Digimon 02 - Dead End von UniverseHeart (- Was bleibt am Ende? -) ================================================================================ Kapitel 6: See the world outside these walls -------------------------------------------- Und es kommt der Tag an dem ich mit Mummymon gemeinsam vor unsere Haustür trete, und er den Wind spüren kann und die Sonne erbarmungslos auf uns herunter scheint. Ich gehe zwar immer mal wieder vor die Haustür wenn ich auf dem Weg zur Arbeit bin, jedoch geschieht das meist früh morgens wenn der Himmel sich noch nicht in seiner ganzen Pracht zeigt und alles noch dunkel ist, zu einer Zeit, in der die langen Schatten der Umgebung nie ganz verschwinden wollen. Wie gesagt, mir ist dieser Anblick sehr vertraut und ich muss zugeben, für mich ist er nichts Besonderes – wieso soll ich ihn genießen und mich daran erfreuen, wenn es seit dem Tod Hirokis nichts mehr für mich gibt, für das es sich wirklich zu leben lohnt? Ich streife mir die dunkle Jacke über nachdem ich aus dem Schlafzimmer trete, und meine Hand über meinen Anzug streifen lasse um ihn auf meinem Körper zu glätten. Ein kurzer prüfender Blick schweift zu dem Spiegel direkt vor mir. Nicht dass ich viel Wert auf mein Äußeres lege, aber es gehört nun einmal zu meinem Beruf dazu, dass ich ein einigermaßen gutes und gepflegtes Aussehen bewahre. Es wird von mir erwartet, und obwohl ich ganz genau weiß, dass es nicht geht, so muss ich dennoch weiter funktionieren, mir nicht anmerken lassen, dass ich eigentlich tief in meinem Inneren einer Reparatur bedürfte. Wie ironisch. Wir Menschen plädieren immer darauf, wie toll es ist, dass wir sind was wird sind, sagen, dass wir im Gegensatz zu Maschinen einen eigenen Willen haben; und doch fliehen wir vor unseren eigenen Fehlern, sagen uns, dass, wenn etwas nicht so läuft wie erwartet, es mit einigen ganz einfachen Mitteln wieder bereinigt werden kann. Vielleicht fehlt hier und da eine Schraube, die zu locker ist, und nur angezogen werden muss, und dann verschwindet dieses funktionelle Problem wieder. Doch mit so einer Denkweise übersieht man so leicht dass es Dinge gibt, die man nie wieder herstellen kann, Dinge, die sich nicht mehr beheben lassen, Fehler, die sich nicht mehr ausmerzen lassen. Probleme, die nicht mehr verschwinden werden egal was man tut. Und schließlich ist es ja auch nicht so, dass jede Maschine wieder auf ihren vollen Stand zurück gebracht werden kann. Und für jene gibt es nur noch ein einziges Ende, irgendwo auf einem leeren Platz des Chaos. Es ist natürlich, Schwäche zu hassen und sie loswerden zu wollen, und ich bin da kein Stück anders. Doch was ist Stärke, wie erlange ich sie und wie will ich mich am Leben halten? Wie will ich vorgeben zu sein was ich nicht bin? Schwache bleiben zurück und enden wie nicht funktionierende Maschinen, alleine, zurückgelassen und vernichtet. Und trotz der viel erwähnten Menschlichkeit die von allen überall so sehr gepriesen wird, so geschieht mit uns fühlenden Wesen dasselbe wie mit kaputten Maschinen – wir werden vergessen und von der Gemeinschaft verstoßen weil wir zu schwach sind und mit unseren Fehlern die Gesellschaft vergiften. Und eines weiß ich: Ich will nicht schwach sein, will nicht hören, dass ich das bin. Darum gebe ich vor, etwas zu sein was ich nicht bin, zumindest noch nicht. Und lange muss ich nicht durchhalten, nur so lange, bis es endlich soweit ist und ich in die Welt übertreten kann in die ich will. In der ich frei sein kann, in welcher es nicht zählt, was ich bin oder vorgebe zu sein. In der es nicht wichtig ist, den Erwartungen anderer Menschen um dich herum gerecht zu werden oder die Rolle zu spielen, die sie von dir erwarten. Es gibt so viele Menschen, die gerade das nicht zu bemerken scheinen – dass sie die Rolle spielen, die man ihnen zugeschrieben hat. Und indem ich mich dem Kontakt zu anderen Wesen meiner Spezies weitestgehend zurückgezogen habe, bin ich in der Lage gewesen, genau dies zu erkennen. Doch wie gesagt, fürs Erste muss ich mich noch verstellen. Nur so lange bis.... Meine bleiche Hand gleitet zu dem Knopf an meinem langen Mantel den ich mir überstreife und dann zuschließe. Ich seufze auf, und frage mich mit einem Mal, ob mein Mitbewohner noch schläft und ob ich mal nachsehen sollte, ob dem wirklich so ist, doch ich verwerfe den Gedanken schon wieder. Warum soll ich mir übermäßige Sorgen machen, wenn bis jetzt schon nichts passiert ist? Mummymon kann sich durchaus beherrschen und scheint recht pflegeleicht zu sein, jedenfalls besser als wenn man sich ein Haustier oder ähnliches zugelegt hätte. Dennoch verlässt mich ein gewisses Unbehagen nicht wenn ich daran denke, dass er in seinem hastigen und vor allem begeistertem Verhalten schon so manches Mal einige Dinge hier auf den Kopf gestellt hat. Sicher ist sicher, denke ich mir, und öffne die Tür zu dem Raum, in dem er sonst immer schläft, jedoch behutsam, sodass ich ihn nicht wecke. Ein Lichtspalt scheint in sein Zimmer, dass er noch alleine für sich hat... nun ja, vielleicht nicht unbedingt ein Zimmer, eher eine Art Abstellkammer, jedenfalls ist hier nie sehr viel drin gewesen und er hat hier genug Platz für sich alleine. Ich höre ihn leise atmen und weiß dann, dass er tatsächlich noch schläft. Mein Blick fällt auf die Uhr, und ich sehe, dass ich hier weg muss, wenn ich noch rechtzeitig auf die Arbeit will; ich weiß, dass Mummymon bald aufstehen wird, zumindest sobald die Sonne aufgeht und ihn weckt. Doch was er in all der Zeit eigentlich tut, in der ich nicht hier bin, das habe ich mich noch nie zuvor gefragt. Ich drehe mich um und will weggehen, als mich eine müde Stimme kurz zurückhält: „Boss, wo gehst du hin?“ „Auf die Arbeit“, lautet meine schroffe Antwort darauf, „aber das weißt du ja.“ Mummymon nickt, bevor er mich dann fragt: „Aber... gehen wir heute endlich zusammen raus, wenn du wieder da bist?“ „Hm, ich weiß nicht...“ „Aber du hast es versprochen!“, protestiert er leise, bevor ich ihn unterbreche: „Ich habe nicht gesagt, dass es nicht möglich ist, ich muss nur zusehen, dass ich vorher rechtzeitig nach Hause komme...vor allem, wenn es dir lieber ist, tagsüber rauszukommen. Also, was magst du eher? Tagsüber oder nachts?“ „Hm...“, das Mumiendigimon überlegt kurz und strapaziert damit meine Geduld, weil ich in Eile bin, „Ich will eher tagsüber raus gehen, denn die Dunkelheit habe ich schon oft erlebt...“ Ein Seufzen entweicht meinen Lippen. „Na schön, dann werden wir es tagsüber machen. Aber ich muss jetzt wirklich los, sonst komme ich zu spät.“ „B-boss, warte noch kurz!“ „Was ist?“ „Ich habe dir etwas zu essen vorbereitet, es liegt in der Küche. Vergiss nicht, es mitzunehmen..“, murmelt er schläfrig, ehe er sich die Bettdecke über den Kopf zieht, und sich von mir wegdreht. Ich haste in die Küche, und tatsächlich – ich finde eine liebevoll zubereitete Essensbox vor, die ich hastig in meine Tasche packe bevor ich zur Tür renne, ein warmes Gefühl in meiner Magengegend unterdrückend. Sollte er wirklich schon so schnell lernen? Warum ist er nur so gut zu mir? Die kühle, fast schon herbstliche Luft schlägt mir ins Gesicht und kühlt meine bleichen Wangen. Ja, die Dunkelheit des Morgens hat mich wieder, für einen kurzen Augenblick. Ich schlendere in die U-Bahn um zu meinen Arbeitsplatz zu gelangen, in Gedanken versunken, ihm, diesem Digimon, Halbmenschen, auch meinen Dank zu erweisen. Vielleicht wäre es wirklich mal möglich, dass ich heute eher nach Hause kommen könnte, nur damit ich ihm die Welt hier draußen zeigen kann? Ah, was gibt es denn eigentlich hier zu sehen? Lohnt es sich wirklich, gerade ihn mit dieser schrecklichen Welt zu konfrontieren, in der es keinerlei Gerechtigkeit gibt? Doch, für meine Aufgaben wäre es besser, wenn er sich mit dieser Welt vertraut macht, denn ich brauche jemanden, der mir auch hier assistieren kann, und es wäre umsonst gewesen, seine menschliche Seite zum Vorschein zu bringen, wenn er auch jetzt immer noch nicht heraus kann. Ich hätte ihm umsonst diese Schmerzen zugefügt... Ich schüttele den Kopf und mache mich die Treppen auf zu meinem Büro. Einmal mehr bin ich dazu gezwungen, meine Gedanken und Pläne an heute Abend zu verdrängen. Ich kann nur hoffen, dass ich entweder heute oder in einer der nächsten Tage endlich die Möglichkeit bekommen würde, mittags mit ihm herauszugehen, aber das wird nur möglich sein, wenn ich vorher die Erlaubnis bekomme, meine Schicht ein wenig früher zu beenden oder mit einem Kollegen zu wechseln. Auch wenn es unangenehm ist danach zu fragen, ich muss es tun. Ich beiße mir auf die Unterlippe, bevor ich in meine Arbeitstarre verfalle. Erst später werde ich mich dem widmen können, was wirklich wichtig für mich ist. Müde komme ich nach Hause, stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe um, damit die Tür aufgeht; ich stapfe herein, nur um dann Mummymon herumwuseln zu sehen, der dann sofort vor mir steht. Ich erschrecke ein wenig, da ich nicht erwartet habe, ihn SO zu sehen, in seiner menschlichen Form. Ich rümpfe mir die Nase, weil ich es nicht leiden kann, wenn er so offen zeigt, dass er stolz ist, die Aufgabe von neulich erfolgreich hinter sich gebracht zu haben. Dann bemerke ich den Dampf, der aus der Küche kommt, und den Geruch, der daraufhin folgt. „Mummymon, was zur Hölle machst du da?“, poltere ich und das Digimon dreht sich erschrocken um. „Ah, Mist!“, ruft er, „I-ich glaube, das Essen brennt an..“ „Idiot, dann geh und verhindere das Schlimmste!!“ Mummymon rennt wieder zurück in die Küche, während ich mir den Mantel ausziehe, ihn hastig in die nächste Ecke werfe, und ebenfalls in die Küche angerannt komme. Ein beißender Geruch empfängt mich. „Was zum...?!!“, entweicht es mir, und ich sehe wie Mummymon das Herdfeuer abstellt und besorgt in den Topf schaut. Er nimmt einen Löffel, und rührt herum, um einschätzen zu können wie groß der Schaden ist, und seufzt dann erleichtert auf. Ich blicke ihn nur verständnislos an. „Erklärst du mir jetzt endlich, was du hier eigentlich treibst???“, raune ich, und Mummymon, der die Ruhe weg zu haben scheint, nun da er gesehen hat, dass es nicht ganz um sein Werk geschehen ist, dreht sich zu mir um und sagt: „Ich habe uns was zu Essen gekocht.“ „Ja, und es anscheinend anbrennen lassen“, schließe ich, „sieht es schlimm aus, oder ist es noch essbar?“ „Hm, soweit ich einschätzen kann, ist es nur unten eingebrannt, aber...“ „Ich will wissen ob es essbar ist!!“ „Ja, ich denke schon dass es das ist.“ „Und was hast du uns Feines gemacht?“, frage ich mit einem sarkastischen Unterton nach während ich zurück in den Flur gehe um meinen Mantel wieder aufzuheben und ihn korrekt auf den Kleiderhaken zu hängen. Mummymon kommt aufgeregt aus der Küche, mit einem Kochlöffel in der Hand und verkündet erfreut, dass er sich an einem Eintopf versucht hat, was mich zu der Überzeugung bringt, dass er recht haben könnte und es nicht komplett um seinen Kochversuch geschehen ist. Nur blieb mir die Frage übrig, ob das was er da zusammen gekocht hat wirklich genießbar ist oder nicht. Aber als ich in Mummymons überschwänglich lächelndes Gesicht blicke, wird mir klar, dass er meinen Sarkasmus von vorher nicht bemerkt hat und es geschieht etwas Komisches. Meine Gesichtsmuskeln verzerren sich, und ich breche in ein herzliches, schallendes Gelächter aus. Mein Atem entweicht mir fast vollständig, und mein Brustkorb hebt und senkt sich unkontrolliert, bis ich mir aus Schmerz die Seiten halten muss. Dann ist es plötzlich vorbei und Mummymon sieht mich mit einem verwirrten Blick an, bevor er lächelt. „Du hast gelacht, Boss!“, stellt er fest und ich antworte ihm atemlos: „Ja, das habe ich...“ Plötzlich ändert sich alles. Ich kann nicht fassen was gerade wirklich geschehen ist. Dass er, Mummymon, das bewirkt haben soll, dieses warme Gefühl in mir, dieses Gefühl von Geborgenheit, dank dem ich nun endlich mal gelacht habe – das erste Mal seit Hirokis Tod, das erste Mal seit so vielen Monaten. Ich fühle mich plötzlich nicht mehr alleine. Ich bemerke zum ersten Mal, dass es keinen Grund dazu gibt, sich noch alleine zu fühlen, dass ich jemanden habe, mit dem ich zusammen sein kann, der mich nicht als Verlierer sieht. Im Gegenteil, jemand, der zu mir aufblickt. Doch das vermeidet nicht das Gefühl der Erwartungshaltung, denn wie alle anderen Menschen auch so erwartet auch mein Digimon, dass ich mich nach einer bestimmten Rolle benehme, doch ich bin mir noch immer nicht im Klaren darüber, welche Rolle das sein soll. Soll ich den Vater spielen oder den erbarmungslosen Schöpfer, der ihn auch zu seinem Wohl verletzen kann? Oder kann ich mich dem und dieser Verantwortung entziehen? Kann ich nicht nein zu alledem sagen? Das geht nicht. Hiroki und unserem Traum zuliebe. Ich kann nicht davor fliehen, denn ich habe sonst gar nichts. Warum versage ich mir eigentlich auch nur einen kleinen Moment des Glücks? Etwas weil ich nicht glauben kann, dass ich ohne Hiroki jemals wieder glücklich sein kann? Ist das der Grund, warum ich niemandem mehr nahe sein will, nahe sein kann? Weil ich glauben will, dass es neben ihn nichts anderes gibt...? Ich räuspere mich, um mich wieder zu fangen, und sehe immer noch Mummymons leicht dümmliches Grinsen auf seinem Gesicht. Als ich mich wieder fange, beschließe ich die Sache nüchtern zu betrachten und mich der eigentlichen Frage unserer Nahrungsaufnahme von vorhin zu widmen. Ich beuge mich über den kläglichen Resten seines Kochversuchs und versuche zu retten was zu retten ist, während ich ihm mit einem warnendem Blick klar mache, dass ich keinen Kommentar zu vorhin dulden werde und ebenso wenig seine jetzige Hilfe. Ich brauche das nicht. Ich brauche sein Mitleid nicht, denn auch sie zwingt mich in eine Rolle, wovon ich doch eigentlich frei sein will. Und dann wäge ich ab, wie ich es ihm am besten sagen soll. Dass ich vorhabe nun mein Versprechen bei ihm wirklich einzulösen. Wie es wohl für ihn sein mag? Und dann frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn mich jemand an die Hand nehmen würde, wenn mich jemand mitnehmen würde um mir eine Welt zu zeigen, die ich noch niemals zuvor gesehen habe aber in die ich immer wollte. Eigentlich habe ich mir gewünscht, dass Hiroki derjenige gewesen wäre, der mir die Welt außerhalb meiner Mauern zeigt – doch dieses Mal würde ich das selbst in die Hand nehmen. Jemandem eine Welt zeigen, die er so noch nicht gesehen hat, der sie aber zusammen mit mir neu entdecken würde. „Boss, wieso bist du eigentlich so früh wieder da?“, weckt mich seine Stimme aus meinen Gedanken und ich seufze nur. „Du wolltest doch die Welt da draußen sehen, oder?? Ich habe mir heute frei genommen, damit ich sie dir zeigen kann.“ Mummymon reißt daraufhin seine Augen weit auf, verschluckt sich hörbar an seinem Essen und will schon vor Freude losschreien, als ich ihn aufhalte, indem ich meine Hand hebe und ihn mit warnender Stimme ermahne: „Aber erst, wenn wir gegessen haben. Dann erst zeige ich dir die Welt da draußen. Aber nur unter der Bedingung, dass du dich draußen ausschließlich in der menschlichen Form zeigen sollst, hast du das verstanden? Auf gar keinen Fall akzeptiere ich es, wenn du in deiner Digimonform draußen bist!!! Solltest du es dennoch tun, wird das natürlich bestraft werden...“ Mummymon hört gespannt zu, und nickt heftig, während ich auf seine Antwort darauf warte. Er weiß also wenigstens von den Konsequenzen, sollte er sich dumm verhalten, und das ist wenigstens schon etwas. „Weiterhin möchte ich, dass du dich genau an meine Anweisungen hältst solange wir draußen sind. Ich will nicht, dass du beispielsweise wegläufst, oder auffällig erscheinst. Und da ich Erfahrungen habe, wie man sich draußen zu benehmen hat, wirst du mir Folge leisten. Hast du all diese Bedingungen begriffen?“ „Ja“, antwortete das Digimon zaghaft, mehr vor Aufregung als wegen irgendeiner anderen Emotion. Ich kann es ihm nachempfinden, denn ich selbst wäre ebenfalls nervös wenn ich wissen würde, dass ich gleich eine Welt betreten würde, die ich nicht kenne aber schon immer sehen wollte. Wir beugen uns wieder über unsere Teller und beenden unsere Mahlzeit, ehe ich aufstehe und warte, bis er fertig ist, doch er lässt sich Zeit dafür. Vielleicht ist es nicht richtig gewesen, ihn jetzt so vor den Kopf zu stoßen mit dieser Nachricht, dass wir jetzt gleich machen werden, wofür er gelitten hat. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich es wäre, der erfahren hat, dass er gleich die Welt betreten kann, in die er schon immer wollte?? Wenn ich sehen würde, dass Hirokis Hand sich um meine schließt, sich ein Tor vor uns öffnet, und wir hindurchtreten, durch ein goldenes Leuchten... Nein, diese Welt hier lohnt sich nicht der Aufregung willen. Die Digiwelt schon, aber nicht diese hier, denn alles was Mummymon vorfinden wird, wenn ich diese Tür öffne und hinaus geleite ist eine Welt aus Stahl und Beton, einer Welt voller gleichgültiger und brutaler Kreaturen namens Menschen. Es wird kein goldenes Leuchten geben, nicht von der Schönheit, die er wohl zu erwarten scheint. Wie er wohl mit dieser Enttäuschung umgehen wird? „B-boss, ich bin soweit.“ „Nicht ganz. Stelle die Teller in die Spüle, dann komm zu mir.“ „Gut.“ Ein kurzes dumpfes Klirren, und ich höre ihn zu mir kommen. „Nun, bleib in deiner menschlichen Gestalt.“ Er nickt, ich gebe ihm meine Hand, und mache mich am Schloss der Eingangstür zu schaffen ehe ich sie öffne, voraustrete und Mummymon hinter mir ebenfalls ins Tageslicht tritt. Das Tageslicht blendet uns beide und es dauert seine Zeit ehe wir uns daran gewöhnt haben, vor allem nach der Dunkelheit, die wir beide gewohnt waren. Und ich höre ihn vor dem Anblick vor seinen Augen aufstöhnen. „Boss... das ist...“ Seine Stimme bricht ab, als er seine freie Hand hebt und sich damit über seine Wange wischt. Er bleibt stehen, rührt sich nicht vom Fleck, sondern hebt seinen Kopf, um ihn in den leichten Wind zu halten. Ich höre ihn die Luft schnuppern, die Gerüche festhalten und... fühle selbst dass ich es wohl genauso machen würde, wäre ich in meiner Welt. Ich will weitergehen, doch er bleibt stehen als wäre er angewurzelt. „Mummymon, was ist?“ „Boss, ich... lass mich noch ein wenig davon spüren, ehe wir weiter gehen... ist das in Ordnung?“ „Aber es gibt bessere Orte, als nur vor dem Haus.“ „W-wirklich?“ „Ja. Komm mit, und ich zeige dir diese Welt.“ Bei allem was wir sehen kann er nicht die Augen davon lassen, weil es so fremd von allem ist, was er sonst kennt. Als wir durch die Häuserblocks gehen, durch die betonierten Straßen, die von Menschen gesäumt und von Häusern unterbrochen sind, gluckst er vor Lachen. Oder sind es auch andere Emotionen, die er nicht unterdrücken kann? Alle paar Meter bleiben wir stehen, weil es wieder etwas gibt, das ihm ins Auge gefallen ist und er näher betrachten muss. Und ich selbst muss mich zwingen, ihn nicht aufzuscheuchen und dazu zu zwingen weiter zu gehen, nur weil ich diese Welt bereits kenne. Das nächste Mal bleiben wir vor einem Spielplatz stehen, und Mummymon betrachtet schweigend all die spielenden Kinder, die sich selbst in ihrem Lachen und Spaß vergessen zu haben scheinen. Auf der Schaukel ist ein kleines braunhaariges Mädchen, die von ihrem Vater geschaukelt wird, im Sandkasten sind wieder zwei Kinder, die gemeinsam an Sandfiguren arbeiten. Mummymon betrachtet sie schweigend, wohl, weil er noch nie zuvor menschliche Kinder gesehen hat, und er fragt mich schon: „Boss, was sind das für Menschen??“ „Das sind Kinder. Nicht alle beginnen als Erwachsene, so wie ich einer bin. Das sind einfach... jüngere Menschen, die noch wachsen und spielen und lernen müssen, ehe sie zu dem werden, was ich bin – ein Erwachsener.“ Es wird still zwischen uns und ich überlege mir, was wohl aus diesen schwachen Wesen vor uns eines Tages werden würde. Würden sie so an den gesellschaftlichen Konventionen brechen wie ich? Oder würden sie einen Weg finden, mit ihrem Leben umzugehen? Werden sie so sein können wie sie wollen, hier, oder werden sie lieber sterben wollen, so wie ich? Werden auch sie Verluste erleben, die ihnen jeglichen Sinn rauben? Oder sind sie bereits jetzt stärker als ich? Ich weiß nur eines: Sie sind nicht gebrochen, so wie ich es bin. Sie sind unschuldig, wie Mummymon. Und sie werden es nicht lange bleiben, denn es wird der Tag kommen, an dem ihnen diese Unschuld genommen wird, wie jedem einzelnem von uns. Aber vielleicht... vielleicht ist es notwendig... „Bin ich... ein Erwachsener?“ Und ich weiß nicht, was ich ihm darauf sagen soll. Denn körperlich ist er das, aber nicht in seinem Geiste. „Körperlich ja, aber anders als richtige Erwachsene weißt du zu wenig über diese Welt. Auch du musst noch sehr viel lernen, wie diese Kinder da.“ Sein Blick geht zurück auf diese Kinder, die er schweigend bei ihrem Tun beobachtet. „Und was machen sie da??“ „Nun, wahrscheinlich etwas, das man als spielen bezeichnet. Sie probieren neue Dinge aus, machen somit ihre Erfahrungen.“ „Spielen, hm? Das sieht lustig aus.“ „Das mag sein, aber es ist nicht wirklich ein effektiver Weg, etwas zu lernen. Ihre Eltern zeigen ihnen niemals genau, was wirklich wichtig ist, weil sie es in ihrem jungen Alter noch nicht verstehen würden und das ist auch der Grund warum sie es mit Spielen versuchen müssen.“ Ich bemerke den noch neugierigeren Blick auf Mummymons Gesicht, der beinahe schon verstohlen wirkte – oder eifersüchtig, weil er sich solchen Kindereien ebenfalls ergeben wollen zu scheint. Doch ob es sicher für Mummymon ist, wenn er das tun würde? Sicher nicht, und deswegen strecke ich meine Hand nach der meines Begleiters aus und zerre ihn zu mir, der ,verwundert über den ruckartigen Schmerz der ihn durchzuckt, mich ängstlich anblickt. Doch ich achte nicht darauf, sondern zeige ihm mit einer schnellen Kopfbewegung dass es Zeit ist zu gehen. Und nur allzu aufgeregt von dem, was es noch zu sehen gibt, folgt er mir bereitwillig. ****************** Der Duft war einfach herrlich, als wir diesen Weg entlang gingen, auch wenn dieser so anders aussah als die Pflanzen am Rand, denn der Weg war grau und wirkte beinahe trostlos, doch im Kontrast mit dem blauen Himmel über uns wirkte sogar er beinahe lebendig. Auch wenn ich das von Boss nicht sagen kann. Ich habe bemerkt, dass es ihm wenig bedeutet, diese Welt. Dieser traurige Blick mit dem ich ihn so oft sehe, er hat sich kein bisschen geändert als wir die Tür aufgemacht haben und er angefangen hat mich durch diese Welt der Menschen zu führen, die ihm so bekannt ist und mir so verschlossen. Meine größte Hoffnung ist immer noch, dass ich endlich sehen würde wohin ich gehöre, wenn ich verstehen würde. Aber meine andere Hoffnung ist, auch ihn endlich einmal fröhlich zu sehen. Endlich einmal zu sehen wie er lacht, so wie es mir vergönnt war ihn das eine Mal in der Küche ehrlich lachen zu sehen. Ich bin verwirrt. Ich verstehe nicht, wieso es ihn nicht erfreuen kann ein Mensch zu sein, der seinen Ort genau kennt. Er weiß wohin er gehört, er muss nicht verwirrt sein wie ich. Er muss diese Unruhe nicht spüren, so wie ich, wenn ich stundenlang in Einsamkeit zuhause darüber nachdenke, was für einen Sinn ich habe, wohin ich gehöre und warum ich die ganze Zeit bei fast allen Dingen versage um die mich mein Boss bittet. Und er muss auch nicht nachdenken, wieso er diese Schmerzen hatte erleiden müssen. Denn die Erinnerung daran, wie er mir weh getan hat, lässt mich nicht mehr los. Auch wenn ich weiß, dass ich es wahrscheinlich nicht anders verdient habe, auch wenn ich weiß, dass er mir damit nur hat helfen wollen. Und dennoch fühle ich... etwas Neues als nur diese dauernde Verwirrung, seitdem er das getan hat. Es war ein Gefühl, das mich mit seiner Gewalt innerlich beinahe zerrissen hat, ein Gefühl, dass in mir aufflammte und von dem ich ahne das es nichts Gutes bedeuten kann. Ich will es nicht noch einmal spüren und hoffe einfach darauf, dass es nicht mehr nötig sein wird, dass Boss mir auf diese Weise helfen muss. Das Einzige was ich jetzt will ist, dass er mir zeigt, wie er seine Welt sieht. Doch wird er mir auch sagen, wieso er sich nicht an ihr erfreuen kann? Oder ist er doch verwirrt? Aber wie kann das sein, wenn er sie doch so viel besser kennt als ich? Ich muss zugeben, ich bin ein wenig neidisch wenn ich daran denke, dass er so genau weiß wo er hin gehört, während ich so verwirrt sein muss. Er führt mich an der Hand, während wir etwas entlang gehen, dass er als „Gehweg“ bezeichnet. Jenseits des „Gehwegs“ ist eine „Straße“, die durch einen „Bordstein“ abgetrennt wird. Auf der „Straße“ fahren viele schnelle Transportmittel der Menschen, sogenannte „Autos“. Es gibt so vieles zu entdecken, egal wohin ich auch schaue. „Du solltest auf jeden Fall deine Umgebung besser kennen. Präge dir gut ein, welchen Weg wir gegangen sind, Mummymon. Es kann sein, dass ich dich irgendwann einmal auf Einkäufe schicken muss oder dass du mir etwas besorgst, also wäre es besser, wenn du lernst dich hier auszukennen“, sagt mein Boss zu mir, als er mich an der Hand weiter führt und mich dann dazu ermahnt, dass ich mir den Weg besser merken soll. Ich versuche mich zu konzentrieren, doch es fällt mir schwer, irgendwelche Unterschiede in meiner Umgebung festzustellen, denn die meisten Häuser hier sehen fast alle gleich aus; hinzu kommt noch, dass so viele Menschen ebenfalls mit uns zusammen unterwegs sind. Alles verschwimmt zu einer zusammenhangslosen Masse, aus der ich keinerlei Unterschiede sehen kann. Über uns türmen sich hohe Häuser und als ich nun die Menschen sehe, bekomme ich so etwas wie Furcht vor ihnen. Wir wandern mitten durch die Masse der Menschen hindurch, doch keiner von ihnen blickt mich komisch an, was bedeutet, dass mein Boss doch recht gehabt zu haben scheint – meine „menschliche Form“ scheint tatsächlich gut genug zu sein, sodass ich nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Aber doch, hier und da sehe ich so etwas wie Zweifel in den fremden Gesichtern, ehe sie sich wegdrehen und an uns vorbeiziehen. Und wann immer ich diesen Ausdruck sehe, zuckt etwas in mir zusammen. „Boss, können wir bitte von hier weg? Ich habe... Angst...“, bringe ich zitternd hervor, als er auf unsere eng umschlungenen Hände blickt und für sich selbst ebenfalls bemerkt, wie meine Hand in seine zu zittern begonnen hat. „Was ist mit dir?“, fragt er mich, und ich schlucke nur schwer, bevor ich mich zu einer Antwort durchringen kann. „Ich fürchte mich hier. Es sind... so viele Leute hier...“ „Das ist normal, Mummymon“, lautet seine kurze Antwort, ehe er fortsetzt, „Du brauchst keine Angst zu haben. Du erregst weitaus weniger Aufsehen, als ich gedacht habe, aber vielleicht liegt das an deiner Kleidung. Deine Uniform verbirgt recht gut, wie du in Wahrheit aussiehst.“ „Aber einige schauen mich so komisch an...“ „Auch das ist normal. Man wird immer schief angesehen, wenn man sich auch nur ein wenig von der Norm unterscheidet...“ Bei den letzten Tönen seines Satzes schweift er ab, als wäre er in Gedanken. Heißt das, dass auch er genauso schief angesehen worden ist, obwohl er in diese Welt gehört? Kann es denn sein, dass Menschen Mitglieder ihrer eigenen Spezies ebenso schief ansehen, wie wenn sie mich so anblicken, einen Halbmenschen? „Boss, wurdest du etwa auch schon einmal so angesehen? Mit diesem komischen Blicken, als ob du nicht hierher gehörst?“ Doch er gibt mir keine Antwort darauf, weicht meinem Blick aus. Stattdessen gehen wir weiter, immer weiter durch diese verwirrende Gegend. Sie scheint so endlos zu sein, und nun spüre ich den Zweifel, ob ich jemals wirklich in der Lage sein würde, den Weg nach Hause alleine zu finden. Ich spüre eine plötzliche Sehnsucht wieder nach drinnen zu kommen, dorthin wo ich alles kenne und wo ich mich, auf mich alleine gestellt, auch nicht verlaufen kann. Plötzlich will ich nichts mehr von hier sehen, denn die vielen Bilder und fremdartigen Umgebungen verwirren mich immer mehr, bis mir klar wird, dass ich wahrscheinlich eine Art Furcht vor zu großen Gegenden habe. Doch dann zwinge ich mich dazu, durchzuhalten. Als mein Blick auf Boss geht, weiß ich, dass er von mir erwartet, dass ich es durchhalte. Denn das hier, dass wir beide hier sind, ist eine der vielen Gelegenheiten, die er mir gibt, damit ich mich ihm beweisen kann. Damit ich zeigen kann, dass ich nützlich bin. Er hat mir gesagt, dass ich mir den Weg merken soll, aber ich kann nicht, denn alles das vor mir, was ich nicht zu unterscheiden vermag... ich weiß, dass ich drauf und dran bin erneut zu versagen und auch, dass es nicht lange dauern wird, ehe mein Boss das bemerkt. Denn ich kann nicht vor ihm verbergen, vor allem nicht wenn es scheint, dass er beinahe schon instinktiv weiß, wann ich unsicher werde. „Mummymon, du zitterst ja wieder! Reiß dich gefälligst zusammen!!“, blafft er mich an, als er meine zitternde Hand bemerkt, doch ich kann nichts dazu sagen. Ich will ihn fragen, bitten, flehen, dass ich dem hier entfliehen möge, dass wir irgendwo hingehen können wo ich nicht mehr länger das Gefühl der Enge ertragen muss. Ich bleibe stehen. „Mummymon?“ „B-boss, bitte... können wir nicht irgendwo hingehen, wo es nicht so... eng ist?“, frage ich mit zitternder Stimme nach, bis ich auf einmal ein lautes Klatschen höre. Sekunden später einen Schmerz an meiner rechten Wange, ein dumpfes Pochen. Irritiert darüber, was gerade passiert ist, führe ich eine Hand auf die schmerzende Stelle, „Sei nicht so ein verdammter Schwächling!“, schreit er mich an, „du wirst das aushalten! Du musst einfach! Oder glaubst du etwa, dass es auch für mich so einfach ist wie du denkst??!!“ „A-aber...“ Ich spüre den Blick der vorbeigehenden Menschen auf uns ruhen. Wie eine Welle rollen sie über uns herein, einige von ihnen stoßen uns beim Vorbeigehen, einige wenige bleiben kurz stehen oder werfen uns komische Blicke zu, ehe sie sich wieder von uns abwenden. Und ich spüre eine Hitze in meinen Wangen aufsteigen, die nicht vom Schlag herrührt, sondern von dem Wissen, so von anderen gesehen zu werden. Das Gefühl ist schrecklich. Ich fühle mich elend, schlecht und übel, wünsche mir, dass es aufhört. Und gleichzeitig die Frage, wieso er das gemacht hat... Er seufzt und lässt den Kopf hängen, seine schwarzen Haare fallen ihm ins Gesicht. „Du musst dich daran gewöhnen. Glaube mir, es ist mir auch nicht leicht gefallen. Wenn es dir hilft, es zu wissen, dass auch ich es nicht ertragen konnte, schief angesehen zu werden... aber man gewöhnt sich daran. Man darf nur nicht so unsäglich schwach sein, das ist wichtig. Du musst das alles ertragen lernen. Die ungewohnte Umgebung, diese Wesen um dich herum, die man Menschen nennt. Auch wenn ich deine Angst verstehe, denn sie sind...“ und in seiner Stimme schwang etwas Wütendes mit, „denn sie sind bösartig.“ Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, sondern blicke ihn nur stumm an, ehe er noch einmal nachdrücklich sagt: „Bösartig, verstehst du?? Du kannst ihnen nicht trauen, denn sie werden niemals in dir sehen, was du wirklich bist! Sie werden dich immer so sehen, wie sie dich sehen wollen! Sie werden dir eine Rolle zuschreiben und dich dementsprechend beurteilen! Menschen sind schale Wesen, nur auf das für sie Wesentliche reduziert. Sie akzeptieren die Welt um sich herum so wie ist, statt endlich zu begreifen, dass ihnen vielleicht so viel mehr Möglichkeiten offen stehen würden! Wenn sie sehen würden, dass es mehr gibt als das, mehr als diese Welt aus Beton...“ Er fängt sich wieder und atmet schwer nachdem er den Frust über die Menschen rausgelassen hat. Noch immer stehen wir an der Straße, doch er scheint wieder einmal so weit entfernt in seinen Gedanken zu sein. Wahrscheinlich in dem Gefühl gefangen nicht weiter zu kommen, auch nicht mit mir. Schließlich zieht er mich beinahe rüde nach vorne. „Ich zeige dir einen letzten Ort, bevor wir wieder nach Hause gehen“, sagt er nur, immernoch mit demselben Frust in seiner Stimme wie zuvor, „aber wisse, Mummymon, dass ich dir nicht immer deine Wünsche erfüllen kann. Ich gehe nur mit dir dahin, weil du es wolltest, aber es ist eine Ausnahme, verstanden?“ Doch er wartet nicht auf eine Antwort, sondern zieht mich irgendwohin, an einen wieder anderen Ort. Es ist so anders hier und instinktiv kommt es mir beinahe schon bekannt vor, so als ob ich diese Farben schon einmal gesehen hätte. Unweigerlich kommt mir der Name dieser Farbe in den Sinn: es ist grün hier. Saftig grün, vermischt mit anderen Farben, die ich im Moment nicht benennen kann. Rot? Blau? Braun? Gelb? Doch woher kommen nur die Worte dafür in meinen Gedanken eigentlich her? „Boss, wo sind wir hier??“, frage ich unsicher, und er blickt mich nur mit einem leeren Blick an. „Das hier ist der Stadtpark. Hierher ziehen sich die Menschen zurück, wenn sie für eine kurze Zeit vor ihrer Welt aus Beton fliehen wollen.“ Noch ehe er mehr erklären kann, atme ich erstaunt aus, erstaunt über die Schönheit vor mir. Blumen. Bäume. Musik, die ich noch nie zuvor gehört habe die aus den Bäumen zu kommen scheint. Ja, es ist schön hier, doch als ich aufblicke, sehe ich in nicht allzu weiter Entfernung schon die angrenzende Straße. „Siehst du das?“, fragt mein Boss mich, als er bemerkt, wohin mein Blick geglitten ist, „es gibt nicht mehr viel Freiheit in dieser Welt. Es gibt vielleicht noch einige Orte, die man als schön bezeichnen kann, aber diese sind stark eingegrenzt. Überall Grenzen um uns herum. Ob mental oder real. Wir behindern uns auch selbst. Wenn wir unsicher sind, dann ist das eine Grenze. Wenn andere Menschen uns vorschreiben, wie wir zu leben haben, ist das eine Grenze. So haben viele verlernt, was es heißt wirklich frei zu sein. Aber in die Welt in die ich gehen möchte,die Digiwelt... da gibt es noch wahre Freiheit.“ Mein Blick schweift durch den Park mit seiner Pracht, auf die Menschen, die durch ihn spazieren, ehe mein Blick an meinem Schöpfer haften bleibt, der mich mit einem intensiv anstarrt. Ja, völlig in Gedanken versunken. „Und? Denkst du, du wirst in der Lage sein, auch in die Digiwelt gehen zu können? Denkst du, dass du es schaffen wirst, dort alleine auf dich selbst gestellt auszukommen? Es ist so wichtig, dass du das kannst, Mummymon, denn es wird Zeiten geben, in denen ich dir nicht helfen kann. Und es gibt noch eine Welt, die du überhaupt nicht kennst – die Digiwelt. Was meinst du? Wirst du in der Lage sein, dorthin gehen zu können und mir danach sagen zu können, was du dort gesehen hast? Doch dafür musst du frei sein. Frei von Angst, vor den mentalen Barrieren in dir. Glaubst du, dass du das schaffst?“ Und ich zögere nicht mit meiner Antwort. Wie kann ich zögern, wenn ich ganz genau weiß wie sehr es ihm bedeutet? Wenn ich das ganz genau aus seiner Stimme heraus hören kann? Komisch... warum wird seine Stimme so viel wärmer wenn er von der anderen Welt spricht? Warum glitzern seine Augen so? Nein, sind das wirklich Tränen in seinen Augen oder irre ich mich? Und obwohl ich Angst vor der ungewissen Zukunft habe, Angst davor zu versagen und noch wertloser zu sein als ich es ohnehin schon bin sage ich mit fester Stimme um diese Furcht zu verbergen: „Ja, das werde ich.“ Und er lächelt mich an, als der kühle Wind mit seinen dunklen Haaren spielt. Er sieht für eine kurze Zeit so aus, wie ich ihn am liebsten sehen wollen würde. Und auch, wenn ich fürs Erste die Welt meines Meisters kennen lernen durfte, so fühle mich keineswegs schlauer oder aufgeklärter dadurch. Und ich würde herausfinden, dass es für mich keine Lösung gab. Dass, obwohl ich die Welt außerhalb der mit bekannten Mauern habe betrachten dürfen ich immer noch nicht weiß, wo ich wirklich hingehöre – anders als mein Boss, der genau weiß wohin er will, was auch immer er dafür geben muss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)