreichend Platz ging. Die Heulenden Wölfe hatten sich vor genau fünf Jahren gegründet und konnten einen wahrhaft kometenhaften Aufstieg in der Unterwelt aufweisen. Nach nur einem Jahr hatten sie die anderen Gangs aus fast einem Viertel der Stadt vertrieben oder sich einverleibt. Nach zwei Jahren dominierten sie den kompletten Drogenhandel und nach dreieinhalb Jahren blühte das Geschäft mit der Prostitution. Nach vier Jahren, hatten sie Verträge mit allen größeren Gangs und anderen organisierten Verbrecherbanden abgeschlossen, die das Potenzial der meist sehr jungen „Wölfe“ erkannt hatten und entweder nutzen oder wenigstens kontrollieren wollten. Allerdings hatte die Gang eine absolute Königsdisziplin und die nannte sich „Feiern“. Heute Nacht waren alle führenden Köpfe der Wölfe in der alten Halle versammelt, die sozusagen Nostalgiewert hatte, da hier alles begonnen hatte und man deshalb das fünfjährige Bestehen hier begießen wollte. Und genau wie vor fünf Jahren saß Jesuz wieder in dem abgewetzten Sessel, der auf einer hölzernen Erhöhung an der schmalen Hallenseite gegenüber der Tür stand. Aus drei Metern Höhe sah er auf seine treuen Wölfe herab, die im Moment zu lauter Hardcoremusik durch die Halle tanzten, sich anschrien oder sich prügelten, Kokain schnupften oder Gras rauchten oder sich halb tot soffen. Jesuz lächelte wohlwollend und entblößte zwei Reihen spitz gefeilter Zähne. Heute war eine Nacht zum feiern und die würde er jedem seiner Getreuen gönnen, die ihn in den letzten Fünf Jahren begleitet hatten. Es waren genau 53 Wölfe, die ihn von Anfang an unterstützt hatten. Kein Wunder also, dass sie ihre Macht so schnell ausbauen konnten. Zufrieden mit sich und der Welt strich der Leitwolf sich die dunkelbraunen Locken aus dem Gesicht und winkte einem seiner Leibwächter, ihm einen Joint zu reichen. Genüsslich zog er daran und erfreute sich an dem Geschmack. Heute Nacht, konnte ihm nichts und niemand die Laune verderben. Das laute Knirschen und Rattern kündigte die Besucher an, bevor sie überhaupt eingetreten waren und übertönte sogar die Musik und das betrunkene Geschrei und Geheule der Gangmitglieder. Einige stoppten tatsächlich mitten in der Bewegung und sahen mit offenem Mund dabei zu, wie das tonnenschwere, deckenhohe und Fünfzehn Meter breite Eisentor zur Seite geschoben wurde ohne, dass jemand die dafür vorgesehene Elektronik benutzte. Alarmiert ließ Jesuz den Joint fallen und sprang auf. Er hatte in seinem Gewerbe nur so lange überlebt, weil er einen Sinn für Gefahr hatte und im Moment schrie sein ganzer Körper, dass da etwas im Verzug war. „Musik aus!“, brüllte er über alle Nebengeräusche hinweg und eine noch halbwegs nüchterne Wölfin hastet zu der riesigen Anlage und zog schlicht den Stecker. Mit einem klagenden Geräusch heulte die Maschine noch einmal auf, dann erstarb die Musik. Jeder etwaige Protest eines Wolfes wurde durch das immer noch anhaltende Knarren und Knirschen des Eisentors im Keim erstickt. Wie hypnotisiert drehten sich alle Anwesenden, sogar die, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, dem sich langsam öffnenden Eingang zu. Der Spalt war kaum breit genug, dass ein Mann hindurch treten konnte, als das Knirschen verstummte und einige Sekunden lang fast gespenstische Stille in dem Lagerhaus herrschte. Nur der laue Wind des Spätsommers pfiff leise durch die kaputten Fenster und das geöffnete Tor. Stumm gab Jesuz seinen Wachen ein Zeichen und die griffen nach ihren Pistolen und anderen, schwereren Waffen. Wer auch immer da kam, er würde nicht wieder gehen . Langsam löste sich eine Silhouette aus der Dunkelheit der Nacht und trat dann schlagartig in das Licht der hell erleuchteten Halle. Einen Moment lang blieb die junge Frau im Türrahmen stehen und blickte sich um. Verächtlich zog sie die hübsche Nase kraus und betrachtete mit unverhohlener Abscheu die Anwesenden, die alle mehr oder minder benebelt waren und in typischer Gangkleidung steckten, um bedrohlich zu wirken. „So vorhersehbar“, sagte sie leise, aber in der Stille des Raumes war jedes Wort gut zu verstehen. Die Wachen zuckten, aber Jesuz gebot ihnen mit einer Handbewegung Einhalt. Er wollte erst wissen, wer seine große Nacht ruinierte. Allein vom Aussehen her, passte der ungebetene Gast nicht in diese Gegend. Sie war hübsch und kurvig, ihr bronzener Teint ließ vermuten, dass sie lateinamerikanische Vorfahren hatte. Die kupferfarbene Haarmähne fiel ihr offen über die Schultern und das enge Top und die ebenso enge Jeans betonten ihre Figur ohne sie nuttig aussehen zu lassen. Etwas, dass bei den Wölfen für die Frauen zum guten Ton gehörte. Ohne eine Spur von Einschüchterung ging sie weiter in die Halle. Das Klacken ihrer lilanen Stiefel hallte von den Wänden wider, während die Gangmitglieder sie nur mit großen Augen anstarrten. „Wer von euch“, fragte sie ruhig und mit starker Stimme, „hat hier das Sagen?“ Für einen Moment herrschte vollkommene Stille, dann trat Jesuz bis zum Rand der hölzernen Plattform. „Ah“, hauchte die Frau bloß und heftete den Blick ihrer harten, braunen Augen an Jesuz. Im selben Moment traten nahezu geräuschlos vier weitere uneingeladene Gäste ein. Der erste war ein Bulle an Mann, der sein graues Haar militärmäßig kurz trug und in seinem teuer wirkenden, hellgrauen Anzug und den auf Hochglanz polierten Lederschuhen sogar noch deplazierter aussah als die hübsche Latina. Hinter ihm her, tippelte grazil ein Mädchen, das gerade halb so groß war wie er und asiatische Gesichtszüge hatte. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schnüffelte neugierig durch die Luft. Die andere Frau sah aus, als hätte man sie aus einer Disko entführt, war sie doch in ein schulterfreies, glitzerndes Minikleid und glitzernde Stiefel und Handschuhe gehüllt. Ihr Lächeln wirkte bezirzend, allerdings lag ein Hauch von Wahnsinn dahinter. Der letzte, der eintrat, wirkte schon wieder so normal, dass es überraschend war. Ein Teenager in Pulli und Jeans. Das Gesicht blass und die Haare ungezähmt. Nur seine Augen waren ungewöhnlich. Eines war blau, das andere grün. Das Auftauchen dieses Trüppchens brach bei den Wölfen schließlich alle Dämme. Sie heulten laut auf und lachten herzhaft, um den Schock zu vertreiben, der ihnen noch in den Gliedern saß. Mit allem hatten sie gerechnet, aber nicht mit so einer Freakshow. Die Latina verzog die schmalen Lippen zu einem amüsierten Lächeln, während ihre Begleiter Stellung um sie bezogen. „Scheint, als nähmen sie uns nicht ernst, Joy“, bot der Teenager mit den zweifarbigen Augen ihr höflich an. Der riesige Kerl im Anzug schnaubte nur verächtlich, während die glitzernde Diskofrau sich weiterhin manisch lächelnd umsah. Einige pfiffen ihr zu und verlangten, dass sie tanzen solle. Das asiatische Mädchen strich sich die kinnlangen, rostbraunen Haare zurück und schnüffelte weiter, als läge ein ganz besonderer Duft im Raum. „Das dachte ich mir fast, Nate“, antwortete Joy bloß und sah mit stoischer Ruhe dabei zu, wie die Wölfe einen engen Kreis um die Neuankömmlinge zogen. Es war deutlich zu sehen, dass sie sie als Spielbälle ansahen, die ihnen ihre Feier noch versüßen würden. In Jesuz Kopf sprangen alle Alarmsignale auf rot. „Ruhe!“ Schlagartig verstummten die Wölfe und sahen zu ihrem Leittier hoch. Warum leichte Beute schonen? Jesuz erkannte leichte Beute, wenn er sie sah. Dies war keine, dass wusste er. „Was sucht ihr hier?“, rief er quer durch die Halle, seine dunkle Stimme dröhnte von den Wänden. Lässig legte die Frau mit den kupferfarbenen Locken den Kopf zur Seite. „Die Heulenden Wölfe haben wir gesucht“, antwortete sie mit einem angedeuteten Lächeln. Jesuz starrte sie einen Moment unverwandt an. Er wusste, dass diese Frau sich dumm stellte. Doch warum, das war ihm nicht klar. Joys Lächeln wurde etwas breiter. „Keine Lust auf Spielchen?“, fragte sie amüsiert und warf dann ihre Haarpracht über die schmale Schulter. Einige der Wölfe lachten daraufhin lüstern. Für sie war klar, dass dieses Weib für ihre Unterhaltung sorgen würde. Als Jesuz immer noch nicht reagierte seufzte sie enttäuscht und schüttelte den Kopf. „Du machst überhaupt keinen Spaß, Jesuz.“ Dieser Kommentar verriet Jesuz zwei Dinge. Das erste war, dass diese Frau absolut wahnsinnig sein musste. Das zweite sagte ihm, dass sie sich besser über die Gang informiert hatte, als sie sie hatte glauben machen wollen. Und diese beiden Umstände waren es, die ihn, einen der kampferprobtesten Männer der hiesigen Unterwelt, den Kopf verlieren ließen. „Zerfleischt sie!“; brüllte er durch die Halle, die Augen in einem Anfall von Panik weit aufgerissen. Freudig stießen die Wölfe ihr Kampfgeheul aus und begannen sofort damit, sich mit bloßen Händen auf die Eindringlinge zu werfen, um sie so zuzurichten, dass sie nicht mehr waren als einige Klumpen zerquetschtes Fleisches. Die Asiatin hörte auf zu schnüffeln und starrte die wilde Meute aus graubraunen Augen an. Die Discolady sah sich nur amüsiert um und summte dabei ein kaum hörbares Lied vor sich her, während der Teenager und der ältere Mann vollkommen unberührt dastanden und den Ansturm der Wölfe erwarteten. Noch bevor der erste Mann sie erreicht hatte, grinste Joy. Ihre perlweißen Zähne schienen zu glühen und ihre Eckzähne waren so lang, dass sie wie die Fänge eines Raubtieres aussahen. „Ich korrigiere mich“, hauchte sie leise, „Du machst doch eine Menge Spaß.“ Der kleine asiatische Schnellimbiss „Siamesische Zwillinge“ wurde von einer viel zu grellen Neonröhre erhellt, die jeden einzelnen Schmutzflecken an der ehemals weißen Wand und der schlecht geputzten Glasfront betonte. Auch die beiden roten Lampions über der Tür taten nichts, um die winzige zwölf Quadratmeter Bude freundlicher aussehen zu lassen und die zerfledderte Schriftrolle an der Wand sah, genauso wie der grüne Buddha auf der schmalen Theke, einfach nur überkitscht aus. Es war genau Platz für einen einzigen Tisch und einen passenden Stuhl und beides wurde im Moment von einem jungen Mann in seinen Zwanzigern beansprucht. Vor ihm stand ein Teller mit diversen asiatischen Schnellgerichten und eine Flasche Wasser, an die er eine abgegriffene Ausgabe von Fontanes „Effi Briest“ gelehnt hatte. Über die Seiten selbiger glitt der Blick seiner dunkelbraunen Augen, während er sich abwesend immer mal wieder eine Gabel voller Nudeln oder Frühlingsrolle in den Mund schob ohne von seiner Lektüre aufzusehen. Das Windspiel über der Tür klingelte leise und als hätte sie auf nichts anderes gewartet, schoss die Bedienung förmlich aus der winzigen, abgetrennten Küche hervor, um wie ein Wachhund an der Theke zu stehen, das Gesicht mit einem freundlichen Lächeln geschmückt. „Guten Abend. Was darf es denn für Sie sein?“, fragte sie übertrieben freundlich und strich sich dabei das kinnlange, pechschwarze Haar zurück. Der eben eingetretene Gast erwiderte das Lächeln und die Bedienung schmolz fast augenblicklich dahin. Leuchtendblaue Augen, kurzes, dunkelblondes Haar, ein leichter Dreitagebart zierte die Wangen und das männliche Kinn und das Lächeln war so strahlend, dass der Raum unwillkürlich heller zu werden schien. „Was auch immer du mir empfiehlst“, antwortete der Neuankömmling bloß lässig und sah dann zu, wie die Bedienung eifrig nickte und mit wackeligen Knien in die kleine Küche verschwand. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er sich schließlich dem dunkelhaarigen Mann am Tisch zuwandte. „Hey, Danny.“ Danny sah kurz von seiner Lektüre auf. „Immer wieder Erstaunlich. Du betrittst einen Raum und die Frauen liegen dir zu Füßen.“ Der Andere antwortet nur mit einem unverbindlichen Schulterzucken und zog dann seine schwarze Strickjacke aus. Danny zog eine Augenbraue hoch. Sein Freund schien tatsächlich bleiben zu wollen. „Schau mich nicht so an, sondern rutsch rüber.“ Resigniert klappte der junge Mann sein Buch zu und rutschte tatsächlich halb von seinem Stuhl, um die andere Hälfte seinem Kollegen abzutreten. „Ich hoffe, dass der Grund für deine Störung von Wichtigkeit ist, Angel“, sagte er trocken, „Ich habe heute Abend eigentlich besseres vor.“ Angel setzte bloß wieder sein unwiderstehliches Lächeln auf und schmiss seine Jacke über die Stuhllehne, als er sich neben Danny setzte. Ihre nackten Arme und die mit Jeans bedeckten Oberschenkel stießen ineinander, aber keinen der beiden schien es zu stören. „Ein toter Schriftsteller kann mit mir nicht mithalten, Babe“, begann er und steckte sich dann ungeniert eine Gabel von Dannys Nudeln in den Mund, „Auscherdem weischt du, dasch ich nur schu dir komm’ wensch wichtig is’.“ Die geschwungenen Lippen des dunkelhaarigen formten sich bloß zu einem trägen Grinsen und sie beide wussten, dass Angel es eigentlich besser wusste. Es war seine erklärte Lebensaufgabe, Danny in den Wahnsinn zu treiben. In diesem Moment erschien die asiatische Bedienung wieder aus der Küche. Für einen Moment huschte Überraschung über ihr hübsches Gesicht, da sie mit Sicherheit dachte, dass ihr gut aussehender Kunde mit den blauen Augen und den vollen Lippen einfach verschwunden war, bis sie ihn nur eine Sekunde später neben ihrem anderen, dunkelhaarigen Gast entdeckte. Beide sahen sie an – Angel unverhohlen flirtend, Danny bloß als Zeichen, dass er sie wahrgenommen hatte –, als sie von einem Ohr zum anderen rot wurde, einen Teller mit Hähnchen und Nudeln vor Angel abstellte und dann in die Küche verschwand. Aus den Augenwinkeln fixierte sie die Stelle, an der sich Dannys und Angels Oberarme berührten. „Süß“, murmelte Angel und machte sich dann über seine Essen her, Dannys Präsenz vollkommen ignorierend. Der gab dem kindischen Impuls, die Augen zu verdrehen, nach und stieß ihn dann gegen den Oberarm, sodass er sich an der Tischplatte festhalten musste, um nicht zu fallen. „Es ist also wichtig?“, fragte Danny unschuldig und pickte sich ein Stück Hähnchen von Angels Teller, ein amüsiertes Glitzern in den dunklen Augen. Der Angesprochene zog sich wieder in eine aufrechte Position und machte es sich auf seiner Stuhlhälfte so gemütlich wie möglich, bevor er antwortete. „Du kennst doch diese Gang aus Halbstarken, die mit dem komplett bekloppten Titel?“ Danny nickte bloß. Ein paar ziemlich üble Teenager und junge Erwachsene hatten sich zu einer zweifelhaften Organisation mit dem lächerlichen Namen Heulende Wölfe zusammengefunden und sich in kürzester Zeit ein nicht zu verachtendes Imperium aus ebenso zweifelhaften Dienstleistungen errichtet. Soweit Danny informiert war, hatte diese Gang sowohl den Drogenhandel, als auch die Prostitution in der Stadt weitestgehend monopolisiert. Angel steckte sich eine weitere Gabel voller Hähnchen und Nudeln in den Mund, bevor er weiter sprach. „Die Bosschee sind jetzt alle tot.“ Überrascht zog Danny die breiten Augenbrauen hoch und es wirkte, als wollten sie seinen Haaransatz berühren. „Jepp, so hab ich auch geguckt“, bestätigte Angel die Überraschung seines Freundes und stopfte sich den Rest seines Essens zwischen die perlweißen Zähne. Dann zog er Dannys Teller zu sich heran und begann, sich über die Überreste herzumachen. Nachdenklich rieb Danny sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand über die Nasenspitze seiner geraden, aber etwas zu großen Nase. Angel quittierte die Geste mit einem Grinsen. „Ich nehme an, dass so genannte Gangrivalitäten ausgeschlossen werden können?“, fragte der Dunkelhaarige und rieb sich weiter die Nase. In seiner Stimme schwang jetzt unverhohlene Neugier mit, aber von Mitleid oder Genugtuung war nichts zu hören. Es war einfach nicht seine Art, sich um das Schicksal anderer zu scheren. Zumindest nicht dann, wenn sie außerhalb seines Interesses lagen. Mit einem leisen Klacken legte Angel die Gabel auf den zweiten, nun leeren Teller und schob das Geschirr von sich weg. Im selben Moment wurde die Tür des kleinen Imbiss geöffnet, das Windspiel klingelte leise und ein Schwall milden Windes und Verkehrsgeräusche wurden zusammen mit einer abgehetzt aussehenden Frau und ihrem erschöpft wirkenden Mann herein getragen. Die Asiatin tauchte wieder aus der Küche auf und nahm freundlich lächelnd die Bestellungen der beiden auf. Unwillkürlich beugte Angel sich näher an Danny heran, sodass sein Atem über das empfindliche Ohr des anderen strich. „Vor weniger als zwei Stunden ging ein Notruf bei der Polizei ein. Ein vollkommen panischer Mann flehte, dass das Sonderkommando sie vor einigen Irren retten sollte, die sie angegriffen hätten und nun ein Massaker veranstalten würden.“ Er beugte sich noch weiter vor und seine Nasenspitze stieß sanft gegen Dannys kurz geschorenes Haar. Falls es ihn störte, zeigte er es nicht. Sein Interesse schien im Moment ganz und gar Angels Worten zu gelten. „Die Leute außer der Technikabteilung haben den Notruf natürlich abgefangen und mitgehört und wollten ihn bereits als normales Verbrechen fallen lassen, als der Mann weiter behauptete, dass ihre Angreifer ihnen das Blut aussaugen würden. Danach war nur noch ein entsetzter Schrei zu hören und obwohl die Leitung offen blieb, war nichts mehr zu hören, außer einigem tosenden Krach.“ Danny nickte einmal und Angel zog die Nase kraus. Die dunklen Haare seines Freundes kitzelten. „Wie hat man reagiert?“, fragte er den blonden Mann nüchtern und betrachtete den Salzstreuer auf dem Tisch, als wäre er der Fixpunkt des Universums. Angel zuckte wieder unverbindlich mit den Schultern. „So weit ich weiß, hat sich einer von unseren Technikgeeks in den Polizeifunk eingeklinkt und ein anderer hat den routinemäßig losgeschickten Streifenwagen via GPS verfolgt. Den armen Herren von der Behörde hat sich wohl ein ziemlich übles Bild geboten. Die Leichen – oder das, was von den Kiddies über ist – wurden hübsch um das Lagerhaus drapiert, aus dem der Notruf kam. Einige liegen wohl einfach verteilt herum, andere sind zerfetzt, wieder andere an die Wände genagelt und einige sind sogar blutleer und angenagt“. Er betonte das letzte Wort und ein weiterer Atemzug strich über Dannys Ohr, während Angel sich schlussendlich wieder zurücklehnte und somit zumindest die Illusion von persönlichem Raum zuließ. „Der Kontakt zu den Beamten riss nach diesem Lagebericht übrigens ab.“ Danny drehte den Kopf zu seinem Kameraden und blickte ihn aus dunklen Augen an. „Du vermutest also?“, fragte er, den Kopf leicht schief gelegt und die sonst hübschen Züge zu einem nachdenklichen Stirnrunzeln verzogen. Angel zuckte ein weiteres Mal unentschlossen mit den Schultern, aber sein Markenzeichengrinsen blieb. „Vermutlich zwei bis drei Vampire und mindestens ein hungriger Tierdämon. Aber wer weiß das schon.“ Wie selbstverständlich griff er nach der Wasserflasche auf dem Tisch und nahm einen großen Schluck. „Ich vermute allerdings auch, dass ich mit meiner Theorie sehr nah dran bin.“ Danny nickte bloß und nahm Angel dann die Wasserflasche aus den großen Händen. Für gewöhnlich waren Angels Ideen in dieser Hinsicht richtig und wenn die Informationen direkt auf den aktiven Polizeifunk zurückzuführen waren und seine Theorie darauf aufbaute, war die Wahrscheinlichkeit für Dämonen recht hoch. „Für mich stellt sich jetzt nur noch die Frage, was unsere kleinen Monster mit dem Blutbad erreichen wollten“, nuschelte Angel. Zum ersten Mal verschwand das strahlende Grinsen von seinen hübschen Zügen und die blauen Augen verdunkelten sich. „Wenn sie sich neue Jagdgründe suchen wollten, warum dann so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Und wenn es um Angst und Schrecken ginge, dann hätten sie sich doch der Welt präsentiert, oder?“ Gedankenverloren kaute Angel auf seiner vollen Unterlippe, die Augenbrauen herabgezogen und die Stirn in Falten gelegt. Es schien einfach keinen Sinn zu machen, über fünfzig Leute zu meucheln und dann weder einen Vorteil, noch Ruhm dadurch zu erlangen. „Wir suchen also nach einer dritten Lösung“, erwiderte Danny ruhig und betrachtete seinen Freund aus den Augenwinkeln. Angel schnaubte unterdrückt. „Was du nicht sagst, Babe. Streng deinen überdurchschnittlichen IQ bitte etwas mehr an.“ Er stand auf und setzt sich dann hemmungslos auf den Tisch, nur um von Dannys selbstzufriedenen Gesichtsausdruck begrüßt zu werden. Natürlich war das ganze sehr subtil, da Danny sich mit überschwänglichen Emotionen zurückhielt und eigentlich zu gut erzogen war, um Überlegenheit auszukosten, aber Angel war viel zu gut darin, jede noch so kleine Veränderung in der Mimik und Gestik seines Kollegen wahrzunehmen. Seelenverwandtschaft war zwar ein unglaublich mädchenhaftes und deshalb eben ein so gar nicht männliches Konzept, aber es traf auf die beiden gut zu. „Du hast bereits eine Idee“, stellte Angel ohne umschweife fest und die Ahnung eines Lächelns umspielte Dannys Mundwinkel. Angel verdrehte die Augen. „Schieß los, Babe.“ Danny erbarmte sich und ließ Angel an seinem Genie teilhaben. „Es ist eine Herausforderung“, sagte er und neigte den Kopf leicht zur Seite. „An uns?“, fragte er und sein strahlendes Lächeln war zurück. Das versprach, eine lustige Nacht zu werden. Ein kaum merkliches Kopfschütteln. „Nein, ehr generell. Es ist mehr eine Aufforderung an alle, die glauben Macht zu besitzen. Deshalb werden sie auch die Vorstände dieser Organisation gewählt haben.“ Angels Lächeln wurde auf Grund Dannys formaler Wortwahl noch breiter. „Da wir das nun geklärt haben kann ich dir ja gerne meinen Auftrag mitteilen.“ Danny zog bloß eine Augenbraue hoch und bevor der blonde weiter sprechen konnte, schnitt er ihm das Wort ab. „Finden Sie Agent Danny, hören Sie sich seine Theorie an und rufen Sie dann denn Rest des Kommandos zusammen, um die Dämonen zurück in die Hölle zu schicken; egal, zu welchem Entschluss sie zuvor gekommen sind.“ Es war keine Frage, sondern eine simple Feststellung und der Blonde lachte amüsiert. Dann glitt er elegant von der Tischplatte und beugte sich vor, um seine Jacke von der Stuhllehne zu ziehen und gleichzeitig seine Handy aus seiner Jeans zu fummeln. „Da das Meeting jetzt vorbei ist, ruf ich den Rest des Teams an“, sagte er, einen fröhlich – aufgekratzten Unterton in der Stimme. Himmel, diese Nacht versprach eine Party zu werden! Danny nickte seine Zustimmung und begann dann ebenfalls damit, seine Sachen zusammen zu suchen, während Angel bereits halb aus der Tür war und ohne sich umzusehen auf seinen Kollegen deutete und sich mit den Worten Er zahlt! verabschiedete. Mit der schwächsten Andeutung eines Kopfschüttelns legte Danny das Geld für ihr Essen auf den Tisch und sah dann auf. Das Ehepaar und die Kellnerin sahen ihn mit geschockten Gesichtern an und die ältere Frau machte sogar einen Schritt zurück. Es war offensichtlich, dass sie die Konversation der beiden Männer ab einem gewissen Punkt – vermutlich ab den Vampiren und Tierdämonen – mitgehört hatten. Allem Anschein nach, hielten die drei sie für mindestens geistig verwirrt und vielleicht sogar für gefährlich. Mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen griff Danny nach seiner Ausgabe von „Effi Briest“ und ging dann ebenfalls zum Ausgang. Im letzten Moment drehte er sich noch einmal um und brachte tatsächlich so etwas wie ein Lächeln zu standen. „Belasten Sie sich nicht mit dem, was Sie gehört haben. Für Sie ist das schlicht ein zu weites Feld.“ Selbst als die Männer schon lange fort waren und auch das Windspiel über der Tür längst verstummt war, starrten die drei noch auf die Glastür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)