Can you feel me shiver? von cosmos (m a s t e r s h i p p i n g) ================================================================================ Prolog: Would you mind me...? ----------------------------- -SETO- Kaltes Glas berührt meine Haut, als ich meine Stirn leicht gegen die Scheibe meiner Limousine lehne. Ohne wirklich auf die vorbeiziehende Umgebung zu achten, starre ich hinaus. Einfach nur, um den Blick abzuwenden. Ich weiß nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll, ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Mir wurde eingebläut, niemals Gefühl oder Unsicherheit zu zeigen. Ich habe nie so empfunden, wie ich es jetzt tue. Und es macht mich hilflos. Langsam schließe ich die Augen und seufze. Du hast keinerlei Emotion gezeigt. Als wäre alles wie immer...so wie es sein sollte. Das ist nicht deine Art, viel eher meine... Bedeutet es dir nichts? Interessiert es dich nicht, dass du mich nicht wiedersehen wirst? Ein schiefes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich versuche die Gedanken zu vertreiben. Du hast mich verändert...ohne, dass ich es gemerkt habe, und doch fühle ich es nun so stark ... Während ich kläglich gegen die Leere ankämpfe, welche sich in mir ausbreitet, kommen wir unserem Ziel immer näher und ich gebe mir Mühe, wieder halbwegs gefasst zu wirken. Wenn es dich nicht berührt, dass ich gehe...dann werde ich dir auch nicht zeigen, dass es mich mitnimmt. Ich lasse dich meine Schwäche nichterkennen...du wirst mich niemals schwach sehen. Gerade gelingt es mir, einen halbwegs neutralen Gesichtsausdruck zu Stande zu bringen, da spüre ich etwas Weiches, Warmes gegen meine Schulter sinken. Ich blicke zur Seite und muss schmunzeln. Du schläfst nach wie vor, doch irgendwie bist du von deinem Platz gerutscht. Deine Haltung sieht nicht sonderlich bequem aus, aber du machst keine Anstalten aufzuwachen. Es kostet mich einiges an Selbstbeherrschung, nicht die Hand zu heben, um dir eine widerspenstige, schwarze Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Ich betrachte dich eine ganze Weile lang und frage mich, wie es wohl werden wird, wenn du nicht mehr da bist. Du warst immer mein bester Freund. Eigentlich warst du mein einziger Freund. Doch das hat mich nie gestört. Es reicht mir, wenn nur du da bist. Einige Minuten später beginnst du plötzlich zu blinzeln und schaust mich mit deinen tiefgrünen Augen verschlafen an. Anscheinend brauchst du einen Moment, um dich zu erinnern, wo du bist und warum du hier bist. Als du dich schließlich gefangen hast ,setzt du dich ziemlich ruckartig auf und siehst kurz zu Boden, bevor du deinen Blick nach vorn richtest. Die ganze Fahrt, ausgenommen der Zeit, in der du geschlafen hast, hast du nicht ein Wort gesprochen. Du hast mich kein einziges Mal angesehen. Ich habe nicht viel erwartet... Aber das du mir nichts zu sagen hast macht mich traurig, auch, wenn ich es mir nicht anmerken lasse. Normalerweise gibt es niemand anderen, der meine minimale Mimik besonders gut deuten könnte...niemanden außer dir, doch wenn ich es so will, dann kann ich mich auch vor dir verschließen. Die Stille zwischen uns fühlt sich bedrückend an, so unwirklich ... Du hast nie geschwiegen, warum tust du es jetzt? Bist du froh, mich loszuwerden? Mittlerweile sind wir am Flughafen angekommen und Roland nimmt mir meine Sachen ab. Immer noch stumm laufen wir nebeneinanderher, durch die riesige Eingangshalle, vorbei an den Geschäften, den unzähligen Menschen und Angestellten. Es dauert einige Zeit, bis wir das Flugzeug erreichen, welches wir gesucht haben, denn auf Grund einiger Komplikationen haben sich kurzfristig einige Flüge verschoben oder sind anderen Startbahnen zugewiesen worden. Darunter auch die Maschinen in die USA und somit unter anderen meine. Die restliche halbe Stunde verbringen wir in einem Aufenthaltsraum, bis wir schließlich nach draußen geführt werden. Ich blicke einen Moment zu Boden und beiße mir kaum merklich auf die Lippe, denke nach...nur, um zu erkennen, dass mir jetzt weder rationales Denken noch Intelligenz helfen können. Innerlich bin ich aufgewühlt, beinahe verzweifelt. Nach außen wirke ich wie immer. Kühl, gleichgültig...ein wenig arrogant, obwohl es keinen Anlass dazu gäbe. Du stehst nun genau vor mir und schaust mich mit einem für mich undeutbaren Ausdruck an. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, ich schlucke und will das Ganze einfach nur noch schnellstmöglich beenden. Ich halte nicht mehr lange durch, merke schon selbst , wie meine sonst so eiserne Fassade zu bröckeln beginnt. Wozu sollte ich diesen Abschied hinauszögern, wenn er vielleicht endgültig ist. Was würde es ändern? Roland sieht etwas drängend auf seine Armbanduhr. Es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit. Ich fasse mich ein letztes Mal und schaue dir direkt in die Augen. Mehr als ein trockenes ‘Tschüss, mach’s gut...’ kommt dir nicht über die Lippen und es versetzt mir einen Stich. Trotzdem lächle ich dich so gut es geht an, nicke dir zu und wende mich ab. Während ich auf die Treppe zum Eingang des Flugzeuges zugehe, schließe ich die Augen und versuche jede Art von Gefühl auszulöschen, die sich in mir ausbreitet. Ich werde mir ganz bestimmt nicht die Blöße geben und mich umdrehen. Bis heute Morgen, war alles wie gewöhnlich...mich würde interessieren, ob du mich die ganzen Jahre über nur benutzt hast. Der plötzliche Wandel deines Verhaltens spricht Bände.... Auf einer der letzten Stufen halte ich kurz an. Meine Hand umklammert zitternd die kühle, stählerne Halterung des Geländers. Ich komme gegen die Flut der Gefühle nicht mehr an, die auf mich niederstürzt. Zu meiner Enttäuschung gesellt sich Wut und ich würde am liebsten jemanden schlagen. Am liebsten würde ich dich schlagen, was ich durchaus gedenke in die Tat umzusetzen. Ich stelle meinen Koffer ab und gebe Roland ein Zeichen, dass ich noch eine Minute brauchen würde, woraufhin ich die Treppe wieder hinabsteige. Anfangs bemerkst du mich gar nicht, denn du hältst den Kopf gesenkt. Einige verirrte Strähnen fallen dir ins Gesicht und als ich näher komme sehe ich, dass du ein wenig bebst. Darüber kann ich mir in meinem momentanen Zustand jedoch keine Gedanken machen. Ich bin zu zornig darüber, dass du mich so weit gebracht hast. So wiet, dass ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Du hast meinen Stolz verletzt, ob beabsichtigt oder nicht und während ich dir mit schnellen Schritten näher komme bin ich mir selbst nicht mehr sicher, wofür ich dir eigentlich die Schuld geben kann. Es interessiert mich auch nicht...jetzt nicht mehr. Ich bin nur noch ein paar wenige Meter von dir entfernt und urplötzlich blickst du auf und siehst mir tief in die Augen. Ich verenge die meinen zu schmalen Schlitzen und will dich anschreien... Ich bringe kein Wort heraus, starre dich einfach nur entsetzt an, als sich eine kleine Träne aus deinem Augenwinkel löst. Bevor ich begreifen kann, was hier gerade passiert, machst du einen schüchternen, unsicheren Schritt auf mich zu, beschleunigst die Folgenden und ziehst mich in deine Arme. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das war nicht geplant. Was...was tust du da? Ich begreife nicht... Nach einigen Schrecksekunden realisiere ich, was hier passiert, schlinge meine Arme fest um dich und drücke dich gegen meine Brust. Du bist viel kleiner als ich ... Vorsichtig bettest du deinen Kopf auf meiner Schulter, atmest aus ... du bist erleichtert. Dein Atem streift meinen Hals und ich spüre, wie mir ein warmer Schauer über den Rücken läuft. ‘Seto...’ - Kapitel 1: Love hurts but sometimes it's a good hurt ---------------------------------------------------- -DUKE- Erleichtert atme ich aus, streife deine weiche Haut hauchzart mit meinen Lippen und schließe die Augen. Du erwiderst meine Umarmung und ich lächle kaum merklich. Ich bin dankbar dafür, dass du mein Gesicht in diesem Moment nicht siehst, komme ich mir doch so erbärmlich vor. Wie hatte ich so naiv sein können? Wie hatte ich glauben können, dass mir dieser Abschied leichter fallen würde, indem ich jede Emotion, jedes Gefühl verdrängte. Ich habe nur an mich selbst gedacht, daran es für mich so leicht wie möglich zu machen. Damit habe ich dich verletzt... Ich habe es nicht einmal bemerkt… War ich nicht immer davon ausgegangen, ich würde dich kennen, dich lesen können, wie ein offenes Buch? Es hat den Anschein, als hätte ich mich geirrt. Es steht durchaus in deiner Macht, deine Gedanken vor mir zu verbergen… Es tut mir Leid…dir Anlass dazu gegeben zu haben… Sanft streiche ich mit den Fingerspitzen über den Stoff deines Mantels, stoppe in meiner Bewegung und drücke dich ein letztes Mal fest an mich, bevor ich dich ein Stück von mir schiebe. Ein wenig unsicher blicke ich zu dir auf, zwinge mich dazu, dir in die Augen zu sehen und schenke dir ein verkrampftes Lächeln. Du erwiderst es und mir fällt ein Stein vom Herzen. Du bist mir nicht böse… Obwohl ich kein Wort gesagt habe, welches mein kindisches Verhalten erklären könnte. Du verstehst auch so. Du kennst mich so gut…viel besser als ich dich, scheint es manchmal. Doch langsam wird es Zeit für dich, du bist bereits spät dran. Ich habe dich bis jetzt nur aufgehalten. Ich möchte nicht, dass du gehst, ich habe es nie gewollt. Aber der neue Firmensitz in den USA ist wichtig für dich, du wirst weiterkommen in deinem Leben, während ich immer noch hier bin. Ich werde hier warten, vielleicht kehrst du irgendwann zurück. Irgendwann… Der Gedanke schmerzt so sehr, dass ich es nur mit Mühe verbergen kann. Du schaust mich einen Moment lang nachdenklich an, ich verhalte mich ruhig, warte ab. Plötzlich drehst du dich auf dem Absatz um, ohne mich noch einmal anzusehen und gehst auf den Flieger zu. Entsetzt starre ich dir nach, hebe die Hand und will dir etwas nachrufen. Warum tust du das? Kannst du mir doch nicht verzeihen? Seto…. Ich kann nicht glauben, dass dieser Augenblick kommen würde. Vielleicht wollte ich es einfach nicht… Alles scheint mir so unwirklich, ich möchte dir nachlaufen, dich festhalten und dir all das sagen, was ich in meinem Herzen weggeschlossen habe. Bevor ich einen weiteren klaren Gedanken fassen kann, reißt mich deine ungeduldige Stimme aus meiner Trance, deren Klang mich blitzartig zusammenzucken lässt. Ich hebe den Kopf ein wenig und streiche mir unbeholfen eine lange, schwarze Strähne aus dem Gesicht. Mit meinen Händen weiß ich nicht wohin, noch nie zuvor war ich so durcheinander… „Kommst du nun, oder willst du dort unten Wurzeln schlagen…?“, rufst du genervt und gestresst…wie immer und doch liegt ein Unterton in deiner Stimme, der verrät, dass etwas anders ist. Ich verstehe nicht, was du meinst und blicke unschlüssig zum Eingang des Flugzeuges auf, an den du dich lehnst und mich abwartend musterst. Roland verfolgt aus einem der kleinen Fenster mit ratlosem Blick das Geschehen. Ihm scheint genauso wenig wie mir klar zu sein, was du im Sinn hast und du verdrehst nach einigen weiteren Minuten die Augen und läufst, bereits zum zweiten Mal an diesem Tag, den Aufgang des Fliegers wieder hinab, um mich sofort wieder mit hinaufzuziehen. Verwirrt starre ich dich an und lasse dich gewähren. Was du vorhast ist noch nicht bis zu mir durchgesickert…ich fühle mich zu nichts mehr im Stande. Dieser Tag raubt mir wirklich den letzten Nerv… Nicht, dass irgendein Tag, den ich mit dir verbracht habe, kalkulierbar gewesen wäre. Aber der heutige übertrifft bei weitem alles, was ich bisher erlebt habe. In mir herrscht völliges Chaos, meine Gefühle schwanken so rasant, dass ich nicht mehr weiß, ob ich traurig bin oder einfach nur verunsichert und irritiert. Wieso sagst du nichts? Warum lässt du mich nie nachvollziehen, was in dir vorgeht…? Mit sanfter Gewalt drückst du mich in eine der weichen Sitze zu deiner Rechten und lässt dich seufzend in den neben mir fallen. Noch immer sehe ich dich fragend an und du lehnst dich zurück, schließt die Augen halb und lächelst leicht. „Ich schätze, du wirst ein paar Tage mit meinen Klamotten auskommen müssen…denn ich denke nicht, dass deine so schnell nachgeschickt werden können.“, stellst du trocken fest und wirfst einen flüchtigen Blick auf deine Armbanduhr. Meine Augen weiten sich, nur langsam setzt sich die Bedeutung deiner Worte vor mir zusammen…wie ein Puzzle. Du wendest dich wieder mir zu und ich habe nie eine derartige Erleichterung gespürt, wie ich es jetzt tue. In meinen Augen sammeln sich Tränen, aber diesmal verberge ich sie nicht vor dir. Ich weine nicht, weil du gehst, weil du mich zurück lässt….weil ich Abschied nehmen muss, sondern, weil ich bei dir bleiben darf. Du bedeutest mir so unendlich viel… Auf deinem Gesicht macht sich ein leicht besorgter Ausdruck breit, du öffnest den Mund, um etwas zu sagen, doch ich komme dir zuvor und falle dir lachend um den Hals. Sofort wirst du merklich lockerer und atmest leise aus, während du mich weiterhin festhältst. Ich kann nicht fassen, so unglaublich viel Glück zu haben. Langsam setzt sich nun auch die Maschine in gang und ich löse mich kurz von dir, um nach draußen zu schauen und zu beobachten, wie die Landschaft unter uns immer kleiner und undeutlicher wird. Als ich mich wieder umdrehe, schmunzelst du leicht über mein Verhalten und ziehst deinen Laptop aus deinem Koffer, um ein wenig zu arbeiten. Ich lehne mich an deine Schulter und sehe dir zu. Ich frage mich, ob ich es mit meinem ‚Dungeon Dice Monsters’ jeweils so weit bringen würde, wie du mit deiner Firma. Ich bewundere dich… Nach einer Weile werde ich schläfrig. Erst als die Durchsage bezüglich der Landung aus den Lautsprechern ertönt, blinzle ich verschlafen und bemerke, dass du nicht mehr neben mir sitzt. Wir befinden uns bereits auf der Landebahn und die Treppe am Ausgang wird wieder heruntergelassen. Du sitzt nicht mehr neben mir. Stattdessen stehst du, in ein Gespräch mit Roland verwickelt, am anderen Ende des Flugzeuges. Ich betrachte dich genauer und bemerke deinen ernsten Gesichtsausdruck. Der Unterhaltung kann ich nicht mehr entnehmen, als dass du sehr in Eile bist und allen Anscheins in Kürze einen wichtigen Termin hast, den du nicht verpassen darfst. In der Hand hältst du eine Mappe mit Aufzeichnungen und Ausarbeitungen, welche du noch ein letztes Mal prüfend durchblätterst, bevor sich die Türen öffnen und du zusammen mit deinem Angestellten aussteigst. Ich folge dir in einigem Abstand, denn wenn du konzentriert und stressig bist, lasse ich dich erfahrungsgemäß lieber in Ruhe, bis du dich wieder gefangen hast. Es überrascht mich nicht, dass dein jüngerer Bruder hier am New Yorker Flughafen auf dich wartet. Du hattest mir bereits erzählt, dass er schon einige Zeit vor dir her geflogen ist. Mokuba blickt mich verwundert an, legt fragend den Kopf schief und stürmt schließlich strahlend auf mich zu. „Duke?! Was machst du denn hier? Seto hat mir gar nicht gesagt, dass du mit uns kommst!“ Ich lächle den Kleinen an und wuschle ihm durch’s Haar. „Mir auch nicht Mokuba.“, grinse ich und innerlich wallt wieder dieses Glücksgefühl auf, als gäbe es nichts, was es jetzt noch trüben könnte. Zusammen mit dem Jüngeren betrete ich die riesige Haupthalle des Flughafens und erhasche noch einen Blick auf dich. Du gehst in die entgegengesetzte Richtung, wie dein Bruder und ich. Dieser erklärt mir, dass du gegen Nachmittag wieder zurück sein wirst und wir uns bis dahin anderweitig beschäftigen müssten. Ich nicke abwesend und sehe dir nach. Wenige Meter vor den Glastüren, durch welche man ins Freie gelangt, drehst du dich noch einmal um und dein Blick schweift über die Menschenmenge, bis er an mir hängen bleibt. Ein kaum sichtbarer Rotschimmer legt sich auf mein Gesicht und ich lächle dir zu. Du tust es mir gleich, bevor du dich abwendest und gemeinsam mit Roland das Gebäude verlässt. Ich kann dich längst nicht mehr erkennen, doch dein Bild hat sich tief in mir eingebrannt. Deine unberechenbaren, blauen Augen…die Art, wie du dich bewegst, die Art, wie du lachst. Du zeigst so selten Freude, doch das macht diese wenigen Male umso wertvoller für mich. Noch keine zehn Minuten ist es her, dass du aufgebrochen bist…und doch sehne ich mich nach dir, als wäre es eine Ewigkeit her. Eigentlich habe ich mich längst ergeben. Wäre es nicht eine Lüge, weiterhin zu leugnen … Kapitel 2: Eyes like the sea in storm ------------------------------------- -SETO- Eilig hetze ich durch den Menschenandrang, welcher sich vor dem Flughafen angesammelt hat. Wie befürchtet versucht sich eine Meute Kameraleute und Fotographen auf mich zu stürzen und mich mit unangemessenen Fragen zu löchern. Da ich von derartigen Klatschreportern nichts halte und auch keinen Wert darauf lege, in irgendeinem unseriösen Heftchen auf der Titelseite zu landen, ignoriere ich die Reporter und gehe zielsicher auf die schwarze Limousine zu, die am Straßenrand auf mich wartet. Roland gibt währenddessen sein Bestes, um mich vor jeglicher Belästigung zu schützen. Endlich erreichen wir den Wagen und mein Begleiter öffnet die hintere Tür, um mich einsteigen zu lassen. Ich werfe den Fernsehteams noch einen letzten abwertenden Blick zu, konzentriere mich dann jedoch wieder auf meine Arbeit, die momentan absolute Priorität hat. Auf meine Frage, wie viel Zeit die Fahrt in Anspruch nehmen würde, antwortet der Chauffeur mir, wir wären in einer guten Dreiviertelstunde am neuen Firmenhauptsitz angekommen. Ich nicke und klappe mein Notebook auf, um noch einmal alle Unterlagen durchzugehen, welche ich in der ersten Sitzung benötigen werde. Meine Gedanken schweifen dabei immer öfter ab und es beginnt mir immer schwerer zu fallen, wieder zurück zum eigentlichen Thema zu kommen. Auf eine ziemlich penetrante Weise schwirrst du mir durch den Kopf und ich kann dich nicht abschütteln. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich es gar nicht wirklich möchte… Mit der Zeit lasse ich es zu, mich immer länger von dir ablenken zu lassen und schließlich klappe ich den Laptop einfach zu und lehne mich in meinem Sitz zurück. Es hatte ja doch keinen Sinn… Ich frage mich, was du gerade machst… Ich hatte ja nicht einmal Zeit, mich richtig bei dir zu verabschieden. Nun stehst du hier, in dieser fremden Stadt, in die ich dich geschleppt habe und das Erste, was ich mache ist, dich allein zu lassen… Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel. Mokuba wird dich schon sicher zu unserer Villa bringen und so, wie ich meinen kleinen Bruder kenne, nutzt er meine Abwesenheit, um dich voll und ganz in Anspruch zu nehmen, da ihm das ja sonst kaum möglich ist. -Er wird dich schon nicht zu sehr nerven- , denke ich und muss grinsen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich denke ein wenig zu oft an dich. Wieso, weiß ich nicht… Egal, auf was sich meine Konzentration normalerweise beschränken müsste…es geht nie lange gut. Du bist immer da, ich kann dein Lächeln nicht vergessen und mir wird warm. Wenn du von meinen Gedanken wüsstest, könnte ich dir nicht mehr in die Augen sehen… Ich weiß ja nicht mal, warum ich mich so verändert habe. Bei jeder Berührung deinerseits läuft mir ein angenehmer Schauer über den Rücken. Selbst, wenn du mich nur versehentlich anstößt…geschweige denn, wenn du mich umarmst. Ich schäme mich dafür… Ich komme mir selbst abstoßend vor und es wird immer stärker, von Tag zu Tag. Es kommt mir vor, als würde ich dich belügen. Wenn du von meinen Gedanken wüsstest, würdest du sicher genauso über mich denken, wie ich es tue…ich könnte verstehen, wenn du nicht bei mir bleiben wollen würdest. Doch genau wegen dieser Angst, schweige ich. Ich könnte alle Last der Welt auf mich nehmen…aber nicht deine Abneigung, dein Misstrauen. Die Vorstellung wühlt mich innerlich auf und ich stütze den Kopf in meine Hände, schließe einen Augenblick lang die Augen, nur um sie gleich wieder zu öffnen, verzweifelt zu Boden zu blicken… Ich fühle, dass der Moment näher rückt, in dem ich einfach nicht mehr kann. Der ganze Stress, die nächtelange Arbeit, die Firma, mein jüngerer Bruder…früher hatte ich das Gefühl, schon das wäre an der Grenze des für einen einzelnen Menschen schaffbaren. Du hast mich eines Besseren belehrt. Diese Gefühle, die ich zuvor nicht kannte… diese Sehnsucht, die mich von innen zerfrisst und mir beinahe meine ganze Beherrschungskraft abverlangt. Anfangs habe ich mir eingeredet, es ginge schon irgendwann vorüber… Es ist nicht vorübergegangen… Und ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr zurück kann, dass ich etwas zugelassen habe, das ich nicht mehr rückgängig machen kann. Etwas, worüber ich weder die Macht noch die Kontrolle besitze. Ich spüre, wie die Zeit an mir vorbeizieht. Ich spüre den Druck und wie ich jeden Tag ein wenig schwächer werde… Mittlerweile ist es früher Abend und ich trete endlich aus dem riesigen Bürogebäude der Kaiba Corporation. Sanft streichen mir einige rotorange Sonnenstrahlen über die Haut und ich verweile ein paar Sekunden in dieser Position, versuche mich zu entspannen und mit dem heutigen Tag abzuschließen. Die Besprechung war anstrengend, doch ich bin zufrieden und gehe davon aus, dass sie effizient und lohnenswert gewesen ist. Kurze Zeit später fährt meine Limousine vor, Roland begrüßt mich, wie immer, sehr freundlich und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Ich antworte ihm knapp, sage die restliche Fahrt über aber kein weiteres Wort. Dazu bin ich einfach zu ausgelaugt und müde. Die vorigen Nächte hatte ich größtenteils schlaflos verbracht, einerseits wegen den vielen Dingen, die für die Abreise in die USA vorbereitet werden mussten….andererseits durch die Unsicherheit und die Angst, die sich in mir gestaut hat, als mir bewusst wurde, das dies auch Abschied bedeutete…Abschied von dir. Mir kommt es vor, als würden wir schon stundenlang fahren und nie zum Ziel kommen, aber nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich vor meinem neuen zu Hause und atme schwer aus. Gefolgt von meinem Angestellten trete ich durch das große Eisentor und schließlich durch die, mit einem PIN-Code gesicherte, Eingangstür meiner Villa. Am liebsten würde ich mich erst einmal im kompletten Haus umsehen, doch ich beschließe dies auf morgen zu verschieben. Ein bisschen orientierungslos blicke ich mich um, bis ich aus einer der oberen Etagen Lärm wahrnehme und das Lachen meines kleinen Bruders erkenne. Ich muss schmunzeln und gehe ein paar Stufen die Treppe hinauf, als mir Mokuba schon entgegen gerannt kommt und mich stürmisch umarmt, woraufhin ich fast das Gleichgewicht verliere, mich jedoch noch am Geländer festhalten kann. Manchmal ist er wirklich ein bisschen wild, aber das stört mich nicht. Nachdem Mokuba wieder von mir abgelassen hat, sehe ich auf und erblicke dich. Du stehst ein paar Meter weiter oben am Treppenabsatz und musterst mich mit deinen geheimnisvollen grünen Augen, als wolltest du in mein Inneres schauen. Ich steige die restlichen Stufen hinauf und stehe nun vor dir. Du schenkst mir ein sanftes Lächeln und erklärst mir, dass du dich, in der Zeit in der du mit meinem Bruder hier warst schon ein wenig umgesehen hast. Ich nicke nur und bitte Mokuba, mir zu zeigen, wo sich mein Zimmer befindet. Den Rest des Gebäudes würde ich mir auch morgen früh anschauen können. Glücklicherweise ist morgen Sonntag, was für mich bedeutet, dass ich frei hatte und mir nicht jede Einzelheit der Inkompetenz meiner Arbeitnehmer zu Gemüte führen musste…, welche meiner Meinung nach teilweise unfassbare Ausmaße annimmt. Am liebsten wäre es mir gewesen, noch ein bisschen mit dir im Wohnzimmer zu sitzen und mich zu unterhalten, aber ich fürchte, dass müssen wir auf den nächsten Tag verlegen. Mein Körper fühlt sich so schwer an, als würden meine Beine ihn keine paar Schritte mehr halten können. Als ich schließlich in meinem Schlafzimmer stehe, sehe ich mich nicht einmal mehr um, sondern stelle meinen Koffer ab und lasse mich einfach auf mein großes, weiches Bett fallen, ohne mich umzuziehen. In meiner Schläfrigkeit habe ich nicht bemerkt, wie du mir gefolgt bist und dich vorsichtig auf die Bettkante setzt. Erst deine langen, schlanken Finger, die zärtlich durch mein Haar streichen, machen mich auf dich aufmerksam und ich öffne die Augen einen Spalt breit. Du hast das Licht ausgemacht, als du den Raum betreten hast und ziehst nun die warme Decke, auf welche ich gar nicht weiter geachtet habe, über mich. Ich grummle unzufrieden, da deine Hand, welche mich bis eben noch gekrault hat für einen Augenblick verschwindet. Dein leises Lachen dringt an mein Ohr, du fängst wieder an mich sanft zu streicheln und ich rolle mich unter der Decke zusammen. Es fühlt sich so gut an, zu wissen, dass du da bist. Ich wüsste nicht, wie es jetzt wäre, hätte ich dich zurückgelassen… Wie du dich leise erhebst und die Matratze neben mir unter deinem Gewicht ein Stück einsinkt, nehme ich kaum noch wahr… … das du deine Arme um mich schlingst und deine Finger zitternd mit meinen verhakst, spüre ich nicht mehr… Kapitel 3: Every step that I take is another mistake ---------------------------------------------------- -DUKE- Obwohl ich mich schon seit einer ganzen Weile nur noch im Halbschlaf befinde, brauche ich noch einige Minuten, um wirklich wach zu werden. Ich gehöre zu der Gruppe Menschen, welche die meiste Zeit, die sie im Bett verbringen nicht damit ausfüllen, zu schlafen, sondern sich von einer Seite auf die andere rollen und vor sich hin dösen. Du bist anders. Wenn du einmal eingeschlafen bist, kann dich nichts mehr aus der Ruhe bringen. Ein liebevolles Lächeln legt sich auf meine Züge und ich betrachte dich, wie du noch immer in meinen Armen liegst und gleichmäßig ein- und ausatmest. Dieser Anblick bringt mich jedes Mal aufs Neue zum Schmunzeln, wenn ich daran denke, wie kühl und unausgeglichen du oft bist. Momentan dagegen wirkst du so friedlich und zufrieden. Ich weiß nicht genau, wie lange ich so dagelegen habe und mich darum bemüht habe, mich nicht großartig zu bewegen, um dich nicht zu wecken. Doch schließlich regst du dich und brummst irgendetwas unverständliches, bevor du etwas erschrocken zusammenzuckst. Du hast bemerkt, dass du nicht allein bist und drehst dich suchend nach dem Störenfried um. Ich bin unterdessen unter die Bettdecke geschlüpft und gebe keinen Ton von mir. Es macht mir jedes Mal wieder Spaß, dich, meinen unfehlbaren besten Freund, zu necken. ...Was zu meinem Leidwesen nur in solchen Momenten möglich ist, in denen du dich in einem schlafähnlichen Zustand befindest. Wie erwartet bist du noch so verpeilt, dass du mich nicht bemerkst, obwohl ich dir ganz nahe bin. Grinsend fahre ich mit der Hand unter deinen Pullover, welchen du ja gestern nicht ausgezogen hast und zeichne mit einem Finger hauchzart deine Wirbelsäule nach. Zu meiner Überraschung zuckst du aber weder ein weiteres Mal zusammen, noch wendest du dich blitzartig um und ziehst mich unter der Decke hervor, um mich anzugiften. Stattdessen seufzt du wohlig und drängst dich der Bewegung entgegen. Dein leiser, zufriedener Laut lässt meinen Körper leicht beben und ich spüre, wie mir ein Schauer über den Rücken läuft. Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass du so ruhig bleibst…dass dir meine Berührung gefällt. Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich das Risiko eingehen sollte, weitergehen sollte…oder ob es unklug wäre…vielleicht sogar etwas zerstören könnte, bin ich mir doch nicht sicher, ob du überhaupt richtig wahrnimmst, was hier geschieht… Bisher habe ich mir nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht, ob du…- Ich kneife die Augen zusammen und verdränge meine Zweifel. Woher weiß ich, wann ich das nächste Mal eine solche Chance bekomme…wenn überhaupt… Unsicher lege ich meine Arme um deine Taille und ziehe dich an mich. Auf jede deiner Bewegungen achtend, schiebe ich dein Oberteil nach oben und lehne meine Stirn vorsichtig gegen deinen Rücken. Du erzitterst leicht und verspannst dich für eine Sekunde. Mein Herz schlägt so unendlich schnell, vor Angst, vor Sehnsucht nach dir, als wolle es zerspringen. Sanft lege ich meine Lippen auf deine warme Haut, streiche zärtlich darüber, als könnest du unter mir zerbrechen. Meine Hände gleiten liebkosend über deinen flachen Bauch, fahren die Muskeln nach und stoppen schließlich an deiner Brust. Ich berühre deine Brustwarzen, stöhne leicht gegen deine Haut, während ich weitere Küsse auf deinem Rücken verteile. Deine Knospen beginnen sich unter meinen Fingern zu härten, welche sie leicht massieren. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass du wach bist. Du atmest schwer, keuchst leise in deine Hand, welche du vor deinen Mund gepresst hast. Ich fühle, dass es dir peinlich ist, dass du hilflos bist. Eigentlich hätte ich in diesem Moment begreifen müssen…doch deine ganze Art, dein Körper bringen mich um das letzte bisschen Verstand, was mir geblieben ist, seit ich dir das erste Mal bewusst in die Augen gesehen habe…mich in ihnen verloren habe, wie ein Ertrinkender in der See… Ich hätte begreifen müssen, dass ich vorsichtig sein muss, nicht übermütig werden darf, dass du Angst hast….dass dein Vertrauen, auch jenes zu mir, immer eingeschränkt war. Du hast nie einen Menschen so nah an dich heran gelassen. Du hast nie gewagt, dich einem Menschen so weit zu öffnen, dich hinzugeben… Doch ich habe es nicht begriffen, ich mache einen Fehler, verliere die Kontrolle, auf die du innerlich vertraut hast… Blind vor Lust lasse ich meine Finger zu deiner Hose wandern, öffne sie mit einem geübten Griff und schiebe meine Hand zwischen deine Beine, beiße dir verlangend in den Hals, seufze erregt gegen deine Haut. Du stößt mich von dir. Es ist, als würde ich aus einer Trance erwachen. Du starrst mich mit weit geöffneten Augen an…verschreckt…enttäuscht. Und plötzlich wird dein Blick leer. Ich erkenne, wie es in deinem Kopf arbeitet, wie du zu realisieren beginnst…und wie schließlich etwas in dir zerbricht. Unbeholfen strecke ich die Hand nach deiner aus, öffne den Mund, um etwas zu sagen, dich um Verzeihung zu bitten…zu erklären. Doch du weichst vor mir zurück, deine Worte sind nur ein Flüstern, aber ich verstehe jedes Einzelne. „Bitte…..bitte geh.“ Deine Stimme klingt gezwungen beherrscht. Langsam erhebe ich mich, ich habe nicht das Recht dir zu widersprechen, ich will es auch gar nicht…ich weiß, was du von mir denkst. Bevor ich die Tür deines Zimmers hinter mir schließe, wende ich mich noch einmal um. Zusammen gekauert sitzt du auf deinem riesigen Bett, hast das Gesicht in den Händen vergraben. Du weinst. Ich habe dich nie weinen sehen. Und es bringt mich um. Du wirkst so verloren... „Ich hätte dich niemals benutzt…verzeih mir….bitte verzeih mir...“, presse ich hervor, bevor ich unter Tränen auf den Flur hinaus stolpere. Kapitel 4: Mental Coma ---------------------- -SETO- Warme, zarte Sonnenstrahlen streicheln über meine Haut, doch ich zittere vor Kälte. Die langen, weißen Vorhänge an den leicht geöffneten Verandafenstern bewegen sich sacht. Der Wind spielt geräuschlos, es ist still und mein Blick ist leer. Ich hebe den Kopf ... sehe nichts ... höre nichts außer dem Ticken der Uhr und meinen leisen, regelmäßigen Atem. Vorsichtig fahre ich mit den kühlen Fingerspitzen über meinen Körper. Bin ich das? Unwillkürlich bohren sich meine Nägel in meinen Oberarm, ich keuche auf und kneife die Augen zusammen. Die Grenze zwischen Traum und Realität verschwimmt vor mir, Welle um Welle... Ich versinke. Ich versinke in Gedankenlosigkeit, spüre, wie meine Lider schwerer werden... Lass mich los... - Irgendwann am späten Nachmittag weckt mich ein zaghaftes Klopfen an meiner Zimmertür. Ich öffne die Augen einen Spalt breit und brauche einen Moment lang, um mich zu orientieren. In dieser Zeit Betritt ein kleiner, schwarzhaariger Junge den Raum. Mein Bruder Mokuba verweilt kurz, beschließt dann jedoch, sich auf die Kante meines Bettes zu setzen. Sein Blick ruht einige Sekunden lang auf mir, er mustert mich besorgt und fragend zugleich. Langsam richte ich mich auf und ziehe die Decke bis zum Kinn. Der Jüngere blinzelt, legt den Kopf schief und wischt ein paar brünette Strähnen aus meinem Gesicht. Er merkt, dass etwas anders ist ... er weiß es. „Seto...möchtest du nicht aufstehen?“ Mokuba lächelt sanft und deutet auf den schwarzen Wecker auf meinem Nachttisch. „Es ist schon halb fünf...du hast den ganzen Tag verschlafen.“ fügt er hinzu und ich schaue irritiert auf das winzige Zifferblatt, um mich zu vergewissern, dass er richtig liegt. Ein schwaches Seufzen entfleucht meinen Lippen und ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Ich fühle mich so schwer und träge. „Hey...Bruder...was ist denn los? Geht es dir nicht gut?“, will der Kleine wissen und streicht behutsam über meinen Rücken. „Du hast heute ja noch nicht mal etwas gegessen.“ Ich bemühe mich normal zu wirken, als wäre es wie immer... und doch sehe ich, dass er mir nicht glaubt, dass er mich durchschaut. Er belässt er es bei dieser einen Frage. Nur Mokuba erkennt die Gefühle hinter meiner Maske, meiner Fassade aus Sturköpfigkeit und Eigensinn...nur Mokuba....Mokuba....und du... Ich verdränge die aufwallenden Erinnerungen und schlucke hart. Niemand muss es wissen. In all der Zeit habe ich gelernt meinen Kummer und meine Einsamkeit zu verbergen. Ich werde nicht zulassen, dass du mich noch einmal am Boden sehen wirst, verletzlich und gebrochen. Stumme Tränen sind schmerzvoll. - Schon wieder vergesse ich die Zeit, bin nicht sicher, wie lange ich schon vor mich hinstarre und der Blick des Schwarzhaarigen liegt weiterhin auf mir. Ich spüre, dass er mich durchdringt, voller Sorge und Zweifel. Es tut mir Leid. Ich setze mich neben Mokuba auf den Bettrand und erhebe mich kurz darauf, um einen Schritt auf meinen geräumigen Kleiderschrank zu zumachen und wahllos ein paar Sachen herauszusuchen. Jemand hält mich von hinten am Arm und ich drehe mich verwirrt um. Mein Bruder steht auf Zehenspitzen und sieht mir über die Schulter. Er schüttelt den Kopf. „Sag mal Seto...was machst du denn da?“, tadelt er mich fassungslos und schiebt mich murrend zur Seite, um mir die Kleider wieder aus der Hand zu nehmen und sie zurückzulegen. „So wird das alles nichts. Du gehst jetzt erstmal duschen und wirst wach – ohne wenn und aber - und ich bringe dir gleich Frische Klamotten.“ Mit diesen Worten wendet er sich von mir ab und sortiert die völlig unpassende Auswahl an Kleidungsstücken wieder in das Fach ein. Ich wage nicht, dem Kleinen zu widersprechen, denn mir wird klar, dass ich mich wirklich benehme, als wäre ich völlig benebelt. Im Badezimmer werfe ich einen flüchtigen Blick in den Spiegel , verschwinde aber anschließend sofort in die Duschkabine und lasse das warme Wasser über meinen Körper rinnen. Es tut unerwartet gut und ich schließe die Augen halb, lehne mich gegen die Wand aus Marmorfliesen und schalte ab, so gut es geht. Nach einer Viertelstunde beschließe ich, dass es genug ist, wickele mich in ein großes, weißes Handtuch, trockne mich ab und schlüpfe in die Sachen, die Mokuba mir auf einen Hocker gelegt hat. Ich weiß nicht, wie ich mich nun verhalten soll. Dem Kleinen Gegenüber...dir gegenüber. Als wäre nichts gewesen? Das kann ich nicht. Ich kann dir nicht vertrauen. Vielleicht habe ich es nie getan? Nicht wirklich. Und doch habe ich dich so nah herangelassen...zu nah...zu weit. Du hast es missbraucht, du hast nicht einen Moment daran gedacht, was ich fühle...was in mir vorgeht...was mich so unvorsichtig werden lassen hat.... Ich liebe dich. So sehr, dass es mich von innen heraus zerstört. Du machst mich kaputt...und doch kann ich nicht aufhören...ich kann nicht... Ich kann dir nicht mehr in die Augen sehen. - Unsicher verlasse ich das Bad und laufe den langen, halbdunklen Gang entlang. Die Sonne ist beinahe schon wieder untergegangen. Ohne darüber nachzudenken tragen mich meine Füße zum Wohnzimmer, ich strecke die schmalen Finger nach dem Türgriff aus, halte jedoch inne, als ich Stimmen aus dem Inneren des Raumes vernehme. Einige Sekunden lang lausche ich. Mokuba unterhält sich mit dir. Anfangs befürchte ich ihr sprecht über mich und das du meinem Brüderchen erzählt hast... Aber plötzlich höre ich den Jüngeren lachen und bin sicher, dass es um etwas anderes gehen muss. Du stimmst ebenfalls in das Gelächter ein. Ich glaube etwas unehrliches, gezwungenes herauszuhören. Was geht in dir vor? Was denkst du? Hast du Angst, so wie ich? Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich habe erneut das Gefühl, nicht gegen sie anzukommen, nachgeben zu müssen. Nun nähern sich Schritte. Sie werden lauter und hallen in meinem Kopf wieder. Viel zu spät realisiere ich, was passiert und stolpere ein Stück zurück. Um wegzulaufen ist es eindeutig zu spät, also fahre ich hastig mit einem Ärmel über meine Augen und bete, dass sie nicht rot und verweint wirken. Du rechnest nicht mit mir und prallst um ein Haar mit mir zusammen, als du die Tür öffnest. Erschrocken weichst du zurück und starrst mich an. Keiner sagt ein Wort, bis du schließlich die peinliche Stille durchbrichst. „Entschuldige...Seto. Ich...ich konnte ja nicht ahnen, dass du dort ... stehst...“, stammelst du und richtest überflüssigerweise deine langen, schwarzen Haare. Ich nicke dir nur knapp zu und mache auf dem Absatz kehrt. Eigentlich will ich nur noch weg, dahin, wo du mich nicht siehst. Ich schäme mich vor dir und ich fürchte mich davor, dass du mir wieder weh tun könntest. Mit irgendeiner kleinen Geste... „Seto...warte....“, bittest du mich mit brüchiger Stimme und ich habe das Gefühl total zu verzweifeln. Es gelingt mir, einen halbwegs beherrschten Gesichtsausdruck zustande zu bringen und ich wende mich halb zu dir um, halte aber den Kopf gesenkt. Du sagst nichts, stehst einfach nur da und musterst mich hilflos. Was willst du von mir? Ungefähr eine Minute verstreicht, bis du dich wieder regst. „Es ....ist schon okay. Ich....“, flüsterst du und lächelst schief, „...Ich verstehe schon...“ Daraufhin wendest du dich um und lässt mich allein zurück. Mittlerweile hat auch Mokuba das Wohnzimmer verlassen und lehnt ein wenig verständnislos im Türrahmen. Ich wuschle ihm liebevoll durch das widerspenstige Haar, mache mich dann jedoch auf den Weg in mein Büro, um ein wenig zu arbeiten. Auf diese Weise habe ich mich schon unzählige Male abgelenkt...aber in Situationen, wie dieser würde es nicht lange helfen... Was du eben gesagt hast, hat mich verwirrt,...so wie alles, was du heute getan hast. Ich verstehe nicht, was hier vorgeht, was mit mir passiert. Du warst mein bester Freund, mein Halt, mein Alles....und der Gedanke, dass du vielleicht nie der gewesen bist, für den ich dich gehalten habe...macht mich so unendlich traurig... - Kapitel 5: Until it sleeps -------------------------- -DUKE- Das sanfte, rötliche Schimmern der untergehenden Sonne taucht mein Zimmer in eine melancholische Atmosphäre. Ich öffne die Augen einen Spalt. In ihnen spiegelt sich nichts, nur innere Leere und meine eigenen Fehler, die mich unter sich begraben. Meine blassen Lippen verzerren sich zu einem schmerzerfüllten Lächeln. Gedanken, Gefühle, welche endlose Kreise um dich ziehen, brennen sich in mich ein wie Feuer. Ich möchte weinen und schreien, doch keine Träne, kein Laut verlässt meinen Körper. Es ist so still, doch ich kann deine Stimme in meinem Kopf widerhallen hören, als stündest du neben mir. Du bist glücklich und lachst... Wirst du jemals wieder für mich lachen können? Verzweifelt lasse ich mich auf mein Bett fallen, vergrabe mein Gesicht in den Kissen und spüre, wie sich alles in mir verkrampft. Vielleicht ist es so unerträglich, weil ich mich selbst nicht verstehe, beginne mich zu hassen, für meine eigene Unbedachtheit....dafür, dass ich dir weh getan habe. Dem Menschen, der mir die Welt bedeutet. Ich wollte dich beschützen, dir zeigen, was es bedeutet zu leben und dich vergessen lassen... Dabei habe ich dich nur noch mehr verletzt. So lange habe ich mir dein Vertrauen gewünscht, in dem Moment, in dem ich so nah war, habe ich es zerbrochen....wie Glas, das am Boden zerschellt. Dein Blick, deine Art, wie du mich ansiehst, wie du dich bewegst. Das alles führt mir die Distanz vor Augen, die sich zwischen uns gebildet hat. Ich kenne dich gut, weiß, dass du mit niemandem über das sprechen wirst, was geschehen ist. Du wirst es in dich hineinfressen, bis es dich langsam, schleichend zerreißt. Es macht mir Angst und ich vermisse dich. Traurig betrachte ich die Sterne, welche sich nun vom tiefen Dunkel der Nacht abzuheben beginnen bis ich schließlich in einen unruhigen Halbschlaf abschweife. Schon vor dem Morgengrauen liege ich erneut wach. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Du hast mir gestern zu verstehen gegeben, dass du mich nicht in deiner Nähe haben möchtest, doch ich komme nicht gegen den in mir aufflammenden Drang an, dir begegnen zu wollen. Dir das zu erklären, wofür ich keine Erklärung finde. Sollte ich dir nicht aus dem Weg gehen, dich zu Frieden lassen, bevor ich deinen Zustand noch weiter verschlimmere? Ich weiß es nicht...und nur das leise Ticken der Uhr zeigt mir, dass die Zeit nicht angehalten hat. Ich strecke die Hand aus und greife nach dem kleinen, schwarzen Wecker auf meinem Nachttisch, lege einen Finger an den spitzen Zeiger, welcher sich monoton klackend auf dem Zifferblatt vorwärts bewegt. Vorsichtig schiebe ich ihn ein wenig zurück, starre ihn ausdruckslos an. Er bleibt nicht stehen. Er dreht sich nicht rückwärts. Und mir wird viel stärker bewusst, dass es so einfach nicht geht....dass ich die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann. Unser Weg wird hart und steinig sein, aber selbst wenn ich zusammenbreche werde ich aufstehen und deine Stütze sein. Auch wenn du keine Hoffnung mehr in dir trägst...meine reicht für uns beide. Ich will dich nicht verlieren...niemals. Während der Morgen sich zum Tag wendet beschließe ich aufzustehen. Ich dusche, ziehe mich an und betrachte mich eine Weile lang im Spiegel. Um dein Vertrauen zurückzugewinnen, muss ich anfangen, an mich selbst zu glauben. Ich schäme mich dafür, was ich dir angetan habe und ich werde es nicht vergessen...doch ich will versuchen dir zu zeigen, dass ich es bereue und das du mir wichtig bist, ich dich nicht benutzen wollte. Trotz meines neu erweckten Mutes, bin ich unsicher. Mir ist bewusst, dass eine schwierige Zeit vor mir liegt, dass ich diese um jeden Preis durchstehen muss...für dich. Doch ich fürchte mich davor, es nicht lange auszuhalten und wieder in dieses Loch zu fallen aus dem ich keinen Ausweg sehe. Als ich mein Zimmer verlasse ist noch alles still in der riesigen Villa. Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass ich mich im obersten Stockwerk befinde. Normalerweise ist Mokuba um diese Zeit schon wach... Nachdem ich über einige Treppen das Erdgeschoss erreicht habe, betrete ich vorsichtig die Küche. Zu meiner Erleichterung sitzt nur der kleine Schwarzhaarige am Tisch. Er scheint gerade mit dem Frühstück begonnen zu haben und ich setze mich lächelnd auf den Stuhl ihm gegenüber. „Guten Morgen Duke!“, begrüßt er mich und hält mir gleich darauf den Brötchenkorb entgegen. „Möchtest du auch?“, fragt er wie gewohnt fröhlich und ich nicke leicht. Wir essen gemeinsam und unterhalten uns ein wenig. Allerdings überlasse ich dem Jüngeren den Großteil des Redens. Er ist wirklich niedlich und ich bin froh darüber, mich von Anfang an so gut mit ihm verstanden zu haben. Während wir zusammen den Tisch abräumen, frage ich mich allmählich, wo du bleibst. „Sag mal, wo ist eigentlich dein Bruder?“, erkundige ich mich daraufhin bei Mokuba und er schaut mich plötzlich mit einem besorgten Ausdruck in den Augen an. Ich stutze, warte jedoch auf seine Antwort. „Er arbeitet...“, setzt er an und lehnt sich gegen die geschlossene Spülmaschine. „Schon seit gestern Abend...Seitdem ist er jedenfalls nicht mehr aus seinem Büro gekommen und Hunger hat er wohl auch nicht....“ Ich sehe zu Boden, kann mir nur zu gut denken, warum du dich so verhältst. Du hast deine eigene Art mit Problemen fertig zu werden...oder anders ausgedrückt: sie zu verdrängen. Um Mokuba etwas aufzumuntern wuschle ich ihm kurz durchs Haar. „Er wird sicher viel zu tun haben. Sieh mal, Seto ist erst seit kurzem hier und muss trotzdem schon überall durchblicken, obwohl er sich mit Sicherheit noch nicht an die neue Belegschaft und das Arbeitsklima hier gewöhnt hat. Gib ihm ein bisschen Zeit, dann wird es schon wieder so werden, wie früher...“, meine ich, sehe meinem Gegenüber dabei aber nicht in die Augen. Das leise „...hoffe ich...“, scheint der Schwarzhaarige überhört zu haben, denn seine Miene hellt sich ein wenig auf und ich atme kaum merklich erleichtert aus. Es muss nicht sein, dass der Kleinere mit unseren Problemen belastet wird... Gerade will ich mich wieder auf mein Zimmer zurückziehen, da hält Mokuba mich am Handgelenk fest und ich wende mich noch einmal um. Er erzählt mir, dass er noch in die Stadt gehen möchte, um etwas für einen Freund zu besorgen und für das Mittagessen einzukaufen, da die meisten Angestellten heute frei haben. Das bedeutet wir sind auf uns gestellt. Da du dich sicher nicht dazu bereiterklären wirst, deinen Schreibtisch zu verlassen und ich mich auch nicht in der Position befinde, irgendetwas von dir verlangen zu können oder zu wollen, werde ich den Kleinen für dich begleiten. Ihn allein durch diese so gut wie fremde und von Menschenmassen geflutete Metropole zu schicken ist schließlich unverantwortlich. Ich verspreche ihm, in einer Viertelstunde wieder bei ihm zu sein und dann mit ihm alles zu erledigen, was er sich vorgenommen hat. Ohne einen Stadtplan und genügend Geld will ich nicht zwingend durch New York irren, erst recht nicht mit einem Kind, für welches ich die Verantwortung habe. Also suche ich alles zusammen, ziehe mir eine Jacke über und gebe Roland, dem einzigen Angestellten, der nachweißlich nie Urlaub nimmt, Bescheid, dass er uns bis ins Stadtzentrum fahren soll. Von da an müssen wir wahrscheinlich selbst zu recht kommen, denn mit der Limousine kommt man dort, wegen des vielen Verkehrs, nicht mehr voran. Wenige Minuten später verlassen wir das Anwesen und ich werfe einen letzten, besorgten Blick zu deinem Zimmerfenster, welches mit weißen Gardinen verhangen ist. Es gefällt mir nicht, dich jetzt allein zu lassen, aber ich habe Mokuba mein Wort gegeben mit ihm zu gehen....und ich denke, fürs erste sollte ich dir ein bisschen Ruhe lassen. Diesmal würde ich nichts überstürzen, es stattdessen langsam und geduldig angehen. Auch wenn es schwer fällt, es ist die einzige Möglichkeit. - Kapitel 6: How can I sleep with your voice in my head? ------------------------------------------------------ -SETO- Die seidene Falte der weißen Gardine am Fenster meines Arbeitszimmers entgleitet sanft meinen leicht bebenden Fingern und ich wende mich ab. Du siehst ganz normal aus. Eigentlich wie immer. Doch nichts ist wie immer…nichts. Deine Nähe fehlt mir, warst du doch der einzige, der mich je wirklich verstanden hat. Nach all der Zeit, die wir miteinander verbracht haben, habe ich nicht erwartet, dass sich etwas zwischen uns stellen kann. Ich habe gedacht, das was uns verbindet sei unzerstörbar. So wie meine Gefühle für dich die mit jeder Sekunde weiter zu wachsen scheinen…auch, wenn du mir wehgetan hast…auch wenn du mein Vertrauen zerstört hast. Meine Lider werden schwer und ich schließe sie, versuche mich zu entspannen. Du fehlst mir, ich kann es nicht leugnen und meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Ich habe lange nicht mehr geweint…seit meiner Kindheit…kein einziges Mal. Vielleicht bin ich nicht immer stark gewesen, aber auf diese Weise hat es den Anschein gehabt. Nach einer Weile verlernt man zu weinen…glaube ich…. Erst die Einsamkeit, welche sich schlagartig in mir breit macht, mich auslaugt und mir schleichend die Sinne raubt treibt mich bis an meine Grenzen. Alles um mich herum ist still, nichts regt sich. Meine kühlen Fingerspitzen gleiten über meine Haut, verwischen die schmale Spur der Tränen und zurück bleibt nur ein hauchzarter Streifen Salz. Ich spüre, dass ich den Weg zurück nicht finde, die Realität verschwimmt vor mir, verliert sich im Nebel meiner wirren Gedanken und ich sehe nur noch dich. Du verschwindest…. // Prüfend wandert mein Blick über mein Spiegelbild und ich zupfe eine Falte des weißen Hemdes gerade, welches ich trage. Nachdenklich spiele ich an den oberen Knöpfen eben jenes Oberteils und sinniere darüber, ob ich sie schließen soll. Normalerweise verschwende ich an solche Nichtigkeiten keinen Gedanken, habe ich dazu auch gar keinen Anlass, da diese Frage sich erübrigt, wenn ich mich für eine Sitzung oder Besprechung kleide. Allerdings hat der heutige Anlass in keiner Weise etwas mit meiner Arbeit zu tun. Es geht schlicht und einfach um eine Party. Eine Silvesterparty, welche zu allem Übel von der Hälfte meiner ehemaligen Mitschüler aus der Oberstufe besucht wird. Eigentlich habe ich gehofft sie nach der Ausgabe meines Abschlusszeugnisses bis in die Ewigkeit und noch länger aus den Augen zu verlieren. Man hat mir jedoch einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht, wie ich finde. Ehrlich gesagt würde ich am Liebsten absagen, wären da nicht ein paar mir wohlbekannte, smaragdgrüne Augen, in denen ich nicht den geringsten Anflug von Enttäuschung entdecken möchte. Sobald ich nur im Ansatz erwähnt habe, dass ich keine große Lust auf ein Wiedersehen mit meiner damaligen Schulklasse habe, hast du mich angesehen, als würde die Welt mit meiner Anwesenheit stehen und fallen. Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht. Du hast dort so viele Freunde, die du allesamt seit relativ langer Zeit nicht mehr regelmäßig triffst. Nicht, dass mich das stören würde. Ganz im Gegenteil, ich bin froh, wenn du bei mir bist. Aber welchen Sinn hat es, mich auf diese Fete mitzuschleifen? Am Ende verderbe ich dir alles, mache mit meiner Laune und meinen Ansichten über deinen Freundeskreis nur alles kaputt. Ich habe dir schon so oft erklärt, dass sich meine Einstellung ihnen gegenüber niemals grundlegend ändern wird. Mittlerweile komme ich besser mit ihnen aus, bin nicht mehr allzu gereizt und provokant, doch das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich darum reiße mich mit ihnen zu treffen und als Krönung auch noch Neujahr mit ihnen zu feiern. Du lässt mich wirklich Dinge tun, bei denen ich andere steinigen würde, versuchten sie nur den Wunsch dazu zu äußern. Seufzend lasse ich von dem widerspenstigen Kragen meines Hemdes ab und wende mich erneut meinem Kleiderschank zu, um eine recht enge, schwarze Jeans aus einem der etwas übertrieben korrekt geordneten Stapel zu ziehen. Ein flüchtiger Blick auf meine silberne Armbanduhr sagt mir, dass ich noch eine Viertelstunde habe, bis du vor meiner Tür stehst, um mich abzuholen. Daraufhin beschließe ich, mich ein wenig mehr zu beeilen, ziehe mich fertig um und mache noch einen Abstecher ins Badezimmer, wo ich mir noch einmal durch die frisch gewaschenen Haare kämme. Anschließend ziehe ich einen dunklen Mantel über und betrete Mokubas Zimmer, um mich von ihm zu verabschieden und ihm Bescheid zu geben, dass ich eventuell erst sehr spät zurückkommen werde. Er nickt und erinnert mich daran, dass nachher noch einige seiner Freunde kommen werden. Ich lächle ihm zu, nicke und erspare mir die ermahnenden Worte, die mir in diesem Moment durch den Kopf gehen. Mein Bruder würde die Villa schon nicht zum Einsturz bringen. Sollte er nur seinen Spaß haben. Kaum habe ich meine Überlegung zu Ende gebracht, da reißt mich das Klingeln an der Haustür in die Gegenwart zurück. Als ich öffne, lehnst du wartend im Türrahmen und lächelst mich schmunzelnd an. Es kommt mir fast so vor, als würdest du dich im Stillen über mich amüsieren und ich werfe dir einen beleidigten Blick zu, weiß ich doch, dass du mich in diesem Aufzug nicht oft zu sehen bekommst und dich allen Anscheins nach immer wieder gern darüber lustig machst. Ich sehe demonstrativ an mir herab und dann wieder zu dir. „Nimmst du mich so mit oder gibt’s irgendetwas zu bemängeln. Wenn, dann sag es gleich und schau mich nicht so mitleidvoll an.“, zische ich eingeschnappt und ein Grinsen legt sich auf deine Lippen. Deine Stimme ist ganz ruhig und gelassen, während du beginnst zu sprechen und das regt mich beinahe noch mehr auf. „Was für eine freundliche Begrüßung Seto.“, schmunzelst du, bist aber im Gegensatz zu mir kein bisschen eingeschnappt oder verärgert. „Erstens habe ich nicht mit einem Wort Kritik an dir geäußert und zweitens fängst du schon wieder an ungerechtfertigt irgendwelchen Unsinn in meine Mimik zu interpretieren.“ Mit einem leisen Schnauben steige ich die kleine Treppe bis zum Tor des Anwesens hinab und höre, wie du mir langsam folgst. Du schließt zu mir auf und legst deinen Arm locker um meine Hüfte. Ein sanftes Schmunzeln ziert dein Gesicht und ich verkneife mir dieses zu deuten, um nicht wieder einen konternden Kommentar von dir zu ernten. Niemandem außer dir gestatte ich auf diese Art und Weise mit mir umzugehen. Dir, als meinen einzigen und besten Freund, kann ich jedoch nicht böse sein und lasse dich einfach gewähren. Du tust ja sowieso nur das, was du willst. Mein Schweigen scheint deiner Auffassung nach ein Zeichen dafür zu sein, dass ich wirklich sauer bin und du ziehst mich für einen kurzen Moment ein Stück näher an dich. „Sei doch nicht immer gleich so schlecht gelaunt, du weißt ganz genau, dass du umwerfend aussiehst.“, flüsterst du mir zu und lässt wieder von mir ab, da wir inzwischen das Grundstück erreicht haben, auf dem die Party steigen soll. Du hast mir bereits vor längerem erklärt, das Teas Eltern über Silvester nicht in Domino waren und das sie die Gelegenheit nutzen will, um unsere einstige Abschlussklasse einmal wieder zusammenkommen zu lassen. Schon von weitem kann man erkennen, dass in dem großen Garten von Baum zu Baum Lampionketten gespannt sind und mit ihrem dämmrigen Licht schwache Schatten auf den frostigen Boden werfen. Eine Reihe aus Fackeln beleuchtet den Weg bis zum Eingang und ich bin ehrlich erstaunt, wie viel Mühe sich die Braunhaarige gegeben hat, um ein angenehmes Ambiente zu schaffen, das sogar mir und meinem doch recht anspruchsvollen Geschmack zusagt. Natürlich gebe ich dies nicht zu und sie wird meine stille Anerkennung im Leben nicht zu spüren bekommen, denn trotz all dem kann ich sie nicht ausstehen. Je näher wir dem Gebäude kommen, durch dessen ausladende Fenster, welche eher Glasfronten gleichen, man beobachten kann, wie sich die Räume im Inneren allmählich füllen. Es ist bereits 21.00 Uhr und die meisten Gäste sind schon eingetroffen. An der Tür empfängt uns eine gut gelaunte Tea, welche dich kurz in die Arme schließt und mir etwas unsicher zulächelt. Ich nicke nur knapp und du verdrehst die Augen, sagst aber nichts dazu, wofür ich dir auch sehr dankbar bin. Wir Folgen der Blauäugigen ins Wohnzimmer, wo du stürmisch von deiner Clique begrüßt wirst und alle sich wahnsinnig zu freuen scheinen, dich wieder zu sehen. Mit Gefühlsausbrüchen diese Art kann ich wenig anfangen, doch wenn es dich glücklich macht, habe ich nichts dagegen. Möglichst unauffällig lasse ich mich auf einem der rötlichen, weichen Sessel nieder, welche überall im Raum verteilt sind und beobachte dich. Du bist viel zu beschäftigt, um auf mich zu achten. Erst, als du mit Joey und Tristan zumindest die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht hast, fängst du an dich suchend nach mir umzuschauen. Dein Blick trifft letztendlich meinen und du kommst auf mich zu, wirfst dich auf die Couch neben mir. „Fühl dich wie zu Hause.“, meine ich mit leicht spöttischem Unterton und du antwortest nur knapp: „Klar.“ Eine Weile lang sagen wir beide nichts, bis plötzlich dein Magen knurrt und ich etwas irritiert zu dir hinüberblicke. Du grinst nur unschuldig, zuckst mit den Schultern und deutest bittend in Richtung der am Rand aufgereihten Tische, auf denen sich bergeweise Schüsseln mit Chips, vereinzelter Süßkram und Getränkeflaschen häufen. Die wüste Anordnung zeugt davon, dass manche Leute wohl schon einige Zeit lang hier gewesen sind und offensichtlich nicht davor gescheut haben die Vorräte zu plündern. Da ich dir nichts ausschlagen kann, wenn du mich mit deinem ganz speziellen Blick durchbohrst, erhebe ich mich und warte darauf, dass du es mir gleich tust. Zu meinem Leidwesen bewegst du dich keinen Zentimeter weit, sondern musterst mich nur weiterhin auf ein und dieselbe Weise. Ich strecke meine Hand aus und halte sie dir hin, woraufhin du zufrieden zu mir herauflächelst und dir von mir aufhelfen lässt. Nachdem wir uns schließlich mit ein bisschen mehr Knabberzeug eingedeckt haben, als wahrscheinlich nötig, setzen wir uns an einen der von Kerzen beleuchteten Tische, wo auch einige deiner Freunde Platz genommen haben. Um mich vor jeglicher Kommunikation mit einer gewissen blondhaarigen Nervensäge zu drücken, mit der du dich leider Gottes bestens verstehst, wechsle ich ein paar Worte mit Yami, der mir gegenüber sitzt. In der verbleibenden Zeit verhalte ich mich ruhig, lausche nur hin und wieder ein wenig deinen Erzählungen, in denen häufig mein Name fällt und starre auf die Uhr. Die Zeit scheint unendlich langsam voran zu kriechen und ich habe nach über einer Stunde inmitten all dieser Leute das Gefühl, es nicht mehr lange auszuhalten. Das hier ist einfach nichts für mich, so gut es dem Rest der Anwesenden auch gefallen mag. Die Luft ist mittlerweile stickig und mir ist langweilig, was ich selbstredend zu kaschieren weiß. Ab und zu sehe ich zu dir, aber du bemerkst mich nicht, bist zu vertieft in deine Unterhaltung mit Tristan. Eigentlich habe ich keinen Grund, dir deswegen böse zu sein. Trotzdem bin ich es. Normalerweise gibt es niemanden, mit dem ich dich teilen muss und plötzlich ist da ein ganzer Haufen von Menschen, die interessanter sind als ich. Du verschwendest kaum einen Blick an mich, geschweige denn, dass du mit mir sprichst. Was ich dabei völlig übergehe ist, dass sich beinah alles, was du sagst auf mich bezieht. Noch einige weitere Minuten verweile ich auf meinem Sessel, dann stehe ich leise auf und verlasse das Zimmer durch die Verandatür. Draußen halten sich nicht minder viele ehemalige Schulkameraden auf wie innen. Sie schenken mir jedoch zu meiner Erleichterung kaum Beachtung und verschonen mich mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit. Gut für sie, denn mehr als eine kühle, harsche Antwort habe ich für keinen von ihnen übrig, erst recht nicht jetzt. Während ich ein wenig durch den Garten schlendere, stelle ich überrascht fest wie viele klasseninterne Beziehungen sich gehalten haben. Ich habe die meisten Liebschaften als kindisch und von kurzer Dauer eingestuft, aber in einigen Fällen habe ich wohl falsch gelegen. Genervt beschleunige ich meinen Schritt, um möglichst schnell an dem Gewimmel aus Pärchen vorbeizukommen. Wie kann man sich gegenseitig nur dermaßen übertrieben Honig um den Mund schmieren?! Das ist wirklich nicht zum aushalten und ich schenke jedem einzelnen Paar, welches meinen Weg kreuzte einen verächtlichen Blick. Im hinteren Teil des Grundstücks fühle ich mich wohler. Hier ist es still und ich bin für mich allein. So ist es mir auch am liebsten. Ich brauche keine Menschenmassen um mich herum, damit es mir gut ging. Dazu bin ich einfach nicht der Typ und ich kann nichts dafür, wenn es jemandem nicht passt. In einer halben Stunde würden bereits die ersten Raketen gezündet werden und von dem kleinen Pavillion aus, in dem ich mich niedergelassen habe, hat man eine schöne Aussicht auf den dunkelblauen, von Sternen gesprenkelten Nachthimmel. Es macht mich ein wenig traurig, dass du nicht da bist, nicht einmal Anstalten gemacht hast mir zu folgen, als ich gegangen bin. Ursprünglich habe ich dich fragen wollen, ob du Lust hast über Silvester bei mir zu bleiben, aber nach Teas Einladung habe ich mir denken können, dass mein Angebot wohl kaum überzeugender wirken würde und habe die Idee verworfen. Ich versuche mir einzureden, dass es nicht weiter schlimm ist, die letzten Jahre bin ich doch auch allein gewesen. Nach einiger Zeit wird mir kalt und ich verfluche mich selbst dafür meinen Mantel nicht mitgenommen zu haben. Nachdem ich mich flüchtig nach etwas wärmenden umgeschaut habe, entdecke ich eine blaue, samtige Decke, welche über der Lehne einer der Bänke innerhalb des Pavillions hängt und atme erleichtert aus. Ich werfe sie mir um die Schulten und setze mich außerhalb des Unterstands auf die Wiese unter einen Baum, von wo aus ich das Haus sehen kann. Die meisten Gäste, welche sich bis eben noch drinnen aufgehalten haben kommen nun ebenfalls nach draußen, denn es dauert nicht mehr lang, bis die Zeiger der Uhr verkünden, dass das neue Jahr angebrochen ist. Eine Schar junger Männer ringt sich um die an der Hauswand aufgebarten Paletten mit Silvesterraketen, Knallfröschen und all den anderen lärmenden Gegenständen. Du bist nicht unter ihnen und ich frage mich, was du gerade tust…ob du vergessen hast, das ich auch irgendwo hier bin…und vielleicht gern bei dir sein würde… Seufzend schließe ich die Augen und nehme die leisen Schritte auf dem Gras nicht wahr, welche sich mir langsam nähern. Erst als mich etwas vorsichtig an der Schulter berührt bemerke ich deine Gegenwart und blicke verwundert in deine Augen, die mich tadelnd betrachten. „Warst du die ganze Zeit über hier?“, fragst du und wartest gar nicht erst darauf, dass ich etwas erwidere. „Ich hab nach dir gesucht, weil du es ja nicht für nötig hältst mir mitzuteilen, wo du bist.“ „Wozu, du warst doch beschäftigt?“ „Du bist anstrengend Seto…“ „Geh doch.“ Daran denkst du nicht einmal im Traum. Stattdessen siehst du mich gekränkt an und legst den Kopf schief. „Ich möchte aber bei dir bleiben.“, stellst du fest und lässt keinen Widerspruch zu. „Wenn ich mich mal fünf Minuten nicht ausschließlich mit dir beschäftige, bist du sofort zickig.“ „Ja.“ Dir entfleucht ein unüberhörbar resigniertes Seufzen und du sagst nichts mehr, sondern schlingst deine Arme um deinen leicht zitternden Körper und starrst in den Himmel. Du bist wie immer viel zu dünn angezogen. Es ist Dezember, aber das ignorierst du gekonnt und trägst nur ein ärmelloses, recht kurzes, schwarzes Oberteil. Während ich an dir herabblicke, erkenne ich, dass du etwas Kleines in der Hand hältst. Ich betrachte es eine Weile lang und versuche herauszufinden, was es ist, bis mir wieder einfällt, dass du immer noch frierst. Etwas umständlich wickele ich mich aus der samtigen Decke und erkläre dir, dass du dich neben mich setzen sollst, da unter ihr noch genug Platz für einen Zweiten ist. Dankbar nickst du, nimmst aber nicht wie erwartet den Platz neben mir ein und legst deinen Kopf auf meine Schulter, so wie du es sonst immer tust, sondern drückst meine Beine auseinander, lässt dich zwischen ihnen nieder und lehnst dich gegen meine Brust. Ohne ein Wort schlinge ich die Decke wieder um uns. Es fühlt sich schön an, wenn du so nah bist und du riechst gut. Unsicher darüber, wo ich mit meinen Händen hin soll, lasse ich sie kaum spürbar bebend auf deinem Bauch ruhen. Ein leises Kichern deinerseits lässt mich ein wenig erröten, aber das bemerkst du nicht, bist du doch viel zu sehr damit beschäftigt, dich über mein Verhalten zu amüsieren. Dabei rutschst du einige Zentimeter nach unten und meine Fingerspitzen streifen deine Haut, denn dein knappes Oberteil reicht nicht ganz bis zum Bund deiner Jeans. Du reagierst nur mit einem belustigten Laut darauf und legst den Kopf in den Nacken, um mich ansehen zu können. „Noch zwei Minuten Seto.“, flüsterst du und mir läuft ein warmer Schauer über den Rücken. Deine tiefgrünen Augen glänzen im schwachen Licht der Lampions über uns, lösen irgendetwas in mir aus, was ich nicht verstehe…noch nicht… „Schau mal…“, setzt du erneut an und befreist einen Arm aus der Decke, um mir etwas viereckiges, aus Transparentpapier gefertigtes entgegenzuhalten. Ich betrachte es genauer und erkenne es als jenen Gegenstand wieder, den du vorhin schon bei dir gehabt hast. „Du musst den Docht in der Mitte entzünden, es fliegen lassen und hast einen Wunsch frei, sobald das neue Jahr angebrochen ist.“, erklärst du und drückst mir ein Streichholz in die Hand. Auch du hast solch ein Silvesterlicht und ich tue es dir gleich, als du die Flamme in deinem entfachst, während die ersten Funkenschauer vom Nachthimmel regnen und von der Veranda des Hauses fröhliches Jubeln die Stille durchbricht. Ich blende das Knallen der Raketen, das Gelächter, die Musik und das Stimmengewirr aus. Stattdessen schließe ich die Augen und ziehe dich wie aus einem Reflex heraus näher zu mir, während ich mich frage, ob mein Wunsch sich wirklich erfüllen würde. Auf einmal finde ich mich in einer stürmischen Umarmung wieder und du wünschst mir ein frohes neues Jahr. Als du dich von mir löst, blickst du mich neugierig an und scheinst mich mit deinem Blick löchern zu wollen. Verständnislos sehe ich dich an und du verdrehst die Augen. „Was hast du dir gewünscht?“, fragst du und siehst mich unentwegt an. „Sag ich dir nicht.“ „Ich dachte, wir sind Freunde und haben keine Geheimnisse voreinander.“ Bei diesen Worten schaust du mich herausfordernd an und ich erwidere deinen Blick nicht minder provokant. „Dann geht es aber nicht in Erfüllung, weißt du das nicht?“ Für einen Moment schweigst du und denkst nach. Anschließend wendest du dich vollständig zu mir um und streichst mir sanft über die Wange, behältst deine Hand auch weiterhin dort und ich erzittere. „Wenn ich es dir verspreche…“, hauchst du sanft in mein Ohr, lässt mir mein Herz bis zum Hals schlagen. Eine angenehme Wärme breitet sich in mir aus. „Ich…es ist nur…ich will dich nicht verlieren…niemals…das ist alles, was ich mir wünsche…“, flüstere ich. Du musterst mich einige Sekunden lang, regst dich kaum bis sich ein zärtliches Lächeln auf dein Gesicht stiehlt. Vorsichtig ziehst du mich ein wenig näher zu dir, unsere Lippen treffen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Es ist nur ein Hauch von einer Berührung, nur ein Augenblick… doch lässt er alles um mich herum nichtig werden, raubt mir den Verstand und hindert mich daran weiterhin zu leugnen… Ich senke den Kopf ein wenig, habe Angst, dass mich mein Blick verrät. Deine Arme schlingen sich fester um meine Taille und du lehnst deine Stirn gegen meine. „…Ich hab dich lieb…Seto…sehr sogar…“ // Unter Tränen schrecke ich aus dem Halbschlaf hoch, kann deine Worte nicht vergessen, welche unaufhörlich in meinem Kopf widerhallen … dein Versprechen von damals … Langsam erhebe ich mich von meinem Schreibtischstuhl, trete ans Fenster und öffne es einen Spalt breit. Ein seichter Wind spielt in meinem Haar, die Luft ist voll von dir … - Kapitel 7: What the hell are you waiting for? --------------------------------------------- -DUKE- Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde bringt Roland die schwarze Limousine zum stehen und lässt Mokuba und mich an einer langen Einkaufsstraße im Stadtzentrum aussteigen. Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, bis er einen Ort gefunden hat an dem man für einen Moment anhalten kann, denn hier herrscht dichter Verkehr und man hat kaum eine Chance irgendwozu stoppen. Um uns herum türmen sich riesige Wolkenkratzer auf, tausende Fenster reflektieren das Sonnenlicht, welches warm auf uns herabstrahlt und nur der seichte, kühle Wind, welcher um sich spielt macht die Hitze einigermaßen erträglich. Wir bedanken und verabschieden uns bei unserem Chauffeur und machen uns auf den Weg. Der Kleinere, der wie ich erfahren habe schon ein paar Wochen vor uns in New York angekommen ist, scheint nicht sonderlich beeindruckt von der ungewohnten Umgebung. Ich kann es zwar nicht genau sagen, aber wahrscheinlich ist er trotz seines geringeren Alters schon mehr in der Welt herumgekommen als ich es von mir behaupten kann. Eigentlich ist dies auch nicht wirklich verwunderlich, bedenkt man, dass sein großer Bruder CEO der Kaiba Corporation ist, deren Stützpunkte sich über den gesamten Globus verteilen. Und somit sind meine Gedanken erneut bei dir. Ich seufze leise auf… Habe ich mich nicht ein wenig ablenken und wieder einen kühlen Kopf bekommen wollen, indem ich mit dem Schwarzhaarigen durch die Stadt ziehe? Eben dieser blickt seit geraumer Zeit zu mir auf und mustert mich abschätzend. Ihm scheint mein Verhalten suspekt zu sein, genau wie deines. Was habe ich auch erwartet? Er kommt ganz nach dir, hat die gleiche Art Menschen scheinbar mit den Augen zu durchleuchten und in unserem Fall benötigt man auch keine weit ausgeprägte Kombinationsgabe, um zu erkennen, dass sich schlagartig etwas verändert hat. „So da wären wir. Wo möchtest du gerne hin?“, frage ich und verhindere somit, dass Mokuba beginnt Fragen zu stellen, die für ihn besser unbeantwortet bleiben. Er wendet sich nach einigen weiteren Sekunden von mir ab und schaut suchend die Straße auf und ab. „Ich denke es ist am besten, wenn wir die Lebensmittel zum Schluss besorgen…wegen der Hitze.“, setzt er an und ich nicke zustimmend. „Also fangen wir bei dem Geschenk für meinen Freund an und sehen dann weiter. Das ist sowieso einfacher gesagt als getan.“, meint er weiter und legt den Kopf schief. Leider bin ich in solchen Dingen nicht sonderlich kreativ und habe meistens schon genug Probleme, etwas Passendes für meine eigenen Freunde zu finden. Nun, da ich dem Kleinen jedoch versprochen habe zu helfen, werde ich auch mein Bestes tun. Die ganze Prozedur hat sich letztendlich über mehrere Stunden hingezogen, da wir auf den von Menschen überfüllten Bürgersteigen nur langsam vorwärts gekommen sind und nebenbei etliche verschiedene Läden durchkämmt haben. Nachdem dann auch die restlichen Einkäufe erledigt worden sind, beschließe ich Mokuba noch auf ein Eis einzuladen und anschließend erst Roland anzurufen. Der Kleinere ist begeistert von der Idee und ich schenke ihm ein Lächeln, bevor ich auf ein Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite deute und ihn frage, ob er Lust habe dorthin zu gehen. Einige Minuten später sitzen wir auch schon draußen auf der Terrasse und ich lehne mich erleichtert auf meinem Stuhl zurück. Hier unter den großen, weißen Sonnenschirmen ist es wunderbar schattig und etwas Kaltes zu Trinken kann ich auch mehr als gut gebrauchen. Also bestelle ich uns beiden eine Cola und zwei Eisbecher mit ordentlich Schokolade und Sahne. Während wir warten versuche ich mich ein bisschen zu entspannen und betrachte aus halb geschlossenen Augen die Umgebung, die unzähligen Fußgänger, die an uns vorbeiströmen und die anderen Gäste um mich herum. Mehrmals habe ich das Gefühl, der Schwarzhaarige sei im Begriff gewesen den Mund zu öffnen und mich anzusprechen. Er verbleibt jedoch jedes Mal stumm und hängt weiter seinen Gedanken nach. Das Schweigen zwischen ihm und mir gefällt ihm offensichtlich auf Dauer nicht, das merke ich ihm sofort an, denn er wird ein wenig unruhig und sein Blick heftet mit der Zeit zunehmend länger an mir. „Seto arbeitet zu viel in den letzten Tagen…“, meint er plötzlich und schaut mich erwartungsvoll an. Ich habe von Anfang an damit rechnen müssen, dass der Jüngere das Thema anschneiden wird und jetzt ist es nun einmal soweit ... Verübeln kann ich es ihm schlecht, schließlich ist es sein Bruder, um den es hier geht und nicht irgendjemand fremdes. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, was genau er von mir hören will und wie viel überhaupt gut für ihn ist. Auch, wenn er sich manchmal schon sehr reif verhält, ist er doch noch ein Kind und ich möchte ihn nicht zu sehr belasten. Ihm gar nicht zu erklären, was eigentlich vorgeht halte ich andererseits auch für falsch und atme schwer aus. „Ja, da hast du wohl Recht. Er hat sicher viel zu tun und-„ „Er hat immer viel zu tun Duke.“, unterbricht Mokuba mich mit ruhiger Stimme und sieht mich durchdringend an. Natürlich lässt er sich mit solchem Drumherumgerede nicht abspeisen, das wäre auch zu leicht gewesen … Statt mich jedoch weiter sprechen zu lassen, fragt er nun direkter nach. „Er verzieht sich ständig in sein Büro und will niemanden zu sich hereinlassen. Nicht einmal dich nicht wahr? Du bist sein bester Freund und ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet du nicht wissen sollst, was mit ihm nicht stimmt. Da habe ich doch recht oder?“ Was soll ich dem schon entgegenbringen. Selbstverständlich liegt er vollkommen richtig. Wenn es etwas gibt, was dich bedrückt, dann kommst du immer zu mir ohne zu zögern, weil du weißt, dass ich für dich da bin. Zumindest hast du das bis vor kurzem noch geglaubt … Ich habe alles zerstört, nur weil ich mich nicht zusammenreißen kann … weil ich dich liebe und mich nach dir sehne, so stark, dass es weh tut. „Eigentlich wollte ich dich aus der ganzen Sache heraushalten Kleiner. Nicht, weil ich der Meinung bin, dass du es nicht verstehst, sondern weil ich nicht will, dass es dir aufs Gemüt schlägt.“, versuche ich dem Dunkelhaarigen zu verstehen zu geben und ein Seufzen entkommt meinen Lippen. „Weißt du Moki … manchmal tut man Dinge ohne vorher über deren Folgen nachzudenken. Das ist nicht immer unbedingt schlecht, aber es kann auch passieren, dass man andere dadurch verletzt … Und man kann nicht einfach davon ausgehen, dass einem jeder Fehler, den man begeht verziehen wird.“ Es fällt mir sichtlich schwer, diese Worte auszusprechen, doch was bleibt mir übrig? Ich werde deinen Bruder ganz sicher nicht anlügen und es hat keinen Sinn sich weiter zu verstecken. Irgendwann würde er es auch allein herausfinden. Vielleicht auf noch viel unschönere Weise, als wenn ich es ihm einfach offen und ehrlich sage. „Ich habe Seto sehr weh getan … und … ich weiß nicht, ob ich es wieder gut machen kann.“ Meine Stimme wird gegen Ende des Satzes immer brüchiger und ich schaue den anderen nicht an, starre stattdessen ins Nichts und kämpfe mit den Tränen. Die Wahrheit zu kennen ist eine Sache … doch sie selbst auszusprechen, sie sich selbst einzugestehen ist eine völlig andere und ich komme mir so unendlich schwach vor. Die Kellnerin, welche unsere Bestellung serviert nehme ich gar nicht wahr. Mokuba bedankt sich deshalb flüchtig bei ihr, wendet sich dann aber rasch wieder mir zu. Seine dunklen Augen blicken mit einem so ungewohnt traurigen Ausdruck auf mich herab, in dem jedoch kein Zeichen von Wut oder Abneigung zu lesen ist. Viel mehr wirkt er hilflos. Schließlich hat er mich zuvor noch nie so aufgelöst erlebt und wohl kaum damit gerechnet, so etwas zu hören zu bekommen. „Was ist passiert?“, fragt er leise und vorsichtig, um mich nicht zu bedrängen. Ich bin so unglaublich froh, dass er mir nach dem, was er eben erfahren hat, nicht böse ist oder mich dafür hasst, was ich getan habe. Es wäre nur verständlich gewesen … „Dein Bruder hat mir vertraut, das weißt du.“, beginne ich und meine Finger schlingen sich bebend um das eiskalte Glas vor mir auf dem Tisch. „Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass ich dieses Vertrauen kaputt gemacht habe … es zu weit getrieben habe und die Grenze nicht mehr abschätzen konnte …? Ich habe das nicht gewollt, aber mein Körper war schneller als mein Verstand …“ Ich hoffe, dass der Schwarzhaarige verstanden hat, worum es geht ohne sich dabei aber weitere Gedanken zu machen, was genau zwischen dir und mir vorgefallen sein kann … Er betrachtet nachdenklich das langsam schmelzende Eis auf seinem Löffel, bleibt eine Weile lang stumm und ich schließe die Augen. Heute Morgen noch habe ich mich aufbauen können, habe daran geglaubt, dass ich mit Geduld und Feingefühl deine Angst unterdrücken und schließlich auch besiegen kann. Jetzt dagegen macht sich erneut eine bedrückende Hoffnungslosigkeit in mir breit, die Sorge, dass du an deiner Enttäuschung zerbrichst. Du hast doch niemanden mehr, zu dem du gehen kannst … Während ich mich in meinen schmerzlichen Gedanken verliere, legt Mokuba sein Besteck zur Seite und räuspert sich, um meine Aufmerksamkeit zurück auf sich zu lenken. „Wenn du Seto nicht zeigst, wie sehr du das, was auch immer angestellt hast, bereust … wer soll es dann tun?“ Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Ich wünschte es wäre so einfach … er weist mich zurück … ich komme nicht an ihn heran.“ „Ich frage mich, was du erwartest? Natürlich ist es, wenn es um etwas Ernsthaftes geht, mit einer Entschuldigung nicht getan. Du hast erst ein einziges Mal versucht, dich ihm anzunähern, ich war doch dabei. Seto ist kein einfacher Mensch, das weißt du so gut wie ich. Und du kennst die Gründe dafür. Ich denke dir ist klar, das es lange dauern kann und nicht leicht sein wird, ihn davon zu überzeugen, dass sein Misstrauen dir gegenüber nicht nötig ist.“ „Das weiß ich…“, erwidere ich leise, „ … aber momentan bin ich der Meinung, ich sollte ihm ein wenig Ruhe lassen. Ich möchte ihm nicht auch noch das Gefühl geben, dass ich mich ich ihm aufdrängen will, nachdem ich ihm kurz zuvor so weh getan habe. Das würde ihn nur noch mehr durcheinander bringen. Ich schätze, er kann noch nicht ganz fassen, was passiert ist … ich kann es ja selbst nicht …“ Der Jüngere bemerkt meine Unsicherheit, dass ich davor scheue mich dem Problem zu stellen …zu handeln … einfach aus Angst alles nur noch schlimmer zu machen. „Je mehr Zeit du ihm lässt, sich den Kopf über das Geschehene zu zerbrechen, desto mehr wird er sich in die Sache hineinsteigern. Auf was zur Hölle wartest du? Darauf, dass es ihn zerfrisst? Duke … du bedeutest ihm nicht minder wenig als er dir. Und ich bin mir sicher, dass er sich immer noch wünscht, dich bei sich zu haben. Nimm ihm seine Zweifel.“ Die Stimme des Kleinen ist anfangs aufgebracht, beruhigt sich jedoch allmählich wieder. Es gibt keinen Grund seine Worte abzuwägen oder lange über richtig und falsch nachzugrübeln, da er die Dinge genau so ausgesprochen hat, wie sie sind … „Danke Moki …“, flüstere ich und er lächelt mich ermutigend an. Vielleicht ist er doch schon ein wenig erwachsener als ich ihn eingeschätzt habe. Ohne seinen Anstoß würde ich vielleicht immer noch im Kreis laufen, aber er hat mir gezeigt, dass ich dir nicht helfen kann, dich nicht zurückgewinnen kann, wenn ich nicht über meinen eigenen Schatten springe. Das bedeutet auch es ertragen zu können, einmal keinen Erfolg zu landen und trotzdem weiterzumachen. Ich gebe nicht auf. Noch ungefähr eine Viertelstunde verbringen wir in dem kleinen Café, bis ich schließlich bezahle und mich zusammen mit dem Schwarzhaarigen von Roland abholen lasse. Als wir zu Hause ankommen ist es bereits früher Nachmittag. Zu spät, um noch etwas zum Mittagessen zu kochen, für welches Mokuba und ich eigentlich eingekauft haben. In der Küche räume ich die Lebensmittel in den Kühlschrank und werfe einen kurzen Blick in den Brötchenkorb. Du hast nichts von dem angerührt, was dein Bruder und ich für dich übrig gelassen haben. Ich rufe mir noch einmal Mokubas Worte in Erinnerung und steige entschlossenen Schrittes die Treppe zum ersten Stock der Villa hinauf, steuere direkt dein Zimmer an. Auch, wenn sich in meinem Inneren die Gefühle überschlagen so möchte ich dir dies nicht zeigen. Bitte hör dir an, was ich zu sagen habe … Vorsichtig öffne ich die Tür und trete ein. Das erste, was ich feststellen muss ist, dass dein Reisekoffer aufgeklappt in der Mitte des Raums steht und schon bis zur Hälfte mit Kleidern gefüllt ist. Dein Laptop und ein Stapel Akten und Bücher liegen auf dem Bett und du sitzt an deinem recht leeren Schreibtisch. Dein Rücken ist mir zugewandt, noch hast du mich nicht bemerkt. Ich verbleibe stumm, verstehe nicht, was hier vor sich geht. Nach fast zehn Minuten legst du den Hörer aus der Hand und erhebst dich. Dabei erblickst du mich, wie ich immer noch im Türrahmen lehne. Du schenkst mir keine weitere Beachtung sondern schließt das angekippte Fenster und greifst nach deinem Handy auf dem Nachttisch. Bevor du aber erneut durch ein Telefonat einem Gespräch mit mir ausweichen kannst, fasse ich mir ein Herz und mache einen Schritt auf dich zu. „Wofür packst du deine Sachen?“, frage ich und gebe mir alle Mühe ein Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Wider Erwarten ignorierst du meine Worte nicht. „Ab morgen bin ich für eine Woche lang nicht hier. Ich fliege nach Tokio … geschäftlich. Nichts weiter.“, erklärst du knapp, siehst mich dabei nicht an. Das darf nicht wahr sein. Meine Frustration über das Gesagte kann ich kaum verbergen und in mir läuft alles auf Hochtouren. Ich schwanke zwischen Sorge, Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Wieso gerade jetzt? Wieso musst du jetzt fortgehen? Wenn Mokuba Recht behält und ich nicht langsam anfangen kann, dich wieder aufzubauen, wirst du an dir selbst kaputt gehen. Vielleicht glaubst du, dass ich nicht erkenne was in dir vorgeht, doch da irrst du dich gewaltig. Du verkriechst dich hinter deinem PC und deinen Verträgen, isst viel zu wenig, redest mit keinem von uns mehr als einen nichts sagenden Satz und ziehst dich immer weiter in dich zurück. Du verschließt dich … „Bitte übernimm dich nicht Seto … ich mache mir Sorgen um dich-„ „Lass gut sein.“, zischst du mich an, unterbrichst mich damit abrupt und dein Blick trifft mich hart und kühl. Geschockt zucke ich ein Stück zurück, kann mich nicht daran erinnern, wann du mich das letzte Mal so angeschaut hast … so wie all die anderen … weil du nichts Gutes in den Menschen siehst. - Kapitel 8: Spiral Staircase --------------------------- -SETO- Meine Finger streichen über das kühle Glas der Fensterfront, vor welcher ich regungslos verweile. Vorsichtig, als könnte die Scheibe unter meiner Berührung zerspringen. Abertausende Lichter strahlen mir entgegen, erhellen die fremde Stadt, welche sich vor meinen Augen erstreckt. So unendlich weit ... Die Nacht ist schwarz, nicht ein einziger Stern steht am Himmel als hätte er sie allesamt verschlungen. Wie erstarrt blicke ich ins Nichts, meine Gedanken sind vernebelt und ich finde den Ausweg nicht. Ich weiß nicht, wo ich bin, wohin mein Weg führt. Über mir erstreckt sich eine Wendeltreppe. Ohne Unterbrechung renne ich, steige höher, Stufe um Stufe ... Ich kann das Ende nicht sehen. Und hinter meinem Rücken bricht alles ein ... Wo soll ich hin? Ganz plötzlich, beinahe als wäre ich aus einer Trance erwacht, verengen sich meine Augen zu schmalen Schlitzen. Sie färben sich eine Spur dunkler, sehen mir leer und kalt aus meinem Spiegelbild entgegen. In meinem Körper verkrampft sich jeder Muskel und ich presse die Lippen aufeinander. Diese Schwäche ertrage ich nicht länger. Ich kann mich selbst nicht ertragen, mich nicht ansehen, denn das bin ich nicht. Schon so lange nicht mehr, ich habe diese Gefühle verschlossen, sie weggesperrt so tief in meinem Inneren, dass sie nie wieder an die Oberfläche dringen. Du hast mich verändert. Mit jedem Tag, an dem du mir Nahe warst ein wenig mehr und ich habe es zugelassen, mich nicht dagegen gewehrt und gegen das verstoßen, was ich gelernt und selbst erfahren habe. Wer vertraut, der wird fallen. Früher oder später, es spielt keine Rolle. Und trotzdem habe ich es getan ... es ist so vorhersehbar gewesen, doch du hast mich geblendet. Ich will das nicht mehr. Was man nicht hat, dass kann man auch nicht verlieren. Wer allein ist, der kann nicht zurückgelassen werden. Bin ich nicht immer einsam gewesen? Bis du aufgetaucht bist ... bis du alles auf den Kopf gestellt hast ... mein Leben. Ich habe so sehr gehofft ... Wie ein kleiner Junge mit seinen kindischen Gefühlen und dem Wunsch geliebt zu werden ... Deine Wärme und eine zärtliche Berührung ... nur für einen Moment. Ich habe so sehr gehofft, dass du mir zeigst, wie es sich anfühlt etwas wert zu sein. Doch vielleicht konntest du das nicht? Vielleicht bin ich nichts wert ... und es ist nicht deine Schuld. Es hat keinen Sinn. Daran werde ich nicht zerbrechen. Es wird so sein wie früher, wie es immer gewesen ist und ich werde es tragen. Und meine Seele wird taub für den Schmerz. Erschöpft von der langen Reise nach Tokio sinke ich in die Laken und schließe kutzzeitig die Lider. Ein Blick auf den Wecker sagt mir, dass es kurz nach drei Uhr ist, was mich leise seufzen lässt. Mir bleiben nur wenige Stunden zum Schlafen ... Am kommenden Morgen erwache ich noch vor dem Klingeln des Weckers und drehe mich verschlafen auf die andere Seite. Draußen ist es noch dämmrig, über der Stadt liegt die Stille, wie ein unsichtbarer Schleier. Ich richte mich auf, erhebe mich und mache mich auf den Weg in das Bad des Hotelzimmers. Die wenigen Schritte, welche es mich kostet, um dorthin zu gelangen sind wackelig und unsicher. Mir ist schlecht und ich stütze die Handflächen stöhnend auf den Rand des Waschbeckens. Das Bild, welches sich mir im Spiegel vor mir bietet verzerrt meine Lippen zu einem schiefen Lächeln. Meine sonst so seidigen brünetten Strähnen hängen mir ein wenig zerzaust ins Gesicht. Unter meinen Augen zeichnen sich blasse schwarze Ringe ab, ich wirke blasser als sonst, ausdruckslos und übernächtigt. Rasch wende ich mich ab und verschwinde unter die Dusche, mache mich zurecht und ziehe mich an. In knapp einer Stunde muss ich die Zweigstelle der Kaiba Corporation im Stadtkern erreicht haben, wo ich mich zu einer Besprechung mit einigen neuen Geschäftspartnern treffen werde. Roland, welcher mich nach Tokio begleitet hat, wartet am Eingang meines Hotels, um mich mit meiner Limousine abzuholen und zum Firmengebäude zu bringen. Die Straßen sind wie leer gefegt und kaum ein anderes Auto begegnet uns auf unserer Fahrt. Zu dieser Zeit ist noch niemand auf den Beinen, alles schläft und vor mir liegt eine Geisterstadt ... wie ausgestorben. Weit und stumm ... Nach ungefähr dreißig Minuten hält der Wagen vor einem fast gänzlich gläsernen Gebäude, welches sich hoch in den Himmel erhebt. Ich erwidere die Verabschiedung meines Chauffeurs mit einem kurzen, kaum sichtbaren Nicken. Sein fragender Blick hinter seinen schwarzen Brillengläsern bleibt mir verborgen. Er hat keine Ahnung. Nicht davon, dass erneut der Mann vor ihm steht, dem nie ein Lachen über die Lippen gekommen ist. Verschlossen und kalt, wie damals ... bevor ich mich selbst verraten und zum Scheitern verurteilt habe ... ich habe leben gewollt. Doch irgendwann ist auch ein Traum zu lange her ... Mit dem Aufzug erreiche ich die oberste Etage des Bauwerks und trete in den Konferenzraum. Dort warten bereits zwei Männer, beide um einiges älter als ich. Das leise Zufallen der Tür lenkt ihre Aufmerksamkeit auf mich. Mit entschlossenen Schritten nähere ich mich ihnen, reiche ihnen geschäftsmäßig die Hand und mustere sie kurz, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Dabei bleibt mein Blick ausdruckslos und lässt kein Eindringen in meine Gedanken zu. Mein Verhalten scheint für die zwei Fremden keine Überraschung zu sein. Schließlich bin ich für meine kalkulierende und unnahbare Art bekannt, auch unter jenen, die noch nicht das Glück hatten, mit mir Verträge aushandeln zu dürfen. Zwar mögen die Dinge, die man mir nachsagt sich in den vergangenen Jahren etwas abgewandelt haben, da ich um einiges an Menschlichkeit dazu gewonnen gehabt habe, aber dieses Gesicht werden jene Personen mir gegenüber nicht kennen lernen. Niemand wird dies tun. Niemand. Niemals. Es ist vorbei, endgültig und es gibt keinen Neubeginn. Ich besitze nicht die Kraft, welche ich nach außen trage ... es reicht nicht und wenn du mich ein weiteres Mal verletzt werde ich nicht aufstehen. Kein weiteres Mal ...... nein ....... ich lasse mich nicht zerstören. Ohne auch nur das geringste Anzeichen von Anstrengung preiszugeben, beginne ich die Besprechung und führe sie zu Ende. Diese hat sich schließlich bis in die späten Abendstunden hingezogen und die Termine für die folgenden Tage und die Woche darauf sind festgelegt. Morgen werden weitere Kollegen der beiden Unternehmer anreisen und die wahrlich bedeutenden Zusammenkünfte werden stattfinden. Die Kooperation mit dem weltbekannten Computerfabrikanten ist für mich und meine Firma äußerst wichtig und mir ist bewusst, dass ich mir in dieser Sache keine Fehler erlauben darf. Genaue und effiziente Arbeit sind nun alles was zählt. Den Rest der Nacht verbringe ich an meinem Schreibtisch. Mein Laptop ist die einzige Lichtquelle im Raum und ich starre gebannt auf den Bildschirm. Die Verträge müssen perfekt ausgearbeitet sein und es darf nicht auffallen, dass der Großteil der Vorteile mir zukommt. Geschickt versuche ich den Inhalt des Schriftstücks so auszurichten, dass man zumindest beim groben Überfliegen kein Misstrauen hegt. In solchen Dingen bin ich geübt und trotz der Tatsache, dass ich für die ein oder andere Hinterhältigkeit bekannt bin gibt es immer wieder Menschen, die es wagen mit mir zusammen arbeiten zu wollen. Ich baue darauf, dass meine neuen Geschäftspartner weiterhin davon ausgehen, meine Vorgehensweise bei Verhandlungen habe sich mit meinem Charakter zu etwas Durchschaubarem und Fairem entwickelt. Wie dumm die Menschen sind. So sehr das eigene Wesen auch beeinflussbar ist ... die Person, die man einmal gewesen ist wird nie verschwinden. Sie liegt begraben unter all dem Trug und Schein, unter der Hoffnung und Naivität. Bis zu dem Tag, an dem man von der Realität eingeholt wird. Loszulassen schmerzt ... Wer von euch kennt die Qual, wenn einem alles genommen wird? Und man die Hand ausstreckt, hilflos und allein ... und es ist niemand da, der sie ergreift. Langsam, kriechend ziehen die Tage an mir vorbei. An jedem neuen fällt es mir schwerer die Augen zu öffnen, aufzustehen und mich aufrecht zu halten. Ich zeige es nicht, sehe nicht mehr in den Spiegel, weil ich weiß, dass ich es nicht sehen will ... Die Grenze rückt mit jeder Sekunde, die verstreicht, näher. Mein Vorsprung schmilzt, der Abgrund hinter mir hat mich beinahe erreicht. Schwach kämpfe ich mich von Stufe zu Stufe, wissend, dass ich es nicht schaffe. Nicht mehr lang ... Stur dränge ich meine Schwäche zurück, will nicht wahr haben, was mit mir passiert. Ich kann es einfach übergehen, es missachten, denn es gibt nichts, das mich in die Knie zu zwingen vermag. Du würdest sagen: „Betrüge dich nicht selbst.“, aber du bist nicht hier und deine leeren Worte werden nie mehr zu mir vordringen. Müde beschließe ich mir die eine Stunde Schlaf zu gönnen, welche noch verbleibt, bis ich wieder auf den Beinen sein muss und klappe das Notebook mit einem letzten Blick auf das geöffnete Schreibdokument vorerst zu. Als ich mich aufrichte und mich in Richtung meines Bettes bewegen möchte, habe ich das Gefühl, meine Beine würden meinem Gewicht nicht Stand halten und nachgeben, doch meine Hand schnellt rechtzeitig vor und ich halte mich an der Lehne des Stuhls fest, auf welchem ich bis eben noch gesessen habe. Ich atme viel zu schnell und meine Finger zittern, während sie sich weiterhin in den Lederbezug krallen. Alles dreht sich und die Einrichtung meines Hotelzimmers verschwimmt für einige Augenblicke vor meinen Augen. Erst nach ungefähr zwei Minuten klärt sich meine Sicht und ich wage einen Schritt nach vorn. Plötzlich ist es ganz wie immer. Entkräftet und immer noch ein wenig geschockt lege ich mich in mein Bett und sehe zur Decke hinauf. Das eben Geschehene werde ich vergessen, es hat nichts zu bedeuten. Ein nichtiger Aussetzer ... - Kapitel 9: How I feel --------------------- -DUKE- Das laute Knallen der Haustür reißt mich ohne Vorwarnung aus meiner Starre. Trotzdem brauche ich einen Moment, um mich zu fassen und wende mich schließlich von dem Kalender ab, welcher an der Wand mir gegenüber angebracht ist. Sind denn wirklich erst drei Tage vergangen, seitdem du ohne ein Wort des Abschieds die Villa verlassen hast? Seufzend schüttle ich den Kopf. Diese Gedanken bringen mich nicht weiter, mir bleibt nichts übrig als auf deine Rückkehr zu warten. Eine Woche ... hast du gesagt. Und jede Minute fühlt sich an, wie die Ewigkeit. Während ich erneut Gefahr laufe, den Fängen meiner Nachdenklichkeit zu erliegen, öffnet sich die Küchentür direkt hinter mir und Mokubas Eintreffen hindert mich daran, ein weiteres Mal der Realität zu entgleiten. „Hallo Duke!“, begrüßt er mich fröhlich umarmt mich flüchtig. „Da bin ich wieder, die letzten beiden Stunden sind ausgefallen, deshalb bin ich schon so früh von der Schule zurück.“, erklärt er triumphierend und entlockt mir damit den Anflug eines Lächelns. Allerdings scheint ihm nicht zu entgehen, dass sich in meinen Augen nicht das geringste Anzeichen von Freude widerspiegelt und er blickt missmutig zu Boden. Es tut mir furchtbar Leid, gerade jetzt nicht für ihn da sein zu können, wo du nicht hier bist. Ohne dich wirkt das Haus so einsam und ich weiß, dass auch der Kleinere die stumme Einsamkeit spürt, welche alles umhüllt. Und es entgeht ihm nicht, dass ich an jedem neuen Morgen mit der Gewissheit zu kämpfen habe, aufzuwachen und immer wieder aufs neue zu begreifen, dass alles anders ist. „Hat er sich nicht gemeldet?“, fragt mich der Kleinere direkt und ich stutze kurz, verstehe dann aber recht schnell und lehne mich gegen die Kante des Küchentischs. „Nein, nichts.“, beginne ich zögernd, „ Gar nichts ... und ich glaube nicht, dass er sich über einen Anruf freuen würde. Jedenfalls nicht von mir.“, fahre ich fort und sehe Mokuba bei meinen letzten Worten in die Augen .... ... in der Hoffnung, dass er die Bitte erkennt, welche in ihnen mitschwingt. „Ich denke, ich werde heute Abend einmal versuchen, ihn zu erreichen. Gleich, wenn ich mit meinen Hausaufgaben fertig bin.“, erwidert er, ohne meine Vermutung weiter zu kommentieren. Dankbar nicke ich ihm zu und bemühe mich nicht darum, meine Erleichterung zu verbergen. Nach all den Jahren, welche ich mit dir verbracht habe ... in denen ich an deiner Seite gewesen bin, kenne ich dich so gut. Es ist mir stets wichtig gewesen darauf zu achten, dass du dich selbst nicht völlig über deine Arbeit vergisst. Manchmal hast du stundenlang an deinem Schreibtisch gesessen, hast gar nicht bemerkt, wie viel Zeit vergangen ist, in der du dich nichts anderem zugewandt hast. Deswegen habe ich mir oft Sorgen gemacht, denn du bist so oft nicht zum Essen erschienen und hast nachts kaum ein Auge zugetan. Dabei ist es gar nicht deine Absicht gewesen. Du bist einfach so. Irgendwann hast du die Grenze überschritten, die ich im Stillen für dich gezogen habe und ich habe alles erdenkliche unternommen, um dich wenigstens eine Weile lang anderweitig zu beschäftigen. Egal mit was, solange du nur deinem Arbeitszimmer ferngeblieben bist. Die Angst in mir, dass du dich durch deinen Übereifer krank machst, ist schon immer da gewesen. Doch, dass es so weit kommt, habe ich jedes Mal zu verhindern gewusst. Nur jetzt ... Jetzt, wo du so weit weg bist ... Wo ich dich nicht beschützen kann, kann ich mich nicht gegen diese Furcht wehren, welche in mir aufwallt. Ich frage mich, ob es dir gut geht. Es macht mich wahnsinnig zu erahnen, mit welchen Mitteln du deine Enttäuschung und dein Unwohlsein zu ersticken versuchen wirst. Wahrscheinlich jetzt, in diesem Augenblick und ich kann nichts tun. Bitte ... ich flehe dich an, mach dich nicht kaputt ... „Duke?!“ Eine bekannte Stimme dringt an mein Ohr, doch sie klingt als würde sie aus unendlicher Ferne kommen und mich kaum erreichen. „Hast du mir eigentlich zugehört?“ Wie vom Blitz getroffen zucke ich zusammen und erblicke Mokuba, welcher mittlerweile ein ganzes Stück näher gekommen ist und unsanft auf meinen Bauch eintrommelt. Etwas irritiert weiche ich zurück und halte seine Handgelenke fest, damit er aufhört mich zu boxen. „Nein ... tut mir Leid ...“, entschuldige ich mich betreten. Der Jüngere schenkt mir einen letzten besorgten Blick, bevor er sich umdreht und meint, es sei sowieso nicht so wichtig gewesen. Er verlässt die Küche und ich höre, wie er die Treppe in den ersten Stock hinaufsteigt. Der Gesichtsaudruck des anderen hat Bände gesprochen, er sieht mir an, dass ich mit der Situation nicht zu Recht komme. Für mich ist noch nicht greifbar, dass ich mich selbst so weit gebracht habe, über meinen eigenen Schatten gesprungen bin ... und du ... du bist gegangen. Was ich getan habe, kann ich nicht rückgängig machen. Ich kann es nicht wieder gut machen und es dich nicht vergessen lassen. Aber ich möchte probieren es dir zu erklären. Ohne mich zu verstecken und dich anzulügen. Dein Vertrauen bedeutet mir so unglaublich viel und ich werde kein zweites Mal riskieren, es zu verlieren ... ich werde dir nie mehr weh tun. Gib mir eine Chance ... nur eine einzige. Ich verlange nicht, dass du mir vergibst, will dich zu nichts zwingen ... und wenn du mich fortschickst, dann werde ich gehen, ohne dir zu widersprechen. Lass mir nur die Möglichkeit, zu sagen, wie ich fühle. Und wenn diese drei Worte die letzten sind ... Das leise Ticken der Uhr über dem Küchentisch, an welchem ich noch immer lehne raubt mir den letzten meiner bis zum zerreißen gespannten Nerven, ich halte es hier drinnen nicht mehr aus ... denn es gibt keine Worte, mit denen ich mir einreden kann, dass ich mich nicht vor dem Moment fürchten würde. Dem Moment, in dem du mir gegenüberstehen wirst mein Herz mir bis zum Hals schlagen wird. Die einzige Möglichkeit, die ich noch sehe, um deine Freundschaft zurückzugewinnen ist, dir die Wahrheit zu sagen. Ab diesem Augenblick liegt es bei dir, ob du es akzeptieren kannst mich weiterhin in deiner Nähe zu haben. Aber wenigstens weißt du dann eins ... das ich dich niemals habe verletzen wollen ... Es ist nicht leicht, seine Gefühle preiszugeben, wenn einem bewusst ist, dass sie nicht sein sollen. Nur der blasse Hoffnungsschimmer, dir zeigen zu können, dass es nicht in meinem Sinne lag, dich auszunutzen treibt mich so weit. Was ich mir wünsche wird mein Traum bleiben. Und irgendwann ist auch ein Traum zu lange her ... Die Zeit zu überbrücken, welche Mokuba für seine Schulaufgaben benötigt, scheint mir beinahe unmöglich. Ich will wissen, was du machst, ob du in Ordnung bist ... ob du dich nicht vielleicht übernimmst. Langsam bewege ich mich in Richtung des Flurs, zur Garderobe und ziehe mir eine Jacke über. Wahrscheinlich würde es mir gut tun, eine Runde durch das Viertel zu spazieren und den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Ohne lange zu überlegen oder Mokuba Bescheid zu geben, lasse ich die Villa hinter mir und spüre sofort, wie die frische Luft mich beruhigt. Hier ist es nicht minder ruhig als im Haus, aber diese Stille ist angenehm. Sie bedrückt mich nicht und engt mich nicht ein. Ungefähr eine Stunde lang schlendere ich durch die nähere Umgebung, während sich die Dunkelheit leise über die Stadt legt und ich mich dazu entschließe umzukehren. Nun fühle ich mich wesentlich besser und hoffe auch den Schwarzhaarigen dadurch etwas zu entlasten. Die Spannung und das Schweigen zwischen dir und mir nimmt auch ihn sichtlich mit ... Zu Hause angekommen streife ich hastig die Schuhe von den Füßen und laufe recht zügig die Stufen zum Zimmer des Kleinen hinauf. Vorsichtig lege ich meine Finger um den Türgriff und drücke ihn ein Stück weit hinab, um einen flüchtigen Blick in den Raum zu erhaschen. Stören möchte ihn nicht, denn ich bin mir nicht sicher, ob er schon all seine Sachen erledigt hat. Offensichtlich ist dies jedoch der Fall, denn der Schwarzhaarige sitzt mit dem Telefon in der Hand auf seinem Bett und ist vertieft in seine Unterhaltung. Mir stockt der Atem, denn auf diese Weise, wie es gerade tut, spricht er ausschließlich mit dir, seinem Bruder. Seine Stimme klingt beunruhigend und er scheint jedes Wort genau abzuwägen, bevor er es äußert. Auf meinem Platz zu verweilen und nicht einfach in das Zimmer zu stolpern kostet mich meine gesamte Selbstbeherrschung. Unsicher und gleichzeitig aufgeregt kralle ich meine Fingernägel in den Türrahmen und versuche einige Wortfetzen des Gesprächs aufzuschnappen. Erst weitere zehn Minuten später, nachdem Mokuba sich verabschiedet und den Hörer aus der Hand gelegt hat, wage ich es auf mich aufmerksam zu machen. Ich schlucke schwer, als ich den betretenen Gesichtsausdruck des Kleineren bemerke, trete ein und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Irgendetwas bahnt sich an ... Es liegt in der Luft, ich kann spüren, wie es mein Herz trifft. Und nun stehe ich hier. Der Weg bis zu diesem Punkt ist mir so endlos weit vorgekommen. Doch es ist schon Vergangenheit. Und plötzlich wünsche ich mir, ich würde noch Zeit haben ... Kapitel 10: Falling feels like this ----------------------------------- -SETO- Abwesend lege ich das Telefon bei Seite, über welches ich bis eben noch mit meinem kleinen Bruder kommuniziert habe. Ohne weiter über das Gespräch und dessen Inhalt nachzudenken wende ich meine Aufmerksamkeit erneut dem Laptop zu, der aufgeklappt vor mir auf dem Tisch steht. Ich beginne damit, die Mails in meinem Posteingang zu beantworten, welcher beinahe überläuft und halte mich mit etlichen Tassen Kaffee wach, um später noch einige Akten durchzusehen und ein paar Schreiben zu bearbeiten beziehungsweise fertig zu stellen. Der morgige Tag wird für mich gegen sechs Uhr beginnen. Um diese Uhrzeit findet eine Vorstandssitzung der Kaiba Corporation in einem der größeren Konferenzräume des Firmengebäudes in Tokyo statt. Anschließend habe ich mich für einen Besuch in der Zentrale eines in Japan recht erfolgreichen Softwareherstellers angekündigt, um mit diesem zu verhandeln und ins Geschäft zu kommen. Gegen Abend ist ein Treffen der jeweiligen Geschäftsleitungen aller Firmen angesetzt mit denen ich in Kürze Verträge schließen werde. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass es bereits am folgenden Tag zu einer auch nur annähernd festen Entscheidung kommen wird, weshalb ich meinen Aufenthalt in Tokyo um genau eine Woche verlängert habe. Schließlich habe ich neben all den Sitzungen und Verhandlungen in dieser Stadt auch noch ein Unternehmen zu leiten und während meiner Abwesenheit läuft bei weitem nicht alles so glatt, wie ich mir wünschen würde. Entnervt vergrabe ich das Gesicht in den Händen, als ich die Aktienkurse der KC überprüfe. Dabei muss ich feststellen, dass diese in den drei Tagen, in denen ich meine Arbeit nicht voll und ganz darauf habe konzentrieren können, durchaus ein wenig gefallen sind. Zwar sind die Zahlen keinesfalls besorgniserregend, doch sie gefallen mir nicht und ich greife nach meinem Handy, um mit meiner Sekretärin in Kontakt zu treten. Auf die grobe Art und Weise, die ich während des Gesprächs an den Tag lege und welche sie seit Jahren nicht mehr in solchem Ausmaß zu spüren bekommen hat, achte ich nicht weiter, sondern erkläre ihr knapp mein Anliegen. Selbstverständlich ist es völlig unmöglich, die Kurse meinen inkompetenten Angestellten ein zweites Mal zu überlassen und ich gebe ihr zu verstehen, dass ich mich soweit es in der momentanen Situation machbar ist, selbst darum kümmern werde. Dabei gebe ich ihr jedoch mehr als deutlich zu verstehen, dass ich auf Grund der Vielzahl an Terminen nicht in der Lage bin, mich Tag und Nacht ausschließlich mit Aufgaben zu beschäftigen, welche normaler Weise nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen. Verärgert und ohne ein Wort des Abschieds lege ich auf und knalle das Telefon neben mich auf die Tischplatte. In der Zeit, die ich damit verbracht habe meine Sekretärin anzugiften, sind wieder neue Nachrichten in meinem E-Maileingang eingetroffen und ich überfliege sie seufzend. Die Konferenzen am Samstag haben sich allem Anschein nach durch einige kleinere Schwierigkeiten um zwei Stunden verschoben. Das bedeutet für mich, ich werde mich zuvor länger und intensiver in die Akten einarbeiten können. Somit kann ich eventuell noch einige undichte Stellen aus den vertraglichen Forderungen der Konkurrenz herausfiltern und diese zu meinem Vorteil nutzen. Das ist wahrlich die erste erfreuliche Nachricht an diesem tristen Tag, der sich für den Großteil der Menschheit bereits dem Ende neigt. An Mokuba und dich verschwende ich momentan, mehr oder weniger ungewollt, keinen einzigen Gedanken. Dafür gibt es einfach zu viel zu tun. Den eigentlichen Grund für mein Verhalten habe ich mittlerweile erfolgreich verdrängt. Es ist leicht gewesen als gedacht, nach all den Jahren erneut in mein altes Muster und meine scheinbar abgelegte Arbeitswut zurückzufallen und letztendlich hat es mich kaum Anstrengung oder Beherrschung gekostet. Dafür ist der Rückschlag, den ich erfahren habe zu groß und es ist mir nicht schwer gefallen meine undurchdringliche Mauer aus Kälte und Gefühllosigkeit wieder aufzubauen. Ich sehe keinen anderen Weg, um meine Schwäche und Angst vor fremden Augen zu verschließen und mich selbst nicht zu verachten ... Nicht ohne das bekannte Schwindelgefühl erhebe ich mich von meinem Stuhl und senke kurz die Lider, um wieder eine klarere Sicht zu bekommen. Im ersten Augenblick fällt mir nicht ein, was ich als nächstes zu tun gedacht habe und brauche einige Sekunden, bis mir wieder einfällt, dass ich duschen will, bevor ich mich in die Hotellobby begebe, wo mich einer meiner potentiellen neuen Vertragspartner abholen wird. Die letzte Besprechung für den heutigen Tag ist für genau zwanzig Uhr angesetzt und ich habe noch genau eine Dreiviertelstunde Zeit, bis ich mich im Erdgeschoss des Hotels einfinden soll. Im Badezimmer angekommen streife ich meine Kleidung ab und lasse das warme Wasser auf mich hinabprasseln, wobei ich mich mit einer Hand an der gefliesten Wand abstütze. Immer noch verschwimmt die Umgebung vor mir und ich fühle mich schwach. Es ist nicht das erste Mal, dass es mir so geht, doch es hat sich noch nie so beklemmend angefühlt. Nicht ausschließlich heute spüre ich, dass ich dem Druck, der auf mir lastet nur noch schwer standhalten kann ... Ich gestehe es mir nicht ein ... außer in solchen Augenblicken ... in denen ich glaube, das Gewicht der ganzen Welt würde auf meinen Schultern lasten. Zittrig fahre ich mit einer Hand über meinen Körper, spüre, wie sich meine Rippen leicht von meiner Haut abzeichnen und starre emotionslos auf die Wand, gegen welche ich mich halb lehne. Ich bin müde ... Und doch muss ich weitergehen ... mir selbst beweisen, dass ich stark bin ... Als ich nach wenigen weiteren Minuten vorsichtig aus der Dusche steige und mich abtrockne, fällt mein Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf den großen Spiegel mir gegenüber. Erneut hinzusehen wage ich nicht. Ich wage es nicht, meinem eigenen Spiegelbild in die Augen zu sehen. Dem Mann, der ich einst gewesen bin und der ich nie mehr habe sein wollen ... Weil er einsam gewesen ist ... Schleunigst wende ich mich ab, verlasse das Bad und ziehe mich an. Es darf nicht sein, nicht jetzt. Wenn ich beginne zu bereuen, werde ich einen Schritt zurückgeworfen und ich werde dich nie vergessen können ... Nachdem ich meinen Mantel übergeworfen habe, nehme ich meinen Aktenkoffer und schließe mein Zimmer ab. Daran, den Aufzug hinunter ins Foyer zu benutzen, denke ich nicht. Stattdessen entscheide ich mich für die Treppe und mache mich recht langsam auf den Weg nach unten. Meine Hand krallt sich bebend am Geländer fest und bei jedem Schritt ist es, als würden meine Beine meinem Gewicht nachgeben wollen. Ohne mir davon jedoch etwas anmerken zu lassen, warte ich am verabredeten Treffpunkt auf den ebenfalls sehr jungen japanischen Unternehmer, welcher auch pünktlich auftaucht. Er bietet mir einen Platz im hinteren Teil seiner Limousine an und nimmt dann neben mir Platz. Sein Fahrer startet den Wagen und er selbst erklärt mir, dass er sich überlegt hat das Geschäftliche beim Abendessen zu regeln, da dies doch ungezwungener sei. Zur Antwort erhält er nur ein steifes Nicken und bis wir das Restaurant, welches er gewählt hat erreicht haben enthalte ich mich jeglichem weiteren Kommentar. Dieser Mensch wird für meine Firma noch sehr wichtig sein und auch, wenn ich normaler Weise nicht darüber nachdenke, ob es unhöflich sei ein Angebot auszuschlagen, so möchte ich es mir mit ihm doch nicht verscherzen und verhalte mich ruhig. Ungefähr eine Viertelstunde später kommen wir an besagtem Restaurant an und der Kellner, welcher meinen Begleiter schon bestens zu kennen scheint, führt uns zu einem Tisch im hinteren Teil des Raums, wo wir uns ungestört unterhalten und miteinander verhandeln können. Mein schwarzhaariges Gegenüber bittet mich zu bestellen, was ich gerne haben würde, denn er bietet sich an mich einzuladen. Ich schlage jedoch aus und lasse meinen Blick über die Karte schweifen. Seit Tagen habe ich nichts gegessen und auch sonst bin ich nie sonderlich hungrig. Allerdings ist dies nichts, was er wissen muss und ich bestelle einfach irgendetwas. Kurze Zeit nachdem der Kellner unsere Bestellung aufgenommen hat, bringt er auch schon die Getränke und anschließend das Essen, was mich kaum merklich schlucken lässt, denn ich brauche nicht mehr als einmal auf meinen Teller zu schauen, um festzustellen, dass ich niemals so viel in mich hineinbekommen werde. Ganz im Gegenteil, mir wird schon vom hinsehen schlecht und ich habe damit zu kämpfen, diesen Umstand nicht allzu offensichtlich zu zeigen. Den gesamten Abend über stochere ich mehr oder weniger in meinem Reis herum und rühre nichts an, während mein neuer Geschäftspartner seit langem seinen leeren Teller bei Seite geschoben hat und mich ab und zu ein wenig skeptisch mustert. Darauf gehe ich nicht weiter ein, sondern fahre einfach damit fort über den letzten der drei Verträge zu sprechen, der für heute noch aussteht. Eigentlich hoffe ich nur noch, dass es bald vorbei ist und ich ins Hotel zurückkehren kann ... um dort weiterzuarbeiten. Das Ende meines Gedankens veranlasst mich beinahe dazu ein schiefes, bitteres Lächeln auf meine Lippen zu legen, aber ich verkneife es mir. In eben jenem Moment überfällt mich plötzlich eine neue Welle von Übelkeit und ich breche mitten im angefangenen Satz ab. Der andere stutzt verwirrt und fragt mich, ob alles in Ordnung sei. Alles, was ich noch flüchtig herausbekomme ist eine knappe Entschuldigung, bevor ich aufstehe und mehr oder weniger zur Toilette stolpere, wo ich mich schwer atmend auf dem Waschbeckenrand abstütze. Ich bin blasser als sonst und habe das Gefühl auf dem linken Auge nichts mehr zu sehen, was mich panisch werden lässt. Es ist unerträglich, ich verstehe mich selbst nicht mehr. Mein Körper spielt verrückt und ich kann nichts dagegen tun, ich bin hilflos, so wie ich es nie habe sein wollen. Erschöpft lasse ich mich an der Wand hinabsinken. Etwas, das ich unter normalen Umständen nicht tun würde, zumindest nicht an einem Ort, an dem jederzeit jemand auftauchen und mich in diesem Zustand sehen kann. Doch jetzt ist es mir egal, mir ist alles egal ... ich will das es aufhört. Ich will zurück, was mich einst beschützt hat. Vor mir selbst ... „Herr Kaiba?“, dringt auf einmal eine Stimme an mein Ohr und kurz darauf vernehme ich ein Klopfen. Jenes reißt mich zurück in die Gegenwart und ich öffne die Augen. Zu meinem Erstaunen kann ich meine Umgebung wieder deutlich erkennen und um zu verhindern, dass der Unternehmer, mit dem ich mich verabredet habe hereinkommt, rapple ich mich schnellstmöglich auf und öffne die Tür, vor welcher eben dieser steht und mit einem Ausdruck von Besorgnis im Gesicht zu mir aufblickt. Er ist ein wenig kleiner als ich ... fast so wie du ... Innerlich verfluche ich mich für den Gedanken und verbanne ihn aus meinem Kopf. „Sind sie sicher, dass es ihnen gut geht?“, fragt der Schwarzhaarige mich und ich erwidere nur unwirsch, dass ich sehr gut alleine zu Recht komme. Mein Zustand hat sich verbessert und so unvernünftig es auch sein mag ... ich werde versuchen weiterzumachen, wie bisher. Nur, um mein Herz von dir zu befreien und das zu begraben, was du aus mir gemacht hast. Wissend, dass es falsch ist. Wissend, dass es mich zerstören wird ... irgendwann. Für weitere Beratungen habe ich keine Kraft mehr. Lieber will ich auf meinem Zimmer noch ein wenig arbeiten und somit unterschreibe ich den Vertrag unverändert, wie wir ihn vor meinem kurzweiligen Fortgang zurückgelassen haben. Im Großen und Ganzen bin ich damit zufrieden und noch länger daran zu feilen steht jetzt nicht in meinem Sinne. Ich rufe den Kellner zu mir, zahle und bedanke mich bei meinem Begleiter für die Zusammenarbeit. Daraufhin verlasse ich das Restaurant und nehme ein Taxi zurück zum Hotel. Zum zweiten Mal an diesem Tag steige ich die Stufen zum fünften Stockwerk jenes Gebäudes hinauf. Noch nicht einmal ein Viertel des Weges liegt hinter mir und doch muss ich feststellen, dass mein Atem zu schnell ist und ich kaum noch genügend Luft bekomme, worauf ich kurz innehalte. Es ist schlimmer als zuvor. Und ich spüre, dass ich kaum noch einen Schritt vorwärts komme. Seufzend stelle ich fest, dass mein Handy klingelt und ich greife mit zitternden Fingern in meine Manteltasche. Ohne auf die Anzeige der Nummer zu achten, nehme ich ab und komme gar nicht zu Wort, denn eine Stimme, die ich nicht hören will fängt an zu sprechen ... deine Stimme. „Seto? ... Es tut mir Leid, dass ich so spät noch störe ... ich ... dein Bruder hat heute mit dir telefoniert und er sagte, du klingst nicht gut. Bitte Seto ... übernimm dich nicht. Vielleicht habe ich nicht mehr das Recht dazu ... aber ich mache mir solche Sorgen ...“ Mir wird schwarz vor Augen. „Stimmt es, dass du erst übernächste Woche nach Domino zurückkehrst? Du arbeitest zu viel ... du machst dich kaputt und es macht mir Angst ... bitte ... hör auf dich zu quälen. Wahrscheinlich sollte ich das am wenigsten von dir verlangen, denn meine Dummheit ist verantwortlich für deinen Schmerz ... aber ... ich habe das nicht gewollt. Ich bitte dich, lass mich versuchen zu erklären ... ich werde alles tun, wenn du es willst verschwinde ich aus deinem Leben ... für immer ... Ich kann es tragen, solange ich nur weiß, dass du dich nicht selbst zerbrichst ...“ Ich fühle, wie deine Worte mich treffen. Die Fehler die ich begangen habe ... das, was ich zu meinem Schutz geworden bin. Und ich stehe am Ende der Wendeltreppe ... tief in meiner Seele. Es geht nicht weiter. Hinter mir stürzen die letzten Stufen in die Tiefe. Und ich falle, spüre, wie mein betäubter Körper auf den Boden aufschlägt. „Verzeih mir ...“ Kapitel 11: Blind ----------------- -DUKE- Unendlich langsam schlängelt sich die schwarze Limousine durch die ihr so fremden Straßen ... in dieser fremden Stadt. Beinahe regungslos verweile ich auf meinem Platz auf der Rückbank. Schwarze, widerspenstige Strähnen kitzeln mein Gesicht und ich werfe einen flüchtigen Blick zu dem Jungen, welcher schlafend an meiner Schulter lehnt. Sein Atem ist regelmäßig und ruhig. Ich wende mich ab und blicke erneut nach draußen. Meine Augen heften ausdruckslos auf den winzigen Tröpfchen, welche sanft gegen die Scheibe rieseln. Immer wieder die gleichen Bilder ... Die gleichen Worte ... „Verzeih mir.“ Jede verrinnende Minute schürt die Gewalt der Gefühle, welche in mir aufwallen. Und ich habe Angst davor weiter zu gehen, weil ich weiß, dass es meine Schuld ist. Habe ich nicht selbst erkannt, dass du meine Stärke brauchst ... gerade jetzt vielleicht mehr als in irgendeiner anderen Zeit? Lass es nicht zu spät sein ... Meine Gedanken kreisen um dich, während sich der Wagen allmählich seinem Ziel nähert. Alles was bleibt ist die Hoffnung, dich wieder zu sehen ... Kurz nach unserem weitestgehend einseitigen Telefonat habe ich bei einem Krankenhaus angerufen, versucht ruhig zu bleiben, obwohl Panik und Verzweiflung in mir aufgestiegen sind und mich ausgebrannt haben wie Feuer. Bis jetzt habe ich keinen Rückruf erhalten. Die Unwissenheit legt sich um mich wie ein Mantel aus Dunkelheit ... zärtlich und betäubend. Ich möchte dich noch einmal lachen hören, wenn du dich freust und deinen sanften Herzschlag spüren, wenn du dich wohl fühlst. Die Sehnsucht nach dir lässt meine Sorge wachsen. Egal was mich nun erwartet, egal was auf uns zukommen wird ... ich werde da sein und dich stützen. Dieses Mal lasse ich dich nicht gehen. Nach weiteren fünfzehn Minuten bringt Roland die Limousine zum stehen und durch das plötzliche Halten zucke ich leicht zusammen. Auch Mokuba erwacht auf Grund des unangekündigten Rucks und blinzelt mich verschlafen an. „Sind wir schon da, Duke?“, fragt er leise und streckt sich ein wenig, mustert mich dabei jedoch unaufhörlich. Seufzend löse ich meinen Gurt und nicke dem Jüngeren zu, versuche ihm ein ermutigendes Lächeln zu schenken. Er merkt mir an, dass ich meine Furcht überspielen will und legt vorsichtig seine Hand auf meine Schulter. Wir steigen aus und machen uns schweigend auf den Weg zum Haupteingang des Krankenhauses, welches im Zentrum Tokios liegt und sich über ein riesiges Gelände mit einer Parkanlage erstreckt. Im Inneren des Gebäudes herrscht reges Treiben und ich habe Schwierigkeiten mich zu orientieren. Von allen Seiten Strömen Menschenmassen auf mich und den Kleineren ein. Ich packe ihn am Handgelenk, um ihn nicht zwischen all den Krankenschwestern, Ärzten und Besuchern zu verlieren. Es dauert eine Weile, bis ich mich zu einem der Informationsschalter durchgekämpft habe. Die junge Japanerin, welche mir Auskunft gibt, erkennt die Traurigkeit in meinem Blick und lächelt mich mitleidig an. Schluckend bedanke ich mich für die Hilfe und schließe meine bebenden Finger um das kleine Stück Papier, auf welchem sie für mich notiert hat, wo ich nach dir suchen muss. Gemeinsam mit Mokuba dränge ich mich durch die Menge und betrete einen der Aufzüge, welcher glücklicherweise nicht so voll ist, wie der Flur im Erdgeschoss. Nur ein älteres Ehepaar leistet dem Schwarzhaarigen und mir Gesellschaft, verlässt uns jedoch bereits einige Stockwerke höher. Auf dem Zettel in meiner Hand steht, dass wir bis zur vorletzten Etage hinauffahren müssen. Dort befindet sich die Intensivstation. Allein dieser Umstand lässt mein Herz schwer werden und ich lehne mich gegen die Wand des Aufzugs, lausche dem leisen Rattern, schließe die Augen, um die Tränen zu unterdrücken, welche sich in meinen Augenwinkeln zu sammeln beginnen. Als Mokuba und ich aussteigen und gerade an der verschlossenen Tür aus Milchglas klingeln wollen, um unsere Namen zu nennen und zu erklären, dass wir uns zu deinem Besuch angemeldet haben, öffnet sich eben diese. Ein Mädchen, nicht älter als siebzehn Jahre, stürmt an dem Jüngeren und mir vorbei. Ihre Hände hat sie vor ihr Gesicht gepresst und ich höre, dass sie weint. Ohne sich umzudrehen stolpert sie am Aufzug vorbei und rennt die Stufen des Treppenhauses hinab. Die Tür steht noch immer offen und ich das Krankenbett sehen, auf welchem, von Kopf bis Fuß bedeckt mit einem weißen Laken, ein regungsloser Körper ruht. Überrascht und gleichzeitig der Ursache ihres Handelns so sicher starre ich ihr nach, senke betrübt den Kopf. Erst die Stimme eines freundlich und doch gequält wirkenden Arztes, welcher nun vor mir und dem Kleinen steht lässt mich erneut aufblicken. „Sie ist fortgelaufen, nicht wahr?“, wendet er sich an mich und ich nicke kaum merklich. Für einen kurzen Moment legt sich ein leidender Ausdruck auf die Züge des Mediziners. Allerdings geht er nicht weiter auf das eben Geschehene ein, sondern erkundigt sich nach meinem Anliegen. „Ich heiße Duke Devlin und der Kleine ist Mokuba Kaiba.“ Während ich spreche deute ich auf meinen Begleiter und man merkt mir an, dass mich das, was ich gerade beobachtet habe berührt hat, denn ich klinge, als sei ich nicht ganz bei der Sache. Mein Gegenüber hört mir aufmerksam zu und als er den Nachnamen des Jüngeren zu Ohren bekommt, verändert sich seine Miene und er scheint Mühe zu haben, sich nicht anmerken zu lassen, was ihm dabei durch den Kopf geht. „Wir wollen uns nach jemandem erkundigen ... seine Name ist Seto Kaiba. Er ist erst gestern Nacht hier eingeliefert worden, doch mehr weiß ich nicht. Niemand hat mich darüber benachrichtigt, wie es ihm geht ...“ Gegen Ende des Satzes werde ich leiser und ich kann meine Sorge nicht verbergen. „Das ist richtig.“, wird mir nach einigem Zögern geantwortet, „Er ist noch nicht sehr lange hier ... Wenn sie möchten, dann begleiten sie mich bitte auf die Station. Dort kann ich in Ruhe mit ihnen sprechen.“ , schlägt der Arzt letztendlich vor und streicht sich eine seiner langen, weißen Haarsträhnen aus der Stirn. In seinem Büro angekommen weist er den Schwarzhaarigen und mich an, sich zu setzen und bietet uns beiden ein Getränk an. Ich lehne ab, bedanke mich aber trotzdem höflich. „Entschuldigen sie bitte, dass ich vorhin so mit der Tür ins Haus gefallen bin. Ich habe mich ihnen ja nicht einmal vorgestellt. Mein Name ist Ryou Bakura. Ich leite die Intensivstation dieses Krankenhauses.“, erklärt sich der Ältere und reicht erst mir, dann Mokuba, die Hand. „Auf Grund des Namens ihres Begleiters gehe ich davon aus, dass er der jüngere Bruder ist, nicht wahr?“, fragt Bakura lächelnd und ich bestätige seine Vermutung. „Er ist sein einziger verbliebener Verwandter.“, füge ich seufzend hinzu und bemühe mich, meine Ungeduld zu unterdrücken. Ich möchte endlich wissen, wo du bist ... ob du wohl auf bist. „Und sie sind ...?“ „Ich ... ich bin ein Freund.“, antworte ich scheu. Unerwartet fällt mir Mokuba ins Wort und blickt den Arzt durchdringend an. „Er ist nicht irgendein Freund für Seto. Für ihn und auch für mich ist er ein Teil unserer Familie geworden. Ich glaube nicht, dass es einen Menschen gibt, der meinem Bruder näher steht.“, platzt es aus ihm heraus und der Weißhaarige nickt verständnisvoll. Von diesem Einwurf immer noch ein wenig erschrocken starre ich den Kleineren gerührt an. Er scheint mir meinen Fehltritt wirklich nicht übel zu nehmen. Anfangs habe ich Zweifel daran gehabt, ob seine Sympathie nicht nur vorübergehend Bestand haben würde. Doch selbst jetzt ... wo sich die Auswirkungen meines Fehlers zu zeigen beginnen steht er zu mir. Sein Glaube daran, dass das hier nicht das Ende ist, scheint unumstößlich zu sein und macht mir Mut. Ein leises Räuspern seitens des Arztes, welcher bemerkt hat, dass ich für eine Weile abwesend gewesen bin, lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf diesen. „Ich denke es ist an der Zeit auf den Grund ihres Besuches zurückzukommen. Ich möchte sie nicht länger ausfragen, denn schließlich geht es um den Patienten und ich habe sie bereits lange genug warten lassen. Ihr Freund oder in deinem Fall dein Bruder ...“, Bakura blickt flüchtig zu Mokuba hinüber, „ ... hat , höchstwahrscheinlich durch Überarbeitung oder zu großen körperlichen sowie seelischen Stress, einen Schlaganfall erlitten. Als die Sanitäter unseres Krankenhauses ihn Dank ihres Anrufs recht schnell aufgefunden haben, war er bewusstlos und natürlich wurde er sofort auf die Intensivstation verlegt. Auch, wenn die Größe des Schlaganfalls nicht lebensgefährlich gewesen ist, haben die Ärzte es für besser gehalten ihn hier unterzubringen, da die Sicherheit des Patienten so besser gewährleistet ist und wir auf dieser Station mehr Möglichkeiten haben zu helfen, sollte es doch noch Komplikationen geben.“ Meine Augen weiten sich mit jedem weiteren Wort des Weißhaarigen und in meinem Inneren überschlagen sich die Gefühle. Einerseits bin ich geschockt, denn ein Schlaganfall kann furchtbare Folgen nach sich ziehen und es ist vielleicht nur Glück gewesen, dass es dich nicht dein Leben gekostet hat. Wenn ich nicht angerufen hätte ... Andererseits bin ich erleichtert. Du scheinst es überstanden zu haben und außer Gefahr zu sein. Trotzdem beunruhigt mich der seltsame Blick aus den undurchdringlichen Augen des Mediziners mir gegenüber. „Herr Kaiba hat wirklich Glück gehabt ... „, setzt Bakura erneut an, „Viele Menschen, die einen Schlaganfall durchmachen verlassen das Krankenhaus mit Lähmungen, Gedächtnisproblemen, Sprachstörungen und ähnlichen typischen Folgen dieser Erkrankung. Ganz davon abgesehen, dass nicht jeder so etwas überlebt ...“ Je eindringlicher der Arzt mir beizubringen versucht, dass du mit deinem Schicksal doch ein relativ mildes Los gezogen hast, umso mehr verstärkt sich mein Gefühl ... das da noch irgendetwas ist ... Es macht mich wahnsinnig und ich kralle meine Finger in die Sitzfläche des Stuhls. „Wahrscheinlich wird in nächster Zeit des Öfteren ein Schwindelgefühl, Übelkeit oder Schläfrigkeit auftreten ... auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Deshalb sollten sie Acht auf ihren Freund geben ... „ Den Worten des Arztes folgt ein kaum hörbares Murmeln. „ ... Er wird ihren Halt brauchen ... bis er lernt zu akzeptieren ... „ Ich verstehe nicht, was dies zu bedeuten hat, doch bevor ich dazu komme den Weißhaarigen danach zu fragen, wendet sich jener, mit neu gewonnener, fester Stimme, wieder an mich. „Wenn sie möchten, dann kann ich sie beide zu ihm bringen. Er ist allerdings noch nicht wach ...“ Selbstverständlich nehme ich sein Angebot an. Ich möchte dich sehen, dich berühren ... nur um mich selbst zu vergewissern, dass du wirklich da bist, dass ich mich nicht mehr um dich sorgen muss ... Vor der Tür, mit der Nummer 311 hält Bakura einen Moment lang inne. Er möchte den Schwarzhaarigen und mich allein zu dir gehen lassen und für diese Geste bin ich ihm mehr als dankbar. Als ich den Raum betreten will, verweilt jedoch auch Mokuba auf dem Flur und ich blicke ihn irritiert an. „Geh bitte ohne mich. Ich kann Seto auch später noch besuchen.“, meint er und lächelt mich ermunternd an. Kommentarlos und ein bisschen verwirrt trete ich allein in das Zimmer und nähere mich zögernd dem Bett, welches sich mittig befindet. Mittlerweile ist der Morgen angebrochen und ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke. Sanft fallen sie durch das halb geöffnete Fenster und verleihen dem weißen, kargen Raum ein wenig Wärme. Leise, als könne ich dich sonst wecken, lasse ich mich auf dem Hocker nieder, welcher nicht weit entfernt von dir steht. Um auch die verbleibende Distanz zu dir zu durchbrechen, rücke ich ein Stück nach vorn und beuge mich vorsichtig ein wenig über dich. Fassungslos betrachte ich dein Gesicht. Du bist noch genau so schön, wie ich dich in Erinnerung gehabt habe ... doch wirkst du um einiges dünner und auf irgendeine Weise so kraftlos. Unter deinen geschlossenen Lidern erkenne ich Augenringe und du bist so blass. Zärtlich lege ich meine Fingerspitzen auf deine weichen, kühlen Lippen, streiche kaum merklich darüber. Für einen Augenblick verweile ich, sehe dich an und nehme nicht wahr außer dir. Nachdem sich meine Starre löst, spüre ich, wie mir Tränen in die Augen steigen und ich weiß nicht, ob ich weine, weil ich traurig oder glücklich bin. Sanft lege ich meine Arme um deinen schmalen Körper, vergrabe das Gesicht in deiner Halsbeuge und mir entkommt ein erstickter Laut. Ich habe mir so schreckliche Sorgen um dich gemacht ... in all den Tagen, während du hier allein warst ...und in den letzten Stunden. Wie lange ich an deiner Seite gesessen habe, weiß ich nicht. Auch, dass du dich nach einer Weile unbeholfen unter meinem Gewicht zu bewegen beginnst, nehme ich anfangs nicht wahr. „Wer ist da ...“, flüsterst du und deine geschwächte Stimme dringt allmählich an mein Ohr. Erst fühlt es sich an, als würde ich träumen, denn sie kommt mir fern vor, doch schließlich begreife ich und richte mich ein wenig auf, ohne dabei von dir abzulassen. Nie wieder ... Deine eisblauen Augen schauen direkt in die meinen und ich halte ihnen stand. Diesmal lasse ich nicht zu, dass meine Schwäche sich uns in den Weg stellt. Auf einmal streckst du deine Hand nach mir aus, versuchst mein Gesicht zu berühren, doch du greifst ins Nichts. Siehst du mich nicht? Vorsichtig umfasse ich dein Handgelenk und lege deine Finger an meine Wange. Sie streifen meine Haut hauchzart ... wie ein warmer Sommerregen und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich täusche mich nicht. Dein Blick ist leer ... du hast mich bis jetzt nicht erkannt. Kapitel 12: And your darkness speaks and has eyes to see -------------------------------------------------------- -SETO- Um mich herum ist alles still. Kein Laut kommt über meine Lippen, während die Wärme der fremden Haut unter meinen kühlen Fingerspitzen ein zartes Kribbeln in mir auslöst. Undurchdringliche Dunkelheit umgibt mich und ich frage mich, wo ich bin ...ob es Nacht ist. Eine Nacht in welcher der Mond nicht am Himmel steht. Erschöpft lasse ich die Hand sinken, atme leise aus. In meinem Kopf kreisen meine Erinnerungen ... bis zu jenem Abriss. Müde versuche ich mich auf die Seite zu drehen, doch da ist etwas ... irgendetwas hält mich zurück. Die endlose Schwärze, welche mich umhüllt, verwehrt mir die Sicht. Vorsichtig taste ich im Nichts bis ich eines der schmalen Kabel umfasse, welches mir nicht erlaubt meine Position zu ändern. Angst steigt in mir auf. Angst und Panik ... Ich komme mir so hilflos vor ... auf irgendeine Weise ausgeliefert. Mit einem schwachen Ruck probiere ich mich loszumachen, aber ich werde sanft in die Laken zurückgedrückt, auf denen ich liege. „Es ist alles in Ordnung ... ich bin da ...“ Die Stimme, welche mir ins Ohr flüstert und mich beruhigt ist mir so bekannt und erst in diesem Moment wird mir bewusst das ich lebe ... Als ich den dumpfen Aufschlag meines eigenen Körpers auf dem Boden wahrgenommen habe, ist der Schmerz in mir so groß gewesen. Für mich hat es sich angefühlt, wie der endgültige Schlussstrich ... und ich habe es gewusst. Ich habe gewusst, dass ich mich zerstöre. Jene Worte, welche ich zu diesem Zeitpunkt für meine letzten gehalten habe, waren ehrlich und aufrichtig. Es tut mir Leid ... Nicht ein einziges Mal habe ich dich sprechen lassen, aus Angst dich ganz zu verlieren. In meinem Inneren habe ich mich davor gefürchtet ... weil ich nicht habe hören wollen, dass deine Berührungen an jenem Morgen nur eine Laune gewesen sind ... als du auf einmal so grob geworden bist ... Denn für mich haben sie so viel mehr bedeutet ... Ohne Vorwarnung werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich spüre, wie jemand einige Strähnen aus meiner Stirn streicht. Ich wünsche mir, dass du es bist ... dass du wirklich hier bist. Und etwas Feuchtes fällt geräuschlos auf meine Wange. Es ist kein Traum. Tränen rinnen langsam meinen Hals hinab und ein seichtes Zittern durchfährt mich, als ich begreife, dass es nicht die meinen sind. Du bist so nah und doch kann ich dich nicht sehen ... „Weinst du ...?“, frage ich kaum hörbar. Kaum eine Sekunde darauf erfüllt mich deine Wärme, dein vom Weinen bebender Körper lehnt sich gegen den meinen ... du legst deine Arme vorsichtig um mich ... Stumm erwidere ich die Umarmung, vergrabe mein Gesicht in deinem weichen Haar, dessen Duft ich tief einatme. Eine Weile lang starre ich mit offenen Augen in meine Dunkelheit,. Wenig später ringt mich jedoch die Kraftlosigkeit nieder und ich senke widerstrebend die Lider, in der Hoffnung, dass du auch dann noch hier sein wirst, wenn ich erwache ... - Bruchstückhaft dringen die Fetzen eines Gesprächs an mein Ohr. Es ist das erste, was ich wahrnehme, nachdem ich an diesem Morgen zum erneuten Mal die Aufgeschlagen habe. Noch immer kommt es mir vor, als seien meine Augen verbunden, denn ich kann nicht erkennen, wo die Menschen sich befinden, welche so in ihre Unterhaltung vertieft sind, dass sie mein Aufwachen nicht bemerken. Ich kann hören worüber sie sprechen ... „Oft kommt es ausschließlich zu einer kurzweiligen Sehstörung ... teils sogar nur auf einem Auge. Doch liegt, wie in diesem Fall, ein Netzhautinfarkt vor, so führt jener zu einer dauerhaften Erblindung.“, „Gibt es denn keine Möglichkeit ihn zu heilen ... Bakura-san?“ Mein Bruder ... Längeres Schweigen erfüllt den Raum und ich bin wie erstarrt. Alle meine Muskeln verkrampfen sich, ich fühle mich so leer und ohne Halt. Das kann nicht sein ... es kann einfach nicht wahr sein ... es darf nicht ... Ungläubig sinke ich in mir zusammen, der Schock lässt keinen Platz für Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit. „Duke! Ich glaube er ist wach!“ Schritte. Deine Finger verschränken sich mit meinen. Du sagst nichts, weil du weißt, dass ich es gehört habe ... Plötzlich spüre ich, wie mich ein Wall ungezähmter, langer Haare zu kitzeln beginnt und Mokuba drückt sich stürmisch an mich. Ein sanftes Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Verzeih mir, dass du dir wegen mir Sorgen gemacht hast.“, flüstere ich ihm zu. Kurze Zeit später meldet sich jedoch die mir unbekannte Stimme wieder zu Wort und die beiden Schwarzhaarigen weichen etwas von mir zurück. „Guten Morgen, Herr Kaiba. Ich bin Ryou Bakura, leitender Arzt der Intensivstation des Krankenhauses, in welchem sie sich befinden. Es gibt einige Dinge, die ich gerne mit ihnen besprechen möchte und die ich ihnen mitzuteilen habe. Sicher können sie sich auch nicht mehr vollständig an die Geschehnisse der letzten vierundzwanzig Stunden erinnern, weshalb ich ihnen gern alles erklären würde.“ Den Blick, welchen der Weißhaarige meinen beiden Besuchern zuwirft und der diese höflich dazu auffordert, ihn und mich für einen Moment allein zu lassen, kann ich nicht sehen, doch es bleibt mir nicht verborgen, dass sie im Begriff sind, dass Zimmer zu verlassen. Ein wenig verloren strecke ich die Hand nach dir aus. Ich will nicht, dass du jetzt gehst ... ich will nicht mehr von dir getrennt sein auch wenn meine Gefühle mir weh tun. Vielmehr wünsche ich mir, dir endlich zuhören zu können ... Mein Zögern macht alles nur noch schlimmer und vielleicht gibt es für mich einen Weg, dir trotz dem, was sich zwischen uns gestellt hat, vertrauen zu können ... Flüchtig streichst du über meine Wange, bevor du dich verabschiedest. Du versprichst mir, dass du nicht weit gehen wirst ... Und ich nicke stumm. Die Unterredung mit dem jungen Mediziner, welcher sich soweit ich es einschätzen kann, auf dem Hocker vor meinem Bett niedergelassen hat, beansprucht über eine Stunde. All die Erkenntnisse, welche ich dabei gewinne, scheinen mein gesamtes Leben umzustürzen und mir bleibt nichts, als es anzunehmen. Ich kann nichts tun, nichts verändern ... Es zu akzeptieren sei die einzige Option ... ich müsse damit zu leben lernen, wie schwer es auch fallen mag, rät mir Bakura und sein bitterer Unterton entgeht mir nicht. Was er sagt ist die Wahrheit. Mir ist klar, dass ich das Vergangene nicht ungeschehen machen kann und nun mit den Konsequenzen meines Verhaltens zu Recht kommen muss. Ob er sich vorstellen kann, wie es sich anfühlt ...? Wenn einen die ewige Dunkelheit umhüllt und man das Ende nicht erreichen kann? Die Erinnerung an dein Gesicht ... dein liebevolles Lächeln, wenn du mir durchs Haar gestrichen hast, bis ich schließlich in deinen Armen Schlaf gefunden habe. Ich möchte dich sehen ... und Tränen steigen in meine saphirblauen Augen, fließen haltlos über meine blasse Haut. „Nein ...“, entkommt es mir kaum hörbar. Traurigkeit flutet meine Seele und ich vergrabe das Gesicht in den Händen, um mein Schluchzen zu ersticken. Noch nie ist das Gefühl, es nicht mehr zu schaffen ... sich nicht mehr weiter aufrecht halten zu können, so stark gewesen. Der junge Arzt legt für einen Augenblick seine Hand auf meine Schulter, belässt es jedoch bei dieser Geste und lässt mich allein. Meine Tränen rinnen unaufhörlich über meine Wangen und ich habe keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll ... wie ich diese Trümmer jemals wieder zusammenfügen kann. Verstrickt in einem verworrenen Geflecht aus Angst und versiegender Hoffnung, nehme ich den Duft frischer Blumen, welcher bald in der Luft liegt, nicht bewusst war. Erst als du mich sanft in die Realität zurück beförderst, indem du auf dich aufmerksam machst, hebe ich den Kopf, um anhand deiner Stimme herauszufinden, wo du bist. Die Mühe ersparst du mir jedoch letztlich und ich merke, wie sich die Matratze links von mir ein wenig senkt. Hektisch wische ich mir über die noch immer feuchten Augen. Ich möchte nicht, dass du dich sorgst ... nicht noch mehr, als du es ohnehin schon tust. Du nimmst vorsichtig meine Hand und hebst sie ein wenig an, legst sie an eine der Blüten des Straußes, welchen du hältst. Ein zartes Lächeln und ein kaum sichtbarer Rotschimmer zieren mein Gesicht. „Sind sie für mich ...?“ Dein Schmunzeln bei meinen Worten kann ich nicht sehen. „Wem würde ich sonst Blumen schenken, wenn nicht dir?“, stellst du mir zur Gegenfrage und ich verstärke den Druck um deine Hand, welche meine bis jetzt nicht losgelassen hat. „Danke ...“ Für einen kurzen Moment verschwindet deine Wärme, du entfernst dich ein Stück von mir und ich höre, wie du die Blumen sanft auf dem, Fensterbrett ablegst. Gleich darauf kehrst du zu mir zurück, um mich in eine lange und feste Umarmung zu ziehen, in welche ich mich erleichtert fallen lasse. Es fühlt sich an wie früher ... als sei nichts geschehen ... „Es tut mir so Leid Seto ...“, hauchst du mir zu und in deinem Ton schwingt etwas Verzweifeltes, Hilfloses mit ... „Ich habe dich nie verletzen gewollt ... das hier ist alles meine Schuld ... ich ... warum stößt du mich nicht einfach weg?“ Deine Stimme zittert und ich spüre den Selbsthass, der mit jeder Sekunde weiter in dir zu wachsen scheint. Die gemeinsame Zeit und unsere bedingungslose Freundschaft hat mich gelehrt, deine Gefühle zu sehen, ohne meine Augen öffnen zu müssen ... ohne dich zu sehen. „Meine letzte Chance habe ich beinahe vergeudet ... die Verantwortung für die jetzige Situation fällt allein mir zu, du kannst nichts dafür ... Wäre ich nicht so feige gewesen und hätte mit dir geredet, statt mich zu verschließen ... „ Ich mache eine Pause und atme tief ein. „Vielleicht stünden wir dann nicht hier vor diesem Scherbenmeer ...“ Deine Fingernägel krallen sich durch den Stoff meines Hemdes in meinen Rücken und du hebst den Kopf ein wenig an. Obwohl sich vor mir nichts als Dunkelheit erstreckt, kribbelt dein durchdringender Blick auf meiner Haut. Einige Minuten vergehen und du sagst nichts. Wahrscheinlich denkst du nach ... wonach suchst du? „Es war nie meine Absicht, dein Vertrauen zu missbrauchen, geschweige denn es zu zerstören, Seto ...“, durchbrichst du schließlich die Stille. Regungslos verharre ich in meiner Position. Mein Herz rast und mir ist klar, dass nun der Moment gekommen ist vor dem ich mich so sehr gefürchtet habe ... „Deine Freundschaft bedeutet mir viel, doch irgendwann hat sich etwas verändert. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal gespürt habe, dass es mir nicht mehr gereicht hat ... dass ich mich so oft danach gesehnt habe, von dir berührt zu werden ... dich zu berühren ... anders als bisher. Und ich habe mich dafür geschämt, wenn du am Abend neben mir gelegen hast, mir dein unschuldiges Lächeln geschenkt hast, während ich dich so sehr gewollt habe... Es ist mir schwer gefallen über all die Jahre zu schweigen und mich zusammenzureißen. Doch ich habe gedacht, ich könne es kontrollieren ... bis meine Gefühle von selbst verebben ... Dabei habe ich mich mit jedem Tag mehr in dich verliebt ... Und ich habe es nie bereut ...nicht eine einzige Sekunde lang ... Bitte vergib mir ...“ Es kommt mir vor als würden deine Worte nur allmählich an mein Ohr dringen und ich bin wie betäubt. Nicht ein einziges Mal habe ich mir Gedanken darüber gemacht, dass deine Liebe zu mir alles Freundschaftliche übersteigen könne. Stattdessen habe ich deine Suche nach Nähe und Zärtlichkeit als selbstverständlich angesehen ... Ich habe es genossen, es als Vorwand genutzt, um meine eigene Zuneigung zu verheimlichen, weil ich Angst gehabt habe dich zu verlieren. Ruckartig löst du dich von mir, erhebst dich von meinem Bett und ich nehme deine Bewegung erschrocken wahr, greife unbeholfen in die mich umgebende Schwärze. Meine bebenden Finger umfassen dein Handgelenk und halten dich zurück. Du versuchst dich loszureißen, doch ich bringe meine übrige Kraft auf, um dies zu verhindern und ziehe dich erneut zu mir auf die Matratze. All die Jahre über sind wir uns so sicher gewesen, den jeweils anderen zu kennen und ihn zu verstehen bis in sein tiefstes Inneres hinein. Eigentlich haben wir uns gegenseitig etwas vorgespielt ... vielleicht auch uns selbst. Durch unsere Verschwiegenheit haben wir uns schützen wollen, doch letzten Endes nur Schmerz und Misstrauen gesät ... Lass es hier enden und eine neue Zeit anbrechen ... Kapitel 13: Future ------------------ -DUKE- Als deine Hand mein Handgelenk umfasst und du mich zurückhältst, leiste ich dir keinen Widerstand und lasse es einfach geschehen. Dabei spüre ich deine Kraftlosigkeit ... wie viel Mühe dir es dir bereitet. Ich habe erwartet, dass es dir nur Recht sei, wenn ich nun gehen würde ... nachdem ich dir die Wahrheit gesagt habe, welche ich so lange vor dir verschwiegen habe. Nun sitze ich erneut neben dir, blicke stumm auf dich herab. Du wirkst so schwach und müde ... Noch nie zuvor habe ich dich so gesehen, denn es hat nie etwas gegeben, das deine Stärke in Frage gestellt hat. Deine kühlen Fingerspitzen legen sich auf meine Haut, streichen zärtlich über mein Gesicht und mir läuft ein angenehmer Schauer über den Rücken. Vorsichtig ziehst du mich näher zu dir und ich gebe dem leichten Druck nach. Mein Herz schlägt so laut und beinahe schmerzhaft gegen meine Brust. Nur wenige Zentimeter von dir entfernt halte ich inne, sehe, wie du überrascht zögerst. Ich verstehe nicht, was hier gerade passiert ... doch habe ich das Gefühl, dass es richtig ist. Mir wird warm und dein sanfter Atem streift meine Lippen, bevor du den Kopf ein wenig anhebst und sie mit den deinen berührst. Die Augen behältst du geschlossen und ich tue es dir gleich, umschließe dich mit meinen schützenden Armen. Ein Zittern durchfährt deinen Körper, doch du wehrst dich nicht. Ganz im Gegenteil ... du scheinst dich wohl zu fühlen ... auf irgendeine Weise geborgen. Dieser Moment löst in mir etwas aus und ich kann es nicht beschreiben, weiß nur, dass es mich ganz erfüllt, mich nicht mehr loslässt. Bis vor wenigen Sekunden habe ich geglaubt, dass hier das Ende ist ... das Ende dieser Freundschaft ... unser Ende. Meine Gedanken kreisen um dich, um die Vergangenheit ... wissend, dass all die Fehler, die wir begangen haben, meine und auch deine, verblassen werden ... wenn wir uns jetzt entscheiden ... Und ich bin mir sicher. Sicher darüber, dass ich dich liebe ... ehrlich und aufrichtig ... und dass ich dich nicht noch einmal enttäuschen werde. Allmählich vertiefe ich die Berührung unserer Lippen zu einem zurückhaltenden, unschuldigen Kuss. Du erwiderst ihn schüchtern und ein wenig unbeholfen, was mich zum Schmunzeln bringt. Du bist wundervoll ... Nach einer Weile löse ich mich von dir und streiche dir eine seidige, brünette Strähne aus dem Gesicht. Noch ist die Situation für mich nicht greifbar ... Ich habe mit keiner solch abrupten Wendung gerechnet. Viel mehr damit, dass ich dich durch mein Geständnis weiter von mir distanziere ... dich vielleicht noch mehr verletze, als ich es sowieso schon getan habe. Und nun ist alles anders ... Wahrscheinlich weißt du nicht einmal, wie unendlich glücklich du mich machst ... Trotzdem sorge ich mich um dich. Der plötzliche Umsprung deines gesundheitlichen Zustands betrübt mich. Zwar bist du weitestgehend wohl auf, doch der Gedanke daran, dass du nichts siehst, bis auf die leere Dunkelheit ... dass du mich nicht siehst, kommt mir so unwirklich vor ... es ist bedrückend. In wie fern sich ab jetzt alles verändern wird, kann ich nicht sagen, denn ich kann mir im Augenblick noch nicht vorstellen wie du damit umgehen wirst, dass dein Augenlicht erloschen ist. Bevor ich dich umsichtig zurück in die Laken drücke, umarme ich dich noch einmal. Es ist besser, wenn du jetzt schläfst und dich ein bisschen erholst ... Am liebsten würde ich dich zu mir ziehen, dir Nahe sein, dich küssen und dich wärmen, doch viel wichtiger ist vorerst, dass du dich ausruhst. Anfang sträubst du dich dagegen, aber ich lasse nicht locker und schließlich gibst du auf. Ich verspreche dir, dass ich hier neben dir sitzen bleibe bis du wieder aufwachst und verschränke meine Finger mit deinen. Nach einigen Minuten, in denen dein Atem recht gleichmäßig geworden ist, gehe ich davon aus, dass du schläfst und lege meinen Kopf vorsichtig auf deinen Bauch, um auch ein wenig vor mich hinzudösen. Die letzten Stunden sind wirklich sehr anstrengend und nervenaufreibend gewesen. Auch, wenn die vergangenen Wochen für uns beide nicht leicht gewesen sind und es letztendlich so hat enden müssen ... so haben wir uns doch nicht verloren. Manchmal braucht es wohl erst einen Rückschlag, der einem bewusst macht in welch ernster Lage man sich tatsächlich befindet ... und mir ist klar, dass es allein meine Angst gewesen ist, die mich dazu gezwungen hat ehrlich zu dir zu sein. Dies gestehe ich mir nicht gern ein, doch ich werde mich nicht selbst belügen und habe aus meinen Fehlern gelernt ... Kurz bevor sich meine Lider senken, fühle ich wie jemand zärtlich durch mein schwarzes, langes Haar streicht und schaue verdutzt auf. Deine Augen sind einen Spalt breit geöffnet und auf mich gerichtet. Dein Blick wirkt im ersten Moment leer ... ausdruckslos, aber ich meine etwas Trauriges darin zu entdecken. „Duke ...?“, fragst du leise. Du bist dir nicht sicher, ob ich wach bin. Zum Zeichen, das ich dich wahrgenommen habe, drücke ich sanft deine Hand, verbleibe jedoch stumm und beuge mich ein Stück nach vorn, um einen Finger auf deinen Mund zu legen. „Ich bin da, Seto. Aber es ist besser, wenn du jetzt schläfst ...“ Erneut willst du zum sprechen ansetzen. Ich versiegle deine Lippen flüchtig mit meinen, um dich zum Schweigen zu bringen. „Psst ...“, flüstere ich streichle über deine Wange. Bevor ich mich zurück in meine ursprüngliche Position bewegen kann, hauchst du mir jene Worte ins Ohr, welche ich mir seit Jahren von dir zu hören gewünscht habe ... „Ich liebe dich ... „ • Die folgenden Wochen vergehen recht ruhig und ereignislos, wofür ich innerlich sehr dankbar bin, denn noch mehr Aufregung würde dir jetzt nicht gut tun. Um dich zu entlasten habe ich all die Dinge bezüglich deiner Firma geklärt und deine Sekretärin davon in Kenntnis gesetzt, dass du auf Grund des Schlaganfalls für längere Zeit nicht im Büro erscheinen wirst. Wie genau es mit der Kaiba Korporation nun weitergehen soll, darüber bin ich mir noch nicht im Bilde. Eigentlich ist es mir vorerst auch egal, denn meine Aufmerksamkeit gilt ganz dir. Jeden Tag fahre ich mit Mokuba zum Krankenhaus und besuche dich. Dein Bruder und ich haben uns ein Zimmer in einem Hotel genommen, welches sich nicht weit entfernt befindet. Auch heute steigen wir gemeinsam die Treppen hinauf, während die Strahlen der Morgensonne auf uns hinabfallen. Es wird wieder wärmer ... Als ich die Tür zu der Station öffne, auf welche du inzwischen verlegt worden bist, treffen der Jüngere und ich auf Bakura-san. Er begrüßt uns freundlich und berichtet, dass er eben bei Seto gewesen ist, um nach ihm zu sehen. „Mir sind meine Patienten sehr wichtig.“, beginnt er zu sprechen, „Deshalb sehe ich auch noch nach ihnen, wenn sie nicht mehr unter meiner Obhut auf der Intensivstation stehen. Ich bin mir sicher, dass Herr Kaiba innerhalb der nächsten Tage entlassen werden kann, denn er ist schon wieder gut zu Kräften gekommen. Mit ihrer Unterstützung wird es sicher möglich sein, dass er bald wieder mit ihnen nach Domino fliegen kann.“ Diese Neuigkeiten erfreuen sowohl mich, als auch den Kleineren. Ich bin erleichtert darüber, dass dein Zustand sich verbessert hat und ich mir augenscheinlich keine allzu großen Sorgen mehr machen muss. Ich bedanke mich bei dem Weißhaarigen für die Auskunft und lächle ihm zu. Für seinen Beruf ist er wahrlich bestens geeignet, denn durch seine ausgeglichene und bedächtige Art fällt es leicht Vertrauen zu ihm aufzubauen. Er ist mir von Anfang an sympathisch gewesen und ich habe immer das Gefühl gehabt, dass du bei ihm in guten Händen bist. Nachdem Mokuba und ich uns von ihm verabschiedet haben, machen wir uns auf den Weg zu dir. Du bist bereits wach und wendest dich in unsere Richtung, als du hörst, wie sich die Tür öffnet. Mein Begleiter stürmt an mir vorbei und stürzt sich, ungestüm wie eh und je, auf dich. Lachend folge ich ihm, wünsche dir einen guten Morgen und stehle dir einen zärtlichen Kuss. Dein Bruder beobachtet das Geschehen mit einem zufriedenen, beinahe triumphierenden Gesichtsausdruck und lässt sich auf den Stuhl neben deinem Bett fallen. Ihm ist noch am selben Abend, an welchem ich dir gestanden habe, was ich für dich empfinde, aufgefallen, dass ich mich anders verhalten habe als gewohnt. Seine Neugier habe ich dem Jüngeren nicht verdenken können. Zudem hat er mir nicht nur durch einmaliges gutes Zusprechen Mut gemacht und mir somit dabei geholfen, mich zu überwinden, weshalb ich ihm nicht vorenthalten habe was sich zwischen dir und mir ereignet hat. Während Mokuba sich mit dir unterhält, sitze ich schweigend neben dir und streichle sanft mit dem Daumen über deine Hand, welche du fest um meine geschlossen hast. Ich sehe dich ein wenig verträumt an. Die Frage, was die Zukunft für uns bringen wird lässt mir kaum Ruhe ... Mir ist bewusst, dass es nicht leicht wird, doch ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden können. Gemeinsam ... Kapitel 14: I’m holding the night with my hands ----------------------------------------------- -SETO- Leise prasselt der seichte Sommerregen gegen die Scheiben des riesigen Anwesens, welches durch einen dicht bewachsenen, ausladenden Park vor den Blicken Außenstehender geschützt wird. Hunderte, im Schein der Morgensonne schimmernde Tropfen bahnen sich ihren Weg über das kühle Glas während der Morgen allmählich voranschreitet und die Welt in sein gedämmtes Licht taucht. Mittlerweile ist eine Woche vergangen, seitdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden bin. Du hast mich an jenem Tag, in Begleitung meines Bruders, sehr früh von der Station abgeholt und ihr seid mit mir zum Flughafen gefahren um dort noch den ersten Flug nach Domino nehmen zu können. Es fühlt sich gut an, wieder zu Hause zu sein. Zwar hat mich meine Laufbahn in der Kaiba Corporation bereits den gesamten Globus umrunden lassen, wodurch ich mich an weite Reisen gewöhnt habe, doch ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass die letzte einen gewaltigen Unterschied zu allen bisherigen gemacht hat. Mein Leben hat sich auf einen Schlag um einhundertachtzig Grad gewendet . . . und ich kann nicht sagen, wie lange ich brauchen werde, um die Veränderung zu akzeptieren, anzunehmen, dass es nicht in meiner Macht steht, den Lauf der Dinge zu beeinflussen . . . ihn eventuell sogar zu wandeln. Vielleicht werde ich lernen, durch meine Dunkelheit zu sehen. Die Zeit rieselt durch meine Finger, wie Sand und zurück bleibt die Nacht. Ich halte sie in meinen Händen, schwarz und kalt, wie einen nie endenden Traum . . . • Mit einem leisen Brummen drehe ich mich auf die andere Seite und vergrabe mein Gesicht in deiner Halsbeuge. Die Wärme, die du ausstrahlst gibt mir ein Gefühl von Sicherheit ... wie deine Arme, welche du sanft um meine Taille geschlungen hältst. Um uns ist alles still und mein Herzschlag hallt in meinem Kopf wider. Ich weiß, dass du wach bist, denn deine Hände streichen kaum merklich über meinen Bauch und ich kann deine Fingerspitzen spüren, welche vorsichtig unter den Saum meines Hemdes schlüpfen. Jede Berührung hinterlässt ein angenehmes Kribbeln auf meiner Haut . . . Ein zufriedenes Lächeln legt sich auf meine Lippen bevor du mein Kinn sanft ein Stück nach oben drückst und sie mit deinen verschließt. Noch immer etwas schüchtern beginne ich dich zu küssen, während du mich enger an dich drückst. Du fühlst meine Unsicherheit, welche ich bis jetzt nicht habe ablegen können und hältst kurz inne. Dein Atem legt sich auf meinen Hals, gefolgt von deinen weichen Lippen . . . Allein diese kleine, zärtliche Berührung bringt mich um Sinn und Verstand. Mir entflieht ein verhaltenes, sehnsüchtiges Seufzen, mein Körper erzittert unter dir und ich wende mein Gesicht beschämt von dir ab. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich mir darüber bewusst das ich die Kontrolle verliere. Ich kenne dieses Gefühl nicht . . . Nie zuvor hat jemand mich auf diese Weise angefasst . . . mich geliebt . . . und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. In der kurzen Zeit die vergangen ist, seitdem uns klar geworden ist, dass uns beiden in unserer Beziehung Freundschaft allein nicht mehr genügt, sind wir uns noch viel näher gekommen, als wir uns zuvor schon gewesen sind. Du bist mir vertrauter denn je, nichts an dir scheint mir fremd zu sein. Und doch gibt es Situationen, mit denen ich nicht auf die gleiche Art umgehen kann, wie du es tust. Jahrelang habe ich mich nach dir gesehnt, dich spüren gewollt, intensiver und inniger . . . Nun, da es soweit ist, weiß ich mir nicht zu helfen, fürchte mich davor etwas verkehrt zu machen . . . dazustehen wie ein Idiot . . . In mir überschlagen sich Gedanken und Empfindungen, verwirren mich. Vielleicht bin ich der Falsche . . . vielleicht werde ich dir nie soviel geben können, wie du mir schenkst. Ich weiß nicht wie . . . Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, rinnt langsam an meiner Wange hinab und ich schiebe dich von mir. Wo zuvor noch deine Hände gelegen haben, breitet sich eine durchdringende Kälte aus. Um mich herum ist alles dunkel. Verzweiflung und Wut erfüllen mich. Wut auf mich selbst . . . Ohne zu zögern setzt du dich auf und greifst nach meinem Handgelenk. Ich habe dich nicht wegstoßen wollen . . . dir nicht schon wieder das Gefühl geben wollen, etwas falsch gemacht zu haben. „Seto . . .“ Deine Stimme dringt an mein Ohr, ganz leise und die Unruhe, welche darin mitschwingt versetzt mir einen Stich. „Ich wollte nicht . . . Ich . . . Ich tue nichts, was du nicht möchtest. Bitte sprich doch mit mir . . . sag mir, was ich falsch mache und ich werde es nie wieder tun . . . gib mir wenigstens eine Chance dich zu verstehen.“ Deine Worte sind nur noch ein Flüstern, ich spüre, wie sich deine Arme erneut vorsichtig um mich legen. „Es ist nicht deine Schuld . . .“, erwidere ich und lehne mich gegen deine Brust. Wie soll ich dir erklären, wie ich fühle, wenn ich mein Verhalten selbst nicht nachvollziehen kann? „Wessen dann?“, fragst du, streichst über meine Wange und ich genieße deine Zärtlichkeit trotz ihres bitteren Beigeschmacks. Manchmal begreife ich nicht, wieso du noch bei mir bist. Du kennst mich . . . mit all meinen Ecken und Kanten, mit meinen Eigenarten und meiner zeitweiligen Verschlossenheit. Trotzdem bist du hier, beschwerst dich nicht, bist geduldig mit mir . . . Du bist der Einzige, der mich nicht verurteilt . . . der mich annimmt, so wie ich bin. Ich habe dir nie gesagt, wie dankbar ich dir dafür bin . . . „Du machst mich glücklich . . .“, flüstere ich dir zu, „ . . . doch ich weiß nicht, was ich tun kann, um dir dasselbe Gefühl zu geben. Wenn du mich küsst und mein Herz rast, weil du mir so nah bist . . . weil ich noch nie so liebevoll berührt worden bin . . . komme ich mir so lächerlich vor . . . Während du so sicher und gefasst bist . . .“ Ich nehme deinen Blick wahr, welcher auf mir ruht und nicht von mir ablässt. Wie gern würde ich in deine Augen sehen . . . Eine Weile lang herrscht Stille, bis du dich schließlich für einen kurzen Moment von mir löst. Bevor mir jedoch verständlich wird was du vorhast, ziehst du mich erneut zu dir und als ich mich an dich lehne, spüre ich wie deine warme Haut auf meine trifft. Du hast dein Hemd ein Stück weit geöffnet, sodass ich meinen Kopf direkt über deinem Herzen gebettet habe. „Hörst du es schlagen?“, hauchst du mir entgegen und streichelst schmunzelnd durch mein braunes, vom Schlaf etwas zerzaustes Haar. Mit geschlossenen Augen verharre ich in meiner Position, lausche dem unregelmäßigen, lauten Pochen in deiner Brust. „Ja . . .“ Sanft umarmst du mich und hüllst uns erneut in die weiche Decke des Bettes. Deine Finger kraulen liebevoll über meinen Nacken und allmählich verringerst du die Entfernung zwischen uns. „Denk nicht nach . . .“, bittest du mich, doch bevor ich dir antworten kann, versiegelst du meine Lippen mit deinen, fährst sie behutsam mit der Zunge nach und ich öffne meinen Mund einen Spalt breit. Ein Schauer läuft dir über den Rücken und du verschränkst deine Finger fest mit meinen, als du den Kuss vertiefst. Mir wird schwindelig und ich halte mich nach Halt suchend an dir fest. Meine Zweifel und Ängste verblassen neben der Liebe, die ich in diesem Moment so unendlich stark für dich empfinde und dem berauschenden Gefühl, welches du in mir auslöst, während unser anfangs noch unschuldiger Kuss mit jeder Sekunde an Leidenschaft gewinnt. Deine geschickte Zunge umspielt verlangend die meine, macht es mir nicht leicht mich gegen sie durchzusetzen und ich keuche wohlig auf, verdränge die Gedanken, welche sich mir aufbürden wollen. Du erkundest behutsam meine Mundhöhle, schmiegst deinen schlanken Körper enger an mich und lässt mich alles andere vergessen . . . Als wir uns voneinander lösen, legt sich ein leichter Rotschimmer auf mein Gesicht und mir wird ganz warm, doch es stört mich nicht . . . Ich wünsche mir dich lächeln sehen zu können . . . das Strahlen in deinen tiefgrünen Augen . . . ich habe dich immer darum beneidet, wie schön sie sind . . . Die endlose Schwärze, welche mich umgibt versagt mir jegliche Stütze und Zuflucht, doch du bist da, wenn ich glaube zu fallen. Ich muss dich nicht sehen, um zu wissen wo du bist . . . Wir beschließen noch ein bisschen liegen zu bleiben, wortlos und ohne den Abstand zwischen uns zu wachsen zu lassen. Erst, als sich bemerkbar macht, dass die anderen Bewohner der Villa, Mokuba und Roland, ihre Zimmer verlassen und in der Küche im Erdgeschoss geschäftiges Trappeln zu hören ist, grummelst du leise und richtest dich auf, nachdem du mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gehaucht hast. Du ergreifst meine Hand und ziehst mich auf die Beine. Während du dich umziehst mache ich einen Schritt auf das Fenster zu, welches sich auf meiner Seite des Bettes befindet. Zwar kann ich es nicht erkennen, aber durch den Umstand, dass ich fast mein gesamtes Leben in diesem Haus verbracht habe, finde ich mich trotzdem gut zurecht. Ich drücke eine der Laden auf und taste vorsichtig mit den Fingern über das nasse Glas. „Es hat geregnet . . .“, stelle ich fest und wende mich nach dir um. Zu meiner Verwunderung stehst nur ein Stück weit entfernt hinter mir und überwindest nun auch diese letzte Distanz, indem du mich in eine Umarmung ziehst. Wenn ich meine Hände öffne, wird die Nacht in den Himmel fliehen und der Tag wird anbrechen, so stark und voller Hoffnung, dass es mir die Sprache verwehrt . . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)