Zuneigung von cork-tip (MelloxNear) ================================================================================ Kapitel 2: 02. -------------- Hier also gleich der zweite Teil. Deutlich kürzer als der erste, aber aus technischen Gründen habe ich es für sinnvoller gehalten, erst hier zu schneiden. Viel Spaß beim Lesen!^^ Der 29. Januar war ein unerwartet warmer und sonniger Tag. Als Mello die Kapuze seiner Winterjacke zurückschob und in den makellos blauen Himmel hinauf sah, kam es ihm beinahe ironisch vor. Die Welt um ihn herum war bunt und voller Leben und er selbst stand hier, im scheinbar endlosen Schatten eines Wolkenkratzers und beobachtete stumm, wie ein nicht unbeträchtliches Aufgebot von Polizeibeamten das Nest des Mafia-Clans aushob, dem er ein ganzes Jahr lang vorgestanden hatte. Near war seiner Einladung gefolgt. Natürlich bedauerte er die Männer nicht, die dort in Handschellen gelegt und abgeführt wurden, um im Gefängnis einer ungewissen Zukunft entgegen zu sehen. Sie waren dumm, schwach, nutzlos. Deshalb hatte er sie wissentlich und willentlich ans Messer geliefert. Trotzdem kam es ihm vor wie ein böser Scherz, dass sie ausgerechnet an einem so schönen Tag an einen Ort gehen sollten, an dem sie das Sonnenlicht für unbestimmte Zeit nicht mehr erreichen konnte. Es war unbestritten ein besonderer Tag. Mello lachte freudlos in sich hinein. In den letzten zwei Tagen hatte er viel nachgedacht, vielleicht sogar ein bisschen zu viel für seinen Geschmack, und war zu dem Schluss gekommen, dass es an der Zeit war, all dem ein Ende zu setzen, das ihn daran hinderte endlich wieder frei und Herr seiner selbst zu sein. Erinnerungen konnte er nicht töten, das war ein Fakt. Aber nichts hinderte ihn daran, zu töten, was sie hervorrief. Der Einsatz der Polizei war längst nicht beendet, als Mello sein Versteck verließ und zu seinem Motorrad, das er nicht weit entfernt geparkt hatte, zurückkehrte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sein eigenes Vorhaben nicht überleben würde – sollte er tatsächlich Erfolg haben – war hoch, doch das bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Vermutlich war ihm der Tod nach all dem sogar recht willkommen, er konnte es nicht sagen. Die Waffe, die er unter seiner Jacke trug, schien sich durch das dünne Leder seines Oberteils hindurch zu brennen, als wollte sie einen hässlichen Abdruck auf seiner Haut hinterlassen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, dass es etwas besonderes war, einen anderen Menschen zu töten. Ein besonderes Gefühl an einem besonderen Tag. Der Gedanke gefiel ihm. Denn dieser Tag, der 29. Januar, sollte Nears Todestag werden. Gedankenverloren zwirbelte Near eine Strähne seiner bleichen Haare zwischen den Fingern, ungeachtet dessen, dass er sich durch diese Behandlung bereits mit ein paar widerspenstigen Löckchen geschmückt hatte, und starrte wie gebannt auf die Monitore der Überwachungskameras, die er überall im und an dem Hotel hatte anbringen lassen, in dem er zur Zeit residierte. Es war ein bisschen langweilig, hier auf Mello zu warten, aber durchaus nicht nutzlos. Lange konnte es nicht mehr dauern, auch, wenn er sich mit seiner Rückkehr deutlich mehr Zeit ließ, als Near zunächst angenommen hatte. Es sah Mello nicht ähnlich, so lange zu warten, bis er in Aktion trat. Bisher hatte er dazu geneigt die Dinge zu überstürzen, ohne die Details hinreichend durchdacht zu haben. Nicht in einem Maße, dass es fatal gewesen wäre, aber doch offensichtlich. Was ließ ihn zögern? Je länger Near darüber nachdachte, desto seltsamer kam ihm sein Benehmen vor. Ihr erstes Zusammentreffen nach so langer Zeit hatte Mello verwirrt, weil es nicht verlaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte, dessen war er sich sicher. Aber konnte es ihn wirklich so sehr ins Wanken gebracht haben? Matsuda hatte gesagt, dass das, was Near getan hatte, ein Zeichen der Zuneigung und demzufolge etwas war, wovon er nichts verstand. Near fragte sich seitdem, ob es denn tatsächlich möglich sein konnte, etwas zu empfinden, das man nicht einmal begreifen geschweige denn in Worte fassen konnte. Es schien ihm nicht besonders logisch zu sein. Aber wenn wirklich ein so unbestimmter Begriff wie 'Zuneigung' im Spiel war – sollte dann nicht am ehesten Mello derjenige sein, der es verstehen konnte? Oder ging er etwa immer noch von der unbegründeten Annahme aus, dass Near ihn nicht mochte? Solange Near denken konnte, hatte er ihm niemals ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass er ihn nicht leiden konnte. Er war es auch nicht gewesen, der sich so vehement gegen eine Zusammenarbeit gesträubt hatte. Trotzdem war Mello von dem vollkommen irrationalen Gedanken besessen gewesen, mit ihm in Wettstreit treten zu müssen. Damals, als sie noch Kinder gewesen waren. Eigentlich war Near davon ausgegangen, dass sich die Situation inzwischen geändert hatte. Schließlich hatte Mello ihm aus freien Stücken geholfen, Kira zu fassen und somit letzten Endes doch eine Form der Zusammenarbeit zwischen ihnen ermöglicht. Möglicherweise hatte er sich geirrt. Wenn das der Fall war und Mello ihn noch immer als Kontrahenten betrachtete, dann hatte er ihn in die Enge getrieben. Wenn er Mello so offen zu verstehen gab, dass er so etwas seltsames wie....'Zuneigung' für ihn empfand – zwang er ihn dann nicht indirekt, zuzugeben, dass der ewige Wettstreit zwischen ihnen ein Ende gefunden hatte? Near fühlte sich etwas überfordert. Alles, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er nicht wusste, woran er war. Sollte er Mello wirklich in irgendeiner Form in die Enge getrieben haben, musste er vorsichtig sein. In diesem Fall bestand die Gefahr, dass Mello aggressiv auf ihn reagieren würde, wenn sie sich das nächste Mal gegenüberstanden. Near hatte diese Möglichkeit wohl in Betracht gezogen und alle notwendigen Vorkehrungen getroffen. Jetzt konnte er nur noch warten. Einer der Monitore zeigte sein eigenes Zimmer. Insgeheim konnte Near nicht umhin, sich selbst zu loben. Es wirkte wirklich sehr überzeugend. Das Hotel wurde so umfassend überwacht, dass Mello keinen Weg gefunden hatte, es ungesehen zu betreten und sich folglich gezwungen gesehen hatte, denselben Weg zu wählen wie bei seinem ersten Besuch. Er zweifelte nicht daran, dass Near ihn auch dieses Mal ungestört passieren lassen würde. Near würde sterben. Aber zugleich sah es ganz so aus, als wäre ihm unweigerlich der Fluchtweg abgeschnitten. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf Mellos Lippen ab. Es machte keinen Unterschied, ob er das Gebäude lebend verließ oder in einem grauen Plastiksarg hinausgetragen wurde. Alles, was er wollte, war, dass Near von dieser Welt verschwand. Er konnte das Gefühl nicht ertragen, ständig von ihm beherrscht zu werden. Nicht genug damit, dass er an nichts anderes mehr denken konnte, als an ihn, auch sein Körper erinnerte sich so intensiv an seine Berührung, dass es nicht mehr auszuhalten war. Er würde alles tun, um dem ein Ende zu setzen, und wenn es seinen Tod bedeutete. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Mello Zimmer 1311 erreichte, und als er leise die Türe aufschob, schien die Zeit endgültig zum Stillstand gekommen zu sein. Die Vorhänge waren zugezogen und trübes Dämmerlicht machte die Atmosphäre stickig und schwer. Near saß mit dem Rücken zu ihm auf einem Drehstuhl. Das fahle Licht eines Computerbildschirms ließ seine Haare bläulich schimmern. Mellos Hand schloss sich fest um seine Pistole. Ein vertrautes Gefühl. Wenn er Near töten wollte, musste er es sofort tun, dessen war er sich bewusst. Er hatte schon einmal eine Waffe auf ihn gerichtet und es sich im letzten Augenblick noch einmal anders überlegt. Das durfte nicht passieren. Nicht an diesem Tag. Und er wusste, es würde passieren, wenn er Near erst einmal zu Wort kommen ließ. Im Raum war es zu dunkel, um Details erkennen zu können, aber hell genug, um zuverlässig zu zielen. In einer einzigen schnellen Bewegung zog er die Waffe unter der Jacke hervor und drückte ab. Ein Schalldämpfer hatte den Knall fast gänzlich geschluckt. Es war so still, dass Mello seinen eigenen Herzschlag hören konnte. Sein Puls ging viel zu schnell. Nears Körper fiel nicht zu Boden. Mello war wie erstarrt. Sein Verstand schrie ihm zu, die Beine unter den Arm zu nehmen und zu verschwinden, aber sein Körper wollte sich nicht bewegen. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, seine Finger zitterten schwach. War es ...zu Ende? „Warum hast du mich erschossen, Mello?“ Mellos Herz setzte einen Schlag lang aus, als er Nears ruhige Stimme im Zimmer widerhallen hörte. Fast im selben Augenblick brach ein Schwall an Gefühlen und Erinnerungen über ihn herein, der ihm kalten Angstschweiß auf die Stirn trieb. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein! Er hatte Near getötet, gerade eben, er hatte die Waffe entsichert und den Abzug durchgezogen. Ohne dass er so recht wahrnahm was er tat, hastete er zu der Gestalt, der er soeben eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte, riss den Drehstuhl herum und konnte einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken, als ihm anstelle von Nears totem Körper eine Puppe entgegen fiel. Eine Welle von Verzweiflung überrollte ihn, konnte aber ein anderes Gefühl nicht unterdrücken, das sich irgendwo in seiner Magengegend breit gemacht hatte: Erleichterung. Erschöpft sank er vor der Puppe nieder, die Stirn an ihr Knie gelehnt, und ließ die Pistole zu Boden gleiten. Sie kam ihm auf einmal unendlich schwer vor. Er hatte keine Kraft mehr, sie zu halten. Mello nahm kaum wahr, dass Near wieder angefangen hatte über die Lautsprecher in seinem Zimmer mit ihm zu reden. „Kannst du nichtmal gegen dich selbst verlieren? Ist es wirklich so schlimm für dich, dass du mich nicht hasst?“ Wieder war es still. Eine ganze Weile lang. Dann hörte er ruhige, gleichmäßige Schritte. Die Türe wurde weiter geöffnet und ein breiter Lichtstreifen zeichnete sich auf dem dunklen Parkettboden ab. Wie durch einen Nebel hindurch registrierte Mello, dass Near seine Pistole aufhob und auf den Schreibtisch legte. Dann spürte er, wie sich seine Arme um ihn legten wie eine Fessel und ihn an Nears schlanken Oberkörper pressten. Es war alles wieder da. Sein Körper, seine Wärme, sein Atem und die Haare, die ihn an der Wange kitzelten. Viel zu real, um es irgendwie zu ignorieren. Seine Augen brannten und seine Wangen wurden feucht. Er konnte nicht fassen, dass er schon wieder weinte. „Ich habe keine Lust mehr auf diesen idiotischen Wettstreit“, erklärte Near gelassen. Mello konnte die Worte beinahe körperlich spüren, so nahe waren sie sich. „Ich dachte, er wäre inzwischen beendet. Um was geht es dabei überhaupt noch? Weißt du...“ Er hatte seine Stimme gesenkt. Die Unsicherheit war deutlich herauszuhören. „Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag.“ Er lockerte seinen Griff, um Mello die Möglichkeit zu geben, sich daraus zu befreien, und somit zu verhindern, dass der Tag in einem Desaster endete, aber Mello stieß ihn nicht von sich. Stattdessen hob er den Kopf und drehte sich um. Er sah Near direkt in die Augen und stellte beinahe erfreut fest, dass es dem Detektiv schwer fiel, seinem Blick standzuhalten. Allein dieser kleine Sieg ermöglichte es ihm, die Überhand nehmende Fassungslosigkeit zurückzudrängen und den undurchschaubaren Gedankenwust in seinem Kopf zeitweise zu verdrängen. Es fühlte sich unglaublich gut an. „Also...“ Es kostete Near einige Mühe, die Sprache wiederzufinden. „Was ich für dich empfinde...“ Matsudas Worte klangen wie ein Mantra in seinen Ohren. „Was ich für dich empfinde... ist eher ein Gefühl der 'Zuneigung'.“ Mello hatte nicht mit Near sprechen wollen, weil er gewusst hatte, dass er ihn danach unmöglich würde töten können. Und auch Near schien damit gerechnet zu haben. Die Pistole lag noch immer in Mellos Reichweite, aber selbst wenn er gewollt hätte – er konnte nicht danach greifen. Seine Arme waren taub. Das warme Gefühl, das Nears Worte in ihm ausgelöst hatten, hatte ihn vollständig unter Kontrolle. Es war unmöglich, sich dagegen zu wehren. Als Near eine Hand hob und sanft seine linke Wange berührte, spürte er, dass er zitterte. Und in diesem Moment begriff er, dass die ungewohnte Nähe für Near genauso seltsam und verwirrend sein musste, wie für ihn. Near war ihm so wahnsinnig nahe, dass er seinen Atem auf den Lippen fühlen konnte. Ohne, dass er sich dessen gewahr wurde, was geschah, drifteten seine Augen zu und er überbrückte die letzten Millimeter, die sie voneinander trennten, um Nears Lippen mit den seinen zu verschließen. Schlagartig legte sich das Chaos in seinem Inneren, und auch, wenn ihm ein salziger Geschmack auf der Zunge verriet, dass ihm noch immer Tränen über das Gesicht liefen, fühlte er eine Ruhe, die ihm bisher unbekannt gewesen war. Nears Hand wanderte in seinen Nacken und vergrub sich in den weichen, blonden Haaren. Er hatte nicht aufgehört zu zittern. Mello hatte es auch nicht erwartet. Der 29. Januar war nicht der Tag, an dem Near sterben sollte. Aber wenn jedes Ende auch ein Anfang war und ein Anfang somit ein Ende voraussetzte, dann war es ein Todestag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)