Kurzgeschichten von FroZnShiva ================================================================================ Kapitel 5: Worte ---------------- »Heute werde ich dir etwas erzählen, mein Sohn. Dabei werde ich viel reden. Ich denke auch, dass ich dabei durchaus etwas sagen werde. Du wirst lauschen, doch ob du etwas hörst liegt ganz an dir.« So saß er mir gegenüber und hielt kurz inne. »Es gibt Worte, mein Sohn. Es gibt viele davon. Viele benutzen sie um damit etwas zu sagen. Man kann allerdings auch etwas sagen, wenn man keine Worte benutzt. Mehr Worte zu nutzen, heißt also auch nicht automatisch mehr zu sagen. Man kann auch Worte nutzen und nichts sagen, so wie man Worte nutzen kann um nichts zu sagen. Leere Worte.« Er nahm einen Schluck Tee, damit ich das Gesagte in mich aufnehmen konnte. »Leere Worte, mein Sohn, leere Worte allerdings sagen auch Dinge. Sie sagen Dinge und bringen einem Erfolg. Sie sagen Dinge die nicht sind und geben einem das Gefühl, dass es richtig war sie zu benutzen, so dass man regelrecht darauf versessen wird diese zu benutzen. Sie täuschen. Sie blenden Andere. Am meisten täuschen sie jedoch ihren Sprecher.« »Sie kämpfen auch gegen andere Worte. Oft gewinnen sie den Kampf und sperren die Verlierer in tiefe Verliese. Ihre ärgsten Gegner sind sehr mächtig. Wahre Worte.« Sein Hände machten sich daran ihm nachzugießen. »Wahre Worte zu benutzen ist nicht so einfach, mein Sohn. Man muss sie erst aus den tiefen Kerkern befreien, wo sie in schweren Ketten liegen. Doch wahre Worte geben nie nach. Sie stehen jegliche Gefangenschaft durch. Es gelingt sogar ab und zu einem die Flucht und schleicht sich leise vorbei an den leeren Worten über die Lippen des Sprechers hinaus ins Freie.« »Doch was sagen wahre Worte? Sagen sie die Wahrheit?« Dampf floh aus seiner Schale. »Wahre Worte sagen nicht die Wahrheit, mein Sohn. Auch sie täuschen. Sie sagen eine Wahrheit. Die Wahrheit des Sprechers. Manchmal sagen sie mehr und manchmal sagen sie weniger, aber beides nicht dem Sprecher selbst.« »Auch haben sie Einfluss auf das Verhältnis des Sprechers zu den leeren Worten. Sie bringen Reue. Reue über bereits gesagte leere Worte oder Reue über die gesagten wahren Worte selbst. Sie schwächen den Drang leere Worte zu verwenden, oder stärken diesen. Manchmal bringen sie Erleichterung.« Er musterte kurz ein vorbeifliegendes Insekt. »Es gibt auch andere Worte, welche eine Wahrheit sagen, mein Sohn. Eine falsche Wahrheit. Worte die viel schwerer wiegen als leere Worte. Falsche Worte.« Damit entließ er mich. Ich weiß nicht ob ich verstanden habe, was der alte Mann mir sagen wollte. Aber in einem war ich mir sicher: Da die Worte von ihm stammten, waren es weise Worte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)