Die letzten Tage von Ryucama (Aus den Memoiren der Schüler Ansems des Weisen) ================================================================================ Kapitel 1: Zögern bedeutet Versagen ----------------------------------- Das erste Kapitel ist eigentlich nicht viel mehr als ein Prolog, aber halt doch nicht vollständig, deswegen bezeichne ich es nicht als solchen. Die Szene spielt in Dilans Raum, spätabends, nach der Arbeit. Und jetzt viel Spaß beim Lesen! ^^ Zögern bedeutet Versagen Es war dunkel im Zimmer, als er die Tür schloss. Dilan seufzte, öffnete den Laborkittel und schlüpfte aus dem Kleidungsstück heraus. Er wollte nur noch schlafen, der Tag war anstrengend gewesen. Ansem hatte seine Schüler angewiesen, sämtliche Dokumente bezüglich seiner Forschung zum menschlichen Herzen zu katalogisieren – keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, dass der Weise schon seit Jahren daran arbeitete und das große Labor einer Papierwüste glich, in dem sich die Zettel, Notizen und ernsthaften Aufzeichnungen stapelten oder wild durcheinander verteilt lagen. Langsam streifte er die Schuhe ab, strich sich das lange dunkle Haar zurück und öffnete langsam Krawatte und Hemd. Er hätte das Licht anschalten können, aber seine Augen schmerzten und er hatte ohnehin nicht vor, seinen Raum heute noch einmal zu verlassen. Er konnte sich genauso gut im Dunkeln umziehen und ins Bett fallen. „Ich wusste, du würdest erst kommen, wenn nur noch Even und du im Labor wärt.“ Dilan erstarrte. Wie in Zeitlupe wandte er sich zum Bett um. Er hörte, wie sich jemand von seiner Schlafstätte erhob und auf ihn zukam. Hellbraune Augen schimmerten ihm aus der Düsternis entgegen, leuchtend in einem der wenigen Strahlen des Mondlichts, das durch halb geschlossene Jalousien fiel. „Braig. Was willst du?“, fragte er resigniert. Nicht, dass er Lust gehabt hätte, sich jetzt mit irgendjemandem zu unterhalten, er war müde wie ein Stein. Der Andere kam näher, lächelnd, die Augen blitzend. „Aeleus wird’s dir übel nehmen, dass du seine Theorie außer Kraft gesetzt hast.“ Dilan schüttelte müde den Kopf. „Er widerspricht physikalischen Gesetzen mit seinen Annahmen. Wenn er das Ansem zeigt, lacht der sich doch tot über so viel Unverstand!“ Braig kicherte, zwirbelte gedankenverloren an den Spitzen seiner Haare. „Schon – und Even gleich mit. So viel Engagement ist zwar löblich, aber man sollte vielleicht auch mitdenken, bevor man so haarsträubende Theorien aufstellt.“ Dilan seufzte. „Braig, hör zu, ich bin müde. Ich will schlafen. Morgen...“ „Ich weiß. Amelia. Aber trotzdem, es gibt etwas, worüber ich mit dir reden möchte. Dilan, du musst dich in Acht nehmen! Amelias Einfluss tut dir nicht gut! Sie lenkt dich von den wesentlichen Dingen ab. Denk an unsere Forschung...“ „Genug!“ Dilans Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. „Amelia ist meine Verlobte! Glaubst du nicht auch, dass sie nur mein Bestes im Sinn hat, wenn sie Ansems Forschung kritisiert?“, fuhr er auf. Doch Braig lächelte nur. „Eben das meine ich. Ansems Forschungen über die Dunkelheit des menschlichen Herzens sind ein Vorstoß in unbekanntes Terrain. Diese Frau will dich davon abhalten, Teil dieser Forschung – und ihren Ergebnissen – zu sein! Wir werden berühmt werden!“ Seine Stimme steigerte sich, wurde enthusiastischer. „Aber du lässt dich von dieser – verzeih meine groben Worte – unverständigen Gans beeinflussen! Dilan, du bist einer von uns, einer der Schüler des legendären Ansem des Weisen! Du hast zu viel Verstand, als dass du auf ihr dummes Geschwätz hören solltest!“ Er sah zu Dilan hinüber, der die Stirn gerunzelt hatte und aussah, als würde er jeden Moment explodieren. Jedenfalls fühlte er sich so. Braig grinste und fuhr sich durch das pechschwarze Haar. „Übrigens: Ansem denkt daran, zurückzustecken. Ienzo konnte das Schlimmste noch einmal abwenden, aber die Schlinge zieht sich zu. Wir sollten uns beeilen, ehe unser intelligenter, aber feiger Meister vollkommen den Mut verliert.“ „Vielleicht wäre das besser...“, sinnierte Dilan leise, doch Braig fuhr dazwischen: „Unsinn! Das ist kompletter Unsinn!“ Er leckte sich gierig mit der Zunge über die Lippen. „Xehanort hat eine neue Theorie aufgestellt. Ich habe sie bereits gesehen – sie ist genial. Even prüft sie gerade, aber er hat noch nichts gefunden, was sie außer Kraft setzen könnte. Vielleicht schaffen wir endlich den Durchbruch und es gelingt uns, ein Herz zu extrahieren!“ Dilan seufzte erneut, schüttelte den Kopf. Jetzt! Um diese Uhrzeit! Es war bereits weit nach Mitternacht! Aber er wusste, wenn sich Even einmal an einer Theorie festgebissen hatte, ließ er nicht locker, solange bis er sie entweder widerlegt hatte oder schlicht und einfach über den Berechnungen einschlief. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie Even in der Früh im Labor fanden, den Kopf auf einen Stapel Papier gebettet und den Stift noch in der Hand. Oder noch müde an irgendeiner Berechnung herumkritzelnd, die er in ausgeschlafenem Zustand erneut überprüfen würde. Der Forscher hatte die Ausdauer eines Bluthundes, wenn es um seine Interessen ging... „Ist ja alles schön und gut, aber wenn selbst Ansem sagt, dass wir es vielleicht besser lassen sollten, wäre es dann nicht klüger, wenn wir uns mit ihm absprechen?“, unternahm er einen weiteren Vorstoß in Richtung Vorsicht. „Dilan, du Feigling! Dieser alte Narr hat das Nervenflattern! Wir sind zu sechst, und auch nicht gerade dumm; warum sollte er mehr sehen können als wir?“ „Haben wir uns jetzt schon gegen ihn verbündet, Braig? Siehst du eigentlich, wohin das führt? Wir intrigieren gegen unseren Meister!“, wehrte sich Dilan entsetzt. Der Andere trat einen Schritt vor, packte Dilan grob an der Schulter. „Komm schon! Es ist zum Besten von uns allen! Auch Ansem wird davon profitieren, glaub mir!“ Dilan riss sich los. „Fass mich nicht an! Ich entscheide selbst, wie ich handle! Braig, bitte!“ Das Gesicht seines Freundes wurde unerbittlich und Dilan fügte etwas leiser hinzu: „Gib mir noch Zeit! Ich werde darüber nachdenken, wie ich euch weiter unterstützen kann, versprochen! Aber ich kann dir nicht einfach jetzt zusagen, ich muss alles erst einmal verarbeiten!“ Sein Gegenüber schwieg, seufzte schließlich: „In Ordnung. Aber lass dir nicht zu lange Zeit, denn dann könnte es bereits zu spät sein. Wir werden auf niemanden warten. Auch nicht auf dich.“ Noch ehe Dilan realisierte, was geschah, war Braig einen weiteren Schritt vorgetreten, seine Arme legten sich um Dilans Taille, federleicht legten sich Braigs Lippen auf die seinen. Doch ehe er etwas tun konnte, hatte ihn der schlanke Mann bereits wieder losgelassen und verschwand mit einem „Gute Nacht, Dilan!“ aus dem Zimmer. Dilan blieb zurück, wie zur Salzsäule erstarrt, noch gar nicht begreifend, was Braig gerade eben getan hatte. Dann traf ihn die Erkenntnis. Er hob die beringte Rechte zum Mund, berührte ihn, wo Braigs Lippen die seinen gestreift hatten. Die Haut fühlte sich dort, wo der Andere ihn berührt hatte, unnatürlich empfindsam an. Dilan erschauerte. Was, bei allen möglichen und unmöglichen Thesen Ansems des Weisen, hatte Braig beabsichtigt? Weder Braig, noch Dilan selbst hatten je Interesse am eigenen Geschlecht gezeigt, Dilan war sogar verlobt! Nein, dies war kein Akt der Liebe gewesen, sondern vielmehr ein Zeichen, eine Warnung. Wie hatte Braig gesagt? Es könnte zu spät sein? Ein zweiter Schauer jagte über Dilans Rücken. Was in aller Welt ging hier nur vor? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)