Assoziatives Schreiben von Ekolabine (Du liest nur einen Satz...) ================================================================================ Kapitel 5: Satz 17: Das Geheimnis im Meer ----------------------------------------- Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lärm, halb Industrie, halb Musik, ein Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es musste eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und später, wenn wir zum Frühstück ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen. Wenn ich die anderen Dorfbewohner fragte, ob sie auch diesen Lärm gehört hätten und was dass nur sein könnte, lautete die Antwort jedes Mal gleich: „Sei nicht Albern, Christoph. Da ist nichts. Das ist das Rauschen des Meeres.“ Unser kleines Fischerdorf lag direkt am Meer. Versteckt zwischen den Klippen in einer kleinen Bucht. Hinter uns erstreckten sich große Gebirgsketten, sodass wir nur schwer über das Land erreichbar waren. Das Meer war unsere Einnahmequelle. Fische, Muscheln und Algen. Wir verarbeiteten das, was uns das Meer gab. Mit vierzehn begannen die jungen Buben mit aufs Meer zu fahren und zu fischen. Während die Mädchen begannen das Tauchen zu lernen. Das war das besondere an den Frauen unseres Dorfes. Das Perlentauchen war überall bekannt, aber nur unsere Frauen konnten so lange und so tief tauchen. Manchmal nannten wir Männer sie spaßeshalber ‚unsere kleinen Ariellen‘. Wieder dieser Lärm. Halb Industrie und halb Musik. Ich blickte zum Fenster hinaus. Es war frühe Dämmerung und doch war wieder dieser Lärm da. Er klang wie quietschende Mechanik und schweißtreibende Arbeit. Er zog mich regelrecht heute Morgen an. Ehe ich mich versah, hatte ich mich schon angezogen und war leise aus dem Haus geschlichen. Meine Beine trugen mich einfach zu diesem Geräusch. Runter ins Dorf und weiter zum Strand. Dort lief ich entlang bis ich an die Klippen kam. Sie waren steil, doch das Geräusch lag direkt dahinter. Also begann ich an den glitschigen Klippen empor zu klettern. Das war etwas, was mir äußerst schwer viel. Ich hatte nie viel übrig fürs Klettern gehabt, lieber war ich in den rauschenden Wellen des Meeres gewesen. Jetzt war ich bereits zerschlissen und verkratzt. Doch meine Hände erreichte endliche die Waagrechte und ich zog mich hoch. Ich stand erstarrt da und blickte auf das Schauspiel, das sich mir bot. Vor mir eröffneten sich weitere Klippen und das tobende Meer. Doch mittendrin erhob sich machtvoll eine Fabrik aus dem Meer. Ihr heißer Dampf stieg in den Himmel und Nebel überzog das Wasser. Immer wieder gingen irgendwo irgendwelche Klappen auf und Dampf trat raus. Räder drehten sich und Maschinen erklangen im Gleichklang. Was war das für eine Fabrik und wieso wusste ich nichts von ihr, obwohl sie so nah zum Dorf lag? Lange stand ich da und blickte einfach nur fasziniert die Fabrik an, doch mit den ersten Sonnenstrahlen erloschen die Geräusche in der Fabrik. Ich wollte näher ran und schauen, warum die Fabrik zum Erliegen kam, doch da erblickte ich, wie ein paar Boote die Fabrik verließen. Ich duckte mich und linste verstohlen zu den Booten. Unseren Booten! Das waren Boote aus dem Dorf. Ich versuchte zu erkennen wer auf den Booten saß. Waren es Männer aus unserem Dorf? Als sie nahe meiner Klippe vorbei fuhren, erkannte ich auf dem ersten Boot den Dorfältesten. Auch andere Männer aus unserem Dorf waren dabei. Unter ihnen mein Onkel. Was hatte das nur zu bedeuten? Sollte ich zurück gehen und sie beim Frühstück im Dorf fragen? Oder sollte ich lieber versuchen, die Wahrheit selbst rauszufinden? Ich beschloss selbst die Wahrheit herauszufinden. Eine Zeit lang konnte ich auf den Klippen einfach entlang gehen, doch schon bald merkte ich, dass wenn ich in die Fabrik rein wollte, ich die Klippen runter klettern und einen Teil sogar im Meer schwimmen müsste. Also begann ich einen mühsamen Abstieg, bei dem ich meine Schuhe ganz zerriss und mir sogar die Fußsohlen aufritzte. Doch endlich war ich tief genug um ins Meer zu springen. Nun war ich in meinem Element. Das noch kalte Nass umgab mich und ich tauchte nur kurz auf, um Luft zu schnappen. Dann schon tauchte ich tiefer, wo das Wasser nicht so wild war und begann dorthin zu tauchen, wo die Boote rausgekommen waren. Es war schwer die Orientierung zu behalten, da das Wasser schwarz war, sodass ich immer wieder hochtauchen musste. Doch nach einer halben Ewigkeit hatte ich es geschafft. Ich schwamm an den Bug und kletterte empor. Meine Kleidung klebte nass und kalt an mir, doch das störte mich jetzt nicht weiter. Vor mir eröffnete sich ein kleines Tor, das ins Innere der Fabrik führte. Steile Stufen kletterten sich empor. Die Wände und der Boden waren warm. Im Inneren der Fabrik musste also ein Ofen sein. Leise schlich ich mich vorwärts. Hoffentlich war kein Wächter oder ähnliches hier. Doch ich traf niemanden, während ich mich weiter ins Innere der Fabrik wagte. Überall verliefen Rohre, durch die heißer Dampf schoss. Manche waren geflickt, andere nagelneu. Hier drinnen war es so warm, sodass ich die Kälte meiner Kleidung nicht mehr spürte. Ich kam auch an dem riesigen Ofen vorbei. Er war von allen Seiten verschlossen und kein Fenster war zu sehen. Auch keine Öffnung in die man das Holz oder die Kohle schmeißen konnte. Die Rohre, die von diesem Ofen weggingen, führten weiter in den nächsten Raum. Neugierig folgte ich ihnen und betrat eine Halle. Hier waren neun Wassertanks aufgestellt, jeder umhüllt mit einem weißen Leinentuch. Ich trat vor den ersten und lass am Boden das Schild: Bylgia, die Woge. Am nächsten stand: Blodughadda, das blutige Haar. Doch einer der Namen fiel mir komisch auf: Ruth, die seichte Welle. Ruth. So hieß meine kleine Schwester, die bei einem Sturm ertrank. Das war das Los, wenn man mit dem Meer zusammenlebte. Manchmal konnte es einfach grausam sein. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr. Ich schreckte hoch und sah mich um, doch es war niemand da. Ich spürte, dass ich nicht allein war und plötzlich sah ich die schattenhaften Bewegungen hinter den Leinentüchern. Ich drehte mich um und hob das Tuch sachte hoch, um es dann gleich wieder fallen zu lassen. Ich hatte eine Fischflosse gesehen. Waren in diesen Wassertanks etwa Fische? Ich nahm das Tuch und riss es einfach nun runter von dem Tank. Mein Schrei musste in der kompletten Fabrik zu hören gewesen sein. Ihr seidiges Haar umrahmte ihr Gesicht, auf dem immer noch zarte Sommersprosen zu sehen waren. Wie damals… Sie war nackt, nur ihr Haar bedeckte ihren Körper. Sie war älter geworden, doch die schokoladenbraunen Augen waren immer noch dieselben. Diese starrten mich nun verwirrt an. Ich stand immer noch geschockt dran. Ihr jugendlicher Oberkörper ging ab den Bauch in eine Flosse über. Eine Fischflosse! Genauer gesagt in die Flosse eines Orcas. Hinten schwarz und vorne am Bauch ein weißer Fleck. Langsam kam ich näher und legte die Hände gegen das Glas. Zaghaft fragte ich nun: „Ruth? Schwester?“ Sie sank auf meine Gesichtshöhe und schaute mich traurig an. Schließlich kam ein zaghaftes Nicken. Ihre Augen wurden rot und sie blickte nun zu den anderen Tanks. Ich verstand und begann nun überall die Tücher zu entfernen. In jedem Tank war ein Mädchen mit Flosse drin. Einige schon erwachsene Frauen, andere noch zarte Mädchen im Kindesalter. Jede hatte eine andere Art von Flosse, doch allesamt hatten sie lange wunderschöne Haare. Als ich das Tuch von „Drofn, schäumende See“ abzog, schlug diese sofort mit ihren Händen gegen das Glas und schrie in wildem Zorn. Ihre Stimme war beißend hoch und tat in meinen Ohren weh. In meinem Herzen bildete sich Traurigkeit. Traurigkeit und auch Wut. Ich wollte diese Mädchen hier befreien. Sie aus dieser Enge herausholen. Verzweifelt blickte ich mich um und suchte nach einer Möglichkeit das Glas zu zersplittern. In einer Ecke standen noch ein paar Ersatzrohre. Eines davon griff ich nun und begann gegen Ruths Tank zu schlagen. Bald schon gab das Glas nach und zersplitterte. Das Wasser verteilte sich auf den Boden. Federleicht glitt sie in meine Arme und ich begann sofort zügig nach draußen zu rennen. Trotz ihres geringen Gewichtes glitt Ruth mir immer wieder aus den Armen. Sie war glitschig wie ein Fisch und zitterte am ganzen Körper. Dennoch schaffte ich es die letzten Stufen der Treppe zu meistern und ließ meine kleine Schwester ins Wasser gleiten. Hinter mir erklangen Signaltöne aus der Fabrik. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)