Vampire Tales von uron (Ein blutiges Märchen) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- PROLOG Irgendwo in Europa, spätes 18. Jhd. Ängstlich lief Marry, eine junge Frau von gerade einmal zarten achtzehn Jahren, die vom Nebel verschlungene Straße entlang. Ihre Schritte vom grauen Schleier ebenso verschluckt wie ihre Sicht, wurden mit jedem zurückgelegten Meter unsicherer. Als ihre Füße den gepflasterten Boden verließen und sie weiches, nasskaltes Gras spürte, ergriff sie mehr und mehr die Panik. Sie hatte die Straße und damit den Weg ins sichere Dorf verloren. Würde sich der Nebel nicht bald lichten, lief sie Gefahr, sich in ihm zu verlaufen und in das nahe Moor zu geraten, das sie mit seinen schlammigen Untiefen für immer verschlingen und ihren Leichnam nie wieder freigeben würde. Das Ersticken in den dunklen Sümpfen mochte zwar keineswegs ein angenehmes Ende sein, doch es war weitaus besser zu ersticken, als von einer reißenden Bestie in Stücke gerissen zu werden. Marry spürte, wie sich einzelne Schweißperlen einen Weg über ihr Gesicht bannten, während sie an die Geschichten der Männer aus der Taverne dachte. Sie waren vor wenigen Tagen ins Dorf gekommen, auf der Durchreise, hatten sie erklärt. Marry hatte die Fremden bewirtet und ein wenig – wie es sich für jede Schankmaid gehörte – mit den Gästen geflirtet. Rasch waren die Männer durch den Alkohol erheitert und begannen wie aufgeregt Geschichten zu erzählen. Eine hatte sie besonders fasziniert. Die Geschichte einer Bestie die angeblich in der Umgebung ihr Unwesen trieb. Halb Mensch, halb Wolf. Mit Krallen und Kräften eines Bären, aber schnell und schlau wie ein Wolf. Leuchtend rote Augen und ein grauenhaftes Knurren, waren das letzte was seine Opfer vor ihrem Tod wahrnahmen, etwas das schon allein deshalb, dass ihr die Männer, alle samt lebendig und vollständig unversehrt, davon erzählten an Glaubwürdigkeit verlor. Doch nun, verloren im Nebel, wurde jeder Schatten zu solch einer Bestie, Werwolf, so hatten die Männer es genannt. Hatte es Marry noch vor Tagen als wirres Geschwätz eines Betrunkenen abgetan, so begann sie dennoch allmählich reale Furcht vor diesem angeblichen Hirngespinst zu entwickeln. Was wenn es sie hier draußen angriff? Hier, wo niemand ihre Hilfeschreie hören würde, wo die Bestie in Ruhe das Fleisch von ihren Knochen reißen und ihr Blut genüsslich schmatzend trinken konnte? Ihr Atem wurde immer schneller und das junge Herz begann immer schneller zu schlagen. Was hatte sie nur getrieben, ausgerechnet heute im Wald nach Kräutern für ihre kranke Mutter zu suchen? Warum war sie allein gegangen und hatte nicht den jungen Thomas, einen kräftigen Burschen von siebzehn Jahren, der ihr gern folgte und ihr schöne Augen machte, mitgenommen? An seiner Seite hätte sie sich immerhin sicher gefühlt, auch wenn sie seine Gegenwart von Zeit zu Zeit ein wenig aufdringlich fand. Dennoch, sie war allein, verloren im Nebel, der sie nun gänzlich in seine unheimliche Umarmung geschlossen hatte. Marry hatte Angst, große Angst. Eine einzelne Träne der Verzweiflung rann über ihre zartrote Wange und schluchzend tastete die junge Frau in den Nebel, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, an dem sie sich festhalten konnte. Ihre Hände fanden tatsächlich etwas, eine raue Oberfläche, mit vielen tiefen Kerben, sie fühlte sich… holzig an, ein Baum! Womöglich sogar die alte Eiche, an der sie früher mit ihren zwei Schwestern gespielt hatte und an dem sie sich beim Versuch auf den alten Riesen zu klettern oftmals die Kleider, sehr zum Ärger der Mutter zerrissen. Weitere Tränen flossen über die Wangen der Schönen, Tränen der Freude. Sie umarmte den Baum wie einen lange vermissten Verwandten und wollte ihn nicht mehr loslassen, denn er bot ihr eine gewisse Art der Sicherheit, einen Wegweiser nach Hause. Doch in ihrer Freude bemerkte sie nicht die roten Augen, die sich durch den Nebel in ihren Rücken bohrten und auch das boshafte Knurren warnte sie zu spät. Ihr Verfolger sprang wie aus dem Nebel und baute sich zu seiner vollen Größe von weit mehr als zehn Fuß auf und rammte die Klauen neben Marry in die Rinde er alten Eiche, ehe es das Maul weit aufriss und Zähne fletschend nach der jungen Frau schnappte. Er war ihr bis hierher gefolgt. Hatte die Fährte seiner Beute nicht einen Lidschlag lang verloren doch nun lag etwas anderes in der Luft, eine andere Geruchsnote, weitaus strenger und animalischer, als die seines süßlich dufteten Opfers. War ein anderer Jäger unterwegs? Machte ihm jemand sein Territorium, was er nun seit mehr als zweihundert Jahren eisern verteidigte, streitig? Wer auch immer es wagte, seine Jagd zu stören, wurde dafür entsetzlich büßen. Nach den Ausdünstungen des Eindringlings musste es sich um ein Tier handeln, zugegeben ein seltenes Wesen, denn der Geruch war ihm bisher nicht bekannt und er kannte vieles. Füchse, Wölfe, Luchse und Bären, alle Räuber der Gegend hatten einen so markanten Geruch, dass er sie alle ohne Probleme unterscheiden konnte. Doch was war das? Es roch nach Wolf, aber nicht minder nach Bär und wenn sich seine feinen Sinne nicht täuschten, sogar ein wenig nach Mensch. Was war das für eine Kreatur, die dumm genug war, seinem Opfer nachzustellen? Dann vernahm er die Schreie. Der Rivale hatte seine Beute erreicht und machte sich nun über sie her, wenn auch er nun nichts mehr von seinem ersehnten Jagderfolg haben würde, so wollte er wenigstens die unbekannte Kreatur stellen und ihrem bedeutungslosem Leben ein Ende machen. Niemand wagte es Jean de Bêtuis Raubzug zu stören oder sogar vorzeitig zu beenden! Fauchend zog er seinen Rapier aus der Scheide, die langen Fangzähne selbst im dichten Nebel klar zu erkennen. Die blutrot leuchtenden Augen auf sein neues Ziel gerichtet, dass die leisen aber ungewöhnlich schnellen Schritte viel zu spät bemerkte. Ehe sich der Störenfried auch nur umkehren konnte, trennte Jeans Klinge, den rechten Arm der Kreatur ab, die sich darauf jaulend zu dem Angreifer umwand. „Ein Lykaner!“, entfuhr es Jean freudig erregt, als er die wolfsähnliche Fratze des Biests erkannte. Es war schon lange her, dass er einem der erklärten Blutsfeinde der Vampire begegnet war. Ein diabolisches Grinsen trat auf die Züge des jungen Mannes, viel zu lange hatte er keinen richtigen Kampf mehr gehabt. Er hatte sich mit kleineren Jagdspielen im nebligen Gebiet des Moores bei Laune gehalten, doch nie war er auf einem wahren Gegner gestoßen. Zugegeben, junge Frauen, waren nicht gerade ein Ziel von dem er ernsthafte Gegenwehr zu erwarten hatte, aber das hier… „Komm her!“, brüllte er das Werwesen provozierend an. „Meine Klinge dürstet nach deinem Blut, ebenso wie ich!“ In tollwütiger Rage griff der Werwolf an, mit seiner verblieben Pranke schlug er auf den Vampir ein, unwissend, dass dieser nur mit ihm spielte. Jede Attacke wurde pariert und die scharfe Klinge des Rapiers riss jedes Mal tiefe Wunde in die Pranke der Bestie, die schon nach kurzer Zeit erkannte, dass sie dieses überhaus schmerzhafte Spiel unmöglich gewinnen konnte. Es hatte nur eine Wahl und wie Jean es erwartet hatte ergriff es die Flucht. Ein tödlicher Fehler. In dem Moment als das Wandelwesen dem Kämpfer den Rücken zuwand stieß sich dieser mit unmenschlicher Geschwindigkeit und Wucht vom Boden ab, schwang den Rapier gegen den Nacken des Werwolfes. Innerhalb nicht einer einzigen Sekunde hatte der Stahl Fell, Fleisch und Wirbel sauber zertrennt und trat auf der anderen Seite des Halses wieder heraus. Während Jeans Ladung geradezu elegant wirkte und er sich mühelos aus der Hocke wieder aufrichtete, stürzte die enthauptete Bestie tot zu Boden. Wenn auch ihre Gattung für enorme Regenerationsfähigkeiten bekannt war, so war sie nicht in der Lage verlorene Gliedmaßen zu regenerieren. Verloren sie den Kopf waren sie ebenso besiegt, als würde man sie mit einem Silberspieß durchbohren. Nachdem der Besiegte sich noch einige Augenblicke im Gras wälzte und dieses von seinem Blute rot färbte, wand sich Jean enttäuscht seinem einstigen Jagdziel zu. Er hatte sich einen besseren Kampf erhoffe, doch stattdessen war er nicht einmal verletzt wurden. „Wie erbärmlich.“, flüsterte er, als er die Unfähigkeit seines Gegners erneut feststellte. Die junge Frau, die er verfolgte lebte noch, auch wenn das Leben kurz davor war, aus ihrem geschundenen Leib zu fahren. Mit gesengtem Rapier und leuchtend roten Augen näherte er sich ihr. Was war geschehen? Was war das für eine neuerliche Bestie, die den Werwolf gerade in Stücke gerissen hatte? Ein anderer Werwolf? Marry vermochte es nicht zu sagen, der Nebel verbarg das Geschehen vor ihr, das einzige was sie erkannte, waren zwei blutrote Augen, die sie nun, nach dem das andere leuchtende Augenpaar verglommen war, fixierten und sich ihr zu ihrem Entsetzen näherten. Unter großen Schmerzen versuchte sie sich aufzurichten, doch es gelang ihr nicht. Blut floss aus den tiefen Wunden, die das Biest gerissen hatte. Seine Klauen hatte es mit solcher Wucht in den Bauch der jungen Frau geschlagen, dass diese regelrecht an die alte Eiche genagelt wurde. Erst der Angriff der anderen Bestie hatte den Werwolf – nachdem er dem zum tödlichen Stoß erhobenen - Arm verloren hatte, bewegt, von ihr abzulassen. Nun lag sie hier am Fuße jenes Baumes, der einst Zeuge ihrer unbeschwerten Kindheit gewesen war und nun ihrer viel zu frühen Todes beiwohnen würde. Klägliches Wimmern war das einzige, was sie hervorbrachte. Heiße Tränen rannen über ihr schönes Antlitz, das die Bestie wie durch ein Wunder verschont hatte. Die Augen des anderen Wesen waren nun beängstigend Nahe und als sie sich zu ihr herab beugten bereitet sich Marry bereits darauf vor, von den Reißzähnen eines noch grauenhafteren Monsters in Stücke gerissen zu werden. Ein stummes Gebet an den Herren, der ihrer Seele gnädig sein sollte, war das letzte an das sie denken konnte, ehe sie in sein Gesicht sah. Er war leichenblass und sein Gesicht hatte die aristokratischen Züge eines Adligen. Die langen dunkelbraunen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und alles in allem wirkte es, als wäre Marry von einem tapferen Prinzen, der zufällig oder durch Gottes Gnade, in der Gegend gewesen war, gerettet wurden. Wären da nicht diese blutroten Augen, die sie unentwegt an die des Werwolfes erinnerten. In ihnen spiegelte sich die gleiche Mordlust und derselbe Blutdurst, fast als wären sie Verwandte. Unschlüssig setzte Marry an, etwas zu sagen, doch es gelang ihr nicht. Blut floss aus ihrem Mund und zu ihrem Entsetzen sah sie, wie die Augen des Fremden den kostbaren Lebenssaft genau fixierten. Ihrer Überraschung war groß, als sich der Mann, weiter zu ihr herunter beugte und ihr einen langen leidenschaftlichen Kuss gab. Sie schloss die Augen und hoffte, dass sie bald aus diesem grotesken Alptraum erwachen möge. Dann vernahm sie seine Stimme. „Willst du weiter leben junges Fräulein? Ich kann dir ein neues Leben schenken, ein Leben voller Freunden und ewiger Gesundheit. Doch du wirst in den Schatten Leben müssen und die Sonne nie wieder sehen. Doch habe keine Angst, ich werde bei dir sein.“ Seine Stimme war sanft und erinnerte nicht im Entferntesten an die eines brutalen Raubtieres. Marry fühlte sich sofort zu ihm hingezogen und vermochte nicht, seinem verlockendem Angebot zu widerstehen. Müde nickte sie. Als sich unvermittelt Spitze Reißzähne in ihren Hals bohrten riss sie ihre Augen auf und spürte, dass sie so eben gestorben war. Doch war dies das Ende? Kapitel 1: Sonnenuntergang (1.Teil) ----------------------------------- I. KAPITEL – Sonnenuntergang New York, Gegenwart Schweißgebadet erwachte Maria aus ihrem Alptraum. Jede Nacht sah sie die roten Auge, die starr und voller Blutgier auf das junge Mädchen, dem sie zum verwechseln ähnlich sah, gerichtet waren. Wie die Bestie sie schwer verletzte und der Fremde sie aus ihrer Not errettete. Alles wirkte so beängstigend real und von Mal zu Mal wurde das Gefühl selbst dabei zu sein immer intensiver. Ein Blick auf den Wecker verriet ihr die Uhrzeit. Es war 3:56 Uhr am Morgen, wie ihr die rot leuchtenden Zahlen auf dem Display verrieten. Seufzend legte sie beide Hände auf ihr Gesicht und rieb sich den Schlaf aus den Augen. In etwas mehr als einer Stunde wollte sie ohnehin aufstehen, also entschied sie sich, ihr Bett jetzt schon zu verlassen. Langsam erhob sie sich und ließ die weiße Samtdecke von ihrem athletischen Körper gleiten, legte die Beine über den Rand des Bettes und schlüpfte in ihre roten Plüschschuhe, die ihre Füße angenehm weich empfingen und bald ganz umschlossen. Nachdem sie aufgestanden und zum Fenster gegangen war, konnte sie ein langes Gähnen nicht unterdrücken. Schon seit einer Woche hatte sie diese merkwürdigen Träume. Sollte sie vielleicht zu einem Arzt gehen? Sie zog die Vorhänge auf und wurde von der hell leuchten Reklame der Stadt so sehr geblendet, dass sie mehrmals blinzeln musste, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Nein. Entschied sie. Womöglich hätte ein Arzt ihr irgendwelche Medikamente verschrieben und Maria versuchte so gut es ging darauf zu verzichten. Ein Blick auf die Straße, welche fast ein Dutzend Stockwerke unter ihr lag, zeigte ihr wieder einmal, dass diese Stadt niemals schlief. Die winzigen Autos drängten sich bereits im immer dichter werdenden Verkehr und die wenigen ameisengroßen Menschen schienen sich auch allmählich zu vermehren. Warum hatte sie auch den Job hier in Manhattan annehmen müssen? „Ach ja…“, erinnerte sie sich halblaut, als sie an die gute Bezahlung dachte, die sie daheim wohl niemals bekommen hätte. Geschweige denn, dass sie auf dem Land überhaupt eine vernünftige Arbeit gefunden hätte. Vielleicht wäre sie in einem der zahllosen Straßenresturants gelandet und im Laufe der Jahre zu einer voluminösen Bedienung, wie sie allgegenwärtig schienen, geworden. Der Gedanke ließ sie angewidert schauern. Maria mochte ihren Körper und sie tat viel um diesen zu erhalten. Regelmäßig ging sie Joggen und ins Fitnessstudio, ernährte sich gesund und verzichtete auf Nikotin- und Drogenkonsum. Selbst Alkohol trank sie nur sehr selten, das letzte Mal mit ihren Eltern, als sie vor zwei Jahren in ihre neue Wohnung gezogen war. Kopfschüttelnd riss sie sich von dem faszinierenden Anblick der beleuchteten Häuser Manhattans los, um ins Bad zu gehen. Sie schaltete das Licht ein, schlüpfte aus ihren Plüschschuhen und streifte das rote Nachthemd mit einer eleganten Bewegung ab, ehe sie sich schließlich unter die Dusche begab. Während das warme Wasser auf ihrer Haut niederging, musste sie noch einmal an ihren Traum denken. In den Horrorfilmen, die sie sich bisher mit ihren Freunden angesehen hatte, waren ähnliche Wesen aufgetaucht. Werwölfe und Vampire. Erfundene Schreckensgestalten, die sich von dem Fleisch und Blut der Lebenden ernährten. Für alle Zeit dazu verflucht bei Nachts auf grausame Jagd zu gehen… doch sie genossen es regelrecht, Leid und Tod über die Menschen zu bringen! Die Temperatur des Wassers schien plötzlich um mehrere Grad zu fallen und Maria drehte es fröstelnd ab, verließ die Dusche und schlang ein Handtuch um ihren Körper. Sie ging zum Spiegel und wollte zu ihrer täglichen Morgenroutine übergehen, als sie die etwas in ihrem beschlagenen Spiegel zu erkennen glaubte. Ungläubig wischte sie mit der Hand über die Oberfläche, bis diese vom Wasserdampf befreit war. Gebannt sah sie in sein Gesicht, derselbe Mann, wie in ihrem Traum! Das konnte nicht sein! Es war doch nur ein Traum und wie sollte er in ihre Wohnung gekommen sein ohne, dass sie etwas davon mitbekommen hätte? Innerhalb weniger Sekunden hatte sie sich zu dem vermeintlichen Eindringling umgedreht. Doch sie sah niemanden, sie war allein im Bad. Ihr Herz schlug so laut, dass sie nicht anderes vernehmen konnte. Was war das?! Maria drehte den Wasserhahn auf und füllte ihre Hände mit kaltem Wasser, mit dem sie unverzüglich ihr Gesicht benetzte. Langsam wich der Schlaf aus ihrem Körper und sie konnte ihre Morgentoilette ohne weitere Zwischenfälle beenden. Nachdem sie sich angezogen, ihre langen blonden Haare nach hinten hochgesteckt und sich dezent geschminkt hatte, fuhr sie ihren Laptop hoch und sah noch einmal nach ihren E-Mails. Im Eingang befanden sich drei ungelesene Nachrichten. Eine löschte sie ungelesen – Werbung für ein Glücksspiel – für die anderen nahm sie sich ein paar Minuten Zeit. Ihre Eltern hatten ihr geschrieben und ein paar Bilder ihres jüngeren Bruders Chris, der zusammen mit ihrem Vater angeln gegangen war, beigefügt. Die beiden hatten einen guten Fang gemacht, wie Maria lächeln feststellte, als sie die sechs großen Fische sah. Die letzte Mail war von einem alten Bekannten, Joseph Phoenix, der sie zu einem Abendessen einlud. Am Freitag, morgen, um 20 Uhr in einem Restaurant bei ihr um die Ecke. Das Maria Joseph mochte stand außer Frage, doch sie wusste, dass er mehr von ihr wollte. Die beiden hatten sich vor einer Weile auf einer Party kennen gelernt und sich angefreundet. Seitdem hatten sie sich mehrmals getroffen und einmal hatte er versucht sie zu küssen, doch sie hatte es entschlossen abgelehnt und zu Josephs Glück das Pfefferspray in der Tasche gelassen. Als Freund konnte sie ihn gut leiden, doch mehr würde sich da nie entwickeln. Rasch tippte sie die Antwort, sie willigte ein und auch wenn sie befürchtete, dass er wieder zu weit gehen könnte, wenn er etwas getrunken hatte, freute sie sich doch auf das Treffen. Das Pfefferspray würde sie aber dennoch in der Tasche haben, denn man wusste ja nie. Ein Blick auf die Uhr trieb sie zur Eile. Sie musste los, sonst würde sie ihre U-Bahn verpassen und zu spät zur Arbeit kommen. Hastig klappte sie den Laptop zu, der daraufhin automatisch in den Standby-Modus versetzt wurde, nahm Tasche und Schlüssel an sich und verließ ihre Wohnung. Der Tag im Callcenter verlief wie immer ereignislos. Maria beschloss nach der Arbeit noch ein paar Einkäufe zu erledigen und dann ohne weitere Umwege in ihre Wohnung zurück zu kehren. So bald es dunkel wurde, wollte sie nicht länger als nötig allein durch die Straßen New Yorks laufen. Auch in einer modernen Stadt wie dieser gab es Raubtiere, auch wenn diese sich oft als Menschen zu erkennen gaben aber nicht selten wie ein Tier handelten. Keine acht Stunden nach Beginn ihres Arbeitstages, kehrte sie mit den Einkaufstüten in ihren Händen in ihre Wohnung zurück und warf die zuvor aus dem Briefkasten genommene Post auf den Tisch. Doch außer der gewöhnlichen Werbung und ein paar Rechnungen erkannte sie zwischen all den Briefen einen, der ihr besonders ins Auge stach. Der Umschlag war vollkommen makellos und außer ihrer Adresse und einem roten Wachssiegel befand sich nichts auf dessen Oberfläche. Prüfend fuhr sie mit den Fingern über das Siegel und betrachtete das Muster. Ein Wappenschild, mit einer Schlage, die sich um einen Dolch oder ein Schwert wand. Stirnrunzelns nahm sie den Brieföffner und öffnete vorsichtig den Umschlag, zog das Papier heraus und entfaltete es. Wie auch der Umschlag war das Papier vollkommen makellos. Maria staunte nicht schlecht, als sie einen handschriftlichen Brief in den Händen hielt. Neugierig überflog sie die Zeilen. Die Schrift war faszinierend. All die geschwungenen Buchstaben, die faszinierend anzusehende Wörter und schließlich Sätze bilden. Fast sah es so aus als hätte jemand die Letter gemalt und nicht einfach nur geschrieben. Wie ein Künstler. Tatsächlich. Der Verfasser war wahrhaftig ein Künstler! Jacques Mollét, ein französischer Künstler hatte sie persönlich zu seiner Ausstellung eingeladen. Dabei waren sich die beiden noch nie begegnet und Maria hatte sich auch nie sonderlich für Kunst, egal ob moderne oder klassische, interessiert. Neugier kam in der jungen Frau auf. Woher kannte der Franzose sie? Und wo hatte er überhaupt ihre Adresse her? Aufmerksam las sie den Brief weiter. „Verdammt!“, entfuhr es ihr laut. Die Ausstellung war am Freitag und begann um 20 Uhr. Genau um diese Uhrzeit hatte sie sich mit Joseph verabredet. Nach kurzem Überlegen siegte die Neugier. Es würde zweifelsfrei noch zahlreiche Möglichkeiten geben mit ihrem Bekannten auszugehen aber nur noch wenige – wenn überhaupt noch eine – einen echten Franzosen, noch dazu einen Künstler, kennen zu lernen. Ohne weiter darüber nachzudenken klappte sie ihren Laptop auf, der daraufhin automatisch den Standby-Modus beendete und benutzt werden konnte. Maria öffnete mit nur wenigen gezielten Klicks ihr virtuelles Postfach, wählte Josephs E-Mail-Adresse aus und schrieb ihm eine kurze aber eindeutige Nachricht. „Hey Jo! Muss leider unser Treffen morgen absagen, mir ist etwas dazwischen gekommen, lass es uns einfach verschieben. Maria.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)