Blutige Leidenschaft von Curin (TyKa/ Vampirstory) ================================================================================ Kapitel 33: Die rechte Hand des Monsters ---------------------------------------- Waren es Minuten gewesen? Stunden? Er wusste es schlichtweg nicht. An seiner Schläfe pochte der Schmerz. Seine Hände und Beine waren taub. Er öffnete die Augen einen Spalt breit, aber sofort kniff er sie wieder zusammen. Das Licht tat in den Augen weh. Er wusste noch genau wo er war. Ein Blick hatte gereicht um ihn gänzlich klar zu machen, dass dies nicht nur ein schlechter Traum gewesen war. Er zog sich etwas zusammen, bereute die Bewegung aber sofort wieder, weil der Schmerz im Kopf nur schlimmer wurde. Er ließ die Augen noch geschlossen und versuchte stattdessen Geräusche um sich herum wahrzunehmen. Kaum ein Laut war zu hören. Als er in das Zimmer getragen wurde, hatte er gemeint, hier und da Gespräche aufzuschnappen, aber hier war es still. Das war fast noch schlimmer als zu wissen, dass ein Haufen blutrünstiger Vampire um ihn herum war. Er versuchte seine Finger zu bewegen. Er glaubte, sie ein wenig zusammenziehen zu können, war sich aber nicht sicher, weil sich alles so fremd und taub anfühlte. Als wären es gar nicht seine Finger. Auch mit den Zehen versuchte er zu wackeln, aber es war das gleiche Ergebnis. Innerlich seufzte er auf. Es war schon eine ziemlich schlechtaussehende Situation für ihn. Im Grunde war er froh überhaupt noch zu leben, aber wer weiß warum das so war. Wahrscheinlich war es Brooklyn schlichtweg nicht genug ihn umzubringen. Während er so lamentierte, hörte er hinter sich auf einmal ein quietschendes Geräusch. Sofort waren seine Augen offen und mit einer Kraft, die er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte, brachte er seinen gefesselten Körper dazu, sich zu drehen und auf die andere Seite des Zimmers zu sehen. Bisher hatte er immer nur die Tür im Blickfeld gehabt, jetzt erkannte er Fenster mit zugezogenen Vorhängen und einen alten Lehnstuhl in dem sich ein ihm nicht ganz unbekannter Kerl, es sich bequem machte. Kurz musste er noch überlegen, doch dann kam ihn sofort der Name wieder in den Sinn. Vor ihm saß Garland. Er saß im entspannt im Sessel, sein einer Ellbogen ruhte auf der Lehne, auf welcher er auch seinen Kopf abstützte. Er schien ihn mit äußerstem Interesse zu mustern. Diese ebenfalls ruhige Art, genau wie Brooklyn sie an den Tag legte, ließ ihn schaudern. Er wollte zurückrobben, aber er kam kaum einen Millimeterweit als er schon aufgehalten wurde. Er schaute auf seine Füße und erkannte, dass seine gefesselten Beine mit einen weiteren Seil am Bettgestell festgebunden waren. Sofort wand er seinen Blick davon ab und sah wieder zu Garland. Diese kalten grauen Augen. Es jagte ihn Schauer über den Rücken zu lange in diese Augen zu sehen. Auch schon allein deswegen, weil er wusste, dass Garland die Fähigkeit hatte Gefühle zu erkennen. Aber auch, wenn er gerade immense Angst hatte, so kam ihn wieder in den Sinn, was dieser Kerl Tala angetan hatte. Er hatte ihn Menschenblut eingeflößt und ihm die Kehle aufgeschlitzt. Wenn er hier nicht gefesselt wäre, dann hätte er sich schon längst auf ihn gestürzt, auch wenn er wusste, dass dies wahrscheinlich ein kurzer Kampf wäre und er nicht glimpflich für ihn ausgehen würde. Bisher hatte sich Garland kaum gerührt und ihn nur angestarrt, doch jetzt stand er auf und kam auf ihn zu. Tyson zuckte kurz zusammen und sah zu dem großen Vampir auf, der nun vor ihm stand und ihn interessiert musterte. Sein Blick wanderte von Tysons Gesicht, zu dessen immer noch nicht ordentlich wieder runtergezogenen Shirt, bis hinab zu seinen gefesselten Beinen. Schließlich sah er wieder in dessen Gesicht und beugte sich vor. Tyson zuckte zurück, auch wenn er nicht fliehen konnte, aber Garland langte nur an seinen Hinterkopf, fummelte dort kurz herum und schließlich spürte Tyson wie der Knebel gelöst wurde. Der Silberhaarige zog das Tuch aus seinen Mund und Tyson spuckte auch kurz aus. Der Lappen hatte eklig in seinen Mund geschmeckt und sein Kiefer tat ihm weh. „So lässt es sich gleich viel leichter unterhalten“, säuselte Garland und legte das Tuch zur Seite. Tyson hatte keine große Lust sich mit ihm zu „unterhalten“, aber noch weniger Lust hatte er, wieder geknebelt zu werden, daher sagte er nichts und sah nur auf den Boden. „Schön, dass du uns die Ehre erweist“, sagte der andere entspannt und setzte sich genau wie Brooklyn auf die Bettkannte, um nicht auf Tyson herabsehen zu müssen. Tyson hatte diese Geste schon bei Brooklyn überrascht. Es war eigentlich nur etwas, was ihm zugutekam. Er verstand nicht warum Garland und Brooklyn sich anscheinend Gedanken darüber machten, wie sie mit ihm auf Augenhöhe reden konnten. „Ich hätte auch drauf verzichten können“, beantwortete Tyson die Aussage von vorhin und wandte den Blick ab. Er hatte Angst dass Garland seine Angst erkennen könnte, wenn er ihm in die Augen sah, aber von der wusste er bestimmt schon längst. Dieser langte unter sein Kinn und hob es so an, dass Tyson ihn wieder ins Gesicht sah. „So einfach war das nicht“, meinte er nur. „Seit Brooklyn dich das erste Mal getroffen hat und es nicht schaffte dich zu töten, versuchen wir dich in unsere Finger zu kriegen, aber jedes Mal scheiterte es.“ In Tyson keimte Widerstand auf und er entzog sein Gesicht Garlands Griff. „Warum?“, schrie er diesen an. „Warum wollt ihr mir unbedingt etwas antun? Um Kai zu verletzen? Wieso? Warum zum Teufel nochmal ist Brooklyn so besessen von ihm?“ Diese Fragen hatten Tyson schon lange auf der Seele gelegen, aber weder Ray noch Tala konnten diese Fragen richtig beantworten. Dabei machte er ihnen aber keine Vorwürfe. Sie hatten ihm alles erzählt, was sie wussten, aber alles was er rausbekam war, dass Kai und Brooklyn sich anscheinend schon als Menschen gekannt hatten und das Brooklyn wohl derjenige war, der Kai verwandelt hatte. Aus Kai hatte er in dieser Hinsicht nichts Weiteres rausbekommen, aber an dem Schmerz in seinen Augen hatte er erkannt, dass er auch nicht weiter fragen sollte. „Das ist eine etwas kompliziertere Geschichte“, meinte Garland und lehnte sich zurück. „Ich habe genügend Zeit“, höhnte Tyson und zog zur Verdeutlichung an seinen Fesseln. „Nicht im Sinne der Zeit“, sagte Garland, „sondern in der Verständnis.“ „Ich bin auch nicht blöd“, knurrte Tyson. „Ich habe aber keine Lust, hier den Geschichtenerzähler für dich zu spielen.“ Dieses Mal war ein gefährlicher Unterton in Garlands Stimme. Tyson erwiderte nichts darauf. Es war wohl wirklich eine kompliziertere Sache. Aber gleich darauf seufzte Garland. „Aber ganz dumm sollst du ja auch nicht bleiben. Du bekommst die Kurzfassung.“ Jetzt hörte Tyson aber gut hin. „Als Menschen waren Brooklyn und Kai befreundet. Sie waren beide die Söhne von Vampirjägern. Ihre Familien hatten eines Tages fast einen gesamten Clan ausgerottet, daraufhin schwor dieser Rache und wollte diese vollziehen, indem er Kai und Brooklyn ebenfalls in Vampire verwandelte. Es gelang ihn aber nur Brooklyn zu beißen und Kai entkam. Brooklyn aber, der nach dem Biss ebenfalls noch entkommen konnte und gerade im Begriff war, sich selber in einen Vampir zu verwandeln, traf auf Kai und biss ihn ebenfalls und wollte ihn verwandeln. Warum? - fragst du dich jetzt sicherlich. Ganz einfach. Brooklyn wollte nicht ein untotes Dasein führen ohne seinen besten Freund. Du verstehst das vielleicht nicht, aber auch Vampire sind nicht einfach nur auf ihre Triebe beschränkt.“ In diesen Augenblick schien Tyson zu glauben, er könnte sowas wie Schmerz in den Augen des anderen sehen. Natürlich wusste er, dass Vampire nicht ganz gefühllos waren, schließlich sah er es an Kai und Tala. Allerdings hatten diese beiden auch eine unberührte Seele. Wie viel machte die Seele wirklich aus, und was genau war mit der verstümmelten Seele der Vampire? Es war wirklich eine komplizierte Sache. Doch schon erzählte Garland weiter und er verschob die Gedankengänge auf einen anderen Zeitpunkt. „Auf jeden Fall, hatte Brooklyn aber mit einer Sache nicht gerechnet. Kai behielt seine Seele. Brooklyn war also ein Vampir der Menschen ohne Skrupel tötete und Kai konnte das nicht, weil ihn seine Seele daran hinderte. So zerbrach also die Freundschaft der beiden schlussendlich doch noch. Allerdings kann Brooklyn das nicht akzeptieren. Er hat es sich also zur Aufgabe gemacht, Kai doch noch davon zu überzeugen, dass es ein Fehler war seine Freundschaft einfach wegzuwerfen. Daher vernichtet er alles, was Kai wichtig ist. In dem Glauben, er würde irgendwann einsehen, dass ein Dasein als guter Vampir, keinen Sinn hat.“ Garland beendete die Erzählung und Tyson schnaufte verächtlich. „So kompliziert war das nicht“, meinte er nur unberührt. „Das war auch nur die kurze Fassung für Einfältige“, erklärte Garland und fing sich einen wütenden Blick von Tyson ein. „Um die ganzen Hinter- und Beweggründe zu erklären, bräuchte ich mehr Zeit und du mehr Hirn.“ „Was fällt dir eigentlich ein, mich als Blöd zu bezeichnen“, brauste Tyson auf. „Du weißt doch gar nichts über mich.“ Garland packte wieder sein Kinn und zwang Tyson jetzt ihm tief in die Augen zu sehen. Tyson hatte wieder dieses Gefühl abgetastet zu werden. „Ich weiß mehr über dich als du denkst“, säuselte er daraufhin und strich seine Wange entlang. „Ich weiß, dass du zwar nicht dumm bist, aber du gehörst auch nicht zu den Menschen, die über alles zu viel Nachdenken. Du bist kein Stratege, sondern ein Vorprescher und du verlässt dich stets auf dein Bauchgefühl. Du versuchst immer alles positiv zu sehen und willst damit nur verstecken, wie tief verletzt du in deinen Innersten bist.“ „Was fällt dir ein“, knurrte Tyson und versuchte dem Griff zu entkommen. „Dein Vater interessiert sich mehr für alte verlassen Gräber als für dich, dein Großvater hat dich zwar großgezogen, aber er hat dich immer nur gefordert, und dein Bruder… pah… wenn er sich mal sehen lässt, dann nur um dich ebenfalls anzutreiben. Niemand hat sich je vor dich gestellt oder versucht dich zu schützen oder einfach nur für dich da zu sein. Dies ist einer der vielen Gründe, für deine immensen Gefühle für Kai. Er ist der erste, der einfach nur bei dir war. Er verlangt nichts von dir und er ist derjenige, an dem du dich stützen kannst.“ Schlussendlich ließ er doch wieder Tysons Kinn los, doch dieser senkte nur den Blick und zitterte. Wieso konnte dieser Kerl nur so in sein Innerstes sehen?! Er fühlte sich zutiefst beschämt, weil seine geheimsten Gefühle so offen da lagen für diesen Kerl. „Nichts kann vor mir verheimlicht werden“, sagte Garland und es klang sehr hart. Als wäre dies nicht nur eine Gabe, sondern auch ein Fluch. „Nicht alles was ich sehe ist interessant und nutzbar. Wobei…“ Er streichelte wieder über Tysons Wange, und dieser schaute mit ängstlichen Augen zu den anderen hoch. Er konnte sich einfach nicht dagegen wehren. „Ein paar Dinge sind sehr interessant. Ich sehe zum Beispiel, dass du Angst hast, aber es dein Stolz einfach nicht zulässt, dass du dies auch nur eine Sekunde lang offen zeigst. Oder ein paar pikante Details.“ Er ging mit seiner Hand runter zu Tysons Schritt. Er wollte sich von dieser Hand wegbewegen, aber er konnte einfach nicht. Er war wie gelähmt und Garlands Augen schienen ihn zu durchbohren. „Du liebst zwar Kai, aber tief in deinen innersten weißt du, dass du den besten Sex deines Lebens mit Tala hattest.“ Tyson fühlte sich ertappt. Er wollte etwas sagen. Irgendwas. Aber aus seinen Mund, der sich öffnete und schloss, kam kein Laut. Garland schenkte ihn noch ein süffisantes Lächeln und ließ dann wieder von ihm ab und stand sogar auf. Tyson fühlte sich als würde eine Last von ihm abfallen, als Garlands Bann verschwand. Er schnaufte schwer und versuchte seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Diese Fähigkeit. Sie war grausam. „Ich kann es dir aber gar nicht verübeln, dass du den rothaarigen Kai vorziehst“, meinte Garland lässig und zuckte mit den Schultern. Tyson sah fragend zu ihm auf. „Schließlich hatte ich mit ihm auch eine Menge Spaß.“ „Was…was meinst du damit?“, fragte Tyson und ein furchtbarer Gedanke kam ihn in den Sinn. „Ach, hat Tala es dir nicht erzählt?“, fragte der andere unschuldig. „Wir haben letztens ein wenig gespielt. Oder besser gesagt, ich habe mit ihm gespielt.“ Tyson erbleichte und er schüttelte den Kopf. Doch Garlands Grinsen wurde nur breiter. „Er wollte dich eben unter allen Umständen schützen. Dafür war es ihm sogar wert, sich von mir vögeln zu lassen.“ Tyson zitterte und seine tauben Hände fühlten sich auf einmal wieder sehr bewusst an. „Du Schwein“, schrie er Garland entgegen, der sogar überrascht wirkte durch den plötzlichen Ausbruch. „Wie konntest du ihm das nur antun? Wieso quält ihr ihn so?“ Tyson zerrte an seinen Fesseln auch wenn er sich dadurch nur ins Fleisch schnitt. „Tala ist mein Freund und nicht euer Spielzeug. Wenn ihr so notgeil seid, dann legt euch doch gegenseitig flach, aber lasst ihn in Ruhe!“ „Jetzt reicht es aber“, sagte Garland und verließ das Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Das Geschrei und Gezeter ging weiter, auch wenn es jetzt nur noch gedämpft bei ihm ankam. **^^** Als er den Gang entlang ging, versank Garland in Gedanken. Mit seinen ersten Eindruck von Tyson hatte er gar nicht so falsch gelegen. Der Junge war nicht wie andere. Obwohl er schon Narben auf seiner Seele hatte, war er weder verschlossen, noch vergramt. Er hatte eine offene Natur und hielt sich an die guten Dinge im Leben. Was ihn aber am meisten beschäftigte, war sein starker Wille. Der Junge war völlig verängstigt, weil er nicht wusste, was mit ihm geschehen würde, dennoch konnte er in ihn den Glauben erkennen, dass alles gut würde und obwohl es bisher keine Spur auf Rettung gab, war er nicht bereit auch nur ein Fünkchen Angst zuzulassen. Ja, er konnte sie nicht perfekt verbergen, aber er war auch nicht bereit, sie in irgendeiner Weise nach außen dringen zu lassen. „Was hast du in dem Zimmer getan?“, kam eine frostige Frage von hinten. Garland drehte sich langsam um und erkannte Brooklyn der an eine Säule gelehnt dastand und ihn mit kalten Augen ansah. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er ihn nicht bemerkt hatte. „Darf ich mich etwa nicht mit ihm unterhalten?“, gab er eine giftige Antwort und hielt dem Blick seines Meisters und Freundes stand. „Es ist nicht mehr nötig, dass du irgendwas über ihn herausfindest. Ich habe meine Entscheidung schon getroffen“, meinte Brooklyn ruhig und schaute in die Richtung von den Zimmer, welches er gerade verlassen hatte. Wenn Brooklyn schon länger dastand, dann muss er auch mitgekriegt haben, als der Kleine angefangen hatte zu schimpfen. Garland sah seinen Anführer noch einen Augenblick ruhig an, dann senkte er den Blick und schüttelte den Kopf. „Dein Plan wird dir nicht gelingen“, sagte er ruhig, obwohl er wusste, dass er gerade großen Zorn auf sich zog. Er spürte, dass Brooklyn seinen Blick wieder auf ihn sengte, und er spürte die Woge des Wutes, die sich gegen ihn richtete. „Er hat einen zu starken Willen. Es wird dir nicht gelingen, ihn zu unterwerfen.“ Die Gefühle die Brooklyn im Moment für ihn empfand, ließen ihn erschaudern, aber auch als Freund war es seine Aufgabe ihn über sein Scheitern aufzuklären. Nur ihm gegenüber hatte Brooklyn seinen Plan geäußert, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet er ihm das wieder ausreden wollte. „Niemand hat einen so starken Willen. Er wird mir gehorchen. Er muss“, spuckte Brooklyn aus. „Und das sagst ausgerechnet du?“, sagte Garland jetzt mit fester Stimme und schaute ihm wieder direkt in die Augen. Die grünen Augen zogen sich zusammen und blitzten ihn wütend an, aber er wandte sich nicht wieder ab. „Selbst wenn es mir nicht gelingt, ihn zu beherrschen, so wird es Kai trotz allen zerstören.“ Nach diesen Worten stieß sich Brooklyn von der Wand ab und er verschwand in eine andere Richtung. Garland atmete aus und hoffte, dass er mit seinen Worten etwas bewirkt hatte. Es lag ihm fern, seinen Meister zu belehren, doch als Freund war es seine Aufgabe ihn über seine Fehler aufzuklären und Brooklyn würde einen großen Fehler begehen. Kai zerstören? Es würde Kai zwar in tiefe Trauer stürzen, aber er würde all seinen Hass auf Brooklyn richten und Garland konnte sich denken, dass dies irgendwann in dem Tod eines der beiden enden würde, dabei wollten beide nicht, dass der jeweils andere durch ihre Hand starb. Er hatte dieses Spielchen schon lange genug gesehen. Kai hasste Brooklyn. Brooklyn verachtete Kai. Aber keiner der beiden, wollte den Tod des anderen. Es war eine kranke und komplizierte Beziehung, welche die beiden führte. Aber was sollte er selbst darüber urteilen. Im Grunde war er nicht viel besser. Seine eigene Vergangenheit, die ihm heute zu dem machte, was er war, lag schon über hundert Jahre zurück. Geboren mit besonderen Kräften, in einen Dorf mit weltverschlossenen Menschen, war sein Schicksal schon früh von Hass und Verachtung begleitet gewesen. Als seine Eltern erkannten, dass ihr jüngster Sohn merkwürdige Aussagen machte und anscheinend mit Leichtigkeit Geheimnisse erkannte, hatten sie begonnen ihn förmlich von der Welt abzuschirmen. Sie wollten nicht, dass jemand dahinter kam, was mit ihren Kind nicht stimmte. Gleichzeitig konnten sie ihn aber auch nicht verstoßen. Sie waren von angesehenem Adel und der Verstoß ihres jüngsten Sohnes hätte ihnen nur Getuschel eingebracht. Oft wurde er gezüchtigt und eingesperrt, wenn er zum Beispiel anmerkte, wo verschollene Sachen zu finden waren oder wenn er den geheimen Gedanken eines anderen ausplauderte. Bereits im Alter von 10 Jahren war er deshalb zu einen Kind herangewachsen, dass nur selten sprach aus lauter Angst etwas falsches zu sagen. Als 15 jähriger galt er als Sonderling, weil er sich zurückzog und nie in die Nähe eines anderen Menschen kam, obwohl seine Eltern immer wieder Gesellschaften veranstalteten. Mit 20 Jahren dann, war er ein zurückgezogener junger Mann, der jeden mit hasserfüllten Blicken strafte, wenn er ihm zu nahe kam. Wie oft hatte er sich gewünscht alldem ein Ende zu setzen. Aber seine Eltern ließen ihn einfach nicht gehen und so war er gezwungen in der Nähe von Menschen zu bleiben, deren Gefühle und Gedanken er erspüren konnte. Es waren hohe Lehnsherren wie seine Eltern. Dekadent und verdorben bis ins Innerste. Ihre Seelen so offen vor sich liegen zu haben war eine Qual. In ihren Geistern herrschten nur Gier, Verachtung und Arroganz. Doch das änderte sich, als er eines Nachts von Schreien aus dem Schlaf gerissen wurde. Außerhalb seines Zimmers hörte er Todesschreie und eine Welle von Angst und Verzweiflung brach über seinen Geist herein. All diese Gefühle ließen seinen Kopf fürchterlich Schmerzen und er trat erst aus seinem Zimmer hervor, als die Schreie verklangen und die verstörten Gedanken von ihm abfielen. Als er auf den Flur hinaustrat, war alles ganz still und lag im Dunkeln. Mit vorsichtigen Schritten ging er den Gang entlang, von dem er glaubte, dass die Schreie von dort gekommen waren und kam schließlich im großen Saal an. Vom Geländer des Balkons aus, sah er hinab in den Saal. Was er dort sah, war seine Familie und die Bediensteten, welche dort auf den Boden lagen. Die Augen weit aufgerissen, die Münder noch wie zu einen Schrei geöffnet und die Haut so blass wie Schnee. Die einzige noch stehende Person drehte sich zu ihm herum und er erkannte einen jungen Mann mit orangen Haar und grünen Augen. Er starrte einfach nur zu ihm hervor und sagte kein Wort. Und er starrte nur zu ihm hinab. Er versuchte die Gefühle und Gedanken des Mannes zu erspüren, aber dieser war so ruhig, dass kaum etwas bei ihm ankam. Irgendwann bewegte sich dann der Mann. Er kam einen Schritt auf ihn zu und was ihn schockierte. Mit einem Sprung war er auf einmal auf den Balkon. Er schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück. „Stört es dich nicht, dass ich gerade deine Familie ermordet habe?“, fragte der Mann und schaute ihn interessiert an. Garland hatte damals nichts zu erwidern gewusst und nur mit den Schultern gezuckt. Ja, es war seine Familie, die nun Tod da unten lag, aber inwiefern sollte er um sie trauern. Außer Leid hatten sie ihm doch nichts gebracht. „Hast du keine Angst vor mir?“, kam die nächste Frage und wieder musste Garland angestrengt nachdenken. Jetzt so nah, versuchte er wieder die Gefühle des Fremden zu erkunden. Das was er erkannte, war so anders als das, was er bisher immer gespürt hatte bei Menschen. Es war… rein. Keine Hintergedanken, keine Geheimnisse, keine Verachtung. Dieser Mann hatte nur offene und ehrliche Gedanken. Auch wenn die Blutrünstigkeit nicht vor ihm verborgen blieb. Aber empfand er ihm gegenüber deswegen Angst? „Du bist anders“, bemerkte der Grünäugige. „Du hörst weniger auf meine Fragen, als das du vielmehr versuchst, die Antworten in mir zu finden.“ Dann lächelte er ein Lächeln, dass Garland auch noch heute faszinierte. Es war ein Lächeln ohne jede Nettigkeit. Ein Lächeln, das nicht von Freude sprach. Es war ein neugieriges Lächeln, das einen auf mehr warten ließ. „Möchtest du für mich arbeiten?“ Später erfuhr Garland, dass seine Familie vorgehabt hatte ein Grundstück zu kaufen, auf den Brooklyn zu dem Zeitpunkt mit seiner kleinen Gruppe von Anhängern gelebt hatte. Die Ermordung der gesamten Familie war für ihn leichter gewesen, als ein neues Heim zu suchen. Von Garlands besonderen Kräften hatte er nur Gerüchteweise gehört, aber er war neugierig auf sie gewesen und hatte ihn daher nicht sofort getötet. Garland hatte das Angebot von Brooklyn angenommen, weil ihn dieser Mann faszinierte. Er hatte ihn in einen Vampir verwandelt und ihn unter seine Fittiche genommen. Garland selbst hatte sich schnell einen Namen gemacht, als Brooklyns rechte Hand und ein Vampir ohne jede Skrupel. Sie waren noch lange in dem Gebiet geblieben und er hatte nur Verachtung und Hass für die Menschen dort übrig gehabt, die ihn lange Zeit so gequält hatten. Sei es wegen ihres offenen Abscheus ihm gegenüber, oder weil er ihre Gedanken als so falsch und widerwärtig empfand. Mit 100 Jahren an Lebensjahren, war er zudem noch abgestumpft und tote Menschen kümmerten ihn immer weniger. Ob nun etwas starb oder lebte. Was interessierte es ihm? Zudem hat er Gefallen daran gefunden, andere zu quälen. Die Gedanken eines jeden der dem Tod entgegen schaute oder furchtbare Qualen litt, waren getränkt von reinen Emotionen. Es ging um das pure Überleben und das war so viel besser, als die Hintergedanken von Menschen, die sich nur darum sorgten, wie sie ihr eigenes Wohlergehen noch steigern konnten. Doch jetzt war diese Zeit bedroht, denn Brooklyn hatte etwas vor, was alles verändern könnte. Er wusste, was sein Meister für Gefühle gegenüber Kai hegte. Keine Liebe, kein Hass. Es war etwas viel simpleres. Etwas, dass selbst 150 Jahre überdauert hatten. Und er wusste auch, dass Kai die gleichen Gefühle hatte. Ein empfindliches Gleichgewicht, das zerstört werden könnte, wenn Brooklyn jetzt zu emotional handelte. Dennoch hatte er einst einen Eid geleistet. Er hatte Brooklyn Treue geschworen. Treue zu der einen Person, die seine Fähigkeit nicht als Fluch verstand und der ihn dafür nicht verurteilte. Er würde ihn bis zum Ende zur Seite stehen, auch wenn dieses Ende, noch in dieser Nacht kommen würde. **^^** Woanders bewegten sich Tala und Kai über die Dächer der Stadt, während Ray auf seinem Motorrad durch die Straßen fuhr. Sie waren durch Headsets miteinander verbunden, so dass Ray ihnen immer genau sagen konnte, wo sie langzugehen hatten. Leider ging die Verfolgung des flüchtigen Vampirs nur langsam voran. Tala hatte ihn schwer verletzt und sie hatten ihm nichts zur Heilung gegeben, daher kam er nur langsam voran und musste auch hin und wieder Pause machen. Da sie nur in einen gegeben Abstand folgen konnten, weil sie sonst entdeckt worden wären, mussten auch sie immer wieder Pausen einlegen und darauf warten, dass er von selbst weiterging. Die Befürchtung der Verfolgte könnte unterwegs jemanden anfallen um Kraftreserven aufzufüllen hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Anscheinend war Mikhail schon belastet genug mit der Tatsache, dass er gefangengenommen worden war. Er würde es nicht wagen seinen Herrn länger warten zu lassen, indem er unterwegs vesperte. Hinzu kam noch, dass er wahrscheinlich immer noch entkräftet war und es sich auch nicht traute jemanden anzugreifen, der sich womöglich wehren konnte. In ihrem Versteck hatten sie bestimmt eine gut gefüllte Vorratskammer. Vielleicht sogar noch gefüllt mit lebenden Menschen. “Wir müssen wieder kurz halten", drang Rays Stimme in Kais Ohr. Sofort hörten Tala und er auf zu laufen und Kai ging auf die Brüstung des Gebäudes zu. Er sah wie Ray unten auf der Straße ebenfalls stoppte. „Das nervt“, sagte Kai ungeduldig. Jede Sekunde die sie warten mussten, bedeutete für Tyson eine weitere Sekunde in der Gewalt eines Psychopathen. „Musste die Wunde denn so schwer sein“, fragte er gereizt an Tala. Der schaute kurz verwundert und wurde dann sofort wütend. „Entschuldige“, meinte er sarkastisch. „Das nächste Mal lass ich mich verprügeln und gebe ihm nur ein paar Ohrfeigen.“ Kai wandte sich beschämt ab und murmelte eine Entschuldigung. Er war froh, dass Tala nichts weiter passiert war, die Bemerkung war nur Ausdruck seiner Angst um Tyson gewesen. Tala verstand Kais Befürchtungen und ging daher nicht weiter darauf ein. „Hört mal auf zu zanken, ich glaube, ich weiß was sein Ziel ist“, hörten sie wieder Rays Stimme in ihren Ohren. Beide waren sofort still und hörten auf. „Mikhail bewegt sich zielstrebig zum Rand der Stadt. Für Vampire ist das eigentlich kein besonders gutes Versteck, weil dort viele Familien leben. Aber wenn man weitergeht, dann kommt ein Hügel und auf diesen befinden sich ein paar alte Ferienhäuser. Früher waren sie häufig genutzt, doch das ist schon länger her und jetzt sind sie alt und renovierungsbedürftig. Weil die Abrissarbeiten aber teurer wären als die Erhaltung, haben die Besitzer die Häuser behalten und versorgen sie nur notdürftig. Leer stehende große Häuser, die nur selten oder gar nicht überprüft werden, in einer Gegend wo kaum noch jemand lebt. Das wäre doch perfekt für einen Clan.“ „Und würde zu Brooklyns Vorliebe passen, sich nicht in einer unwohnlichen Unterkunft nieder zu lassen“, erklärte Kai zu Ende. Er sah zu Tala und dieser nickte zustimmend. Dennoch mussten sie weiter Mikhail folgen, denn es waren gut ein Dutzend Häuser die sich dort befanden und sie durften keine Sekunde mit dem Absuchen von falschen Häusern verschwenden. Ray gab das Zeichen, dass es weitergehen könnte und sie rannten sofort wieder los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)