Sympathy with the Devil von Saya_Takahashi (~Eine Geschichte über die unsterbliche Liebe~) ================================================================================ Kapitel 5: Hab vertrauen ------------------------ Sakura hasste ihr Leben. Sie hasste alles was sie war und alles was sie tat. Schon eine Weile hatte sie sich nicht mehr den Gedanken hingegeben, warum gerade sie so ein Leben haben musste. Nun saß sie auf einer Bank inmitten eines kleinen Parks, wurde von Minute zu Minute nasser und sah starr vor sich her. Und das einzige, was sie im Moment beschäftigte war: Warum sie? Als ihr Vater noch lebte, war alles so schön gewesen. Ein perfektes Leben, eine perfekte glückliche Familie ... Es stand ihr eine perfekte Zukunft bevor. Und dann änderte sich alles auf einen Schlag. Ihr Vater verunglückte tödlich, ihre Mutter heiratete wieder, ihr Stiefvater war gewalttätig. Kein perfektes Leben mehr, keine perfekte Familie ... Keine perfekte Zukunft, die ihr bevorstand. Es existierte überhaupt keine Zukunft mehr für Sakura. Und damit fand sie sich ab. Verschwendete keinen Gedanken mehr an Dinge, die sie nicht haben konnte. Was man nicht besaß, konnte man nicht vermissen. Ein sehr altkluger Spruch. Doch im tiefsten Inneren wusste Sakura noch, was Liebe, Glück und Zuneigung war. Und dafür hasste sie sich. Könnte sie diese Gefühle endlich vergessen, wäre der Schmerz einfacher zu ertragen. Sie würde sich nicht mehr danach sehnen. Würde endlich auch ihre letzten Hoffnungen begraben können. Denn das musste Sakura sich eingestehen, sie hatte immer noch Hoffnung. Sie würde es nicht laut aussprechen, aber sie lagen verborgen und warten noch immer darauf, dass es eines Tages besser werden könnte. Sie war so dumm, so naiv. Wie könnte etwas besser werden? Wo sie sich doch gegen jede Besserung sträubte. Es war alles so paradox, und doch verständlich. Sakura wurde von Schuldgefühlen aufgefressen. Ihre Mutter starb, um sie zu beschützen. Wäre Sakura nur stärker gewesen, mutiger oder einfach eine bessere Tochter, dann wäre alles womöglich ganz anders gekommen. Vielleicht hätte es dann eine perfekte Zukunft geben können. Die Rosahaarige seufzte gequält und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Der Regen tropfte von ihren Haaren und vermischte sich mit ihren Tränen. Sie hatte gehofft, hier auf Okinawa Honto in Ruhe ein normales Leben leben zu können, es wenigstens zu versuchen. Aber alles war so schnell passiert. Das Schicksal hatte ihr keine Ruhe gegönnt. Warum machte sie immer alles falsch? Warum hoffte sie immer wieder aufs Neue? Sakura fröstelte und schlang die Arme um sich. Sie war so übereilt davon gestürzt, dass sie nicht an eine Jacke gedacht hatte. Sie sollte also zurück in diese verfluchte Klinik ... Entweder dass, oder sie musste sich hier den Menschen stellen. Beides kam einem Todesurteil gleich, doch Sakura wusste nicht, was sie tun sollte. Bliebe sie hier, würde es genauso werden wie in Tokio. Man würde über sie reden, es würden immer mehr Gerüchte aufkommen, verachtende Blicke die ihr entgegenkamen. Furcht, Hass, Abscheu. Man behandelte sie wie ein Monster. Und wenn sie wieder in die Klinik ginge? Sich der Gefahr aussetzen, den Verstand vollkommen zu verlieren? Mit Medikamenten zugestopft werden, die einen benebeln und nicht mehr klar denken lassen? Die einen Dinge einreden, die nicht existieren? Die nicht existieren können, weil sie unrealistisch sind? Noch heute, Wochen nach ihrem Klinikaufenthalt, hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass es stimmen konnte. Das es Menschen gab, die keine waren. Die anders waren. Doch es war absurd! Sie hatte sich diesen Mann damals eingebildet, es gab keine andere Möglichkeit. Sie war kein Kind, dass noch an Märchen glaubte. Und trotzdem verdankte sie dieser unwirklichen Gestalt ihr Leben. Wäre er ihr nicht Nacht für Nacht in ihrem Zimmer erschienen, sie wäre an sich selbst zerbrochen. Aber es war schier unmöglich, dass es diesen Mann gab. Er hätte nicht in den Raum kommen können. Und niemand kannte ihn. Man hatte sie für verrückt erklärt und nur die Dosis erhöht, aber wieder kam er. Und durch ihn hatte sie es überstehen können. Eine Einbildung, entstanden durch ihren verzerrten Verstand, der sie vor dem Schlimmsten bewahrte. Ironie des Schicksal? Er bewahrte sie vor dem, was nur durch ihn geschah. Hätte sie ihn nicht erwähnt, hätte man sie nicht für geistig labil gehalten. Zumindest nicht in diesem Maße ... Sakura zitterte, ihre Sachen klebten mittlerweile an ihrem Körper. Dieser Ort passte zu ihr und ihren Gefühlen. Das Wetter war ständig schlecht, verregnet und neblig. Allerdings nur im Herbst. Gab es für sie auch einen Frühling? Sakura schüttelte es regelrecht, doch sie erschrak, als sie plötzlich spürte, wie sich etwas warmes um ihre Schultern legte. Sie sah zu ihrer rechten, direkt in Sasukes blasses Gesicht. Er sagte nichts, sondern setzte sich nur schweigend neben sie. Seine Jacke hielt nun die gröbste Nässe von ihr fern. Sakura stießen neue Tränen in die Augen. Okinawa Honto hatte seine Überraschungen für sie parat gehabt. Sie war Naruto begegnet, ihren alten besten Freund aus glücklichen Kindertagen. Und Sasuke, der immer dann da war, wenn sie Hilfe brauchte. Sie mochte ihn, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. Und er hatte etwas geheimnisvolles an sich, dass sie verzauberte. Verzauberte und erinnerte. An den Menschen, den sie in der Klinik sooft begegnet war. Auch wenn es nur eine Fantasie ihres gepeinigten Verstandes war. Mehrere Minuten saßen die beiden einfach nur schweigend nebeneinander. Es war, als wären sie Statuen dieses Parks. "Was ...", Sakura schluckte und suchte nach den richtigen Worten. "Was würdest ... du tun?", fragte sie leise, ohne ihn anzusehen. Der Schwarzhaarige schloss die Augen. "Das weißt du. Die Wahrheit sagen ... und nicht mehr wegrennen", gab er ebenso still zurück. Doch so ganz stimmte das nicht. Er würde vermutlich eher mit todbringender Gewalt reagieren. Das konnte er ihr nur nicht sagen. Sie war ein Mensch. Er würde es zwar für sie machen, aber damit brächte er das Mädchen nur noch in mehr Schwierigkeiten. Und Itachi würde es nicht gut heißen. "Aber ...", Sakura schüttelte angespannt den Kopf. "Das schaff ich nicht ..." Sasuke lachte leise. "Natürlich schaffst du das. Und wenn du deinen Hitzkopf mal vergessen könntest, dann wüsstest du auch, dass du Freunde hast, die dir helfen werden." "Naruto müsste mich hassen, so gemein wie ich zu ihm war!", sagte Sakura bitter. "Naruto ist ein guter Kerl. Er ist dir nicht böse. Für ihn wäre es viel schlimmer, wenn du jetzt einfach wieder verschwindest." Sakura zog scharf die Luft ein. "Glaubst du, sie würden mir glauben?" Sasuke seufzte. "Es wird vermutlich eine Weile dauern. Aber ich glaube dir, und Naruto und Hinata auch. Du bist hier nicht allein." Sakura zwang sich zu einem Lächeln. Verdammte, unzerstörbare Hoffnung ... "Jetzt lass uns zurück gehen, du wirst nur krank", sagte Sasuke und erhob sich. Sakura nickte. "Ich hab dir wieder Ärger gemacht. Du bist nass geworden ..." Der Uchiha grinste. "Das macht mir nichts. Und im Gegensatz zu dir bin ich noch trocken." "Hm", Sakura überlegte. "Ist ... Herr Sakamoto wütend gewesen?" Sasuke schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf. "Aber er macht sich Sorgen." "Hm." "Jetzt mach dir nicht tausend Gedanken mit einmal. Zuerst sollten wir aus dem Regen raus. Dann solltest du dir eine Woche Urlaub nehmen. Und Sakamoto deine Entscheidung mitteilen." "Meine Entscheidung?" "Dass du hier bleiben wirst." "Wann habe ich das denn entschieden?" Sasuke grinste Sakura vielsagend an. "Wirst du bleiben?" Die 19-jährige blickte den gut aussehenden jungen Mann an. Sie hatte Mühe, sich nicht in seinen einnehmenden Augen zu verlieren. Langsam senkte sie ihren Kopf. "Ja", gestand sie und seufzte erschöpft. "Vorerst", fügte sie aber noch hinzu. Genervt saß Sakura am Küchentisch und würgte sich ihren Toast hinter. Ihr gegenüber saß, wie schon am Tage zuvor, Sasuke und wartete geduldig, dass sie fertig wurde. Sakura schnaubte innerlich. Scheinbar hatte es sich dieser Kerl zur Aufgabe gemacht, ihr nicht mehr von der Seite zu weichen und auf die Nerven zu gehen. Womit hatte sie das verdient? Sie frühstückte normalerweise nicht, aber Sasuke bestand darauf. Genauso wie er darauf bestand, ebenfalls die Vorlesungen zu schwänzen, und ihr somit stundenlang Gesellschaft zu leisten. Und nach draußen zu gehen, was Sakura am meisten störte. Gestern hatte er sie dazu genötigt, durch den Park zu spazieren und einzukaufen, denn er hatte ihren leeren Kühlschrank missbilligend bemerkt. Was er heute vor hatte, wollte er ihr nicht verraten. Doch Sakura würde dazu keine Lust haben, das konnte sie jetzt schon sagen. Mittlerweile wussten scheinbar alle Einwohner des Vorortes über ihre Geschichte bescheid und dementsprechend waren die Reaktionen, wenn sie jemanden auf der Straße begegneten. Böse, vernichtende Blicke. Entsetzte Blicke. Und doch sprach sie niemand an, wurde ihr gegenüber ausfällig oder agressiv, wie sie es in Tokio erlebt hatte. Innerlich wusste sie, dass sie das Sasuke verdankte. Nur sein Blick übertraf den der vorbeigehenden Passanten an Tödlichkeit, wenn sie Sakura wütend ansahen. Solange er neben ihr herlief, würde es sich kaum jemand wagen, in ihre Nähe zu kommen. Und auch wenn sie sein umsorgendes Verhalten nicht verstehen konnte, empfand sie Dankbarkeit, ja sogar Geborgenheit. Alles schien erträglicher in seiner Anwesenheit. Und genau das machte ihr Angst. Angst, wieder eine Bindung einzugehen, die am Ende schmerzhaft endete. Und am Schluss endete alles schmerzhaft. Sakura schluckte den letzten Bissen ihres Toasts hinunter und sah Sasuke nun mürrisch an. "Können wir es jetzt hinter uns bringen?" Der Uchiha lachte. "Du hast wirklich zu nichts Lust, oder?" "Nein", war die ehrliche Antwort. "Und du bist von so einer kleinen Scheibe satt?", fragte er ungläubig. Er erinnerte sich nur noch schwach an sein Menschendasein, aber trotzdem wusste er von Naruto, was ein "normaler" Mensch verdrücken konnte. "Lass uns bitte einfach gehen, ja?", stöhnte Sakura entnervt. "Gut, aber dann will ich keine Beschwerden hören, wenn wir zum Mittag Essen gehen." "Essen gehen?" Sasuke nickte, als wäre damit alles gesagt. "Ich gehe nicht essen!", protestierte Sakura, der bei dem Gedanken fast Übel wurde. Zum einen war Essen für sie eine Nebensächlichkeit, mit der sie nicht unnötig Zeit vergeuden wollte, zum anderen würden nicht nur sie und Sasuke essen gehen ... genug Leute, die sie feindselig anglotzen konnten! "Sei nicht albern. In Naha soll es ein sehr gutes Restaurant geben." Naha?? "Ich gehe nicht nach Naha!", fassungslos sah Sakura ihr Gegenüber an. "Du sollst nicht gehen, wir werden fahren." "Sasuke, bitte! Naha ist der letzte Ort, wo ich jetzt hin will!" Doch Sasuke erhob sich bereits. "Es wird dir niemand zu Nahe kommen, das verspreche ich dir." Sakura zögerte. Sie wollte protestieren, aber Sasuke hatte so etwas beschützendes an sich, dass ihr die Worte im Halse stecken blieben. Sie kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass sie sich wohl bei ihm fühlte. Und das durfte sie nicht zu lassen! Trotzdem gab sie Kleinbei, zog sich ihre Jacke an und folgte dem Schwarzhaarigen nach draußen. "Hast du ein neues Auto?", fragte sie verblüfft, als sie vor einem schwarzen Honda stand, der schon fast verboten teuer und schnell aussah. Und natürlich bis aufs Letzte poliert ... Sasuke schüttelte den Kopf, als er ihr die Tür aufhielt. "Das ist meiner, der andere gehört Itachi. Er ist damit heute zur Arbeit." "Was arbeitet dein Bruder denn?", fragte Sakura, als sie sich auf den ledernen Sitz fallen ließ, darauf bedacht nichts schmutzig zu machen. "Ingenieur", erwiderte Sasuke und stieg selbst ein, startete den Motor und fuhr los. "Und was machen wir in Naha?", wechselte Sakura sprunghaft das Thema. "Essen gehen." "Und davor? Ich hab doch eben erst gegessen." "Auch essen." Sakura zog die Braue nach oben. "Deswegen fahren wir extra nach Naha?" "Du isst zu wenig. Vielleicht liegt das an dem Essen hier und in Naha schmeckt es dir besser." Die Rosahaarige runzelte die Stirn. Sasuke hatte das mit einer Ernsthaftigkeit gesagt, dass sie fast glaubte, es könnte der Grund sein. Aber nur fast ... "Was ist in Naha, Sasuke?" Nun lächelte der Uchiha leicht und sah Sakura amüsiert an. "Das wirst du doch bald sehen. Sei nicht so neugierig." "Ich mag keine Überraschungen!", maulte Sakura beleidigt. "Und außerdem ist Neugierde keine Sünde!" "Oh, wollen wir jetzt über Sünden reden?", witzelte Sasuke. Sakura schnaubte. "Ja, über deine Sünde, viel zu schnell zu fahren!" "Entschuldige, aber auf einer verlassenen Straße wie dieser bietet es sich an." "Und wenn dich die Polizei anhält?", wollte Sakura überlegen wissen. "Die würden mich kaum einholen ..." "Du bist unmöglich!" "Und du nur am Nörgeln! Vertrau mir einfach, ich hab alles unter Kontrolle. Ich hatte bisher noch nie einen Unfall, und ich fahre schon verhältnismäßig lange ..." "Tse, wie alt bist du denn? 20? 21?" "20", war die knappe Antwort des Uchihas. Ja, 20 und Zweihundert Jahre ... "Wie lange kannst du da schon fahren, hä?" So lange, wie es Autos gibt ... "Kannst du fahren?", wollte Sasuke nun wissen. Er warf Sakura einen interessierten Blick zu. Die junge Frau schüttelte den Kopf, als Sasuke abrupt abbremste. Sakura fiel unsanft nach vorne, aber der Gurt verhinderte das Gröbste. "Was zum Kuckuck machst du denn?", keifte sie los, als das Auto zum stehen kam. Sasuke warf ihr einen grinsenden Blick zu und stieg keine Sekunde später aus. Er lief um den Wagen herum und öffnete Sakuras Tür. "Na los, dann bring ich es dir bei!" Sakuras Augen starrten den Schwarzhaarigen panisch an. Hatte sie gerade richtig gehört? War das sein Ernst? Konnte das irgendjemandes Ernst sein? "Oh nein!", energisch schüttelte sie den Kopf, doch Sasuke drängte sich bereits auf ihren Sitz. "Lass das, bitte Sasuke, mach nicht solche Scherze!", Sakura saß nun am Lenker, rührte sich aber sonst kein Stück. "Ich werde ganz bestimmt nicht fahren!" "Wieso nicht? Du bist alt genug, du solltest es können", meinte Sasuke. "Ich kann es aber nicht, und ich will es nicht!" "Es wird dir Spaß machen, du wirst sehen. Nur ein kleines Stück, versuch schon!" "Nie im Leben!" "Sei keine Memme!" Memme?? "Du hast ja gar keine Ahnung!", Sakura kochte nun. Sie als Memme zu bezeichnen war unerhört! "Aber es ist doch gefährlich, ich könnte uns gegen einen Baum fahren, oder wenn ein anderes Auto kommt ..." "Du sollst ja auch nicht Fluchtwagen spielen", Sasuke seufzte. "Nur anfahren, das reicht für den Anfang." "Anfang?" Sasuke grinste vielsagend, beließ es aber dabei. "Und es passiert schon nichts. Der Wagen hält einiges aus." "Und wenn ich nun eine Schramme reinfahre? Wie soll ich das bezahlen? Ich bin nciht versichert, ich habe keinen Führerschein und ..." "Jetzt mach mal halblang", fuhr Sasuke dazwischen. "Na los, Kupplung treten, Gang rein und ganz langsam kommen lassen ..." Sakura schluckte schwer. Ihre Hände zitterten vor Aufregung, als sie den ersten Gang einlegen wollte. Doch das war schwerer, als gedacht. "Wo soll der erste Gang sein?", fragte sie entsetzt, denn mysteriöserweise fand sie ihn nicht. Sakura sah sich und Sasuke schon auf den Abschleppdienst warten ... "Du stellst dich aber wirklich an", lachte der Schwarzhaarige nur, legte seine Hand auf ihre und half ihr, den ersten Gang zu finden. Sofort schoss Sakura das Blut in den Kopf, und wäre Sasukes Hand nicht stärker gewesen, hätte sie ihre sofort weggezogen. Mit hochroten Gesicht blickte die junge Frau starr auf die Straße und spürte, wie trocken ihre Kehle wurde. 'Du musst schlucken', erinnerte sie sich in Gedanken, doch alles in ihr war wie versteinert. Was bildete sich sich dieser verdammte Kerl ein, sie zu berühren? Seine Hand auf ihre zu legen. Und wann hatte er vor, sie zurückzunehmen? "Ich ... brauch meine Hand ... fürs Lenken", stotterte Sakura einige qualvolle Sekunden später und amüsiert ließ Sasuke sie gehen. Belustigt schüttelte er den Kopf. Ihn hatte es natürlich vollkommen kalt gelassen ... Doch das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn auch wenn er nach außen hin lässig wirkte, hatte ihn seine eigene Geste eben verwirrt. Genauso gut hätte sie den Gang irgendwann alleine gefunden. Er hätte es nicht tun müssen. Aber er hatte es getan. Warum? Und noch seltsamer war, was es in ihm bewirkte. Wie es sich angefühlt hatte. Irgendwie richtig ... "Sasuke? Sasuke??", riss Sakura ihn plötzlich aus seinen Gedanken und als der junge Mann aufsah, konnte er nur noch schnell ins Lenkread greifen, damit sie nicht im Graben landen würden. Als der Wagen wieder sicher geradeaus rollte, ließ er das Lenkrad los und setzte sich wieder in seinen Sitz. "Du machst es doch wunderbar", grinste er Sakura an, die leichenblass wirkte. Der Graben war nicht gerade flach gewesen ... "Ich will hier raus", wisperte die Rosahaarige, währenddessen ihr Blick weiterhin starr die Straße fixierte. "Du fährst gerad mal 15 Kmh, langsam solltest du etwas beschleunigen", schlug Sasuke unbeeindruckt vor. Beschleunigen?? Sakura wurde noch blasser, falls das möglich war, und Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. "Können wir nicht lieber anhalten?", ihre Stimme klang beinah piepsig und der Uchiha musste wirklich an sich halten, nicht zu lachen. Er wusste, was das Sakura gerade abverlangte. Es lag nicht nur daran, dass sie noch nie gefahren war, sondern auch weil sie kein bisschen Selbstvertrauen besaß. Weil sie innerlich ein kleines, eingeschüchtertes Mädchen war, dass weder sich noch anderen vertraute. Sie hatte es vollkommen verlernt, sich auf Neues einzulassen. Sich selbst etwas beweisen zu wollen. Zu zeigen, dass sie etwas schaffen konnte, wenn sie nur wollte. "Jetzt drück mal aufs Gas, der Wagen säuft ja gleich ab", bemerkte Sasuke, als die Nadel sich gen 10 bewegte. Das musste auch für seinen Honda Neuland sein ... Sakura jedoch schüttelte trotzig den Kopf. "Sag mir bitte, wie man anhält", es sollte herrisch klingen, doch ihre zitternde Stimme war kaum mehr als ein angstvolles Flüstern. Sasuke seufzte, doch anstatt Sakura den ersehnten Wunsch zu erfüllen, drückte er seine Hand nun gegen ihr rechtes Bein ... "Oh Gott, was tust du?", Sakuras eben noch so zarte Stimme erwachte in Todesangst zu einem kreischenden Fluchen, als der Wagen immer schneller wurde und Sasuke nicht einmal mehr aus der Scheibe nach vorne sah, sondern weiterhin ihr Bein festhielt. "Lass los, bist du verrückt? Willst du, dass ich uns umbringe?!", der Panik folgte die Wut, denn mittlerweile zeigte der Tacho ganze 70 Kmh an, und lief immer mehr auf die rechte Seite zu. "Ich will dich ja nur animieren ...", Sasuke kam nicht umhin, zu schmunzeln. "Animieren?", keuchte Sakura. "Gott ...", entfuhr es ihr plötzlich und hektisch versuchte sie, ihr Bein zurückzunehmen, doch nichts rührte sich. "Gott, Sasuke lass sofort los! Da kommt eine Kurve, hörst du!" "Die schaffst du schon", grinste der Uchiha, obwohl er innerlich mit sich zu kämpfen hatte. Sollte etwas passieren, würde er mit Sicherheit heil aus dem Wagen steigen, aber Sakura nicht. "Oh nein", Sakura verkrampfte sich. "Sasuke, bitte, da kommt noch ein Auto auf der anderen Seite ..." "Dann bleib auf deiner Spur." Sakura bebte mittlerweile vor Angst. Das war einfach zuviel für ihre Nerven. "Ich ..." "Ich vertraue dir, Sakura", sagte Sasuke leise. Und er meinte es auch so. Er vertraute ihr wirklich. Jetzt musste nur noch sie selbst vertrauen in sich haben ... Sasuke spürte, wie das Auto langsam in die Kurve ging. Sakura sagte kein Ton und er sah sie nicht an. Dann hörte er das erlösende Geräusch des vorbeisausenden Wagens. Sie waren nicht kollidiert. Langsam nahm er seine Hand von Sakuras Oberschenkel und richtete sich wieder auf. Der Wagen wurde immer langsamer und schließlich nahm Sasuke den Gang raus und das Auto hielt an. Sakura sagte kein Ton, obwohl Sasuke mit einem Donnerwetter gerechnet hatte. Das blanke Entsetzen stand dem Mädchen ins Gesicht geschrieben. Sie ließ den Kopf auf den Lenker fallen und atmete sichtbar tief ein. Sasuke musste schlucken. Er hatte es wohl übertrieben ... "Sakura?" Doch die Angesprochene rührte sich nicht. Er streckte langsam die Hand nach ihr aus, nicht das sie ihn Ohnmacht gefallen war ... Doch mit einmal drehte sie den Kopf in seine Richtung, und hätte Sasuke ein schlagendes Herz gehabt, es wäre ihm just in diesem Moment stehen geblieben ... Sakura lächelte. Sie lächelte und zum ersten mal war es kein trauriges verziehen der Mundwinkel. Sogar ihre Augen glänzten etwas und ließen erahnen, welch beeindruckenden Glanz sie einst gehabt haben mussten. Sasuke kam nicht drumrum, sich von ihr in den Bann ziehen zu lassen. Ihr Lächeln fesselte ihn regelrecht und ließen einiges in ihn erwachen. Menschliche Gefühle. Sehnsucht nach Nähe. Ihre Nähe. Er konnte es kaum beschreiben, aber dieses Mädchen schien etwas in ihn zu wecken, was längst vergraben gewesen war. "Ich bring dich dafür noch um", sagte Sakura mit liebreizender Stimme und lachte leicht. "Aber erst einmal Leben wir, ich fass es nicht ..." Sasuke konnte sie nur ansehen. Hatte er sie überhaupt einmal lachen hören? "Was ist? Warum starrst du mich so an?", fragte die Rosahaarige verdutzt. "Wir haben es doch wirklich überlebt, oder sind wir tot? Hab ich was verpasst?" Sasuke schüttelte grinsend den Kopf und schloss die Augen, um sich von ihr zu lösen. "Nein, aber ich habe eben festgestellt, dass du Lachen kannst." Sakura sah ihn perplex an, dann bemerkte sie es selbst. Es war aus ihren Mund gekommen. Es waren ihre Töne gewesen. Ein ehrliches, erfreutes Lachen. Konnte es möglich sein? Noch bevor ihre Mutter starb, hatte sie keinen Grund mehr zum Lachen gehabt. Und jetzt, über vier Jahre später lachte sie, weil sie eine Autofahrt überlebt hatte? Das musste sie erst einmal verarbeiten ... Das, und das Gefühl, als Sasuke sie berührt hatte. Ihr war heiß und kalt gleichzeitig gewesen. Sie hatte sogar die Panik vergessen. Und er hatte gesagt, dass er ihr vertraute. Nur ein einziger Mensch hatte jemals gesagt, dass er ihr vertraute. Ihr Vater, vor vielen Jahren. "Ich ...", begann sie stammelnd und nach Worten suchend. Irgendwie wollte sie es ihm erklären, aber sie wusste nicht wie. Doch Sasuke schüttelte nur sanft den Kopf. "Ich weiß, was du sagen willst ..." Sakura nickte dankend. Sie fühlte sich verstanden. Ernst genommen. Und sie war seit langem wieder über ihren Schatten gesprungen. Erneuert bildete sich ein Lächeln in ihrem Gesicht, als sie ausstieg und mit Sasuke die Plätze wechselte. Das würde sie ihm so schnell nicht vergessen. Abgesehen davon, dass er sie in eine todbringende Situation gezwungen hatte, hatte er ihr aber auch gezeigt, dass sie sich selbst vertrauen konnte. Das sie etwas schaffen konnte. Und das andere an sie glaubten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)