Ta Sho von Turbofreak (Wiedergeboren) ================================================================================ Kapitel 1: damals ----------------- Whole lot of Leaving Die Sommertage waren erfüllt von Freude und Lust am Leben. Überall im Neuen Grenzland herrschte Frieden. Eine schöne Zeit. Die Siedler bewohnten inzwischen immer mehr weit entfernte Planeten, machten sie bewohnbar. Alle machten das Beste aus der Situation und waren glücklich damit. Überall sprühte das Leben und zeigte sich von seiner besten Seite. Überall im Universum… Abgelegen lag die kleine Ranch im Bundesstaat Texas, aber das störte die Besitzer nicht. Im Gegenteil. Sie hatten sich dieses Fleckchen Erde ausgesucht, eben weil es weit und breit nichts außer Natur gab. Selten verirrten sich Fremde hier heraus, sogar ihre Nachbarn bekam die Familie nur ab und an zu sehen. Sie unterhielten eine große Viehherde und einige Pferde, um die sie sich liebevoll kümmerten. Auf der Koppel tat sich an diesem späten Nachmittag etwas. George hatte seinen Sohn auf den Rücken eines Pferdes gesetzt und führte dieses nun im Kreis herum. Sein Junge war kaum vier Jahre alt, aber hatte es schon faustdick hinter den Ohren. Der Racker liebte die Natur und hatte bereits jetzt einen guten Draht zu Tieren. So saß er ohne Sattel auf einer Norikerstute und quietschte vergnügt vor sich hin. Als er bemerkte, dass seine Mutter am Zaun der Koppel lehnte und sie beobachtete, vollführte der Dreikäsehoch Kunststücke auf dem Rücken des Pferdes und jubelte, was das Zeug hielt. Er riss eine Hand in die Höhe und lachte: „Hallo, Mama! Schau mal.“ „Sei vorsichtig, mein Junge.“, beunruhigt beobachtete Joanna den Übermut ihres Sohnes. Der kleine Mann hatte eine Frohnatur und einen angeborenen Hang zur Komik. Kaum war jemand zu sehen, vollführte der Junge allerhand Zirkuskünste und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Nicht selten landete er dabei auf der Nase. Und nun saß er auf dem Rücken eines großen Norikers und hielt sich nicht einmal ordentlich an der Mähne des Pferdes fest. Der dunkelblonde, vier Jahre alte Junge, rutschte ungeduldig auf dem Rücken umher und bettelte seinen Vater an: „Schneller, Papa! Das macht Spaß.“ George nickte kurz und vergewisserte sich, dass sich sein Junge gut festhielt, ehe er dem Pferd einen leichten Klaps gab und es in die nächste Gangart wechselte. Der Farmer liebte es, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Tage wie dieser waren selten, denn er war mit den Cowboys oft auf den Weiden, um nach den Kühen zu sehen. Das Leben als Farmer im Westen Texas‘ war hart und entbehrlich, aber es war fernab der Stadt und des Lärms. George empfand sein Leben als ausgefüllt und glücklich. Seine Frau sah das genauso. Nur der Sohn konnte sich noch etwas Schöneres als das vorstellen. Er riss beide Hände in die Höhe und jubelte: „Schau, was ich kann, Mama!“ Joanna schüttelte den Kopf. Er würde es nie lernen. Wie oft hatte sie ihrem Sohn schon gesagt, er solle vorsichtiger werden, aber er wollte nicht hören. Bis er wieder auf der Nase landete. Der werte Herr Papa sah das anders. Während sich Joanna Sorgen machte und das nächste Unglück bereits herbeieilen sah, lachte George übermütig auf: „Schatz, der wird bestimmt mal zum Rodeo gehen.“ Ungeachtet dessen begann der kleine Reiter auf dem Hals seines Pferdes herum zu tätscheln. Er hielt die Stute an: „Kathi hü… Schneller, Hotti!“ „Colt, sei lieb zu Kathrin.“, George griff nach den Händen seines Sohnes und zog sie bestimmt vom Hals des Pferdes weg. Die Stute mochte die Gutmütigste in ihrem Stall sein, aber unnötig reizen musste man sie deshalb nicht. Der Lockenkopf hielt sich daraufhin wieder in der Mähne des Pferdes fest. Aber einmal musste er doch noch über den Hals des Pferdes streicheln: „Liebe Kathi.“ Kopfschüttelnd wandte sich Joanna von der Koppel ab. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie gesagt, Colt wäre auf dem Rücken eines Pferdes geboren worden, so wohl, wie er sich dort fühlte. Er brauchte keinen Sattel, keine Zügel. In spätestens einem halben Jahr würde er sich von seinem Vater nicht mehr führen lassen, dann würde er alleine reiten. Amüsiert gab sie George die Anweisung: „Bringt Kathrin zurück in den Stall. Es gibt gleich Abendessen.“ Eduard wurde bereits an der großen Pforte erwartet. Wie jeden Abend. Sein Sohn stand dort, am Eingang zu ihrem Schloss in den Highlands und wartete geduldig darauf, dass sein Vater von der Arbeit kam. Der blonde Junge ging noch nicht zur Schule, übte sich allerdings schon fleißig im Schreiben und Lesen. Mary, seine Frau, hatte das Talent schon früh erkannt und hatte vor einigen Monaten angefangen, ihm das Alphabet beizubringen. Die Schule würde ihn keine große Mühe kosten. Die Tage im Dienst der Königin waren mitunter nervenaufreibend, Eduard jedoch liebte diesen Beruf und würde ihn für nichts in der Welt tauschen wollen. Aber mehr noch als der Leutnant der königlichen Garde zu sein, liebte er es, am Abend zu seiner Frau und seinem Kind nachhause zu kommen. Freudig lief der strohblonde Junge auf ihn zu und begrüßte ihn: „Vater!“ Eduard kniete sich im Flur zu ihm hinunter und nahm ihn kurz zur Begrüßung in den Arm. Als er wieder aufstehen wollte, griff der Knirps nach dem Degen. Bestimmt schob Eduard den Jungen weg: „Der ist nichts für dich.“ Damit war vorerst Ruhe. Der kleine Blondschopf nickte und ließ seinen Vater geduldig seine Kleidung abnehmen. Eduard legte den Waffengürtel, an dem nicht nur sein Säbel, sondern auch sein Blaster fixiert war, ab und zog die Uniformjacke aus. So kleidsam sie auch sein mochte, bequem war sie nicht. Und nach einem langen Tag wie diesem war Eduard froh, endlich aus der Uniform rauszukommen. Im nächsten unbeaufsichtigten Moment griff der Kleine nach dem Degen und nahm ihn von der Kommode. Oft genug hatte er seinem Vater beim Training damit zugesehen, er wusste, wie man mit einem solchen Schwert umging. Breitbeinig stellte sich der Junge hin, hielt den Degen dabei in der rechten Hand und richtete die Spitze in den Flur. „Saber!“, entsetzt fuhr Eduard herum, als er bemerkte, was sein fünfjähriger Sohn gerade tat, und nahm ihm den Degen weg. Er mahnte den Jungen: „Was hab ich dir über Waffen gesagt, mein Junge?“ Schuldbewusst senkte Saber seine Augen und antwortete betreten: „Sie sind kein Spielzeug, Vater.“ Eduard legte den Degen wieder auf die Kommode. Danach sah er auf seinen Sohn hinab und musterte ihn. Er wusste, dass es gefährlich war, weshalb griff Saber dennoch nach dem Schwert? Schweigend kniete er sich zu Saber hinunter und richtete dessen Aufmerksamkeit wieder auf sich. Seine Augen forderten stumm eine Erklärung ein. Der kleine Blondschopf verstand sofort. Noch schuldbewusster zog er den Kopf ein und sah mit großen, unschuldigen Augen zu seinem Vater auf. Unbehaglich, aber ehrlich gab er seinem Vater Antwort: „Man darf sie nur im Notfall benützen. Um Menschen zu beschützen und den Schwachen zu helfen.“ „Und warum tust du es dann, Saber?“, ein bisschen verständnislos hörte sich die Stimme von Eduard an. Ihm war klar, dass sein kleiner Junge genau wusste, wovon er sprach und dass er es auch ernst nahm. Warum er dennoch nach der Waffe auf der Kommode gegriffen hatte, war dem Vater ein Rätsel. Aber seine Stimme war auch sanft gewesen, immerhin war nichts passiert und Saber zeigte sich einsichtig. Saber schniefte leicht, der Schrecken, dass sein Vater ihn scharf ermahnt hatte, saß ihm in den Knochen und trieb ihm die Tränen in die reumütigen Augen. Aufrichtig erzählte er seinem großen Vorbild: „Ich will Menschen beschützen und ihnen helfen, Vater. Und ich kann das, ganz bestimmt.“ Eduard schmunzelte. Das musste er dem Dreikäsehoch ja beinahe glauben. Immerhin war Saber mit dem Säbel richtig in Position gestanden und der Junge wollte es wirklich. Er wollte das Kämpfen mit dem Degen lernen. Eduard strich dem Knirps über die Haare und stand wieder auf: „Na gut, Saber. Du sollst es lernen. Richtig lernen. Aber kein Wort zu deiner Mutter, verstanden?“ Mit leuchtenden Augen nickte Saber eifrig. Nichts sehnlicher wollte er, als das Fechten erlernen. Er wollte so kämpfen können, wie sein Vater. Mit all seinen Grundsätzen und Moralvorstellungen. Eduard stand wieder auf. Stolz erfüllte ihn schon jetzt, denn er wusste, dass Saber ihn nicht enttäuschen würde. Er hätte den gelehrigsten Schüler weit und breit, das stand fest. Ziemlich pünktlich schloss er an diesem Abend die Tür zu ihrem Haus auf. Selten schaffte er es, wirklich pünktlich aus dem Oberkommando weg zu kommen, an diesem Tag hatte Shinji ihn jedoch mit sich geschleift. Der war dafür gewesen, ihre Familien wieder mal wieder länger zu sehen, als nur eine dreiviertel Stunde vor dem Zubettgehen. Shinji hatte den jungen Vater direkt aus dem Büro getreten. Nun aber war er froh, zuhause zu sein, denn Frau und Töchterchen warteten bereits. May hielt ihre gemeinsame Tochter auf dem Arm und lächelte ihn liebevoll an. Sie spitzte die Lippen und gab ihm einen Kuss. Charles erwiderte die zärtliche Geste, dann zog er sich die Schuhe aus. Nachdem er die Uniformjacke aufgehängt hatte, folgte er seiner Frau in die Küche. Ihre langen, blonden Haare fielen samtig über ihre schmalen Schultern, wie kleine Wellen. May war definitiv die Frau, mit der er alt werden wollte. Charles hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Er war noch nicht lange Major, die Entscheidung diesbezüglich war erst vor wenigen Monaten gefallen, davor war er Captain gewesen, wie sein bester Freund. Nun hatte er ein anderes Aufgabengebiet zugeteilt bekommen. Keine Frage, er freute sich über die Herausforderung, leider ging sie all zu oft auf Kosten der Familie. May drückte Charles ihre gemeinsame Tochter in die Arme, bevor sie die Deckel von den Töpfen nahm. Der Major strich seiner Tochter über den Schopf und schmunzelte: „Na, meine Kleine? Hast du deine Mutter auf Trab gehalten?“ Ein aufgewecktes Lachen war die Antwort darauf. May kam mit zwei Tellern zum Esstisch. Sie deckte den Tisch, während sie ihrem Mann erzählte: „Wie war dein Tag, mein Schatz? König Jarred hat heute hier angerufen, er konnte dich im Büro nicht erreichen. Ich soll dir schöne Grüße ausrichten und du sollst bitte zurückrufen.“ Argwöhnisch zog Charles die Augenbrauen zusammen. Der König rief bei ihm zuhause an? Er widmete seine volle Aufmerksamkeit seiner Frau und der Nachricht, die sie gerade überbracht hatte. So blieb die kleine April unbeobachtet. „Was wollte er, mein Liebling?“ May setzte sich an den Tisch: „Ich weiß es nicht. Aber es schien dringend zu sein.“ Die blonde Frau mit den großen blauen Augen blickte aufrichtig zu ihrem Mann. Jarred hatte wirklich nicht erwähnt, was er mit Charles besprechen wollte. Wahrscheinlich ging es um etwas Berufliches, deswegen hatte er mit ihr nicht darüber gesprochen. May war schließlich nicht im Oberkommando. Sie kannte Jarred seit einigen Jahren, sie verstand sich gut mit dessen Frau Seraphine. Deren Sohn, der kleine Roland, brachte viele Veränderungen in den Palast des Königreiches. Wenn sie die Freunde dort besuchten, gab es immer etwas zu lachen und April hatte einen netten Spielkameraden. Charles nickte. Er würde Jarred nach dem Essen zurückrufen. Er setzte sich mit April auf dem Arm an den Tisch. Das einjährige Mädchen hatte in der Brusttasche ihres Vaters etwas entdeckt, was sie sehr interessierte. Flugs nahm sie es in ihre kleinen Fingerchen und begann damit zu spielen. Sie drückte einige Knöpfchen, drehte und wendete es, bis es zu piepsen begann. Dann quietschte sie vergnügt auf. Charles griff nach dem piependen Mobiltelefon, das sich April als neues Spielzeug ausgesucht hatte. Lachend nahm er es ihr aus der Hand: „April! Spätzchen, das brauch ich noch.“ Unglaublich. Hatte seine kleine Tochter doch glatt heraus bekommen, wie man das Telefon einschaltete. Ihre Schnute war sagenhaft, als ihr Charles das Gerät aus der Hand nahm. Seufzend, weil er den Kulleraugen noch nie etwas abschlagen konnte, gab er ihr das Telefon wieder zurück: „Also schön. Aber nicht kaputt machen, April.“ Wieder quietschte das Mädchen vergnügt. Und May erzählte Charles lachend: „Heute hat sie unseren Fernseher umprogrammiert. Ich hab keine Ahnung, wie sie das gemacht hat, aber auf alle Fälle läuft jetzt auf allen Programmplätzen der Trickfilmkanal. Das technische Geschick muss sie von dir haben, Charles.“ Der Major lachte. Dabei bedachte er seine Tochter mit einem liebevollen Blick. Ja, April würde mal ein cleveres Mädchen werden, das wusste Charles bereits jetzt. Alles, was mit einem Chip funktionierte, oder programmierbar war, gefiel dem blonden Mädchen unheimlich. Egal, ob es eine Fernbedienung oder Papas Handy war. Der Pilot stand in der Küche und lugte in die Töpfe. Leise Musik erfüllte neben den angenehmen Gerüchen die Wohnung. Nur seine Frau war nicht da. Er schaltete den Ofen ab und drehte sich um. Oh, sein Magen knurrte. Und seit er in die Töpfe geschaut hatte, knurrte er noch schlimmer. Aber ohne Ai würde er nicht essen. Irgendwo in der Wohnung musste sie sein, ansonsten hätte sie den Herd ausgeschaltet. Shinji horchte in die Wohnung. War sie im Schlafzimmer und zog sich um? Ein zärtliches Lächeln huschte über sein müdes Gesicht. Bestimmt überraschte sie ihn. Freudig verließ er die Küche und ging schnell ins Schlafzimmer. Hm, dort war sie auch nicht. Unruhig fragte er: „Süße?“ Erschrocken fuhr Ai zusammen. Sie stand im Badezimmer und bis eben hatte sie traurig auf einen Teststreifen geblinzelt. Warum nur klappte es bei ihnen nicht? Sie wünschten es sich so sehr. Kaum hatte sie die Stimme ihres Mannes gehört, stand er auch schon in der Badezimmertür. Ai drehte sich blitzschnell um und versteckte ihre Hände hinter dem Rücken. Sofort setzte sie ein Lächeln auf: „Du bist schon zuhause?“ Shinji ging auf sie zu. Er nahm sie in den Arm und küsste sie liebevoll. Der Pilot kam gerne nachhause. Ai war sein Ruhepol. Sie beruhigte ihn, wenn seine Flugstaffel ihn wieder mal auf die Palme brachte. Er wusste genau, weshalb er sie geheiratet hatte. Und er kannte sie in- und auswendig. Und deshalb sah er Ai an der Nasenspitze an, dass ihr Lächeln nicht ehrlich war. Shinji griff nach ihren Händen: „Was versteckst du vor mir, Süße?“ Ai weigerte sich, ihre Hände nach vorne zu nehmen. Sie wollte Shinji nicht enttäuschen, denn sie kannte seinen Gesichtsausdruck, wenn sie ihm einen negativen Schwangerschaftstest zeigen würde. Schnell wollte Ai den Test an ihrem Gürtel feststecken, doch er hielt nicht und fiel zu Boden. Ehe sich Ai darum bücken konnte, hatte Shinji ihn schon aufgehoben. Mit Tränen in den Augen verfolgte die zierliche Japanerin die Reaktion ihres Gatten. Shinji ging in die Knie und hob den Test auf. Er blickte auf Teststreifen. Er war negativ, seine Frau war nicht schwanger. Wieder. Enttäuscht senkte Shinji den Blick und warf den Test in den Mülleimer. Wieder hatte es nicht geklappt. Warum nur vergönnten ihnen die Götter kein Kind? So lange versuchten sie es schon. Jedes Monat machten sie sich wieder Hoffnungen, die doch nur wieder zerschmettert wurden. Alle ihre Freunde hatten mittlerweile Kinder, hatten eine Familie gegründet, nur sie nicht. Der Pilot und seine Frau wünschten sich nichts sehnlicher als ein Kind. Aber dieser Wunsch blieb ihnen verwehrt. Ai trat einen Schritt nach hinten. Die Enttäuschung in Shinjis Augen zu sehen, brach ihr das Herz. Sie flüsterte unglücklich: „Es tut mir so leid, Shinji.“ Shinji streckte sofort seine Arme nach Ai aus und zog sie in seine Arme. Er umarmte sie und strich ihr über die schwarzen Haare. Der Japaner legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Wie lange sie so im Bad standen, konnte er nicht sagen, aber er spürte den Schmerz seiner Frau ganz deutlich. Sie machte sich dafür verantwortlich, dass sie seit Jahren kinderlos blieben. Aber sie war daran nicht schuld. Vielleicht sollte es nur einfach nicht sein. Natürlich tat Shinji dieser Gedanke in der Seele weh. Er liebte Ai, er liebte sie aus ganzem Herzen, aber ihre Liebe trug keine Früchte. Es schmerzte den Captain unsagbar. Er wischte Ai behutsam die Tränen aus den Augen, an ihrem unregelmäßigen Atem hatte er gemerkt, dass sie zu weinen begonnen hatte. Sachte küsste er sie auf die Stirn und hauchte: „Es ist okay, Süße. Ich bin genauso traurig, wie du. Ich versteh es.“ Ai kuschelte sich an die Brust ihres Mannes. Sie schluchzte herzzerreißend: „Warum nur ist uns kein Kind vergönnt, Shinji? Was haben wir angestellt?“ „Ich weiß es nicht. Hab doch bitte Geduld, mein Schatz. Ich bin mir sicher, eines Tages halten auch wir ein kleines Kind in unseren Händen.“, versuchte Shinji seine Frau wieder zu beruhigen. Doch es fiel ihm schwer. Und zwar deswegen, weil er die selben Gedanken hegte, die Ai gerade ausgesprochen hatten. Auch er glaubte, sie würden damit für irgendwas gestraft. Ai wischte sich kraftlos über die Augen. Sie setzte sich auf den Badewannenrand und ließ die Schultern hängen. Ihr Blick fiel auf den Schwangerschaftstest im Mülleimer. Wieder kullerten ihr dicke Tränen über die Wangen: „Geduld? Wie lange sollen wir noch Geduld haben, Shinji? Weitere zehn Jahre?“ Shinji setzte sich ebenfalls auf den Rand. Er legte Ai einen Arm um die Schulter und ließ sie an sich lehnen. Wieder gab er ihr einen sachten Kuss. Nun allerdings konnte er nichts mehr erwidern. Ais Worte führten ihm vor Augen, wie lange sie sich schon nach Nachwuchs sehnten. Eine lange Zeit. Kapitel 2: vor zweieinhalb Jahren --------------------------------- Verdattert und neugierig betrachtete sie an diesem Nachmittag die Post. Noch war es mucksmäuschenstill in der 3-Zimmer-Wohnug, ihr Sohn würde erst nach ihr nach Hause kommen. Der schlug sich die letzten Nachmittage noch in der Schule um die Ohren, bald würde er die Oberstufe abschließen und zu arbeiten anfangen. Sie ging mit dem großen Packen Post in die Küche und sortierte sie auseinander. Ein großer, weißer Briefumschlag blieb übrig. Adressiert an ihren Sohn. Hatte er bereits eine Ausbildungsstelle gefunden, ohne es ihr mitzuteilen? Neugierig beäugte Ai das Kuvert, drehte und wendete es. Auf dem Rücken des Umschlags prangten drei rote Karos eines in Japan wohl bekannten Automobilherstellers. Weshalb bekam ihr Sohn von ihnen Post? Werbung? Die Neugier und die Vernunft rangen in den nächsten Augenblicken in ihr um die Vorherrschaft. Die Vernunft ließ sie das Kuvert von sich schieben. Sie hatte eine Abmachung mit Shinji. Die mütterliche Neugier jedoch siegte letztendlich. Ai nahm das Kuvert wieder in die Hände und öffnete es schließlich. Sie zog einen zusammengehefteten Stoß Blätter heraus. Auf dem ersten Blick dachte Ai, Shinji hätte sich dort beworben und er hätte Unterlagen zugeschickt bekommen. Doch das waren keine Bewerbungsfragebögen, das hier war schon eine andere Stufe der Stellensuche. Erschrocken legte es Ai wieder auf den Tisch. Das war nicht sein Ernst! Es war ein Dienstvertrag. Wofür? Welche Stelle hatte Shinji angenommen? Hastig überflog sie den Vertrag. Ihr gefror das Blut in den Adern. Er war bereits unterschrieben. Shinji würde sie verlassen, schon bald. Ungläubig stand Ai auf und schob den Vertrag zur Seite. Im Augenblick konnte sie nur abwarten und sich unendliche Sorgen machen. An diesem Tag schien es ewig zu dauern, bis Shinji endlich nachhause kam. Er hatte die Tür noch nicht mal richtig aufgeschlossen, da vernahm er schon die Stimme seiner Mutter: „Shinji!!“ Ai war beinahe hysterisch. Beunruhigt setzte er seinen Weg in die Küche fort. Ansonsten wurde er freundlicher empfangen, wenn er später als sie nachhause kam. Er steckte den Kopf in die Küche und winkte leicht: „Hi, Ai. Was gibt’s denn?“ „Erklär mir das!“, aufgebracht deutete sie auf das große weiße Kuvert. Eigentlich hatte sie ruhig bleiben wollen, hatte sich die letzte halbe Stunde eingeredet, dass es keinen Sinn machte, laut zu werden, doch ihre Angst ließ sich nicht anders ausdrücken. Welchen Unsinn hatte er nur angestellt? Sie hatten doch ausgemacht, dass er sich hier einen Job suchte, nachdem er die Schule abgeschlossen hatte. Shinji ließ seine Schultasche auf den Stuhl sinken. Er hatte es kaum geschafft, seine Schuhe am Eingang auszuziehen und nun stand er mit der dunkelblauen Schuluniform in der Küche und hörte seine Mutter zum ersten Mal toben. Er blinzelte auf das Kuvert und erkannte sofort, dass der Brief geöffnet worden war. Seit wann ignorierte seine Mutter ihre Abmachungen? Argwöhnisch fragte er deshalb nach, ohne daran zu denken, dass sie sauer auf ihn war: „Wieso liest du meine Post?“ Ai schloss den Kochtopf schwungvoll und polternd wieder: „Weshalb kriegst du solche Post, Shinji?“ Ihr wollte immer noch nicht in den Kopf, dass Shinji das wirklich machen wollte. Oft genug hatten sie darüber gesprochen, waren deswegen aneinander geraten und waren zu der Einigung gekommen, es einem Hobby gleichzusetzen. Seit der Junge laufen konnte, interessierte er sich für alles, was einen Motor hatte. Diese Leidenschaft wollte er auf Biegen und Brechen offenbar zum Beruf machen. Aber es war gefährlich. Ai hatte Angst um Shinji. Er war ihr Sohn, die Wiedergeburt ihres Mannes, sie konnte nicht zulassen, dass sie ihn verlor. Patzig antwortete Shinji, während er das Schriftstück aus dem Umschlag heraus holte: „Weil ich meinen Arbeitsvertrag brauche.“ Er war böse auf seine Mutter, weil sie sich in seine Angelegenheiten einmischte. Sein Herz schlug für schnelle Autos, er hatte eine einmalige Chance für die Zeit nach der Schule bekommen. Er hatte nicht lange darüber nachdenken können oder es mit seiner Mutter abklären. Entweder er unterschrieb den Vertrag oder er ließ es bleiben. Wer hätte an seiner Stelle nicht so gehandelt? „Deinen Arbeitsvertrag? Wohl eher dein Todesurteil. Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wir hatten ausgemacht, dass du dir einen Job suchst und nicht ein spektakuläres Harakiri.“, dieser Dickkopf machte ihr das Leben schwer. Noch schwerer. Ai hatte so sehr gehofft, dass Shinji vernünftig geworden war und aus dem bockigen Alter draußen war. Doch dem war nicht so. Er machte ihr wissentlich Sorgen, ohne darüber nachzudenken. Shinji war so unendlich eigensinnig, wie ihr Mann. Es brach der alleinstehenden Mutter das Herz. Shinji ließ sich nicht mehr umstimmen. Aber er war rational genug, um mit seiner Mutter noch einmal in Ruhe darüber zu reden. Er hatte sie zwar vor vollendete Tatsachen gestellt, aber ihre Meinung war ihm wichtig. Sie hatte ihn ein entscheidendes Stück in seinem Leben begleitet, nun, da er das elterliche Nest verlassen wollte, hoffte er auf den Zuspruch seiner Mutter. Er konnte nicht mit ihr schreien oder laut werden, aber er konnte sie daran erinnern, was sie ihm immer wieder bei diesen Diskussionen zugestanden hatte: „Aber du hast auch gesagt, ich soll mir einen Job suchen, den ich gerne mache. Das ist der Fall, der Verdienst ist auch nicht schlecht und ich krieg was von der Welt zu sehen.“ Damit hatte Shinji sie auf dem falschen Fuß erwischt. Angst um ihre Familie ließ Ai blind für vernünftige und logische Argumente werden. Sie schob den Topf von der Herdplatte und schaltete diese aus. Das Essen konnte angesichts der aufwühlenden Lage warten. Ai musste ihren Sohn davon überzeugen, dass es Unsinn war, Rennfahrer zu werden. Shinji war doch noch viel zu jung dazu, keine sechszehn Jahre war er. Jeder andere Junge in seinem Alter würde einen normalen und ungefährlichen Beruf ergreifen oder zu studieren anfangen. Ai nahm Shinji den Vertrag aus den Händen und legte das Stück Papier, das der Grund für ihre Unruhe war, auf den Stapel mit der Werbung, der nachher im Müll landen würde. Sie fuhr ihn ungehalten an: „Jedes Wochenende ein anderes Krankenhaus? Sehr sehenswert. Ich dachte, du suchst dir was in einer Werkstatt, wenn du es schon mit schnellen Autos hast.“ Genervt stieß Fireball die Luft zwischen seinen Zähnen aus. Für ihn war das keine Option mehr, das war es ohnehin nie ernsthaft gewesen. Fireball wollte weg, was von der Welt, vom Neuen Grenzland sehen, und etwas erleben. Dazu hatte er bisher keine Gelegenheit gehabt und nun versuchte ihm seine Mutter zu erklären, dass er hier bleiben musste. Mit allen Mitteln versuchte sie es ihm schlecht zu reden. Aber stur wie er nun mal war, stieß das auf taube Ohren. Er hatte sich entschieden und Punkt um. Shinji nahm den Vertrag wieder in die Hände und drehte sich zur Tür hin, er wollte ins Wohnzimmer gehen: „Ach, bitte. Wenn jeder Rennfahrer so oft im Krankenhaus läge wie du das behauptest, gäb’s den Beruf schon längst nicht mehr.“, er wischte alle Argumente mit einem Schulterzucken fort: „In einer Werkstatt kann ich immer noch versauern, wenn ich nicht mehr der Schnellste bin.“ Sorglosigkeit war eine Tugend, die Ai nicht gegeben war, ihrem Sohn anscheinend aber sehr wohl. Es schien, als hätte er sich gar keine Gedanken darüber gemacht, nicht nachgedacht, was der Beruf eines Rennfahrers bedeutete. Sie folgte ihrem Spross: „Hast du eine Idee davon, welche Konsequenzen dieser Job hat? Hast du eine Vorstellung, was da auf dich zukommt?“ Mit eben dieser Sorglosigkeit schnauzte er seine Mutter über die Schulter hinweg an: „Klar hab ich das. Was glaubst du denn?“ Zuhörer konnten glauben, ein Paar würde sich streiten. Fireball sprach mit seiner Mutter nicht wie man es von ihm erwartet hätte, viel eher standen sich die beiden gleichberechtigt gegenüber. Es gab keinen Altersunterschied zwischen den beiden, es gab die natürlichen Grenzen zwischen Mutter und Sohn nicht. Ai hatte ihren Sohn immer zu einem gleichberechtigten Partner erzogen, das wurde ihr nun zum Verhängnis. Egal, welches Argument sie fand, Fireball hatte ein Gegenargument parat und entkräftete ihre somit spielend. Nachdem er ihr vorwarf, sie würde anfangen, ihn in Watte packen zu wollen, riss Ai der Geduldsfaden. Sie hatte doch nur Angst um ihren Shinji. Sie verfluchte ihn dafür: „Musst du jeden Tag deines Lebens so verdammt unvernünftig und risikofreudig sein, wie dein…“, Ai schüttelte den Kopf. Sie würde das nicht machen, denn wie sollte sie Shinji mit seinem Vater vergleichen, wenn sie doch beide ein- und dieselbe Person waren? Jeder Blick, jede Geste und sogar jedes unbeherrschte Wort waren wie die seines Vaters. Ai biss sich auf die Lippen und brummte: „Wie dein Gemüt eben ist.“ „Ja, das Gemüt ist größtenteils angeboren.“, Fireball tat Ais Ausbruch damit einfach ab. Er wusste nichts über seinen Vater, über seine Herkunft. Deshalb kam ihm auch nicht ernsthaft in den Sinn, seine Mutter hätte nicht sein Gemüt gemeint. Er hatte mit ihr nie darüber gesprochen, Ai hatte Fireballs Vater niemals erwähnt. Aber sie glaubte wie alle Buddhisten an die Wiedergeburt und das hatte Fireball mit der Zeit schon bemerkt. Sie sah wohl etwas von seinem Vater in ihm, aber er war es nicht. Er versuchte, ihr die unnötige Besorgnis zu nehmen: „Was genau ist jetzt eigentlich das Problem, Ai?“ Die schlanke Frau wies auf den verhassten Umschlag: „Das da!“, Ai kreischte drohend: „Wenn du das da wirklich machen willst, kann ich dich gleich beerdigen lassen. Kommt aufs Selbe raus.“ Es war ihre größte Angst. Shinji noch einmal zu Grabe tragen zu müssen, es würde Ai um den Verstand bringen. Er hatte die Unvernunft niemals abgelegt. Gepaart mit dieser Sturheit sein Todesurteil. Shinji hatte nun genug davon. Er hatte sich Verständnis von Ai erhofft, war aber, seit er zu zuhause angekommen war, auf Widerstand und böse Worte gestoßen. Seine Entscheidung war gefallen. Letztendlich würde es keinen Einfluss darauf haben, was seine Mutter wollte, er würde fortgehen. Mit ihrem Einverständnis wäre es ihm leichter gefallen, keine Frage, aber auch ohne würde es gehen. Er war selten so mit Ai aneinander geraten, wie an diesem Tag. Aber er spürte nicht, dass er im Begriff war, mit seiner Mutter zu brechen. Funkelnd stand er auf und ging zur Tür: „Dann tu das von mir aus. Ich werde morgen trotzdem fortgehen.“ Die Wohnzimmertür fiel laut ins Schloss und Ai konnte ihre Tränen nicht mehr verbergen. Sie setzte sich an den Wohnzimmertisch und weinte bittere Tränen, direkt auf den Vertrag, den Fireball nun liegen gelassen hatte. Würde sie ihren Sohn, würde sie Shinji jemals wieder sehen? Kapitel 3: Urlaub?! ------------------- So, kurze Anmerkung von mir... Es ist alles gleich geblieben, ich hab nur eine Szene angefügt, die für mich noch unbedingt in dieses Kapitel musste. Im Prinzip war das jetzt die Einleitung, in der nächsten Zeit folgt dann der Hauptteil *lach* Sie waren später als beabsichtigt erst gelandet. Die Abfertigung am Militärraumhafen war eine nervenaufreibende, stundenlange Geduldsprobe für die Star Sheriffs gewesen. Sie waren vom Bodenpersonal beinahe wie Schwerverbrecher behandelt worden, hier auf der Erde stand man dem Kavallerie Oberkommando nach wie vor sehr skeptisch gegenüber. Dass die vier Freunde mit Ramrod angereist waren, war der Vertrauensbildung nicht unbedingt förderlich gewesen. Nun schloss Fireball die Wohnungstür auf und bat seine Freunde leise herein. Überall war das Licht schon gelöscht, wahrscheinlich schlief sie schon längst. Nachdem er Colt beinahe die Ohren lang gezogen hätte, weil dieser mit den Schuhen durch die Wohnung spaziert wäre, schlich Fireball ins Wohnzimmer und sah nach dem Rechten. Sie saß also noch im Wohnzimmer. Eingeschlafen über einem Buch. Fireball schmunzelte leicht. So hatte er es sich immer vorgestellt, wenn er eines Tages wieder nachhause kommen würde. Ai feierte in wenigen Tagen einen runden Geburtstag und Fireball hatte es sich nicht nehmen lassen, sie aus diesem Anlass zu besuchen. Er nahm ihr das Buch, das sich als altes Familienalbum entpuppte, aus den Händen und legte es auf den kleinen Tisch. Ebenso leise, wie er eingetreten war, verließ er das Zimmer wieder. Fireball verteilte seine Freunde so gut es ging auf die Schlafzimmer. Nachdem im Haushalt der Hikaris allerdings nur ein Gästezimmer vorhanden war, quartierte er April in das Gästezimmer ein und Colt und Saber würden bei ihm im Zimmer nächtigen, japanisch traditionell auf dem Boden. Die Begeisterung hielt sich dementsprechend in Grenzen. Fireball hatte nach einer halben Stunde Gezeter mit Colt getauscht und lag nun neben Saber auf der Schlafmatte. Kaum zu glauben, dass er doch noch einmal in die Heimat gefunden hatte. Noch verwunderlicher, dass er die Wohnungstür noch aufschließen hatte können. Stur, wie er immer schon gewesen war, war er damals gegangen, ohne seiner Mutter alles Gute zu wünschen und ohne sich von ihr zu verabschieden. Sie hatte ihn bestimmt mit hundert japanischen Flüchen belegt, als er Rennfahrer geworden war, gegen ihren Willen. Aber aufhalten hatte Ai ihn auch nicht können. Das konnte niemand. Jetzt, Jahre später, würde Ai in wenigen Tagen ihren fünfzigsten Geburtstag feiern und Fireball wollte ihr eine Freude machen. Seit seinem Auszug hatten sie sich weder gesehen noch voneinander gehört, ihr Wiegenfest hatte er dennoch nicht vergessen. Seine Freunde hatte er nur deshalb dabei, weil im Neuen Grenzland immer noch Krieg herrschte und Fireball ohne seine Kameraden niemals frei bekommen hätte. Wohl oder übel war er mit ihnen nach Japan geflogen. Aufmerksam wanderten seine Augen über sein altes Zimmer. Nichts hatte sich verändert. Sein Schreibtisch sah aus, als wäre er nie fort gewesen. An den Wänden hingen Bilder und Poster seiner Idole. Die Zeit schien in seinem ehemaligen Reich einfach stehen geblieben zu sein. Fireball atmete tief durch und schloss die Augen. Am nächsten Morgen würde er Frage und Antwort stehen müssen. Verschlafen tappte sie am nächsten Morgen in die Küche hinüber. Erst mal Kaffe machen. Nachdem sie verwundert auf den Kaffeeautomaten linste, der schon eingeschaltet war und sie sich sicher war, dass sie den am Vorabend ausgeschaltet hatte, riskierte Ai einen Blick in die Küche. Sie erblickte jemand völlig Fremdes an ihrem Frühstückstisch sitzen. Diese Person hatte sie noch nie im Leben gesehen, das wusste sie sicher. Entsetzt riss sie die Augen auf und startete sofort mit unzähligen Fragen: „Wer sind Sie? Und wie kommen Sie hier rein? Was machen Sie in meiner Wohnung?“ Überrascht sprang April von ihrem Platz auf und hielt Fireballs Mutter die Hand entgegen. Sie war kurz nach Fireball aufgestanden und hatte mit ihm gefrühstückt. Vor ein paar Minuten erst war er ins Bad gegangen und hatte April alleine in der Küche sitzen lassen. Dass seine Mutter aufstand, bevor Fireball wieder hier bei ihr sitzen würde, brachte die Blondine ins Schwitzen. Vor allem, weil Fireball ihr nichts von seinen Freunden erzählt zu haben schien. Hastig erklärte sie: „Guten Morgen, Misses Hikari. Ich bin April, eine Freundin von Fire.“ „Wessen Freundin?“, zu dem Schock eine fremde Person in der Küche sitzen zu haben, kam nun auch noch die Ratlosigkeit hinzu. Von wem sprach diese Blondine da? Ai dachte nicht im Traum daran, April die Hand zu geben, sie kannte dieses Weibsbild doch nicht! April lächelte verlegen. Au Backe, sie kannte nicht einmal Fireballs Kosenamen. Wo war April da nur rein geraten? Ihr diplomatisches Geschick sollte ihr aus dieser Lage helfen und sie hoffte, dass sich Fireballs Mutter damit wieder etwas beruhigte: „Fireball. Ich bin eine Freundin Ihres Sohnes, Misses Hikari.“ Ai blinzelte ungläubig: „Mein Junge?“, abschätzig sah sie an April hinab. Ganz toll, dachte sie ironisch, da brachte der Ausreißer doch glatt ein Boxenluder mit nach Hause. Dieses Mädchen war blond, hatte große blaue Augen und ein makelloses Gesicht. Ihre Rundungen sprachen für sich. Das Mädchen konnte er nur an der Rennstrecke aufgegabelt haben. Und jetzt besaß er auch noch die Frechheit, sie einfach mit nachhause zu bringen und Ai nicht einmal vorzuwarnen. Gereizt und außer sich rief Ai in den Vorraum hinaus: „Shinji!!!“ Gleich darauf öffnete sich die Badezimmertür und Fireball steckte seinen Kopf in den Flur hinaus. Suchend sah er sich um, die liebliche Stimme konnte nur seiner Mutter gehören. Sie stand in der Küchentür, hatte den Oberkörper weit nach vorne gelehnt und hielt sich mit der Hand am Rahmen fest. Oh, da war die gute Laune nicht gerade heimisch. Blöd nur, dass auch der Sohnemann noch nicht ausgeschlafen war. Wie man in den Wald hinein schrie, kam es für gewöhnlich zurück: „Ja, so heiß ich für gewöhnlich. Was aber nicht heißt, dass ich bei jeder Lautstärke darauf reagiere, Ai.“ Die Japanerin stieß sich ab und schritt auf das Badezimmer zu. Gott, sie hatte Shinji lange Jahre nicht gesehen und das erste, was sie von ihm vernahm, waren aufgebrachte und verletzende Worte. Kein ‚Hallo‘ und kein ‚Guten Morgen‘ gab es mehr zwischen ihnen. Sie blickte geradewegs in die funkelnden und glänzenden Augen ihres Sohnes. Er war gesund. Und schlecht gelaunt. Ai fragte sich, wann er mit diesem Weibsbild nachhause gekommen war, sie hatte niemanden kommen gehört. Sie stieß die Badezimmertür auf und fuhr Fireball kreischend auf Japanisch an: „Hey, das ist immer noch meine Wohnung. Was treibt diese Blonde in meiner Küche? Zum Henker, Shinji, was machst du hier?“ Sie war vom Überraschungsbesuch ihres Sohnes so geplättet, dass sie die richtigen Worte nicht finden konnte. Ai fluchte über das Erscheinen von Fireball, dabei hätte sie vor Freude darüber in Tränen ausbrechen können. Ihr Junge war gesund und munter wieder nachhause zurückgekehrt, doch das Wie und Wann stellte diese Freuden in den Schatten. Ai war sich sicher, diese Bekanntschaft von Shinji, die dort immer noch in der Küche stand, in einem viel zu weiten T-Shirt und schnell zusammengebundenen Haaren, die sich immer wieder lösten, würde ihrem Sohn in absehbarer Zeit Schwierigkeiten machen. Wenn sie nicht hinter seinem Geld her war, hängte sie ihm bestimmt bald ein Kind an. Fireball stapfte an Ai vorbei aus dem Bad und direkt in die Küche. Er strich sich die triefnassen Haare hinter die Ohren, so gut es ging und musterte April kurz. Kein Zweifel, solange er nichts von Ai gehört hatte, war sie April über den Mund gefahren. Seine Kollegin stand verwirrt und auch ein wenig verängstigt vor den beiden Kaffeetassen und sah hilfesuchend zu Fireball hinüber. Der beugte sich wieder in den Flur und explodierte schier: „Blondchen hat auch einen Namen, Ai. Der ist April und sie ist nicht die einzige. Ich hab noch zwei Freunde mitgebracht. Aber wenn dir das nicht passt, können wir auch gerne wieder gehen, übertrieben viel Zeit hab ich ohnehin nicht.“ „Du verschwindest jahrelang aus dieser Wohnung, schreibst nicht, rufst nicht an und dann tust du so, als wärst du gestern nur mal kurz mit Freunden auf einer Sauftour gewesen!“, Ai war nicht minder laut. Doch im Gegensatz zu Fireball schrie Ai in ihrer Muttersprache mit dem Junior, der ihr einen Schrecken nach dem anderen einjagte. Ihr Zorn und ihr Ärger überdeckten alle Freude, brachte sie dazu, nur noch mehr aus der Haut zu fahren. Kurz nach Fireball stand auch sie wieder in der Küche und nahm neben April, die ohnehin kein Wort verstand, kein Blatt vor den Mund: „Sag mal, spinnst du? Du hättest ja wenigstens mal vorher anrufen können.“ Okay, das war’s. Er hatte es nur gut gemeint, hatte ihr eine Freude machen wollen, aber der Empfang war schlimmer als der bei König Jarred. Der war wenigstens nicht beleidigend geworden. Er sah seiner Mutter frech in die Augen und verkündete: „Reg dich wieder ab! Ich wollte dir eine Freude machen und an deinem Geburtstag zuhause sein. Tut mir leid, dass es nicht anders ging und tut mir verdammt leid, dass ich hier bin.“, stinksauer drehte er sich um und ging ins Bad zurück: „Wenn das so ist, werden wir wieder fahren!“ Ai rauschte wieder an April vorbei, die keinerlei Beachtung in diesem Augenblick bekam. Sie fauchte gegen die geschlossene Badezimmertür: „Sehr schön. Ehrlich. Ich freu mich, dich zu sehen, Shinji.“, triefend sarkastisch sprudelte die Wahrheit aus ihr hervor. Sie freute sich aufrichtig, ihren Sohn wieder zuhause zu sehen. Doch unter diesen Bedingungen hätte sich keine Mutter gefreut. Weshalb nur hatte er vorher nicht einen Ton gesagt, dass er kommen wollte? Hatte Shinji am Ende Angst gehabt, sie würde es ihm verbieten und ihn wieder fortschicken, so wie jetzt: „Dann geh! Ich lege keinen Wert darauf, dich unter meinem Dach zu haben.“ Aus dem Bad kam es gedämpft zurück: „Trink erst mal einen Kaffee und lass mich in Ruhe, Ai.“ Wütend stampfte die Japanerin auf den Holzboden im Flur und ballte die Hände zu Fäusten. Mit dem Sturkopf war nicht zu reden! Sie drehte sich auf dem Absatz um und rauschte in die Küche. Ai musste sich beeilen. Das alles vernichtende Desaster in Form ihres Sohnes hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Sie wollte pünktlich zur Arbeit erscheinen. Während sie sich Kaffee in eine Tasse goss, musterte sie April und die beiden Kaffeetassen auf dem Tisch. Mürrisch erklärte sie ihrem Gast: „Und du könntest wenigstens die Sauerei wegmachen, wenn ihr fertig seid.“ Endlich bewegte sich April wieder. Mit großen Augen hatte sie das Spektakel verfolgt und dabei leider immer nur verstanden, was Fireball vom Stapel gelassen hatte. Die Worte seiner Mutter waren aber auch ohne Übersetzung grob und aggressiv rübergekommen. Nun zuckte sie zusammen, verstand zum ersten Mal etwas, was Ai sagte und nickte eifrig. April griff überrascht nach den beiden Tassen und versicherte: „Aber natürlich, Misses Hikari.“, April stellte sie in der Spüle ab und sah Ai aufmerksam an: „Es tut mir leid.“ Ai nickte lediglich. Sie hatte es auch nicht so gemeint. Es gab für ihr Verhalten einem Gast gegenüber keine Entschuldigung. Ai nahm einen Schluck vom Kaffee und musterte ihren blonden Gast noch einmal eingehend. Hatte ihr Bengel sie wirklich April genannt? Ai zog die Augenbrauen nach oben. Was für ein Zufall! Brachte der doch tatsächlich ein Mädchen mit nachhause, das genauso hieß, wie die Tochter ihrer früheren Freunde. So selten wie damals angenommen, war der Name also nicht. „Mensch, so ein Höllenlärm.“, Colt stand mit Saber in der Küchentür und streckte sich ausgiebig. Er gähnte in den Raum hinein: „Sagt man sich in Japan immer so laut ‚Guten Morgen‘?“ Erschrocken schaute nun Ai zur Küchentür hinüber. Wer waren denn diese beiden Gestalten? Sie hatte sich kaum vom ersten Schreck und Zorn erholt, da stand neuer Ärger in der Tür. Was waren das denn für zwei komische Menschen? Egal, wer sie waren. Beschweren durfte sie hier nur eine Person. Ai zeigte mit dem Finger auf sich und erklärte kategorisch: „Die einzige, die Grund zum Jammern hat, bin ich. Wer seid ihr zwei Galgenvögel?“ Saber schob Colt sofort auf einen der Stühle und reichte Ai die Hand, wie es kurz zuvor April getan hatte. Auch er streckte seine Hand vergeblich aus, als er sich und Colt vorstellte: „Der ungehobelte Klotz da ist Colt und mein Name ist Saber Rider.“ Ai blickte wenig wohlwollend an Saber hinab und dann auf Colt. Noch ein Blick zu April. Wie um alles in der Welt passten die drei zu ihrem Sohn? Die konnten schlecht alle aus dem Renngeschäft stammen. Und ihr werter Herr Sohn? Der umschiffte das nette Treiben, indem er sich ins Bad verkrochen hatte. Egal. Sie wurde nicht schlau aus dem bunten Haufen in ihrer Küche und deshalb verhörte sie nun die Freunde statt ihren Sohn: „Seid ihr Rennfahrerkollegen?“ Die drei Freunde sahen sich ungläubig an. Colt vergrub seinen Kopf in der Tageszeitung, das würde er nicht ausbaden. Obwohl er die Schriftzeichen nicht entziffern konnte, schlug er die Zeitung auf und tat, als würde er lesen. Sicher war sicher. Saber schluckte unweigerlich und begann sich auszurechnen, ob Fireballs Mutter ihren Sohn übertreffen konnte, wenn es ums Ausrasten ging. Den ersten Vorgeschmack darauf hatten sie vor Kurzem ja live zu hören bekommen. Es blieb an April hängen. Schon wieder. Sie hatte vorhin schon den schwarzen Peter gezogen. Naja, viel eher hatte sie das unsagbare Pech gehabt, in der Küche sitzen geblieben zu sein, als sich Fireball die Zähne putzen gegangen war. Unsicher blickte sie zu Ai hinüber: „Nein?“ „Sondern?“, nun wurden die Blicke fragend. Ihre hellbraunen Augen hingen an April. Gut, zugegebenen, so billig sah die kleine Blondine nun auch wieder nicht aus. Die Stimme von Ai war ruhiger geworden, das ermutigte auch Colt, den Kopf aus der Zeitung zu heben. Er antwortete ohne Umschweife: „Ihr Kleiner kutschiert uns durch die Gegend.“ Wie man’s machte, machte man’s falsch. Colt kassierte eine herzhafte Kopfnuss von April und Saber revidierte und korrigierte Colts Zwischenruf einfach: „Was Colt damit sagen wollte, Misses Hikari. Fireball ist unser Pilot. Wir sind Star Sheriffs.“ Porzellan zerschlug auf dem Boden in tausend Stücke und der Inhalt der Tasse verteilte sich über den gesamten Boden. Ai hielt sich die Hände vor die Augen und japste nach Luft. Nein! Alles, nur das nicht. Sie sah Fireball in einem Manöver sterben, genau wie Shinji. Was hatte sie in ihrem letzten Leben angestellt, um Vater und Sohn zu verlieren? Saber sprang erschrocken von seinem Platz hoch und griff nach ihrer unfreiwilligen Gastgeberin. Im letzten Moment konnte er Ai davor bewahren, in den Scherbenhaufen zu sinken. Der Schotte sah ganz deutlich, wie Fireballs Mutter mit sich kämpfte. Sie wollte nicht schwach sein, hatte dennoch Tränen in den Augen und sackte vor ihren Augen zusammen. Sie hatte es nicht gewusst. Sie hatte es tatsächlich nicht gewusst! Saber griff um Ais Hände und zog sie zu sich. Erschrocken nahm er sie in den Arm und hielt sie fest. Der Highlander fragte beunruhigt: „Misses Hikari? Was haben Sie?“ Auch Colt war inzwischen hellwach und stand, ebenso wie April, neben Saber und Ai. Während die Blondine in der Spüle nach einem Lappen angelte, lotste Colt Saber mit seiner wertvollen Fracht auf einen Stuhl zurück. Ai war paralysiert und nicht ansprechbar. Sie mussten ihr einen riesigen Schrecken eingejagt haben. Colt setzte Ai auf einen Stuhl und strich ihr über die Schultern. Er spürte deutlich, wie sehr sie zitterte. Mann, mit diesem Kaliber Sohn hatte sie nicht grade das große Los gezogen, wie Colt dachte. Warum zum Henker hatte der kleine Teufel ihr nicht erzählt, dass er Star Sheriff geworden war? April putzte die Bescherung so gut es ging weg. Die großen Scherben nahm sie in die Hände und legte sie vorsichtig auf die Anrichte über sich. Sie kniete auf dem Fliesenboden, hatte aber immer wieder auch ein Auge auf ihre beiden männlichen Begleiter und Fireballs Mutter. In diesem Augenblick tat ihr Ai unheimlich leid. Sie konnte sich vorstellen, was gerade in ihr vor sich ging. April hatte ihren Vater vor einiger Zeit auf die Familiengeschichte der Hikaris angesprochen, nachdem sie von König Jarred etwas über die erste Schlacht zwischen Menschen und Outridern gehört hatte. Colt rieb Ai immer noch über die Schultern, er sah ihr in die Augen, doch das Paar hellbrauner Augen starrte an ihm vorbei. Der Cowboy warf einen Blick zu Saber und auch zu April, er kannte so etwas nicht. Saber nickte und umrundete Ais Stuhl. Ruhig schob er Colt zur Seite und kniete sich zu Fireballs Mutter hinunter. Er legte Ai eine Hand auf die ihren. Leise begann er zu erzählen: „Misses Hikari. Wir wollten Ihnen keinen Schrecken einjagen. Glauben Sie mir, wir haben unseren Job im Griff. Ihr Sohn ist ein großartiger Pilot, es liegt ihm sozusagen im Blut. Sie brauchen keine Angst um ihn zu haben.“ Ai spürte Sabers warme Hand auf ihren, das holte sie langsam wieder in die Realität zurück. Verschwommen hörte sie, was die beiden fremden Männer ihr erzählten. Sie blinzelte die Tränen aus den Augen und stand schließlich auf. Benommen streifte sie sich ihren Rock wieder zurecht und sah an sich hinab. Erst langsam verstand sie, was Saber sagte. Ihr Herz, das vorhin zu schlagen aufgehört hatte, begann nun wieder auf Hochtouren Blut durch ihren Körper zu pumpen. Nach einem dankbaren Nicken auf Saber, verschwand sie auch schon aus der Küche. Ihre Stimme überschlug sich beinahe: „Shinji! Oh, du Baka!“ Im Badezimmer war er nicht mehr, wie hätte es beim Meister der Katzenwäsche auch anders sein können. Da er nicht bei ihnen in der Küche gewesen war und sich selten im Wohnzimmer aufgehalten hatte, steuerte Ai zielstrebig sein Schlafzimmer an. Ohne zu klopfen trat sie ein und schloss die Tür gleich wieder. Was sie mit ihrem Sohn nun zu besprechen hatte, ging niemanden etwas an. Die zierliche Japanerin musterte Fireball aus zwei wütenden Augen, ehe sie ihn packte und zu sich herumdrehte: „Ist das wahr, Shinji?“ Fireball hatte sie nicht eintreten gehört. Das Schreien vorhin hatte er geflissentlich ignoriert. Sie hatte ihn oft schon als Dummkopf bezeichnet, das war nichts Außergewöhnliches mehr. Als sie ihn von der Kommode weggedreht hatte, spannte sich sein Körper. Widerstand regte sich im Hitzkopf, noch bevor er überhaupt wusste, was er seiner Mutter bestätigen sollte. Er schnauzte und riss seinen Arm los: „Was?!“ Sofort griff Ai nach der Hand ihres Jungen. Sie umschloss sie mit beiden Händen und sah ihn eindringlich an. Sie hatte Angst vor dem Nicken, das auf ihre Frage mit Sicherheit folgen würde. Die drei Fremden sahen nicht aus, als würden sie lügen, auch, wenn sie seltsame Gestalten waren. Sie atmete tief durch und fragte noch einmal: „Shinji, stimmt das, was deine Freunde sagen? Bist du zu den Star Sheriffs gegangen?“ Wieder riss sich Fireball los. Schon hörte er die nächste Standpauke. Gleich würde sie ihn endgültig zum Teufel jagen. Der Rennfahrer bot seiner Mutter die Stirn. Er ließ sich nichts verbieten. Nicht von ihr. Standhaft wehrte er sich dagegen, sein Vater zu sein. Denn genau das indizierte die Frage seiner Mutter gnadenlos. Sie zeigte Fireball, was Ai in ihm sah. Und es war nicht der Sohn, um den sie Angst hatte. Nein. Es war der Mann, den sie nicht verlieren wollte. Das tat Fireball unheimlich weh, gleichzeitig ärgerte es ihn aber über alle Maßen. Würde sie niemals einsehen, dass das nur ein dämlicher Glaube war?! Es gab so etwas wie Seelenwanderung nicht, niemand wurde im Körper eines anderen wiedergeboren. Zornig wich er einige Schritte zurück, er baute Distanz zwischen sich und Ai auf. Ungehalten fauchte Fireball: „Ja, zur Hölle. Ja! Ich bin Star Sheriff.“ Zitternd biss sich Ai auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Murmelnd brachte sie hervor: „Willst du dich mit aller Gewalt umbringen? Shinji, warum nur bist du so derart stur und leichtsinnig wie…“ Barsch unterbrach er Ai: „Wie mein Vater?!“, Fireball ging zur Tür: „Das bin ich nicht. Das werde ich niemals sein, Ai. Verdammt, ich bin sein Sohn. Nicht mehr und nicht weniger, sieh das endlich ein!“ Tränen sammelten sich in Ais Augen. Er war soviel mehr als nur der Sohn von Shinji Hikari. Er konnte es nicht wissen, er kannte seinen Vater doch nicht. Aber Ai wusste es. Und seit er wieder nachhause gekommen war, spürte sie es auch. Der erste Blick auf ihren Sohn hatte ausgereicht. Er sah seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich, benahm sich wie er. Nichts unterschied Fireball noch von Captain Hikari, nicht einmal mehr der Beruf. Als die Tür hinter Shinji zuflog, sank Ai auf den Boden. Der Sohn war der Vater geworden. Die Wiedergeburt ihres Mannes geisterte dieser Tage mehr als lautstark durch die Wohnung, brach ihr das Herz. Mit jedem Wort. Mit jedem Blick. Die drei Freunde waren viel zu langsam gewesen, als Fireball ihnen im Vorbeigehen mitteilte: „Ihr kommt eine halbe Stunde ohne mich aus.“, war er auch schon verschwunden gewesen und hatte sie ihrem weiteren Schicksal überlassen. In Colt war die Wut schneller aufgestiegen, als der Wunsch nach einer Tasse Kaffee. Die geschlossene Zimmertür war kein guter Schalldämpfer gewesen und so hatte er, genauso wie Saber und April, jedes Wort gehört. Sie hatten zwar nichts verstanden, weil nun auch Fireball in seiner Muttersprache gemault hatte, aber die Stimmung war deutlich fühlbar gewesen. Colt hätte dem kleinen Hombre gerade am liebsten den Kragen umgedreht. Wie konnte er nur so respektlos mit seiner Mutter umgehen? Der Cowboy verstand es ganz einfach nicht. Er, wenn er seine Eltern denn noch hätte, er würde seine Mutter niemals so behandeln. Das hatte sie nicht verdient. Mit keiner Mutter dieser Welt durfte so umgesprungen werden. Fireball hatte in seinen Augen verdammtes Glück, dass er seinen Abgang so vorgezogen hatte, sonst wär Colt ihm wirklich an den Hals gegangen. Auch Saber hegte ähnliche Gedanken wie der Cowboy. Er räusperte sich kurz und entschied sich, seinen Kommentar hinunter zu schlucken. April und Colt schienen auch ohne ausgesprochene Worte auf seiner Seite zu stehen. Nach dem vorangegangenen Getöse und Gebrüll empfand Saber die nun vorherrschende Stille als bedrückend. Vor allem, weil man von Fireballs Mutter gar nichts mehr hörte. Erneut begann er sich Sorgen zu machen. Egal, was sein Pilot da vom Stapel gelassen hatte, es konnte nur schmerzhaft für die Mutter gewesen sein. April stand bedächtig auf. Sie nickte ihren beiden Jungs zu und verschwand aus der Küche. Die Blondine konnte den Schmerz von Ai deutlich spüren, auch, wenn sie sich gar nicht kannten. Eines verband die beiden ungleichen Frauen. Nämlich der Hitzkopf, der wie ein Blitz aus der Wohnung verschwunden war. April verstand Fireball nicht. Normalerweise hatten Kinder, die nur noch einen Elternteil hatten, eine ganz besonders gute Beziehung zu diesem. Aber der Rennfahrer und seine Mutter rieben sich gegenseitig auf, setzten sich Widerstand entgegen, fast, als gehörten sie nicht zusammen. Das stimmte April traurig. Leise klopfte sie an die Zimmertür: „Misses Hikari?“ Keine Antwort. Entweder wollte Ai nicht mit ihr reden oder es ging ihr schlecht. Sie legte ihr Ohr an die Tür und horchte hinein. Nichts. Ein unbehagliches Gefühl überkam April. Was hatte Fireball nur angerichtet? Sie konnte nicht tatenlos zusehen und so tun, als ginge sie das alles nichts an. Dazu war April ganz einfach nicht der Typ. Sachte zog sie die Schlafzimmertür einen Spalt auf und schlüpfte hinein. Commander Eagles Tochter achtete nicht auf das Zimmer, sie konzentrierte sich nur auf Fireballs Mutter, die vor dem Bett kniete und das Gesicht im Laken vergrub. Sie weinte bitter. April kniete sich neben Ai und strich ihr mit einer Hand behutsam über die Schulter. April flüsterte bekümmert: „Misses Hikari? Bitte nehmen Sie sich Fireballs Worte nicht zu Herzen. Er meint es nicht so.“ Langsam hob Ai den Kopf. Ihre Arme lagen verschränkt auf dem Bett ihres Sohnes. Mit leeren Augen sah sie an April hinab. Weshalb saß dieses Mädchen hier und nahm Shinji auch noch in Schutz? Ai spürte den Knoten in ihrer Brust ganz deutlich. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren wieder grausame Realität geworden. Und ein zweites Mal würde sie es nicht ertragen können, Shinji zu Grabe zu tragen. Die blauen Augen der jungen Frau spiegelten Sorge wieder. Gereizt, aber vor allem irritiert, zog sich Ai vor April zurück. Sie wich von ihr weg, wischte sich mit zittrigen Fingern die Tränen aus den Augen und gab sich alle Mühe, ihre Stimme fest klingen zu lassen: „Was weißt du schon? Du hast keine Ahnung wie viel Leid das Kavallerie Oberkommando über uns gebracht hat.“ April fuhr erschrocken zurück. Sie krabbelte nach hinten und sah Fireballs Mutter mit weit aufgerissenen Augen an. Die Bitterkeit in Ais Stimme hatte sie erschrocken. April beschlich die ungute Vorahnung, dass sie sich in die Nesseln gesetzt hatte. Sie hatte sich in etwas eingemischt, von dem sie nichts wusste. Seit April den Rennfahrer kannte, hatte er nie über seine Familie gesprochen, war aber immer fröhlich und freundlich gewesen. Was sie hier allerdings von ihm erlebte, nach nicht einmal vierundzwanzig Stunden mit seiner Mutter unter einem Dach, machte April sprachlos. Beinahe. Ein unsicheres „Warum?“ brachte sie noch hervor, das sie beinahe verschluckt hätte. Die Japanerin strich sich die Haare über die Schultern, ihre Augen hafteten an der Blondine. Es tat ihr leid, dass sie April mit ihren Worten erschrocken hatte, aber für sie war es ein unumstößlicher Fakt. Shinji war bereits für den Frieden im Neuen Grenzland gestorben, im Dienste des Oberkommandos. Überzeugt erklärte sie deshalb April: „Es wird nur noch mehr Unheil über uns bringen. Es wird Shinji das Leben kosten.“ Wieder waren Tränen in ihre Augen gestiegen, denn Ai ahnte bereits, wie Shinji ums Leben kommen würde. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, da sah sie, wie er starb. Für den Frieden, eine heile Welt, etwas, das es niemals geben würde. Noch ein Stückchen weiter rutschte April nach hinten. Nun saß sie auf der Schlafmatte. Ramrods Navigatorin hatte Angst. Weshalb war sich Fireballs Mutter so sicher, dass der Rennfahrer sein Leben lassen würde? Sie konnte es nicht nachvollziehen, von Verstehen war noch lange keine Rede. April griff mit beiden Händen nach hinten, stützte sich damit auf der Matte ab und verschränkte die Beine zu einem Schneidersitz. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Angst und Unsicherheit. Wo war sie da rein geraten? All das waren jedoch verschwindend geringe Gründe, sich für die Störung zu entschuldigen und zu gehen. Zumindest für April. Sie hatte schnell gemerkt, dass sie hier etwas über ihren Piloten in Erfahrung brachte, was sie von niemandem sonst jemals hören würde. Ein Stück Familiengeschichte. Die Neugier siegte über die Verwunderung: „Aber wie kommen Sie nur darauf?“ Ai biss sich auf die Lippen. Woher sie das wusste? Dafür musste man kein Hellseher sein, wenn man Vater und Sohn kannte. Sie würden das gleiche Schicksal teilen, früher oder später. Fireballs Vater war der selbe Hitzkopf gewesen, als er in Fireballs Alter war. Ja, er war selbständig gewesen, hatte erwachsen gedacht, aber gehandelt hatte er immer unvernünftig. Ai hob hilflos die Hände. Ihre Stimme klang verbittert: „Weil er stur und leichtsinnig ist, wie sein Vater.“, waren das etwa Charakterzüge, die die junge Frau vor ihr noch nicht bemerkt hatte? Aprils große Augen deuteten dies an, doch Ai konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen. Den Sturkopf erkannte man sofort in ihm, da brauchte man ihn noch nicht mal besonders gut zu kennen. Deshalb bohrte sie nach: „Wie lange kennt ihr euch schon? Du und Shinji?“ Es war für Ai schlecht vorstellbar, dass April Fireball kaum kannte. Die Japanerin hatte am Frühstückstisch vorhin gemerkt, wie eingespielt die drei waren, da war sie sich ziemlich sicher, dass auch Shinji sich gut in dieses Team eingefügt hatte. Umso mehr verwunderte sie deshalb Aprils ungläubiges Gesicht. April erholte sich kaum noch von ihrem Schrecken. Sie konnte nicht glauben, was sie von Ai gehört hatte. Aber mehr noch als das Was bekümmerte sie das Wie. War sie nach den Gesprächen mit ihrem Vater und ihrer ihr eigenen Naivität davon ausgegangen, dass sich Fireballs Eltern geliebt hatten, hörten sich Ais Worte nicht so an. Sie schien diese Charaktereigenschaften ihres Mannes zu verachten. April kam nicht umhin, ihr Recht zu geben, denn stur und leichtsinnig war Fireball tatsächlich. Aber er war auch etwas anderes. Fireball war unbefangen und voller Lebensfreude. Aufmerksam musterte April Fireballs Mutter. Hatte sie all die guten Eigenschaften verdrängt? Die Blondine erwiderte schließlich unsicher: „Aber… Sie haben seinen Vater doch geliebt, wie…?“ Mehr brachte sie nicht hervor, denn April scheute sich, darüber zu urteilen. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen würde, wenn sie ihren geliebten Mann im Krieg verlieren würde. „Eben weil er es war, hab ich ihn geliebt.“, Ai senkte den Blick. Shinji war mit Feuer bei der Sache gewesen, mit einer unglaublichen Leidenschaft. Egal, was er getan hatte, er hatte es mit ganzem Herzen getan. So wie sein Sohn es heute tat. Ohne vom Fußboden aufzusehen, versuchte Ai April einen kleinen Einblick zu geben, sie sollte sie verstehen: „Sieh dir meinen Sohn an und du weißt, wer sein Vater war.“ Durch Ais Worte ermutigt, traute sich April wieder etwas zu sagen. Sie tat, was Ai ihr eben geraten hatte und stellte sich Fireball vor. Wenn er so wie sein Vater war, dann stand für die Blondine eines fest: „Er war bestimmt ein wundervoller Mensch. Fire steht zu dem, was er tut. Er steht hinter uns, wir können uns auf ihn verlassen. Er…“ Erstaunt hielt April inne. Hatte sie wirklich angefangen, von Fireball zu schwärmen? Sie mochte all diese Eigenschaften an Fireball, er war ihr Fels in der Brandung. Doch damit schien sie sich bei Ai noch unbeliebter zu machen. Die Japanerin deutete durch die Tür nach draußen. Sie fühlte sich von April nicht ernst genommen: „Denkst du, das wüsste ich nicht? Glaubst du, ich wüsste nicht, wie Shinji ist?“ Wieder wich die Blondine nach hinten. Zu allem Übel hatte sie nun auch noch alte Wunden aufgerissen. Verschreckt entschuldigte sie sich: „Tut mir leid… Ich wollte nicht…“ Langsam richtete sich Ai auf. Ihre Blicke glitten über April. Hatte sie vorhin noch geglaubt, dieses Mädchen würde ihrem Sohn Ärger machen, so korrigierte sich Ai nun. Es würde genau andersrum kommen. Ganz sicher. Fireballs Freundin würde leiden und vielleicht sogar daran zu Grunde gehen. Sie erinnerte sich schmerzhaft daran, was ihr Schicksal damals besiegelt hatte. Traurig wandte sie die hellbraunen Augen von April ab und ging zur Tür. Ai flüsterte gebrochen: „Lass nicht zu, dass dir mein Sohn das Herz bricht, April. Und das wird er so sicher, wie er Shinji heißt.“ April blieb beinahe das Herz stehen. Sie schluckte und antwortete tapfer: „Niemals.“ Noch einmal sah Ai zu April hinüber. Sie konnte die Antwort der Blondine nicht richtig glauben, ihr Gespür verriet das Gegenteil. Die Japanerin schloss die Augen und seufzte. Sie wusste noch haargenau, wie Shinji sie um seinen kleinen Finger gewickelt hatte. Er würde es auch wieder tun: „Sieh ihm nicht in seine braunen Augen. Es wird dein Verderben sein.“ Während Ai die Tür öffnete und sich verabschiedete, sie musste endlich in die Arbeit, sank April in sich zusammen. Woher hatte Ai das gewusst? Wie hatte sie ihr so sicher sagen können, wie sie ihr Herz an Fireball verloren hatte? April hauchte erschüttert: „Zu spät.“ Wie dehnbar der Begriff einer halben Stunde sein konnte, hatten Saber, Colt und April an diesem Vormittag am eigenen Leib erfahren. Nach dem Frühstück hatten sie es vorgezogen, die Wohnung zu verlassen, so lange Ai in der Arbeit war. Es war unhöflich, alleine in einer fremden Wohnung zu bleiben. Sie hatten gedacht, dass ihr lautstarker Pilot, wie vorhin groß angekündigt, in spätestens einer halben Stunde zurück sein würde. Doch die Uhr belehrte sie eines besseren. Kopfschüttelnd hatte Saber nach einer dreiviertel Stunde des Wartens seine Freunde auf einen Spaziergang durch die lebhafte kleine Stadt entführt. Wer wusste schon, wo Fireball tatsächlich hingegangen war und wie lange es dauerte. Colt grummelte eine Zeit lang vor sich hin, der perfekte Start in den Urlaub sah seines Erachtens anders aus. April ging stumm neben ihren Begleitern her, Ais Worte schwirrten ihr immer noch im Kopf herum und bedrückten sie. Woher konnte Fireballs Mutter mit Sicherheit sagen, welches Schicksal April erwarten würde, wenn sie sich in Fireball verliebte? Saber lenkte Aprils Aufmerksamkeit schließlich auf erfreulichere Dinge. Er stupste seine Freundin und Kollegin an und deutete auf einen Gebäudekomplex, an dem sie gerade vorbeispazierten: „Sogar ein Shoppingcenter ist in der Nähe.“ Der Cowboy begann breit zu grinsen, während er Aprils Gesichtsausdruck gespannt verfolgte. Der änderte sich nämlich von nachdenklich zu hocherfreut. Oh, und er kannte Aprils nächstes Shoppingopfer bereits. Alleine schon für das, was sich Fireball heute Morgen geleistet hatte, war er für die nächsten fünfzehn Einkaufstouren mit April eingeteilt. Das breite Grinsen wurde zu einem fiesen und hämischen Lachen: „Tja, ich schätze, Fireball kann es kaum noch erwarten, mit dir den Tempel deiner Gelüste unsicher zu machen.“ „Die einzigen Gelüste, dich ich momentan hege, betreffen alle dich, Cowboy!“, April boxte ihm empört gegen die Schulter. So verdammt zweideutig, wie Colt immer war, regte sie das maßlos auf. Sie schimpfte: „Du machst es nicht mehr lange, wenn du so weitermachst, mein Guter.“ Der Viehtreiber rieb sich die getroffene Schulter und verzog wehleidig das Gesicht. Aber das Kontern ließ er sich trotzdem nicht nehmen. Endlich war April wieder gesprächig geworden, das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben: „Nee, Prinzessin. Dein Guter hat uns heute ziemlich im Regen stehen gelassen. Und das bin, auch wenn ich es manchmal doch gern wäre, nicht ich. Hau unserem frechen Rotzlöffel eine runter, aber nicht mir.“ Saber ging aus der Schusslinie, und das schmunzelnd. Colt hatte April nun endgültig angestachelt und er wollte nicht unbedingt einen Blindgänger einkassieren, wenn er sich zwischen April und Colt aufhielt. Saber amüsierte sich still und heimlich über den Streit, auch wenn ihm nicht immer gefiel, was er hörte. Aber es ließ ihn diesen seltsamen Morgen vergessen und alleine das war die Schimpfworte der beiden wert. Die Blondine holte erneut aus, schlug dieses Mal aber nicht zu, sondern bremste ihre Faust direkt vor Colts Gesicht herunter und hielt ihm ihre geballten Finger unter die Nase. Aufgebracht machte sie sich vor Colt größer und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Bei Colts letzten Worten war sie knallrot im Gesicht geworden, jede reife Tomate wäre neidisch auf diese gesunde Farbe gewesen. Wieso nur wurde ihr jedes Mal so unsagbar heiß, wenn Colt ihr und Fireball ein kleines Tete-à-Tete unterstellte? War an seinen saudummen Scherzen am Ende auch noch ein Funken Wahrheit dran? April fauchte: „Hör zu, Froschkönig! Wenn du heil bei Robin zuhause ankommen willst, schlag ich vor, du hältst deine übergroße Klappe, sonst endest du im Brunnen, bei den anderen Kröten.“ Nun prustete Colt los: „Ach, Rapunzel! Der einzige, der an deinen Turm kommen darf, ist ja wohl ganz eindeutig unser Rumpelstilzchen.“ Es war eine Wohltat mit April zu streiten, zumindest brachte es Colt auf andere Gedanken. Die Mordgelüste hatte er erst einmal ad acta gelegt. Viel wichtiger war es jetzt, April damit aufzuziehen, was sie gerne hätte aber nicht durfte. Keck stieß er seine Hüften seitlich gegen Aprils und zog sie noch mehr auf: „Obwohl… die edle Jeanne d’Arc war ja Jungfrau. Wie fest sitzt denn dein Keuschheitsgürtel, wenn man mal fragen darf, darf man doch?“ April zog die Lippen zusammen, bis sie nur noch zwei weiße Striche waren und funkelte Colt an. Das musste sie sich nicht gefallen lassen. Schon gar nicht von Colt. Schlagfertig giftete sie ihn deswegen an: „Der ist schon eingerostet, wenn du so fragst.“ „Eine eiserne Jungfrau sozusagen.“ Colt und April hielten in ihrem Geplänkel inne. Sie blinzelten auf Saber, unfähig einen Ton zu sagen. Bis Colt plötzlich loslachte. Der Schotte hatte einen derart trockenen Zwischenruf platziert, dass Colt damit nie im Leben gerechnet hätte. Während sich der Cowboy schon fast den Bauch vor Lachen halten musste, hatte April ein neues Opfer auserkoren. Sie drehte sich mit wehender Mähne zu ihrem Boss und funkelte ihn düster an. Die Blondine stemmte die Arme in die Hüften und wollte herrisch wissen: „Wie darf ich denn das verstehen?“ Sabers Miene blieb unterdessen undurchschaubar und kühl. Kein Lächeln erschien auf seinen Lippen und nichts ließ erahnen, wie er sich über den Ausbruch von April gerade amüsierte. Mindestens so trocken wie vorhin, erklärte er: „Bei der Fülle an Dates, die du in letzter Zeit hattest? Verzeih mir, aber sogar bei der Jungfrau Maria war die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, größer als bei dir gerade.“ „Oh, du!!!“, April wollte Saber eine Kopfnuss verpassen, doch dieser duckte sich geistesgegenwärtig einfach unter ihrer Faust weg. Dafür aber trat sie ihm anschließend herzhaft gegen das Schienbein und maulte: „Wie soll man jemand vernünftigen kennenlernen, wenn man solche Bodyguards wie euch hat? Ihr vergrault ja alles, was Interesse an mir zeigen würde!“ Saber ging von der geduckten Haltung gleich in die Hocke und rieb sich das getroffene Schienbein. Ja, Aprils Tritte konnten höllisch wehtun. Dazu bräuchte sie nicht mal einen schwarzen Gürtel. Colt bekam vor Lachen schon keine Luft mehr, das war eine Premiere. Saber, der sich ansonsten immer schön aus allen Streitigkeiten heraushielt und nur zuhörte und sich an den unsinnigen Wortmeldungen erfreute, wurde mal aktiv daran tätig und kassierte dafür gleich eine saftige Abreibung von April. Das war zu herrlich. Und Fireball verpasste den ganzen Spaß. Albern jauchzte Colt: „Ich hab noch keinen gesehen, Prinzessin, der sich näher als dreißig Meter an dich ran trauen würde. Und jeder, der dir zu nahe kommt, teilt Sabers Schicksal. Süße, du musst an deinen Umgangsformen arbeiten, wenn du jemals was anderes als lebensmüde Rennfahrer abkriegen willst.“ Es hatte länger gedauert, bis er sich wieder beruhigt hatte. Fireball war laufen gegangen. Zuerst war er stadtauswärts gegangen, aber seine Gedanken hatten sich wie eine Spirale dauernd nach oben gedreht und ihn immer wütender gemacht. Vom Gehen war es nicht besser geworden, weshalb er immer schneller geworden war, bis er schließlich durch den groß angelegten Park gelaufen war. Völlig verschwitzt und außer Atem stand er im Treppenhaus und wollte die Tür aufsperren, als auch seine Freunde die Treppen hoch kamen. „Wen haben wir denn da? Du schnaufst wie eine alte Dampflock, Matchbox.“, Colt stieß sich den Hut aus dem Gesicht, während er auf Fireball zuging. Fireball drehte sich kurz um: „Solang’s keine Diesellock ist.“ Dabei zuckte er mit den Schultern und drehte seinen Freunden wieder den Rücken zu. So egal wie in diesem Moment waren ihm Colts dumme Sprüche selten. Er schloss endlich die Tür auf und bat seine Freunde hinein. Es interessierte Fireball nicht, von wo sie gerade zurückkamen. Das einzige, wonach ihm gerade der Sinn stand, war eine eiskalte Dusche. Ohne sich zu bücken schlüpfte Fireball aus seinen Schuhen und trat die kleine Stufe hinauf, die den Eingangsbereich von der restlichen Wohnung trennte. Saber ließ Fireball erst mal richtig ankommen und verkniff sich jedes Wort. Als Fireball jedoch mit frischen Klamotten aus seinem Zimmer kam und gleich darauf im Bad verschwinden wollte, griff er nach dem Rennfahrer und schob ihn von der Tür weg: „Hast du mal eine Minute?“ Fireball umklammerte die Jeans und das langärmlige, grüne Shirt fester. Den befehlenden Unterton in Sabers Stimme hätte er niemals überhören können. Konnte er in seinen eigenen vier Wänden nicht wenigstens fünf Minuten seine Ruhe haben? Nachdem ihn seine Freunde fordernd ansahen und keinen weiteren Abgang mehr duldeten, ließ Fireball die frische Kleidung auf den Boden fallen und deutete resignierend auf das Wohnzimmer. Während seine Freunde vorgingen, wischte sich Fireball mit dem verschwitzten T-Shirt übers Gesicht. Er folgte ihnen unfreiwillig und blieb am Fenster stehen, das seine Mutter heute in der Früh gekippt hatte. Der leichte Luftzug dort verschaffte ihm eine angenehme Kühlung, was eigentlich die kalte Dusche hätte sollen. Auch, wenn sich Saber ansonsten mit Kommentaren und Urteilen bedeckt hielt, für Fireballs Verhalten gab es nur eine Beschreibung: „Beschämend, was du dir heute geleistet hast, Fireball.“, dabei setzte sich der Anführer bedächtig auf das Sofa und strich mit der Hand über den Tisch. Seine Augen folgten seiner Handbewegung, Fireball wollte er dabei nicht direkt ansehen, sonst hätte er das weniger freundlich formuliert. Das erledigte ohnehin Colt. Der hatte nur darauf gewartet, dass Saber den Anfang machte und Fireball dezent auf das Thema hinwies. Er musterte den Rennfahrer abfällig. Kopfschüttelnd verschränkte er schließlich die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türstock. Wie konnte der freche Kerl nur? Wenig charmant fiel er mit der Tür ins Haus: „Dir sollte mal jemand den Knick einprügeln, Hombre. Der Umgang mit der eigenen Mutti ist ja schon ein Thema für sich, aber dann noch neben uns so mit ihr zu verfahren, das setzt dem ganzen Debakel die Krone auf. Ehrlich, wärst du nicht so schnell weg gewesen, ich hätt dir ein paar hinter die Löffel verteilt.“ Gemeint hatte Colt das Kniggebuch, aber das war ihm in der Hitze des Gefechts nicht eingefallen, deswegen hatte er einfach Knick gesagt. Bei Fachbegriffen war er noch nie sonderlich bewandert gewesen, seine Freunde hatten sich schnell daran gewöhnt, weshalb sollte er deswegen noch umständlich nach den richtigen Worten suchen? Auf die Ausrede von Fireball war der Cowboy nun mehr als gespannt. Es gab Dinge im Leben, die konnte man zweifelsfrei voraussagen. Die Situation eben war eine davon. Aufmerksam hatte Fireball Saber zugehört, bei Colts Worten waren ihm lediglich die Augenbrauen in die Höhe geschossen. Was wollte der Scherzkeks von ihm? Fireball wischte sich noch einmal mit dem Handrücken über die Stirn. Verdammt, er war zu schnell und unkontrolliert gelaufen, sein Puls ging immer noch viel zu schnell, so wie sein Atem. Er atmete tief aus, stieß dabei einen seufzenden Laut aus und sah dann erwartungsvoll zu April hinüber. Die schwieg, was Fireball dann doch verwunderte. Sonst konnte sie nicht ruhig auf dem Stuhl sitzen bleiben, wenn es um emotionale Themen ging, und jetzt sah es so aus, als berührte sie das gar nicht. Schulterzuckend verteidigte er sich dennoch vor seinen Freunden: „Ai ist ein verfluchter Morgenmuffel. Meine Wenigkeit ist da nicht besser. Das war früher so und das hat sich nicht geändert. Na und? Wenn sie heute Abend von der Arbeit kommt, lächelt sie wieder und dann mag sie euch auch ein bisschen mehr.“ Colt hielt sich empört den Hut auf dem Kopf fest. Das ging auf keine Kuhhaut mehr! Vor seinen Eltern hatte jeder normale Mensch Respekt, Ehrfurcht und nichts weiter als Bewunderung. Colt wäre nie eingefallen, so mit seinen Eltern zu reden, weder so laut noch so ungehobelt, was der Giftzwerg ohne Zweifel gewesen sein musste. Colt vermisste seine Eltern manchmal schmerzlich, er würde alles dafür geben, sie noch bei sich zu haben. Deswegen verstand der Kuhhirte nicht, wie man seinen Eltern so respektlos gegenüber treten konnte. Er grummelte ungehalten: „Sag mal, bist du echt so ein Esel, oder tust du nur so? Gott allein weiß, was du der lieben Ai da heute Früh so übertrieben freundlich vor die Füße gespuckt hast, aber Teufel noch eins, du kannst so nicht mit deiner Mutter reden!“ Fireball verdrehte genervt die Augen. Colt verstand zwar kein Wort, aber Vorwürfe machen konnte er trotzdem. Der Scharfschütze hatte keine Ahnung, worum es bei ihrer Debatte gegangen war, und dennoch maßte er sich ein Urteil an. Konnte der nicht einmal die Klappe halten? Da gab’s nur eine Antwort: „Ich bezweifle, dass du was anders machen würdest. Allerdings dürfte der Beweis mangels Anwesenheit schwer anzutreten sein.“ Wie ein Blitz schoss Colt quer durch den Raum und packte Fireball am Kragen. Wutschnaubend zog er den Rennfahrer zu sich und wollte ihn mit seinen bösen Blicken am liebsten aufspießen. Knurrend machte er klar: „Du verdammter Trottel! Wer weiß, wie lange du deine Mutter noch hast? Also egal, wie sie dich auf die Palme bringt, du hast nicht das Recht, ihr dafür Vorhaltungen zu machen. Sei dankbar für die wunderbare Fürsorge, die sie dir entgegenbringt.“ April zuckte leicht zusammen und trat einen Schritt zur Seite. Colts Reaktion hatte sie erschrocken. Aber sie verstand den Scharfschützen auch. Sie stimmte ihm sogar zu. Kein Kind hatte das Recht, seinen Eltern derart respektlos gegenüberzutreten, wie es Fireball getan hatte. Gespannt hielt sie den Atem an und beobachtete. Fireball keuchte überrascht auf, er war zu ruckartig von seinem Platz weggezogen worden. Aber er ließ sich nicht alles gefallen. Reaktionsschnell schlug er Colts Hände von seinem Shirt und trat wieder nach hinten. Brüskiert rechtfertigte er sich: „Welche Fürsorge, du Affe?! Halt einfach den Rand, wenn du keine Ahnung hast!“ Nun ging Saber dazwischen. Das vor ihm war kein normaler kleiner Streit, wie er ihn beinahe täglich mit Fireball und Colt erlebte. Hier ging es um etwas Persönliches. Colt hatte seine Eltern verloren und vermisste diese, während der Rennfahrer nichts Eiligeres zu tun hatte, als das mütterliche Nest zu verlassen und seine eigenen Wege zu gehen. Dieses Mal stand auch Saber eher auf Colts Seite, gleichzeitig konnte er sich aber darauf besinnen, nichts über den Damm zu brechen. Fireball hatte bestimmt seine Gründe, auch wenn er diese gerade nicht sehen oder einordnen konnte. Saber schob die beiden Streithähne auseinander und mahnte Fireball: „Hör auf, Fireball! Wir wollten lediglich eine Erklärung von dir und du fühlst dich gleich angegriffen.“ „Moment mal!“, Fireball sah Saber erbost an. Sie hatten ihn angegriffen, war dem Säbelschwinger das nicht aufgefallen? Sie hatten Rechtfertigungen für sein Verhalten verlangt, hatten sich eine Meinung über die Geschehnisse von heute Morgen gemacht, aber nur nach den Gesichtspunkten, die seine Mutter betrafen. Seine Freunde wussten nicht, was vorher alles geschehen war, wie lange sie sich nicht gesehen hatten. Es hatte ja doch keinen Zweck, es ihnen erklären zu wollen. Deswegen hob Fireball hilflos die Hände vor die Brust und resignierte: „Ja, jede Mutter stirbt fast vor Sorge, aber keine macht so ein Drama draus, wie Ai.“ Nun stand Fireball endgültig auf verlorenem Posten. Colt schüttelte immer noch wütend den Kopf: „Meine hätte.“ Auch Saber machte keinen Hehl daraus: „Meine hat und tut noch immer.“ „Und bei mir übernimmt das Daddy.“, April sah Fireball stur dabei in die Augen. Es war eindeutig, was ihre blauen Augen zu vermelden hatten: Du tust deiner Mutter weh, du Esel. Den restlichen Tag war Fireball seinen Freunden aus dem Weg gegangen und zwar konsequent. Er hatte sie angeschwiegen, wenn sie ihn nach etwas gefragt hatten. Das war seine Art zu strafen. Bisher hatten Saber, Colt und auch April mit dieser Eigenheit keine Bekanntschaft gemacht, nun waren sie überrascht und gaben nach wenigen Fragen, die mit Schweigen und dem Verlassen des Raumes beantwortet worden waren, auf. Fireball würde schon wieder zu sprechen anfangen, wenn er aufgehört hatte, zu schmollen. Der Rennfahrer war wie vorhin geplant unter die Dusche gesprungen und hielt sich den restlichen Tag vorwiegend in der Küche auf. Er hatte die Tür geschlossen, weil er niemanden sehen wollte. Den Zorn aller drei auf einmal auf sich zu ziehen war für Fireball eine Premiere. Aber dadurch erst hatte er erkannt, was an diesem Morgen wirklich schief gelaufen war. Es tat ihm leid, keine Frage, aber gleichzeitig war der Widerstand in ihm ungebrochen. Fireball fühlte sich in einer Beziehung gefangen. In einer, die nicht seine war. Fireball war sukzessiv in die Rolle seines Vaters hineingezwängt worden. Aber wie dem auch sei, seine Freunde würden das weder erkennen noch einsehen, wenn er es ihnen so schilderte. Deswegen nahm er sich vor, zumindest während ihres Aufenthaltes in Japan die Füße still zu halten und mit Ai auszukommen. Um den Hausfrieden wieder herzustellen begann der Rennfahrer schließlich zu kochen. Ai sah verwundert von ihrem Schlüsselbund zur geöffneten Wohnungstür auf. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie erwartet wurde. Sofort stieg ihr der wunderbare Duft von Ramen in die Nase. Es weckte Erinnerungen in ihr. Fireballs Vater hatte es gerne gekocht und noch lieber gegessen. Ai hatte früher oft mit Shinji in der Küche gestanden und gemeinsam gekocht, bis er fort gegangen war. Nun überraschte sie ihr Sohn mit Abendessen. Das warf Ai völlig aus der Bahn, weil es sich gerade anfühlte, wie vor zwanzig Jahren. Fireball trat von der Eingangstür zurück. Mit gesenktem Kopf und angezogenen Schultern ging er in die Küche vor. Leise informierte er: „Abendessen ist fertig, Ai.“ Hatte sie sich geirrt, oder war ihm die Reue ins Gesicht geschrieben gestanden? Irritiert schüttelte Ai den Gedanken ab und zog sich am Eingang die Schuhe aus, ehe sie Fireball in die Küche folgte. Dort fand sie auch ihre Gäste vor, die schon geduldig vor ihren Gedecken saßen und auf Ai warteten. „Setz dich.“, hörte sie Fireball in einem gedämpften Ton sagen. Die Japanerin tat, was ihr angeboten worden war, ansonsten hätte sie geholfen, das Gericht zu servieren. Sie setzte sich an den Kopf des Tisches, auf den beiden Stühlen links von ihr saßen bereits Colt und Saber, rechts saß April und Fireball würde den letzten Stuhl besetzen, sobald er aufgetischt hatte. Die Stille war ihr aufgefallen. Eine gewisse Spannung lag zwischen den Freunden und ihrem Sohn in der Luft, das konnte sie fühlen. Da war Shinji wohl nicht nur mit ihr aneinander geraten, sondern auch mit den fremden Gästen. Schweigend begannen sie zu essen. Ai beobachtete gespannt ihren Besuch. Immer wieder sah sie von ihrer Schüssel auf und über den Tisch. Der Lockenkopf, der ihr an diesem Morgen mit Colt vorgestellt worden war, kämpfte verbittert mit seinen Stäbchen. Immer wieder rutschte ihm das Essen von dem ungewöhnlichen Esswerkzeug auf den Tisch. Er sammelte es dann mit seinen Fingern von dort auf und schob es sich schnell in den Mund. Aber aufgeben kam für ihn auch nicht in Frage. Der blonde, junge Mann, der beim Frühstück stets höflich gewesen war, saß links neben ihr und hatte mit dem Essbesteck keinerlei Probleme. Auch jetzt hielt er sich vornehm zurück und beobachtete, gleich wie Ai, die anderen beim Essen. April, das Mädchen mit den langen, blonden Haaren, saß wie selbstverständlich neben ihrem Sohn. Ai fragte sich, ob ihr Rat schon zu spät gekommen war. Auch April hatte Mühe mit dem Essen voran zu kommen, aber Fireball griff ihr immer wieder um die rechte Hand und korrigierte schweigend ihre Handhaltung. Jedes Mal wieder schenkte sie dem Rennfahrer dafür ein dankbares Lächeln. Fireball hingegen quittierte ihre Blicke nur damit, indem er ihre Hand wieder los ließ, aß kaum und hatte den Blick meistens stur auf die Tischplatte vor sich gerichtet. Es war Zeit, das für ihren Sohn so bedrückende Schweigen zu brechen. Ai legte ihr Essbesteck zur Seite und sah noch einmal aufmerksam durch die Runde, ehe sie bemerkte: „Ruhig ist es hier.“ „Ja.“, Colt fiel ein Stein vom Herzen, dass Ai endlich zu reden angefangen hatte. Keine Minute länger hätte er das Schweigen noch ausgehalten. Grinsend deutete er mit den Stäbchen über den Tisch hinüber auf Fireball: „Wenn der Krawallstoppel nicht daheim ist, glaub ich das gern.“ Ai schmunzelte Colt entgegen. Er verhielt sich bei seinen Freunden also wie zuhause. An sich ein gutes Zeichen, wie Ai dachte, doch für Fireballs Freunde bedeutete das auch, dass sie mit seinem Hitzkopf zurecht kommen mussten und seine Ausbrüche ertragen mussten. Ihre hellbraunen Augen bedachten Fireball mit einem doch warmherzigen Blick. Unbewusst hatte er den Kopf eingezogen. Das schlechte Gewissen bedrückte ihn. Ein mütterliches Lächeln stahl sich davon. Saber biss sich auf die Lippen, als Ai verkündete: „So sieht’s wohl aus. Alles war gut, bis er sprechen gelernt hat. Danach hat er angefangen, Widerworte zu geben. Sein erstes Wort war ‚Nein‘.“ Ai hatte sich von ihrem ersten Schrecken erholt, sie freute sich über den außergewöhnlichen Besuch. Die drei Freunde ihres Sohnes waren eine nette, unkomplizierte Bande, sie hatte ihnen Unrecht getan. Nachdem Colt ihr die Worte schon beinahe in den Mund gelegt hatte, konnte sie nicht mehr anders. Ja, das Wort Widerstand war ihrem Sohn nicht fremd. Im Gegenteil, es beschrieb ihn. Innerer Widerstand gegen alles, was er nicht selbst entscheiden konnte. Fireball ließ die Hände unter dem Tisch verschwinden und beugte sich noch weiter nach unten. Sein Essen hatte er kaum angerührt. Die Späße musste er sich nun wohl oder übel gefallen lassen, die sie auf seinem Rücken austrugen. Wahrscheinlich hatte er es nicht anders verdient. Der Cowboy nahm wieder einen Happen zwischen die Finger, der ihm auf die Tischplatte geplumpst war. In diesem Punkt würde er sich mit Ai zusammen tun. Er nahm die Gesprächigkeit ihrer Gastgeberin zum Anlass, den Rennfahrer schön durch den Kakao zu ziehen. Theatralisch seufzte er, als wäre bei Fireball schon lange Hopfen und Malz verloren: „Wenn er doch nur alles so gut könnte, wie frech und ungehobelt sein.“ Schlagfertig kam es von Ai zurück. Das ein oder andere Talent hatte Shinji schon: „Auto fahren.“ Die Blondine legte ihr Besteck zur Seite. Die Spannung im Raum war plötzlich verschwunden. Es wirkte manchmal wirklich Wunder, sich gemeinsam über jemanden lustig zu machen. Sie blinzelte zu Fireball hinüber. Das musste er sich nun gefallen lassen. Auch die Blondine war nach wie vor ein wenig eingeschnappt. Bemerkte der Sturschädel denn nicht, welche Sorgen sich seine Mutter um ihn machte? Die Blondine schenkte Ai wieder ihre Aufmerksamkeit, während sie Fireball noch einen Tiefschlag versetzte: „Fahren eher weniger. Aber im Autos zu Schrott fahren, macht ihm so schnell niemand was vor.“ Die beiden Hikari am Tisch zuckten bei diesen Worten merklich zusammen. Fireball, weil seine Mutter wieder ein Detail seines Lebens erfahren hatte, das er lieber verschwiegen hätte. Und Ai zuckte zusammen, weil ihre schlimmsten Befürchtungen auch im Bezug auf das Rennfahren Realität geworden zu sein schienen. Erschrocken sah die Mutter zu Fireball hinüber. Würde sie jemals etwas aus seinem Mund erfahren? Und als wäre das noch nicht genug gewesen, mokierte zu diesem Thema auch noch Colt auf. Es regte ihn immer noch auf, wie sich der Rennfahrer seiner Mutter gegenüber verhielt. Dann aber brachte der Bengel noch nicht einmal eine Entschuldigung hervor. Der Cowboy zog die Augenbrauen zusammen und erklärte sich Fireballs Verhalten folgendermaßen: „Er muss wohl vergessen haben, wie man richtig Buße tut, als er damals sein Gedächtnis verloren hat.“ Nun hafteten die hellbraunen Augen an Colt. Noch eine Begebenheit aus Fireballs Leben, die ihr Angst machte. Nicht ein einziges Mal hatte Ai erfahren, wenn Shinji etwas zugestoßen war. Fireball hatte sich nie gemeldet und das Oberkommando schickte auch keine Infos raus. Ai fragte sich, was ihr Sohn bisher alles erlebt hatte. Ein Gefühl dabei wurde sie jedoch nicht los. Mit jedem Gedanken wurde es stärker. Die letzten Jahre, in denen sie den Ausreißer nicht gesehen oder gesprochen hatte, hatte er sich unabhängig entwickelt. Und trotzdem. Er war seinem Vater so enorm ähnlich geworden. Legte sie das Bild ihres Mannes gedanklich über das Gesicht ihres Sohnes, so gab es keinen merklichen Unterschied mehr. Auch die Charakterzüge, die für Shinji so typisches gewesen waren, traten nun alle hervor. Deutlich und unverkennbar. Saber entschärfte Colts verbalen Ausrutscher, ehe Ai sich ernsthafte Sorgen machen konnte: „Das vergisst du bei Gelegenheit auch schon mal, Colt. Und du bist mit dem Kopf nirgends gegen gelaufen, oder?“, Sabers eindeutig fieses Lächeln ließ keinen Zweifel daran, dass er davon ausging, Colt wäre auch schon das ein oder andere Mal mit dem Kopf durch die Wand. Ai lächelte Saber dankbar zu. Es war wohl wirklich nicht so schlimm gewesen. Buße sah bei jedem anders aus. Da in der Familie Hikari kaum über Gefühle gesprochen wurde, hielt man sich auch mit Entschuldigungen bedeckt. Die Japanerin kannte die Art, wie hier im Haus um Verzeihung gebeten wurde. Mit Essen. Nicht nur Liebe ging durch den Magen, sondern auch Verständnis und Vertrauen. Shinji hatte Ai damals schon immer bekocht, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte, sie selbst hatte immer besonders aufwendig aufgetischt und das Ebenbild seines Vaters machte da keine Ausnahme. Ai erklärte seinen Freunden: „Jedenfalls hat er es mit der Abbitte nicht so. Wer nicht weiß, wie er das für gewöhnlich tut, merkt es gar nicht.“ Dabei achtete Ai sorgsam auf die Reaktion von Fireball. Dieser stieß leise die Luft aus und sank noch mehr in sich zusammen, den Blick de- und reumütig zu Boden. Da saß das schlechte Gewissen tiefer als gewöhnlich. Wäre Ai nicht überzeugt davon gewesen, dass Shinji damit keine Freude hatte, hätte sie unverhohlen zu lachen angefangen. Das bedrückende Gewissen hatte er sich durchaus verdient, aber allzu schadenfroh wollte Ai doch nicht sein. Mit einem freundlichen Nicken entließ sie ihn aus der Abbitte. „Das sieht jeder anders.“, grummelte Colt, der bei Fireball beim besten Willen keinen Anflug von Reue erkennen konnte. Eigentlich sollte der Rotzlöffel vor seiner Mutter knien und sie um Verzeihung anflehen. Nicht aufsehen und schweigen konnte auch was anderes bedeuten. April schlug sich auch dieses Mal auf Colts Seite. Fireball sollte für seine Schandtaten ruhig richtig büßen. Mit allem Drum und Dran. Nur der Schotte hatte Ais Worte richtig gedeutet. Schnell hatte er verstanden, wie Fireball seine Mutter um Verzeihung bat. Er nahm den letzten Bissen aus seiner Schüssel und nickte zu seinem Piloten hinüber. Der Schwertschwinger zwinkerte ihm zu: „Und bei jedem schmeckt’s anders. Das war richtig lecker! Danke.“ Nun hatte auch der letzte verstanden. Die Blondine streifte sich die Haare hinter die Schulter und gab das Essen mit Stäbchen für heute auf. Aber eine Empfehlung konnte sie noch aussprechen: „Wenn das so ist, dann hätte ich das nächste Mal doch lieber wieder eine Gabel, damit ich nicht verhungern muss.“ Sie schmunzelte leicht. Natürlich hatte ihr Fireball immer wieder geholfen, aber auch mit seiner Hilfe war nicht wirklich viel in ihren Magen gelangt. Die Tochter des Commanders stand mit dem asiatischen Essbesteck auf Kriegsfuß. Wie die Menschen hier sogar Nudelsuppe mit Stäbchen essen konnten, war ihr ein Rätsel. „Dito.“, Colt ließ seine Stäbchen in die Essensschale fallen. Jetzt hatte er eine gute halbe Stunde hinein gefuttert, was das Werkzeug hergegeben hatte und er war immer noch hungrig. Es war zum Verzweifeln. Resignierend gestand er Ai: „Ich weiß nicht, wie oft er schon versucht hat, uns das beizubringen…“ Fireball schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Seit sie zu essen angefangen hatten, war er schweigend am Tisch gesessen und hatte sich alle Quer- und Tiefschläge gefallen lassen. Zwischendurch hatten sich die vier über ihn unterhalten, als wäre er nicht anwesend. Colt hatte es mit Absicht getan, das wusste der Rennfahrer. Nun aber hatte er keinen Kopf mehr dafür. Er hatte genug gelitten, hatte seine Pflicht getan. Ohne aufzusehen, ging er aus dem Wohnzimmer: „Ihr entschuldigt mich?“ Schnell stand auch Ai auf: „Wie wär’s mit Nachtisch?“ Eine Süßigkeit zum Abschluss eines guten Essens hatte immer Platz. Nachdem die vier auf Ramrod immer nur sporadisch aßen und sich mit dem Kochen keine große Mühe machten, war Nachtisch etwas richtig Seltsames. Es kam derart selten auf den Tisch, dass alle drei Ai begeistert zunickten. Gut erzogen stand nun auch Saber vom Tisch auf und half Ai, das gebrauchte Geschirr in die Küche zu tragen. Der Schotte stellte das Geschirr auf die Spüle und betrachtete Ai einen Augenblick, die mit dem Kopf im Kühlschrank verschwunden war und allerhand Zutaten für das Dessert zusammen suchte. Auch, wenn er Fireballs Verhalten nicht gut heißen konnte, hatte Saber doch das Gefühl, bei seiner Mutter um Verständnis bitten zu müssen. Sie war immerhin von Fireball beleidigt und gedemütigt worden. Er konnte sich vorstellen, wie tief die Gram darüber wohl in Ai saß. Und für Saber gab es nur eine rationale Erklärung dafür. Einfühlsam begann er: „Fireball ist ein katastrophaler Dickschädel.“ Ohne sich zu Saber umzudrehen deutete Ai zum Küchenfenster hinüber, das im Dunkeln lag. Es war lieb gemeint von Saber, aber offenbar hatte er gedacht, sie beide wären allein in der Küche. Fireball stand am Küchenfenster und spähte in den Abend hinaus. Sie hätte ihn beim Eintreten selbst beinahe nicht gesehen, aber er stand dort im hintersten Winkel der Küche. Sie verkniff sich ein Lächeln, denn still war sie dankbar für Sabers Hilfe. Die dunkle Frau mochte den Schotten. Er war hilfsbereit und, das hatte sie am Morgen schon bemerkt, sofort zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Die aufmerksamen Augen folgten der Richtung, in die Ai gedeutet hatte, bis sie zum Fenster kamen. Hoppla, da stand noch jemand. Und es war der angesprochene Dickschädel, stützte sich mit den Armen am Fensterbrett ab und ließ den Blick über die Straßen unter sich gleiten. Nun war der Recke fehl am Platz. Schnell entschied er sich, Mutter und Sohn alleine zu lassen. Er suchte eine plausible Erklärung, als er die Küche verließ: „Ähm, ich sollte Colt und April wohl noch mit ihrem Essen helfen.“ Unglaublich, aber wahr. Saber hatte ein Fettnäpfchen erster Güte erwischt. Normalerweise war der Schotte taktvoll und überlegt, den Rennfahrer in der Ecke hatte er fahrlässig übersehen. Nun suchte er das Weite und hoffte, dass Fireball seinen Freunden davon nichts erzählte. Ansonsten würde Colt ihn damit ein Leben lang aufziehen. „Hilfst du mir?“, es war weniger eine Bitte als eine Anweisung von Ai. Die beiden waren die nächsten paar Minuten bestimmt alleine, Saber würde ihnen schon die Zeit verschaffen, die sie brauchten. Inzwischen war der gröbste Ärger bei Ai verflogen. Doch die distanzierte Haltung war geblieben. Die beiden standen sich im Augenblick so nahe, wie völlig Fremde. Von einer Familie war nichts zu sehen oder zu spüren. Ein unbehagliches Gefühl, wie Ai sich eingestand. Aber es kam nicht von ungefähr. Schon damals, als es um den Vertrag mit dem Autohersteller gegangen war, hatte sich etwas zwischen sie geschoben. Der Bruch war vor Jahren schon gekommen. Seine Heimkehr schien es nicht wieder gut zu machen, oder wenigstens wieder zu verbessern. Fireball trat hinter seine Mutter und riskierte ebenfalls einen Blick in den Kühlschrank. Einsilbig fragte er: „Wobei?“ Ais Sohn konnte immer noch nicht über seinen Schatten springen. Er hatte die Ahnung, seine Mutter würde es nie verstehen, wenn er nun klein bei gab. Irgendwie fürchtete er sich davor, sie könnte ihn dann noch stärker in das Vermächtnis seines Vaters drängen. Das wollte er unter allen Umständen vermeiden, denn er sah sich nicht als Wiedergeburt des großen Captain Hikari. Er war dessen Sohn, nicht mehr und auch nicht weniger. Fireball war klar, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte, aber eins zu eins ließ sich der Captain bestimmt nicht auf ihn umlegen. Das war unmöglich und nur ein Wunschdenken von Ai. Ohne sich umzudrehen, reichte Ai ihm die Eier nach hinten. Sie erklärte unterkühlt und ohne Gefühlsregung: „Nachtisch. Es gibt gebackene Bananen.“ Die wortkarge Art und Weise genügte Ai um zu wissen, wie tief der Keil wirklich steckte. Auch, wenn sie ihr Kind fast schon drei Jahre nicht mehr gesehen hatte, so wusste sie doch, wie es tickte. Sie wusste es deshalb, weil sie alles kannte. Shinji war Ais Jugendliebe gewesen, sie hatten sich sehr früh schon kennen gelernt, mit sechzehn, und waren ein Leben lang ein Paar geblieben. Ein Leben lang. Ai schloss die Augen. Es war ein kurzes gemeinsames Leben gewesen. Shinji war viel zu früh hinter den Berg gegangen und hatte sie allein gelassen. Sie hatten gute, wie schlechte Zeiten zusammen, das war in jeder Beziehung so. Jeder, der behauptete, bei ihm wäre es anders, der log. Ai glaubte fest daran, dass die Seele ihres Mannes weiterlebte. Nein, sie wusste es, sie spürte es. Ihr Mann war immer noch bei ihr, in Gestalt ihres gemeinsamen Kindes. Wortlos nahm Fireball den Karton mit den Hühnereiern entgegen und stellte ihn auf die Anrichte. Danach öffnete er einen Küchenschrank, stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte auf die oberste Ablage. Für gewöhnlich stand der Honig dort oben. Verzagt schob er einige Lebensmittel zur Seite, bis das Objekt der Begierde endlich zum Vorschein kam. Der zähflüssige Brotaufstrich fand seinen Platz neben den Eiern. Immer noch schwieg Fireball. Er wusste nicht recht, was er mit seiner Mutter reden sollte, er fühlte sich auch nicht wirklich danach. Es war klar, dass Ai nach den Erlebnissen im Oberkommando fragen würde, wenn er den Mund aufmachte. Seine Freunde hatten ja genug Indizien diesbezüglich gestreut um Ais Interesse zu wecken. Während Ai begann, den Teig zuzubereiten, suchte der Spross nach einer Pfanne um sie auf den Herd zu stellen. Beide agierten wie ein eingespieltes Team, wussten auch ohne Worte, was zu tun war. Aber das Schweigen hatte auch etwas kaltes, unnahbares. Ai fühlte sich nicht wohl, und mit jeder Minute, die sie ihr Sohn anschwieg, wurde ihr unwohler. Würde er die restlichen Tage, die er noch zu Besuch war, auch schweigen? Die Asiatin versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als sie scheinbar unbekümmert fragte: „Wann dieser Tage hast du dein Schweigegelübde abgelegt?“ Fireball goss Sojaöl in die Pfanne und heizte die Herdplatte an. Unbeteiligt kam die Antwort: „Seit alles, was ich sage, als Blödsinn abgetan wird.“ Bitterkeit schwang in Ais Stimme mit: „Nachdem alles, was du tust, darauf schließen lässt.“ Zuerst war er Rennfahrer geworden und nun auch noch Star Sheriff. In Ais Augen gab es keine größere Torheit mehr als diese. Mit Leidenschaft suchte sich Fireball das größte Himmelfahrtskommando aus, das es geben konnte. Sicherlich, er arbeitete für den Frieden und die Gerechtigkeit im Neuen Grenzland, aber diese Arbeit war gefährlich und heimtückisch. Ai bestand auf ihr Recht als Mutter, sich um ihren Spross sorgen zu dürfen. Nichts würde ihre Bedenken zerstreuen. Ruppig legte Fireball ein Brett auf die Arbeitsfläche und griff bestimmt nach den Bananen aus dem Obstkorb, der auf dem Küchentisch stand. Während er die Früchte schälte, grummelte er: „Ich bin nicht mein Vater, Ai. Du kannst mich nicht für seine Fehler strafen.“ Das war doch mal eine Aussage mit handfesten Argumenten. Der Sohn des Captains sprach offen an, was ihn störte. Nun gut, ganz so offen, wie es hätte sein sollen, war es nicht, denn eigentlich hatte Shinji Hikari in Fireballs Augen keine Fehler gemacht. Er war für das eingetreten, woran er geglaubt hatte, er hatte nicht ahnen können, dass er Vater wurde, als er im Königreich Jarr gegen die Outrider gekämpft hatte. Es war weder die Schuld seines Vaters noch seine eigene. Ein bisschen was von seinen Eltern steckte in jedem Kind, warum wollte Ai das nicht einsehen? Mit blitzenden Augen öffnete er die Schublade und holte ein Küchenmesser heraus. Ai rührte den Teig fester: „Das tu ich nicht. Ich kann dich nicht einmal für deine eigenen Dummheiten strafen, Shinji.“ Fireballs Mutter sah stur auf die Schüssel vor sich und vermied es, in die braunen Augen ihres Sohnes zu blicken. Sie wusste auch so, dass der Kampfgeist, die Ungeduld und die Güte, die er dennoch besaß, daraus blitzten. Die Augen waren das Fenster zur Seele hieß es. In diesem Fall waren sie für Ai aber auch ein Fenster in die Vergangenheit. Ai las immer wieder darin, wie in einem Tagebuch. Selbst in der größten Wut strahlten Fireballs Augen noch und erzählten ihr von den Zeiten, in denen Frieden herrschte und sie eine glückliche Familie gewesen waren. Sie erzählten von der Zeit, die sie mit Shinji hatte verbringen dürfen. Wenig zärtlich landete das Messer auf dem Brett. Dummheiten! Frustriert schnaubte Fireball. War es wirklich eine Dummheit, den Menschen helfen zu wollen und ihnen ein sicheres Leben garantieren zu wollen? War es denn eine Dummheit, für den Frieden zu kämpfen? Wenn ja, dann war er gerne ein Dummkopf, denn er tat es mit ganzem Herzen. Er liebte seine neue Aufgabe, war gerne mit seinen Freunden im All unterwegs und beschützte die Schwachen. Was zum Teufel war daran falsch, wenn es sich für ihn so richtig anfühlte? Fireball konnte nichts erkennen, was daran schlecht oder gar verwerflich war. Noch mehr Distanz baute sich zwischen Mutter und Sohn auf, mittlerweile schien eine meterdicke Mauer zwischen ihnen zu stehen. Wieder schwiegen sie sich an und machten miteinander den Nachtisch für Fireballs Freunde. Dem Rennfahrer kochte das Blut in den Adern, ihm war bewusst, dass ihm nicht nur wegen der Hitze, die der Gasherd von sich gab, warm war. Er spürte ganz deutlich, wie sich seine Gedanken wieder wie eine Spirale hochzuschrauben begannen und er mit jedem Atemzug wütender wurde. Bei jedem anderen hätte ein tiefer Atemzug genügt, um sich wieder zu beruhigen, doch bei Fireball war das nicht so. Mit jedem Mal, das er bewusst ein- und ausatmete, beschleunigte sich sein Herzschlag. Er war wütend und verfluchte an diesem Tag schon das zweite Mal, überhaupt nach Tokio zu seiner Mutter gekommen zu sein. Es hätte ihm klar sein müssen, dass sie dort weitermachte, wo sie bei ihrer letzten Diskussion über den Vertrag aufgehört hatte. Aber er war nicht sein Vater. Er war es nicht, zum Henker noch eins! Ai hielt dieses Schweigen nicht lange durch. Es gab so vieles, über das sie mit ihrem Sohn sprechen wollte und auch musste. Seine Freunde hatten beim Abendessen einen kleinen Einblick in das Leben eines Star Sheriffs gewährt und es schien noch gefährlicher geworden zu sein, als zu Shinjis Zeiten. Wie viel Glück Fireball dabei zu haben schien, war zwar erfreulich, aber was war, wenn ihn dieses Glück eines Tages verließ? Sie würde Shinji wieder verlieren. Der Gedanke daran zerriss ihr das Herz in der Brust. Zittrig legte sie den Schneebesen zur Seite und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Ihre Augen schloss sie, als sie mit gesenktem Kopf versicherte: „Du bringst dich noch um.“ Entsetzt fuhr Fireball herum. Was redete sie da für absurdes Zeug? Bestimmt, unbeherrscht und vor allem laut fuhr er Ai an: „Woher willst du das wissen? Verflucht, Ai! Ich bin nicht wie mein Vater. Dad kommt nicht wieder, nie wieder! Will dir das nicht in den Kopf?“ Erschrocken fuhr Ai zusammen. Sie ließ zitternd das Geschirrtuch fallen und lief aus der Küche. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie die Zimmertür hinter sich schloss. Hastig umrundete sie ihr Bett und griff nach einem Bilderrahmen auf ihrem Nachttischchen. Ai betrachtete das Foto durch den Tränenschleier. Es war ihr Mann. Bekümmert flüsterte sie: „Warum nur wirst du dich niemals ändern, Shinji?“ Egal in welchem Leben, Shinji war mit knapp zwanzig Jahren in seiner schlimmsten Phase. Ihm war es nicht bewusst, aber alle um ihn herum litten, wenn er seine Gefühle wieder nicht unter Kontrolle hatte. Das war damals so gewesen, so war es auch heute. Heulend sank Ai auf das Bett, das Bild immer noch fest in ihren Händen. Überspannt stieß Fireball die Pfanne von der Flamme und schaltete den Herd ab. Herzhaft fluchte er, als er Ai nachging: „Verdammt noch mal!“ Ohne zu klopfen trat er in Ais Zimmer und blieb in der offenen Tür stehen. Er lehnte sich an den Türstock. Fireball war leise gewesen, Ai hatte ihn nicht kommen gehört. Minutenlang stand er dort, verschränkte die Arme vor der Brust und überkreuzte die Beine. Der Japaner beobachtete, wie seine Mutter still in sich hinein weinte. Schlagartig war die Wut in ihm vergangen. Er beneidete seine Mutter nicht, sie tat ihm leid. Er hatte von klein auf gewusst, dass sie ihren Mann vermisste. Dennoch durfte sie das, was sie mit seinem Vater verloren hatte, nicht auf ihn projizieren. Es war ihm gegenüber nicht fair. Fireball konnte die Lücke nicht füllen, die der Captain hinterlassen hatte. Dazu war er nicht in der Lage. Betreten senkte Fireball den Blick und flüsterte, als er sich dem Raum abwandte: „Vater ist tot, seit fast zwanzig Jahren schon, Ai. Er wird nie wieder zurückkommen.“ Saber folgte dem Rennfahrer nach einer Weile. Eigentlich hatte das Abendessen doch einen positiven Verlauf genommen, weshalb das Gespräch zwischen Fireball und seiner Mutter letztendlich wieder gekippt war, war Saber mehr als nur unverständlich. Aber eines war sicher. Der Wirbelwind war einmal mehr ungehobelt mit Ai umgesprungen. Saber kam nicht dahinter, wie Fireball nur auf die Idee kam, so etwas zu seiner Mutter zu sagen. Ihm war durchaus aufgefallen, dass es kein gewöhnliches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn war, aber trotzdem. In letzter Instanz stand für den Schotten fest, dass man mit seinen Eltern angemessen umzugehen hatte, auch, wenn man – so wie Fireball und Ai offenbar – gleichberechtigt nebeneinander her lebte. In seinen Augen hatte sich der Pilot unverantwortlich verhalten. Das Desaster hatte beim Frühstück schon seinen Anfang genommen, als Ai erfahren hatte, dass ihr Junge bei den Star Sheriffs sein Brot verdiente. Das Ganze hatte innerhalb kürzester Zeit einen bombastischen Ärger heraufbeschworen, zwischen allen Beteiligten. Bis zum Abendessen war der erste Frust Gott sei Dank wieder abgeflacht gewesen und während des Essens hatte Saber sogar das Gefühl gehabt, alles wäre wieder im grünen Bereich. Aber zwischen Hauptgang und Dessert musste was entsetzlich daneben gegangen sein. Türen waren schwungvoll zugeflogen und es war geflucht worden, wie selten. Obwohl Saber kein einziges Wort des japanischen Kauderwelsches verstanden hatte, traute er sich seinen Säbel darauf verwetten, dass Fireball seine Mutter sehr verletzt hatte. Saber stand vor der Garagentür und atmete tief durch. Er musste sich selbst etwas beruhigen, bevor er mit Fireball sprechen konnte. Er fühlte sich dazu verpflichtet, seinem Piloten ins Gewissen zu reden, alles andere hätte seine Erziehung ohnehin nicht gelten lassen. Aber er wollte ihn auch nicht unnötig anfauchen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug straffte Saber die Schultern und klopfte. Da keine Antwort kam, öffnete er die Tür und schlich in die Garage. Hm, niemand zu sehen, aber der Wagen stand da und es brannte Licht. War Fireball am Ende zu Fuß gegangen? Ruhig fragte Saber in den Raum: „Fireball?“ Ein dumpfes Geräusch ertönte. Anschließend fiel ein Schraubenschlüssel scheppernd auf den Boden und Saber konnte Fireball zumindest akustisch wahrnehmen: „Au, scheiße! Keiner da, verdammt.“ Der Gebrauch von Schimpfwörtern hatte bei Fireball inflationär zugenommen, seit sie in Tokio angekommen waren. Dabei waren sie noch keine vierundzwanzig Stunden im Land. Eine bestürzende wie erschreckende Entwicklung, wie Saber festhielt. Das musste er dem Japaner gleich wieder austreiben, nicht dass er diesen Sprachgebrauch auch auf Ramrod beibehielt. Nicht mehr ganz so freundlich, wie Saber es sich vorgenommen hatte, konterte er: „Ja, das Gefühl hab ich auch. Bei dir ist zur Zeit nicht einmal mehr der Vogel heimisch.“ Saber konnte beobachten, wie der Rennfahrer sich unter dem Wagen hervorschob und aufstand. Der junge Hitzkopf rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. Offenbar hatte Saber ihn erschreckt und er war mit dem Kopf gegen irgendwas gestoßen. Saber war ansonsten nicht der Mensch, der übertrieben viel Schadenfreude empfand, aber bei Fireball hatte er das Gefühl, er konnte es sich leisten. Innerlich schmunzelnd pries er den Paradespruch seiner Eltern an: ‚Wer nicht hören will, muss fühlen.‘ Es war nicht angebracht, es laut zu sagen, sich seinen Teil allerdings zu denken, genügte Saber in diesem Fall mehr als vollkommen. Mit voller Wucht knallte Fireball die Motorhaube zu. Er hatte alleine sein wollen, niemanden mehr sehen und keine halbe Stunde später stand wieder einer bei ihm und versuchte ihn zu maßregeln. Fireball hatte die Schnauze gestrichen voll. Vor allem, weil es ausgerechnet Saber war, der ihn jetzt ins Gebet nehmen wollte. Der Sohn wohlhabender Eltern, die beide noch am Leben waren und ihrem Kind ganz sicher nichts vom buddhistischen Glauben beigebracht hatten. In diesem Augenblick war Fireballs letzte Bastion gefallen, nun hatte er nicht einmal mehr in der Garage seine heilige Ruhe. Sabers Kommentar war lediglich der viel zitierte letzte Tropfen im ohnehin vollen Fass. Giftig bemerkte Fireball: „Solang’s nicht zieht…“ „So vehement, wie du auf Durchzug stellst, wage ich das zu bezweifeln.“, Saber verschränkte die Arme vor der Brust und sah Fireball abschätzend dabei zu, wie der sich zur Werkbank drehte und den Schraubenschlüssel, auch lauter als üblich, dorthin schmiss. Ramrods Pilot war ohnehin schon sauer, Saber brauchte ihn nicht mehr mit Samthandschuhen anzufassen. Deshalb erklärte er undiplomatisch und ohne schöne Umschreibungen: „Wie kommst du eigentlich dazu, so mit deiner Mutter umzugehen?“ „Und wie kommst du dazu, darüber zu urteilen?!“, Fireball funkelte seinen Boss über die Schulter hinweg an. Fantastisch! Saber ergriff ohne zu zögern Partei für seine Mutter. Fireball stand auf verlorenem Posten, eindeutig. Und das auch noch ziemlich alleine, denn weder April noch Colt würden seine Auffassung teilen. Fireballs Blut begann zu kochen und er ärgerte sich, seine Freunde überhaupt mitgenommen zu haben. Bisher hatte ihm das nichts als Zoff und Streit eingebracht. Hätte Fireball seit seiner Ankunft auch nur irgendwas so steuern können, wie er es gewollt hätte, dann wüsste seine Mutter nicht, dass er Star Sheriff war oder dass er von anderen, für ihn damals, fremden Menschen mehr über seinen Vater erfahren hatte, als die letzten sechzehn Jahre von seiner Mutter. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er seine Mutter in dem Glauben gelassen, er wäre nach wie vor ein lebensmüder Rennfahrer. Er hätte sie schimpfen lassen und eine normale Woche mit ihr verbracht. So aber musste sich Fireball vor seiner Mutter für jede Entscheidung, die er seit dem Entschluss, Rennfahrer zu werden, gefällt hatte, rechtfertigen und bekam obendrein dauernd vor die Füße geworfen, dass er wie sein Vater enden würde. Natürlich nicht zu vergessen, seine Freunde. Die hatten seit dem Frühstück eindrucksvoll bewiesen, wie sehr sie hinter ihm standen. Fireball hatte keine Lust mehr. Am liebsten wäre er für den Rest der Woche untergetaucht und erst zur Geburtstagsfeier seiner Mutter wieder auf der Bildfläche erschienen. Aber das konnte er nicht. Empört zog Saber die Augenbrauen nach oben. Keine sehr freundlichen Worte waren das, die er von seinem Piloten zu hören bekam. Ja, Familie war immer ein heißes Eisen, aber so siedend heiß konnte es nun auch wieder nicht sein. Der Rennfahrer regte sich völlig grundlos auf, alle anderen hätten da schon mehr Grund aus der Haut zu fahren. Saber sah Fireball kurz über die Schulter, er wischte sich die schmierigen Hände an einem Lappen ab. Anschließend glitten seine aufmerksamen, blauen Augen auf den Wagen. Sogar das Auto wurde besser behandelt als seine Mutter. Saber schmeckte das gar nicht. Am liebsten hätte er Fireball die Ohren lang gezogen oder ihn übers Knie gelegt, aber das hätte bestimmt nicht geholfen. So beschränkte sich der Schotte auf wohl bedachte und sorgsam ausgewählte Worte: „Seine Eltern hat man mit Respekt zu behandeln. Also bitte, Fireball.“ Ungehalten schnappte Fireball zurück: „Respekt ist Definitionssache.“ Das war zwar ein unumstößlicher Fakt, jedoch gab es moralisch vertretbare und allgemein gültige Verhaltensregeln im Umgang mit Menschen, die einem nahe standen. Fireball wusste das selbst nur zu gut. Aber er wollte Saber keinen Punkt gönnen und die Diskussion möglichst schnell wieder beenden. Er wollte Ruhe, er wollte niemanden sehen, konnte diesen simplen Wunsch niemand verstehen? Interessant. Saber lehnte sich mit dem Becken gegen den Kotflügel des Autos und verschränkte die Arme vor der Brust. Er funkelte Fireball abschätzend an. Streng und sicher klang seine Stimme, als er den Piloten aufforderte: „Dann definier mal.“ Fireball schnaubte genervt und drehte sich Saber zu. Er lehnte sich gegen die Werkbank und stützte die Hände dort ab. Grummelnd erklärte er seine Sicht der Dinge: „Jeder bekommt den Respekt, den er verdient. Ai behandelt mich nicht wie einen Sohn. Hat sie nie und wird sie auch nie.“ Die Sache mit dem Sohn passte für Saber nicht dazu. Er hatte nach Respekt gefragt, hatte dazu auch eine simple Erklärung bekommen. Aber der Schluss passte einfach nicht ins Bild. Gut, Ai und Fireball waren nicht das typische Mutter-Sohn-Gespann, das man sich vorstellte, aber sie waren Mutter und Sohn. Und seines Erachtens behandelte Ai den Aufrührer da vor ihm auch wie ihr Kind. Es lag also nur am Sturkopf. Er schien von Fireball keine Antworten zu bekommen, mit denen er auch was anfangen konnte. Deshalb hakte der Highlander nach: „Und wieso hat sie deinen Respekt nicht verdient?“ Gut, zugegeben, die Frage war provokant, denn das hatte Fireball so nicht gesagt, aber Saber hatte keine Bedenken. Wie viel wütender konnte der Hitzkopf denn schon noch werden? Die obere Grenze schien er mittlerweile garantiert erreicht zu haben. Fireballs Finger krallten sich in die Werkbank, seine Augen blitzten Saber stinksauer an. Dementsprechend klangen auch seine Worte: „Sie hat meinen Respekt. Nur anscheinend nicht die Art von Respekt, wie du dir das vorstellst, Boss.“, damit unterstrich Fireball, welches Verhältnis sie beide hatten. Ein rein dienstliches. Zumindest hätte Fireball das im Augenblick gern so gesehen, denn seinem Boss musste man nicht auf jede private Frage antworten, seinem Freund schon. An Sabers Blick konnte Fireball bereits erahnen, dass ihm diese Aussage nichts nützte, deshalb fügte er noch hinzu: „Misch dich nicht ein.“ „Mich nicht einmischen?“, höhnisch lachte Saber auf. Also, alles was recht war und was möglich war, aber das leider nicht mehr. Der Zoff war so laut gewesen, dass sich die Freunde bereits mitten drin befunden hatten, noch bevor sie etwas davon gewusst hatten. Der Rennfahrer hatte eindeutig ein Eigentor geschossen. Saber stieß sich vom Wagen ab und rieb Fireball noch einmal ruhig unter die Nase: „Das ist schwer, nachdem du uns alle heute so unsanft da mit reingezogen hast. Und so wie du sie behandelst, tut sie mir nur leid. Von Respekt kann keine Rede sein, wenn du nicht mal merkst, was sie sich für Sorgen macht.“ Was hätte Fireball auch sonst von Saber in diesem Bezug erwarten sollen? Der Japaner schüttelte den Kopf und korrigierte ohne Umschweife: „Sorgen?“, dabei zog er eine Augenbraue spöttisch nach oben: „Papperlapapp! Tu uns allen den Gefallen und schalt deine Ohren einfach auf Durchzug, wenn du uns das nächste Mal diskutieren hörst.“ Fireball hatte absolut keine Lust mehr auf das Thema. Saber hatte seinen Unmut Kund getan, Fireball hatte es über sich ergehen lassen, war dabei sogar noch relativ ruhig geblieben und nun sollte der Schwertschwinger gefälligst wieder Land zwischen sich und die Garage bringen. Vier unsympathisch lange und persönliche Debatten an einem Tag waren Ramrods Piloten einfach zu viel. Er hätte ja nicht mal eine davon haben wollen. Saber nickte skeptisch und kratzte sich mit der rechten Hand das Kinn: „Deine Menschenkenntnis macht mich sprachlos, Fireball. Sprachlos deshalb, weil keine da ist. Merkst du denn wirklich nicht, dass ihr Geschrei nur Angst um dich ist?“ Die Enttäuschung konnte man den Worten einwandfrei entnehmen. Aber Fireball hielt sie nicht für gerecht. Was wusste Saber schon? Was von den letzten sechzehn Jahren hatte er miterlebt? Nichts. Mit einer Familie im Rücken sprach es sich leicht daher. Fireball stieß sich von der Werkbank ab und ging am Auto vorbei: „Wohl eher die Angst, die sie um meinen Vater ausgestanden hat und nicht verarbeitet hat.“ Saber hob erstaunt die Augenbrauen. Hatte der Wirbelwind doch etwas davon verstanden, was er ihm die letzten paar Minuten erklären versuchte? Es war mit Fireball nicht immer einfach, die Erfahrung hatte auch Saber schon gemacht, aber in der Haut von Ai wollte er nicht stecken. Auf solche Kinder konnte er getrost verzichten. Er verfeinerte Fireballs letzten Satz, nur um sicher zu gehen: „Inklusive der, dich auch noch zu verlieren.“ „Das, was sie in mir sieht.“, Fireball strich mit den Fingerspitzen über die Motorhaube und senkte den Kopf. Es bekümmerte ihn doch erheblich, dass Ai ihn nicht als das sah, was er wirklich war. Sie sah in ihm nur die Wiedergeburt ihres Mannes, aber nicht den eigenständigen Menschen. Kopfschüttelnd beendete Fireball den Ausflug in sein Innerstes wieder, indem er es als überflüssig abtat: „Egal. Fakt ist, dass es dich nichts angeht, Saber.“ Da Fireball den kürzeren Weg versperrte, umrundete Saber den Wagen hinten. Er tadelte den Piloten noch einmal für das Desaster dieses Tages: „Dann hättest du ein paar Dinge etwas galanter handhaben sollen, jetzt stecken wir mit drin. Ich hab nicht darum gebeten, aber so ist es. Ich hätte jedenfalls nie gedacht, dass du dich so daneben benehmen kannst.“ Es war klar gewesen, wieso nur regte es ihn nun so maßlos auf? Fireball hatte gewusst, dass es Saber nicht verstehen würde, warum denn auch? Er war nicht in dieser Situation. Der Rennfahrer fuhr zu Saber herum und keifte: „Ich kann nicht anders. Ai wird nie verstehen, dass ich nicht er bin. Ich bin es nicht.“ Da zuckte die skeptische Augenbraue auch schon wieder nach oben. Dieses Mal noch ein Stückchen weiter. Saber wurde aus Fireball im Augenblick einfach nicht schlau. Aber, und da war er sich sicher, er war nicht der einzige. Ziemlich unterkühlt hielt er fest: „Woher willst du das wissen? Dein Verständnis für sie ist scheinbar genauso gut ausgeprägt, wie dein Respekt.“ Fireball legte die Handflächen auf den kalten Lack, wenigstens seine Hände sollten Abkühlung finden. Er beharrte: „Weil ich Ai kenne. Sie glaubt, ich wäre er. Seit ich denken kann, behandelt sie mich nicht, wie ihren Sohn, sondern wie einen...“, er stockte kurz und korrigierte sich: „wie ihren Mann.“ Saber gab unbeeindruckt Konter: „Das würde dann frühestens heute beginnen, das Denken.“ Der Schotte war nicht überzeugt von Fireballs Argumenten. Dafür waren sie viel zu fadenscheinig und klangen nach allgemeinen Ausflüchten. „Klar…“ Saber zuckte mit den Schultern. Er hatte sich eine Meinung gebildet, alles was Fireball jetzt noch vorbringen würde, war uninteressant und höchstwahrscheinlich auch belanglos. Deshalb zog es Saber vor, einen Schlussstrich zu ziehen: „So wie du dich benimmst? Welchen Eindruck soll man da sonst kriegen?“ Das war zu viel. Fireball fuhr aus der Haut: „Wohlbehütetes Kind!“, er trat mit aller Kraft gegen den Reifen. Der zu kurz geratene Japaner musste seine Wut abbauen, sonst könnte sie auch noch Saber zu spüren bekommen. Er blaffte den Freund und Kollegen an: „Wär ich so aufgewachsen, wie du, würd ich auch solche Töne spucken. Gott, ehrlich!“, völlig entnervt warf er die Hände in die Höhe, als er die Garage fluchtartig verließ: „Du hast ja keine Ahnung! Ai wollte ihren Mann und keinen kleinen Jungen, der sich an ihren Rockzipfel klammert!“ Zum Schluss hatte Saber den Rennfahrer schon nur noch gehört, aber nicht mehr gesehen. Saber neigte den Kopf und versuchte den Abgang einzuschätzen. Was meinte Fireball bloß? Hatte er etwas übersehen? Saber war sich nicht sicher, wusste aber, dass er dem Kern der Streitereien auf die Schliche gekommen war. Es ging nicht um den Beruf, nicht um die respektlose Art und Weise von Fireball, es ging viel eher um die Schwierigkeiten, die die enorme Ähnlichkeit von Vater und Sohn hervorrief. Ganz klar war der Sohn dem Vater immer ähnlicher geworden. Den Zusammenhang aber verstand Saber nicht. Einige Minuten stand er noch in der verlassenen Garage, ohne eine akkurate Antwort zu finden. Fireball hatte ihn sprichwörtlich im Regen stehen gelassen. Jetzt wusste er zwar, was das Problem war, aber wie es dazu gehörte, war ihm nicht klar. Das nächste Mal würde er dankend ablehnen, das hatte sich Fireball schon am Morgen geschworen, als er mit April ins Auto gestiegen war. Egal, wo sie auch waren, jedes Mal war er derjenige, der zum Handkuss kam, wenn April bummeln gehen wollte. Gut, an diesem Vormittag war er mehr als dankbar dafür gewesen, zumindest im ersten Moment. Schließlich war einkaufen mit April immer noch das kleinere Übel. Er verbrachte seine freie Zeit gerne mit der Blondine und im Endeffekt musste er sich eingestehen, dass irgendwie auch einkaufen dazu zählte. Da hatten wenigstens beide mal Ruhe vor Colt und seinen dämlichen Sprüchen. Nach einem gemütlichen Mittagessen in einer Running-Sushi-Bar hatten sie sich wieder ins Getümmel gestürzt. Fasziniert beobachtete Fireball, wie April im Geschäft herumstöberte, dies und jenes aus den Regalen nahm und prüfend beäugte. Er lehnte mit verschränkten Armen auf einem Kleiderständer und schmunzelte. Der Japaner konnte sehen, wie selig April im Augenblick war. Sie konnte behaupten, was sie wollte, aber Fireball wusste, dass sie sich vor Colt immer noch zu behaupten versuchte. Neben dem Kuhhirten zeigte April äußerst ungern wunde Punkte, war niemals wirklich angreifbar. Das kostete Ramrods Navigatorin mitunter sehr viel Kraft. Und die holte sie sich beim Bummeln wieder. Weibliches Seelenheil eben. April stand plötzlich wieder vor ihm, er hatte sie die ganze Zeit über so gedankenverloren beobachtet, dass er nichts mehr mitbekommen hatte. Sie hielt ihm ein Top vor die Augen: „Gefällt dir das?“ Mit zusammen gezogenen Augenbrauen erhob sich Fireball aus seiner Position. Er musterte das Top und anschließend April. Nicht übertrieben begeistert schüttelte er den Kopf. Er war kein guter Modeberater, dennoch verließ sich April mit Vorliebe auf sein Urteil. Schweigend griff er nach dem Top in Mintgrün und hängte es dorthin zurück, von wo es April hatte. Leicht lächelnd kam er zu April zurück, mit einem ähnlichen Shirt, allerdings in einer anderen Farbe. Er hielt es April an den Oberkörper und nickte: „Sollte dir besser stehen.“ Die Blondine lugte an sich hinab und nickte. Sofort suchte sie mit dem Fundstück eine Umkleidekabine auf und probierte es an. April genoss diese wenigen Stunden, die sie mit Fireball alleine hatte, ungemein. Er war ein guter Freund, ein spitzen Modeberater, zumindest wenn er sich dann endlich in sein Schicksal gefügt hatte, und allem voran war seine Gesellschaft entspannend für April. Sie fühlte sich so unglaublich wohl bei ihm. „Probier das mal dazu an.“, schon hing ein weißer Rock an der Innenseite der Kabinentür. Lachend schüttelte April den Kopf. Sie musste gerade daran denken, wie das wohl für andere Leute aussehen musste. Aber, und das war für April sofort klar, das war ihr ziemlich egal. Fireball und sie waren gute Freunde und die Routine beim Shoppen holte auch sie ab und an ein. Sogar die Größe war die Richtige. Okay, April wurde rot, von nun an war es unheimlich. Als der Rock dann auch noch perfekt zu dem Shirt passte, war für April klar: der Mann hatte Geschmack. Fireball stand gerade in einer Schar Halbstarker, die alle zu ihm aufsahen, als April wieder aus der Umkleide kam. Ruhig verharrte sie etwas abseits der Szene und verfolgte was geschah. Er schrieb geduldig Autogramme, scherzte mit den Jugendlichen und lachte. Entmutigt verschränkte April die Arme vor der Brust. Er war wie ausgewechselt. Weshalb nur konnte Fireball zuhause nicht so lächeln? April war sich sicher, dieses erfüllende und gewinnende Lächeln, mit dem er jedes Herz im Sturm eroberte, kannte Ai nicht. Sie verstand es ganz einfach nicht. Was war es, was Ai und Fireball derart aufrieb? Die Blondine konnte sich keinen Reim darauf machen. Natürlich, es war nicht einfach, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen, doch Ai hatte sich die größte Mühe gegeben. In der Hinsicht verhielt sich der Rennfahrer einfach nicht fair Ai gegenüber. Wieder glitten ihre blauen Augen über Fireball. In seinem Heimatland schienen ihn die Leute zu kennen, vor allem die jüngere Generation. Fireball deutete mit dem Finger in Aprils Richtung und lachte freundlich auf, er hatte einem kleinen Mädchen gerade erklärt, weshalb er in diesem Geschäft war. Mit einer freundlichen Handbewegung wank er April zu sich, seine warmen, braunen Augen strahlten sie in diesem Augenblick herzlich an. Ertappt griff April fester um ihre Beute. Steif nickte sie und ging zu der Schar hinüber. Fireball legte einen Arm um sie und stellte sie den Jugendlichen auf Japanisch vor. April hob leicht lächelnd die Hand und grüßte stumm. Nach ein paar weiteren Worten verschwand die Bande laut lachend wieder. Während Fireball April kurz erklärte, was das zu bedeuten hatte, ging April weiter durch die Abteilungen. Sie hörte ihm aufmerksam zu, suchte jedoch immer noch nach Klamotten. Ihre Gedanken wurden wieder ernster, die Entspannung hatte nicht lange gehalten. Und das alles nur wegen seines Lächelns. In der Gegenwart seiner Mutter war Fireball ein völlig anderer Mensch, nur verstand April das nicht. Es ging ihr nicht in ihren wunderhübschen Kopf. April hielt Fireball ein Kleid hoch: „Wie gefällt dir das?“ Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Alles gefiel dem Rennfahrer nicht, schon gar nicht an April. Einer asiatischen Frau mochten bunte Kleider stehen, aber April war eher für unifarbene Kleidung gemacht. Er nahm ihr kopfschüttelnd das Kleid weg und gab ihr stattdessen ein schlichtes schwarzes: „Das ist eher was für dich.“ „Steht eine Beerdigung an?“, skeptisch nahm April das schwarze Kleid entgegen. Also, das war ihr persönlich zu schlicht. Nein, auf keinen Fall. Da musste wirklich jemand sterben, um sie in dieses Kleid zu bringen. Ohne weiteren Kommentar hängte April das Kleid zurück. Ergeben seufzte Fireball und hielt ihr kurz darauf ein dunkelrotes hin: „Besser so?“ Vorhin hatte das so gut hingehauen, nun aber schien Fireball keine rechte Lust mehr zu haben. Irgendwann war es mit dem geduldigsten Begleiter vorbei, wie April feststellte. So schnell würde sie ihn allerdings nicht entlassen. Erstens, weil Fireball ihr schon seit Monaten versprochen hatte, mit ihr bummeln zu gehen und zweitens, weil sie ungestört waren und der Blondine das seltsame Schauspiel im Hause Hikari nicht aus dem Kopf ging. Gerade eben war ihr wieder eingefallen, was Saber ihr nach dem Frühstück noch erzählt hatte. Ein Blick auf den Piloten verriet April, dass Saber mit seiner Vermutung nicht so Unrecht hatte. Da lag ein Hund begraben, der belastete sowohl Mutter als auch Sohn. Vielleicht konnte sie Licht ins Dunkel bringen. „Da fehlt was.“, unsicher zupfte April an dem Kleid. Fireball verdrehte währenddessen die Augen und brummte: „Ja, und zwar gleich meine Nerven, wenn du so weiter machst, Süße.“ April zog am Saum des Kleides und prüfte es immer noch. Nein, das war es nicht. Egal, wie oft sie es noch drehen und wenden würde, davon würde es ihr nicht besser gefallen. Außerdem brauchte sie einen Aufhänger, um mit Fireball über seine Mutter reden zu können. Ohne es zu wissen, lieferte ihr der Rennfahrer auch gleich einen guten Grund. Aufgrund des Schnittes war sie skeptisch geworden, das Kleid schien mehr ein Zirkuszelt als ein Kleidungsstück zu sein, deswegen griff sie nach dem Etikett am Rücken und beäugte dieses. Gespielt empört drückte sie Fireball das Kleid wieder in die Hände: „Wohl eher der Chinesische Nationalzirkus.“ Verständnislos schüttelte Fireball daraufhin den Kopf. Wovon sprach die Blondine da nur? Er hängte das dunkelrote Kleid zurück und versuchte, die Freundin ein bisschen auf den Arm zu nehmen: „Baby, du bist hier in Japan. China ist über den Teich rüber.“, dabei deutete Fireball ungefähr in die Himmelsrichtung, in der das große Nachbarland lag. Mit einem kleinen, giftigen Blick erklärte April Fireball schließlich: „Ja, so groß ist es, das Kleid, dass China auch noch locker reinpasst. Größe 56! Seh ich so fett aus?“ Da hatte der kleine Japaner einen Fettnapf erwischt, ohne es überhaupt zu wissen. Aber er nahm es mit Humor. Immerhin schien April deswegen schon eingeschnappt zu sein, ob er jetzt noch einen Scherz auf ihre Kosten machte, spielte keine große Rolle mehr. Frech grinsend packte er sie und kniff ihr in die Seiten: „Was nicht ist, kann ja noch werden. Was du alles in dich reinstopfst. Wundern würd’s mich nicht.“ Als ob sie eine solche Reaktion bestellt hätte. Innerlich triumphierend notierte sich April, dass Männer eben doch leicht zu durchschauen waren und bis zu einem gewissen Grad auch noch berechenbar. Sie hätte diese Antwort immer von Fireball erwartet. Er zog sie schließlich immer damit auf. So, wie sie ihn manchmal auch damit piesackte, was er für Mengen Süßkram verdrückte. Während sie ihn nach einem Kleid in Größe 34 schickte, ballte sie theatralisch ihre rechte Hand zur Faust und streckte sie ihm entgegen: „Ich kann dir auch eine Beule verpassen, die ihre eigene Postleitzahl kriegt!“, mit einem enttäuschten Unterton hielt sie fest: „Von Frauen hast du keine Ahnung.“ „Stimmt.“, kam die unbeteiligte Antwort zurück. Dabei zuckte Fireball mit den Schultern. So weit war er in all den Jahren schon selbst zur Erkenntnis gelangt, dass er von Frauen nicht mal den Hauch einer Ahnung hatte. Wie denn auch? Immerhin, und das hielt er April gleich unter die Nase: „Hab ja auch keine Frau.“ Unerhört war das. April fragte sich augenblicklich, wie Fireball es schaffte, die Herzen der stolzesten Frauen zu brechen, wenn er noch nicht mal gesteigerten Wert auf ihre Bekanntschaften legte? Der kurz geratene Pilot blieb ihr wohl immer ein Rätsel. Gedanklich korrigierte sich April sofort. Die Frauen, die Fireball anziehend fanden, würden ihr für immer ein Rätsel bleiben. Noch dazu, weil es nicht wenige waren. Zumindest aber hatte sie Fireball unwissentlich in die richtige Richtung gelotst. Alles andere war für April nur noch eine Frage mit Bedacht gewählter Worte. Kopfschüttelnd und leicht amüsiert wandte sich April um. Sie huschte in die Accessoiresabteilung, während sie Fireball anmeckerte: „Und was ist deine Mutter? Ein Huhn?“ Seufzend folgte der Rennfahrer seiner Kollegin, in dem Getümmel wollte er sie auf keinen Fall verlieren. Dann konnte er sie überall suchen und würde sie doch nirgends mehr finden. Darauf hatte er keine Lust. Er blieb neben ihr stehen und beobachtete sie, wie sie nach Ohrringen suchte. Dabei erklärte er ihr entschieden: „Ai hat Sonderstatus.“ April nickte verstehend: „Weil sie deine Mutter ist, schon klar.“ Nachdem sie von Fireball nur gebrummte Zustimmung erhielt, spielte April ihren Trumpf aus. Sie wusste, wie sie den Piloten zu den Antworten brachte, die sie hören wollte. Sofort senkte sie den Blick etwas traurig und murmelte: „Das haben wohl alle Mütter, dafür sind sie es schließlich. Meine ist… war es ja auch.“ Oh, sie konnte ein richtig fieses kleines Miststück sein. April linste mit großen blauen Augen kurz zu Fireball auf und beobachtete seine Reaktion. Die verlief wie erhofft. Fireball schloss etwas zu ihr auf und sein Tonfall verriet ihr, dass er sich um sie sorgte. Der Rennfahrer sprach vertraulich mit ihr: „Du vermisst sie manchmal, hm.“ Seine Stimme war warm und verständnisvoll dabei gewesen. Fireball hatte zwar irgendwie den Übergang von den Blödeleien zu den ernsteren Gesprächen verpasst, aber das machte ihm nichts. Er wusste, dass April selten über ihre Mutter sprach, umso fürsorglicher und vertraulicher behandelte er das Thema deswegen. Der Rennfahrer hing an April, nicht nur als Teamkollegin sondern auch als Freundin. Sie redeten selten über Dinge, die sie belasteten, doch wenn einem von beidem der Sinn danach stand, dann war er beim anderen in guten Händen. Was sie sich in solch spärlichen Minuten erzählten, würde niemals ein anderer erfahren, es blieb unter ihnen. April nickte: „Ja. Ganz besonders in Momenten wie diesen.“ War aus ihrer Masche plötzlich Wahrheit geworden? April hielt ein paar silberne Ohrringe in Händen und starrte darauf. Sie vermisste ihre Mutter tatsächlich von Zeit zu Zeit. Und besonders fiel ihr dieses Fehlen in Momenten auf, die typische Frauengeschichten waren. Einkaufen, zusammen spazieren gehen, zusammensitzen eben. All die Sachen, die sie seit geraumer Zeit mit Fireball machte, waren Beschäftigungen, die sie im Normalfall mit ihrer Mutter oder ihrer besten Freundin getan hätte. Sie sah unsicher zu ihm auf. Vertraute sie ihm so sehr? Behutsam legte Fireball ihr einen Arm um die Schultern und strich ihr über den Oberarm. Er drückte sie leicht an sich, als er ihr versicherte: „Du bist nicht allein, Süße.“ Er strahlte Geborgenheit aus. April würde sich nie jemanden so anvertrauen können, wie Fireball, das spürte sie tief in sich. Er war wie für sie geschaffen. Die Blondine löste sich aus seiner Umarmung. Sie hatte doch andere Pläne gehabt und wollte ihm eigentlich nicht damit in den Ohren liegen, wie sehr sie ihre Mutter manchmal vermisste. April legte die Ohrringe zurück und suchte weiter, dabei behielt sie immer auch Fireball im Auge und unterhielt sich mit ihm: „Wir sind gern so bummeln gegangen und haben solche Frauennachmittage gemacht. Aber das ist wohl überall so. Jedes Kind hat seine besonderen Zeiten mit der Mutter und dem Vater.“, sie hielt kurz inne und musterte Fireball aus den Augenwinkeln, ehe sie doch hinzufügte: „Naja, so weit vorhanden halt.“ „Hm.“, mehr kam von Fireball diesbezüglich nicht. Er hob die Schultern an und machte einen äußerst unbeteiligten Eindruck. Er wüsste nicht, was er April da erzählen sollte, denn da gab es nichts. Erstaunt drehte sich April zu ihrem Gefährten um: „Was denn? Du etwa nicht?“ Ausweichend erklärte Fireball, bevor April das Thema noch weiter ausbreiten konnte: „Mit Vater ist es bekanntlich nicht so weit her bei mir.“ April biss sich kurz auf die Lippen. Saber hatte Recht, da lag der Hund begraben. Ohne lange zu überlegen spielte sie den Ball weiter an Fireball. So leicht kam er ihr nicht davon: „Aber du hattest doch bestimmt auch so etwas mit deiner Mutter.“ Fireball legte den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. Okay, jetzt waren sie lange genug ernst geblieben und über seine Mutter wollte er gerade nicht wirklich reden. Deshalb grinste er April schelmisch an: „Nein. Mein Shoppingtrauma hab ich von dir.“ „Meine Güte. Dass sie mit dir nicht einkaufen gegangen ist, war mir klar!“, April verdrehte genervt die Augen. Der Kerl konnte auch keine fünf Minuten ernst bleiben! Die Blondine angelte in einer Wühlkiste nach Ringen und verdeutlichte, was sie eigentlich gemeint hatte: „Eher hat sie dich auf die Go-Kart-Bahn geschleift.“ Amüsiert zog Fireball die Augenbrauen hoch: „Ai?“, als er bemerkte, dass April ihre Feststellung durchaus ernst gemeint hatte, begann er zu kichern. Seine werte Mutter hatte man niemals auch nur in der Nähe von Autos gesehen. Kopfschüttelnd erklärte Fireball: „Die ist freiwillig nicht mal in eine Werkstatt gegangen, von einer Go-Kart-Bahn ganz zu schweigen.“ Auf was für verrückte Ideen April immer kam. Fireball war erstaunt, denn die Blondine schien nicht aufgepasst zu haben. Ai hatte, seit die vier Freunde im Lande waren, mehr als einmal klar und deutlich verlautbart, was sie vom Rennfahren oder Ähnlichem hielt. Das dürfte an April vorbeigegangen sein. „Sondern?“, fordernd stellte April die Frage. Es interessierte sie wirklich, was Fireball und seine Mutter gemeinsam unternommen hatten. Auf die Antwort von Fireball war sie nun gespannt. Aber das zeigte sie nicht. Kurz hielt Fireball inne. Welche Momente hatte er wirklich mit seiner Mutter, die dem nahe kamen, was April wollte? Es gab nicht allzu vieles, was die beiden Japaner miteinander geteilt hatten, außer einem ziemlichen Dickschädel. Alles, was Fireball als Jugendlichen interessiert hatte, war der Mutter ein Dorn im Auge gewesen, keine zehn Pferde hätten Ai jemals nach Suzuka gebracht. Schließlich zog Fireball einen leichten Schmollmund und wurde sarkastisch: „Zum Nachsitzen.“ April sah fragend auf. Sie konnte ihre Verwunderung nicht verbergen, als sie verwirrt versuchte, ihre Gedanken zu ordnen: „Wir reden schon von Ai, deiner Mutter? Oder ist sie das nicht?“ Die Tochter des Kommandanten war gerade völlig ausgestiegen. Immerzu nannte Fireball seine Mutter beim Vornamen, bei den letzten Fragen war vehement hervorgedrungen, dass Nähe bei den beiden ein Fremdwort war. Aber April verstand das nicht. Sie hatte Ai weinen gesehen, vor Angst und Sorge um ihren einzigen Sohn. Bestimmt war er ihr niemals so egal gewesen, wie Fireball das sah. Das konnte sich April nicht vorstellen. Und noch etwas drängte sich in ihre Gedanken. Mutter und Sohn konnten sich unmöglich immer schon so behandelt haben. Wieder nickte der Rennfahrer. Er wich einer Kundin aus, die sich an ihm vorbeidrängte. Seine Augen hafteten aber an April. Sie schien ihn nicht für voll zu nehmen. Aber wie sollte er ihr erklären, dass es nicht in jeder Familie so gesittet zugehen konnte, wie bei Commander Eagle und ihr? Das war ein hoffnungsloser Kampf. April legte sich einen Armreif um und begutachtete ihn. Danach hob sie den Blick wieder zu Fireball. Jetzt oder nie. April fasste sich ein Herz. Sie lächelte leicht und versuchte, Fireball so zu packen: „Aber sie benimmt sich nicht wie eine, oder wie jetzt?“ Nachdem der Japaner erneut nur nickte, fuhr April fort: „Was ist sie dann? Deine Schwester? Tante?“, ihr Lächeln wurde breiter: „Geliebte?“ Leise kam es von Fireball: „Frau.“ Dabei senkte er den Blick bekümmert und stieß sich von seinem Platz ab. Es war kein schönes Gefühl, aber wenigstens hatte er bei April keinerlei Bedenken, sie würde es hinausposaunen. Mit Verständnis war es allerdings auch bei April ziemlich weit her. Die Blondine grinste breit und hatte seine Antwort nicht ernst genommen. Spitzfindig und schlagfertig platzte es aus ihr hervor: „Wann habt ihr geheiratet?“ April hatte wirklich nicht daran geglaubt, dass Fireball das so gemeint haben könnte, wie er es gesagt hatte. Wer sagte so etwas schon im vollen Ernst? Amüsiert schüttelte April den Kopf und wandte sich wieder den Wühltischen zu. „Vor ungefähr dreißig Jahren.“, verbittert klangen die Worte, sein Gesichtsausdruck unterstrich es noch zusätzlich. Fireball hatte die Augenbrauen nach oben gezogen, die Arme noch fester vor der Brust verschränkt als zuvor schon und er biss sich auf die Lippen. Natürlich, es klang zu komisch, was er da als Antwort ad hoc hervor gebracht hatte, aber für ihn war es eher eine Tatsache als ein Spaß. Sofort drehte sich April wieder zu Fireball. Ungläubig starrte sie ihn an: „Du veralberst mich.“ Das war ihr wohl eine Nummer zu hoch gewesen, deswegen entschied sich Fireball, das Thema wieder unter den Teppich zu kehren. Er löste sich aus seiner steifen und verschlossenen Haltung und setzte ein kleines Lächeln auf. Entschuldigend hob er die Schultern: „Wenn du mir schon so doof kommst, Süße.“ „Pah!“, eingeschnappt riss April den Kopf in die Höhe und setzte sich in Bewegung. Veräppeln konnte sie sich auch alleine, noch dazu, wo sie es ernst gemeint hatte. Die Blondine hatte mit Fireball darüber reden wollen, was ihn und seine Mutter derart entfremdet hatte und er zog alles durch den Kakao. Eine andere Strategie musste her, wollte sie Fireball und auch Ai helfen. Und das wollte sie, alleine schon aus dem einfachen Grund, um für die restliche Zeit ihres Urlaubs wenigstens etwas Entspannung zu finden. Schnurstraks landete April, mit ihrem Begleiter im Schlepptau, in der Abteilung für Dessous. Ungeachtet ihres Verfolgers begann April, diverse Unterwäsche zu sichten. Doch ein wenig ängstlich, weil er befürchten musste, April zu sehr gekränkt zu haben, folgte Fireball seiner Gefährtin. Vergebens versuchte er sie wieder zu beschwichtigen: „Hey, April. Süße, jetzt hab dich halt nicht so.“ Dafür musste er jetzt schmoren. April ging weiter und landete schließlich bei den Negligees. April ließ Fireball geschlagene fünf Minuten hinter sich her trotten und ihn leiden. Ihr war gleich aufgefallen, dass es Fireball unangenehm war, in der Damenunterwäscheabteilung zu stehen. Offenbar erstens, weil er der einzige Mann dort weit und breit war und zweitens, weil April ausgerechnet bei den eher aufreizenden Kleidungsstücken verharrte. Sie betrachtete ein schwarzes Negligee eingehend, als sie sich entschied, das Schweigen zu brechen: „Ich hab dir eine simple Frage gestellt und du nimmst mich gleich so auf den Arm.“ Sie klang immer noch beleidigt, aber wenigstens sprach sie wieder mit ihm. Fireball fühlte sich in dieser Abteilung äußerst unwohl. Und das lag nicht etwa an den knappen Kleidungsstücken, sondern eher an seiner blühenden Fantasie. Seit April bei den knappen Nachthemdchen stand, glühten seine Ohren wie Feuer und er glaubte, verbrennen zu müssen. Sein inneres Auge zeigte ihm auch ohne Aufforderung, wie April in dem mit Spitzen bestickten Negligee aussah. Und das war ihm unangenehm. April war seine Kollegin, eine gute Freundin, aber eigentlich kein Mädchen, das man jemals in Unterwäsche sehen würde. Erschwerend kam hinzu, dass ihm gefallen würde, was er sich vorstellte und das durfte nicht sein. Als April das schwarze Negligee vom Ständer zog und es sich auch noch anhielt, drehte Fireball den Kopf von April weg, er wollte sie nicht anstieren. Dafür aber bekam sie eine ehrlich gestammelte Antwort: „Okay, der Spruch mit den dreißig Jahren war ein bisschen zu viel des Guten. Aber leider genauso wenig Unsinn oder Scherz, wie das, woran Ai glaubt und festhält.“ Ganz überzeugt war April von diesem Modell nicht, deswegen griff sie nach einem ähnlichen. Auch dieses Hemdchen war schwarz, allerdings aus Satin und war an den Beinen bis knapp über die Hüften geschlitzt. Das gefiel ihr schon eher. Deswegen hielt es sich April an, während sie Fireball nach weiteren Informationen aushorchte: „Woran glaubt deine Mutter denn?“ Fireball hatte sich fest vorgenommen, nicht mehr zu April hinzusehen, aber die Macht der Gewohnheit und die gute Kinderstube machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Rennfahrer suchte mit seinen Augen sofort nach April, nachdem sie ihn wieder angesprochen hatte. Was seine haselnussbraunen Augen nun zu sehen bekamen, schnürte ihm die Luft ab. Sofort kniff er die Augen zusammen, verdammt, da brauchte er nicht mehr viel Fantasie um sich vorstellen zu können, wie das Negligee weich über ihre Rundungen glitt. Nach einem tiefen Atemzug, um sich wieder zu beruhigen, gab er die gewünschte Auskunft: „Du bist mit dem Buddhismus ein wenig vertraut? Reinkarnation sagt dir was?“ April nickte leicht. Ja, sie hatte davon schon viel gelesen, immer mehr Menschen der westlichen Welt glaubten ebenfalls an die Wiedergeburt. Die Blondine war ein aufgeschlossener Mensch und hatte Interesse an allen Religionen und Weltbildern, deshalb konnte sie auch mit den Schlagworten des Japaners einiges anfangen. Allerdings fehlte ihr nun der Zusammenhang: „Aber was hat das mit dir zu tun?“ Tunlichst darauf bedacht, April nicht zu oft anzulinsen, antwortete Fireball: „Vater ist verschwunden, als sie…“, der abgebrühte Rennfahrer brachte den Gedanken nicht zu Ende. Wie sollte er auch, wenn April ihn so um den Verstand brachte? Unbeholfen begann er von neuem. Dieses Mal wählte er die einfachsten Worte, die er noch finden konnte: „Ai glaubt sehr stark daran. Es würde für sie einfach so vieles erklären und auch einfacher machen.“ Wieder nickte April, nebenbei suchte sie nach einem andersfarbigen Modell des Negligees, schwarz schien ihr zu brav. Als sie das gewünschte Stück gefunden hatte, ging sie damit zur nächsten Umkleidekabine. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, dass Fireball ihr auch in diesen privaten Momenten wie ein Schatten zur Seite stand. Während sie in der Umkleide verschwand, ließ sie sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und versuchte das mit den anderen Informationen zu kombinieren und zu verknüpfen. Reinkarnation bedeutete Wiedergeburt oder auch Seelenwanderung. Das asiatische Volk glaubte durchaus daran und Fireball hatte es noch einmal extra betont, als er April über ihr Wissen über Buddhismus gefragt hatte. Nun war das fehlende Zwischenstück da! Die Navigatorin zog sich gerade das Shirt über den Kopf, als sie Fireball mitteilte: „Sie hält dich für die Wiedergeburt ihres Mannes.“, so erfreulich es auch war, dass sie diesem Faktum auf die Schliche gekommen war, im selben Atemzug machte es April auch traurig. Verständnisvoll fügte sie hinzu: „Wie hätte sie da jemals eine Mutter sein können?“ Der Rennfahrer lehnte neben der geschlossenen Kabinentür. Er nickte stumm. Jede Antwort war überflüssig, April hatte bereits verstanden. Wenigstens blieb ihm dieses Mal ein verwirrter Blick seines Gesprächspartners erspart, weil die Umkleidekabine zwischen den beiden stand. Saber hatte Fireball ja angesehen, als hätte er einen Außerirdischen gesehen. Aprils warme Tonlage verstärkte zusätzlich das Gefühl, sie würde es verstehen. Da ging die Tür der Umkleidekabine auf und April wagte sich einen Schritt nach draußen. Sie trug nichts weiter als dieses dunkelrote Negligee und ihre Unterwäsche. Wie Gott sie schuf, stand sie vor Fireball, ohne jegliche Scheu oder Scham. Sie drehte sich sogar einmal im Kreis, dabei sprach sie wieder mit ihrem Modeberater: „Du hattest in dem Sinn eigentlich keine Mutter. …Und? Was sagst du?“ Fireball schlug bei diesem Anblick das Herz bis zum Hals. Hätte er bis dahin nicht gewusst, welche Perle in ihrem Team zuhause war, spätestens jetzt wäre es ihm schlagartig klar geworden. Aprils porzellanfärbige Haut war vom Scheitel bis zur Sohle ebenmäßig und glatt. Sie sah unglaublich in diesem Nichts aus. Völlig von der Rolle schüttelte er den Kopf: „Ja… nein… äh, ich mein…“, mit der letzten Selbstdisziplin wandte er die Augen von April ab, da konnte er endlich wieder einen vernünftigen Satz bilden: „Ich habe eine Frau.“ Nun wusste auch April sicher, wie sie manche Geschehnisse der letzten Tage zu werten hatte. Verständnisvoll nickte sie und gab Fireball Recht: „Eine Ehefrau namens Ai.“ Da das Problem nun gegessen war, zumindest war April nun soweit im Bilde, dass sie sich einen Reim machen konnte, galt ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kleidungsstück, das sie gerade trug. Mit geneigtem Kopf musterte sie Fireball, doch der starrte Löcher in die Luft. Gefiel es ihm, oder nicht? Noch einmal deutete sie auf das Negligee und fragte: „Also was jetzt? Sieht es zu billig aus?“ Heftiges Kopfschütteln war die schnellste Antwort. Die Worte brauchten eine Weile, bis sie in der richtigen Reihenfolge aus Fireballs Mund kamen: „N… Nein. Ist“, er schluckte das ‚heiß‘, das ihm auf der Zunge gelegen hatte, im letzten Moment hinunter und fuhr unverfänglicher fort: „hübsch.“ Gut, wie viel verfänglicher konnte diese Situation schon noch werden? Fireballs Augen glitten an April hinab, wusste sie überhaupt, was sie ihm da grade antat? Dem Rennfahrer war ganz anders geworden, seit sie in der Abteilung gelandet waren. Anständiger Gedanke war seit Minuten keiner mehr dabei gewesen, aber wahrscheinlich ging es jedem Mann da gleich. Bei so einer Kollegin konnte man doch nur auf unanständige Gedanken kommen. Noch einmal musterte er sie. Zum Schlafen alleine war das Nachthemd doch viel zu schade. Gab es da etwa jemanden, der Nacht für Nacht in den Genuss dieses Anblicks kommen sollte? Da er ohnehin keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und die Vernunft irgendwo in der letzten Abteilung abhanden gekommen war, sprach Fireball diese Gedanken laut aus: „Für wen kaufst du das, wenn man fragen darf?“ „Wer sagt, dass ich es kaufe? Ich probiere nur.“, mit einem Augenzwinkern verschwand April wieder in der Kabine. Noch während sie die Tür hinter sich schloss, wurde ihr plötzlich bewusst, was sie sich eben vor Fireball getraut hatte. Mit einem knallroten Kopf lehnte sie sich gegen die geschlossene Tür. Einmal mehr dankte sie dem lieben Herren da oben, dass weder Colt noch Saber jemals durch puren Zufall in einem solchen Laden landen würden. Nachdenklich legte Fireball seine rechte Hand auf die Außenseite der Kabinentür. Er senkte den Kopf. Obwohl es eine Erleichterung gewesen war, mit jemanden darüber zu reden, lastete es ihm doch immer noch schwer auf dem Herzen. Denn Ai sah nicht nur die bloße Wiedergeburt von Captain Hikari in ihm, sie hatte auch eine Erwartungshaltung ihm gegenüber, die er nicht erfüllen konnte. Das überlebensgroße heroische Bild von seinem Vater schwebte über ihm, doch er konnte nicht hinein wachsen. Im Laufe der Jahre war er dahinter gekommen, dass nicht nur seine Mutter ihn ständig mit seinem Vater verglich, ihn in Fireball sah, sondern auch andere alte Bekannte von ihnen. Sie alle erlegten ihm diesen Druck auf. Schmerzlich gab er halblaut von sich: „Ich bin nicht mein Vater. In seine Fußstapfen werde ich niemals hineintreten.“ „Das musst du auch nicht.“, April hielt kurz inne und horchte in sich hinein. Instinktiv legte sie ihre Hand auf die Tür und starrte dagegen. Sie glaubte, seine Wärme dort spüren zu können. April hatte in diesem Augenblick vollstes Verständnis für Fireball. Wieder umgezogen trat April aus der Umkleidekabine heraus. Sie nickte Fireball leicht zu und schlug den Weg zur Kasse ein. Der Rennfahrer hatte geduldig auf sie gewartet. Schweigsam, wie sie schnell gemerkt hatte. Die Blondine hakte sich bei ihm ein und zog ihn mit einem warmen Lächeln mit sich. Sie mochte seine Nähe. Ohne darüber nachzudenken, schmiegte sie sich leicht an ihn, strich mit ihren Fingerspitzen über seinen Handrücken. Er brauchte nicht zu sein, wie sein Vater, April mochte ihn so, wie er war. Ohne Widerworte ließ sich Fireball mitziehen, immerhin ging sie nun endlich zur Kasse und würde hoffentlich kein weiteres Geschäft mehr unsicher machen wollen. Während er auf April gewartet hatte, war er mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen. Es tat ihm weh, dass Ai nur etwas von Captain Hikari in ihm sah. Sie war weder stolz auf ihn, noch unterstützte sie ihn in seinem Tun. All das waren harte Brocken für Fireball. Als er Aprils sanfte Berührung auf seiner Haut spürte, sah er zu ihr auf und lächelte sie warm an. Er war gerne mit ihr zusammen, auch, wenn sie ihn manchmal beinahe um den Verstand brachte. Fireball blickte in ihre großen, blauen Augen. Sie waren wundervoll. Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick lang. In diesem flüchtigen Moment schossen ihr Ais Worte wieder durch den Kopf: ‚Sieh ihm nicht in seine braunen Augen. Es wird dein Verderben sein.‘ Erschrocken richtete sie ihre Augen auf die Theke und legte ihre Einkäufe darauf. Es war bereits zu spät. Viel zu spät. Während die Kassiererin die Ware einscannte, murmelte April: „Deine Mutter kennt dich wirklich gut, Fire.“ Skeptisch wich Fireball daraufhin einen Schritt von April weg. Was hatte sie da eben gesagt? Seine braunen Augen blickten in ihr Gesicht, hatte sie sich einen Scherz mit ihm erlaubt? Doch in ihrem Antlitz konnte er für diese Vermutung keine Bestätigung erkennen. April hatte es ernst gemeint. Aber wie um alles in der Welt kam sie plötzlich darauf? Er hatte doch nichts getan, zumindest war er sich keiner Schuld bewusst. April beobachtete die Bewegungen der Kassiererin, horchte aber gespannt, ob sie von Fireball eine Antwort bekam. Aber ihre Begleitung blieb stumm. Wollte er dazu nichts sagen? Wunderte er sich nicht, in welchem Zusammenhang sie das erwähnt hatte? April zog ihr Portemonnaie aus der Handtasche. Dabei blinzelte sie zu Fireball hinauf. Sie musste es ihm erklären. Schüchtern lächelnd gab sie der Verkäuferin die Kreditkarte und half Fireball auf die Sprünge: „Naja, deine Mutter hat mir erzählt, wie viel dir an Beziehungen liegt. Offenkundig hatte sie damit Recht.“ „Und wie viel liegt mir an Beziehungen?“, angespannt griff Fireball an die Kanten der Theke und lehnte sich dagegen. Was in Dreiteufelsnamen hatten Ai und April besprochen und wie waren sie auf das Gesprächsthema gekommen? Irgendwie hatte der Rennfahrer ab nun kein gutes Gefühl mehr. Viel eher kroch Angst in ihm hoch. Angst und Unsicherheit. Denn da gab es etwas, das sich Fireball nicht eingestand, jeder in seiner Umgebung jedoch erkennen konnte. April biss sich auf die Lippen. Noch blieb sie ihm eine Antwort schuldig, sie wollte vorher noch bezahlen. Hinter ihnen standen schon etliche andere Kunden, die auch ihre Einkäufe zahlen wollten. Außerdem glaubte sie etwas in Fireballs Stimme gehört zu haben, das Argwohn und Groll zu ähneln schien. Höflich bedankte sich die Blondine bei der Verkäuferin und verließ vor Fireball das Geschäft. Der Rennfahrer hatte das Vergnügen aufgebrummt bekommen, der Packesel vom Dienst zu sein, die Navigatorin trug nicht eine einzige Tüte. Das machte sie jedes Mal mit ihm! Zu allem Überfluss blieb sie ihm nun auch noch schon viel zu lange eine Antwort schuldig. Er wollte es wissen. Wie waren April und Ai auf dieses Gesprächsthema gekommen? Was ihn dann aber noch mehr irritierte und was er nicht verstand, war Aprils Meinung zu der Diskussion. Sie hatte ihm bis dato ja weder eine vernünftige Antwort noch ihre Gedanken dazu gegeben. Es verunsicherte den Rennfahrer enorm. Endlich, die beiden waren wieder im Freien angekommen. Hier, im Eingangsbereich war erstaunlicherweise nicht viel los. April blieb stehen und sah sich um. Andere Länder, andere Sitten, das wurde auch hier wieder deutlich. Zwischen Parkplätzen und Einkaufszentrum war ein langer, mit Pflastersteinen ausgelegter Weg, angelegt worden, dazwischen Grünflächen mit Sträuchern und kleinen Zierbäumchen. Der Wind fuhr durch die Blätter der Büsche und drehte und wendete sie, wie es ihm grade gefiel. Tat der Rennfahrer das auch? Spielte er mit Frauen wie der Wind mit den Blättern? April drehte sich zu ihrem Begleiter um. Sie blinzelte ihn aufmerksam an, beobachtete jeder seiner Bewegungen. Seit sie in seine dunklen, warmen Augen gesehen hatte, gingen ihr die Worte von Ai nicht mehr aus dem Kopf. Hatte Ai tatsächlich in dieser kurzen Zeit mehr bemerken können, als es ihr über die Jahre hinweg aufgefallen war? April sah sich Fireball gegenüber. Nichts hatte sich seit ihren Anfängen geändert. Immer noch nahm sie ihn am liebsten zum Einkaufen mit. Er war da, schien zu spüren, wann sie Trost und Zuspruch brauchte oder wenn sie Halt benötigte. Fireball war ihr ständiger Begleiter, ihr Beschützer, ihr bester Freund und ihr engster Vertrauter. April erschrak über ihre eigenen Gedanken, denn neben diesen freundschaftlichen Eigenschaften, war ihr auch durch den Kopf geschossen, dass sie mehr wollte, als das. Eigentlich wollte April nicht nur einen Vertrauten, einen Freund, sie wollte ihr Leben an seiner Seite verbringen. Fireball war ganz froh über den Wind, der ihm im Freien um die Ohren wehte. Im Kaufhaus war es elendig heiß gewesen, sich mit all den Taschen und Tüten bepackt raus zu bugsieren war schweißtreibende Arbeit. Dagegen war es für den Rennfahrer der reinste Urlaub, wenn er Jesse Blue die Hölle heiß machen konnte. April hatte tatsächlich noch auf ihn gewartet und war nicht zum Wagen vorgelaufen. Wie anständig von der Blondine. Fireball schmunzelte leicht, neigte den Kopf in Richtung ihres fahrbaren Untersatzes und spazierte neben April dorthin. Vollgepackt, wie er nun war, hatte der Pilot keine Hand mehr frei und die Wagenschlüssel waren in seinen Hosentaschen. Unschuldig lächelnd hielt Fireball seine Arme von seinem Körper weg und deutete mit einer kleinen Hüftbewegung die Hosentasche an, in der sein Schlüssel verschwunden war. Er bat die Blondine: „Süße. Sei so gut und sperr mein Auto auf. Der Schlüssel ist da.“ April nickte und schickte sich, den Schlüsselbund hervorzuholen. Mit geschickten Fingern griff sie in die engen Hosentaschen und zog ihn hervor. Etwas unschlüssig beäugte sie den kleinen Schlüsselbund. Gerade mal drei Schlüssel hingen an einem kleinen, asiatischen Anhänger. Es war ein kleiner, feuerroter Drache aus Stein. Er war fein gearbeitet, man konnte seine Krallen sehen, auch die Barthaare und das offene Maul. April kannte die Bedeutung dieses Schlüsselanhängers. Er sollte seinen Besitzer beschützen. Bestimmt hatte er diesen Anhänger von jemandem geschenkt bekommen. April drehte die drei Schlüssel in ihrer Hand. Einmal war da der Wohnungsschlüssel für Ais Wohnung, der zweite war der Autoschlüssel und der dritte? April konnte sich nicht vorstellen, wozu der dritte Schlüssel gehörte, es konnte nicht Fireballs Wohnung auf Yuma sein, denn die Türen dort sperrten nur noch mit Karten und Code. April entschied sich, ihn bei Gelegenheit mal danach zu fragen, nun entriegelte sie den Wagen und öffnete den Kofferraum des roten Sportflitzers. Fireball begann sofort damit, Aprils Einkäufe im Fond zu verstauen. Noch immer hatte sie ihm keine Antwort gegeben. Aber er wollte es unbedingt wissen, immerhin wollte er gegen steuern können, sollte seine Mutter falsche Behauptungen aufgestellt haben. Während er die Tüten ablegte, lugte er beiläufig zu April, die neben ihm stand und ihm zusah: „Und jetzt mal ernsthaft, April. Wie viel liegt mir denn nun an Beziehungen?“ Die Blondine lehnte sich mit dem Becken gegen den Wagen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Sie blickte geradewegs zum Himmel auf, als sie gestand: „Ai meinte, du wärst nicht der Typ Mensch für Beziehungen. Ich glaube, damit hatte sie Recht.“, aufrichtige, blaue Augen sahen ihn plötzlich an, als sie offen wissen wollte: „Wie behandelst du denn schon Mädchen, an denen dir was liegt?“ Tatsächlich kannte April keine einzige Frau, die mit Fireball einmal zusammen gewesen war oder mit der er sich nicht nur freundschaftlich getroffen hatte. Sie flogen schon eine ganze Weile miteinander durchs Neue Grenzland und bisher war dem Rennfahrer noch nie ernsthaft an einer Frau gelegen. Ai hatte ihr bestimmt damit sagen wollen, dass ihr Sohn es nicht lange bei einer Frau aushielt, dass er kein Interesse an festen Bindungen hatte. Eine andere Erklärung dafür gab es im Augenblick nicht für April. „Ich behandle sie mies“, Fireball drückte den Kofferraumdeckel mit beiden Händen nach unten, ziemlich schwungvoll, wie April zu hören bekam. Sie hatte ihn mit ihrer Aussage gereizt. Stocksauer ging Fireball an April vorbei, dabei knurrte er sie an: „So, wie es sich gehört natürlich.“ Wow. Ehe April noch was hätte sagen können, war Fireball schon an ihr vorbeigerauscht und in den Wagen gestiegen. Himmel, was hatte sie damit nun bloß vom Zaun gebrochen? Sie kannte seine hitzköpfige Art, Colt traf immerhin das ein oder andere Mal ziemlich tiefe Fettnäpfchen beim Rennfahrer, aber April hatte dem Kuhhirten da offensichtlich grade den Rang abgelaufen. Noch dazu, wo sie im Augenblick noch nicht mal wusste, wie sie das geschafft hatte. Sie hatte ihm eine simple Frage gestellt. Eigentlich hatte sie gedacht, mit ihm darüber reden zu können. April war verwundert, dass er niemals was über Mädchen ausplauderte, sie fragte sich, wie fest seine Beziehungen bisher gewesen waren. Sie konnte dem jungen Rennfahrer wirklich keine Eigenschaft zuordnen, wie er mit Mädchen umging, an denen er emotional hing. April wusste es doch nicht! Erschrocken sah sie Fireball nach, ehe sie sich vom Kotflügel abstieß, den Wagen umrundete und auf der Beifahrerseite Platz nahm. Während sie sich anschnallte, riskierte sie einen Blick zu ihrem Chauffeur. Er ließ den Motor kurz aufheulen, nachdem er gestartet hatte und die Handbremse löste. April blinzelte verunsichert. Passte sich Fireballs Fahrstil womöglich seiner Stimmung an, so wie es bei vielen Menschen der Fall war? Wenn ja, wollte April das möglichst schnell richtig stellen. Die Blondine versuchte, ruhig und sachlich zu bleiben. Es war immerhin alles Fakt für sie: „Das kann ich nicht beurteilen, Fireball. Ich kenne keine deiner Freundinnen.“ Der Wagen verließ den Parkplatz, mindestens so schwungvoll, wie kurz zuvor der Kofferraumdeckel zugeflogen war. Fireball zwängte sich in den fließenden Verkehr, der an diesem Nachmittag extrem zähflüssig war. Ohne sein Gegenüber anzusehen, knurrte er sie gekränkt an: „Sind ja auch so viele, was denkst du denn?!“ Fireball bremste den Wagen scharf ab, als die Ampel vor ihnen auf rot sprang. Seine Augenbrauen zogen sich mürrisch zusammen, er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Das war nicht zu fassen! Wie kam April denn nur darauf? Fireball verfluchte und verteufelte seine Mutter, denn niemand anderes konnte April diesen Floh ins Ohr gesetzt haben. Er atmete tief durch, doch davon wurde es auch nicht besser. April hörte einfach gutgläubig auf etwas, das ihr eine wildfremde Frau erzählt hatte. Ganz nebenbei bedachte er nun auch noch Aprils Naivität mit einem satten Fluch. Spürte sie denn nicht, was er seit geraumer Zeit empfand? Konnte sie sich die Antwort nicht selbst geben, weshalb sie nie eine von seinen Freundinnen zu Gesicht bekam? Es gab doch keine in seinem Leben. April krallte ihre Finger seitlich in die Sitze. Fireball war unter normalen Umständen schon kein guter Fahrer. Ja, fahren konnte er ausgezeichnet, auch den Verkehr konnte er einschätzen, sowie die Länge seines Wagens und dessen Fahrverhalten. Doch April behagte das manchmal nicht. Sie hatte in der Hinsicht nicht viel Vertrauen in den risikofreudigen Rennfahrer. Zu oft war ihm in seinem Wagen bisher schon etwas zugestoßen. Und auch, wenn all diese Unfälle beruflich bedingt waren, so verstärkten sie doch Aprils unbewusste Angst, es könnte auch im Alltag geschehen, erheblich. Dass er nun auch noch unüberlegt und von seinem Zorn gelenkt fuhr, jagte ihr eiskalte Schauer über den Rücken. Wieder sah sie zu ihm hinüber und beobachtete seine Reaktion auf ihre Worte: „Gerade deshalb sollte ich doch schon einmal eine getroffen haben, findest du nicht?“ Die Blondine nahm jedes Wort, das seit Beginn ihrer Unterhaltung gefallen war, für bare Münze, denn Fireball hatte sie nie angeflunkert. Natürlich entging ihr seine gereizte Tonlage nicht, aber das schob April eher darauf, dass sie mit ihm gerade über ein Kapitel seines Lebens sprach, das er nicht gern preis gab. Anders konnte es sich April nicht erklären. Immerhin war Fireball vor seiner Tätigkeit als Star Sheriff ein Rennfahrer gewesen. Und von allen Seiten hatte man immer wieder zu hören bekommen, wie sehr diese Klischees auf ihn zutrafen. Es waren nicht nur Freunde von damals gewesen, sondern auch andere Bekannte, wie Claudia Firenza. Bis heute hatte Fireball nicht ausgeplaudert, woher sie sich wirklich kannten und wie eng ihr Verhältnis zueinander war. Es wunderte April wirklich, nie eine seiner Freundinnen, die er doch sicherlich überall im Neuen Grenzland hatte, getroffen zu haben. Da nahm Fireball schlagartig den Fuß vom Gas. Der Wagen stotterte und wäre beinahe abgestorben. Ramrods Pilot hatte eben die Fassung über Bord geschmissen. Erstaunt, erschrocken und unglaublich enttäuscht von Aprils Worten drängelte er sich auf eine Bushaltestelle. Er warf die Warnblinker an, zog die Handbremse und schoss danach augenblicklich aus seiner Position zu April hinüber. Fireball legte den Ellbogen seiner Arme auf die Rückenlehne des Sitzes und das Lenkrad und beugte sich zu April hinüber. Empört ließ er sich vernehmen: „Das ist es also, was du von mir denkst. Na, großartig einfach!“ Erschrocken wich April so weit es ging zurück. Die dunkelbraunen Augen funkelten und waren dabei fast schwarz geworden. Seine Gesichtszüge und seine Worte, die eindeutig den unteren Bereich der Gute-Laune-Skala sprengten, machten ihr plötzlich Angst. Sie konnte es nicht erklären, aber in diesem Moment wollte sie ihm nicht zu nahe kommen. Fireball war ansonsten nie so aggressiv geworden, wie gerade eben. Schützend hob die Blondine die Arme vor die Brust und zeigte ihre offenen Handflächen. Sie stotterte: „Ich… Fireball du bist ein Rennfahrer und impulsiv und…“ Kopfschüttelnd wandte sich Fireball wieder von April ab. Er war tief getroffen von ihren Mutmaßungen und der Tatsache, dass sie Gerüchten und blöd daher gesagten Worten mehr vertraute, als dem, was sie erlebt hatte. Es kränkte den ehemaligen Rennfahrer enorm, denn von April hatte er erwartet, dass sie eher zu ihm hielt und ihm glaubte. Tatsächlich jedoch sah sie in ihm einen waschechten und klischeetreuen Rennfahrer, der jede Gelegenheit zur Hasenjagd nützte. Das tat weh, weil er es niemals gewesen war, in keiner Sekunde. Fireball drückte den Gang wieder rein und drängelte sich ein weiteres Mal in den einsetzenden Berufsverkehr. Er war unkonzentriert, bekam vom Verkehr nur noch die Hälfte mit und hätte zu allem Überfluss auch noch bald ein entgegen kommendes Fahrzeug übersehen, als er den Nachhauseweg eingeschlagen hatte. Er ließ den Wagen in die Garage kullern und stieg schweigend aus. Als er bemerkte, dass April ihm nicht folgte, drehte er sich noch einmal kurz um. April saß im Wagen und versuchte einzuordnen, was gerade geschehen war. Hatte sie sich wirklich mit Fireball in die Wolle bekommen? Ihr Herz hatte einen Moment lang ausgesetzt, als er zu ihr herumgefahren war, seither schlug es jedoch, als wollte es zerspringen. Sah er denn nicht, dass sie es nur gefragt hatte, weil sie wissen wollte, woran sie war? Bemerkte der Pilot denn nicht, was er ihr bedeutete? April senkte betroffen den Kopf und redete sich ein, dass alles heilte. Auch ein gebrochenes Herz. Fireball hatte noch einmal Kehrt gemacht, als er gesehen hatte, wie April den Kopf in ihre Hände legte und sich nicht mehr bewegte. Sorge um sie breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Hatte er sie zu sehr angebrummt? Der Rennfahrer öffnete die Beifahrertür und beugte sich zu April hinab. Er zog ihre Hände vom Gesicht und fragte sanft: „Was ist, Süße? Wir sind da.“ April wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und ihren Pony, der sie kitzelte. Mit traurigen Augen blickte sie zu Fireball hinüber. Er war ein Rennfahrer, der jede Gelegenheit wahrnahm, wenn sie sich ergab, nur diese nicht. April senkte augenblicklich die blauen Augen. Wollte er sie denn kein bisschen? War sie ihm nicht schön genug oder redete sie für seinen Geschmack zu viel? April schloss die Augen, denn Tränen suchten sich ihren Weg heraus. Hastig nickte sie und drückte Fireball aus der Tür: „Ich weiß.“ Bevor sie ihre Tränen nicht mehr verbergen konnte, drängte sie sich an Fireball vorbei und lief die Treppen nach oben. Hoffentlich begegnete ihr auf ihrem Weg zum Zimmer niemand mehr. Saber und Colt würden sofort spitz kriegen, dass sie weinte und sie nach dem Grund fragen. Aber sie wollte niemanden mehr sehen, vor allem keine Männer mit dunklen Haaren und ebenso dunklen wie großen und warmen Augen. Denn diese Augen brachen ihr das Herz. So wie Ai es gesagt hatte. Irgendwie hatten die Freunde ihren Urlaub doch noch unbeschadet rum gekriegt. Während dieser Woche war Fireball jeden Tag mit seinen Freunden oder seiner Mutter aneinander geraten, er hatte sich permanent von ihnen auf den Schlips getreten gefühlt. Egal, was er gemacht hatte, irgendjemand hatte immer was zu meckern. Vor allem mit Ai war er ständig zusammen gekracht, meist nur wegen Kleinigkeiten. Seit er ihr auch noch erzählt hatte, dass ihm vor allem König Jarred viel von seinem Vater Preis gegeben hatte, war es mit der Mutter aus und vorbei. Ai konnte kaum glauben, dass ausgerechnet ein alter Freund von Shinji ihrem Sohn so viel erzählt hatte. Noch unglaublicher allerdings war gewesen, dass König Jarred und Fireball überhaupt zusammen gestoßen waren. Um sie wieder zu beruhigen, hatte Fireball noch versucht, ihr von dem Desaster zu erzählen, wie sie sich zum ersten Mal gegenüberstanden waren. Aber auch das hatte nicht geholfen, es hatte Ai nur noch wütender gemacht, weil Vater und Sohn sich wirklich wie ein Ei dem anderen glichen. Auch Shinji war anfangs nicht gut mit dem Monarchen ausgekommen, hatte ihn nach dem ersten Treffen sogar als unfähigen Choleriker bezeichnet, doch schon bald darauf waren sie gute Freunde gewesen. Ai schmerzte die Erinnerung an Jarred sehr, denn Shinjis Aufbruch zu ihm ins Königreich war sein Todesurteil gewesen. Saber und Colt hatten irgendwann im Laufe dieser Woche aufgegeben, irgendwas richten zu wollen. Der Schotte war sogar soweit gegangen, dass er alles in Aprils Hände gelegt hatte, was Fireball und seine Mutter betraf. Sie war eine Frau und konnte sich wesentlich besser in beide hineinversetzen, als es Colt oder er gekonnt hatten. Bis zu dem Gespräch in der Garage nach dem Abendessen hatte Saber permanent versucht, aus Fireball schlau zu werden, aber das wurde er einfach nicht. Die zusammenhanglosen und verwirrenden Brocken, die Fireball in der Garage bezüglich seiner Familie von sich gegeben hatte, hatten den Schotten aufgeben lassen. Da war mehr als der Rennfahrer zugeben wollte vorgefallen. Colt vermied es tunlichst, mit Fireball noch einmal über Eltern oder über Mütter im Speziellen zu reden. Er hatte kein Interesse daran, in seinem Urlaub noch einmal so an die Decke zu gehen, wie er es schlussendlich getan hatte. Deshalb vertrieb er sich lieber die Zeit, indem er April neckte oder mit Ai zusammen über den Junior der Familie Hikari herzog. Dabei achtete er stets sorgsam darauf, mit Ai nicht über die Star Sheriffs oder gar über das Rennfahren zu reden. Er hatte schnell bemerkt, dass beides keine geeigneten Themen für lustige Stunden waren. Da war es schon wesentlich erheiternder über den Hitzkopf Witze zu reißen und ihn auf den Arm zu nehmen. Ai hatte einige gute Geschichten auf Lager, die sie den Freunden immer wieder servierte. April war hin und her gerissen. Einerseits konnte sie Ais Worte nicht vergessen, die ihr dringend davon abgeraten hatten, sich von Fireball das Herz brechen zu lassen und andererseits war ihr das Gespräch mit Fireball beim Einkaufen zu sehr im Gedächtnis haften geblieben, das vor allem für April Klarheit geschafft hatte. Seit diesem ominösen Nachmittag war nichts mehr so, wie es vorher zwischen Fireball und ihr gewesen war. Er hatte ihr vom buddhistischen Wiedergeburtsglauben erzählt und hatte ihr anschließend glaubhaft gemacht, wie viel Interesse er wirklich an ihr hatte. Zwar war er an die Decke gegangen, als er erfahren hatte, was Ai und April besprochen hatten, andererseits aber hatte er gleich deutlich gemacht, dass er nichts für sie empfand. Nun versuchte sie in einer Tour sowohl für Ai als auch für Fireball Verständnis aufzubringen. So weh es ihr auch tat, im Grunde genommen konnte sie Ais Verhalten besser nachvollziehen als Fireballs. Wiedergeburtsglaube hin oder her, Ai musste mit dem Ebenbild ihres Mannes leben, und Fireball brach ihr am laufenden Band das Herz. Es war sicher schon schwer genug, dass der Sohn seinem Vater ähnlich sah, dass er sich auch noch wie er verhielt, musste Ai immer wieder daran erinnern, was sie verloren hatte. Kapitel 4: 2066?! ----------------- Hi, von mir hier! Ihr kriegt wieder mal ein bisschen was zu lesen. Hoffentlich gefällt's und ihr seid nicht zu verwirrt ^^ Auf Yuma wartete das tägliche Geschäft auf die vier Freunde. Erstaunlich ruhig war es während ihres Urlaubs gewesen, bis auf einige kleinere Übergriffe der Outrider hatte es keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben. Manche Teammitglieder hätten sich während ihres Urlaubs allerdings einen dringenden Notfall im Oberkommando gewünscht, zumindest manchmal. Die Freunde hatten ja keine Idee davon gehabt, wie schwierig ein Besuch bei den Eltern werden konnte. Es war jedem eine Lehre. Colt und Saber hatten gelernt, ihre Ohren wirklich auf Durchzug zu stellen, wenn in fremden Familien gestritten wurde, April hatte eingesehen, dass ein Rennfahrer immer einer bleiben würde und der besagte Rennfahrer hatte sich schon nach dem ersten chaotischen Morgen geschworen, nie wieder einen Fuß nach Tokio zu setzen. Da verlor er im Urlaub schon lieber sein Gedächtnis als noch einmal mit seinen Freunden bei seiner Mutter zu Besuch zu sein. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich auf Ramrod wieder alles normalisiert hatte. Fireball war noch Tage nach ihrer Rückkehr schlecht drauf gewesen, nicht einmal ausgiebige Besuche auf der Rennstrecke hatten daran etwas ändern können. Die Blondine hatte krampfhaft versucht, Plan in ihr Handeln zu bringen und endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Seit dem Gespräch, das sie mit Fireballs Mutter am ersten Morgen geführt hatte, war nichts mehr, wie es vorher war. April bekam deren Worte einfach nicht aus ihrem Kopf, sie verfolgten sie sogar noch im Schlaf. Das Schlimmste daran waren allerdings nicht die Worte an sich, sondern wie schnell sie sich bewahrheitet hatten. April mied die ersten Tage ihren Piloten, sie musste zuerst damit klar kommen. Natürlich hatte Colt noch in Tokio mitbekommen, dass da irgendwas im Busch war und deswegen schlich er auch um seine Freunde herum, wie ein aufmerksamer Adler um seine potentielle Beute. Im Grunde wartete er nur noch auf eine richtige Gelegenheit den beiden eins auszuwischen und sie aufzuziehen. Saber hielt sich dieser Tage ebenfalls mit Aussagen eher bedeckt. Die Tatsache, dass er aus Teilen seiner Crew nicht schlau wurde, bereitete ihm doch erhebliches Kopfzerbrechen. Hätte er vor diesem Urlaub noch Stein auf Bein geschworen, er wüsste, wie seine Kameraden in bestimmten Situationen reagierten, würde er nun nicht mehr so vorlaut diese Behauptung aufstellen. Es galt die Lage neu einzuschätzen und zu beurteilen. Und das brauchte Zeit und vor allem Ruhe. Nach mehreren kleinen Erkundungs- und Begleitflügen war der Besatzung des Friedenswächters aufgefallen, dass den großen Cowboy einige kleine Wehwehchen plagten. Es waren wirklich nur Kleinigkeiten, doch im Ernstfall konnten daraus große Probleme heranwachsen. Während April die Programme einem Komplettcheck unterzog, schickte sie ihre Jungs durch Ramrod auf Fehlersuche. Jeder von ihnen bekam einen anderen Teil des Schiffes zugeteilt, den er untersuchen und kleinere Reparaturen sofort durchführen sollte. Wie das Leben so spielte, der Rennfahrer war in allen Lebenslagen ein Glücksgreifer, war er auch prompt im Hangar einem Mechanikproblem mit der Rampe auf die Schliche gekommen. Alles war besser, als Systemfehler oder undichte Hydraulikleitungen. Er schraubte und schmierte an der Rampe, bis endlich wieder alles reibungslos funktionierte. So gefiel ihm das, wie er dachte, als er sich die Hände in einem schmutzigen Lappen abwischte und das vollendete Werk begutachtete. Colt hatte es irgendwie geschafft, in der Küche zu versumpfen. Eher zu verstopfen, wie er missbilligend hatte feststellen müssen. Der dämliche Ausguss machte ihn noch schwach. Er hätte die letzten Wochen die Essensreste vielleicht doch lieber in den Müll werfen sollen und nicht durch den Ausguss jagen. Jetzt hatte er den Salat und bekam mit Sicherheit dafür eins auf die Nuss. Wo war der Rohrreiniger, wenn man ihn mal wirklich brauchte? Colt stieß sich den Hut aus der Stirn. War der nicht das letzte Mal im Bad gestanden? Hm, der heißen Spur musste er auf den Grund gehen. Der Schotte nahm sich die Außenhülle vor. Ein paar kleine Lackschäden hie und da, aber ansonsten schien der Friedenswächter fit zu sein. Als er mit dem Jetpack an der Glasfront vorbeiflog, klopfte er und winkte der Blondine mit einem charmanten Lächeln zu. Die freute sich über die kleine Ablenkung. Sie stand aus Colts Satteleinheit auf und ging auf die Glasfront zu. Mit kurzen Handzeichen fragte sie den Stand der Dinge ab, ehe sie sich ihrem piepsenden Computer wieder zuwenden musste. Saber schüttelte schmunzelnd den Kopf, bevor er nach oben wegflog. Mittlerweile schien wieder alles in geregelten Bahnen zu verlaufen. Pausen taten bekanntlich immer gut, und weil das so war, genehmigte sich Fireball eine. Als er durch die offene Küchentür schritt, erkannte er, dass er mit dieser glorreichen Idee nicht der einzige gewesen war. April stand vor der Kaffeemaschine und füllte gerade Wasser nach. Sofort meldete sich eine kleine Stimme in Fireballs Hinterkopf. Die Stimme gehörte zu seinem schlechten Gewissen, das ihn unaufhörlich daran erinnerte, dass er noch was grade biegen musste. Das hatte er die letzten Tage zur Seite geschoben, indem er ganz einfach so wenig wie möglich an Bord gewesen war. Langsam aber sicher sollte er doch ein paar Worte der Entschuldigung raus bringen. „Na, krieg ich auch einen, Süße?“, mit einem unsicheren Lächeln lehnte er sich neben April gegen die Anrichte und zwinkerte sie an. Die Tochter des Kommandanten schloss den Deckel und schaltete die Maschine ein, bevor sie zu Fireball herumfuhr. Sie konnte nicht umhin, schnippisch zu antworten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich ebenfalls gegen die Anrichte: „Hast du dir denn einen verdient?“ Fireball rutschte ein Stückchen zu April auf und legte ihr den Arm um die Schulter. Schüchtern sah er in ihre blauen Augen und druckste herum: „Hör mal, Süße, ich…“ Doch weiter kam er nicht. April schnitt ihm das Wort ab und rückte empört von ihm ab. Sie klopfte ihm auf die Finger und wies anschließend auf die Tür: „Hey, du kleines Schweinchen!“, Kopfschüttelnd rückte April gleich noch ein Stück von ihm weg. Sie hatte schon mitbekommen, dass er mit ihr etwas besprechen wollte, doch erstens war ihr das nun doch zu schnell gegangen und zweitens stand der Rennfahrer mit Händen voller Schmieröl vor ihr. Sie schubste ihn aus der Küche: „Merk dir, was du sagen wolltest, Turbo. Sieh erst mal zu, dass du deine Flossen sauber kriegst. Bis dahin ist der Kaffee fertig.“ Das war eindeutig gewesen. Mit eingezogenem Kopf und hängen gelassenen Schultern verließ der Japaner die Küche. Er hielt es schwer aus, wenn April ihn keines Blickes würdigte oder ihn abwies. Das ganze Theater zog sich schon seit dem Besuch bei seiner Mutter und bisher hatte Fireball nicht herausgefunden, was er April getan hatte. Nach ihrem Shoppingtheater hatte der Rennfahrer den Faden komplett verloren. Nur eines wusste er mit Sicherheit. Er musste sich bei April entschuldigen. Es war nicht nett von ihm gewesen, sie anzufahren und sie auch noch für die Probleme mit seiner Mutter verantwortlich zu machen. Im Bad traf er auf Colt, der ihm seine schönste Rückenansicht präsentierte. Der Kuhhirte hatte sich hinunter gebeugt und dabei war ihm sein Hemd gefolgt. Es war aus dem Hosenbund gerutscht und gab ordentlich Fleisch frei. Ein bisschen neckisch stieß Fireball seinen Kollegen mit den Hüften vom Waschbecken weg, mit den Händen sollte er möglichst niemanden mit weißen Hemden berühren. Er grinste zu Colt hinab, als er den Wasserhahn aufdrehte und spottete: „Kumpel, tu mir bitte den Gefallen und steck dein Hemd wieder in die Hose. Deine behaarte Heckansicht verdirbt mir sonst noch den Appetit.“ Wie von der Tarantel gestochen fuhr der Cowboy empor und schob sich mit einem knallroten Kopf das Hemd wieder in die Hose. Er hasste es. Die kleine Spottdrossel da neben ihm konnte manchmal einfach nicht die Klappe halten. Das schrie nach Rache. Am besten sofort. Nach einem Blick auf die schmierigen Hände des Rennfahrers kam ihm auch schon eine Idee: „Hat April nicht gesagt, du sollst Ramrod reparieren und nicht an deinem Buggy rummurksen? Mensch, ich weiß ja nicht, wie clever das war, aber wenn du so weiter machst, schmeißt dich unser Superhirn garantiert noch von Bord. Arbeiten und nicht Spielen hat der eindeutige Auftrag gelautet.“ Fireball spritzte ihm Wasser von seinen sauberen Händen ins Gesicht. Klar wollte Colt ihn aufziehen. Und verdammt, er wusste wirklich, wie er es machen musste. Fireball verzog das Gesicht, jetzt durfte er sich bloß nicht verzetteln und ärgern lassen. Schief grinsend angelte er sich ein Handtuch und berichtigte den Kuhhirten: „Ich halte mich an eindeutige Anweisungen, du ganz klar schon mal nicht. Willst du das Bad putzen, oder was suchst du im Reinigungsmittelschrank?“ Colt wischte sich über das beträufelte Gesicht. Er würde dem kleinen Rennfahrer schon noch Manieren beibringen. Er hatte da auch schon eine Idee. Freundlich lächelnd winkte er Fireball mit dem Zeigefinger zu sich: „Komm mal her, Matchbox. Ich will dir mal was erklären.“ Fireball tat wie ihm geheißen. Konnte ja gut sein, dass Colt ihm mal Neuigkeiten erzählte, die ihn auch wirklich interessierten. Endlich war Fireball wieder besser aufgelegt, Wortgefechte mit Colt waren manchmal echt heilsam. Aber eigentlich wollte er schon längst wieder in der Küche sein und sich bei April entschuldigen. Kaum war der Rennfahrer in fassbarer Nähe, nahm Colt seinen Kumpel in den Schwitzkasten und schleifte ihn zur Dusche rüber. Egal, wie viel Gegenwehr Fireball auch aufbrachte, Colt hatte den Überraschungsmoment gnadenlos genutzt und jetzt war es zu spät für den Rennfahrer. Da musste er jetzt durch. Colt griff mit einer Hand nach der Handbrause und schaltete das Wasser ein. Schwungvoll drückte er Fireball in die Dusche und spritzte den kleinen Wirbelwind von oben bis unten nass. Colt amüsierte sich köstlich. Das war die richtige Art von Rache. Es machte auch noch höllischen Spaß. Er drückte Fireballs Kopf unter den Duschstrahl und lachte: „Das ist mal für das nasse Gesicht, du Wüstenrennmaus! Und nebenbei bemerkt: Ich wollte dir schon immer mal den Kopf waschen. So auf die gute sprichwörtliche Weise, auf die gute.“ Fireball hatte sich prompt an der Wassermenge verschluckt und hustete unter dem Strahl, der immer wieder für Nachschub sorgte. Irgendwie musste er Colt zu fassen kriegen. Was fiel dem Witzbold bloß ein? Fireball griff mit beiden Händen nach Colt und zog an ihm. Dabei fluchte er: „Colt! Herrgott, hör auf, du vermaledeites Stinktier.“ „Nana.“, Colt drückte Fireballs Kopf noch weiter unter den Wasserstrahl. Der Cowboy war mittlerweile nicht minder nass, aber das war es wert. Er zog Fireball auf und griff mit der zweiten Hand nach der Seife: „Willst du, dass ich dir den Mund mit Seife auswasche, Matchbox? So viele böse Wörter, das gehört sich nicht.“ „Du kannst von Glück reden, wenn ich dir jemals wieder den Hintern rette, Viehtreiber!“, Fireball strampelte. Er versuchte, sich zu befreien, aber Colt war ihm leider eine Nummer zu groß. Der Cowboy hatte einen sicheren Stand und hielt ihn felsenfest. Egal, welche Verrenkungen er vollführte, aus dem Schwitzkasten kam er nicht frei. Colt lachte indes munter auf und hielt dem Rennfahrer tatsächlich die Seife unter die Nase: „Deine letzte Chance, Turbofreak. Noch so’n Spruch und deine Zunge glänzt nachher. Versprochen.“ Saber lehnte sich an den Türstock, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete kopfschüttelnd, was sich vor seinen Augen abspielte. Er war sich nicht ganz sicher, was das alles zu bedeuten hatte. Sicher war lediglich, dass zumindest Colt einen Heidenspaß daran hatte. Beim Rennfahrer konnte man das schwer sagen, denn der fluchte zwischen seinen Hustenattacken, was sein Wortschatz hergab. Und der war in dem Fall gewaltig. Nun, Saber gestand sich ein, würde er seinen Kopf unter Wasser halten müssen aber nicht wollen, über seine Lippen kämen auch ein paar Schimpfworte. Er sah dem Treiben eine ganze Weile zu, bis er sich vom Türrahmen abstieß und ins Badezimmer, das mittlerweile halb unter Wasser stand, ging. Schmunzelnd wollte er wissen: „Was wird das denn, wenn’s fertig ist?“ Colt packte Fireball im Nacken und drückte ihn absichtlich noch weiter mit dem Kopf ins Wasser, damit die Gegenwehr nicht mehr allzu heftig ausfiel. Breit grinsend erklärte er seinem Boss: „Ich bin gerade dabei unserem kleinen Wüstenfuchs den Mund mit Seife auszuwaschen, der flucht mir zu viel in letzter Zeit.“ „Ach echt?“, Saber hob seine Augenbrauen und versuchte, seine Miene unbeteiligt und hart wie immer wirken zu lassen. War er also nicht der einzige gewesen, dem das aufgefallen war. Der Schotte blickte aufmerksam nach unten auf den knieenden Fireball, der von Colt immer noch am Nacken festgehalten wurde. Vielleicht sollte er dem Spaß ein Ende bereiten, bevor daraus blutiger Ernst wurde? „Verdammt und zugenäht, Colt! Ich bin kein räudiger Straßenkater, den du so im Genick packen kannst. Lass mich endlich los, du elender Sack!“ In dem Moment hatte Saber seine Meinung bezüglich der Hilfe wieder geändert. Er trat näher an die Szene heran und klopfte Colt auf die Schulter: „Ich halte und du spülst, Kumpel.“ Jetzt hatten sich die beiden älteren Männer auch noch gegen ihn verschworen! Fireball fand das unfair, alles andere wäre auch schwachsinnig gewesen. Als Colt den Griff um seinen Nacken lockerte, sah Fireball die Chance zu Flucht. Er zog den Kopf unter dem Wasserstrahl hervor und stemmte sich mit den Armen in der Duschtasse ab um nach hinten wegzukommen. Aber er war nicht flink genug gewesen. Saber packte den Rennfahrer an den Schultern und stemmte sich gegen die Fluchtrichtung. Colt griff währenddessen nach Fireballs Füßen und zog an den Stiefeln. Der Cowboy gluckste: „Hey, ich glaub, deine Stinkeballerinas sollten wir gleich mit waschen, das kann nicht schaden.“ Sofort schaltete sich Saber dazwischen. Er schüttelte energisch den Kopf: „Lass den Quatsch! Willst du tot umfallen? Fireball hat die Schuhe schon den ganzen Tag an, Kumpel.“ „Einleuchtendes Argument.“, Colt zuckte mit den Achseln. Die Schuhe ließ er dem Rennfahrer dann doch lieber an. Irgendwie war Sabers Argument vernünftig wie simpel und bei logischem Denken nachvollziehbar. Mit einem leichten Klaps auf die Fersen ließ Colt den Rennfahrer wieder los. Er nahm lachend die Seife in die Hand und hielt sie Fireball genau vor die Augen: „Sag schön ‚Ah!‘, mein Kleiner.“ Fireball zog den Kopf zurück und prustete: „Hör jetzt auf, du Armleuchter. Mir reicht’s!“ Der Schotte ließ in diesem Moment von Fireball ab und stand auf. Er verlautbarte trocken: „Lass mal, Kumpel. Ich hol das Desinfektionsmittel. Seife hilft da nicht mehr.“ Während Fireball die Augen entsetzt aufriss und inständig hoffte, dass Saber das nicht ernst meinte, begannen die anderen beiden lauthals zu lachen. Der Gesichtsausdruck des Rennfahrers war genial. Der Schotte drehte sich um und wollte ein paar Schritte zum Arzneimittelschrank machen. Es blieb beim Versuch. Auf dem rutschigen Boden rutschte der Highlander aus. Er konnte sich nicht mehr fangen und landete rücklings auf dem Boden. Colt wollte seinen Fall noch bremsen, doch er war zu weit weg gewesen. Jetzt hatte auch Fireball mal was zu lachen. Der Rennfahrer krabbelte endlich aus der Dusche und setzte sich auf. Warum war nie ein Fotoapparat in der Nähe, wenn der Boss mal am Boden lag? „Um Himmels Willen, wie seht ihr denn aus? Seid ihr in einen Platzregen gekommen?“, entsetzt starrte April auf die drei Männer, die gerade in die Küche getreten waren. Alle drei von oben bis unten patschnass. Die Jungs standen noch halb in der Tür. Alle setzten sie ihre unschuldigsten Blicke auf und Colt wollte unverbindlich wissen: „Sag mal, Prinzessin. Wo ist eigentlich unser Mopp hingekommen? Wir bräuchten den mal, sonst müssen wir den kleinen Mopp da hernehmen.“, dabei strubelte er mit einer Hand durch Fireballs nasse Haare. Der zog den Kopf gleich weg und begehrte auf: „Dir geb ich gleich Mopp!“ Saber schmunzelte breit und half ausnahmsweise zu Fireball. Er zwinkerte Colt an: „Lass mal gut sein, Colt. Für heute hat er genug gelitten.“ April stand vor ihren drei Männern und blickte von einem zum anderen. Dabei wurden ihre Augen immer größer und ihre Miene immer fragender. Sie verstand kein Wort. Wozu brauchten sie einen Mopp? Was hatten sie angestellt? Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Aus dem Bild wurde sie einfach nicht schlau. Deshalb fragte sie: „Wozu braucht ihr einen Mopp?“ Fireball wies mit einem unschuldig reumütigen Blick aus der Tür und erklärte: „Die beiden wollten mal wieder das Bad putzen, weißt du?“ Sofort berichtigte Colt seinen kleinen Hombre. Sie hatten schon lange nicht mehr so viel Spaß miteinander gehabt und die gute Laune war ihm nach wie vor nicht vergangen. Heiter klärte er April auf: „Die Sache ist die. Wir fanden, es war an der Zeit unserer Renngurke mal den Kopf zu waschen. Aber dank seiner Gegenwehr steht jetzt unser Badezimmer unter Wasser und wer den Dreck macht, muss ihn auch wegmachen. Deswegen braucht in erster Linie unser Matchbox den Wischmopp.“ Saber biss sich auf die Lippen, als er Aprils Gesichtsausdruck wahrnahm. Die Blondine fiel sprichwörtlich aus allen Wolken. Sie konnte wohl kaum glauben, was sie gerade zu hören bekommen hatte. Als dann auch noch Fireball konterte und sich zur Wehr setzte, fiel April alles zu Boden. Der Rennfahrer lachte nämlich: „Ich hab nicht darum gebeten, dass du mich unter die Dusche stellst, Viehtreiber. Ihr zwei“, er deutete jeweils auf Saber und Colt: „könnt den Dreck jetzt auch alleine aufräumen. Ich bin an der Überschwemmung im Bad nämlich nicht mitschuldig.“ April musste sich an der Anrichte festhalten. Die drei hatten was?! Colt, Saber und Fireball grinsten übers ganze Gesicht und amüsierten sich offensichtlich immer noch über den Blödsinn, den sie gerade fabriziert hatten. April war derart erstaunt, dass Saber bei dem Unsinn auch noch mitgewirkt haben sollte, dass sie nur noch wortlos dorthin zeigen konnte, wo sich Eimer und Mopp befanden. Colt und Saber griffen beide nach den Utensilien und verschwanden kichernd wieder. So lächerlich hatten sie sich lange schon nicht mehr aufgeführt. Aber wenigstens, und das rechneten sich die beiden selbst hoch an, stellten sie freiwillig den Status Quo wieder her. Saber zwinkerte Fireball noch einmal zu: „Das war dir hoffentlich eine Lehre, Fireball.“ „Ja, das nächste Mal geh ich einfach wieder, wenn ich einen von euch beiden im Bad treffe.“, schelmisch lachte der Rennfahrer auf, ehe er sich wieder zur verwunderten und perplexen April umdrehte. In dem Moment verschwand sein Lächeln wieder, denn ein Blick in ihre Augen und sein schlechtes Gewissen vermeldete so laut als möglich, dass Feuer am Dach war. Fireball strich sich mit beiden Händen durch die nassen Haare. Sie blieben scheitellos, aber strähnig an der Kopfhaut kleben. Er senkte leicht sein Haupt und ging auf April zu. Knapp vor ihr blieb er stehen und streckte seine Hände nach vor. Er drehte und wendete sie, ehe er sie von unten herauf ansah: „Sind sie sauber genug?“ Auch, wenn er sich die Hände nicht gewaschen hätte, mit diesem Blick hätte April ihm alles verziehen. Die Blondine fühlte, wie ihre Knie weich wurden, wenn er sie so ansah. Sie wurde schwach, streichfähig wie Butter, die zulange in der Sonne gestanden hatte. April spürte ihr Herz in ihrer Brust, wie es plötzlich schneller schlug. Es war längst schon zu spät für die Blondine, sie hatte sich bereits in den chaotischen, aber liebenswürdigen Rennfahrer verliebt. Mit einem kleinen Lächeln und roten Wangen griff sie nach seinen ausgestreckten Händen und hielt sie fest. Sie blickte direkt in seine braunen Augen: „Perfekt, Fire.“ „Oh, gut.“, nervös lachte Fireball. Jetzt oder nie. Entschuldigen war für den Heißsporn immer eine verdammt schwierige Angelegenheit gewesen und das warmherzige Lächeln von April machte es nicht gerade einfacher. Unsicher umschloss er eine ihrer Hände und nahm allen Mut zusammen: „Süße, du weißt, dass ich manchmal mit dem Kopf durch die Wand muss.“ April spürte seine warmen, aber feuchten Hände ganz deutlich. Es jagte ihr Schauer über den Rücken, ein unbeschreibliches Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie mochte seine Berührungen, aber im Moment war es ihr irgendwie unangenehm. Colt und Saber konnten jeden Augenblick wieder durch die Tür geschossen kommen und so albern, wie die beiden an diesem Tag drauf waren, konnte das nur in einer fiesen Kommentarflut enden. Deshalb zog sie ihre Hand wieder zurück, lächelte aber verständnisvoll, ehe sie sich zur Anrichte umdrehte: „Ich weiß, Fire. Und solange dein Sturschädel das mitmacht und die Wand das überlebt, hab ich kein Problem damit.“ Der Rennfahrer war erstaunt, wie humorvoll April das nahm. Aber es machte ihn auch stutzig. Es konnte auch bedeuten, April hatte seine Entschuldigung nicht verstanden. Und das konnte ein durchaus wahrscheinlicher Fall sein. Ganz so klar hatte er sich immerhin nicht ausgedrückt, das war ihm selbst aufgefallen. Deshalb folgte er der Blondine und half ihr, den Tisch für die Kaffeepause zu decken. Während er die vier Gedecke mit den Kaffeelöffeln versah, atmete er noch einmal tief durch. Nein, er hatte definitiv nicht das Gefühl, dass seine Entschuldigung angekommen war. Deshalb startete er einen zweiten, aber eindeutigeren Versuch, den Besuch in Japan ein für alle Mal abzuhaken. Als er wieder neben April stand, nahm er allen Mut zusammen. Es war ihm wichtig, dass sie beide sich wieder aussöhnten, sie war schließlich seine beste Freundin und heimliche Verbündete im Kampf gegen die beiden älteren an Bord. Er betrachtete sie kurz von der Seite. Wie immer hielt ihr roter Haarreifen ihre blonde Mähne aus dem Gesicht fern, ihr Pony rahmte ihr Gesicht auf verspielte Art und Weise ein, versteckten hinter einem unschuldigen Antlitz den knallharten Star Sheriff, der April dennoch war. Auf ihrer niedlichen Stupsnase kräuselten sich immer die Falten, wenn sie sich wieder über Kommentare von Colt aufregte und ihre blauen Augen strahlten Lebensfreude aus. Ihre porzellanfärbige Haut verlieh April etwas sehr Zerbrechliches. Fireball strich ihr eine widerspenstige Strähne hinter die Ohren und murmelte aufrichtig: „Es tut mir leid, wie ich mich in Tokio verhalten habe, Süße. Ich hätte dich nicht an maulen dürfen, das war nicht fair von mir.“ Fireball hielt kurz inne und achtete auf ihre Reaktion. Sie wandte ihr Gesicht zu ihm um und sah ihn fragend an. Seine Hand glitt über ihre Schulter, als er den Kopf senkte und kaum hervorbrachte: „Naja, ich hab nicht damit gerechnet, dass du mir Fragen über Beziehungen und Frauen stellst. Ich dachte immer, du…“ „Hey, ich will Kuchen sehen und keinen Schmachtfetzen!“ Erschrocken fuhren die beiden jüngsten auseinander. Was dem Zwischenrufer nun auch noch laute Lacher entlockte. Colt setzte sich an den Tisch und johlte: „Mensch, bei euch zwei könnte man ja glauben, da läuft was!“ Hinter dem Kuhhirten war auch Saber eingetreten. Er klopfte Colt kopfschüttelnd auf die Schulter. Konnte der Kerl nie seinen Mund halten? Die beiden waren schon einige Momente in der Tür gestanden und hatten gelauscht. Und gerade dann, wenn Fireball mal eine Entschuldigung formulieren könnte, die man auch verstand, konnte Colt seinen Rand nicht mehr halten. Hoffentlich hatte zumindest April nun eingelenkt. Saber setzte sich neben Colt und warf ihm noch einen tadelnden Blick zu. Das einzige Mädchen in der Runde angelte nach der Kaffeekanne und ging damit zum Tisch. Sie knallte sie Colt vor die Nase, dass es nur so schepperte und giftete ihn an: „Der Schmachtfetzen spielt sich erst ab, wenn du deiner Robin gegenüber stehst!“ Colt kniff die Backen zusammen, um nicht wieder laut zu lachen. April war zu niedlich, wenn sie sich ertappt fühlte. Das gefiel dem Kuhhirten. Er tätschelte ihrer Navigatorin auf die Schulter und imitierte den kleinen Rennfahrer mit einem ärmlichen Gesichtsausdruck: „Süße, du weißt doch, wie es mit mir und Beziehungen steht. Du darfst nicht immer so gemein mit mir sein.“ April setzte sich an ihren Platz und kommentierte das nicht mehr weiter. Sie bedachte Colt nur noch mit einem tödlichen Blick. Empört zog sie ihre Nase nach oben und ärgerte sich still über solche Dreistigkeit. Auch der Rennfahrer fand endlich an den Tisch. Er setzte sich, goss Kaffee in seine Tasse und rührte das bräunliche Getränk um. Um die ganze Diskussion in eine Richtung zu bringen, die mit April und ihm nichts zu tun hatte, entschied sich Fireball, auf den Cowboy zu schießen. Er sah von seinem Kaffee auf und deutete mit dem Löffel auf den Scharfschützen: „Dass bei dir die ein oder andere Schraube locker ist, war mir von Anfang an klar. Aber nur, weil du beim Anblick deines Rauschgoldengels sogar deinen Namen vergisst, entschuldigt das deine Halluzinationen noch lange nicht.“ Saber grinste in sich hinein und senkte den Kopf, damit man das Schmunzeln auf seinen Lippen nicht sehen konnte. Der Konter von Fireball hatte gesessen. Möglichst ernst griff Saber nach seiner Kaffeetasse und hob sie zu seinen Lippen an. Das lächerliche Geplänkel konnte sich gut und gerne noch eine halbe Stunde hinziehen, aber zumindest verriet es, dass alles wieder im grünen Bereich war. Der Rennfahrer hatte seinen Miesepeter abgelegt, April war nicht mehr sauer auf ihn und Colt? Naja, der stichelte für drei, also war er gesund und munter. Der Notruf erreichte sie früh am Morgen. Doch das machte ihnen nicht sonderlich viel aus, wach waren sie schon gewesen. Nun befanden sie sich auf einem Routineflug. Die Star Sheriffs waren zur Hilfe gerufen worden, weil die Outrider um Jesse Blue wieder einmal Ärger machten und arglose Siedler angriffen. Somit waren auch die ruhigen Arbeitstage nach dem Urlaub wieder dahin. Colt zumindest begrüßte dies, die Konvoys zu begleiten, war stinklangweilig gewesen. Die vier flogen auf die Outriderschiffe zu, mit ordentlich viel guter Laune, wie immer. Saber und seine Besatzung waren es gewöhnt, in eine Schlacht zu ziehen und ihre Methode hatte sich bisher immer bewehrt. Sie hatten keinen Grund dazu, sich Sorgen zu machen. Bisher waren sie noch immer siegreich gewesen. Während Colt unentwegt auf die Schiffe schoss, wich Fireball mit geschickten Flugmanövern den Angriffen der Outrider aus. Saber heckte noch eine Taktik aus. Doch noch bevor er soweit war, waren sie von Outriderschiffen umzingelt worden. Direkt vor ihnen baute sich ein Kreuzer auf. Colt fuhr alle Mavericksysteme hoch, die er zur Verfügung hatte und schoss auf das Flaggschiff der Outrider. Egal, was sie hier gewollt hatten, sie sollten sich wieder in ihre Dimension verziehen, sie hatten hier nichts zu suchen. Colt schoss aus vollen Rohren, eine gewaltige Explosion nahm ihnen die Sicht. Reflexartig umklammerte der Rennfahrer die Schubregler fester, er musste Ramrod gerade halten, auch wenn es Schwielen an den Händen zu bedeuten hatte. Die Druckwelle erreichte sie auch so mit voller Wucht und schleuderte sie zurück. April stöhnte kurz auf, die Druckwelle der Explosion und das gleißende Licht hatten sie erschrocken. Als sich die Blondine wieder gefangen hatte, begann sie sofort damit, ihre und die Systeme ihrer Kollegen auf etwaige Schäden zu untersuchen. Aber alles, was sie finden konnte, waren blinkende Konsolen. Da war wohl ordentlich was kaputt gegangen. Vielleicht sah es bei Saber besser aus. Sie wandte sich an Saber: „Meine Systeme spielen verrückt. Deine auch?“ Colt nahm unterdessen den Finger vom Abzug. Die Gefahr war gebannt, also brauchte er nicht mehr aufmerksam bleiben, das hatte er nach einem kurzen Blick nach draußen erkannt. Es war kein einziges Schiff der Outrider mehr auszumachen, die hatten alle die Flucht ergriffen. Ruhig fuhr er seine Systeme wieder auf ein Minimum herunter. Saber nickte lediglich, auch bei ihm blinkte einiges an den Konsolen auf. Es war wohl besser, zu landen und den großen Cowboy dann zu warten, bevor sie im All großartige Spekulationen anstellten. Der Recke befahl: „Lasst uns auf dem Planeten landen.“ Allen war irgendwie schwindelig und sie waren benommen. Es war etwas Seltsames passiert, soviel stand allemal fest. Weshalb spielten die Gerätschaften verrückt und wo waren die anderen Schiffe abgeblieben? Der Schotte konnte kaum glauben, dass sie mit einem gut gezielten Schuss alle zehn Schiffe in die Phantomzone zurückbefördert hatten. Das war viel zu unwahrscheinlich. Jesse Blue musste etwas ausgeheckt haben. Fireball landete Ramrod auf dem Planeten, der am nächsten war. Yuma. Zumindest war es laut Computern der Planet Yuma, auf den sie zuhielten. Saber schüttelte ernst den Kopf: „Das ist nie und nimmer Yuma da unten.“, er entschied sich deswegen für die sichere Variante: „Fireball, lande Ramrod auf dieser großen Lichtung außerhalb der Stadt. Mir ist das nicht geheuer.“ „Aye, Capitano!“, mit einem müden Lächeln ließ Fireball den großen Vogel landen. Widerworte wären hier weder angebracht noch sonderlich erwünscht gewesen. Außerdem brummte Fireball der Kopf. So spaßig war die Explosion auch für die Star Sheriffs nicht gewesen. Als sie Ramrod sicher auf der Lichtung geparkt hatten, bestätigte April abermals Sabers Vermutung: „Es wird nicht besser, Saber. Der Computer vermeldet immer noch, dass wir uns auf Yuma befinden. Laut Sternenkarte sind wir zuhause. Aber das sieht nicht aus, wie zuhause.“ Diese Skepsis teilten die männlichen Mitglieder mit der Blondine. Sie flogen nun schon einige Jahre immer wieder den Planeten Yuma mit Ramrod an, kannten die markanten Punkte der Hauptstadt und waren an den Anblick vom All aus gewöhnt. Doch das hier konnte nicht Yuma sein, es sah nicht wie nach ihrer Heimat aus. Saber gab die Anweisung, sich vorerst in der angrenzenden Stadt umzusehen und sich zuerst etwas zu essen zu holen, bevor sie sich um die Computerproblematik kümmerten. Im Augenblick schien keine Gefahr von Outridern zu drohen, deshalb konnten sie sich vorher um das leibliche Wohl kümmern. Die vier kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie durch die Stadt schlenderten. Alles sah irgendwie fremd aus, total fremd, wenn sie ehrlich waren. April brachte es auf den Punkt, als sie einer Passantin nachsah, die für Aprils Geschmack aus dem letzten Jahrhundert war: „Die haben hier wohl keinen Modeberater. Alle laufen sie rum, wie vor zwanzig Jahren. Das hat meine Mum schon getragen.“ Colt stierte dem weiblichen Geschlecht auch hinterher, aber nicht, weil sie so unmodisch gekleidet waren, sondern weil sie hübsch waren. Solange Robin nicht dabei war, war auch schauen noch erlaubt. Einer jungen Dame pfiff er anerkennend hinterher. Sie hatte ein Figürchen, ihre langen Beine mündeten in einem Minirock, der kürzer nicht sein dürfte und sie trug eine Bluse mit weiten Ärmeln: „Da werde ich doch gern zum Hippie, werd’ ich da doch!“ Den Rennfahrer juckte Colts Gehabe überhaupt nicht. Es war nicht neu. Egal, welchen Planeten sie besuchten, egal ob Heimat oder fremde Stadt, Colt hatte immer ein offenes Auge für jeden Rockzipfel. Robin würde ihm irgendwann mal die Augen auskratzen, aber wenn die blonde Lehrerin mit ihnen unterwegs war, verkniff er sich alles. Fireball schmunzelte. Der Feigling da. Er würde auch neben seiner Freundin anderen Frauen hinterher sehen, vorausgesetzt er hätte dann eine. Fireball verkniff sich jeglichen Kommentar zu Colts Verhalten und nickte stattdessen April zu. Ihr Argument konnte er sehr gut verstehen. Alles hier wirkte, als wäre es vor zwanzig Jahren gewesen. Die Freunde waren so damit beschäftigt, dass ihnen nicht aufgefallen war, wie sie ohne Saber weiterspaziert waren. Der Schotte war an einem altmodischen Zeitungsstand stehen geblieben und hatte sich eine Tageszeitung gekauft. Nun schloss er grummelnd zu ihnen auf: „Wenn ich euch das nächste Mal bitte, zu warten, dann tut das bitte auch.“ Saber schüttelte den Kopf und schlug die Zeitung im Gehen auf. Er überflog die erste Seite und runzelte die Stirn. Das war seltsam. Er faltete sie wieder zusammen und kontrollierte das Datum, das auf jeder Seite am oberen rechten Rand geschrieben stand. Ungläubig entfuhr es ihm: „Das kann nicht sein!“ Colt lachte und entriss ihm die Zeitung, ohne auf Saber geachtet zu haben. Ihm war an der Zeitung was anderes aufgefallen: „Cool! Ein Marshall Bravestarr Comic. Die hab ich als Kind geliebt!“ Colt war aus der folgenden Unterhaltung definitiv draußen. Der Kuhhirte war in das Lesen des Comics vertieft und tauchte offensichtlich in eine andere Welt ab. Da hatte das Kind-Ich einmal mehr die Oberhand über den Cowboy gewonnen. Er bekam von allen dreien noch einen irritierten Blick geschenkt, ehe April zu ihrem Vorgesetzten aufsah: „Was ist los?“ Der Schotte ließ sich neben Colt auf den Randstein nieder. Er deutete auf die Zeitung und flüsterte: „Leute. Wir sind in Yuma.“ Fassungslos blinzelte April nun nach unten. Sie würde den Teufel tun und sich auf die schmutzige Straße setzen. Allerdings verstand sie den Säbelschwinger nicht. Wie konnte er aufgrund der Zeitung so sicher sein, dass sie hier in Yuma waren. Es sah nicht nach ihrer aller Heimat aus. Auch Fireball verzog fragend das Gesicht. Zu seltsam war das alles. Ein bisschen verunsichert sah er zwischen seinen Freund hin und her. Ihr momentanes Verhalten hätte nicht unterschiedlicher sein können. Während Colt quietsch vergnügt die Zeitung las und ein Grinsen zur Schau trug, wie man es sonst nur zu sehen bekam, wenn er einer hübschen Frau hinterher gaffte, guckte Saber aus der Wäsche, als hätte er gerade einen Geist gesehen und April schien gar nichts mehr zu verstehen. Er reihte sich da bei April ein, denn auch der junge Spund musste irgendwo zwischendurch den Anschluss verloren haben. Woher konnte Saber aufgrund des Fetzen Papiers fest und steif darauf schließen, dass sie hier doch in Yuma waren? Ihre Bordcomputer hatten alle was anderes vermeldet. Saber warf Colt einen kurzen Blick zu. Der Kuhhirte war in jeder Situation ein kleiner Kindskopf, das war unglaublich. Bemerkenswert und auch beneidenswert, wie Saber fand. Ihm selbst fehlte diese Gabe gänzlich. Er dachte immerzu an Konsequenzen, dachte darüber nach, was alles passieren konnte. Noch einmal linste er auf das Datum der Zeitung, das auch auf dem rechten oberen Rand des Comics geschrieben stand. Zweifels ohne eine merkwürdige und besorgniserregende Situation. Er konnte es sich nicht erklären, aber sie waren tatsächlich hier. Saber schluckte hart, ehe er zu den beiden stehen gebliebenen aufsah. April blinzelte fragend und Fireball runzelte skeptisch die Stirn. Fireball. Trocken erklärte der Anführer vor allem seinem Piloten: „Ich gratuliere, Fireball. Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben, aber definitiv sind wir in einem Land vor deiner Zeit gelandet.“ „Bitte was?“, April entgleisten die Gesichtszüge und sie trat einen Schritt zurück. Beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren, so überrascht hatte sie diese Aussage. Keine Ahnung, was wirklich kaputt war, aber das von Saber konnte jetzt nur ein Scherz gewesen sein. Ein wenig unsicher lachte sie deshalb: „Das war ein Gag, oder?“ Kopfschüttelnd stand Saber auf und entriss dabei Colt die Zeitung. Er drückte den beiden das gelbliche Papier in die Hände und forderte sie ruhig auf, sich die Zeitung genauer anzusehen. Leise erklärte Saber dann: „Kein Scherz, Freunde. Wir sind wirklich in Yuma. Aber wir sind im April 2066 gelandet. Es wurde gerade ein neuer Sicherheitsrat für das Vereinte Neue Grenzland gewählt.“ Seit der Schotte die Zeitung gekauft hatte, bemühte er sich darum, mit seiner Bande nicht aufzufallen. Aber das war bei den drei Chaoten schwer möglich. Erstens waren sie viel zu auffällig angezogen und zweitens auch nicht gerade unauffällig leise. Einige Passanten hatten sie schon skeptisch beäugt und gemustert. Saber las aus den Reaktionen von Fireball und April, dass es Zeit war, sich wieder zu Ramrod aufzumachen. Doch da machte ihm der Cowboy einen Strich durch die Rechnung. Der war gleich aufgesprungen, nachdem Saber ihm die Zeitung wieder weggenommen hatte. Er stemmte die Arme in die Hüfte und sah den blonden Schotten stinksauer in die Augen, dabei stellte er sich auf die Zehenspitzen, um annähernd die selbe Größe vorzutäuschen: „Hey! Anstandsbolzen, ich war noch nicht fertig mit lesen!“ Saber ignorierte den Ausbruch seines Scharfschützen rigoros. Er ging einfach darüber hinweg und packte Colt an der Schulter. Mit ihm drehte er sich um, sie mussten wirklich schnell zu Ramrod zurück, wenn sie nicht auffallen wollten. Seinen anderen beiden Teammitglieder versicherte er: „Wir klären das zuhause.“ Keifend und fluchend folgte Colt. Aber er ließ es sich dabei nicht nehmen, sich lautstark darüber zu beschweren, dass er nicht zu Ende lesen hatten dürfen. Fireball und April folgten dafür schweigsam. Der Rennfahrer hatte einen kurzen Blick zu April geworfen. Sie befanden sich im Jahr 2066? Das Jahr, in dem die Outrider den Krieg angefangen hatten. Fireball kniff die Augen zusammen und schüttelte die nächsten Gedanken ab, so gut es ging. Die Blondine erwiderte den seltsamen Blick des Rennfahrers. Sie versuchte im Augenblick durchzurechnen, was das alles zu bedeuten hatte. Wie konnte man durch die Zeit reisen? Keinem Wissenschaftler war das bisher gelungen, warum denn plötzlich ihnen? Noch dazu, wo sie nichts anders gemacht hatten, als bei jeder anderen Schlacht auch. Sie hatten auf die Outrider geschossen. Mehr nicht. Oder war das des Rätsels Lösung? Hatten die Outrider einen Weg gefunden, durch die Zeit zu reisen? Die Fragen überschlugen sich und leichte Panik stieg in April auf. Wenn es wirklich die Outrider gewesen waren, dann saßen sie jetzt mächtig tief in der Tinte. Denn von den zehn Kreuzern war keine Spur mehr gewesen. Saßen sie nun für immer hier fest? Colt hatte sich bis Ramrod in einen Strudel geredet und immer mehr aufgeregt. An den Comic hatte er sich nicht mehr erinnern können, die Folge war ihm neu gewesen. Von dem Zeitproblem hatte er nichts mitbekommen. Er hatte einfach nicht zugehört, so wie schon des Öfteren. Die vier versammelten sich um Sabers Satteleinheit, der Schotte setzte sich hinein und startete abermals seine Systeme. Er versuchte eine Verbindung mit dem Internet oder dem Hypercom herzustellen. Zur Absicherung verschlüsselte er die Verbindung, damit ihnen niemand auf die Schliche kam. Auch auf der Newsseite eines Zeitungsherstellers fand er das selbe Datum, die selbe Jahreszahl. Es war Fakt. Saber trennte die Verbindung wieder. Er öffnete den Archivordner und begann darin zu suchen und zu blättern. Minuten vergingen, in denen niemand von ihnen sprach. Fireball brach schließlich das Schweigen, als er bemerkte, dass Sabers Recherche nichts Neues gebracht hatte: „Dann war’s wirklich kein Verdrucker auf der Zeitung. Oh, Mann.“ „Einen solchen Fehler könnte sich eine Zeitung wie die Yuma Daily Post auch nicht leisten.“, bestätigte Saber, der mit einem Ohr seinen Gefährten zuhörte. Es war im Augenblick wichtig, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. April grübelte auch. Aber nicht über die Geschichtsdaten, sondern über den Umstand, wie sie hier gelandet waren. Unbewusst rückte sie ein Stück zu Fireball auf, seine Nähe strahlte immer Sicherheit aus und seit die Tokiogeschichte erfolgreich unter den Teppich des Schweigens gekehrt worden war, verstanden sie sich endlich wieder so wie davor. Sie murmelte: „Wie kann das nur möglich sein?“ Entzückt rief Saber aus: „Ah, ich hab’s!“ Drei äußerst fragende Gesichter blickten auf den Schotten hinab. Als Saber die Blicke auf sich ruhen spürte, erklärte er ungerührt: „Wir sind durch eine Anomalie hier gelandet.“ „Aha.“, frustriert ließ sich Fireball in seine Satteleinheit nieder. Mit der Info konnte er gar nichts anfangen. Er wollte diesbezüglich nur eines wissen: „Sag, dass du weißt, wie wir von hier wieder wegkommen.“ „Nein.“, fiel die ernüchternde Antwort von Saber aus. Da hatte er den Hoffnungsschimmer seiner Freunde rasend schnell wieder zerschlagen. Ob sie ihn dafür lynchen würden? Der Kuhhirte und Fireball sahen sich enttäuscht an, während sich April zu Saber hinunter beugte und den Bildschirm mit seinen Inhalten in Augenschein nahm. Sie verzog das Gesicht: „Das dürfte eine Weile dauern, bis wir da was haben.“ Saber nickte leicht: „Und ich befürchte, wir brauchen die Outrider, um wieder in unsere Zeit zu kommen. Also heißt es vorerst, dass wir uns an die Lage hier gewöhnen sollten und versuchen müssen, uns hier einzugewöhnen ohne aufzufallen.“ Der Schotte dachte wie immer zwei Schritte voraus. Sie saßen ohne Zweifel hier fest, bis sie eine Antwort auf die Frage gefunden hatten, welche Anomalie das genau war und was die Outrider ausgeheckt hatten. Der Highlander hoffte inständig, dass die zehn Kreuzer ebenfalls in dieser Zeit gelandet waren und sie lediglich in die Phantomzone katapultiert worden waren. Nachdem er von seinen Freunden wieder nur fragende, verzweifelte und skeptische Blicke zugeworfen bekam, erörterte er: „Okay. Wir werden eine Weile brauchen, bis wir uns von hier wieder verabschieden können. Solange sollten wir uns hier einbürgern. Ohne Job dürfte das allerdings schwer gehen, denn ich glaub nicht, dass unsere Kreditkarten in der Zeit Geld werfen.“ April strich sich ihren Pony aus der Stirn: „Und was schwebt dir da vor, edler Säbelschwinger?“ Die Blondine war sich gerade absolut nicht sicher, ob sie Saber folgen konnte. Sie sollten sich einen Job und eine Tarnung suchen. Aber wie? Schmunzelnd stand er aus seiner Satteleinheit auf und fragte April: „Wie war das eigentlich bei dir, als du mit der Akademie fertig warst, April?“ „Ich war erst mal ein ganzes Monat zum Nichtstun verurteilt. General Whithawk hat meine Überstellungsunterlagen nicht nach Yuma geschickt.“, sie erinnerte sich noch gut an den Reinfall. Aber da war sie kein Einzelfall gewesen. Ihrem Jahrgang war es ähnlich gegangen. Manche hatten sogar drei Monate darauf warten müssen. Und das bestätigte nun auch Saber: „Dito. Wir können uns also ohne schlechtes Gewissen im Oberkommando melden. Sie werden uns wieder nachhause schicken müssen, aber wir wären da gemeldet und sitzen somit direkt an der Quelle, falls sich die Outrider entschließen sollten, aufzutauchen.“ Saber schien damit nicht allzu viele Probleme zu haben. Irgendwie hatte Fireball das Gefühl, der Schotte hätte die Hälfte der Ausführungen verschluckt. Deswegen stützte er die Ellbogen auf seine Oberschenkel und lehnte sich nach vor: „Hab ich grad irgendwas verpasst? Ich glaub, ich bin nach ‚Dito‘ ausgestiegen, kann das sein?“ Colt gackerte, als er Fireball leicht gegen die Schulter boxte: „Schnell fahren und schnell denken sind zwei Paar Schuhe, wie man merkt.“ Saber rollte kurz die Augen, das zu kommentieren sparte er sich. Stattdessen erklärte er Fireball noch einmal ein bisschen ausführlicher: „Wir melden uns beim zuständigen Commander, dass wir frisch von der Akademie sind und zum Dienst antreten möchten. So können wir uns dort frei bewegen um an die nötigen Daten ranzukommen. Aber wir müssen nicht ständig dort sein. Wir können bei Ramrod bleiben und versuchen, einen Ausweg aus dieser misslichen Lage zu finden.“ Nicht wirklich überzeugt davon nickte Fireball. Saber war der Boss. Wenn er es sagte, wurde es so gemacht und fertig. April nickte ebenfalls und erklärte sich somit mit Sabers Plan einverstanden. Und Colt blieb gar nichts anderes mehr übrig, als es hinzunehmen. Die Freunde hatten sich in Yuma einquartiert und zugesehen, dass sie sich so unauffällig wie möglich verhielten. Das war wie immer leichter gesagt als getan. Natürlich hatte es die vier ins Oberkommando verschlagen, sie hatten einfach wissen wollen, wie es dort vor ihrer Zeit ausgesehen hatte. Außerdem mussten sie Aprils Vater und die anderen vor den möglichen Übergriffen warnen. Aber wie machte man das am Geschicktesten? Sie konnten schlecht hingehen und sagen, wer sie waren. Deshalb gaben sich die Freunde als neue Soldaten aus, die gerade erst die Ausbildung in der Akademie abgeschlossen hatten. In ihrer Zeit waren die frisch ausgebildeten Kadetten regelmäßig vor ihren Einberufungsbefehlen in der Zentrale in Yuma und April wie auch Saber wussten, dass das auch zwanzig Jahre zuvor schon so gewesen war. General Whitehawk brauchte seit jeher ewig mit dem Papierkram. Diesen Umstand machten sie sich zunutze und statteten deshalb dem Kavallerie Oberkommando in Yuma einen kleinen Besuch ab. Die Freunde trennten sich am Eingang und erkundeten jeder für sich das Gelände. Saber und April gingen zum kommandierenden Offizier und meldeten sich förmlich zum Dienst. Colt hatte es in die Kantine verschlagen. Vielleicht war das Essen vor zwanzig Jahren ja noch besser als es in ihrer Zeit der Fall war. Fireball wanderte auf dem Freigelände umher, bis der Hangar seine Aufmerksamkeit erweckte. Wie es der Teufel wollte, stand Fireball wenig später im Hangar und betrachtete die für ihn museumsreifen, für das Oberkommando dieser Zeit jedoch hochmodernen, Gleiter, die alle geparkt im Hangar standen. Neugierig schritt er durch die große Halle und sah sich die Jets genau an. Sie waren neu, kaum gebraucht, das sah man sofort an der Außenhülle. Auch Ramrod hatte einmal so geglänzt. Und zwar bei seinem ersten Ausflug. Fireball schmunzelte bei dem Gedanken daran und notierte sich im Geiste, dem großen Cowboy im nächsten Urlaub eine Lackverjüngungskur zu gönnen. Er hatte sie bitter nötig. „Was machen Sie hier?“, die scharfe, wie korrekte Stimme schnitt durch die Stille der Halle und hallte dort unzählige Male wider. Fireball fuhr erschrocken zusammen. Als er eingetreten war, hatte er niemanden in der Fliegergarage gesehen und nun wurde er von der Lautstärke der Stimme so überrascht, dass ihm beinahe das Herz stehen geblieben wäre. Im Normalfall hätte er losgepoltert und den Störenfried gefragt, ob er sich nicht leiser bemerkbar machen könnte, aber hier war er der Gast. Sein Kopf drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Gut möglich, dass er einem Captain in die Arme gelaufen war, hoffentlich gab das keinen Ärger. Tatsächlich sah sich der junge Pilot einem Captain gegenüber. Fireball gefror das Blut in den Adern. Er schluckte und trat unweigerlich noch einen Schritt vor dem Mann zurück, der ihm in einer Uniform gegenüber stand. Er stammelte durcheinander: „Ich… äh seh mich um.“ Der Captain blickte abschätzend auf den jungen Mann hinab. Er war nicht groß, verdammt jung und Anstand war ihm auch ein Fremdwort. Genervt schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Brachte die Akademie nichts Anständiges mehr hervor? Der Captain deutete abwertend auf sein Gegenüber: „Was ist mit Salutieren, junger Mann? Bringen sie euch Kadetten in der Ausbildung nichts mehr bei?“ Hastig holte Fireball nach, was er vor Schrecken vergessen hatte und was er ansonsten noch nie im Oberkommando getan hatte. Er salutierte. Seine Bewegung war unsauber und drückte die Unsicherheit aus, die dem Rennfahrer gerade die Kehle abschnürte. Weshalb hatte er das nur vergessen? Er entschuldigte sich flapsig: „Nein. Ich meine ja, Sir.“ „Schon besser.“, ganz überzeugt war der Captain jedoch nicht von dem jungen Spund vor ihm. Er wusste nicht, wo er dieses asiatische Antlitz einordnen sollte. Es kam ihm vertraut vor, allerdings konnte er mit Sicherheit behaupten, den laufenden Meter noch nie gesehen zu haben, er erinnerte sich an alle Gesichter. Wie alt mochte sein Gegenüber wohl sein? Brachte er es überhaupt auf das Mindestalter für den Dienst an der Waffe? Nein, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses halbe Kind für das Oberkommando arbeitete. Noch einmal musterte er ihn von oben bis unten: „Noch ein bisschen jung fürs Oberkommando. Wie bist du hier überhaupt reingekommen, wenn man fragen darf?“ Die Skepsis stand dem Captain ins Gesicht geschrieben. Und Fireball konnte es nachvollziehen. Wie argwöhnisch er sich manchmal verhielt, wenn jemand Fremder um Ramrod herumschlich. Ja, Skepsis musste in diesem Beruf angeboren sein. Wie viele Male hatte sich Fireball seinen Vater vorgestellt, hatte ihn kennen lernen wollen? Er war seiner Mutter bis zu einem gewissen Alter ständig damit in den Ohren gelegen. Alle Kinder hatten einen Vater, weshalb er nicht? Fireball war für seine Mutter immer nur das kleine Abbild ihres Mannes gewesen. Ungläubig blinzelte er zu dem Mann in Uniform hinüber, der sein Vater war. Er stand seinem Dad gegenüber und durfte doch nichts sagen! Völlig durch den Wind deutete Fireball ungefähr in die Richtung, wo es aufs Rollfeld hinaus ging und gab wahrheitsgemäß Auskunft: „Durchs Tor.“ Das Verhalten des jungen Mannes stellte Captain Hikari nicht zufrieden. Diese patzige Antwort gefiel ihm nicht sonderlich. Und dennoch. Etwas hatte der Japaner an sich, was das Interesse des Captains immer mehr weckte. Auch er deutete nach draußen auf das Rollfeld und stellte überzeugt klar: „Klar. Reingeflogen wirst du ja kaum sein.“, nie im Leben konnte der Knirps da vor ihm einen Jet fliegen. Hätten sie also geklärt, wie Fireball in den Hangar gekommen war, aber das Wieso interessierte den Captain ebenso: „Und was suchst du hier?“ Fireball schwitzte mittlerweile Blut und Wasser. Er hatte Sabers Worte im Hinterkopf, die da ganz klar den Befehl unterstrichen, nichts in der Vergangenheit zu ändern. De facto hieß das auch, dass er nicht die Wahrheit sagen konnte. Fireball ließ seinen Blick kurz durch die Halle schweifen, mit dem Captain waren auch etliche Piloten hier eingetrudelt, und stotterte dann: „Naja, ich… hab was gesucht.“ „Was du nicht sagst.“, der Captain hasste flapsige Antworten. Er konnte sie von seinen Piloten nicht ausstehen, von Freunden im Prinzip ebenso wenig und überhaupt nicht konnte er es leiden, wenn ihm jemand Fremder solche nichts sagenden Worte entgegen spuckte. Er hatte den jungen Mann mittlerweile drei Mal gefragt, was er im Hangar machte, bisher hatte er keine aufschlussreiche Antwort darauf erhalten und das machte den Captain noch wütender. Er packte den Eindringling an der Schulter und schob ihn in eine ruhige Ecke des Hangars. Es war nicht Shinjis Art jemanden vor versammelter Mannschaft zusammenzustauchen. Drohend zischte er Fireball zwischen zwei Jets schließlich an: „Ich warte immer noch auf eine akkurate Antwort. Deine letzte Chance, bevor ich dich zum Rapport schicke.“ Warum konnte ihn nicht einmal die Erde verschlucken, wenn er es bitter nötig hatte? Fireball traute sich kaum, seinem Vater ins Gesicht zu schauen. Alles kam ihm unwirklich und – wenn er ganz ehrlich war – unglaublich vor. Allerdings war die Tatsache, in der Vergangenheit festzusitzen, an sich schon schräg genug, jetzt auch noch vor seinem Vater zu stehen, der ihn mit Sicherheit zur Schnecke machen würde, wenn er nicht bald einen vernünftigen Satz bilden konnte, fiel da auch nicht mehr groß ins Gewicht. Aber es war das, was sich Fireball als Kind immer gewünscht hatte. Er hatte seinen Vater kennen lernen wollen, nichts anderes als das. Mit zitternden Knien stand er hier, vor Captain Shinji Hikari. Fireball saß ein so dicker Kloß im Hals, dass er kaum im Stande war, eine Antwort zu finden. Herrje, er war doch so mies im Lügen, wie sollte er seinem Vater da bloß in die Augen sehen und ihn anschwindeln? Es half nichts. Die Wahrheit war sowieso nicht drin, deshalb kniff der kleine Japaner die Augen zusammen und flunkerte: „Die Spinde… Ich bin neu hier und naja… so wie’s aussieht, bin ich hier wohl falsch.“ Captain Hikari stemmte die Arme in die Hüften und blickte skeptisch auf Fireball hinab: „Soso, deinen Spind also.“, ganz klar war das gelogen, das sah man dem jungen Hüpfer schon an der Nasenspitze an, aber vorerst ließ er es so stehen. Mal sehen, wer das Pech hatte, diesen Spund in sein Team bekommen zu haben. Shinji öffnete scheinbar freundlich die Arme und holte Informationen ein: „Nenn mir deinen Namen, deinen Dienstgrad und die Einheit, in der du stationiert bist und dann kann ich dir sagen, wie falsch du hier wirklich bist, Söhnchen.“ Spätestens jetzt wäre Fireball am liebsten tot umgefallen. Da war der Vater ja wie der Sohn! Colt hätte sich dabei sicherlich köstlich amüsiert. Der Captain traf unabsichtlich offenbar genauso zielsicher ins Schwarze, wie es Fireball für gewöhnlich tat. Ahnungslos sprach auch der junge Pilot Vermutungen aus, die sich bewahrheiteten. Wieder stand Fireball mit dem Rücken zur Wand, ohne Fluchtmöglichkeit. Wieso war er nur in den Hangar gegangen? Wäre er mit Colt mit, dann hätte er jetzt zumindest eine warme Mahlzeit und nicht einen heiß glühenden Kopf. Fireball hatte nicht damit gerechnet, seinen Vater zu treffen, trotzdem war er instinktiv im Hangar gelandet. Unbehaglich schluckte Ramrods Pilot und presste eine Antwort hervor: „Shin…“, er riss die Augen auf und riss das Ruder noch mal herum: „ichi Hi… Hikaro. Gefreiter. Ich bin bei der…“ Jetzt hatte das mit dem Namen doch irgendwie hingehauen und nun scheiterte es an der Einheit. Zu allem Unglück kannte der Rennfahrer nämlich nur eine Einheit von damals. Die, in der sein Vater geflogen war: „Flugstaffel der Air Strike Base 1.“ Ein Schmunzeln huschte über Captain Hikaris Lippen, als er verstehend nickte: „Ein Landsmann also.“, es kam selten bis gar nicht vor, dass sich ein waschechter Japaner nach Yuma verirrte. Das freundliche Schmunzeln hielt allerdings nur für die wenigen Worte an. Sofort verschwand es wieder und die argwöhnischen Blicke suchten Fireball nach Fehlern ab. Der Captain hatte keine Idee, wie so ein schmächtiger, aber ungehobelter Junge in die beste Einheit des Oberkommandos gerutscht war. Da musste General Whitehawk in den Akten irgendwas verdreht haben, anders konnte sich Shinji diese Gegebenheit nicht erklären. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Im Moment konnte er an der Situation nicht viel ändern und musste es als gegeben hinnehmen. Deshalb drehte sich Captain Hikari leicht zum Eingang hin und deutete in eine Richtung: „Wie sie dich in die Kampfjeteinheit gelassen haben, ist mir zwar ein Rätsel, aber so falsch wie angenommen, bist du hier nicht. Die Spinde sind draußen gleich links.“ Mahnend blickte er Fireball wieder an: „Eins kannst du dir gleich hinter die Löffel schreiben, wenn du hier länger überleben willst. Hier weht ein anderer Wind, benimm dich angemessen, sonst dauert’s keine zehn Minuten, bis ich dich zum ersten Rapport schicke.“ Oh, der erste Eindruck war wohl ordentlich negativ behaftet, wie Fireball feststellte. Sein Vater konnte ihn nicht leiden. Sein erstes Zusammentreffen hatte sich der Rennfahrer anders vorgestellt. Wie er nun einmal mehr gelernt hatte, war das Leben kein Wunschkonzert. Fireball nickte und wandte sich zum Gehen. Der Anschiss hatte ihm fürs erste gereicht. Allerdings, und das war in der Vergangenheit wie in der Zukunft das selbe, sein loses Mundwerk konnte er nur schlecht im Zaum halten. Deswegen bekam der Captain noch zu hören: „Ja. Jeder wie er’s verdient, Sir.“ „Hikaro!“, die Stimme von Captain Hikari grollte durch den Hangar. Er war von dem aufmüpfigen Jungen empört. Noch einmal verwarnte er ihn: „Noch so’n Spruch und du kassierst ihn sofort.“ Instinktiv hatte Fireball bei dem Anpfiff die Schultern nach oben gezogen. Das laute Organ war sagenhaft. Fireball wunderte sich, wie seine Mutter so an Captain Hikari hatte hängen können, andererseits wurde ihm nun endlich klar, woher er das hitzköpfige hatte. Noch einmal fuhr er herum und versuchte sich, ein bisschen eingeschüchtert von den Blicken seines Vaters, zu erklären: „Sir. Ich meinte meine Einheit.“ Es kam von der Akademie wirklich nichts Anständiges mehr nach. Die Jugend von heute wurde immer schlimmer und um Antworten waren die nie verlegen. Wieder schüttelte Shinji ungläubig den Kopf. Eines wusste er, wenn Ai und er einmal das Glück haben sollten und das Schicksal ihnen ein Kind schenkte, so einen Rotzlöffel würde er nicht aufziehen. Sein Kind würde wissen, wie man sich zu benehmen hatte. Shinji wiegte leicht den Kopf, ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. Momentan war es ruhig im Oberkommando, der Feierabend war bereits eingeläutet worden. Konnte der kleine Störenfried wenigstens so gut fliegen, wie er Antworten parat hatte? Shinji wollte nicht auf die nächsten Aufklärungsflüge warten, er konnte den Spund auch gleich testen. Er schickte Fireball hinaus: „Sieh zu, dass du dich umziehst und dann stell mal unter Beweis, dass du hierher gehörst. Mit anderen Worten: Schwing dich in den Himmel. Ich will sehen, was du kannst, Kleiner.“ Fireball nickte kurz und verschwand um sich umzuziehen. Er konnte den Captain jetzt nicht einfach stehen lassen und nie wieder hier auftauchen. Seine Freunde und er würden die Hilfe des Oberkommandos bestimmt brauchen, wenn sie irgendwann wieder in ihre Zeit zurückkehren wollten. Ein wenig Bammel hatte Fireball schon vor der Feuertaufe seines Vaters. Er war noch nie in einem kleinen Jet gesessen. Aber er konnte Ramrod durch jedes Nadelöhr zwängen, dann würde er wohl mit einem solch kleinen Schiff alles können. Die Hoffnung starb bekanntlich zu letzt und Fireball übte sich in positiv denken. Captain Hikari erwartete seinen Neuzugang bei den Jets. Kühl und überzeugt davon, dass er das Fliegengewicht in nicht mal zwei Minuten vom Himmel holen konnte, drückte er Fireball einen Helm in die Hand und hielt ihn an: „Jetzt rein in die gute Stube und rauf in die Wolken.“ Fireball vertraute blind auf die Technik in seiner Zeit, vor allem in Aprils und sein Können, Ramrod fit zu halten, in der Zeit seines Vaters hielt er es dagegen eher mit der Mutter der Porzellankiste. Nämlich mit der Vorsicht. Zögernd nahm er seinem Vorgesetzten den Helm ab und schlich eine kleine Runde um den Jet. Zuerst wollte er sich mit dem Ding vor ihm vertraut machen, nicht, dass er es später bereute, ohne Besichtigung mit einem so antiquierten Jet geflogen zu sein. Als hätte er es geahnt! Kopfschüttelnd verneinte Fireball nach seiner Runde: „Nein, Sir. Mit dem Vogel haut das nicht hin. Der hat eine Macke.“ „Du hast auch gleich eine, wenn du deinen Hintern da nicht gleich reinschwingst!“, ungehalten deutete der Captain auf das Cockpit. War ihm der Jet zu wenig gepolstert oder gefiel dem verwöhnten Jungchen etwa die Tarnfarbe nicht?! Captain Hikari verzweifelte noch und das, wo der Neuzugang noch keine Stunde unter seinem Kommando stand. Das konnte ja heiter werden. „Nein, Sir.“, das hatte Fireball mit fester Stimme hervorgebracht. Im ersten Moment klang es wie Befehlsverweigerung, aber das hatte einen guten Grund. Er ging mit dem Captain zur rechten Tragfläche und deutete darauf: „Ich hänge an meinem Leben. Damit häng ich nachher in der Luft, als würd ich einen Güterzug fliegen wollen. Und vom Landen will ich gar nicht reden.“ Erstaunt beugte sich Captain Hikari zur Tragfläche hinunter und nahm den Makel in Augenschein. War da doch glatt ein Riss am Flügel! Er gab trocken zu: „Der sollte eigentlich in der Werkstatt stehen.“, im nächsten Augenblick bedachte er die Mechaniker mit nicht allzu freundlichen Worten: „Die glauben auch alle, wir sind von Haus aus lebensmüde…“ Shinji klopfte im Vorbeigehen auf die Schnauze des Jets und lotste den Anwärter zur nächsten Maschine. Dieses Mal unterzog er sie gleich einer genaueren Betrachtung. Als er keine Mängel feststellen konnte, öffnete er ein weiteres Mal die Arme und wies den jungen Piloten den Weg ins Cockpit: „Die ist hoffentlich genehm.“ Fireball zuckte mit den Schultern und stieg ein: „Zwangsläufig.“ Er kam nicht um das kleine Gefecht herum. Der Rennfahrer wusste zwar, dass er einer der besten Piloten im Neuen Grenzland war, aber die Anspannung ließ sich dennoch nicht vermeiden. Er musste sein Können unter Beweis stellen, und das auch noch unter den kritischen Augen seines Vaters. Fireball hatte viel aus Erzählungen von seinem Vater gehört, im ganzen Oberkommando war er als scharfer Hund bekannt. Er hatte niemanden etwas geschenkt, egal wie gut derjenige gewesen sein mochte. Das war vielleicht die schwierigste Prüfung in seinem Leben, wie es Fireball durch den Kopf schoss. Er wollte vor seinem Vater nicht versagen, das durfte er nicht. Vater und Sohn erhoben sich in die Lüfte und begannen ihren Einweihungsflug. Während Captain Hikari immer noch davon überzeugt war, den frechen Rotzlöffel sofort vom Himmel holen zu können und ihm eine Lektion zu erteilen, atmete Fireball immer wieder tief durch. Er war sich zwar sicher, mit dem Jet annähernd solche Kunststücke hinzubringen, wie es Mandarin in ihrer Zeit machte, aber mit seinem Vater im Nacken behagte ihm das ganz und gar nicht. Kaum hatten sie die Mindesthöhe, von der Fireball noch nie was gehört hatte, erreicht, bestätigte Captain Hikari über Funk, dass die Übung somit offiziell gestartet wurde. Sofort heftete sich der Captain an Fireballs Fersen, verkniff es sich aber, sofort auf ihn zu schießen. Ein bisschen Katz und Maus wollte er vorher schon noch mit ihm spielen, als Strafe für das unangebrachte Verhalten vorhin im Hangar. Immer noch ging er davon aus, Fireball mit dem ersten Schuss auch gleich zu erwischen. Der Ehrgeiz war dem jungen Hikari ebenso gewiss, wie dem alten. Seine schnelle Auffassungsgabe half ihm, sich sehr schnell an den Flugstil seines Vaters anzupassen und auf Schwachstellen auszuloten. Leider war da keine einzige zu finden. Dafür versuchte Shinji ihn in Fehler zu hetzen und zu treiben. Als der Captain den ersten Schuss abgab, drehte Fireball nach oben ab und setzte sich in einem Looping hinter ihn. Eine ganze Weile ging dieser Schlagabtausch zwischen den beiden Asiaten hin und her und er zog eine Menge Schaulustiger auf dem Boden an. Darunter auch die drei zukünftigen Star Sheriffs. Colt war aus der Kantine gelaufen gekommen, als er von einem Soldaten gehört hatte, dass Hikari gerade einem Frischling das Fürchten lehrte. Er traf dabei prompt auf April und Saber, die ihre Köpfe bereits in die Wolken gereckt hielten. Auch sie hatten gehört, dass Captain Hikari einem Neuen die Gepflogenheiten des Oberkommandos eintrichtern wollte. Als Saber seinen Scharfschützen neben sich bemerkte, senkte er den Blick auf ihn und erklärte unbeeindruckt: „Fireball.“ Das hatte sich Colt schon fast gedacht. Es wunderte ihn nicht weiter, ebenso wenig, wie April oder Saber. Die beiden hatten das ebenfalls ungerührt zur Kenntnis genommen. Die beiden Männer zuckten die Schultern und blickten wieder hinauf zu diesem ungewöhnlichen Treiben. Sie waren nicht die einzigen, die im Freien standen und bewundernd den Kopf reckten. Bestimmt das halbe Personal stand dort und zerriss sich den Mund. Anscheinend war das eine Art Aufnahmeprüfung für die neuen Piloten, die unter Captain Hikaris Kommando standen, und offensichtlich schien Fireball der erste zu sein, der ihm in der Luft die Stirn so lange bieten konnte. Captain Hikari hatte es im Verlauf einer halben Stunde nicht ein einziges Mal geschafft, Fireball zu treffen, aber ebenso wenig war es Ramrods Piloten gelungen. Die Besatzung des Towers beendete ihr ausgeglichenes Match schließlich, als sie die beiden aufforderten, dem Treiben ein Ende zu setzen und unverzüglich zu landen. Im Hangar, wo beide ihre Jets parkten, kam der Captain mit dem Helm unterm Arm auf Fireball zu und schmunzelte leicht: „Wow, du hättest mich beinahe so weit gehabt, dass ich mich anstrengen musste. Das war gar nicht mal so übel.“, entweder hatte sich der kleingeratene Pilot mit seinem Aussehen so jugendlich gehalten, oder aber er hatte für sein Alter und sein Können schon entsprechend Kampferfahrung. Deshalb fragte er leicht: „Wie viele Male warst du schon im Manöver?“ Fireball setzte den Helm ab und hielt ihn in beiden Händen, während er seinen Vater mit traurigen Augen musterte. Hier herrschte Frieden. Anders bei ihm zuhause. Überall im Neuen Grenzland herrschte Krieg, hielten die Outrider die Siedler davon ab, ein ruhiges Leben zu führen, trennten Familien und kannten keine Gnade. Von alle dem hatte Fireball schon oft und viel gesehen, sein Einsatz wurde nicht immer belohnt, denn manchmal kam er mit seinen Freunden zu spät. Fireball krallte die Finger in den Helm und presste hervor: „In zu vielen.“ Der Captain revidierte seinen ersten Eindruck von Fireball. Hatte er vor diesem Flug noch gedacht, der Junge war bloß ungehobelt und frech, so war er nun beeindruckt von ihm. Der laufende Meter war ein besonders guter Pilot, dieses Talent hatte er noch nie zuvor erlebt. Allerdings erkannte Shinji noch etwas anderes an Fireball. Die Worte und der Blick verrieten dem Captain, dass er niemanden mit einem klassischen Werdegang vor sich hatte. Deshalb nickte er verstehend: „Bist wohl durch die harte Schule des Lebens gegangen.“, er stand dem jungen Mann etwas zwiespältig gegenüber. Hikari mochte ihn, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass mit dem Neuzugang etwas nicht stimmte. Er versuchte, ihm zumindest noch einmal einen Tipp in Sachen Hierarchie mitzugeben: „Die Manöver werden noch mehr. Vorausgesetzt, du wirst nicht schon beim nächsten Einsatz als Kanonenfutter vorgeschickt. Arbeite an deinem Ausdruck und vor allem an deinem Respekt, Shinichi, wenn du hier alt werden willst.“ „Tja“, Fireball ließ die Schultern hängen und senkte den Blick von Shinjis Gesicht auf seine Füße. Wieder hatte der Papa einen sauberen Treffer versenkt. Seine Stimme klang traurig: „ich fürchte, als Kanonenfutter werden wir alle noch enden.“ Aufmerksam beobachtete Shinji den Jungen vor sich. Was nur ließ den Rotzlöffel daran, was er gesagt hatte, nicht zweifeln? Der Captain merkte, dass er mit der harten Schule des Lebens nicht weit daneben gelegen haben konnte. Das machte ihn selbst etwas traurig, rief gleichzeitig aber tiefe Bewunderung in ihm hervor. Der Neue schien seinen Weg zu gehen, auch wenn es das Leben nicht allzu gut mit ihm gemeint haben dürfte. Anerkennend nickte er: „Ich kenne kaum ein Milchbubi in deinem Alter, das das macht und kann, was du tust.“ „Papa.“, leise und traurig war Fireball das über die Lippen gerutscht. Als er es bemerkte, verbesserte er sich erschrocken und mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er entkräftete Captain Hikaris Worte somit: „Papperlapapp.“ Skeptisch zog Shinji eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte hinter diesem Jungen keine klare Linie erkennen, Fireball war verworren und undurchschaubar. Und in all seiner Traurigkeit, die immer wieder in seinen Worten durchgeschienen war, immer noch kühl und unnahbar. Ohne Verhör und Androhung einer Folter würde man von ihm gar nichts Persönliches erfahren. Shinji fühlte sich in diesem Augenblick, als würde er in sein jüngeres Ich sehen. Deswegen schüttelte er ungläubig den Kopf und erklärte: „Bei dir hab ich ein ganz seltsames Gefühl, Kleiner.“ Fireballs Augen wanderten wieder zu seinem Gesprächspartner. Au weia, Misstrauen hatte er wohl noch nie so schnell gesät, wie gerade eben. Er setzte ein unschuldiges Gesicht auf: „Warum?“ „Ich weiß auch nicht.“, kam die ehrliche Antwort von Captain Hikari. Er zuckte mit den Achseln und stellte den Helm auf der Tragfläche des Jets ab. Noch einmal musterte er Fireball eingehend. Vielleicht irrte er sich ja doch? Aber wieder ließ sich das Gefühl nicht umstimmen, weshalb er es Fireball doch erklärte: „Du erinnerst mich irgendwie an…“, noch einmal blickte er ihm in die Augen. Als ob er in einen Spiegel schauen würde. Deshalb beendete Shinji den Satz, wie ursprünglich geplant: „mich.“ Fireballs Augenbraue zuckte leicht nach oben. Flog sein Schwindel etwa jetzt schon auf? Er versuchte, unbeeindruckt zu klingen, als er nachfragte: „In wie fern?“ Der Captain konnte es nicht beschreiben, weshalb er nun vorzog, ein anderes Thema auf den Tisch zu bringen. Er schmunzelte leicht und schüttelte amüsiert den Kopf: „Und schon wieder kein Sir. Ich befürchte stark, dass dir das hier noch eine Menge Ärger einbrocken wird. Aufmüpfig und stur, so kommst du mir vor.“, er fügte noch verständnisvoller hinzu: „Das war ich in deinem Alter auch.“ Damit war für Fireball der Fall erledigt. Er wandte sich etwas ab und machte einige Schritte an seinem Vater vorbei. Währenddessen murmelte er neckisch: „Dann hab ich ja noch Hoffnung, Sir.“ Shinji lachte hell auf. Mit dem Jungen konnte man auch Spaß haben: „Was? Dass es noch besser wird, oder dass du meinen Rang bekommst?“ Schmunzelnd drehte sich Fireball wieder zu seinem Vater um. Der Humor musste in der Familie liegen. Er zwinkerte schelmisch: „Sir. Beides.“ Captain Hikaris Lachen hallte durch den gesamten Hangar. Es war herzlich und ansteckend. Seine Augen blitzten schelmisch zu Fireball hinüber. Was hatte er sich da eingehandelt? Die Mischung gefiel ihm irgendwie, das versprach in absehbarer Zeit noch lustig mit dem Neuen zu werden, der hatte Humor und traute sich den Mund aufzumachen. Er lachte überdreht: „Ersteres? Vergiss es, Shinichi, das bleibt so. Und meinen Rang? Nur über meine Leiche, Jungchen.“ Auch Fireball musste breit grinsen. Da konnte er doch glatt noch einen drauf setzen. Unschuldig zuckte er mit den Schultern: „Ach, ich hab Zeit, Sir.“ „Du hast verdammtes Glück, dass ich dich mag, sonst hätt ich dich für den Spruch zum Rapport zu Major Eagle geschickt. So bekommst du von mir noch mal eins aufs Dach.“, Captain Hikari verpasste Fireball einen leichten, tadelnden Schlag auf den Hinterkopf. Er lachte immer noch, hoffte aber, dass die ernste Botschaft bei seinem neuen Piloten angekommen war: „Wenn nur Blödsinn rauskommt, ist besser, du hältst deinen vorlauten Mund, Shinichi. Das erspart dir viele Rapporte und Strafstunden.“ Lachend duckte sich Fireball etwas vor der Hand weg. Keck korrigierte er seine letzte Aussage: „Ich meinte natürlich, um mir Ihren Rang zu erarbeiten, Sir.“ Mit jeder Minute schloss Captain Hikari den Jungen mehr in sein Herz. Er mochte den frechen Zwerg auf eine Art und Weise. Shinji glaubte sogar, Fireball schon lange zu kennen. Auch er lachte noch einmal auf: „Dann wünsch ich dir viel Spaß. Solche Witzbolde wie dich zu befehligen, ist kein Zuckerschlecken.“ Und auch darauf hatte Fireball eine Antwort parat. Er zuckte mit den Schultern und erklärte undiplomatisch: „Sie haben sich den Job ausgesucht, Sir.“ „Du redest dich noch mal um Kopf und Kragen, Junge, Junge.“, kopfschüttelnd und immer noch erstaunt darüber, dass Respekt vor einem Vorgesetzten offenbar ein Fremdwort war, zog Shinji die Augenbrauen zusammen. Der kleine Wirbelwind würde ordentlich was im Oberkommando durcheinander bringen, so viel stand fest. Kurzerhand entschloss sich der befehlshabende Offizier, dem Neuling den Start im Oberkommando zu erleichtern. Nachdem er frisch von der Akademie kam und sicherlich noch keine Bekannten hier in Yuma hatte, würde er Shinichi an diesem Abend zu sich nachhause einladen. Ai freute sich bestimmt, wieder einmal einen Landsmann bekochen zu dürfen. Ohne Umschweife nannte er Fireball Ort und Uhrzeit, wo er den Hitzkopf auflesen würde und verabschiedete sich vorläufig aus dem Hangar. Wie zuvor von Captain Hikari beschlossen, wurde Fireball am Eingang des Oberkommandos abgeholt. Ramrods Pilot hatte seinen Freunden nicht gesagt, was er noch vor hatte, weil er sie in der Eile nicht hatte finden können. Das Gelände des Oberkommandos war auch hier riesig und unüberschaubar für einen einzelnen. Er trat mit gemischten Gefühlen hinter seinem Vater in die Wohnung. Aufmerksam sah er sich im Vorraum um. Überall duftete es bereits nach Ramen, dem Lieblingsgericht seiner Mutter. Auch Fireballs Vater war der Geruch sofort in die Nase gestiegen. Während er sich die Schuhe auszog, schwärmte er: „Ah… Ramen! Ich liebe es. Meine Frau macht das beste Ramen im Neuen Grenzland, Shinichi.“ Wenn man vom Teufel sprach. Fireballs Mutter kam eben aus der Küche, sie hatte die Tür gehört und wollte den Besuch empfangen. Sie hatte Shinjis Bekundungen noch gehört und streckte Fireball die Hand entgegen: „Das ist auch keine Kunst, das beste Ramen im Neuen Grenzland zu machen, wenn es sonst keine Japaner hier gibt.“, sie lächelte ihrem Gast freundlich entgegen: „Hallo. Kommen Sie doch endlich rein und fühlen Sie sich ganz wie zuhause.“ Unsicher griff Fireball zuerst nach der Hand seiner Mutter, entschied sich aber noch rechtzeitig dagegen, da hätte sie bloß gemerkt, wie nervös er war. Höflich und tief verbeugte er sich vor seiner Mutter und bedankte sich für die Einladung. Ai verneigte sich ebenfalls kurz und widmete sich dann ihrem Mann. Sie tadelte ihn leicht: „Und das nächste Mal, wenn du sagst, du kommst um Punkt, sei auch pünktlich, mein Schatz.“ Sie neckte ihn gerne, meinte es aber niemals ernst. Zärtlich gab sie ihrem Mann einen Kuss und verschwand dann wieder in der Küche, um das Essen fertig zu machen. Fireball hatte diese kleine Szene aufmerksam beobachtet. Es war ungewohnt, seine Mutter so zu erleben. Sie schien glücklich, gelöst und frei zu sein. Zuhause war sie immer nur streng gewesen. Und sie hatte so selten gelächelt. All das schien mit seinem Vater für immer gegangen zu sein. Der Rennfahrer erkannte seine Mutter beinahe nicht wieder. Völlig überfahren blickte er zwischen den Turteltauben hin und her. Es fühlte sich seltsam an, bei seinen Eltern im Vorraum zu stehen. Captain Hikari hatte seiner Frau noch einen leichten Klaps auf den Hintern gegeben, bevor sie wieder in der Küche verschwunden war. Und nun musterte er seinen Neuzugang. Weshalb war dessen Blick plötzlich nachdenklich und auch traurig geworden? Wie angewurzelt stand er im Vorraum, konnte seine Augen nicht loseisen. Was nur beschäftigte den jungen Spund so? Der Captain stupste seinen Gast an und grinste auffordernd: „Na? Noch nie eine liebende Ehefrau gesehen, Junge?“ Fireball schloss einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. Er murmelte: „Entschuldigung, Sir.“ Shinji erkannte, dass er einen riesigen Fettnapf erwischt haben musste. Schlagartig kam ihm in den Sinn, dass Fireball in keiner glücklichen Familie aufgewachsen war. Das tat ihm leid für den Jungen. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, bat er ihn ins Esszimmer und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte, deswegen stellte der Captain allerhand Fragen. Als Fireball sich an seinen Platz gesetzt hatte, nahm auch Shinji Platz und faltete die Hände, die Ellbogen stützte er auf der Tischplatte auf. Noch einmal musterte er Fireball. Das Ergebnis blieb das selbe, wie wenige Stunden zuvor im Hangar. Shinji konnte es nicht erklären und wenn er es seiner Frau erzählen würde, sie würde ihn für verrückt erklären, doch der Pilot wurde das Gefühl nicht los, den jungen Mann irgendwoher zu kennen. Er sah ihm direkt in die Augen und fragte: „Du kommst aus Japan, oder?“ „Aus Tokio, Sir.“, die Stadt war groß, dort lebten Abermillionen Menschen und es war ausnahmsweise nicht gelogen. Fireball war in der japanischen Hauptstadt geboren worden, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er konnte seinem Vater deshalb ohne schlechtes Gewissen ins Gesicht dabei schauen. „Was für ein Zufall! Ich stamme ursprünglich auch aus Tokio.“, Shinji freute sich. Ihm gegenüber saß nicht nur ein Landsmann sondern quasi auch ein Nachbar. Sie hatten mehr gemeinsam, als er auf den ersten Blick gedacht hatte. Der Pilot knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf und krempelte seine Ärmel um. Wenn Ai kochte, war es in der gesamten Wohnung warm. Er wollte wissen: „Wie kommst du zum Oberkommando? Ich meine, es verirren sich äußerst selten Japaner an derart entfernte Orte.“ Fireball schob die Augenbrauen einen Moment nach oben. Die Wahrheit wäre zwar in der Regel immer eine witzige, wie auch interessante Geschichte gewesen, aber angesichts dessen, dass es erst in zwanzig Jahren passieren würde, doch nicht so klug zu erwähnen. Der Rennfahrer schob die Hände zwischen seine Backen und die Sitzfläche und lugte auf den Tisch, als er kurz umriss: „Es war mehr Zufall als Plan, Captain. Ich hab meine Ausbildung in Japan gemacht und…“ Der Captain ließ ihn nicht ausreden. Ungeduldig und neugierig unterbrach er ihn: „Das Oberkommando hat Ausbildungsstätten in Japan? Davon wusste ich noch gar nichts. Da muss ich mit General Whitehawk mal drüber reden.“ Fireball sah seinen Vater verdattert an. Das hatte er doch mit keinem Wort erwähnt und außerdem gab es zwischen der Erde und dem Neuen Grenzland keine derartige Kooperation, auch nicht in seiner Zeit. Deswegen berichtigte er seine Worte dahingehend: „Nein, nein. Die Grundausbildung hab ich in Kobe gemacht, Sir. Beim japanischen Militär. Zum Oberkommando bin ich erst später gekommen.“ Dass er weder eine Ausbildung beim japanischen Militär noch im Oberkommando gemacht hatte, musste man ja nicht so direkt sagen. Fireball sah leicht lächelnd zu seinem Vater hinüber, der sich dessen Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Oh, warum nur hatte er zugesagt, mit ihnen zu Abend zu essen? Wäre er vernünftig gewesen, hätte er die Einladung dankend ausgeschlagen und wäre mit seinen Freunden zu Ramrod zurückgegangen. Aber nein! Er war die Unvernunft in Person und musste unbedingt sehen, wie seine Eltern zusammen gelebt hatten. Es war die pure Neugierde gewesen, die Fireball hatte vergessen lassen, wie gefährlich sein Ausflug werden konnte. Captain Hikari nickte leicht. Der Grünschnabel hatte interessante Geschichten auf Lager. In Kobe war er also gewesen. Und nun im Oberkommando. Der laufende Meter musste früh angefangen haben, um diese Position zu erreichen. Oder aber er hatte sein Talent überall so überzeugend eingesetzt, wie an diesem Nachmittag. Captain Hikari war immer noch begeistert von den Manövern, die sein Gegner da am Himmel gezaubert hatte. Er hatte seine Maschine verdammt gut unter Kontrolle, das musste man Fireball neidlos anerkennen. Immer noch wollte Shinji mehr über seinen Neuzugang erfahren. Deshalb fragte er weiter: „Und gefällt’s dir hier in Yuma?“ Fireball zuckte mit den Schultern: „Ich hab noch nicht Weiß Gott was von der Stadt gesehen.“ Auch dieses Mal hatte er nicht gelogen. Yuma sah hier mit Sicherheit nicht so aus, wie in seiner Zeit. Gerade Städte veränderten sich im rasanten Tempo, die konnten nach einem Jahr schon ganz anders aussehen. In diesem Moment trat Ai mit der Reisschüssel ins Zimmer. Sie warf ihrem Gast einen fröhlichen Blick zu und blieb an dessen Augen hängen. Erstaunt blieb sie stehen. Diese braunen Augen. Die kannte sie. Ai blinzelte in das Gesicht ihres Mannes und überprüfte ihre Ahnung. Tatsache. Die selben Augen! Alle beide. Wie war das möglich? Ai schüttelte die Verwirrung ab, sie musste sich geirrt haben und stellte die Reisschüssel auf den Tisch. Sie schob sie zu ihrem Gast hinüber: „Bitte, bedien dich.“, ihren Mann bedachte sie danach mit einem kecken Lächeln: „Und du, mein Lieber, hör auf den armen Jungen zu verhören. Wir haben ihn zum Essen eingeladen und nicht zum Frage-Antwort-Spiel.“ Shinji schlang einen Arm um seine Frau und zog sie stürmisch zu sich heran. Ai lachte fröhlich auf und der Captain erklärte: „Meine bessere Hälfte muss mich manchmal bremsen.“ Ai drückte ihrem Mann einen Kuss auf den Scheitel und befreite sich aus seiner Umarmung, immerhin würde sich der Reis alleine schlecht essen lassen. Fireballs gemurmeltes „Arrigato.“ hörte sie nur noch halb. Fireball biss sich auf die Lippen und kniff die Augen zusammen. Es machte ihn unendlich traurig, seine Mutter in seiner Zeit niemals so zu erleben. Sie war ein ganz anderer Mensch, an der Seite seines Vaters. Klar, sie kochte immer noch gerne, aber sie war nicht so ausgelassen und fröhlich. Er hatte nur einen Blick gebraucht um zu wissen, wie sehr sich die beiden liebten. Ai und Shinji schenkten sich fortwährend Zärtlichkeiten, bei jeder Gelegenheit und egal, ob jemand dabei anwesend war oder nicht. Wieder fiel Shinji die Bedrückung auf. Langsam aber sicher bekam der Captain eine Idee davon, was in Fireballs Lebenslauf nicht so alltäglich gewesen war. Es konnte nur um die Familie gehen. Unschlüssig verzog er den Mund. Sollte er fragen? Einerseits war Shinji klar, dass es sich nicht gehörte, aber andererseits hatte er das Gefühl, dem Jungen würde es in der Seele wehtun. Er hätte Ai keine Minute mehr ohne schlechtes Gewissen in den Arm nehmen können, wenn ihr Gast jedes Mal aus irgendeinem Grund traurig dabei wurde. Er schielte in die Küche hinein und beugte sich zu Fireball über den Tisch: „Und jetzt mal Hand aufs Herz, Kleiner. Was stimmt mit dir nicht?“ „Was?“, unbeholfen schob Fireball seinen Stuhl ein Stück zurück. Kuhaugen wären noch klein im Vergleich zu seinen gerade eben gewesen. Die Überraschung stand Fireball ins Gesicht geschrieben, genauso wie der Schrecken. Dem quirligen Japaner würde es gleich die Sprache verschlagen, soviel stand fest. „Nana.“, Shinjis Hand fuhr zu Fireball hinüber und strich ihm beruhigend über die Schulter. Da hatte er ein extrem heißes Eisen angefasst, wie er schnell gemerkt hatte. Also das war der wunde Punkt seines neuen Piloten. Es war nicht seine Absicht gewesen, aber nun war es zu spät. Captain Hikari versicherte: „Keine Angst, Junge. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Der ältere Japaner schenkte Fireball einen entschuldigenden Blick und nickte leicht. Bei gewissen Themen war der junge Japaner schreckhaft. Es schien ihm unangenehm zu sein, ihm aber dennoch in der Seele weh zu tun. Deshalb rückte Shinji seinen Stuhl zurück und zog seine Hand zurück. Jetzt wollte er erst recht wissen, was ihn bedrückte. Shinji stand langsam auf und legte seine Gedanken offen: „Weißt du, mir ist aufgefallen, dass du jedes Mal seltsam ruhig wirst, wenn meine Frau hier ist. Ich hoffe doch, dass es nichts mit ihr zu tun hat.“ Hastig schüttelte Fireball den Kopf: „Nein. Ganz sicher nicht. Ihre Frau ist sehr nett, Captain.“ Shinji nickte. Davon war er auch nicht ausgegangen. Viel mehr hatte es etwas mit der Art zu tun, wie er und Ai sich gegenseitig behandelten. Dumm war der Captain schließlich nicht. Dieses Mal hakte er direkter nach, Ai würde sicherlich gleich mit dem Essen im Zimmer stehen und bis dahin wollte er wissen, weshalb sein Gast so ungewohnt auf vertraute Umgangsformen reagierte: „Der Umgang bei dir zuhause war wohl anders als bei uns. Sei mir nicht böse, Shinichi, aber du wirkst, als hättest du so etwas nie kennen gelernt.“ ‚Wie denn auch? Du warst ja nicht bei Ai und mir!‘, Fireball biss sich auf die Lippen und wandte die Augen von seinem Vater ab. Zum ersten Mal überhaupt war er sauer auf seinen Vater. Er hatte nie gewusst, welches Loch er in Ais Leben gerissen hatte. Fireball hatte seine Mutter nie anders gekannt, sie war immer eine selbständige, unabhängige Frau gewesen, die ihren unruhigen Sohn alleine erzogen hatte. Sie hatte keinem Mann außer seinem Vater jemals Zärtlichkeiten geschenkt, hatte keinen Mann außer Captain Hikari haben wollen. Dafür aber hatte sie in Fireball die Wiedergeburt ihres Mannes gesehen. Fireball murmelte bedrückt, während er seine Hände in den Schoß legte und die Augen darauf senkte: „Ich…“ „Um Himmels Willen, was machst du denn mit dem armen Jungen, Shinji?“, Ai stand mit der Pfanne im Esszimmer und funkelte ihren Mann an. Sie stellte das Essen ab und schob ihren Mann auf seinen Stuhl zurück. Danach setzte sie sich ebenfalls und tadelte ihren Mann: „Du kannst ihn doch nicht so etwas fragen. Hast du kein Feingefühl?“ Fireball lugte vorsichtig auf und bedankte sich mit einem Nicken bei seiner Mutter. Sie hatte ihn gerettet. Vorerst. Das Familienoberhaupt verteilte das Essen auf den Tellern und sprach ein kurzes schintoistisches Gebet. Ai und auch Fireball beteten leise mit, bedanken sich bei den Göttern für das gute Mahl und begannen dann mit dem Abendessen. Shinji hatte nach dem Tadel seiner Frau eingesehen, dass er seinem Gast damit zu nahe getreten war. Seine Neugierde war dennoch ungebrochen. Es gab da etwas, tief in Fireball vergraben, was dessen Familie betraf und was der Grund dafür war, weshalb der neue Pilot so seltsam reagierte und dauernd schreckhaft war. Der Captain dachte daran, dass dessen Vater vielleicht gerne mal ausgeholt hatte. Es würde erklären, weshalb Fireball schnell zusammenfuhr und weshalb er so früh aus dem elterlichen Nest in weit entfernte Gefilde aufgebrochen war. Während er sich eine Portion Reis hinein schaufelte, blickte er zu Fireball hinüber. Dann zu seiner Frau. Sie nickte ihm bestätigend zu, ermahnte ihn dabei aber noch einmal still, sich nicht einzumischen. Nach dem Essen standen sowohl Shinji als auch Ai auf. Der Pilot räumte den Tisch ab. Er nahm Fireballs Teller und sah ihn fragend an: „Na, Junge. Was hältst du von einem Schluck Wein?“ Fireball hätte sich lieber eine Flasche Sake hinuntergekippt als Wein, um seine Nerven zu beruhigen. Der Tag war ein ständiger Drahtseilakt, mit jedem Wort konnte er sich verraten. Bisher hatte es gut geklappt, aber die meisten Unglücke passierten auf der Zielgeraden. Und da befand sich Fireball gerade. Er lehnte dankend ab: „Nein, danke, Sir. Ich muss noch fahren.“ Shinji nickte anerkennend und verschwand mit dem gebrauchten Geschirr in der Küche. Er hatte alles auf ein Tablett geschichtet und sparte sich so ein zweites Mal. Ai hingegen zündete ein paar Kerzen sowie Räucherstäbchen an dem kleinen Hausaltar an. Sie nahm aus der Vitrine zwei bauchige Weingläser heraus, für die lebensfrohe Frau war klar, mit welchem Wein ihr Mann wieder zurück kommen würde. Sie setzte sich mit einem Lächeln zurück an den Tisch und bestätigte die Blicke ihres Mannes mit Worten: „Sehr vernünftig, junger Mann.“ „Naja, ich häng an meinem Führerschein, Ai.“, jetzt, wo sein Vater nicht am Tisch saß, kam es Fireball beinahe so vor, wie ein Abendessen in seiner Zeit. Das Ritual hatte seine Mutter beibehalten, all die Jahre. Sie zündete immer noch jeden Tag nach dem Abendessen Kerzen an und trank einen Schluck Wein. Die zierliche Japanerin sah Fireball erstaunt an. Woher kannte er ihren Namen? Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Mann ihn den ganzen Abend noch nicht genannt hatte. Das war seltsam, so wie vieles an dem jungen Mann. Als Fireball bemerkte, wie verwirrt ihn seine Mutter ansah, bemerkte auch er, was er angestellt hatte. Sofort verzog er das Gesicht und sah auf die Tischdecke hinab. Er brauchte eine Überleitung, schnell. Wie wäre es mit einer Erklärung: „Eigentlich ist es weniger ein Führerschein als eine Sondergenehmigung, Misses Hikari.“ Elegant aus der Situation gerettet. Er war von sich selbst erstaunt. Selten hatte er das bisher so gut hinbekommen, wie gerade eben. April hätte sich bestimmt gefreut, wenn ihm das öfter gelingen würde, dann hätte es ihr viele verlegene Momente erspart. Auch das Gesicht seiner Mutter hellte sich wieder auf. Shinji kam mit einer Flasche Rotwein wieder zurück. Er schenkte sich und seiner Frau ein Glas ein, blickte dabei aber noch einmal fragend zu Fireball: „Ganz sicher keinen Burgunder, Kleiner?“ Wieder hob Fireball abwehrend die Hände und verneinte: „Ich vertrag Alkohol so schlecht, Captain Hikari und wie schon gesagt, ich häng an meinem Lappen.“ Ai schüttelte den Kopf und kam nicht umhin, ihren Mann wieder zu necken. Als der sich gesetzt hatte, verkündete sie: „Nötige ihn doch nicht ständig, Shinji. Sei froh, dass die Jungend heutzutage so vernünftig ist, nicht so wie du manchmal.“ Jetzt hätte Fireball fast zu lachen angefangen. Er hatte immer nur von seiner Mutter zu hören bekommen, dass er so verdammt unvernünftig war. Das waren ja paradoxe Worte, wenn man die Zukunft kannte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ihm die Worte wieder im Hals stecken blieben, denn Shinji konterte lachend: „Nur weil er nichts trinkt, wenn er mit dem Auto fährt, heißt das noch lange nicht, dass er vernünftig ist, Süße. Shinichi fliegt beinahe so gut wie ich, er braucht nicht mehr viel Übung, bis er ein ebenbürtiger Gegner ist.“ Hatte seine Mutter mit ihren Worten Recht gehabt? Fireball erkannte Dinge an seinem Vater, die er auch hatte, ganz ohne dass ihm seine Mutter jemals davon erzählt hatte. Moment mal. Wenn sein Vater seine Frau ‚Süße‘ nannte, hatte das bei April auch etwas zu bedeuten? Er sprach die blonde Navigatorin als einzige Frau mit einem solchen Kosenamen an, hatte sich aber niemals Gedanken darüber gemacht, weshalb. Ai schüttelte amüsiert den Kopf: „Dann bring ihm den nötigen Blödsinn bitte nicht mehr bei. Seine Freundin wär dir sicherlich dankbar dafür.“ Die kleine Japanerin grinste. Hatte sich Shinji dazu entschlossen, die Patenschaft für den neuen Piloten im Oberkommando zu übernehmen? Eine Geste, vor der er sich immer gewehrt hatte. Aber den Besuch schien er sofort in sein Herz geschlossen zu haben. Ai sah noch einmal aufmerksam zu Fireball hinüber. Sie konnte ihren Mann verstehen. „Hab keine.“, Fireball schmunzelte leicht. Das war doch typisch seine Mutter. Zuerst an die armen, daheimgebliebenen Frauen denken und dann an die Männer an der Front. Aber sie wusste, wovon sie sprach, denn schließlich war sie selbst eine von jenen Frauen. Sie würde das Schicksal vieler Witwen in absehbarer Zukunft teilen. Sein Lächeln verschwand abrupt wieder. Im Anbetracht der eigenen Familiengeschichte schwor sich Fireball in diesem Moment, keine Frau zurückzulassen und schon gar keine schwangere. Shinji fing den Blick seines Gegenübers auf. Hatte doch glatt seine Frau dieses Mal ein Fettnäpfchen erwischt. Er lachte darüber still in sich hinein, begann aber gleichzeitig darüber zu grübeln, was alles im Verborgenen schlummerte. Der Pilot bekam immer mehr das Gefühl, dass sich unter der rotzfrechen Fassade viel Kummer und Leid aufgestaut hatte. Lächelnd stupste er seine Frau an und meinte an Fireball gerichtet: „Ist auch besser so. Glaub mir, die hängt dir sonst dauernd damit in den Ohren, dass du nicht zuhause bist.“ Auch das waren nicht die richtigen Worte gewesen. Betreten senkte Fireball den Blick. Hätte sein Vater einmal auf seine Frau gehört, würde der heute noch mit ihnen zu Abend essen und er hätte sich vielleicht anders entwickelt. Fireball seufzte unterdrückt. Ai stieß währenddessen Shinji wieder an und brüskierte sich: „Na, hör mal!“, sie tadelte ihn lachend: „Du bist der erste, der jammert, wenn er länger als zwei Tage auswärts auf Manöver ist.“ Das war mal Fakt. Ai amüsierte sich dabei köstlich. Sie hatte schon gemerkt, dass ihr Mann den ein oder anderen bedrückten Moment heraufbeschworen hatte. Nun versuchte sie, dem jungen Piloten wieder ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, und am besten ging das ihrer Meinung nach, wenn der Captain mal ein paar aufs Dach bekam. Seine Eltern verloren sich in einer bedeutungslosen kleinen Streiterei. Es war klar, dass das nicht weiter ernst zu nehmen war, dennoch fühlte sich Fireball nun fehl am Platz. Er schob den Stuhl vom Tisch zurück und stand auf. Er linste noch einmal zu seinen Gastgebern hinüber. Ein Déjà-vu, schon wieder. Fireball sah, wie sich Ai und Shinji lachend in den Haaren lagen. Das war schon fast kindlicher Frohsinn, den seine Eltern da an den Tag legten. Das war beinahe eine solche sinnlose Diskussion, wie er sie mit April manchmal führte. Verlegen verbeugte sich Fireball und verabschiedete sich: „Es ist schon spät, ich sollte besser gehen. Vielen Dank für die Einladung.“ Fireball war schon in der Tür zum Vorraum, als Captain Hikari ebenfalls aufstand: „Hey, warte mal, Kleiner.“ Wieder schreckte Fireball zusammen. An diese Stimme würde er sich niemals gewöhnen können. Jedes Mal wieder war die Stimme bestimmt und herrisch. Und grade eben hatte sie so geklungen, als hätte er herausgefunden, was los war. Angespannt blieb er vor seinen Schuhen stehen und wartete auf das Unausweichliche. Shinji beobachtete skeptisch, wie sich Fireball spannte. Etwas war mit dem jungen Japaner nicht in Ordnung. Er schien fast schon Angst vor ihm zu haben. Hatte Shinji bei dem ersten Aufeinandertreffen zu sehr auf den Putz gehauen? Er verstand das alles nicht recht. Aber er hatte das Gefühl, auf den neuen Piloten in Zukunft ein Auge haben zu müssen. Er war zwar in der Arbeit ein Ass, aber außer Dienst schien er sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Der Pilot trat zu Fireball in den Vorraum. Er pfiff auf die Tadel seiner Frau und sagte offen, was ihm im Kopf herum schwirrte: „Du tust es ja schon wieder!“, er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme: „Ich wollte dir nur eine Frage stellen und dich reißt’s, als hätte ich einen Warnschuss abgegeben.“ Fireball schlüpfte ohne sich zu bücken in seine Schuhe. Er seufzte bedrückt. Wüsste sein Vater, was los war, es wäre kein Warnschuss mehr. Schon wieder brauchte er eine Ausrede. Der Rennfahrer blickte kurz in den Spiegel neben der Tür und dann zu seinem Vater. Nur das Alter unterschied sie voneinander. Fireball log leise: „Also schön. Wissen Sie, ich…“, Fireball fuhr sich mit der rechten Hand durch die störrischen Haare: „fühle mich in einer fremden Umgebung nicht immer auf Anhieb wohl. Ist alles nicht immer ganz so einfach.“ Wow, das war nicht mal gelogen! Fireball hielt gespannt inne und fragte sich, ob sein Vater gleich einen Lachanfall bekam. Doch Shinji nickte verstehend. Er legte Fireball noch einmal die Hand auf die Schulter und gestand ihm zu: „Ging mir auch so, Shinichi. Aber du hast deine Freunde hier… Und auch Ai und mich.“ „Familie sozusagen.“, Fireball nickte und sah zu Boden. Er verneigte sich noch einmal und verschwand dann endgültig. Damit ließ er einen irritierten Shinji im Vorraum stehen. Dieser starrte auf die geschlossene Tür. Ai trat neben ihn und strich ihm über die Wange. Sie schmiegte sich an ihren Mann und sprach seine Gedanken aus: „Er ist ein guter Junge, Schatz.“, sie schloss ihre Arme um ihn: „Ich würde mir ein solches Kind wünschen.“ Shinji nickte nur leicht. Ja, ein Kind wie ihn konnte er sich vorstellen. Aber er glaubte, Fireballs Eltern wüssten dieses Geschenk nicht zu schätzen. Sie schienen ihn nicht gut behandelt zu haben. Shinji nahm Ai in den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer zurück. Kapitel 5: neue Freunde - alte Angewohnheiten --------------------------------------------- April und Colt waren schon lange zu Bett gegangen, da saß der Schotte immer noch im Gemeinschaftsraum. Sie waren von Commander Jenkins sofort wieder nachhause geschickt worden, nachdem ihre Versetzungspapiere von General Whitehawk noch nicht angekommen waren. Der gute Commander konnte ja nicht wissen, dass da nie welche kommen würden. Aber sie waren nur zu dritt nachhause gegangen. Fireball war auf dem Gelände nicht mehr zu finden gewesen. Saber hätte am ersten Tag beinahe die Panik ausgepackt. Oh, wie er es gewusst hatte! Der Hitzkopf geriet schneller in Schwierigkeiten, als Colt seinen Bronco starten konnte. Ja, auch Saber war beeindruckt von der kleinen Einlage am Himmel gewesen, aber gleichzeitig hatte sich in ihm alles zusammengezogen. Es hatte keine halbe Stunde gedauert, da war Fireball dem anderen Hikari schon in die Arme gelaufen. Hoffentlich wusste sich sein Pilot zu benehmen, sonst flog ihre ohnehin nicht ganz narrensichere Tarnung auf. Es war ein seltsamer Abend gewesen, das war klar. Fireball hatte sich den Weg zurück zum Oberkommando gespart, seinen Wagen konnte er auch noch am nächsten Tag holen. Mit den Gedanken in der Wohnung seiner Eltern spazierte er durch die leergefegten Straßen Yumas. Sie hatten Ramrod außerhalb der Stadt versteckt, der große Cowboy stand auf einer kleinen Lichtung, die man schwer von allen Seiten einsehen konnte. Für den Friedenswächter war sie gerade groß genug gewesen. Er schlenderte unaufmerksam durch die leeren Straßen und Gassen. Fireball hatte seine Mutter beinahe nicht wieder erkannt. Sie war an der Seite seines Vaters ein ganz anderer Mensch gewesen. Offen und aufgeschlossen. In seiner Zeit war das Gegenteil der Fall. Ai war fremden Menschen gegenüber skeptisch und verschlossen. Sogar Fireball gegenüber war sie voreingenommen, sprach niemals mit ihm über ihren Kummer, den sie ganz offensichtlich mit sich herumtrug. Aber der Rennfahrer gestand sich im selben Atemzug ein, dass er das auch gar nicht wollte. Er wollte von seiner Mutter nicht noch weiter in die Gestalt seines Vaters gezwängt werden. Von daher war es gar nicht so schlecht, dass Ai ihn mitunter zum Teufel jagte. Er war schneller auf Ramrod angekommen, als er gedacht hatte, oder aber er hatte wieder mal kein Zeitgefühl gehabt. Fireball öffnete die Rampe und hoffte, dass er niemanden an Bord damit aus dem Bett beförderte. Dass noch jemand wach sein könnte, und auf ihn wartete, konnte er sich nicht vorstellen. „Gesund und munter bist du noch, wie ich sehe.“, Saber stand mit verschränkten Armen im Gang und begrüßte seinen abgängigen Kollegen und Freund. Ein wenig unterkühlt fügte er hinzu: „Nur ein wenig spät, findest du nicht?“ Fireball ging lächelnd an Saber vorbei und klopfte ihm dabei leicht auf die Schulter. Er sollte ihm folgen. Im Flur wollte er gerade nicht reden, die anderen beiden schliefen bestimmt schon. Deswegen setzte er sich mit Saber noch mal in die Küche, eine Tasse Tee konnte nicht schaden um schläfriger zu werden. Denn der Rennfahrer war aufgekratzt, verständlicherweise. Er brachte eine Kanne Tee an den Tisch, schenkte sich und dem Säbelschwinger jeweils eine Tasse ein und setzte sich dann. Der Rennfahrer wusste sehr wohl, dass er eigentlich was angestellt hatte, deswegen schoss er vorsorglich die Entschuldigung vorne weg: „Hör mal, ich weiß, dass ich etwas spät an bin.“ Saber biss sich auf die Lippen um nicht zu schmunzeln. Wenigstens sah der Wuschelkopf ein, dass er die Zeit übersehen hatte. Die Gedanken ließen den Schotten allerdings nicht in Ruhe. Er hatte sich schon die schlimmsten Dinge ausgemalt. Ohne Umschweife wollte er deswegen wissen, wo es Fireball hin verschlagen hatte. Auch darüber gab der junge Spund bereitwillig Auskunft, Saber anzulügen hätte ohnehin nicht viel Sinn gehabt. Sein Kunststück am Himmel und die Tatsache, dass er nicht mehr im Oberkommando gewesen war, hätte Saber sowieso auf die Idee gebracht, dass der junge und der ältere Pilot etwas gemeinsam unternommen hatten. In groben Zügen gab er Saber wider, was geschehen war und wie es gewesen war. Dem Captain der Einheit Ramrod stellten sich dabei mit jedem Wort die Haare zu Berge. Dachte Fireball nicht an die Konsequenzen, die das alles nach sich ziehen konnte? Hin und wieder riss Saber während Fireballs Erzählung entsetzt die Augen auf. Das war doch nicht wirklich sein Ernst! Der Schotte merkte, dass er sofort Schritte setzen musste, damit sich das nicht bei Fireball einbürgerte. Es war schon schlimm genug, in dieser Zeit gelandet zu sein, es war ebenso schlimm genug, dass sie sich ins Oberkommando hatten schmuggeln müssen, aber das von Fireball überholte die anderen beiden Tatsachen locker. Sie saßen auf einer tickenden Zeitbombe und ihr Pulverfass hielt sich in der Nähe eines Funkens auf. Hikari war ein Captain einer Eliteeinheit hier gewesen, dass der gute Mann alles riechen konnte, was nach Verschwörung roch, war doch klar! Saber sah schon jegliche Rettung zu spät kommen. Etwas unfreundlicher als sonst unterbrach er den Redefluss des Japaners: „Du warst bei deinen Eltern zuhause essen? Sag mal, Fireball, hast du einen Moment lang darüber nachgedacht, welche Auswirkungen das auf unsere Zukunft haben kann?“, ungläubig schüttelte der Blonde den Kopf, als er Fireballs Reaktion abgewartet hatte, und fuhr fort: „Augenscheinlich nicht.“, mit einem Schulterzucken und einem seltsam väterlichen Ton erklärte der Schotte ihm dann: „Ach, Fireball… Jede Interaktion hier, die mit uns zusammenhängt und alles, was nicht so verläuft, wie es eigentlich sollte, wird unsere Gegenwart verändern. Keiner von uns weiß, wie sie sich dann verändert, aber klar ist, dass sie Auswirkungen auf uns haben wird. Insbesondere auf uns vier hier. Sei nicht so leichtsinnig, das können wir uns nicht leisten. Wir dürfen nichts verändern, Fire.“ Die Ansage war eindeutig gewesen. Schuldbewusst zog der Hitzkopf den Kopf ein und nickte. Da hatte er sich ja was eingebrockt. Zumindest aber war Saber nicht sauer auf ihn. Der Ausflug hätte auch ganz andere Töne beim Schotten zur Folge haben können, dessen war sich Fireball bewusst. Der Highlander blieb allerdings die ganze Zeit über in diesem ruhigen, verlässlichen und freundlichen Tonfall. Nachdem der Schrecken von beiden verpufft war, ließen sie sich den Tee doch noch gemeinsam schmecken. Saber und sein Pilot gingen alle möglichen Aspekte durch. Vor allem der blonde Schotte hatte die Befürchtung, dass sie schon irgendetwas verändert hatten. Nachdem Fireball ihm aber mehrmals hoch und heilig versprochen hatte, nichts verraten zu haben und keinen Hinweis gestreut zu haben, wich auch die Anspannung bei ihm etwas. Ihre Situation war keine besonders gute. Dessen waren sich beide einig. Sie saßen hier fest, hatten keine Ahnung, wie das passiert war und erst recht keine, wie sie wieder nachhause kommen sollten. Nachdem sich Fireball bei Saber darüber informiert hatte, was bei ihnen tagsüber rausgekommen war, entschieden sich die zwei für die einzig richtige Sache. Sie ließen für heute gut sein und verkrümelten sich endlich ins Bett. Wochen vergingen, in denen quasi Stillstand herrschte. Fireball verbrachte die meiste Zeit im Oberkommando, bei der Flugstaffel seines Vaters. Colt und April hatten von Saber strikten Befehl bekommen, sich nicht von Ramrod zu entfernen und vor allem, nicht in die Stadt zu gehen. Das stieß besonders dem Kuhhirten schwer auf, der Kleine durfte spielen gehen und sich amüsieren, und er musste Ramrod hüten. Was war das denn für eine Welt? Aber Saber war hart geblieben. Sie hatten wichtigeres zu tun, als eine ihnen fremde Stadt unsicher zu machen. Immer wieder versuchte er, Colt klar zu machen, dass sehr wohl System hinter seinem Tun und seinen Entscheidungen stand. Fireball hielt für sie im Oberkommando Augen und Ohren offen, vielleicht bekam er doch etwas mit. Und sie drei blieben an Bord, damit sie endlich dieser Anomalie auf die Schliche kommen konnten. Immer warfen sie dabei auch einen Blick auf die Geschichtsdaten, Aufzeichnungen von Tageszeitungen, die ihr Computer im Archivordner gespeichert hatte und natürlich auch auf ihre Sensoren. Irgendwann musste Jesse Blue auftauchen, wenn er mit ihnen in dieser Zeit gelandet war. Alles andere als ruhig ging es an diesem Tag im Hangar der Flugstaffel im Oberkommando zu. Alle paar Minuten wurde ein Pilot in den Himmel hinaufgeschickt, ständig starteten und landeten die Jets und hielten so die Einweiser und das Bodenpersonal auf Trab. Aber es herrschte keine Anspannung. Einmal im Monat hieß es zum Manöver auszurücken. Es war alles nur eine Übung, die wurde allerdings von allen ernst genommen. Der letzte, der einen Blitzstart vollführen musste und später in der Luft versuchen durfte, ihrem Captain eins vor den Latz zu knallen, war Fireball. Er war noch nicht lange dabei, es war seine erste Übung in dem Sinn. Aber das war nicht der einzige Grund gewesen, weshalb Captain Hikari ihn als letzten hatte starten lassen. Das Beste hob man sich bekanntlich bis zum Schluss auf und der erfahrene Pilot hoffte insgeheim auf eine Fortsetzung ihres Duells, das sie am ersten Tag ausgefochten hatten. Shinji hatte in den ersten beiden Wochen besonderes Augenmerk auf den jungen Piloten gelegt, hatte unter Argusaugen beobachtet, wie er sich eingewöhnte und wie er seine Arbeit verrichtete. Bisher hatte er nichts finden können, das er beruflich an Fireball kritisieren konnte. Der Junge leistete hervorragende Arbeit, schien den Militäralltag bereits in und auswendig zu kennen. Das war beinahe schon unheimlich, aber noch lange nicht so bedenklich, wie die Art und Weise, wie sich der Frischfang verhielt. Nach wie vor war Fireball schreckhaft, komischerweise aber nur, wenn der Captain mit ihm sprach. Mit anderen Offizieren oder auch Kollegen hatte der Japaner keine Probleme. Das machte den Captain schon etwas nachdenklich. Und zwar, weil er sich zu fragen begann, wie furchteinflößend er offenbar war. Dabei mochte er den Wildfang unheimlich gerne. Zumindest in der Luft aber hielt sich die Angst des jungen Piloten in den Grenzen. Mit einem freudigen Grinsen erwartete er die Neuauflage ihres Spielchens. Nun kam endlich der Höhepunkt des Tages. Shinji teilte dem Rennfahrer über Funk mit, dass sie die Mindesthöhe erreicht hatten: „So, Kleiner. Auf los geht’s los.“ „Dieses Mal lande ich einen Treffer, Captain.“, fröhlich lachte Fireball in den Funkverkehr. Er freute sich über die Herausforderung. Die Aufklärungsflüge in den letzten Tagen waren zwar abwechslungsreich, aber nachdem es nie einen Feind gab, der einem den Hintern auf Grundeis laufen lassen könnte, war es für Fireball absolut keine Herausforderung. Das konnte schlicht und ergreifend daran liegen, dass Fireball in der Regel gegen eine Horde Outrider kämpfte, wenn er ausrücken musste. Nach dem ersten Übungsflug mit dem Captain hatte sich der Rennfahrer eine Strategie zurechtgelegt, wie er seinen Vater eiskalt erwischen konnte. Wieder versammelte sich eine Schar Neugieriger auf dem Boden und beobachtete das Treiben in der Luft. Die erfahrenen Piloten waren genauso verblüfft und hegten ordentlich viel Bewunderung für den neu zu ihnen Gestoßenen wie die jüngeren. Manche wagten sogar einige Vergleiche, als sie dem ungleichen Paar wenige Minuten zugesehen hatten. Ein Offizier stieß seinen Freund an: „Lass den Jungen noch ein oder zwei Jahre in der Staffel fliegen und er macht unseren Shinji alle. Er hat fast so viel Talent wie sein Captain.“ Bestimmt eine halbe Stunde bekriegten sich Vater und Sohn in der Luft, ohne Ergebnis. Wieder beendete die Bodenkontrolle das Treiben, das war genug Training für einen Nachmittag. Im Sturzflug kam Fireball auf die Landebahn zugeschossen. Im letzten Moment bremste er seinen rasanten Fall und landete seinen Vogel sanft und zielgenau wie Ramrod vor dem Hangar. Sein Vater kam ihm hinterher. Einmal mehr hatte ihm die Übung das Können seiner Truppe bewiesen. Es könnte ruhig mehr solcher junger Himmelhunde geben. Fireball stieg grinsend aus und zog sich den Helm vom Kopf. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet den herannahenden Feierabend. Das ließ die Laune gleich noch ein bisschen weiter nach oben steigen. Gleich hinter ihm parkte auch Captain Hikari seinen Jet und stieg aus. Mit einem breiten Lächeln trat er auf Fireball zu und klopfte ihm auf die Schulter: „Du fliegst wie der letzte Henker, Kleiner.“ Ohne zu denken, schoss es aus dem Rennfahrer heraus: „Alles vom Besten geerbt.“, zwinkernd drehte er sich herum. Als er seinem Vater ins Gesicht blickte, musste er sich unweigerlich korrigieren: „Äh, gelernt natürlich.“ Der Captain schmunzelte: „Na, deinem Genpool scheint es nicht geschadet zu haben. Aber deiner Akte wird’s irgendwann schaden, wenn du so weiter machst.“ Es war ihm wieder aufgefallen. Nie kam der kleine Pilot auf die Idee, ihn angemessen anzusprechen. Eigentlich war es Shinji egal, doch im Augenblick standen alle anderen Staffelmitglieder um die beiden herum, da konnte er es ihm nicht durchgehen lassen. Unweigerlich versteinerte sich seine Miene und er versteifte seine Haltung. So gern er den Japaner mochte, in den letzten beiden Wochen hatte er ihn immer besser kennen gelernt, mochte Fireball und glaubte, ihn schon ewig zu kennen, er musste ihn maßregeln. Sonst kamen am Ende auch noch die restlichen Piloten auf den Trichter, ihn einfach zu duzen und zurück zu blaffen. Shinji funkelte Fireball an: „Noch eine Respektlosigkeit von dir, Shinichi, und du siehst dir das Büro von Major Eagle an!“ Auch Fireballs Körperhaltung straffte sich. Er zog die Schultern nach hinten und salutierte, dabei blieb seine Miene ernst: „Ja, Sir! Ich bitte um Entschuldigung, Sir.“ „Geht doch. Wozu du immer eine Sondereinladung brauchst, versteh ich nicht.“, kopfschüttelnd drehte er sich von Fireball weg. Er warf einen kurzen Blick auf seine Truppe. Alle hatten sich an diesem Nachmittag gut geschlagen. Der junge Pilot hatte frischen Wind in die Truppe gebracht und alle angespornt, noch einen Ticken besser zu werden. Diese Vermutung hatte der Captain an diesem Nachmittag bestätigt bekommen. Streng wies er an: „Alle angewachsen? Los, wartet eure Gleiter und dann ab mit euch, durch die Mitte.“ Gehorsam salutierte die Einheit vor Captain Hikari und machte sich sofort an die Arbeit. Shinji nickte noch einmal bestätigend und verließ den Hangar. Er musste noch zu Charles, sie hatten sich noch auf einen kurzen Abstecher verabredet, bevor es Richtung Heimat ging. Shinji schlenderte bei Sonnenuntergang aus dem Oberkommando. Charles hatte seine Frau und ihre bezaubernde kleine Tochter zu Besuch gehabt. Der erfahrene Pilot hatte sich auf einen schnellen Kaffee zu ihnen gesetzt. Seine gute Laune vom Nachmittag war mit jeder Minute in Eagles Büro allerdings vergangen. Er hatte das kleine blonde Mädchen auf dem Schoß sitzen gehabt und mit ihr rumgealbert. Charles und May hatten einen kleinen Goldschatz als Tochter. April kannte die Familie Hikari seit ihrer Geburt, hatte keine Angst vor Shinji. Immer wieder zauberte sie dem Captain ein trauriges und wehmütiges Lächeln auf die Lippen. Er würde alles für ein Kind geben, doch Ai und ihm blieb dieses Glück verwehrt. Es sollte nicht sein. Mit diesen trübsinnigen Gedanken verließ er das Gelände. Mit etwas Abstand bemerkte der Captain, dass hinter ihm noch jemand den Nachhauseweg antrat. Shinji blieb stehen und richtete sein Augenmerk auf seinen Verfolger. Es war der junge Pilot. Fireball war regelmäßig der letzte in ihrer Einheit, der sich vom Dienst abmeldete, das war Shinji aufgefallen. Entweder reinigte der Japaner seinen Jet extrem gründlich, oder aber er hatte keinen Grund nachhause zu gehen. Shinji hatte noch das Abendessen mit ihm im Hinterkopf und deswegen glaubte er auch zu wissen, dass Fireball nicht nachhause gehen wollte. Kurzerhand entschloss sich der ältere Hikari am Eingang auf den jüngeren zu warten. Er begrüßte Fireball mit einem Augenzwinkern: „Wie sieht’s aus, Kurzer? Machen wir noch einen Abstecher ins Diablo Pablo?“ Verdattert hielt Fireball in seiner Bewegung inne. Er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache gewesen. Als er seinen Vater plötzlich neben sich stehen sah, wurde Fireball kreidebleich. Ihm wurde nämlich in diesem Moment bewusst, dass sein Vater ihm überall hin hätte folgen können, weil er mit dem Kopf in den Wolken hing. Er hätte ihn zu Ramrod führen können. Das war das absolute Horrorszenario. Deshalb sah er seinen Vater nun auch mit untertassengroßen Augen an: „Hä? Wie bitte was?“ Amüsiert schüttelte Shinji den Kopf. Er zog den jungen Piloten auf: „Wo hast du bloß immer deinen Kopf, Shinichi?“, er legte Fireball einen Arm um die Schultern und entschied rigoros, dass sie beide jetzt noch auf ein Bierchen gingen. Er schob Fireball die ersten Schritte vor sich her, bis dieser selbstständig folgte. Beide befanden sich im Feierabend, deswegen legte Shinji absolut keinen Wert mehr auf das ‚Sir‘. Außerdem waren sie beide unter sich. Fireballs Vater hatte sich vom ersten Moment an mit seinem neuen Piloten verbunden gefühlt. Wie gesagt, er mochte den jungen Spund und wollte ihm den Start ins Oberkommando erleichtern. Er hatte bald bemerkt, dass Fireball nicht viel Freizeit mit den Kollegen in seiner Staffel verbrachte. Nachdem er Shinji beim Abendessen schon darauf hingewiesen hatte, wie schwer er sich in einer fremden Umgebung zurecht fand, hatte der Captain darin eine Lebensaufgabe gefunden, Fireball ein Freund zu sein. Deshalb erklärte er noch einmal: „Wir zwei gehen jetzt noch auf einen Drink ins Diablo Pablo.“ Fireball ließ sich verdattert mit schieben, aber ganz geheuer war ihm das Spektakel nicht. Er sollte doch eigentlich ohne Umschweife zu Ramrod zurück. Im Gedanken malte er sich schon das Desaster aus, wenn er nachhause kam. Saber schwitzte so schon genug Blut und Wasser, dass Fireball sie alle verraten könnte, wenn er dann auch noch erfuhr, dass der Rennfahrer mit seinem Vater in der Freizeit zusammensaß, fiel er tot um. Aber garantiert. Fireball begann zu schmunzeln, als er sich das bildlich vorstellte. Saber lief kalkweiß an, wurde steif und fiel wie ein Brett zu Boden. Gut, ganz so würde es sicherlich nicht sein, aber die Vorstellung an sich war irgendwie erheiternd. Endlich brachte es Fireball fertig, zustimmend zu nicken. Nein sagen sah auch blöd aus, wie er fand. In der Bar angekommen bestellten beide etwas zu trinken und lehnten sich gegen die Theke. Der Captain überkreuzte die Beine und lehnte mehr mit dem Ellbogen auf der Theke, als sonst etwas. Aufmerksam beäugte er den jungen Piloten, während sie auf ihr Getränke warteten. Schließlich nickte er zufrieden: „Wenn du dich anstrengst, wird noch mal was aus dir, Kurzer.“ Fireball nahm sein Bier entgegen und schmunzelte: „Nichts bin ich ja schon.“ Sie prosteten einander zu und nippten von ihrem Getränk. Captain Hikari stellte sein Glas auf die Theke und schüttelte den Kopf. Er wollte mit Shinichi mal nicht nur über Berufliches reden, er wusste auch so, dass sich der Junge in der Staffel pudel wohl fühlte. Deswegen schnitt er gleich ein anderes Thema an. Dieses Mal jedoch würde er nicht so forsch sein und Fireball gleich wieder verschrecken. Er ging es dieses Mal ruhiger an: „Und? Hast du dich schon eingelebt in Yuma?“ Fireball nickte, da konnte er getrost die Wahrheit sagen: „Ja, geht schon. Hab nicht unbedingt viel Zeit, mir die Stadt anzuschauen, aber zumindest finde ich jeden Tag ohne Navi in die Arbeit.“, ganz so ernst sollte die Unterhaltung nicht werden. Fireball hatte nämlich Bedenken, er könnte sich sonst bei seinem Vater verraten. Irgendwie war es seltsam mit ihm in einer Kneipe zu stehen und gemeinsam ein Bier nach Feierabend zu trinken. Aber, und daran wollte sich Fireball nicht gewöhnen, es hatte was. Auch der Captain nickte: „Ja, zumindest bist du pünktlich.“ „Ich schaff’s unter zwanzig Minuten zum Oberkommando. Das hilft beim Pünktlichsein enorm.“, er nahm einen Schluck von seinem Bier und sah sich in der Kneipe um. Colt hätte es hier gefallen. Sie war ein wenig mexikanisch angehaucht und überall hingen Gegenstände aus dem wilden Westen an der Wand. Sogar ein Bild von Billy The Kid war darunter. Shinji stellte sein Bier auf die Theke und schmunzelte unverhohlen. Fireball hatte ihm gesagt, dass er außerhalb der Stadt wohnte und von daher einen eher weiten Weg zur Arbeit hatte. Unter zwanzig Minuten von dort zum Oberkommando zu kommen, war eine reife Leistung, vor allem bei dem Verkehr, der morgens stadteinwärts herrschte. Kopfschüttelnd lachte er: „Du machst ja bald Mario Firenza Konkurrenz, Kurzer. Der ist wahrscheinlich nicht viel schneller als du.“ Erstaunt setzte Fireball das Glas wieder ab. Sein Vater interessierte sich fürs Rennfahren? Oha, das hatte Ai niemals erwähnt. Schnell rechnete der Pilot von Ramrod zurück, seit wann Mario in dem Geschäft war, um nicht auf die Idee zu kommen, einen Sieg oder dessen Karriereverlauf vorwegzunehmen. Er erinnerte sich mittlerweile gerne an seinen früheren Konkurrenten. Mario war ein ehrlicher und guter Fahrer, ging nicht über Leichen, wie manch andere in der Branche. In ihrer Zeit ging er es ruhiger an, hatte sich wegen seiner schweren Krankheit völlig aus dem Renngeschäft zurückgezogen. In der Zeit seines Vaters dürfte er gerade ein aufgehender Stern sein. Lächelnd entschied sich Fireball, auf dieses Thema einzugehen, da konnte er sich nicht übertrieben verplappern: „Ja, der gute Firenza. Fahren kann er.“ Na bitte, der junge Pilot brachte doch glatt mehr als zwei Sätze am Stück raus, wenn er wollte. Shinji nickte noch einmal, diese Meinung über Mario Firenza teilte er: „Hart, aber fair. Ich hab noch keines seiner Rennen verpasst.“ Anerkennend wiegte Fireball den Kopf. Nie im Leben wär er auf die Idee gekommen, dass sich ausgerechnet sein Vater für Rennfahren und schnelle Autos interessiert. Bis eben hätte er alles verwettet, dass dessen Herz nur für Jets, das Oberkommando und selbstverständlich Ai schlug. Ehrlich gestand er: „Sie interessieren sich also für die Formel eins. Mann, das hätt ich Ihnen niemals zugetraut.“ „Was soll das heißen?“, irritiert zog Shinji die Augenbrauen in die Höhe. Wie kam es, dass sich der junge Hüpfer nach einem knappen Monat schon ein derartiges Bild über ihn machen konnte? Der Captain hatte hin und wieder bemerkt, dass Fireball manche Reaktionen nicht überraschten, es schien fast so, als würde er sie sogar voraussehen. Das war äußerst seltsam, wie er fand. Gelassen lehnte sich Fireball mit dem Ellbogen auf die Theke. Er stellte ein Bein auf die Fußstütze an der Bar und beugte seinen Oberkörper leicht über die Bar. So stand er am liebsten an einer Bar, weil es einfach gemütlicher war. Und Fireball empfand es gerade als gemütlich. Vorhin war er doch noch etwas angespannt gewesen, weil er mit seinem Vater hier stand. Seit die Sprache auf Firenza und Autos gefallen war, war von der Anspannung nichts mehr vorhanden. Es war für Fireball beinahe so, als würde er mit Colt und Saber den Tag ausklingen lassen. Leichthin erklärte er: „Sie sehen nicht unbedingt aus, wie jemand, der sich für Rennwagen interessiert.“ Postwendend fuhr sich der Captain mit beiden Händen in die Haare und brachte seine Frisur durcheinander. Mit den halbkurzen Haaren ging das sehr gut und nach Feierabend war es ihm egal. Wild und störrisch standen seine Haare nun kreuz und quer, so wie bei seinem jungen Pendant. Nun sahen sich Vater und Sohn noch ähnlicher, als ohnehin schon. Frech grinste Captain Hikari: „Seh ich nun eher so aus?“ Unbedacht lachte Fireball: „Nicht alle Rennfahrer sehen so aus, Captain. Aber lassen Sie mal, ich glaub es Ihnen auch so.“ Shinji nahm einen weiteren Schluck vom Bier. Es war nett, sich mit Fireball zu unterhalten, der Junge taute langsam aber sicher auf. Und er hatte ihm grade was verraten. Er stellte das halbvolle Glas wieder ab und sah Fireball interessiert an: „Wie kommt es, dass du dich so sehr dafür interessierst und auch begeisterst, Kurzer?“ Schmunzelnd erklärte der Rennfahrer aus Leidenschaft: „Irgendwas muss ich mit meiner spärlichen Freizeit doch anfangen.“ Sein schelmisches Zwinkern verriet deutlich, dass es mehr als eine Freizeitaktivität war. Viel gab der junge Pilot nicht von sich Preis, da musste man auf jedes Detail achten, das hatte er schon erkannt. Shinji machte keinen Hehl daraus, Informationen beschaffte man sich, wenn man sie nicht vom betreffenden selbst bekam, eben von anderen Quellen und nichts anderes machte er. Ein bisschen spöttisch setzte er einen drauf: „Tja, und für den Fall, dass ich dich mal etwas zu unsanft aus den Wolken hole, kannst du immer noch im Kreis fahren.“ Lachend öffnete Fireball die Arme und guckte demonstrativ nach oben: „Dafür müssen Sie mich erst mal vom Himmel runterholen.“ Er war sich verdammt sicher, dass ihn so schnell niemand aus den Wolken befördern konnte. Sein Vater zählte auch zwanzig Jahre nach dessen Tod noch zu den besten Piloten des Oberkommandos und hatte es dennoch nicht geschafft, Fireball abzuschießen. Entweder hatte der es nicht wirklich versucht, was er sich bei dem Ehrgeiz, den sie beide hatten, nicht vorstellen konnte, oder aber er war seinem Vater hier doch ebenbürtig. „Ich erwisch dich schon noch.“, überzeugt davon, den Neuen früher oder später mal eiskalt zu erwischen, antwortete Captain Hikari. Fireball grinste frech. Er war gerade in seinem Element und irgendwie fühlte sich das ganze für ihn eher an, als würde er mit Colt wetteifern. Unbeeindruckt von den Worten seines Vaters gab er von sich: „Dafür müssen Sie sich mehr anstrengen, Captain. Es gibt Dinge, von denen verstehe ich eine ganze Menge.“ Der Vater hob skeptisch die Augenbrauen an. Also, das Selbstbewusstsein des jungen Piloten war ordentlich ausgeprägt, es kam nur auf das Thema an, wie er gerade bemerkt hatte. Shinji schüttelte leicht den Kopf, vielleicht war dem Jungen das Lob vorhin zu Kopf gestiegen. Der Grünschnabel war gut, ja, aber übermütig sollte er deswegen nicht werden, sonst wurde ihm das noch zum Verhängnis. Deswegen versuchte er nun, Fireball wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen: „Man könnte es auch als lebensmüde bezeichnen, Kurzer.“ Irritiert richtete sich Fireball auf. Das Wort ‚lebensmüde‘ war in der Familie Hikari leider ordentlich negativ behaftet und fiel vor allem in Verbindung mit dem Job des Star Sheriffs sehr häufig. Wie oft hatte er dieses Wort in Verbindung mit seinem Namen von Ai gehört? Seine braunen Augen sahen den Captain, seinen Vater, verwundert an: „Lebensmüde? Ich? Wie kommen Sie darauf?“ „Dein Landemanöver vorhin war total lebensmüde.“, Shinji griff nach seinem Bier und erklärte energisch: „Kann ja sein, dass du von manchen Dingen was verstehst, aber nur, weil man dich ein oder zwei Mal lobt, musst du noch lange nicht übermütig werden.“ Shinji hegte heimlich allerdings Bewunderung für den jungen Spund, mit dem er gerade ein Bier trank. Er hatte selten ein solches Manöver gesehen. Fireball hatte es perfekt ausgeführt. Aber was mehr noch als die Landung verwunderte, war die Flugweise an sich. Der Captain konnte nicht glauben, dass der Junge frisch von der Akademie war. Der Kleine verstand nämlich wirklich was von seinem Job. Er flog, als wäre er schon hunderte Mal in einem Manöver gewesen, ja, als hätte er schon unzählige Kampfeinsätze hinter sich. Aber das konnte nicht sein. Erstens war Fireball noch halb grün hinter den Ohren und zweitens herrschte Frieden. Es gab im Neuen Grenzland keinen Krieg. Mit einem milderen Tonfall fügte er hinzu, als er den unsicheren Blick von Fireball auffing: „Du wirst nicht alt, wenn du dir solche Manöver nicht verkneifen anfängst.“ „Wer sagt, dass ich überhaupt alt werden will?“, Fireball parierte sofort. Sein Vater durfte so nicht reden, der war selbst nicht besser als er. Patzig sah er zu ihm auf, alt werden war relativ in der Familie Hikari. Egal, wie er es angestellt hatte, aber Fakt war, dass er es getan hatte. Der Captain sah Fireball einen Augenblick lang verdattert an. Sofort verband er diesen Kommentar mit der Familie des jungen Piloten. Denn anders konnte sich Shinji den kleinen Ausbruch gerade nicht erklären. Irgendwo lag da der Hund begraben, dessen war sich der erfahrene Pilot mittlerweile sicher. Umgehend nahm er das explosive Treibmittel aus der Unterhaltung und schwenkte auf ein Thema um, das dem jungen Japaner weniger ausmachte. Shinji riss das Ruder also noch einmal herum: „Du kannst dich mit Mario Firenza zusammentun. Der ist auch so umtriebig und wird niemals sesshaft.“ Fireball schwenkte den Kopf von seinem Vater wieder zum Bier und die Theke hinunter. Der hatte keine Ahnung, wie zahm und brav Mario in den nächsten Jahren noch werden würde. Fireball wusste, nachdem Firenza seine Frau kennen gelernt hatte und ihre Tochter bekommen hatte, war der bei weitem nicht mehr so riskant gefahren. Er war nicht mehr so viel Risiko eingegangen, um ein Rennen zu gewinnen, wie früher. Aber das konnte sein Vater nicht wissen, es passierte doch erst in einigen Jahren. Allerdings kam er nicht umhin, seinem Vater zu widersprechen: „Zwischen Mario und mir liegen Welten.“ Das war mal Fakt für den Rennfahrer. Mario hatte im Rennsport immer die alten Werte hoch gehalten, hatte nie viel von jungen Fahrern gehalten. Die konnten doch alle nicht Autofahren, hatte er oft auch über Fireball geschimpft. Und Mario legte Wert auf seine Gesundheit, war vorsichtig und umsichtig. Das war Fireball nicht. Er nahm Risiken durchaus in Kauf, denn er hatte nichts zu verlieren. Beide Augenbrauen von Shinji waren merkwürdig zusammen gezogen. Das musste er nicht verstehen, oder etwa doch? So lustig es vor einigen Augenblicken auch noch gewesen war, die Wand war noch schneller gewesen. Der junge Pilot hatte in Windeseile eine Wand aufgezogen, und zwar, weil es um ihn ging. Nichts drang nach außen, fast so, als sollte niemand wissen, wer und wie er war. Shinji verstand das alles ganz und gar nicht. Der Junge blieb ein Rätsel auf zwei Beinen. Stark und eigenständig, aber gleichzeitig einsam und auch unbeholfen wirkte er auf Shinji. Er erinnerte ihn irgendwie auch immer wieder an sich in dem Alter. Gott, was war er für ein verbohrter Dummkopf manchmal gewesen! Und was hatte Ai alles mit ihm mitmachen müssen, bis er sich endlich selbst gefunden hatte? Shinji dachte an seine eigene Wand, die nur eine Person zum Einsturz hatte bringen können. Ob es bei dem Kleinen auch mal jemand schaffte? Resignierend schüttelte Shinji den Kopf und trank den letzten Schluck von seinem Bier, ehe er einen Hinweis aussprach: „Welten sind nicht mehr ganz so unerreichbar wie vor Jahren noch. Merk dir eines, Kurzer, wenn du sonst schon nichts lernen willst.“, er legte Geld auf den Tisch und trat einige Schritte von Fireball weg: „Talent und Können allein machen nicht glücklich, wenn man seine Erfolge mit niemanden teilen kann. Das wird Firenza noch lernen und du bestimmt auch irgendwann.“ Nun ließ Fireball den Kopf hängen. Unbestimmt gab er zurück: „Das nicht. Aber man stürzt niemanden ins Unglück, wenn einem Talent und Können nicht mehr helfen und es zu spät ist.“ Der Rennfahrer wandte sich von seinem Vater ab und bestellte noch ein Bier beim Kellner. Die gute Laune war ihm nun ordentlich vergangen. Während Shinji die Bar mit einem merkwürdigen Gefühl verließ, spülte Fireball den aufkeimenden Frust und auch die Einsamkeit hinunter. Für sich selbst hatte er entschieden, keiner Frau jemals das anzutun, was sein Vater Ai angetan hatte. Keine Frau hatte das verdient. April hatte es nicht verdient. Fireball schloss die Augen und leerte das Bier in einem Zug. Aus zwei Bier waren drei und noch ein paar mehr geworden, die Uhr hatte sich stetig gegen Mitternacht bewegt, bis Fireball endlich aus der Bar gefunden hatte. Die Worte seines Vaters waren ihm an die Nieren gegangen, mehr als andere Ratschläge es jemals hätten tun können. Fireball war regelrecht versumpft und über dem Gerstensaft in dumpfes Brüten verfallen. Wie spät es tatsächlich war, als er Ramrods Rampe hinaufgetorkelt kam, konnte er nicht mehr sagen. Auf alle Fälle hatte er ordentlich mit dem Gleichgewicht zu kämpfen und statt Schuss ins Bett zu gehen, hatte sich der Rennfahrer noch für einen Umweg über die Küche entschieden. Fireball streifte den Türrahmen beim Eintreten mit der Schulter, hatte das Ding doch tatsächlich nicht den Weg freigemacht. Er rieb sich über die Schulter und murmelte: „Hoppla.“ Sabers Augen verengten sich und die abwehrende Haltung wurde noch schlimmer, als Fireball zur Küchentür rein gestolpert kam. Es war nicht zu übersehen, dass der junge Pilot einen leichten Zacken in der Krone hatte und das ließ den Blutdruck des Schotten ordentlich in die Höhe schnellen. Verdammt, sie hatten sich Sorgen gemacht, hatten ihn nicht erreichen können und deswegen auch kein Auge zugetan, und er kam angeheitert weiß Gott wann in der Nacht nachhause! Saber schnaubte verächtlich. Das war indiskutabel und nicht akzeptierbar. „Na, wie viele von uns siehst du?“, Colt hatte April im Arm und hob nun seine linke Hand in die Höhe. Er deutete mit den Fingern eine Zahl an, schwankte dabei aber. Auch der Cowboy war wenig begeistert von den Starallüren des Rennfahrers. April hatte an diesem Abend nicht nur eine Träne vergossen und das nur wegen Fireball. Colt zog kurz eine Augenbraue nach oben, das waren ganz neue Töne, die hier gespuckt wurden. April wischte sich über die Augen, sie war gerade eingeschlafen. Sie gähnte verstohlen und rückte noch ein Stückchen näher zu Colt auf. Ihren Blick senkte sie, nachdem sie Fireball nur kurz ausdruckslos angesehen hatte. Sie war enttäuscht, schwer enttäuscht. Der Rennfahrer hatte nicht damit gerechnet, dass überhaupt noch jemand wach war. So aber war er sich ziemlich sicher, dass es noch nicht allzu spät sein konnte. Obwohl er mit Sicherheit ein Bier zuviel getrunken hatte, hatte er sich noch ganz gut im Griff. Er musste seinen Freunden nicht gestehen, weshalb er sich betrunken hatte. Deshalb setzte der Japaner ein schiefes Lächeln auf: „Wow, was für ein Empfangskomitee. Ich sollte mich öfters verspäten.“ „Wo kommst du jetzt erst eigentlich her?“, Saber bemühte sich, nicht gleich ungehalten zu werden, auch, wenn es ihm schwer fiel. Sie alle hatten sich unendliche Sorgen gemacht. Die Tage, die sie hier auf Ramrod zurückblieben und darauf hoffen mussten, dass Fireball nichts geschah und er auch nichts anstellen konnte, waren eine Zerreißprobe für die Nerven. Und sie hatten alle nicht mehr die besten Nerven. Saber machte es wahnsinnig, wenn sich jemand nicht an Abmachungen hielt, egal ob berechtigt oder unberechtigt. Fireball steuerte unterdessen direkt auf den Kühlschrank zu. Mann, er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und die flüssige Nahrung brauchte auch noch eine Unterlage, damit sich die Decke später im Bett nicht drehte. Er steckte den Kopf hinein und antwortete auf Sabers Frage: „Aus irgendeinem Diablo. Aber ja, es war nett.“ Saber fuhr beinahe aus der Haut. Dennoch brachte er ruhig hervor: „Nett wäre gewesen, wenn du angerufen hättest, wo du so lange steckst.“ Colt hatte währenddessen seinen Arm enger um April gelegt und schlackerte beinahe mit den Ohren. Der freche Zwerg gab Saber ungehobelte Antworten und dachte sich nichts dabei. Was war denn da kaputt? Er blinzelte zu Saber hinüber, oh Mann. Unweigerlich schluckte der Amerikaner. Wenn der Japaner schlau war, und das konnte er nur sein, wenn er Saber endlich mal ansah, würde er gleich zu Kreuze kriechen. Denn jedem Blinden wäre aufgefallen, dass Saber richtig sauer war. Und er war zu recht sauer. Fireball kam indes wieder aus dem Kühlschrank hervor. Er hatte ein Blatt Käse und ein Blatt Wurst in der Hand und biss mit einem leichten Lächeln hinein. Ein bisschen wankend kam er an den Tisch und setzte sich neben Saber. Er sah ihn kurz an und kaute auf seinem Essen herum. Wenig diplomatisch ließ er sich zu einer Antwort hinreißen: „Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich konnte nicht ablehnen.“ Saber beobachtete den ungehobelten Klotz neben sich, dessen Fahne ihm nun direkt in die Nase stieg. Fireball roch nach Zigarettenqualm und Alkohol. Unmöglich, dass er so aus dem Oberkommando kam. Saber hakte skeptisch und nun auch offen mürrisch nach: „Wobei konntest du nicht ablehnen? Herrgott, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Fireball!“ Der Rennfahrer schluckte und antwortete patzig, wie er manchmal sein konnte: „Mein Vater hat mich in eine Bar entführt. Es hat länger als geplant gedauert, aber“ Saber unterbrach ihn aufgebracht: „Du hast was?! Fireball, ich glaub, ich hab mich verhört. Du warst mit deinem Vater außer Dienst einen trinken? Bist du komplett wahnsinnig geworden?“ Der Schotte konnte sich kaum auf seinen vier Buchstaben halten, so erregt war er im Augenblick. Ihm stieg die Hitze ins Gesicht und er musste höllisch aufpassen, um nicht noch ungehaltener zu werden. Das war doch hoffentlich nur ein blöder Scherz! Auch Colt spannte sich, das konnte April deutlich spüren. Aus den Sorgen, die sie alle vor wenigen Minuten noch gehabt hatten, waren Spannungen entstanden. Geladen richtete sich Colt ein Stückchen auf. Er hoffte für den Zwergenrebell, dass er bald wieder zur Vernunft kam, sonst konnte er für nichts mehr garantieren. Was zur Hölle war in Fireball gefahren? „Du hast dich nicht verhört.“, unbeeindruckt von Sabers scharfen Tonfall kaute er weiterhin auf seiner spärlichen Mahlzeit herum. Fireball stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und linste auf das Essen in seiner Hand. Er hatte keine Lust, sich von seinen Freunden zum Heinz machen zu lassen, das merkte man auch deutlich an seiner Stimmlage. Gereizt brummte er: „Ohnehin ist es nicht dein Bier, also was juckt’s dich?“ „Colt!“, erschrocken wich April vom Kuhhirten ab, als dieser aufgesprungen war und über den Tisch gelangt hatte. Er hatte Fireball eine runtergehauen, dabei sowohl eine Kaffeetasse, wie auch Essen vom Tisch befördert, aber sein Ziel hatte er nicht verfehlt. Die unerwartete Reaktion des Cowboys hatte April enorm erschrocken und sie war zusammengefahren. Mit ängstlichen Augen sah sie zu Fireball hinüber, der ebenso wenig damit gerechnet hätte. Saber hätte nun eigentlich etwas unternehmen sollen, aber tief in sich war er Colt unendlich dankbar für die Backpfeife. So hatte er sich nicht noch mehr zusammen nehmen müssen. Saber hätte nie im Leben ausholen können, aber getan hätte er es dennoch zu gerne. Zum ersten Mal überhaupt hielt Saber eine von Colts übertriebenen und hitzköpfigen Reaktionen für völlig gerechtfertigt. Fireball war damit viel zu weit gegangen. Colt drehte sich nach seinem Hut um, der ihm in der Eile nicht hatte folgen können und dabei auf der Sitzfläche gelandet war. Jetzt fühlte er sich definitiv besser. Manchmal verstand so jemand wie Fireball eben nur diese eine Sprache, wie sich Colt seinen Ausraster schönreden versuchte. Natürlich, es hätte gar nicht erst dazu kommen müssen, aber verdient hatte sie der kleine Rennfahrer auf alle Fälle. Er warf Fireball einen verächtlichen Blick zu, hoffentlich tat’s ordentlich weh und brachte ihn wieder zur Vernunft. Ziel- und treffsicher, wie eh und je, der alte Kuhtreiber. Fireball öffnete den Mund und hielt sich den Unterkiefer mit der rechten Hand. Er hatte einen harten Schlag drauf. Mit einem funkelnden Blick quittierte Fireball diese Zärtlichkeiten zu später Stunde. Er würde den Teufel tun und das auch noch kommentieren. Damit er vielleicht gleich noch eine einkassierte! Zittrig atmete der Rennfahrer tief durch. Warum hätte es zuhause besser laufen sollen, als in der Bar? Fireball warf einen Blick zu seinem Rettungsseil. Nach dem ersten Schrecken war April aufgesprungen und hatte gleich die kaputte Tasse vom Boden aufgehoben. Nun stand sie an der Spüle und holte einen Lappen, damit sie das Malheur wegwischen konnte. Sie vermied es tunlichst, sich bei dem Zwist einzumischen, es ging ihr auch so schlecht genug. April schluckte alles hinunter, was ihr auf der Zunge lag und was ihr die Tränen in die Augen trieb. Es hätte ohnehin keinen Sinn gemacht. Wer hörte in einer solchen Situation schon auf eine Frau? Die drei Jungs sollten das unter sich ausmachen, April konnte an diesem Abend nicht mehr. Colt verlieh seinen Taten indes mit seinen Worten noch einmal Nachdruck. Er drohte Fireball: „Und wehe ich hör sowas noch mal, dann kriegst du Flugstunden, Kurzer! Bah! Ich könnte durch die Decke schießen, ehrlich!“ Kurzer. Sein neuer Kosename und dessen Namensgeber waren der Grund dafür gewesen, dass Fireball an diesem Abend die Weisheit in einem Bierglas gesucht hatte. Und nun kam Colt auch noch mit dem Spitznamen an. Der Rennfahrer spürte, wie ihm trotz seines Schwips wieder in den Sinn kam, was sein Vater gesagt hatte. ‚Du wirst nicht alt…‘ Nein, verflucht, woher sollte sein Vater, ausgerechnet sein Vater, das wissen? Fireball wehrte sich gegen diesen Gedanken, er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Deswegen stand er nun auch auf und ging wieder zum Kühlschrank. Er nahm sich aus dem Gefrierfach eines der vielen Kühlkissen, die sie für alle möglichen Verletzungen ein gekühlt hatten. Jedes Mal wieder unterschätzte er die Kälte dieser Pads, wenn er sie auf eine Schwellung drückte. Sofort zog er seine Hand mit dem kalten Ding wieder vom Gesicht zurück. Er zog die Augenbrauen verärgert zusammen. Beim zweiten Anlauf drückte er das Gelkissen nicht mehr mit aller Gewalt an die Stelle. Trotzdem spürte er, wie eisig es gerade im Gesicht war. Wieder warf er April einen Blick zu. Sie half ihm nicht. Mit hängenden Schultern strich er für heute die Segel. Es war unnütz, jetzt irgendwas erklären zu wollen, keiner seiner Freunde würde es hören wollen. Deshalb wandte er sich nun zum Gehen. Fireball wünschte seinen Freunden noch eine gute Nacht und verschwand aus der Küche. Sie wischte über den Küchentisch, alles, was vom Kaffee darauf gelandet war, floss durch ihre Bewegung über die Tischkante nach unten auf den Boden. April kniete sich auf den Boden hinunter. Alles lag in Scherben. Zumindest fühlte es sich für die einzige Frau an Bord so an. Sie wischte nicht nur die zerbrochenen Teile der Tasse zur Seite, sondern auch ihre zersprungene Freundschaft. Die drei Männer waren aneinander geraten und sie war plötzlich mitten drin gestanden. Tränen stiegen ihr wieder in die Augen und sie musste sich auf ihren Händen abstützen. April biss sich auf die Lippen, sie wollte nicht weinen. Das kleine Ekel hatte es nicht verdient, dass sie um ihn weinte. Und dennoch. Beim nächsten Wimpernschlag vermischten sich ihre salzigen Tränen mit dem kalten Kaffe vom Boden. Sie spürte, wie ihre Arme zu beben begannen. Das Zittern wurde immer stärker, je verbissener sie versuchte, sich zusammen zu nehmen. April verteufelte sich. Obwohl ihr Verstand eindeutig Fireball die Schuld für diese nächtliche Ruhestörung gab, so plädierte ihr Herz für Verständnis. Es hatte ihr in der Seele wehgetan, als sie seinen Blick beim Verlassen der Küche aufgefangen hatte. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte nicht mit Fireball. April schloss die Augen und sog verzweifelt die Luft ein. Ihre Stärke verschwand mit einem herzzerreißenden Schluchzen. Saber warf Colt einen sorgenvollen Blick zu, ehe er sich aus der Bank schob und sich zu April hinab kniete. Während er ihr den Lappen abnahm und selbst zu putzen begann, schloss der Cowboy April in seine Arme und stand mit ihr auf. Der blonde Highlander hob die restlichen Scherben auf und warf sie in den Müll. Gedanklich schüttelte er den Kopf. Dieser Abend, nein, diese Nacht war eine ganz neue Erfahrung für den Schotten gewesen. Alles, was bisher in der Vergangenheit passiert war, musste zwangsläufig auch Auswirkungen auf ihre Gegenwart gehabt haben. Sabers Bedenken wuchsen ins Unermessliche. Welche Gegenwart hatten sie zu erwarten, sollten sie es doch noch einmal nachhause schaffen? Er wandte den Kopf von der Spüle, wo er den Lappen hineinfallen ließ, zur Tür und biss sich auf die Lippen. Seinen Piloten schien er nicht wieder zu erkennen. Und auch April war nicht mehr sie selbst. Da konnte die junge Frau behaupten, was sie wollte. Saber sah zu ihr und Colt hinüber. Sie stand da, vergrub ihr Gesicht in Colts Hemd und weinte bittere Tränen. Der Cowboy strich über ihre blonde Mähne, versuchte sie zu beruhigen, schaffte es aber lediglich, sich selbst schläfrig zu reden. Immer wieder gähnte er verstohlen. Saber schoss plötzlich durch den Kopf, dass April im Urlaub in Tokio bereits bedrückt gewesen war, seither hatte sich die hübsche Blondine verändert. Sie war ernster geworden, als ob sie einen Teil ihrer Träume und Hoffnungen verloren hätte. Saber ging auf seine beiden Freunde wieder zu, strich April über die Wange und flüsterte schließlich leise: „Hör bitte auf zu weinen, April.“ Colt nickte Saber leicht zu. Er hatte April an diesem Tag bereits trösten müssen, für die Tochter von Commander Eagle passierte in letzter Zeit mehr, als sie verkraften konnte. Sie war eben doch noch ein junges Ding. Das musste es sein. Colt fiel es wie Schuppen von den Augen. Warum war er da nicht gleich drauf gekommen? Er stupste Saber leicht an und neigte den Kopf Richtung Tür, damit er wusste, dass es um Fireball ging. Verschwörerisch meinte er: „Ob der Höhenflug vielleicht nervlich bedingt ist, Boss?“ „Hm…“, Saber runzelte skeptisch die Stirn. Hatte Colt vielleicht Recht? War das etwa Fireballs Reaktion, wenn er mit einer Situation nicht fertig wurde? Es war von Anfang an eine Schnapsidee gewesen, Fireball weiterhin ins Oberkommando arbeiten gehen zu lassen. Aber Saber waren diesbezüglich die Hände gebunden gewesen. Der Captain hatte entschieden, dass der Japaner auch ohne Versetzungsschreiben bei ihnen bleiben sollte. Saber fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Es musste schrecklich sein, jeden Tag seinem Vater gegenüber zu stehen. Anschließend fuhr sich Saber durch die Haare. Es bestand Handlungsbedarf. Aber nicht mehr heute. Sanft entschied er: „Lasst uns in die Federn gehen. Wir müssen morgen ohnehin wieder raus.“ Die Blondine wischte sich mit dem Handrücken über die verweinten Augen und trocknete ihre Tränen. Sie musste stark sein. Deshalb nickte sie Saber zu und schälte sich aus Colts tröstender Umarmung. Leise schlich sie in ihr Zimmer um dort im Schutz, aber auch in der Einsamkeit der Dunkelheit nachzudenken und zu verarbeiten, was sie heute erlebt und gesehen hatte. Auch Colt und Saber schlossen sich April an und gingen in ihre Zimmer. Keiner von ihnen war aus diesem Abend schlau geworden. Ob das an ihnen oder an dem Umstand an sich lag? Als er nachhause gekommen war, hatte seine Frau schon geschlafen. Shinji war ewig lange unschlüssig vor dem Lokal gestanden und hatte nicht gewusst, was er machen sollte. Auf der einen Seite hatte er sich gedacht, dass der junge Pilot gleich nach ihm den Nachhauseweg antreten würde, insgeheim hatte er sogar darauf gehofft, denn dann hätte er noch einmal mit ihm reden können. Auf der anderen Seite jedoch wäre er auch gern wieder hinein gegangen. Er hatte weder das eine noch das andere getan. Der erfahrene Pilot hatte ein Gespür für zwischenmenschliche Feinheiten entwickelt. Eine solche Feinheit war mitunter genau zu wissen, wen man vor sich hatte. Bei Fireball allerdings konnte man sich nicht sicher sein. Man wusste nie genau, was er gerade dachte, oder was er wirklich meinte. Das gefiel dem Captain nicht. Das gefiel ihm auch noch nicht, als er spät nachts noch am Wohnzimmertisch saß und versuchte, seine Beurteilungen fertig zu schreiben. Ein Pilot wie Fireball war ihm noch nie zuvor begegnet. Er wusste haargenau, was er mit den Jets in der Luft machen konnte und wie man seine Gegner in Schach hielt. Der kleine Krümel war verdammt flink in der Luft, er war ein richtiges Ass. Aber das alles konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass mit dem Japaner etwas nicht in Ordnung war. Er wusste für sein Alter einfach zu viel von Jets, war ein zu guter Pilot und hatte Kampferfahrung. Shinji verwettete alles, was er besaß, dass Fireball bereits in einem Krieg gewesen war, auch wenn er Gegenteiliges behauptet hatte. Aber er verstand es nicht, denn nirgends im Neuen Grenzland herrschte Krieg. Das hätte er als Mitglied des Oberkommandos mitbekommen. „Worüber grübelst du noch, mein Schatz?“, Ai setzte sich verschlafen zu Shinji an den Tisch im Wohnzimmer. Sie war wach geworden, wie so oft, wenn er noch nicht zuhause war, wenn sie ins Bett ging. Als sie ihn nicht neben sich im Bett gespürt hatte, war sie aufgestanden um nachzusehen. Sie machte sich Sorgen, wenn er spät nachts noch nicht zuhause war. Aber sie hatte ihn doch im Wohnzimmer gefunden. Er saß über einem Stoß Personalakten und kaute auf seinem Kugelschreiber herum. Er dachte angestrengt nach, suchte nach Antworten, das konnte ihm die zierliche Japanerin ansehen. Was nur trug er mit sich herum? Verblüfft sah Shinji von seinen Papieren auf. Er musterte seine Frau. Dabei wurde ihm klar, dass er eigentlich ganz wo anders sein sollte, als hier oder mit dem Kopf bei einem vorlauten Bengel, der doch nichts über sich erzählte. Sie sah umwerfend in ihrem Nachthemd aus. Ein Träger war ihr über die Schulter gerutscht und gab mehr elfenbeinweiße Haut frei, als gewöhnlich. Auch, wenn Ai gerade aus dem Bett gekommen war, so schürte es dennoch das Feuer des Piloten. Er liebte es, wenn sie verschlafen neben ihm saß, sich die strähnigen schwarzen Haare ohne Scheitel nach hinten strich. Dann liebte er sie mehr noch, als er es ohnehin bereits tat. Shinji liebte Ai, wie sie war. Sie war sein Ein und Alles. Seine Süße war unkompliziert, zärtlich, sexy, aber gleichzeitig auch seine beste Freundin. Mit ihr konnte er über alles reden. Nur darüber nicht. Shinji schlug frustriert die Akte zu und blinzelte seine Frau liebevoll an: „Ich suche lediglich nach den richtigen Worten, Süße.“ Natürlich war Shinji bewusst, dass er Ai angeflunkert hatte, aber er wollte sie nicht beunruhigen. Wüsste sie, dass er sich den Kopf wegen des Jungen zerbrach, würde auch Ai anfangen, sich Sorgen zu machen. Sie hatte den kleinen Frechdachs von Anfang an in ihr Herz geschlossen und erkundigte sich beinahe jeden Tag nach ihm. Shinji konnte ihr nicht beichten, dass ihm Fireball Sorgen machte. Er gähnte und streckte sich ausgiebig, ehe er aufstand und Ai in den Arm nahm. Shinji hauchte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze: „Die Worte können auch bis morgen warten.“ Shinji legte einen Arm um seine Frau und ging mit ihr ins Schlafzimmer. Für heute hatte er sich wirklich genug Gedanken gemacht. Spätestens morgen in der Arbeit würden sie ihn wieder einholen. Spätestens dann, wenn er den Jungen wieder sah, der ihm so ähnlich war und dessen Lebenserfahrung ihn verunsicherte. Während Shinji Hikari Senior über seinen Beurteilungen gebrütet hatte, war der Junior nach dem Fiasko in der Küche in den Kontrollraum davongeschlichen. Er saß in seiner Satteleinheit und überflog grob die Daten, die der Computer zum Ausbruch des Krieges gespeichert hatte. Das Königreich Jarr hatte laut den Aufzeichnungen noch Glück im Unglück gehabt, denn die Flugstaffel der Air Strike Base 1 war zum damaligen Zeitpunkt für ein Manöver im Königreich stationiert gewesen. Fireball ließ das Gelkissen achtlos neben seiner Satteleinheit auf den Boden fallen. Es war inzwischen warm geworden und brachte für seinen Kiefer keine Erleichterung mehr. Unterdrückt seufzte er. Sie hatten beschlossen, nicht in die Vergangenheit einzugreifen, ihre Gegenwart nicht zu verändern. Auch Fireball musste sich daran halten, sie hatten diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Aber es fiel ihm schwer. Die Helden von damals hatten für ihn ein Gesicht bekommen. Sein Vater war nicht nur sein Captain, sondern auch ein Freund. Zumindest empfand es Fireball so, denn der erfahrene Pilot half ihm in nahezu jeder Lage, ebnete ihm den Weg und begleitete ihn oft wie ein Schatten, der ihn beschützte. Aber gerade das war es, was Fireball innerlich zerfraß. Er lernte seinen Vater hier endlich kennen und er verstand sich gut mit ihm. Hier hatte er das kennengelernt, was ihm nie widerfahren würde. Es tat höllisch weh und egal wie oft sich der junge Pilot selbst vor Augen hielt, dass alles hier so niemals hätte passieren dürfen, machte es das Leben nicht leichter. Er konnte nichts dagegen unternehmen, er mochte seinen Vater, hegte tiefe Bewunderung für ihn, denn Shinji war ein guter und gerechter Captain. Ein richtiges Vorbild. Fireball schloss die Aufzeichnungen und stand auf. Alkohol war keine Lösung gewesen, denn im Endeffekt hatte es seine Gefühle lediglich verstärkt. Betrübt lehnte er sich gegen seine Satteleinheit und sah in die Nacht hinaus. Sie verschluckte alles in seiner Umgebung, warum nicht auch seine Krise? Er raufte sich die Haare und beschloss, noch einmal in die Küche zu gehen. Sein Magen vermeldete nämlich nach wie vor, dass er tagsüber zu wenig zu sich genommen hatte. Wie oft sie sich schon im Bett hin und her gewälzt hatte, wusste April nicht mehr, als sie wieder aufstand. Sie konnte nicht schlafen. Zuerst hatte sie stumm in sich hinein geweint, hatte ihre Gefühle und ihr Herz verflucht. Wieder hatte sie an die Worte von Ai denken müssen. Wieso nur tat es so schrecklich weh, einen Hikari zu lieben? April sah in Ai ein bisschen ihre Zukunft. Davor hatte sie aber auch Angst. Denn Ai war alleine. Fireballs Mutter hatte ihren Mann verloren und hatte sein Ebenbild aufziehen müssen. Ganz alleine. April wollte Fireball niemals verlieren, doch dazu musste sie ihn erst einmal haben. Manchmal dachte sie, sie würde einen ganz besonderen Platz in seinem Herzen einnehmen. Immer dann, wenn seine dunklen, warmen Augen sie anleuchteten und sein schelmisches Lächeln nur ihr galt. Ihr Herz an ihn zu verlieren war ganz bestimmt keine gute Idee, aber welche Wahl hatte sie gehabt? Gefühle ließen sich nicht beeinflussen und steuern. Das Schlimme war, dass sie automatisch den Weg einschlugen, der am schwersten zu gehen war. April schlich in die Küche hinüber, etwas zu trinken konnte nicht schaden. Mit kleinen Augen füllte sie den Wasserkocher mit Wasser an und schaltete ihn ein. Sie lehnte sich gegen die Anrichte, nachdem sie eine Tasse und einen Teebeutel vorbereitet hatte. Einen Augenblick erstarrte die Blondine, als sie zum Tisch hinüber gesehen hatte. Er war ihr gar nicht aufgefallen. April sog die Luft ein und zwang sich zur Ruhe. Aber ihr Herz pochte wie wild. Die Blondine hatte ihn nur einen Augenblick lang angesehen, dieser hatte jedoch ausgereicht, um ihre Ruhe zu vergessen. Fireball starrte auf die Tischplatte, auf der ein leerer Teller stand. April schluckte. Sollte sie etwas sagen? Unsicher senkte sie den Blick kurz auf ihre Füße. Dann hob sie den Kopf, straffte ihre Schultern und ging auf den Tisch zu. Leise setzte sie sich neben ihn. Er registrierte sie nicht einmal. April sah ihn an. Seine warmen Augen starrten sorgenvoll vor sich hin. Dann bewegte er sich. Fireball stützte den Kopf auf der rechten Hand ab und seufzte. April rang mit sich selbst. Eigentlich hatte sie nur eine Tasse Tee trinken wollen, nun aber saß sie hier, ihre Sorgen nahmen mit einem Schlag wieder überhand und der Rennfahrer bemerkte sie nicht einmal. Was war nur mit ihm los? April konnte fühlen, dass ihn etwas bedrückte. Und sie glaubte nicht, dass es der Schlag ins Gesicht von Colt war, der ihn nicht schlafen ließ. Er war nicht betrunken, das konnte April erkennen, dann hätte er sich anders verhalten. Aber verhielt sich Fireball nicht schon lange nicht so, wie sie es von ihm gewöhnt war? April saß hier neben ihm und sah an dem Rennfahrer hinab. Er wirkte traurig. Wieder drängten sich der Blondine die Bilder von ihrem letzten Urlaub ins Gedächtnis. Seine Vorliebe, Frauen schlecht zu behandeln, sein Schlüsselbund und sein Widerstreben, die Wiedergeburt seines Vaters sein zu sollen, kamen April wieder in den Sinn. Was hatte es mit dem dritten Schlüssel auf sich? Lange wollte sie ihn schon darauf ansprechen. War nun der richtige Zeitpunkt? „Du solltest schon längst im Bett sein, Matchbox.“, ihre Stimme war sanft, aber kaum mehr als ein besorgtes Flüstern. Sie strich Fireball eine Strähne seiner störrischen Mähne hinter die Ohren. Er wirkte viel reifer und erwachsener, auch nachdenklicher. Nie war der blonden Navigatorin aufgefallen, dass der junge Pilot nachdenklich gewesen wäre. Fireball sah von seinem Teller auf. Er hatte April gar nicht bemerkt. Fireball spürte ihre Fingerspitzen auf seiner Haut, ihre Fingernägel kitzelten über die empfindliche Stelle hinter dem Ohr. Sie jagte ihm hunderte Schauer über den Rücken. Fireball blickte geradewegs in ihre wunderbaren blauen Augen. Er war nicht bei der Sache, wusste nicht, wie lange sie schon bei ihm war. War sie noch böse auf ihn? Angestrengt versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Aber alles, woran er denken konnte, war April. Sie saß neben ihm, musterte ihn mit ihren wunderbaren blauen Augen und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. Sie verwirrte ihn nur noch mehr. Denn April hatte das rote Negligee an, das sie in Tokio gekauft hatte. Sie raubte ihm den Atem. Sein Blick wanderte von ihren Augen, an ihrem Hals hinab. Der Spitzensaum bewegte sich mit ihren regelmäßigen Atemzügen. Fireball wandte durcheinander den Blick ab, er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss, als ihm bewusst wurde, wo er hingesehen hatte. Er hatte April angestiert. April folgte Fireballs Blicken. Als sie bemerkte, wo er hinsah, blickte sie ebenfalls dort hin. Oh, mein Gott! April rückte sofort ihre Träger zurecht. Ihr Gesicht brannte wie Feuer. Ein tiefes Rot färbte ihre Wangen ein. Warum nur sagte er nichts mehr und sah lieber wieder die Tischplatte an? April spürte, wie sie immer nervöser wurde. In Momenten wie diesen fühlte sie sich wie ein naives Schulmädchen. Sie hatte keine Idee, wohin das alles führen würde, aber sie konnte die Wärme, die seine Haut ausstrahlte, auf ihrer deutlich spüren. Ihre Fingerspitzen wanderten am Haaransatz seinen Nacken entlang. Dabei spürte sie die Schauer, die sie ihm offenbar damit über die Haut jagte. April spürte deutlicher als jemals zuvor die Zuneigung, die sie für Fireball empfand. Sie sah zu ihrer Hand, die sich verselbständigt hatte und Fireball gegen die Wuchsrichtung der Haare den Nacken wieder hinauf strich. Ihre eigenen Gedanken gehorchten ihr nicht mehr, denn sie konnte nur noch daran denken, wie es wohl mit Fireball wäre. Sie schien jedes einzelne Haar zwischen ihren Fingern zu spüren. Noch ein Stück näher rückte die Blondine an den jungen Rennfahrer heran. April hauchte Fireball ins Ohr: „Rede mit mir, Turbo. Bitte…“ Dass ihr Teewasser längst fertig war, hatte April nicht mehr mitbekommen. Sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren. Die braunen Augen ihres Gegenübers fesselten sie. Alles andere war im Augenblick unwichtig für April. Die Hand in seinem Nacken schenkte ihm Liebkosungen. Fireball legte den Kopf leicht zurück und seufzte. Aprils Anwesenheit entspannte ihn. Der Wuschelkopf schloss einen Augenblick die Augen. Er musste träumen, ganz eindeutig. Als er seine Augen wieder öffnete, spürte er immer noch Aprils Hand in seinem Nacken, spürte ihre kreisenden Bewegungen auf seiner Kopfhaut und wie sie immer wieder gegen die Wuchsrichtung seiner Haare seinen Nacken entlang fuhr. Er bildete es sich nicht ein. April war da. Widerstrebend richtete er sich auf und musterte die Blondine. Der Rennfahrer verfing sich in Aprils Augen. Seine Hand berührte ihre Wange. Wie zart ihre Haut war. Durcheinander brachte sich der Japaner in eine andere Position. Er drehte ihr den Oberkörper entgegen. Fireball sah der Navigatorin tief in die Augen. Seine Finger strichen über ihre weiche Haut, zwischen ihre blonden Haare, die er ihr aus dem Gesicht zurück hielt. Wie hypnotisiert starrte er in ihr Gesicht. Dann flüsterte er: „Was willst du hören, Süße?“ Er würde ihr alles erzählen, ihr alles versprechen. Fireball hatte einen dicken Kloß im Hals sitzen. Sein Herz machte einen Sprung. April sah umwerfend aus. Ihre porzellanfärbige Haut, ihr Duft, der ihm unaufhaltsam die Sinne vernebelte. Fireball neigte den Kopf und hielt Aprils im Nacken fest. Seine freie Hand glitt über den roten Satinstoff über ihren Rücken. Erhörte er ihre Gebete? Anspannung machte sich in April breit, das hier war alles völlig neu und fremd für die Blondine. Aber auch erwartungsvoll schloss sie die Augen. Sie hauchte: „Ich will wissen, was mit dir los ist, Fire. Ich mache mir Sorgen. Große Sorgen.“ Sie spürte seinen warmen Atem, der ihr über die Wange strich. Er konnte nicht weit von ihr weg sein. Sie legte den Kopf in seine schützende Hand und vertraute ihm. Fireball schob sich an April heran, ihre Nähe machte süchtig. Er tastete sich nach ihren Lippen, knabberte leicht an ihrer Unterlippe. Sie schmeckte so gut. Fireball hauchte ehrlich: „Ich…“, wieder berührte er ihre Lippen: „bin gerade dabei, mich mit meinem Vater anzufreunden, Süße. Aber das darf ich nicht. Ich bin verwirrt.“, und wieder gab er April einen Kuss. Er berührte ihre Lippen kaum, dennoch konnte sie das Feuer und die Leidenschaft darin spüren. Leise fügte er noch hinzu: „Und ich weiß nicht, ob ich das kann.“ April verschloss ihm nun die Lippen mit einem Kuss. Es fühlte sich richtig an. Alles, was sie wollte, war ihn bei sich zu haben. Ihre Zunge bat ungeduldig um Einlass und ihre Hände hielten sich an Fireball fest. April zog ihn zu sich heran, er war immer noch zu weit weg für ihren Geschmack. War das die viel zitierte Liebe, die Colts und auch Sabers Augen strahlen ließ, wenn sie davon sprachen? April würde es sicherlich bald herausfinden. Sie wollte Fireball bei sich haben, so nahe es nur ging. Deswegen lehnte sich April zurück und zog den Japaner dabei mit sich. April legte sich auf den Rücken. Wie hätte er diese Einladung ausschlagen können? Fireball beugte sich über April. Seine Küsse wurden immer fordernder und leidenschaftlicher. Die Hände des jungen Rennfahrers erforschten ihren Körper, zogen an ihrer Kleidung, denn er wollte ihre Haut spüren. Fireball hatte zu denken aufgehört, alles, was er jetzt noch wollte, hielt er in seinen Händen. April. Das und nichts anderes wollte er im Augenblick. Seine Lippen glitten über ihre Wangen, verweilten kurz an ihrem Ohrläppchen und suchten sich anschließend einen Weg über ihren Hals und ihre nackte Schulter. Sie genoss seine Berührungen, jede einzelne davon. Davon wurde April ganz anders. Sie öffnete einen Moment lang ihre Augen und sah an Fireball und sich hinab. ‚Eine von vielen‘ schoss es April durch den Kopf. Erschrocken weiteten sich ihre Augen und die Blondine versteifte sich. Sie wollte nicht eine von vielen für Fireball sein. Sie wollte sich nicht in dieser fragwürdigen Liste eines Rennfahrers wie Fireball finden. April griff um seine Hände und schob sie von sich. Sie zog ihr Nachthemd wieder nach unten, konnte nicht mehr dort weitermachen. Sie durfte ihm ganz einfach nicht mehr geben, denn ansonsten hätte er ihr wirklich das Herz gebrochen. Schneller und einfacher, als sie es wollte. Irritiert hielt Fireball inne. Was hatte sie plötzlich? Ihr Ausdruck verriet ihm nur zu deutlich, dass sie nicht mehr wollte. Er war zu weit gegangen und hatte April eher verschreckt als ihr Entspannung gegönnt. Fireball richtete sich wieder auf. Was war nur in ihn gefahren? Hatte er wirklich gedacht, dass ein Mädchen wie April sich auf ihn einlassen würde? Fireball schüttelte den Kopf. Auch das nun reihte sich nahtlos in die Geschehnisse des Tages ein, die allesamt gleich bescheiden verlaufen waren. Fireball reichte ihr ohne hinzusehen eine Hand, damit sie sich wieder aufsetzen konnte. Zögerlich nahm sie die Hand an und setzte sich vernünftig auf die Bank. Sie fuhr sich durch die Haare, atmete schwer, denn ohne Zweifel hätte April gerne mehr gehabt, wenn er nicht ein Rennfahrer gewesen wäre. Und er war ein typischer Rennfahrer, das wusste April doch von den anderen. Er würde sich nicht ändern, nicht für sie. Bei diesem Gedanken stiegen April die Tränen in die Augen. Die Erkenntnis tat weh, ihr zersprang das Herz in der Brust. Noch dazu, weil Fireball sie nun nicht einmal mehr ansah oder nach dem Grund für ihre Zurückweisung fragte. Es schien ihm egal zu sein. Er hatte nicht bekommen, was er wollte und das war’s für ihn. April wischte sich über die Augen. Liebe war alles, nur nicht das, was Colt und Saber immer erzählten. So etwas schien es für April nicht zu geben. „Entschuldige, Süße.“, Fireball erhob sich und brachte seinen Teller zur Spüle. Er hatte sehr wohl aus den Augenwinkeln gesehen, dass er April mehr als nur verschreckt hatte, das tat ihm leid. Aber ihre Lippen waren so einladend gewesen, ihre Gesten hatten ihn aufgefordert. Es war wirklich nicht seine Absicht gewesen, eigentlich hatte der Rennfahrer immer gedacht, April hätte bereits Erfahrung, doch da hatte er sich wohl von ihrem Auftreten zu einem Trugschluss hinreißen lassen. April zog den Träger, den ihr Fireball vorhin von der Schulter geschoben hatte, wieder in seine ursprüngliche Position. Sie starrte auf den Tisch und hätte am liebsten sofort losgeheult. Sie war nichts besonderes für Fireball, er hatte sie einfach nur haben wollen, so wie alle anderen vor ihr. Sie hatte keinen besonderen Platz in seinem Herzen. Sonst hätte er ihr gesagt und gezeigt, dass er sie liebte. Es war gemein. Frauen verliebten sich wirklich immer in den falschen Typen. Während dem Piloten in der Küche allerhand Gründe einfielen, weshalb das kompletter Blödsinn gewesen wäre, wenn er und April miteinander geschlafen hätten, stand nun auch die Blondine vom Tisch auf. Sie verabschiedete sich mit einem schmerzlichen: „Träum schön, Matchbox.“ Na toll, jetzt konnte er erst recht nicht mehr schlafen. Nachdem April die Küche verlassen hatte, warf er einen Blick auf die Wanduhr. Wegen zwei Stunden brauchte er jetzt auch nicht mehr sein Kissen belasten. Fireball verzog das Gesicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht, wie das gerade gelaufen war. Das war zu seltsam gewesen. Nachdenklich setzte er sich auf die Anrichte. Er musste gerade die Fakten zusammenzählen und auswerten. Was war da eben gelaufen? Was war das zwischen April und ihm gewesen? Die Offiziersmesse war morgens nie gut besucht, das war Fireball an diesem Morgen auch ganz recht. Er hatte kein Auge in der Nacht zugetan, zu viel war ihm im Kopf herum gespukt. Von der blöden Geschichte im Diabo Pablo, über Colts Ausraster bis hin zu dem Versehen zwischen April und ihm war alles dabei gewesen. Nun saß er bei seinem vierten Kaffee und weigerte sich immer noch, etwas dazu zu essen. So richtig blau und verkatert zu sein war grauenhaft. Vertieft darin, sich einen Schlachtplan für diesen Tag zurecht zu legen, bemerkte der Rennfahrer nicht, wie sich jemand zu ihm an den Tisch setzte. Irgendwie musste er den Tag möglichst unauffällig rumkriegen und dabei hoffen, dass er seinem Vater nicht zu oft unter die Augen treten musste, der würde sonst spielend merken, dass er nicht ausgeschlafen war. Captain Hikari hatte ein gutes Auge für solche tagesbedingten Schwächen, vor allem bei seinen Schützlingen. Letzte Woche erst hatte er einen Kollegen nach dem gemeinsamen Mittagessen wieder nachhause geschickt, weil dieser die ganze Nacht über seiner kleinen, kranken Tochter gewacht hatte und dementsprechend übermüdet gewesen war. Fireball konnte sich den Luxus nicht leisten, denn er hatte ohne plausiblen Grund durchgemacht. „Hey, Kurzer! Was ist mit einem guten Morgen für deinen Captain?“, Shinji lehnte sich zu Fireball hinüber und hielt ihm die offene Hand vor Augen. Er saß schon geraume Zeit direkt vor dem jungen Spund, bisher hatte der aber noch keine Reaktion auf ihn gezeigt. Aufmerksam musterte er den kurzgeratenen Japaner. Puh, der war wohl wirklich spät erst aus dem Diablo rausgekommen. Der Captain konnte nicht anders, irgendwie fand er das zum Schießen komisch. Als Fireball endlich zu ihm aufsah, lachte er: „Du hast die Nacht zum Tag gemacht, Kurzer.“ Der Rennfahrer gähnte verstohlen und brummte lediglich: „Hm…“, bevor er wieder nach der Kaffeetasse langte. Es ging ihm nicht wirklich schlecht, womit er eigentlich nach dem dritten Bier schon gerechnet hatte, aber er war hundemüde und von einem klaren Gedanken war er an diesem Tag noch meilenweit entfernt. Für ihn galt es immer noch die Nachwehen seines gestrigen Ausflugs mit seinem Vater zu verdauen. Shinji grinste vor sich hin. Ihr Neuzugang war total blau. Wann er selbst das letzte Mal so aus der Wäsche geschaut hatte, wusste er zwar nicht mehr so genau, aber so wortkarg wie der Kurze war er dann auch gewesen. Dem hatte das Feierabendbierchen am Vorabend wohl zu gut geschmeckt. Shinji angelte nach einer ungebrauchten Tasse, die neben der Kaffeekanne auf dem Tisch stand und schenkte sich Kaffee ein. Dienstbeginn war erst in einer guten halben Stunde, niemand würde ihm böse sein, wenn er die restliche dienstfreie Zeit mit ihrem Neuzugang verbrachte. Lächelnd fragte er nach: „Hat gestern wohl länger gedauert, wie ich sehe, Kurzer. Wie viele Bier hattest du denn?“ „Eins, oder zwei. Irgend sowas in der Größenordnung.“, versuchte Fireball sich nicht gleich in die Karten schauen zu lassen. Sein Vater würde ihn eigenhändig durch den Fleischwolf drehen, wenn er sich sofort geständig zeigte. Der Japaner hatte darauf allerdings nicht wirklich Lust. Bisher hatte er seinen Vater noch nicht einmal angesehen. Es fiel ihm an diesem Morgen schwer. Aber nicht etwa, weil ihm so übel war, sondern nur, weil er vermeiden wollte, dass der Captain in seinen Augen die ganze bittere Geschichte lesen konnte. Shinji schluckte das braune Getränk hinunter und musste sich zusammenreißen, damit er nicht in schallendes Gelächter ausbrach. Meine Güte, das Lügen hatte der Naseweis auch nicht erfunden. Aber gerade das fand er an diesem Morgen zum Schießen komisch. Shinji hatte ewig lange wach neben seiner Frau im Bett gelegen und sich den Kopf zerbrochen. Nur hatte das, wie immer eigentlich, genau gar nichts geholfen. Irgendwie befreite es ihn zu sehen, dass der Kleine da nicht besser dran gewesen war. Nur im Vergleich zu ihrem Neuzugang sah Shinji taufrisch aus. Er lachte: „Plusminus zwei.“ Fireball verzog das Gesicht und antwortete: „Daumen mal pi halt.“ Er fuhr sich über die Augen, die an diesem Morgen noch kleiner waren als sonst. Fireball war nicht übertrieben gesprächig, das lag zum einen an der letzten Nacht und zum anderen an der Tatsache, dass er nicht reden wollte. Nicht mit seinem Vater. Der Rennfahrer wollte um jeden Preis verhindern, sich mit seinem Vater anzufreunden. „Ja, klar!“, der Captain amüsierte sich köstlich. Sein Grinsen wurde mit jeder Antwort von Fireball breiter. Der Kleine hatte sich zugeschüttet und jetzt war er total verkatert. Shinji hätte ihn niemals schimpfen können, auch, wenn er das unbedingt hätte machen müssen. Ganz eindeutig hatte er den jungen Hüpfer vor sich am letzten Abend vor eine Denkaufgabe gestellt, der er sich nicht hatte stellen wollen. Bei ihm endete es ebenfalls mit einem Bier zuviel. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er dann noch mit seiner Frau darüber redete. Naja, meistens jedenfalls. Letzeres hatte Shinji ja am Vorabend ausgelassen, weil er Ai nicht beunruhigen wollte. Er horchte Fireball weiter aus: „Und wie spät ist es geworden, Kurzer? Oder weißt du das gar nicht mehr?“ Fireball stützte den Kopf auf die rechte Hand. Wär er doch bloß gar nicht nachhause gegangen. Sein Blick haftete an seiner Tasse, die schon ordentlich Gebrauchsspuren aufwies. Weißes Porzellan war undankbar in einer Kantine. Der ansonsten quirlige Pilot brummte: „Irgendwann nach eins bin ich dann heim.“ Wow. Shinji musterte den kleinen Japaner wieder. War der etwa so zerknirscht, weil es bei ihm zuhause dann noch richtig rundgegangen war? Der Captain bemerkte, dass er eigentlich gar nichts über dessen Wohnsituation wusste. Klar war lediglich, dass er nicht bei seinen Eltern wohnte, denn die lebten in Tokio, von wo der Kurze ursprünglich herkam. Er traute es Fireball nicht zu, dass er alleine lebte, dazu war der Zwerg nicht der Typ. Das Grinsen wurde wieder ein Stückchen breiter, als er zu einer durchaus plausiblen Alternative gelangte. Das hatte zuhause noch Zoff gegeben. Oh Mann, da dürfte der Kleine von seiner Freundin ordentlich was zu hören bekommen haben, so betreten, wie er guckte. Shinji brachte kaum unverfänglich hervor: „Was hat sie gesagt?“ „Wer hat was gesagt?“, Fireball kam gerade überhaupt nicht mit. Worauf wollte sein Vater hinaus? Jeder andere hätte schon vier Mal ein Donnerwetter zu hören bekommen, das sich gewaschen hatte und er wurde von seinem Vater immer noch angelacht. Fireball sah endlich zu ihm auf. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Shinji erheiterte das alles ungemein. Da hing der Haussegen extrem schief. Während er seine Kaffeetasse verrutschte, kicherte der Befehlshaber der Air Strike Base 1: „Na, wer wohl? Deine Herzallerliebste! Hat sie dich auf die Couch ausquartiert?“ „Was?“, Fireball zog die Augenbrauen bedenklich zusammen. Im nächsten Moment allerdings fragte er sich, ob er die Geschehnisse vom Vorabend wirklich so sehr zur Schau trug. Fireball war, nachdem April in ihr Zimmer gegangen war, wieder in den Kontrollraum geschlichen. Statt sich in seine Satteleinheit zu setzen und die aufgehende Sonne zu beobachten, war er neben Aprils stehen geblieben und hatte gedankenverloren auf den leeren Platz geschaut. Hatte sie ihn zuerst so nahe an sich rangelassen, damit sie ihm mit ihrer Zurückweisung dann eins auswischen konnte? Fireball waren allerhand solche Ideen gekommen, aber keine schien ihm annähernd erklären zu können, was in der Küche passiert war. Jedes Mal, wenn er seine Augen geschlossen hatte, hatte er ihre Navigatorin vor sich gesehen, ihre Lippen geschmeckt. Sie war seine Traumfrau, das war sie vom ersten Augenblick an gewesen, aber erstens waren sie Kollegen und zweitens sollte er momentan andere Sorgen haben, als sein verrücktspielendes Herz. Fireball sah den Captain lange an. Wenn er nicht aufpasste, hatte diese Unterhaltung nur ein einziges Ziel verfolgt und das auch noch erreicht. Der Rennfahrer schluckte hart und wandte den Blick von seinem Vater ab. Er vertraute seiner älteren Ausgabe, fühlte sich im Großen und Ganzen gut bei seinem Vater aufgehoben. Und genau das war es, was er nicht hatte zulassen dürfen. Wenn er nun auch noch mit ihm über ein so heikles Thema wie Frauen sprach, hatte Fireball verloren. Shinji hielt seine Tasse fest und lachte gerade heraus: „Sie hat dich auf die Couch verbannt, aber hallo!“ Das gefiel ihm. Fireball war von seiner Freundin hundertprozentig aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verwiesen worden. Der Frechdachs hatte bei ihr nicht so viel zu melden, wie anderswo. Shinji lachte fröhlich auf. Oh wow, da hatte der Blitz gewaltig eingeschlagen und ein Feuer entzündet, das sich so schnell nicht löschen ließ. Das sah er dem Jungen an. Der war Hals über Kopf in seine Freundin verliebt, er konnte es in den dunklen Augen deutlich ablesen. Shinji erkannte darin das Feuer und die Leidenschaft, aber auch die Liebe, die der Hitzkopf empfand. Es erinnerte ihn sehr an ihn. Shinji war selbst in dem Alter gewesen, als er sich in Ai verliebt hatte. Shinji hatte sich selbst noch nicht gefunden, als ihm Ai über den Weg gelaufen war. Sie hatte Seiten von ihm nach außen gekehrt, von denen er nie für möglich gehalten hätte, dass er sie besaß. Ai hatte seine Mauer zum Einsturz gebracht, die er, wie sein Gegenüber, ständig um sich aufgebaut hatte, nur damit ihm niemand etwas an haben konnte. Er hatte damals ewig gebraucht um ihr zu sagen, was er für sie fühlte. Aber seit dem waren sie unzertrennlich. Niemand hatte es mehr geschafft, sie auseinander zu reißen. Keine Arbeit, keine Freunde und schon gar keine fremden Menschen. „Welche Couch zum Teufel?“, der junge Hikari brauste ungehalten auf. Er funkelte seinen Vater an. Doch gleich darauf schlug er seine Augen wieder nieder. Mit dieser Reaktion hatte er Captain Hikari das bestätigt, was er sich selbst nicht glauben wollte. Kleinlaut fügte er deswegen hinzu: „Ich habe mein eigenes Zimmer.“ Eigentlich hätte er jetzt auf den Tisch hauen müssen und den Jungen zurechtweisen, aber erstens unterhielten sie sich hier privat und zweitens hätte das sowieso nicht die gewünschte Reaktion hervorgerufen. Es wäre nicht glaubwürdig gewesen. Denn Captain Hikari hätte sich vor Lachen fast an seinem Kaffee verschluckt. Er hustete ein paar Mal, immer wieder lachte er dazwischen heiter auf. Als er sich endlich wieder soweit im Griff hatte um halbwegs ernst mit dem Kurzen reden zu können, hakte er interessiert nach: „Wieso getrennte Betten?“ Augenrollend antwortete Fireball: „Wieso nicht?“, da hatte er sich ordentlich was angefangen. Der Rennfahrer hatte seinem Vater an diesem Tag doch nicht einmal richtig unter die Augen treten wollen und nun saß er im wahrsten Sinne des Wortes beim Kaffeeklatsch mit ihm. Das konnte nur schief gehen. Schelmisch grinste der Vater zu seinem Spross hinüber: „Lässt sie dich nicht unter ihre Bettdecke, oder traust du dich nicht, Kurzer?“ Der Captain blühte neben Fireball auf. Hatte er am Vorabend noch gedacht, aus dem Bengel war gar nichts rauszubekommen, so wurde er beim richtigen Thema eines Besseren belehrt. Der Kleine war zwar nach wie vor nicht gesprächig, dennoch konnte man gerade sehr viel von ihm in Erfahrung bringen. Ging es um dieses bestimmte Mädchen, das Fireball den Kopf verdreht hatte, sprach er nämlich eher mit dem Herzen als mit dem Verstand. Er verplapperte sich dauernd. Shinji zwinkerte zweideutig. Wie sehr er sich in Fireball gerade wieder erkennen konnte. Das war unglaublich. Und da behauptete Ai immer, es gäbe nur einen solchen Sturkopf im Universum wie ihn. Da sollte er sie bei Gelegenheit einfach mal berichtigen, wie er festhielt. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt nun allerdings wieder dem Naturtalent, den er mit seiner frechen Aussage gereizt hatte. Fireball brummte. Langsam kam er sich wie ein großer Teddy vor. Seine braunen Augen huschten über den Raum und blieben kurz an seinem Vater hängen. Der hatte doch keine Ahnung! Aber wie sollte er auch? Shinji konnte nicht wissen, dass Fireball die Gefühle für April völlig fremd waren und er sie nicht aussprechen konnte. Er hatte ihr zeigen wollen, was er für sie empfand, doch das war ihr zu weit gegangen. Also so gesehen ließ April ihn nicht unter die Bettdecke, getraut hätte er sich schon. Dem erfahrenen Piloten saß an diesem Vormittag der Schalk im Nacken und sprang ihm bei jeder Gelegenheit über die Schulter. Shinji schoss gut gelaunt hervor: „Wozu denn auch? Geht doch auf dem Küchentisch genauso.“ Kaum hatte Shinji das mit einem schelmischen und durchtriebenen Grinsen ausgesprochen, hatte es auch schon gescheppert. Jetzt konnte sich Shinji erst recht nicht mehr zusammenreißen. Er hielt sich mit einer Hand an der Tischkante fest und beugte sich mit dem gesamten Oberkörper unter selbigen. Der junge Pilot hatte es nämlich vorgezogen, vor Schrecken unter den Tisch zu purzeln und dort erst mal Glühwürmchen zu spielen. Au Backe, da hatte er aber voll ins Schwarze getroffen. Lachend beobachtete der Japaner, wie sich Fireball wieder aufrappelte und sich um Fassung bemüht wieder an den Tisch setzte. Dem kleinen Piloten schien das alles höchst unangenehm zu sein, der leuchtete schlimmer als der Tower in der Nacht. Shinji biss sich auf die Lippen und zwang sich, an irgendwas Ernstes zu denken, sonst hätte er die ganze Offiziersmesse vor Lachen zusammengetrommelt. Das war gemein gewesen, aber trotzdem amüsierte sich Shinji köstlich. Dass er das noch erleben durfte. Der kleine Hüpfer war total verknallt und gleichzeitig ein Unschuldslämmchen, wie es im Buche stand. Nach einigen tiefen Atemzügen rang sich Shinji zu einem weiteren Statement durch. Allerdings vergewisserte er sich erst, dass sein Gegenüber auch wieder fest im Sattel saß. Nicht, dass er beim nächsten Mal noch den Tisch mit abräumte. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck versuchte er zu erklären: „Dir hat wohl niemand gesagt, dass es Dinge zwischen Mann und Frau gibt, für die man sich nicht schämen muss.“ Innerlich lachte der Captain bereits Tränen über das Gespräch. So ein Frühstück ließ er sich eingehen. Hätte er allerdings geahnt, was er mit seinem losen Mundwerk und seiner sagenhaften Trefferquote beim Raten anrichtete, er hätte sich den Mund zugeklebt. Fireball hätte fast den Tisch mit abgeräumt, als sein Vater den Spruch mit dem Küchentisch abgelassen hatte. Also, entweder hatte er das in Druckbuchstaben auf die Stirn tätowiert, oder es war in der morgendlichen Yuma Post gestanden. Woher sonst hätte der Captain das wissen können? Der Rennfahrer machte seinem roten Shirt, das er momentan nur noch in der Freizeit trug, alle Ehre. Die Ohren glühten und Fireball hatte das Gefühl, wenn er nun einen Schluck Wasser trank, würde der auf seiner Zunge verdampfen, so heiß war ihm gerade geworden. Ohne die Hilfe seines Vaters hatte er sich wieder an seinen Platz gesetzt und kaum hatte er sich wieder halbwegs gefangen, kam schon der nächste Querschläger auf ihn zugeschossen. Sein Dad hatte es faustdick hinter den Ohren. Resultat nun war allerdings, dass der quirlige Pilot, der ohnehin nicht zum Quatschen aufgelegt gewesen war, auch noch seine Frohnatur verlor. Verstimmt funkelte er seinen Vater an: „Das übernimmt normalerweise der Vater.“ Verwundert, vor allem aber wieder mit dem nötigen Ernst, hakte der Captain nach. Das hatte nicht weltbewegend geklungen. War das das mit sieben Siegeln verschlossene Buch, das Shinji öffnen musste, um mit dem Jungen Blutsbande zu schließen? Shinji sah in diesem Moment nicht nur seine Chance gekommen, Fireball besser kennen zu lernen, sondern auch, ihm ein Freund zu sein. Bisher hatte der Kurze davon nicht allzu viel gehalten. Aber alle brauchten Freunde, auch ein selbständiger Krümel wie der Japaner vor ihm. Vorsichtig fragte Shinji nach: „Hat er nicht?“ „Nein, weil abwesend.“, kam die knappe Antwort von Fireball. Dabei schloss er seine Hände um die Kaffeetasse, die sich schon zum wiederholten Male an diesem Vormittag geleert hatte. Fireball kam es so vor, als müsste er es noch genauer erklären, er hörte die nachbohrende Frage im Raum, auch wenn sein Vater ihn nur verständnisvoll ansah. So murmelte der junge Japaner deprimiert: „Und abwesend, weil tot.“ Da hatte er einen ordentlichen Fettnapf erwischt. Shinjis Lächeln war nun endgültig verschwunden. War das etwa der Grund weshalb der junge Spund am Vorabend deprimiert jeden weiteren Kommentar verweigert hatte? Der erfahrene Pilot konzentrierte sich auf seine nächsten Worte. Das Thema war auch ohne gemeine Sticheleien heikel und so verschlossen, wie der Japaner ohnehin schon war, wollte er nicht riskieren, dass der sich im Schneckenhaus verkroch und gar nicht mehr aus sich heraus ging. Shinji kratzte sich verlegen am Hinterkopf, als er versuchte, die richtigen Worte zu finden: „Das...“, es fiel sehr schwer, denn er konnte niemals das richtige sagen: „Tut mir leid für dich, Kurzer.“ Der Rennfahrer drehte und wendete seine Tasse auf dem Tisch, mit einer Hand hatte er den Kopf abgestützt und linste betreten auf den Tisch hinunter. Er war vorhin schon nicht gesprächig und übertrieben gut gelaunt gewesen. Mit jedem Wort von seinem Vater wurde es grade nur noch schlimmer. Wieder hörte er seinen alten Herren sagen ‚Du wirst nicht alt‘. Für einen kurzen Moment hob er den Kopf und musterte seinen Vater. So alt wie er wurde er alle mal noch! Trotzig flammte dieser Gedanke in Fireball auf. Aber was würde es helfen? Nichts würde es helfen, weil sich sein Vater nichts sagen ließ und weil er nichts sagen durfte. Fireball krallte seine Finger in die Wange. Er hatte hier und jetzt die Chance, das Leben seines Vaters und vieler anderer zu retten, aber er durfte einfach nicht! Langsam aber sicher begann sich Ramrods Pilot mitschuldig am Tod dieser Helden zu fühlen. So ein Schwachsinn aber auch. Er war erst nach dem Ausbruch des Krieges geboren worden, rein praktisch gesehen konnte er schon nicht schuld daran sein. Aber das seinem Gewissen zu erklären, würde länger dauern, als seinem Vater eine Spitzfindigkeit unter die Nase zu reiben: „Das soll vorkommen, wenn Väter nicht nachdenken, bevor sie losstürmen.“ Oh, Mann, da war der Zynismus zuhause. Shinji erkannte den Hüpfer beinahe nicht wieder. Der war doch sonst nie um einen Spruch verlegen und eigentlich immer nur am Lachen. Das hier war ihm gerade ganz fremd und ehrlich gestanden schürte es die Sorgen. Sorgen, von denen er bis vor zwei Minuten noch gedacht hatte, sie wären bloße Einbildung. Shinji rückte auf seinem Stuhl umher. Irgendwie musste er den Kurzen wieder aufmuntern können. Das konnte doch nicht so übertrieben schwer sein, zumindest hoffte der erfahrene Pilot das. Er wagte einen Vergleich: „Wenn du nur ein bisschen was von deinem Vater hast, dann bin ich mir sicher, dass er keine unüberlegten Sachen macht. Nicht, wenn es um etwas geht.“ Fireball schluckte schwer. Keine unüberlegten Sachen machen. Da war der Beweis. Der Captain kannte Fireball nicht. Denn wäre er nur annähernd in einer Position gewesen, wie Colt, Saber oder auch April, dann hätte er sich den Spruch eben verkniffen. Sogar er selbst wusste, dass er in brenzligen Momenten lieber losstürmte als über die Konsequenzen nachzudenken. Sein Vater, der ihm gegenüber saß, war da nicht so, zumindest nicht so extrem. Er war Captain einer Flugstaffel, konnte es sich nicht leisten, ohne nachzudenken Befehle zu geben. Shinji war ruhig und überlegt, zumindest was die Arbeit betraf. Da hatte der ältere Hikari die Ruhe weg. Gut, er konnte auch laut werden, aber niemals zu Unrecht. In der Hinsicht hatten sie nichts gemein. Fireball sah zu Shinji auf, als er murmelte: „Dann hab ich da wohl nichts von ihm abbekommen.“, kaum hatte er den Satz zu Ende gebracht, schlug er die Augen wieder nieder. Schade eigentlich. Ein bisschen mehr Disziplin würde ihm nicht schaden, das sah der Wirbelwind selbst ein. „Glaub ich nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen, Kurzer.“, garantiert hatte der junge Spund mehr von seinem Vater als von seiner Mutter. Shinji schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie stolz sein Vater auf den Knirps da wäre, wenn er nur sehen könnte, was aus ihm geworden war. Shinji war nämlich heimlich auch stolz auf Fireball. Er hatte sich schnell hier zurechtgefunden, kannte die Regeln im Oberkommando bereits jetzt und brachte frischen Wind in die eingestaubte Staffel. Shinji sah an Fireball hinab. Der Junge hatte alles, was es brauchte, um seine Eltern stolz sein zu lassen. Ein wehmütiges Lächeln verdrängte das Schmunzeln. Ai und er hätten einem Kind wie Fireball sofort ein Zuhause gegeben. Er kam nicht umhin tiefes Mitgefühl für Fireball zu empfinden. Und da war noch etwas. Das Gefühl war Shinji völlig fremd, denn woher hätte er auch wissen sollen, wie sich Elternliebe zeigte. Wieder versuchte er, den Bengel aufzuheitern: „Deine Eltern können stolz auf dich sein. Egal, wie viel du von ihnen hast.“ „Sowas wird mein Vater nie erleben.“, dabei linste er zum Captain hinüber, nur um gleich darauf den Blick wieder betreten zu senken. Es war ganz einfach nicht fair, was gerade passierte. Fireball saß hier mit seinem Vater, der gestorben war noch bevor er erfahren hatte, dass Ai schwanger war. Er würde nie etwas von seinem Spross zu sehen bekommen. Fireball krallte seine Finger in seinen Wuschelkopf und kniff die Augen zusammen. Konnte das alles nicht bald ein Ende nehmen? Es setzte ihm zu. Die Worte seines Vaters machten es nur noch schlimmer, gerade weil er die Fürsorge heraushören konnte. Fürsorge, die Fireball nie von ihm erfahren würde. Es war höchst beunruhigend, wie sich das Gespräch gerade entwickelt hatte. Von Katerstimmung beim Nachwuchstalent und Schadenfreude bei ihm, war nicht mehr viel geblieben. Genau genommen, gar nichts mehr. Shinji hatte, ohne es zu wissen, ein hochsensibles Thema angeschnitten. Die Auswirkungen waren gewaltig gewesen. Aber der Captain hatte auch noch etwas anderes bemerkt. Er hatte einen Zusammenhang zwischen dem Vorabend und den Worten, die bisher gefallen waren, herstellen können. Der Hund lag wirklich in der Familie des Kurzen begraben. Wenn er Fireball so betrachtete, bildete sich ein Knoten in seiner Fliegerbrust. Der Junge war ohne Vater aufgewachsen. Es machte ihm schwer zu schaffen. All das konnte man an Fireball sehen, das was man allerdings von ihm hören konnte, ergab nicht viel Sinn. Irritiert hakte er nach: „Wird?“, da musste er sich versprochen haben. Aufbauend versuchte er, die Unterhaltung vom Tisch zu bekommen, bevor da noch mehr verging, als nur das Lachen: „Ach, Kurzer, jetzt mach dir keinen Kopf wegen sowas. Wenn du mich fragst, sind andere Sachen grad wichtiger.“ „Väter sind wichtig.“, widersprach Fireball mutlos. Eine Mischung aus allen möglichen Gefühlen stieg in ihm auf. Sein Vater, der Captain, der vor ihm saß, hatte nicht nur sein Leben leichtsinnig in einem Kampf, der nicht zu gewinnen gewesen war, aufs Spiel gesetzt, sondern auch Ai zurückgelassen. Shinji hatte seine Frau einfach im Stich gelassen, als sie ihn gebraucht hätte. Gut, das gestand Fireball ihm im gleichen Atemzug zu, er hatte nicht gewusst, dass Ai ein Kind erwartete, aber es war dennoch kein Grund für dieses Kamikazemanöver gegen Nemesis. Ai hatte sich nach dem Tod seines Vaters um hundertachtzig Grad gedreht. Aus einer lebensfrohen Frau war ein Mensch geworden, der zurückgezogen lebte und niemanden mehr zu nahe an sich heran ließ. Das stieß Fireball bitter auf. Er schluckt hart: „Und dass sie sich um ihre Frauen kümmern, anstatt Risiken einzugehen.“ An dieser Stelle musste Fireball die Unterhaltung abbrechen. Er konnte seinem Vater nicht mehr in die Augen sehen, er konnte ihn überhaupt nicht mehr ansehen, oder ihn in seiner Nähe spüren. Deshalb stand er auf und ging an ihm vorbei: „Entschuldigen Sie mich.“ Shinji schob seinen Stuhl zurück und stand ebenfalls auf. Der Schmerz in der Stimme des Jungen war zu deutlich gewesen, seine Reaktion darauf nur zu verständlich. Aber Shinji konnte ihn so nicht einfach gehen lassen. Er legte ihm seine Hand auf die Schulter und sah ihm dabei ins Gesicht: „Hey…“ Seine Stimme war sanft und warm. Sie war die eines Vaters. Als Shinji das bemerkte, erschrak er einen Augenblick. Weshalb fühlte es sich plötzlich so seltsam an? Weshalb hatte er das Gefühl, dem Jungen nicht nur ein Freund, sondern ein Vater sein zu müssen? Es zu wollen? Shinji schluckte kurz. Er strich ihm über die Schulter und versuchte, Fireball zu beschwichtigen: „Es war bestimmt wichtig, Kurzer. Sonst hätte er dich und deine Mutter nicht allein gelassen. Wer würde denn so ein Unikat wie dich nicht aufwachsen sehen wollen?“ Shinji war sich ganz sicher. Fireballs Vater musste einen guten Grund gehabt haben, um seine Familie im Stich zu lassen. Vielleicht hatte er es sogar getan, um seine Familie zu beschützen. Ganz eindeutig aber war das der falsche Weg gewesen. Shinji selbst würde so etwas niemals tun. Nein, ein kleines Kind und seine Mutter war nichts auf dieser Welt wert, dass man sie zurücklassen würde.“ ‚Du‘, es nicht aussprechen zu können, erstickte Fireball beinahe. Das war viel zu viel für ihn. Angriff und Verteidigung waren gerade nicht das, was Fireball konnte, deshalb zog er den Rückzug vor. Egal, was sein Vater noch sagen konnte, er würde ihm damit weder etwas Gutes tun noch ihn wieder aufheitern oder ihn trösten. Der Captain würde es nur noch schlimmer machen. Fireball war nie zuvor so mit seiner Familiengeschichte konfrontiert worden. Jarred und Charles hatten wenn, dann überhaupt nur Positives erzählt und seine Mutter hatte ihm ohnehin immer nur einen Spiegel vors Gesicht gehalten. Mittlerweile war der Spiegel gar nicht mehr nötig. Ohne zu seinem Vater aufzusehen, streifte er dessen Hand von seiner Schulter und setzte sich in Bewegung. Er musste raus, er musste weg von seinem Vater. Ging er bis zum Ausgang noch, so wurde er hinter der Tür schon schneller, bis er schließlich lief. Fireball lief so weit weg er nur konnte. Mit der Reaktion hatte er nun absolut nichts anfangen können. Shinji stand vollkommen verdattert neben dem Frühstückstisch und sah dem Landsmann nach. Was hatte er da nur angerichtet. Besorgt rief er hinter dem Bengel her: „Shinichi?“ Keine Reaktion. Shinji kam nicht einmal mehr einen Blick von Fireball zugeworfen. Ehrlich unschlüssig blieb der Captain am Tisch zurück. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Was hatte er nur getan? Shinji ging einen Schritt nach vor. Sollte er hinter dem Jungen her? Sein Kopf riet ihm dazu, ihn in Ruhe zu lassen, denn offenbar war alles, was er im Bezug auf dessen Vater gesagt hatte, falsch gewesen. Aber sein Herz zwang ihn förmlich dazu, gerade jetzt für den blutjungen Piloten da zu sein. Noch ein Schritt. Der Knirps brauchte ganz dringend jemanden, der nun für ihn da war, denn dessen Familiengeschichte schien ihn enorm zu belasten. Ehe es sich Shinji versah, eilte er auch schon hinter dem Spross hinterher ins Freie. Wo war er hin? Shinji entdeckte Fireball im Freien nicht sofort, er fiel ihm nur auf, weil er der einzige war, der lief. Und der Kurze war verdammt flink auf den Beinen. Shinji klemmte sich sofort dahinter und hoffte, den Jungen noch einholen zu können. Wo lief Shinichi überhaupt hin? Er verfolgte den kleinen Japaner quer über den Innenhof, vorbei an verdatterten und verwirrten Kollegen, bis in den hintersten Winkel der Anlage. Jetzt oder nie! Shinji musste ihn hier noch erwischen, sonst wäre Fireball über alle Berge davon. „Hey!“, Shinji bekam Fireball an der Schulter zu fassen. Er stoppte den Rennfahrer und sich. Völlig außer Atem, aber verdammt besorgt sprach er ihn wieder an: „Hey... Wart, bleib stehen, Kurzer. Das…“, er wusste wieder nicht, was er sagen sollte. Shinji sah in die braunen Augen seines Gegenübers. Was hatte er mit seinen Worten bloß für einen Schaden angerichtet? „Es ist bestimmt nicht leicht, das weiß ich. Und deswegen... Lass uns jetzt darüber reden.“ Warum nur durfte er im Moment nicht mit seinem Kummer alleine sein? Fireball war quer über den Hof gelaufen, hatte dabei weder auf Offiziere noch sonst jemanden geachtet, weil er ohnehin nicht viel gesehen hatte. Mit Tränen in den Augen hatte er von dieser Situation Reißaus genommen und versucht, nur noch weg von seinem Vater zu kommen. Als dieser ihn zum Stehenbleiben gebracht hatte, hatte sich Fireball sofort mit beiden Händen übers Gesicht gewischt. Niemand musste sehen, wie er sich im Moment fühlte. Ganz besonders seinen Vater ging es nichts an! Der junge Shinji schüttelte heftig den Kopf. Er wollte nicht reden. Er konnte nicht! Wieder riss er sich von seinem Captain, von seinem Paten, von seinem Dad los. Fireball wollte nur noch weg von ihm. Shinji ließ sich nicht so einfach abschütteln. Hier ging es um zu viel. Der Pilot hatte ein ganz ungutes Gefühl. Seine Besorgnis spiegelte sich eins zu eins in seiner Stimme wider. Wieder nahm er Fireball an der Schulter, dieses Mal mit beiden Händen und zwang ihn, zumindest stehen zu bleiben. Dass dieser den Kopf hängen ließ und dabei wirkte, wie ein todunglückliches Kind, schnürte dem Captain beinahe die Luft ab. Fireballs Haltung machte es ihm schier unmöglich, nicht gleich mit in diese Stimmung zu verfallen. Er versuchte offen, ihm zu helfen: „Wir hier sind Freunde, wir sind eine Familie. Rede dir von der Seele, was dich mürbe macht. Es ist nicht gut, es ist einfach nicht gut, wenn du dich so durchs Leben schlagen versuchst“ „Genau das ist das Problem!“, mit funkelnden Augen blitzte Fireball seinen Vater an. Mit aller Kraft riss er sich von seinem älteren Pendant los, stieß ihn dabei beinahe um. Fireball konnte keine Sekunde länger die Nähe seines Vaters ertragen. Er starb dabei beinahe, sah dieser Sturkopf das nicht ein?! Er ging an ihm vorbei und feindete ihn an: „Lass mich in Ruhe!“ Dass weder der Ton noch die Anrede die passende waren, fiel weder Vater noch Sohn auf. Während Fireball an Shinji vorbei ging, musste der Vater mit ansehen, wie Wut, Zorn und Kummer eine Mischung heraufbeschworen, die es einem unmöglich machten, zu helfen. Fireball ließ sich nicht helfen, wollte nicht reden. Der sture Bock war schlimmer als alles bisher Dagewesene! Shinji wollte ihn ziehen lassen, aber das konnte er nicht. Leise und sorgenvoll, sprach er ihn wieder an: „Kurzer...“, der Captain klang beinahe flehentlich. Seine Sorgen nahmen noch eine Spur zu, weil der Junge nicht mehr auf ihn hören wollte. Er murmelte: „Bleib bitte da.“ Shinji sah Fireball nach. Nein, das konnte einfach nicht gut sein, was der Kurze da machte. Es schlug sich doch auf alle Lebensbereiche nieder. Fireball lebte mit einer großen Lücke in seinem Leben, war aber nicht fähig, diese Lücke selbständig zu schließen. Wie denn auch? Er konnte sich den Vater schlecht ersetzen. Aber Shinji konnte das. Zumindest konnte er es versuchen. Der Captain schloss einen Moment die Augen. Wie brachte er ihn nur dazu, mit ihm zu reden? Als er die Augen wieder öffnete, hatte er nur eine brauchbare Idee zur Hand. Und die war ihm eingefallen, weil er es nicht besser wusste. Er bezog den risikoreichen Flugstil seines Schützlings mit ein: „Willst du deswegen frühzeitig unter die Erde?“ Fireball wehrte sich mit Händen und Füßen gegen das, was gerade ablief. Aber es half ihm nichts. Die Worte seiner Mutter kamen ihm in den Sinn, nun dieser unsinnige und böse Kommentar seines Vaters. Er mochte ihm ähnlich sehen, ja, aber er war nicht sein Vater! Kraftlos versuchte Fireball auch den Captain davon zu überzeugen: „Nein, ich bin nicht wie du.“ Ohne sich umzusehen hatte er ihm das gesagt. Fireball spürte die Tränen in den Augen. Dass er sich mit diesem Gespräch bei seinem Vater mehr als nur verraten haben könnte, spielte gerade keine Rolle. Ihm blutete das Herz und er fühlte sich, als würde er mit jedem Atemzug ein bisschen mehr sterben müssen. Da war ihm gerade herzlich egal, wie er seine Zukunft verändern konnte. Seine Vergangenheit änderte sich jedenfalls nicht! Er würde ohne Vater aufwachsen, nie in den Genuss kommen, mit seinem Vater zusammen zu arbeiten oder einfach nur rumzualbern. Er verschwand in Richtung Hangar. Der Captain sackte indes in den Staub und sah seinem Spross mit aufgerissenen Augen nach. Er verstand gar nichts, wusste nur, dass etwas entsetzlich schief gelaufen sein musste. Kapitel 6: Luftikusse und andere Hoppalas ----------------------------------------- Aller guten Dinge sind drei... Beim dritten Versuch werd ich jetzt wohl hoffentlich alles drin haben, was da so rein gehört ^^... Mensch, wie peinlich *kopfschüttel* Vom Kurzen war an diesem Tag nicht mehr viel zu sehen gewesen. Shinji war zu perplex gewesen, als Fireball nach dem ungewöhnlichen Frühstück wieder seiner Wege gegangen war, um irgendwie reagieren zu können. Nun quälten den Captain erneut die Sorgen um das Nachwuchstalent. So professionell und gut er auch flog, bei einem bestimmten Thema ging das alles flöten. Shinji schien es, als wollte der Kurze nicht nur nicht darüber sprechen, sondern auch, als könnte er damit nicht umgehen. Es fiel dem Captain an diesem Tag schwer, dem täglichen Geschäft nachzugehen, aber er war der Captain einer Einheit. Die einzelnen Piloten brauchten ihn, ohne ihn würde das System zusammenbrechen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als die Gedanken an den jungen Spund zur Seite zu schieben und auf den Feierabend zu verlegen. Pünktlich zum Feierabend kamen nicht nur die seltsamen Gedanken wieder hervor, sondern ließ sich auch Fireball wieder bei ihm blicken. Shinji hatte ihn an diesem Tag nur beim Mittagessen kurz gesehen und ein oder zwei Mal im Hangar bei den Gleitern. Dabei war ihm aufgefallen, dass sich der Krümel mit Mechanikern unterhalten hatte und auch mit ihnen an einem Gleiter gearbeitet hatte. War der kleine Pilot auch noch ein Multitalent. Als er Fireball getroffen hatte, hatte der Captain versucht, ihn zu behandeln, als hätte dieses Gespräch am frühen Vormittag niemals stattgefunden. Mit einem neckischen Lächeln schickte er Fireball unter die Dusche. „Schiff ahoi, Captain!“, der Cowboy hob den Hut kurz zum Gruß vom Kopf und lachte Fireballs Vater übermütig entgegen. Es war ein herrlich sonniger Tag und der Kuhhirte hatte allen Grund um sich zu freuen. Saber hatte entschieden, dass sie heute alle ausnahmsweise mal den großen Cowboy verlassen durften. Natürlich war das wieder mit Einschränkungen verbunden gewesen, aber hey, Colt sah mal wieder andere Menschen als Saber, April und den unzuverlässigen Rennfahrer! Zu spät! Saber hatte Colt noch anstoßen wollen und ihn daran hindern, auffällig zu sein, aber da war ihm der Kuhhirte schon einen Schritt voraus gewesen. Hoffentlich kamen sie da halbwegs heil wieder raus. Den dreien hatte der gestrige Abend gereicht, von unliebsamen Überraschungen hatten sie mal die Nase gestrichen voll. Deshalb standen sie nun auch mitten im Oberkommando. Sie hatten Fireball abholen wollen. Nur waren sie nicht dem jungen sondern dem alten Hikari in die Arme gelaufen. Jetzt verstand Saber Fireball auch, als dieser gemeint hatte, der Captain wär immer dort, wo man ihn nicht haben wollte. Von daher war es wirklich kein Wunder, dass Fireball gleich am ersten Tag mit ihm zusammengetroffen war. Auch April war mitgegangen, allerdings nur widerstrebend. Der einzig gute Grund für sie war gewesen, dass sie Ramrod und die Lichtung mal verlassen konnte. Fireball hätte sie an diesem Tag lieber nicht getroffen. So aber stand sie nun seinem Vater gegenüber und bekam einen Vorgeschmack auf das Aussehen des Rennfahrers in zwanzig Jahren. Durchaus attraktiv für sein Alter und charismatisch. Schnell senkte April den Blick von Captain Hikari, als sie sich bei diesem Gedanken ertappte. „Hey, du Schmalspurmatrose!“, kommentierte Shinji Colts Begrüßung in einem scharfen Tonfall. Er musterte die drei, konnte diese Bande allerdings niemanden zuordnen. Deshalb sah er sich noch genötigt, ihnen die Einrichtung näher zu bringen, in der sie sich befanden. „Du stehst hier im Oberkommando und nicht bei den feuchtfröhlichen von der Navy! Siehst du hier irgendwo Wasser?“ Verblüfft setzte sich Colt den Hut wieder auf. Von der Schlagfertigkeit des älteren Hikari war er tief beeindruckt, da könnte man fast glauben, der Rennfahrer hätte geantwortet. Aber es unterstrich auch das gute Verhältnis zwischen den einzelnen Institutionen der vereinigten Streitkräfte. Die Army konnte die Marine nicht riechen und die Luftwaffe war sowieso etwas Besseres. Das war auch in jeder Zeit gleich, wie Colt schmunzelnd festhielt. Bevor Colt ihm wieder zuvor kommen konnte, sprach nun Saber vor. Er machte einen Schritt auf Captain Hikari zu und salutierte angemessen: „Guten Abend, Captain.“, nun aber suchte er nach den richtigen, nicht allzu verräterischen Worten, weshalb sie hier waren. Mit einem freundlichen, aber unbestimmten Lächeln erklärte er: „Wir wollten einen Freund von uns abholen.“ Wieder fiel ihm Colt ins Wort: „Wir suchen unseren Rennfahrer, wissen Sie?“ „Wen?“, mit zusammengezogenen Augenbrauen hakte Shinji nach. Die drei waren verdammt jung, die konnten doch schlecht Freunde von einem seiner Piloten sein. Oder…? Shinjis Gesichtsausdruck entspannte sich wieder. Gut möglich, dass sie Bekannte von seinem Neuzugang waren. Die Blondine half ihren beiden männlichen Kollegen aus, die sich beide wohl nicht klar genug ausgedrückt hatten. Sie erklärte dem Captain in einem ruhigen, aber sehr unsicheren und auch traurigen Tonfall: „Entschuldigen Sie uns bitte, Captain Hikari. Wir wollten Fireball abholen.“ Irgendwie sah der Captain immer noch fragend aus der Wäsche. Saber runzelte die Stirn. Der gute Captain war wohl auch nicht immer auf dem richtigen Dampfer, wie Saber gleich darauf schmunzelte. Ein Hikari eben, vom Scheitel bis zur Sohle. Der Schotte konnte Fireball in Shinji erkennen, dazu brauchte man nicht viel Fantasie. Freundlich gab er noch einen Hinweis auf den Grund ihres Besuches: „Wir warten auf unseren Piloten, Captain Hikari.“, mit der rechten deutete der Schotte auf die Höhe seiner Schulter, denn größer war Fireball nicht, dabei beschrieb er ihn: „Etwa die Größe, braune, japanische Augen und ein loses Mundwerk.“ Die drei gehörten wirklich zu Shinichi. Shinji warf einen prüfenden Blick auf die Rasselbande. Die waren alle noch nicht übertrieben alt. Junges Gemüse, vor allem das blonde Mädchen. Der Pilot nahm sich Zeit, um die drei irgendwohin zuzuordnen. Er wollte wissen, woran er bei ihnen war. Die waren total unterschiedlich, die konnten doch nicht wirklich alle gute Freunde sein. Aber so sah es aus. Immerhin standen sie dort, vor ihm, und warteten auf ihren gemeinsamen Freund. Shinji schmunzelte und ein kleiner Teil seiner Sorgen verpuffte wieder. Der Kurze war nicht ganz alleine. Immerhin etwas. Als er April genau betrachtete, zeichnete sich ein verräterisches Lächeln auf seinen Lippen ab. Das war das Mädchen, das Shinichi nicht unter ihre Bettdecke ließ. Das Grinsen wurde breiter und Shinji legte den Kopf schief. Ein paar Jahre jünger, wenn er wäre, zu ihr würde er nachts auch gerne unter die Bettdecke schlüpfen. Seit dem gestrigen Abend schien allerdings der Wurm in der jungen Beziehung drin zu sein. Das hatte er an Aprils Stimmlage erkannt. Shinji seufzte kurz und erklärte den drei Fremden schmunzelnd: „Ich hab den Kurzen unter die Dusche geschickt. Er kommt sicher gleich.“ Nun hatten sie lange genug vom Teufel gesprochen. Just in dem Moment kam Fireball pfeifend um die Ecke geschossen. Ohne im ersten Augenblick großartig auf die Menschen neben Captain Hikari zu achten, salutierte er im Vorbeigehen und verabschiedete sich: „Ich lass heute mal pünktlich Schicht, Captain. Wir sehen uns morgen.“ Im nächsten Moment hatte sein Gehirn verarbeitet, was seine Augen an Information hingeschickt hatten. Er bremste sich scharf ab und riss entsetzt die Augen auf. Auch das noch! Der Tag war ohnehin nicht prickelnd gewesen und er hatte den ganzen Tag gebraucht, um endlich wieder seine Laune zu heben. Mit den Mechanikern einen Gleiter zu reparieren hatte dabei geholfen, seine Freunde hier allerdings Habt acht stehen zu sehen, vernichtete das Ergebnis harter Arbeit im Handumdrehen. Er fragte irritiert: „Was macht ihr hier?“ Fireball war nicht der einzige, bei dem sich die gute Laune sofort wieder den Bach hinunter verabschiedet hatte. Der junge Rennfahrer war nicht nur völlig überrascht gewesen, er hatte seine Freunde auch angemurrt. Damit war deutlich, dass er keine Freude über ihren Besuch hatte und er auch niemanden sehen wollte. Mit den Worten von Fireball verschwand Colts Lächeln schlagartig wieder. Sein Gesicht verfinsterte sich und er knurrte in die Richtung der beiden Japaner: „Dich abholen! Neuerdings findest du ja von alleine nicht mehr nachhause.“ „Von mir aus.“, schulterzuckend drehte sich Fireball um und verschwand zum Ausgang. Er hatte wirklich absolut keine Lust auf seine Freunde. Während er vorausging, ohne zu warten, ob ihm die drei folgten, schoss ihm durch den Kopf, wie leichtsinnig die drei gerade gehandelt hatten. Die waren allesamt hier angetreten und dann hatten sie sich auch noch mit seinem Vater unterhalten. Also, da musste bei Saber auch alles ausgesetzt haben, als er das gut geheißen hatte. Er warf einen kurzen Blick über seine Schulter, noch einmal auf die Szene, die sich ihm dort geboten hatte. Seine Freunde und sein Vater. Unter anderen Umständen hätte er sich über ein solches Bild gefreut, an diesem Tag allerdings war das genau die Mischung, die für ihn reines Gift war. Alle vier standen sie dort, mit einem leicht irritierten Gesichtsausdruck. Auch April. Fireball warf ihr einen unsicheren Blick zu, bevor er den Kopf wieder in die eigentliche Richtung wandte und weiterging. April hatte seinen Blick aufgefangen und gleich darauf die Augen gesenkt. Sie vertrug seine dunklen, braunen Augen nach der gestrigen Nacht nur sehr schlecht. Die Blondine hatte das Gefühl, Fireball würde sie nicht sehen wollen, weil er nicht bekommen hatte, was er wollte. Als ob es nun zwischen ihnen stand. Traurig wischte sich die Blondine schnell über die Augen, damit niemand ihre Tränen bemerkte, die sich in den Augen gesammelt hatten. Dem Captain allerdings war es aufgefallen. Er hatte einen Blick dafür. Als der Lockenkopf mit dem Cowboyhut davon gesprochen hatte, dass sie ihn nachhause begleiten wollten, hatte Shinji sofort verstanden. Die vier wohnten zusammen. Und offensichtlich hatten sie sich am Vorabend Sorgen um den Kurzen gemacht und waren aneinander geraten, als der Japaner dann doch endlich zurück gefunden hatte. Shinji verband schnell im Gedanken alle relevanten Informationen, die er an diesem Tag, gewollt oder ungewollt, bekommen hatte. Er wusste nun, dass Fireball in einer Viererwohngemeinschaft lebte und so, wie es den Anschein hatte, er das Küken dort war. Die Blondine und Shinichi mochten sich mehr als sie sich selber eingestanden, das war ganz klar für den Captain. Auch ein Idiot hätte das bemerkt, wenn er ihr Verhalten gerade gesehen hätte. Sein Pilot musste noch dazu einen ziemlichen Bleifuß haben, weil er von seinen Freunden auch mit Rennfahrer angesprochen wurde. Der Kurze hatte am Vorabend selbst erzählt, dass er sich für schnelle Autos interessierte. Shinji runzelte die Stirn. War das vielleicht wirklich mehr als ein Hobby? Denn eines war ihm wie ein roter Faden an den drei Freunden aufgefallen. Sie hatten Shinichi kein einziges Mal beim Namen genannt, sie hatten ihm entweder eine Charaktereigenschaft, wie es das blonde Mädchen getan hatte, oder eine Tätigkeit zugeordnet, die er besonders beherrschte, zugeordnet. Fireball war ein treffender Spitzname für den Hitzkopf und Rennfahrer und Pilot standen für sich. Das letzte, was Shinji noch sofort aufgefallen war, war die seltsame Stimmung unter den vieren. Nachdem Fireball beim Frühstücken schon so ausgesehen hatte, als hätte er am Vorabend die eigene Wohnungstür lieber nicht aufgeschlossen, und nun seine Freunde versammelt hier aufgelaufen waren und augenscheinlich immer noch sauer auf ihn waren, kam der erfahrene Pilot auf zwei weitere Punkte. Erstens mussten die vier wirklich gute Freunde sein, denn unter dem Frust war vor allem die Sorge durchgekommen und zweitens dürfte das am Vorabend noch ordentlich Zoff untereinander gegeben haben. Shinji musterte die drei noch einmal. Shinichi hatte in diesen unterschiedlichen Charakteren gute Freunde gefunden, das war klar. Er wandte den Blick von ihnen ab und sah dem Hitzkopf hinterher. Reden war nicht dessen Stärke und Entschuldigen offenbar auch nicht. Der junge Spund wäre an diesem Tag ohnehin nicht mit ihm oder sonst irgendjemanden ausgegangen, aber vielleicht wäre er auch nicht zu sich nachhause gegangen. Einsam wirkte das Multitalent, als er so aus dem Oberkommando ging. Shinji schüttelte den Kopf und wandte sich wieder an die drei, die immer noch vor ihm standen. Endlich setzte er zu Worten an: „Ihr seid also Freunde von Shinichi… Passt auf ihn auf, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun.“ „Sonst wären wir nicht hier, wären wir nicht!“, brauste Colt kurz darauf ungehalten auf. Der hatte vielleicht Nerven! Ihnen zu sagen, was sie tun sollten. Der Captain kannte sie überhaupt nicht, der sollte lieber zusehen, dass er sich auf sein bevorstehendes Harakiri ausreichend vorbereitete und das rieb er ihm auch wütend unter die Nase: „Hören Sie mal, Captain. Wir passen auf unseren Krümel schon auf, lassen Sie das mal nur unsere Sorge sein. Sie sollten sich lieber darum kümmern, dass sie zu Ihrem Kikeriki nicht zu spät kommen!“ Während Shinji die Augenbrauen fragend zusammenzog, dankten April und Saber allen möglichen Gottheiten dafür, dass Fireballs Vater grade kein Wort verstanden hatte. Der Schotte entschuldigte sich hastig dafür beim Captain und zog Colt mit sich Richtung Ausgang. Ohne sich zu verabschieden verschwanden die drei aus dem Oberkommando. Dabei nahm sich April Colt an und deutete dem Schotten, Fireball hinterher zu gehen. Der bog nämlich nicht Richtung Heimat ab. Saber nickte und rief ihrem Piloten hinterher: „Hey! Das ist die falsche Richtung.“ Colt ließ sich von April kaum beruhigen. Der Captain hatte ihn persönlich angegriffen, denn alles was Recht war, sie passten auf Fireball auf. Das hatten sie immer! Der alternde Hikari hatte absolut keine Ahnung und dann ließ er sich zu einem solchen Spruch hinreißen. Colt kochte. Der Armleuchter war derjenige, der eigentlich auf den Rennfahrer Acht geben sollte. Er war dessen Vater. Aber der Luftikus starb ja lieber im Kampf gegen die Outrider! Der Cowboy schäumte über: „Was weiß der Scherzkeks denn schon?! Wir sind für den Vogel da, nicht so, wie der!“ April sah sich hektisch um, hoffentlich konnte der Captain sie nicht mehr hören. Verständnisvoll nahm sie Colts Hand und dirigierte ihn hinter Saber aus dem Oberkommando. Der Schotte hatte schon ordentlich Abstand zwischen ihnen geschaffen und hatte Fireball beinahe schon eingeholt. April widmete ihre volle Aufmerksamkeit allerdings wieder Colt. Der brauchte sie gerade mehr. Er war ein guter Freund, gerade die Blondine wusste das in dieser schweren Zeit zu schätzen und hatte es erst am Vorabend gemerkt. Colt war immer an ihrer Seite, bevor ihre Angst und ihre Traurigkeit überhand nehmen konnten. Sie strich ihm beruhigend über die Hand und versuchte ihn zu beschwichtigen: „Natürlich sind wir da, Colt. Aber das kann Fireballs Vater nicht wissen.“ „Dann soll er gefälligst die Klappe halten! Der Flitzebogen für Arme hat keine Ahnung! Wir können auch nicht rund um die Uhr für ihn da sein. Das würde unser Zwerg nie zulassen.“, Colt riss die Arme in die Höhe. Tatsächlich war Fireball für Colt mehr ein kleiner Bruder als ein gleichberechtigter Teamgefährte. Der Cowboy machte sich heimlich rund um die Uhr Sorgen um Fireball und dass der Captain ihm nun unterstellt hatte, ihm wäre der kleine Flitzer nicht wichtig, schlug dem vollen Fass den Boden aus. Colt wirbelte herum und sah auf April hinab. Er bemerkte, wie verzweifelt sie versuchte, ihn wieder zu beruhigen und was anderes lag ihr auch schwer auf dem Herzen. Auch wenn Colt ihre treuherzigen Augen sofort wieder beruhigt hätten, heute funktionierte das allerdings nur mäßig bis gar nicht. Es regte ihn einfach zu sehr auf. Halbherzig legte er April die Hand auf die Schulter und maulte weiter: „Das regt mich maßlos auf, weißt du? Und zwar einzig und allein deswegen, weil der Scherzkeks eigentlich für ihn da sein müsste, man aber niemals etwas von ihm sehen wird! Der Koffer weiß es nicht und kümmern tut es ihn auch nicht.“ April hob die Augenbrauen. Es war nichts Neues, dass Colt einmal ausrastete, aber in der Art und Weise war das noch niemals vorgekommen. Die blonde Navigatorin nahm Colts Hand auf ihrer Schulter wieder in ihre und umschloss sie. Sie wollte ihren Kollegen und Freund wieder beruhigen. Doch es war nicht einfach. Colt fühlte sich von Captain Hikari ungerecht behandelt, und von seiner Forderung verhöhnt. Das war eine heikle Angelegenheit. Nicht nur, weil der Captain immer noch irgendwo hinter ihnen rumtigerte, sondern auch, weil Colt kochte. Sie fühlte die Hitze in seiner Hand und sah es in seinem Gesicht. Wie konnte sie ihn bloß wieder von seinem Trip runterholen? „Hey! In diese Richtung geht’s nachhause!“, dabei bekam Saber den Rennfahrer endlich zu fassen. Er hielt ihn am Arm fest und zog ihn unsanft zurück. Saber hatte alles, nur gerade keine gute Laune. Wie hatte der Captain diese drohenden Worte gemeint? Es konnte nur eines für den Schotten bedeuten. Fireball musste ihm etwas erzählt haben. Es hatte danach geklungen, als gab er ihnen den Auftrag, sich um seinen Sohn zu kümmern. Bei dem Gedanken daran überschlug sich Sabers Zorn. Ohne jegliche Vorwarnung in die entgegengesetzte Richtung gezogen zu werden, in die man eigentlich abdampfen wollte, war nicht nur unsanft, sondern auch nicht unbedingt schmerzfrei. Während seine Füße weiter zur Rennstrecke gegangen waren, in die auch der Rennfahrer hatte wollen, war sein Arm harsch in die andere Richtung gezogen worden und das gefiel der Schulter, an der der Arm hing, überhaupt nicht. Auch Fireball passte es nicht. Unfreiwillig blieb er stehen und funkelte Saber an. Grob riss er sich los: „Das war schon die richtige, glaub mir, Säbelschwinger!“ Saber ließ sich von Fireball doch nicht wie ein Schuljunge behandeln. Glaubte der freche Kerl wirklich, dass er nach dem letzten Abend schon ausgekocht hatte? Nein, wirklich. Nach der Nummer, die beim Captain gelaufen war, war Saber wieder auf hundertachtzig. Augenblicklich griff er wieder um Fireballs Arm und umklammerte diesen fester. Jetzt war endgültig Schluss mit lustig. Er giftete Fireball geradeheraus an: „Verdammt, Fireball! Was denkst du dir bloß dabei?! Was um Himmels Willen hast du deinem Vater erzählt?“ Für Saber stand fest, dass Fireball seinem Vater etwas über die Zukunft erzählt haben musste, oder zumindest etwas von dem Verwandtschaftsgrad. Anders konnte sich Saber die Aufforderung des Captains nicht erklären und auch nicht, weshalb er sie sonst als Fireballs Freunde identifiziert hatte. Wieder wollte sich Fireball hitzköpfig von Saber befreien, doch dieses Mal kam er ihm nicht mehr davon. Der Pilot stieß genervt die Luft aus. Ihn störte etwas anderes viel mehr als das, was er seinem Vater erzählt oder nicht erzählt hatte. Ungestüm fuhr er Saber an: „Und was ist in Dreiteufelsnamen in euch gefahren? Himmel, ihr habt nichts im Oberkommando verloren, schon vergessen, Oberheld?“ „Lenk nicht vom eigentlichen Thema ab, Fireball.“, Saber ließ sich von seinem Ziel nicht abbringen. Er krallte die Finger fester um Fireballs Arm. Seine Augen stachen auf Fireball hinab. Der Junge musste etwas durcheinander gebracht haben, sonst hätte Shinji ihnen niemals aufgetragen, auf den Grashüpfer aufzupassen. Es konnte ganz einfach nur bedeuten, dass Fireball seinen Mund nicht gehalten hatte. Der junge Pilot hatte vielleicht schon ihre Gegenwart und ihre Zukunft verändert! Saber stieß ihm mit der freien Hand gegen die andere Schulter. Er wollte endlich eine Antwort auf seine Frage: „Was hast du deinem Vater gesagt?“ „Nichts!“, stinksauer kam die Antwort aus Fireball raus geschossen. Dass das zwar die Wahrheit war, aber nicht das, was Saber hören wollte, konnte sich der Japaner denken. Hätte er seinem Vater nämlich wirklich was erzählt, was wichtig oder existenziell gewesen wäre, dann wäre es dem Captain schlechter gegangen als ihm. Der sture Bock griff um Sabers Hand, die ihn gestoßen hatte und hielt sie fest, ehe dieser sie zurückziehen konnte. Der Schotte staunte nicht schlecht. Fireballs Griff war kräftiger als erwartet. So schmächtig und unschuldig der Japaner auch wirkte, in ihm schlummerten ungeahnte Kräfte. Saber war sich sicher, dass er noch nicht alle diese Kräfte geweckt hatte, ansonsten hätte ihn nämlich eine wahre Dampfwalze überrollt. Denn jene Stärke, mit der sich Fireball ansonsten im Kampf gegen Jesse Blue behaupten musste, spürte Saber noch nicht. Der Highlander fasste geschickt um Fireballs Hand, die ihn am Gelenk hielt, und machte sich los. Wieder feindete er den Freund an: „Klar hast du das! Sonst hätte er nicht so seltsam auf uns reagiert.“, Saber sah ihn streng an. Natürlich war Sabers Befreiungsaktion nicht ohne Gegenwehr geblieben. Automatisch hatte Fireball fester um das Handgelenk gegriffen und versucht, ihn festzuhalten. Letztendlich hatten beide sich losgelassen, aber Saber spürte deutlich, dass es nicht schmerzfrei ausgegangen war. Fireball rieb sich die Stelle mit der anderen Hand und verzog düster das Gesicht. Auch sein Handgelenk brannte. Doch Saber konnte sich nicht darüber reiben, denn mit der anderen Hand hielt er immer noch Fireball am Arm fest. Schwarze Augen blitzten zu Saber empor, als er widersprach: „Er weiß nichts! Ganz sicher nicht. Und jetzt lass mich bitte los, ich möchte gehen.“ Und wenn Fireball hundert Mal darum gebeten hätte, Saber hätte ihn nicht losgelassen. Im Gegenteil: er verbesserte seinen Griff weiter. Saber zerrte Fireball nun mit sich. Er würde den Teufel tun und Fireball loslassen. Keiner wusste, was der in seinem Gemütszustand noch anstellen würde, da hielt es Saber für besser, ihn an der kürzesten Leine zu halten, die er in dem Moment zur Verfügung hatte. Auch die anderen beiden hatten sich inzwischen vom Oberkommando entfernt. April hatte das einzige getan, was ihr eingefallen war. Sie hatte den Cowboy umarmt und ihm über den Rücken gestrichen, während sie ihm immer wieder versichert hatte, dass Shinji es nicht so gemeint hatte, wie er es aufgefasst hatte. Und tatsächlich. Es hatte funktioniert. April brauchte manchmal nur mit den Waffen einer Frau zu kämpfen. Innerhalb weniger Minuten hatte sich Colt wieder so weit beruhigt, dass er zumindest zu schimpfen und zu verteufeln aufgehört hatte. Er richtete sich auf, befreite sich aus der Umarmung ihrer hübschen Navigatorin und legte einen Arm um ihre Schulter: „Prinzessin. Kann ja sein, dass du nur ´ne Frau bist, aber für mich bist du trotzdem ein Mordskerl, bist du doch.“ April schmunzelte. Es war schön von Colt ein solches Lob zu hören. Dennoch, einen etwas schalen Beigeschmack hatte es trotzdem. Sie lehnte sich an Colt und ging mit ihm weiter, dabei sah sie gespielt böse zu ihm auf: „Nur? Ich glaub, ich hab mich verhört!“ Colt drückte April daraufhin näher an sich und grinste hinab: „Du weißt, wie ich das meine. Stell dich nicht dümmer, als du bist, Prinzessin.“ Dabei zwinkerte er frech. Er war unendlich froh, dass April ihn von seiner Palme wieder irgendwie runtergebracht hatte, sonst wäre er vielleicht noch einmal zu Captain Hikari zurückgelaufen und hätte ihn verbal zur Schnecke gemacht. Der alte konnte dem jungen nicht viel voraus haben, dessen war sich Colt sicher. Als sie beim Ausgang um die Ecke bogen, erhaschten sie schon den ersten Blick auf Saber und Fireball. Die beiden trugen einen ordentlichen Streit aus. Saber versuchte mit aller Macht, Fireball in die Heimat zu ziehen, der Rennfahrer stellte sich dagegen und wehrte sich, wie ein Hund, der nicht mit seinem Herrchen mitgehen wollte. Fireball stemmte nämlich die Füße in den Boden und versuchte mit aller Gewalt, sich von Saber loszumachen. Klar, der Krümel war dem Schotten nicht gewachsen, aber er war ihm in dieser obskuren Situation ebenbürtig. Colt sah entschuldigend zu April hinunter, ehe er die Umarmung löste und auf die beiden Streithähne zulief. „Willst du noch eine oder kommst du freiwillig mit, Kurzer?!“, Colt hatte gemerkt, dass zwischen Saber und Fireball eine Pattsituation entstanden war und dass die beiden wahrscheinlich noch morgen so dastehen würden, wenn er nicht einschritt. Noch hatte er nicht aktiv eingegriffen, weil er insgeheim hoffte, dass Fireball zur Vernunft kam, aber drohend nachzuhelfen hatte er sich schon mal erlaubt. Schlagartig lenkte sich Fireballs Wut von Saber auf Colt. Er drehte den Kopf zu dem Cowboy herum und schrie ihn ungehalten an: „Hör verdammt noch mal endlich auf, mich Kurzer zu rufen, Kuhhirte!“ Fireball reagierte allergisch auf den neuen Kosenamen, den er von seinem Vater bekommen hatte. Colt benützte diesen seit Neuestem auch und zwar immer nur dann, wenn er ihn maßregeln wollte. Das war nicht das ausschlaggebende, warum Fireball von seinen Freunden nicht so genannt werden wollte, aber auch mit ein Grund dafür. Der Disput mit Saber war gerade zur Nebensache verkommen. Der Rennfahrer hatte zur Rennstrecke wollen, er hatte niemanden mehr sehen wollen, aber sie ließen ihn nicht. Der Kummer von heute Morgen, den Fireball erfolgreich einfach wieder begraben hatte, explodierte gerade lautstark neben seinen Freunden. Er hatte nichts dagegen, dass sie ihn abgeholt hatten, eigentlich war es eine unheimlich nette und wertschätzende Geste von ihnen gewesen, aber Fireball hatte noch ein paar Momente für sich alleine gebraucht. So aber war er wieder nicht dazu gekommen, sich in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen, was gerade alles um ihn herum passierte. Keiner seiner Freunde kam in dem Augenblick auf die Idee, dass Fireball die Situation wirklich über den Kopf gewachsen war. Alles, was sie sahen, war ein explodierender Rennfahrer. Colt wartete ein befürwortendes Kopfnicken von Saber gar nicht ab, er nahm Fireball einfach in den Schwitzkasten und rieb ihm mit den Knöcheln seiner Finger über den Kopf: „Du hörst jetzt auf dich zu sträuben, sonst fahr ich andere Geschütze auf und dann, mein kleiner Buggyfahrer, dann brauchst du mehr als nur ein Kühlkissen um den Schaden wieder zu beheben!“ April hielt sich während der gesamten Szene im Hintergrund. Sie sah ihre drei Jungs mit großen Augen an. Zu zweit mussten sie Fireball wieder zur Vernunft bringen. Ein schreckliches Bild und die Blondine wandte den Blick erschüttert wieder ab. Wo war ihre Freundschaft geblieben? All das sah aus der Ferne schlimm aus. Sie fühlte sich miserabel dabei, doch sie konnte nicht für Fireball Partei ergreifen. Dieses Mal nicht, denn Saber und Colt waren im Recht. April schluckte hart und ging betrübt an den dreien vorbei. Sie murmelte erstickt: „Lasst uns nachhause gehen, bitte.“ Die Fronten hatten sich dramatisch verhärtet, allerdings wurde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Nachdem der Rennfahrer zwei Tage lang wirklich die Ruhe bekommen hatte, die er gewollt hatte, kochte auch Fireball wieder auf kleinerer Flamme. Er hatte sich abends die Zeit genommen, weit abseits der Stadt und des Friedenswächters, über die aktuelle Lage nachzudenken. Vieles war geschehen, davon hatte der Japaner das meiste nicht einmal verstanden oder verarbeiten können. Neben dem seltsamen Verhältnis zu seinem Vater, der nach dem kuriosen Frühstück immer mehr zu einer Vertrauensperson für ihn wurde, bereitete ihm vor allem der Streit mit seinen Freunden Kopfzerbrechen. Er hatte sich benommen, wie die Axt im Walde. Fireball war ungehobelt und rotzfrech gewesen. Saber hatte die letzten Tage schwer daran zu knabbern gehabt, was bei ihrem Besuch im Oberkommando geschehen war. Er war zornig gewesen, im ersten Moment. Doch nachdem sie auf Ramrod angekommen waren und er die ersten fünf Minuten Dampf abgelassen hatte, kam der rationale Teil von ihm wieder zum Vorschein. Saber war zutiefst geschockt. Er war von sich selbst erschrocken, selten hatte er einen Freund und Kollegen so hart angefasst, wie Fireball. Aber er war auch über Fireballs Art empört, immer noch. Dieser Frust legte sich nicht, so wie alles andere im Laufe der Zeit abebbte und sackte. Nein, Saber fühlte sich auch Tage danach noch angegriffen und missverstanden. Nie zuvor hatte Saber eine solche Wut in Fireballs Augen gesehen. Jesse Blue hatte das nie geschafft, Colt hatte den Rennfahrer bisher auch noch nicht so weit reizen können, aber er hatte es geschafft. Saber brütete über möglichen Ursachen dieser Kurzschlussreaktion und kam doch nur immer wieder auf das selbe Ergebnis. Der Schotte wusste von Tokio, dass Fireball auf alles gereizt reagierte, was mit seinem Vater zu tun hatte. In dieser Zeit stand er seinem älteren Ebenbild Tag für Tag gegenüber und damit wurde Fireball nicht fertig. Auch glaubte Saber zu wissen, dass Fireball schwach geworden war und seinem Vater erzählt hatte, was in wenigen Monaten auf ihn zukommen würde. Das schürte den Groll auf den jungen Piloten ungeheuer. Dem Cowboy stieß die Sache auch nach Tagen noch sauer auf, aber immerhin war er schon wieder so weit auf dem Weg der Besserung, als er darüber blöde Witze reißen konnte. So fragte er Fireball immer wieder, wenn dieser das Schiff verließ, ob er mit dem störrischen Hundi Gassi gehen solle oder ob er von alleine wieder zur Hundehütte zurückfand. Der Schotte war aufgrund der eigenartigen Vorkommnisse vom Boss zum Herrchen für wuschelköpfige Rennfahrer degradiert worden und April blieb sein guter Geist. Sie alle hatten sich völlig daneben benommen, der Cowboy machte da keine Ausnahme. Aber im Gegensatz zu den anderen beiden Herren hatte er das sehr wohl eingesehen und sich dafür bei April entschuldigt. Nun ging er dem täglichen Geschäft auf Ramrod nach, das sich für ihn momentan monoton gestaltete. Rumsitzen, abwarten und hoffen. Mehr konnte Colt im Augenblick nicht tun und das kotzte ihn langsam aber sicher an. Inzwischen putzte er sogar schon jeden Tag um sich irgendwie abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen. Die Blondine und der Schotte freuten sich auch über die Sicherstellung ihres leiblichen Wohles. Die einzige Frau an Bord haderte mit ihrem Schicksal. Still hatte sie einmal mehr in sich hinein geweint, nachdem sie vom Oberkommando wieder gekommen waren. Sie hatte niemals zuvor erlebt, dass sich die Jungs so schnell trennten, wie an diesem Abend. Als ob der Wind in Schneeflocken gefahren wäre, waren sie in alle Richtungen auseinander gestoben. April behagte die merkwürdige Stimmung an Bord überhaupt nicht. Zusätzlich zu dem Gefühl, dass ihr auf Ramrod die Decke auf den Kopf fiel, fühlte sie sich nun auch nicht mehr wohl zwischen ihren drei Mannen. War es mit Colt noch nicht so schlimm, immerhin nahm der sie hin und wieder in den Arm, war es bei Saber schon schwieriger. Der Schotte war so mit anderen Dingen beschäftigt, dass er April manchmal sogar vergaß. Er drückte ihr nur Unterlagen in die Hand, die sie bearbeiten sollte und das war’s. Selten hatte er dieser Tage ein charmantes Lächeln für sie übrig. Das jüngste Mitglied ihrer Truppe machte einen enorm großen Bogen um sie. Zumindest kam es April so vor. Seit sie ihn in der Küche von sich gestoßen hatte und das verweigert hatte, was Fireball gerne gehabt hätte, mied er sie. Damit sah die junge Frau das bestätigt, was ihr in jener Nacht die Lust genommen hatte. Sie war nur eine von vielen für ihn, absolut nichts Besonderes also. Fireball hatte nicht bekommen, was er wollte und deshalb sah er auch keinen Grund mehr darin, sie angemessen zu behandeln. Wieder war ein Abend völlig zerrissen gewesen. Während Colt und April gepokert hatten, war Saber in den Kontrollraum gegangen um sich die Daten noch einmal genauer anzusehen und Fireball hatte sich mit seinem Red Fury verabschiedet. Die vier Freunde verbrachten im Augenblick nicht wirklich viel Zeit miteinander. Fireball war erst nach der Abenddämmerung, die nun, im Frühsommer, relativ spät einsetzte, wieder zu Ramrod zurückgefahren. Es hatte ihn einige Mühe gekostet, doch der Zufall hatte ihm in die Hände gespielt. Er hatte nicht durch den Stadtverkehr trödeln wollen, sondern hatte nach einer Strecke gesucht, wo er mal wieder richtig Gas geben konnte. Zufall an der ganzen Sache war der gewesen, dass es ein Stück am Waldrand entlang einen Feldweg gab, der nicht benützt wurde und wo man maximal ein paar Fußgänger einstauben würde. Diesen Weg gab es auch in Fireballs Zeit noch und es hatte ihm zuhause schon Spaß gemacht, über Stock und Stein zu fahren. Es war auch in der Zeit seiner Eltern nichts anderes. „Hey, noch nicht zu Ende gedacht für heute?“, verwundert blinzelte der Rennfahrer in Sabers Satteleinheit, als er beim Eintreten gemerkt hatte, dass er nicht der einzige war, der noch wach war. Fireball ging bis zu seiner Satteleinheit nach vor und blickte von dort in die Nacht hinaus. Wieder wurde es eine sternenklare Nacht auf Yuma. Ein Sommer, wie er im Bilderbuch stand, kündigte sich an, denn es war warm und die Sonne strahlte in einer Tour vom Himmel. Kopfschüttelnd wandte sich Fireball von der großen Glasfront ab und sank in sein Modul. Das Wetter verhöhnte ihre Situation. Mehr als ein halblautes „Hm…“ kam nicht zur Antwort. Saber war in Gedanken versunken, rechnete immer noch an der Anomalie herum und kam doch zu keiner schlüssigen Antwort. Es konnte nicht alleine an der ungewöhnlichen Kurve liegen, dass sie zwanzig Jahre vor ihrer Zeit lebten. Saber runzelte angespannt die Stirn. Mit dem Handballen der rechten Hand fuhr er sich über die Augen. Er war müde, aber aufgeben kam für ihn nicht in Frage, so lange er nicht einmal einen Anhaltspunkt hatte. Fireball zog die Beine in seiner Satteleinheit an und schlang die Arme darum. Kaum zu glauben, aber wahr, auch so konnte man dort sitzen. Ihn plagte das schlechte Gewissen Saber gegenüber. Und auch, wenn er wusste, dass Saber auch Colt und April im Augenblick ebenso ignoriert hätte, wie ihn, so kam er sich dennoch ein bisschen abgeschoben vor. Verzagt biss sich Fireball auf die Lippen, denn sein Vater hatte ihm geraten, möglichst schnell wieder reinen Tisch mit seinen Freunden zu machen. Dieser hatte zwar nicht gewusst, was genau los war, aber er hatte sehr wohl mitbekommen, dass es ziemlichen Ärger gegeben hatte. Wieder warf er von seiner Satteleinheit aus ein Auge darauf, was Saber da rechnete und recherchierte, dabei sprach er ihn wieder an: „Bist heute auch nicht übertrieben gesprächig, was?“ „Ich versuch mich grade zu konzentrieren.“, Saber machte sich nicht einmal die Mühe, zu seinem Gesprächspartner aufzusehen. Mittlerweile hatte er zwar mitbekommen, dass Fireball sich zu ihm gesellt hatte, aber wirklich Lust auf ein Gespräch mit dem Dickschädel hatte er nicht. Etwas eisig wollte er deswegen gleich alles abwürgen, was sich an Unterhaltungen eventuell entwickeln konnte. Natürlich, auch Saber fühlte sich wegen ihres Streites nicht übertrieben wohl in seiner Haut, aber im Augenblick gab es Wichtigeres für ihn, als zu klären, wer wen ungerechter behandelt hatte. Auf nichts anderes nämlich würde das mit Fireball nun hinauslaufen. Er kannte seine Pappenheimer doch alle! Das Analyseprogramm warf abermals eine elendslange Liste an Daten aus, die im Zusammenhang mit dem Zeitsprung standen. Saber nahm die Seiten in die Hand, klopfte sie kurz auf die Konsole, damit sie alle gleich in seiner Hand lagen und er die Zettelwirtschaft nicht Blatt für Blatt lochen musste. Saber lugte auf die Blätter in seiner Hand. Das würde eine weitere schlaflose Nacht auf Ramrod für ihn bedeuten. Ganz sicher. Frustriert stieß er einen Seufzer aus. Dass ihnen aber auch gar nichts erspart blieb! Der Schotte holte aus einer Nische seiner Satteleinheit einen Textmarker heraus und begann, die Daten und Zahlen zu ordnen, zu sortieren und auch auszuwerten. Hoffentlich war wenigstens ein Bruchteil der Daten brauchbar. Fireball stand indes wieder auf. Er beugte sich zu Saber hinunter und warf einen skeptischen Blick auf die Seiten. Saber würde nicht mit ihm reden, wenn er ihn nicht ansprach und offen auf den Tisch legte, was er wollte. Während er sich durch die wilde Frisur fuhr, stand er wieder auf und ging auf die große Glasfront zu. Das liebte der junge Spund an Ramrod. Die riesige Glasscheibe im Kontrollraum. In Nächten wie diesen gab sie den Blick auf den vollen Mond und all die Sterne, die den tiefschwarzen Himmel erhellten, frei. Bisher waren sie auf dieser Waldlichtung noch nicht entdeckt worden, weder zufällig noch durch irgendwelche Sensoren des Oberkommandos. Fireball konnte die einzelnen Baumwipfel, von denen sie umgeben waren, sehen, sie wurden direkt vom Mond angeschienen. Er sah zu den Sternen auf. Wie viele dieser Sterne dort oben sie wohl im Laufe ihrer Arbeit mit Ramrod besucht hatten? Wie viele davon sie schon gesehen hatten? Fireball konnte sich an einige der Planeten gut erinnern, weil sie besonders gewesen waren oder weil besonderes dort passiert war. Aber das alles war vergangen. So wie die Zeit, in der sie festsaßen. Eigentlich war sie vergangen, sie kannten die Auswüchse und Auswirkungen daraus. Und trotzdem. Sie saßen hier fest, lebten neben ihren kindlichen Ichs, zumindest soweit sie schon lebten, und könnten ihre Zukunft in jede beliebige Richtung lenken. Aber sie taten es nicht. Sie griffen nicht ein, gaben keine Hinweise und hofften darauf, dass sich auch Jesse Blue aus der Geschichte raushalten würde. Fireball senkte den Blick. „Ich weiß, du glaubst, ich hätte Captain Hikari etwas davon erzählt, was passieren wird oder von der Gefahr, in der sie sich bereits befinden. Aber das habe ich nicht. Er weiß nicht mehr als vorher.“, er hoffte auf eine Reaktion von Saber. Der blonde Highlander atmete schwer aus und ließ von seiner Arbeit ab. Das war also der Grund für Fireballs Besuch auf der Brücke. Saber ertappte sich dabei, wie er Fireball still sogar Recht gab. Nichts anderes vermutete er und nichts anderes konnte tatsächlich an diesem Tag im Oberkommando passiert sein. Einfach alles, was der Schotte an diesem Tag dort erlebt und gesehen hatte, sprach dafür. Saber legte die Zettelwirtschaft neben seiner Satteleinheit ab, den Stift darauf, und stand ebenfalls auf. Er lehnte sich mit dem Oberkörper an das Dach seiner Satteleinheit, stützte sich dort mit beiden Armen ab und musterte Fireball. Ernüchternd fiel der Eindruck aus. Er glaubte Fireball nicht. Kühl widersprach Saber: „Irgendwas musst du ihm aber erzählt haben, Fireball. Sonst hätte er nicht so auf uns reagiert.“ Soviel stand für Saber fest. Irgendetwas musste Fireballs Vater bereits wissen, ansonsten hätte er ihnen niemals aufgetragen, auf Fireball Acht zu geben. An sich war das nichts Schlimmes, aber der Tonfall in Captain Hikaris Stimme und auch diese Wehmut, die deutlich mitgeschwungen hatte, erweckten doch den Anschein, als hätte es ein besorgter Vater und nicht ein Captain gesagt. Ganz sicher sogar wusste der Captain etwas von seinem Schicksal. Und nun, da Saber auch den direkten Vergleich mit den beiden Männern aus dem Hause Hikari hatte, verstand er Ai. Es gab nichts, bis auf das Alter, was die beiden voneinander unterschied. Unbehaglich, denn wenn es Freunde bemerkten, ohne großartig darauf zu achten, dann fiel es bestimmt auch Fremden auf. Diesen vielleicht sogar noch schneller, da sie keine Zusammenhänge kannten und die zwei zwangsläufig als verwandt einstufen würden. Saber lief ein eiskalter Schauer bei dem Gedanken über den Rücken. Der Pilot wandte sich von der Glasfront ab und kam wieder auf Saber zu. Wieder versicherte er ihm: „Nein, ganz sicher nicht. Ehrlich, Saber. Ich habe ihm nichts gesagt, was die Outrider, den Krieg oder unser Verwandtschaftsverhältnis betrifft. Keine Ahnung, weshalb er so seltsam reagiert hat, da fragst du den falschen Hikari.“ „Hältst du deinen Vater für blöd?“, die Frage war ehrlich gemeint von Saber. Schließlich war Fireballs Papa nicht umsonst der Captain einer Flugstaffel wie der Air Strike Base 1. Ihm war bestimmt auch schon aufgefallen, dass sie sich ähnlich waren. Missbilligend schüttelte Saber den Kopf. Ihm gefiel das alles überhaupt nicht und egal, was Fireball gesagt hätte, er hätte ihm nichts mehr geglaubt. Vielleicht hatte Fireball es nicht mit Absicht getan, aber ganz sicher hatte er sich bei seinem Vater verraten. Ob bewusst oder unbewusst war mittlerweile für Saber einerlei. Irritiert fragte Fireball zurück: „Weshalb sollte ich?“ Zuerst ungläubig, dann skeptisch und schlussendlich resignierend sah Saber zum Piloten hinüber. Wieder schüttelte er den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein! Fireball selbst erkannte nicht, was alle anderen sahen. Er brummte den Japaner an: „Hast du dir deinen Vater schon einmal genau angesehen? Hast du dich in letzter Zeit mal wieder genauer im Spiegel betrachtet?“, Saber unterbrach und ließ dem Hitzkopf eine kurze Pause, in der er darüber nachdenken konnte. Aber keine Antwort. Bloß zwei dunkelbraune Augen, die fragend dreinblickten. Also seufzte Saber und erklärte: „Ihr beide seht euch zum Verwechseln ähnlich. Glaubst du nicht auch, dass zumindest deinem Vater das mal aufgefallen sein wird?“ Sabers Augen wurden immer größer und er reckte schließlich den Kopf in die Höhe. Fireball nickte nur und ging schweigend an ihm vorbei. Er würde den Rennfahrer doch nicht etwa zum Nachdenken gebracht haben? Saber sah Fireball verwundert nach. Dieser drehte sich an der Tür noch einmal um. Saber hatte Recht, Tomaten hatte der Captain wirklich nicht gerade auf den Augen. Fireball schloss einen Augenblick lang die Augen und entschuldigte sich leise bei Saber: „Es tut mir übrigens leid, dass ich dir letztes Mal etwas über den Schnabel gefahren bin. War nicht mein Tag… War generell nicht meine Woche.“, korrigierte er sich noch, bevor er schlafen ging. Verdutzt schossen Sabers Augenbrauen in die Höhe. Okay, das war jetzt was gewesen? Immer noch reckte er den Kopf zur Tür und starrte auf selbige. Der hatte sich doch nicht wirklich entschuldigt, ohne seine Entschuldigung abzuschwächen? Saber war platt. Das musste er erst mal auf sich wirken lassen. Immer noch mit beiden Augenbrauen in der Höhe sah Saber zur Glasfront hinaus. Der Sommer 2066 stand vor der Tür, doch eigentlich hätte der Schotte lieber gewusst, was der Sommer 2086 für sie auf Lager hatte. Er wäre gerne wieder zuhause gewesen, bei seinen Freunden, seiner Familie. Würden sie es jemals wieder nachhause schaffen? Nicht jeden Abend kam Fireball so pünktlich aus dem Oberkommando wieder, wie an diesem. In der Vergangenheit war es mit geregelten Dienstzeiten das selbe wie in ihrer eigenen Zeit. Das war schlicht und ergreifend eine Ausnahme. Aber an diesem Abend wie gesagt nicht, denn Fireball stolperte gut gelaunt die Rampe zum Friedenswächter hinauf. Irgendwie gefiel ihm die Arbeit als Aufklärer in der Flugstaffel seines Vaters. Das hatte weniger was mit seinem Vater zu tun, als mit dem Aufgabengebiet an sich. Kein Tag war bisher wie der andere verlaufen, jeden Tag gab es etwas Neues zu lernen und zu erfahren. Der einzige Punkt, der die gute Laune trüben konnte, war die Tatsache, dass sie nach wie vor in einer Zeit feststeckten, in die sie nun wirklich nicht gehörten und immer noch keinen Ausweg gefunden hatten. Das drückte allen mächtig aufs Gemüt. Colt und April fühlten sich besonders schlecht, auch wenn es der Kuhhirte nie zugegeben hätte. Sie konnten nichts weiter tun, als abzuwarten und zu versuchen, nichts in der Vergangenheit zu verändern. Gut, die beiden konnten auch nicht viel ändern, denn Saber hatte nach dem Fiasko beim Abholen ein weiteres Mal rigoros entschieden, dass sie an Bord von Ramrod blieben, soweit sich die Situation nicht änderte. Die beiden durften maximal einkaufen gehen, das war dann auch schon das höchste der Gefühle. Da der Friedenswächter auf einer kleinen Waldlichtung lag, kam zumindest April manchmal doch von dem großen Cowboy runter. Sie liebte es, mit dem Laptop in der Wiese zu sitzen. Colt nannte das dann liebevoll Feldforschung. Saber hingegen war derjenige, dem die Angelegenheit am wenigsten behagte und schmeckte. Der Schotte dachte quasi Tag und Nacht daran, wie sie nur wieder in ihre Zeit zurückkehren konnten. Dann war da noch dieses Elend, das sie alle erst in diese Situation gebracht hatte. Jesse Blue. Aber von dem blauhaarigen Outriderkommandanten war keine Spur mehr. Nichts. Gar nichts. Saber war sich völlig darüber im Klaren, dass der spitzfindige Blue wieder irgendwas Böses ausgeheckt hatte und sie das Versuchskaninchen gewesen waren. Auch wusste er, dass sie ohne seine Hilfe nicht mehr in ihre Zeit zurückkehren konnten. Ständig kreisten Sabers Gedanken deswegen um die Zeit, in der sie sich befanden und die Gefahren, die dort auf sie lauerten. Es schmeckte dem Highlander gar nicht, dass Fireball im Oberkommando ein und ausging, aber um den Schein zu wahren, der Captain war bei ihrer ersten Begegnung schon misstrauisch geworden, musste der Pilot dort aufkreuzen. Der Pilot. Wenn Saber an Fireball dachte, stellten sich ihm dieser Tage die Nackenhaare auf. Und das hatte einen guten Grund. Mehr und minder gut gelaunt saßen die vier Freunde in der Küche zusammen und besprachen ihr weiteres Vorgehen. Eines war klar, sie kamen hier so schnell nicht wieder weg, dennoch beharrte Saber auf dem Standpunkt, nicht in die Vergangenheit einzugreifen. Er hatte vernünftige Gründe dafür, bemerkte er doch jeden Tag ein bisschen mehr, dass ihre Anwesenheit bereits Spuren in ihrem Charakter hinterließ und sie sich veränderten. Sie änderten sich als Menschen und sie änderten sich als Team. Der Kuhtreiber grummelte, nachdem er die neuerliche Anweisung von Saber bekommen hatte, nur einmal die Woche schnell in einen Supermarkt zu huschen und sich ansonsten nicht in der Stadt blicken zu lassen. Verstimmt verschränkte er die Arme vor der Brust und zog trotzig die Schultern nach oben: „Aber Söhnchen hier darf! Das ist einfach nicht gerecht, Säbelschwinger. Ich finde, Fire sollte genauso hier bleiben, so wie wir alle.“ Saber verdrehte kurz die Augen. Das war nicht zu fassen, aber irgendwie wieder mal typisch für Colt. Er sah sich leidig, hier rumsitzen zu müssen und Däumchen zu drehen, während Fireball draußen seinen Spaß hatte. So sah Colt das nämlich. Dem Schotten huschte ein kleines Lächeln über die Lippen, er dachte, dass sich sein Scharfschütze in der Hinsicht wie ein kleines neidisches Kind benahm, das zusehen musste, wie die anderen im Schmutz herumtollen durften. Saber wollte gerade zu einer neuerlichen Erklärung ansetzen, als Fireball ihm zuvorkam. „Hör mal, Kumpel. Söhnchen hier hat den Hintern offen, wenn es nicht pünktlichst jeden Morgen um achte dort auf der Matte steht. Ich persönlich muss das auch nicht haben, weil ich jeden Tag höllisch aufpassen muss, dass ich mich nicht verplappere oder der Captain auch nur irgendeinen Anhaltspunkt für Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten bekommt. Wir sitzen alle im selben Boot und ich will genauso schnell wieder in unsere Zeit zurück, wie ihr. Aber ich kann euch prophezeien, wenn ich von einen Tag auf den anderen nicht mehr auf dem Stützpunkt auftauche, mein Vater zu schnüffeln anfängt und dann, das schwör ich euch, dann können wir uns gleich beerdigen lassen.“, dabei hatte Fireball von einem zum anderen geschaut. Dachten seine Freunde wirklich, dass es eine so nette Abwechslung war? Der Rennfahrer zog die Augenbrauen bedenklich zusammen. Saber nickte, Fireballs Argumente waren stichhaltig, wenn auch nicht übertrieben höflich zur Sprache gekommen. Sie alle mussten auf der Hut sein und durften sich nicht erwischen lassen. Dabei kam vor allem Fireball eine beträchtliche Rolle zu, denn der junge Pilot stand täglich seinem Vater gegenüber und musste ihm von Neuem beweisen, dass er nicht der Grund für das Misstrauen war, das ihm sein Vater in manchen Momenten entgegenbrachte. Der Blondschopf und der Japaner hatten sich jeden Tag noch einmal zusammengesetzt und darüber gesprochen. Die ganze Angelegenheit war verdammt heikel und nachdem der Captain wirklich skeptisch war, wäre ihre Tarnung schon das ein oder andere Mal beinahe aufgeflogen. Auch April stand auf der Seite der beiden Jungs. Colt juckte es doch nur in den Fingern, das war aber auch schon alles. Der Kuhtreiber konnte es einfach nicht lassen, er konnte seine Füße nicht still halten. Das Gemecker verging ihm schon wieder. Und zwar spätestens dann, wenn April ihm einmal mehr die Hoffnung auf eine schnelle Heimkehr zerschlug. Und das würde sie auch diesen Abend wieder tun. Sie hatte extra gewartet, bis auch Fireball wieder bei ihnen war, immerhin betraf es ihrer aller Wohlergehen. April bestätigte mit einem Nicken Fireballs Argumente und drehte anschließend den Laptop zu Saber um. Sie wies auf eine Syntaxkurve und erklärte: „Es hat eine Anomalie in Raum und Zeit gegeben, durch die wir hier gelandet sind. So was ist nicht unüblich, jedoch haben solche Anomalien normalerweise keinen Einfluss und können einen nicht durch die Zeit schicken. Es sei denn, man nützt diese und verstärkt sie.“, frustriert schnaubte April: „Und bevor noch weitere Fragen zu dem Thema kommen. Nein, ich hab keine Ahnung, wie das gehen könnte und wie die Outrider das geschafft haben.“ Es war April höchst zuwider, dass die Outrider offenbar einen Technologievorteil hatten. Da dieser auch noch beträchtlich zu sein schien, sah sich die Blondine unter Zugzwang. April hatte den begründeten Verdacht, Jesse könnte mit einer solchen Waffe locker durch die Zeit reisen und so den seit Jahren andauernden Krieg für sich entscheiden. Sie war sich nicht sicher, inwieweit Jesse diesen Unfall schon in seine Pläne miteinbezog. Sie waren in einer äußerst ungünstigen Zeit gelandet, noch vor dem Krieg. Hier konnte der ehemalige Kadett nach freien Wünschen gestalten. Denn sie waren im Jahr 2066 gelandet. Es war der Sommer 2066, König Jarred, Aprils und auch Fireballs Vater waren gute Freunde. In diesem Jahr war Captain Hikari auf Manöver im Königreich Jarr gewesen, als die Outrider zum ersten Mal angegriffen hatten. Saber war ein Knirps von fünf Jahren damals gewesen, Colt gerademal drei und sie selbst war kaum ein Jahr alt gewesen. Das jüngste Mitglied in der Runde war in diesem Jahr noch nicht einmal geboren. Wenn Jesse Blue an diese Informationen kam, konnte er ihr Leben grundlegend auf den Kopf stellen, oder, und bei diesem Gedanken wurde April ganz anders zumute, Fireballs Leben vereiteln. Doch daran wollte die Blondine nicht denken. Saber starrte ungläubig auf den Bildschirm. Das konnte schlecht wahr sein. Gut, all das konnte schlecht wahr sein, dennoch saßen sie hier fest, also konnte Aprils Theorie durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Kopfschüttelnd ließ sich der Schotte vernehmen: „Sie haben also eine dieser Anomalien verstärkt. Ist es möglich, dass die Outrider in einer anderen Zeit gelandet sind?“ Es wäre immerhin denkbar, denn ganz sicher war diese Waffe, die die Outrider an den Star Sheriffs ausprobiert hatten, noch in der Testphase gewesen und vielleicht hatten sie das Ergebnis und das Ziel ihrer Reise vorher nicht bestimmen können. April zuckte lediglich mit den Achseln. Alles war möglich, seit diesem Unfall würde sie das blindlings jederzeit wieder unterschreiben. Es behagte ihr nicht, ganz und gar nicht. Aber immerhin war sie nicht alleine. Saber, Colt und auch Fireball waren mit ihr in dieser Zeit gelandet. Hoffentlich konnten sie irgendwie wieder zurückkehren. April fürchtete sich vor dem Gedanken, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen, neben ihrem kindlichen Ich. Es war eine gruselige Vorstellung. „Ich vermute, sie sind ebenfalls hier gelandet.“, Fireball drehte sich den Bildschirm vom Laptop herum, so dass er sich die Kurve auch mal näher anschauen konnte. Er sah auf die Kurve, stützte die Ellbogen auf dem Tisch auf und seufzte. Es gab mehr als nur einen Hinweis, dass Jesse Blue hier war. Wie das mit Neuigkeiten manchmal so war, gingen die die Runde und so wollte auch Colt mal einen Blick auf die besagte, unschöne Kurve haben. Auch er drehte sich den Kasten herum. Doch mehr noch als die komische Anomalie, die er sowieso nicht verstehen konnte, interessierten ihn Fireballs Worte. Skeptisch beäugte er den Rennfahrer und brummte: „Und wie kommst du da drauf, Junior?“ Auch Saber und April wollten das genauer erklärt haben. Die Blondine neigte den Kopf und nickte ihrem Gegenüber fragend zu: „Woher weißt du das?“ Der Schotte beschränkte sich auf fragende Blicke. Sie mussten nicht alle die selbe Frage aussprechen, es sollte dem Rennfahrer ohnehin klar sein, dass sie es wissen wollten. Dieser Zwischenfall hatte bereits jetzt gehörig was in ihrer Zeit durcheinander gebracht, nicht auszudenken, was noch alles passieren konnte. Saber hatte kein Interesse daran, auch noch andere Dinge und veränderte Situationen in Kauf zu nehmen. Es war einfach viel zu gefährlich. Und die Vernunft hatten mittlerweile alle Teammitglieder mehr oder weniger angenommen. Colt war der einzige, der es manchmal noch nicht so ganz verstehen wollte, aber im Endeffekt hielt er sich doch an die Anweisungen, die er bekam. „Ganz einfach.“, Fireball lehnte sich zurück und sah dabei vor allem Saber aufmerksam an. Während er die Arme vor der Brust verschränkte, erklärte er seinen Freunden: „Commander Eagle und König Jarred haben immer davon gesprochen, dass die Outrider plötzlich in unserer Dimension aufgetaucht sind, ohne Vorwarnung sozusagen. Mein Vater spricht allerdings von merkwürdigen Vorkommnissen, die sich seit unserer Ankunft hier zugetragen haben. Wir starten jeden Tag zu Aufklärungsflügen. Bisher haben wir nichts gefunden, aber ich vermute, dass es unser Blaukehlchen und Konsorten sind.“ Wir. Saber hatte sich bei diesem Wort auf die Lippen gebissen. Es gefiel ihm nicht, denn offenbar hatte sich Fireball in der Staffel seines Vaters schnell zurecht gefunden und fühlte sich dort ebenfalls schon dazugehörig. Er schloss kurz die Augen. Die Veränderungen, die ihre eigene Zeit betrafen, konnten noch ein viel schlimmeres Ausmaß annehmen, als er bisher bemerkt hatte. Aber sie hatten in diesem Punkt keine andere Wahl mehr. Saber konnte Fireball nicht mehr befehlen, nicht mehr zum Dienst anzutreten, es würde noch mehr Misstrauen schüren, das war dem Schotten glasklar. Bedächtig nickte er: „Halt die Augen offen und pass auf, Fireball. Wir brauchen jede Information, die wir kriegen können.“ „Wir brauchen den Blaumann, damit wir wieder heim können, das wollte der Boss damit andeuten.“, Colt hob die rechte Hand nach oben und stieß sich den Hut aus dem Gesicht. Er würde, sobald sie Jesse Blue nicht mehr brauchten, den Verräter eigenhändig zu Mus verarbeiten. Dem Cowboy schmeckte es hier nicht mehr sonderlich, anfangs war es noch irgendwie witzig gewesen, aber nun wollte er nur noch nachhause. Zurück in seine Zeit, zurück zu Robin. Noch ewig saßen die vier an diesem Abend zusammen und berieten sich. Immer wieder fiel die Sprache auch auf die unangenehme Ausgangssperre für Colt, Saber und April. In diesem Punkt taten sich der Schwertschwinger und der Rennfahrer allerdings diktatorisch zusammen. Die drei sollten an Bord bleiben und damit war Ende der Diskussion. April und Colt sahen so manches Mal zwischen Saber und Fireball hin und her. Wer gab denn nun die Befehle? Beiden fiel inzwischen auf, dass Fireball begann, Anweisungen zu geben, selbstverständlich und auch noch ziemlich forsch, wie sie so manches Mal an diesem Abend bemerkten. Nicht übertrieben begeistert lehnte sich Colt zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Ein befehlshabender Offizier reichte ihm eigentlich bei einer vierköpfigen Mannschaft aus. Nun wollte auch noch ein zweiter diesen Titel für sich beanspruchen. Colt behagte das ganz und gar nicht. Irgendwas war faul. Aber im Augenblick konnte er nichts tun. Ihm waren die Hände gebunden. Er musste es hinnehmen, aber bestimmt nicht kommentarlos. Er zwinkerte leicht und ließ sich vernehmen: „Wenn ich schon Haus und Hof hüten soll, legt dem Welpen wenigstens einen Maulkorb an. Das Gekläffe ist ganz einfach zu viel des Guten.“ Er lehnte im Türrahmen und beobachtete ihren Schlaf. Spät war er an diesem Abend wieder nachhause gekommen. Nachhause. Ramrod war sein Zuhause, nirgendwo anders sollte er sein. Für eine Zeit lang hatte er das vergessen. Fireball hatte sich gut im Oberkommando vor seiner eigentlichen Zeit eingelebt, hatte sich Stück für Stück mit seinem Vater angefreundet. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. So vieles spukte ihm im Moment im Kopf herum. Er hatte nie die Chance gehabt, mit einem Vater aufzuwachsen. Nun aber hatte er das Gefühl, all das aufholen zu können. Der Captain kümmerte sich gut um ihn, wie ein Vater um seinen Sohn. Nur, dass der Captain eben nicht wusste, dass er sich wirklich um seinen Sohn umsah. Er wollte das nicht mehr hergeben müssen. Doch sie waren in der falschen Zeit und sie durften hier nichts verändern, egal, wie gerne Fireball seinen Vater auch gewarnt hätte und ihm alles erzählt hätte. Sie hatten schon genug durcheinander gebracht. Diesen Satz hatte Saber ihm ein paar Tage zuvor an den Kopf geworfen, als sie aneinander geraten waren. Der Schotte und er lagen sich in letzter Zeit öfters in den Haaren, nur wusste Fireball nicht, warum genau. Er tat nichts, was er nicht vorher auch schon getan hatte, nur schien Saber nun damit ein Problem zu haben. Aus den täglichen Routinebesprechungen wurden mitunter handfeste Diskussionen. Dem Schotten stand der Kopf weiß Gott wo, er war überspannt und ganz einfach gereizt. Fireball schob es auf die momentane Situation. Ein Sack voll Flöhe war leichter zu hüten, als Colt und auch April es gerade waren. April. Fireball öffnete die Augen wieder und sah auf ihr Bett. Sie lag friedlich darin und schlief. Seine unerfüllte Sehnsucht lag in ihrem Bett und träumte. Er wusste nicht, wann er sich genau in die blonde Navigatorin verliebt hatte, aber irgendwann war es ihm wie aus heiterem Himmel aufgefallen. Bei einem flüchtigen Blick in ihre blauen Augen und ihr strahlendes Lächeln. Aber er konnte ihr nicht sagen, was er für sie empfand. Fireball wusste nicht genau, ob sie ihn liebte. Hin und wieder hatte er das Gefühl, sie würde mehr für ihn empfinden, meistens jedoch glaubte er zu wissen, dass sie in ihm nur einen kleinen Bruder und Freundinnenersatz sah. Sie hatte keine Ahnung, dass er für sie sterben würde, wenn sie ihn darum bat. Fireball wandte den Blick von ihr ab und verließ das Zimmer. Es war längst Zeit um ins Bett zu gehen. Die Tür schloss sich leise hinter ihm. Verschlafen schlug sie die Augen auf. April hatte das Gefühl gehabt, jemand würde bei ihr im Zimmer stehen. Sie setzte sich auf und blickte auf die verschlossene Tür. Nein, niemand hier. Hatte sie geträumt? Musste sie fast, denn es stand auch noch niemand im Zimmer, nachdem sie sich die Augen gerieben hatte. Sie musste sich getäuscht haben. Gähnend fiel April wieder in ihr Kissen und schloss die Augen. Ruhig war es nachts auf dem sonst so quirligen Ramrod. Kein Wunder, alle schliefen längst und es drohte ihnen keine Gefahr. Bald schon war April wieder eingeschlafen. Fireball stand in der Küche, schon fertig um ins Bett zu schleichen, als die Tür zur Küche noch einmal zischend zur Seite glitt. Der Rennfahrer trank gerade aus der Wasserflasche, aber wegen des Besuchers absetzen wollte er sie nicht. Seine Augen glitten zur Tür hinüber. Es war Saber, der noch einmal aufgestanden war. Wahrscheinlich hatte er den Piloten im Badezimmer gehört. In der Nacht war sogar laufendes Wasser höllisch laut und der Recke hatte ohnehin einen leichten Schlaf. „Bist du jetzt erst aus dem Oberkommando gekommen?“, Saber gähnte und streckte sich dabei leicht. Seine Frage hatte bei weitem nicht so kontrollierend und mahnend klingen sollen, wie sie es letztendlich getan hatte. Der Schotte hatte sich Sorgen um den Hitzkopf gemacht. Schlurfend ging er auf Fireball zu und lehnte sich neben ihm an die Anrichte. Der Pilot stellte die Flasche ab und nickte. Er war hundemüde und hatte eigentlich keine Lust mehr auf eine Diskussion. Deswegen erklärte er ohne Umschweife: „Wir mussten am Abend noch einmal ausschwärmen, der Tower hatte etwas auf dem Schirm. Nur haben wir nichts gefunden. Der Eindringling war längst weg, die Mühe umsonst. Aber es hat bis jetzt gedauert.“ Saber nickte ruhig, griff nach der Wasserflasche und wischte mit der Hand über die Öffnung, ehe er daraus trank. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, wies er auf den Tisch und ging voraus. Die Erzählung hatte sein Interesse geweckt. Nicht mehr ganz so daneben, wie bei seinem Eintreten setzte er sich an seinen Platz. Er wartete auf Fireball, doch dieser folgte ihm nicht, also stützte er sich mit den Ellbogen auf den Tisch und beugte den Oberkörper in Fireballs Richtung: „Hast du eine Ahnung, was die Staffel gesucht hat?“ „Müsst ich raten, würd‘ ich auf Outrider tippen. Der Tower konnte das Signal nicht zuordnen. Außerdem ist das Signal an einem Ort plötzlich aufgetaucht und zwanzig Kilometer westlich von hier genauso schnell wieder verschwunden.“, der Wuschelkopf hob die Schultern leicht an. Alles deutete auf einen Dimensionssprung hin, dieses ‚Jetzt bin ich da – Jetzt bin ich wieder weg‘-Phänomen kannte er von Ramrods Radarschirm. Wieder nickte Saber. Zweieinhalb Monate nach ihrem kleinen Verfahrer in die Vergangenheit tauchten erstmals Outrider hier auf. Weshalb hatten Ramrods Sensoren nicht Alarm geschlagen? Sie standen nicht weit von der Stadt entfernt, ihr Abtaster hätte etwas aufschnappen müssen. Grüblerisch legte Saber die Stirn in Falten. Was hatte das zu bedeuten? Als ob er Sabers Gedanken gelesen hätte, nahm er Saber die Antwort auf die unausgesprochene Frage vorweg: „Da ihr euch nicht gemeldet habt, nehm ich an, Ramrod hat nichts dergleichen aufgeschnappt.“, er stieß sich von der Spüle ab und ging einige Schritte in das Zimmer hinein. Fireball fuhr sich durch die Haare: „Es war nur ein Signal. Ein einziger Gleiter. Ramrod hat vielleicht deswegen nicht angeschlagen.“ „Hm, möglich.“, Saber rieb sich über das Kinn. Es war durchaus wahrscheinlich, dass Ramrod auf einzelne Gleiter nicht reagierte, immerhin traten die Fieslinge in ihrer Zeit immer rudelweise auf. Der Schotte sah Fireball an. Zum ersten Mal, seit der Pilot in der Flugstaffel seines Vaters arbeitete, sah er abgekämpft aus. Saber hakte deswegen nach, es war ungewöhnlich für Fireball: „Du siehst fertig aus. Ist etwas?“ „Das Phänomen nennt sich akuter Schlafmangel.“, kam es prompt zurück. Fireball funkelte zu Saber hinüber. Was glaubte der Säbelschwinger eigentlich? Dass er den ganzen Tag in der Flugstaffel Däumchen drehte und seinen Schönheitsschlaf aufholte? Fireball schnaubte kurz, besann sich dann aber eines besseren. Er war müde, und deswegen gereizt, das wusste er selbst. So war er nämlich immer schon gewesen, wenn er nicht genug Schlaf abbekommen hatte. Endlich setzte sich Fireball zu Saber an den Tisch. Einen Augenblick sah er seinen Kameraden schief an, dann lehnte er sich zurück und schlug ein ganz anderes Thema ein: „Sag April, sie soll morgen die Sensoren feiner einstellen und seht euch die Anomalie noch einmal genauer an. Irgendwas haben wir da übersehen.“ Saber blieb die Luft weg und seine Augen wurden vor Überraschung größer. War das das, wonach es sich gerade angehört hatte?! Wie kam der kleine Rennfahrer dazu, ihn herumzukommandieren? Saber richtete sich auf, straffte seine Haltung und sah Fireball durchdringend an: „Hast du dir gerade zugehört?“ „Hab ich neuerdings eine undeutliche Aussprache?“, Fireball zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Murmelte er wirklich so in seinen nicht vorhandenen Bart oder war der gute Säbelschwinger unter die Tauben gegangen? Fireball verdrehte kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Also, irgendwas stimmte nicht. Saber hätte für den Kommentar am liebsten über den Tisch gelangt. Was war nur in Fireball gefahren? Seit sie hier in dieser Zeit feststeckten, änderte sich stetig etwas, vor allem aber der junge Japaner änderte sich jeden Tag mehr. Er musste einfach was gehörig durcheinander gebracht haben, anders konnte sich Saber das nicht mehr erklären. Noch einmal versuchte er, Fireball es von selbst erkennen zu lassen, indem er fragte: „Hast du die Umgangsformen aus dem Oberkommando übernommen, Fireball?“ Der Rennfahrer schob die Unterlippe leicht nach vor. Worauf wollte Saber hinaus? Der Schwertschwinger war doch sonst nicht so. Fireball verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an: „Nicht, dass ich wüsste.“ „Okay, dann formulier ich es anders.“, innerlich seufzte Saber. Wie sollte er ihm das nur wieder erklären, ohne dass er einen neuerlichen Disput herauf beschwor? Fireball schien es selbst nicht zu merken. Der Grund dafür konnte denkbar einfach sein. Die Veränderung betraf ihn selbst, deswegen war sein Verhalten für ihn normal. Aber für Saber war es das nicht. Er bekam an Bord von Ramrod normalerweise von niemanden Anweisungen, schon gar nicht von Fireball. Aber das änderte sich stetig. Aus den brillanten Vorschlägen waren schleichend Vorgaben und Anweisungen geworden. Saber kam einfach nicht umhin, das zu ignorieren, weil es ihn betraf. Fireball übernahm sukzessive seinen Job als kommandierender Offizier. Er wurde an Bord bald überflüssig, wie sich Saber bei diesem erschreckenden Gedanken ertappte. „Seit wann bist du derjenige, der Befehle auf Ramrod erteilt?“ Angegriffen wich der junge Pilot zurück. Er drückte den Rücken an die Lehne und stemmte die Arme gegen die Tischkanten. So feindselig wie in diesem Moment hatte er Saber selten erlebt. Genau genommen, war das gerade das erste Mal überhaupt. Fireball sah an seinem Freund hinab, der im Schlafanzug halb über den Tisch gebeugt saß. Das alles war lächerlich. Sie saßen hier, mitten in der Nacht, Saber im Pyjama und er selbst in den bequemsten Sachen, die er auf die Schnelle im Halbdunkel gefunden hatte! Saber hatte schon geschlafen, der Schotte war immer noch schlaftrunken. Das musste es sein. Sogar der rationalste Mensch erlebte seine gröbsten Aussetzer, wenn er aus dem Schlaf gerissen wurde. Fireball schob es auf die nächtliche Störung, dass Saber ihn derart anfunkelte. Wie eine Katze krallte er seine Finger in die Tischkante, weniger, weil er sie wetzen wollte, viel eher, weil er sich festhalten musste. Nicht nur ein riesiges Fragezeichen prangte auf seiner Stirn. Das alles war ihm grad viel zu hoch. Saber sank auf seinen Platz zurück. So machte das keinen Sinn. Grummelnd biss er sich auf die Lippen und verkniff sich weitere Kommentare zu dem Thema. Fireball stand auf der Leitung, selbst ein Schild mit Pfeil und Leuchtreklame hätte ihn nicht auf den richtigen Trichter gebracht. Für diesen Abend gab der Highlander auf. Der Rennfahrer kroch schon auf dem Zahnfleisch daher, so hundemüde war er, kein Wunder konnte er sich nichts mehr zusammen denken. Saber beschränkte sich noch einmal auf einen tadelnden Blick, ehe er einfach da weitermachte, wo sie vor Fireballs Befehlston aufgehört hatten. Der Schotte stand auf und holte dieses Mal die Milchflasche aus dem Kühlschrank und zwei Gläser dazu. Ohne zu Fireball hinüberzusehen, fragte er: „Warm oder kalt?“ Noch verwirrter als zuvor schon, schoss Fireballs Kopf in Sabers Richtung. Was war? Als er die Milch in Sabers Händen sah, verstand er wieder. Versöhnlich lächelnd bat er: „Bitte warm. Dann schlaf ich nachher wenigstens gut.“ Schmunzelnd stellte Saber zwei Gläser mit Milch in die Mikrowelle und machte sie an. Er würde noch eine gute halbe Stunde mit dem jüngsten in der Truppe hier sitzen und sich besprechen. Obwohl Saber es nach wie vor nicht gutheißen konnte, Fireball in der Air Strike Base 1 fliegen zu sehen, spätestens jetzt erwies er sich als gute Informationsquelle. Fireball bekam alle Auffälligkeiten als erstes mit, saß im wahrsten Sinne des Wortes an der Quelle. Das konnte ihr entscheidender Vorteil sein, wenn sie Jesse Blue endlich finden wollten. Als die Mikrowelle das Signal gab, dass die Milch warm genug war, nahm Saber die Gläser heraus und brachte sie zurück an den Tisch. Er schob Fireball eines davon hin und setzte sich anschließend wieder. Seine Augen wurden wieder klein, aber sein Wissensdurst ließ ihn ohnehin nicht vorher schlafen gehen, ehe er nicht über alles informiert worden war. Saber gähnte unterdrückt: „Was glaubst du? War das eine Ausnahme, was heute vorgefallen ist?“ Der Rennfahrer umfasste den Schlummertrunk mit beiden Händen. Das war nicht so einfach zu sagen. Kurzerhand schlüpfte er unter dem Tisch aus seinen Pantoffeln und hob die Füße auf die Bank. Er nestelte eine Weile herum, bis er seinen linken Fuß unter seinen Hintern geschoben hatte und den rechten mit der Fußsohle auf die Bank aufgesetzt hatte. Er nützte sein rechtes Knie jetzt als Kopfstützte und legte sein Kinn darauf. Grübelnd sah er Saber an und ordnete seine Gedanken: „Irgendwie hat das wie ein Aufklärungsflug ausgesehen. Ein einziger Gleiter. Sonst nichts. Wenn es ein Outrider war, hat er etwas gesucht oder ausgekundschaftet.“ Der Schotte nahm einen Schluck von der warmen Milch. Das Getränk erinnerte ihn immer an zuhause. Hatte er als Kind nicht schlafen können, hatte ihm seine Mutter ein Glas warmer Milch mit Honig gemacht. Es beruhigte die Nerven und machte endlich schläfrig. Ginge es nach seinen Nerven, dürfte er sich im Augenblick nur noch von warmer Milch mit Honig ernähren. Saber ließ sich Fireballs Worte durch den Kopf gehen. So unrecht hatte der Pilot nicht. Deshalb horchte er weiter: „Hat er das Oberkommando ausgekundschaftet?“ „Nein.“, müde schüttelte Fireball den Kopf: „So lebensmüde war der nicht. Er ist einmal quer über die Stadt geflogen, sehr hoch und nicht übertrieben schnell. Ich glaube, er hat sich einen Überblick verschafft. Über die Stadt, über die Lage, vielleicht sogar über Ramrod. So unauffällig ist unser Baby leider nicht, wie wir das gerne hätten.“ Tatsächlich glaubte Fireball eher daran, dass dieser Flug nur einen einzigen Zweck hatte. Mittlerweile war er oft genug mit einem Jet in der Luft gewesen. Von dort oben hatte man einen guten Blick über die gesamte Stadt und ihre grünen Wälder herum. Mit Ramrod war ihm das nie aufgefallen, der Riesenvogel schränkte einem das Sichtfeld doch erheblich ein. Der fremde Eindringling hatte nicht vor gehabt, aufzufallen oder entdeckt zu werden. Doch das war er. Fireball war mit einigen anderen aus der Staffel in die Luft geschickt worden, sein Vater hatte noch gescherzt, jetzt könnte er mal zeigen, aus welchem Holz er wirklich geschnitzt wäre. Nachdenklich nickte Saber: „Du meinst, er könnte uns gesucht haben. Ob es Jesse Blue war?“, der Schotte grübelte bereits über allerhand möglicher Ursachen und Theorien, die dazu in Frage kamen. „Möglich.“, das konnte Fireball weder bestreiten noch beglaubigen. Er hatte den Jet nicht ausmachen können, die vom Tower hatten die Flugrichtung zu langsam bestimmt. Das fremde Schiff war verschwunden gewesen, noch ehe Fireball den Eindringling erreichen konnte. Das frustrierte ihn insgeheim. Er war ein guter Pilot, sein Instinkt steuerte ihn durch alle möglichen Situationen und er hatte ein untrügerliches Gespür für Gefahr. Er gähnte, kniff dabei die Augen zu und murmelte dabei: „Wir müssen auf der Hut sein. Wer immer das war, er wird Ärger machen. Mächtig Ärger.“ Saber biss sich auf die Lippen: „In absehbarer Zeit wird Nemesis ohnehin Ärger machen, Fireball.“ Unbedacht war das nun von Saber gewesen. Er hätte Fireball nicht daran erinnern müssen, dass sein Vater bald sterben würde. Nun bekam er von seinem Piloten einen betretenen Blick zugeworfen, ehe er den Kopf komplett senkte und die Stirn gegen sein Knie lehnte. Leise vernahm er unglückliches Brummen: „Das brauchst du mir nicht zu sagen.“ Das hätte er wissen müssen. Saber hatte nicht nachgedacht, als er das gesagt hatte. Und er hatte vergessen, wem sie den fünfzehn Jahre dauernden Frieden in ihrer Zeit zu verdanken hatten. Fireballs Vater. Fireball lernte seinen Vater in dieser verrückten Zeit hier kennen, verstand sich gut mit ihm. Und nun erinnerte der blonde Highlander ihn daran, dass er ihn wieder verlieren würde. Verzwickte Geschichte war das mittlerweile. In diesem Augenblick wünschte sich Saber die Blondine oder zumindest den Cowboy an seine Stelle. April hätte gewusst, was sie in so einer Situation sagen sollte und Colt. Naja, der hätte zumindest mit einem platten Witz darüber hinweggetäuscht und das Thema gewechselt. Saber konnte weder noch. Er versuchte die Kurve wesentlich sachlicher zu kriegen: „Es ist der Lauf der Dinge, Fireball. Daran können wir nichts ändern.“, nach einer kurzen Pause, in der er Fireballs Reaktion beobachtete, fügte er ermahnend hinzu: „Daran dürfen wir nichts ändern. Was wir bisher angerichtet haben, reicht vollkommen.“ Sabers Worte klangen wie Hohn in seinen Ohren. Was sie angerichtet hatten! Angerührt schluckte Fireball alle Kommentare hinunter, die ihm auf der Zunge lagen. Bewusst vorsichtig schob er sein Glas Milch in die Tischmitte, er wollte den Inhalt nicht über den Tisch verteilen, wenn er gleich zu schwungvoll aufstand. Seine braunen Augen flackerten verletzt auf. Saber hatte keine Ahnung. Zorn und Groll mischten sich in seinen Gedanken, sie überdeckten die Angst, die Unsicherheit und das Unbehagen mit Leichtigkeit. Fireball wusste nicht, was in letzter Zeit in sie alle gefahren war. Saber war vorhin immer ein guter Freund gewesen. Er hatte ihn in allem unterstützt, hatte ihm oft geholfen, die richtige Entscheidung und den richtigen Befehl zu geben. Aber seit geraumer Zeit lief alles schief. Der Rennfahrer spürte deutlich die Spannungen zwischen ihnen. Aus dem Freund, aus dem Berater war jemand geworden, der ihm alles aus der Hand nehmen wollte. Fireball fürchtete, ihre Freundschaft könnte einen irreparablen Schaden davontragen. Deshalb zog er es auch vor, aufzustehen und endlich ins Bett zu gehen. Unüberlegt, wie er manchmal handelte, konnte es gut sein, dass er Saber anfuhr und vielleicht sogar noch schlimmeres tat. Dieser verbohrte Schwachkopf! Saber biss sich verzagt auf die Lippen. Wie man es momentan auch machte, man machte es falsch. Egal, was er Fireball gesagt hätte, es wäre das Falsche gewesen. Fireball stand komplett neben sich, seit sie hier waren. Er vergaß, wer der Captain war, vergaß, wie er sich zu benehmen hatte. Wie oft hatte Saber in den letzten Wochen kaum schlafen können, weil niemand von ihnen gewusst hatte, wann der Rennfahrer wieder nachhause kam und ob er überhaupt noch kam? Sabers Nerven waren zum Zerreißen angespannt, es baute sich ein enormer Druck auf. Colt und April jeden Tag aufs Neue predigen zu müssen, dass sie in dieser Zeit nicht zuhause waren, war kein Zuckerschlecken. Ließ sich die blonde Navigatorin noch überreden, war er mit Colt bereits jenseits von Gut und Böse. Oft verging schon der halbe Vormittag alleine damit, dem Kuhhirten zu erklären, dass sie sich hier unauffällig verhalten sollten und so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit treten sollten. Ein Stein war manchmal ein gelehrigerer Schüler als Colt. Der Schotte griff um das Handgelenk seines Piloten und riss ihn zu sich herum. Durchdringend sah er ihn an und grollte drohend: „Mach mich nicht für den Tod deines Vaters verantwortlich, Fireball. Es wird geschehen, ob du das willst oder nicht.“ Mit aller Kraft schlug Fireball die Hand des Highlanders wieder weg. Zornig funkelten seine Augen zu dem größeren hinauf. Hatte er das wirklich gesagt? In diesem Moment hätte er Saber gerne gepackt und ihn lauthals angeschrien. Er streckte schon die Hände nach ihm aus, besann sich aber im letzten Moment eines Besseren. Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Verhalten grämte er sich: „Was ich will spielt keine Rolle. Mein Vater wird nicht der einzige sein, der sein Leben in diesem sinnlosen Krieg verlieren wird. Verdammt und zugenäht, Saber, du kennst die Geschichte! In den nächsten zwanzig Jahren werden unzählige Menschen sterben. Unschuldige Menschen. Familien werden auseinandergerissen, Eltern überleben ihre Kinder!“ Saber öffnete den Mund, wollte Widerworte geben, doch Fireball ließ ihm keine Chance mehr. Der Hitzkopf war bereits aus der Küche verschwunden. Und wie sich Saber eingestand, war das wahrscheinlich auch besser so. Denn der Schotte hätte niemals etwas sagen können, das diese Argumente vom Tisch wischte, sie als haltlos entlarven könnte. Fireball hatte durchaus Recht, aber niemand wusste, wie sich ihre Zeit entwickeln würde, wenn der erste Angriff niemals stattgefunden hätte. Saber lehnte sich gegen den Tisch, stützte die Arme hinter sich ab. Er erkannte den Piloten nicht wieder. Was hatten sie nur angerichtet? Saber schüttelte den Kopf und zog sich auf die Tischplatte. Mit hängendem Kopf ließ er die Beine baumeln. Ein ganzer Topf warmer Milch mit Honig hätte ihm nun nicht mehr helfen können. „Verfluchter Dickschädel, verfluchter!“, entfuhr es Saber, nachdem er immer noch keine Gegenargumente für Fireballs Vortrag finden konnte. Der Schotte wusste nicht, wann er das Zepter aus der Hand gegeben hatte, sicher war nur, dass er es nicht freiwillig getan hatte. Er war der Captain von Ramrod, hielt diese Bande schon seit ihrem ersten Einsatz unter Kontrolle! Funkelnde, blaue Augen voller Kampfgeist sahen vom Boden schließlich wieder auf. Entschlossen stand er auf. Er war der Captain! Während Saber aus der Küche ging, fasste er den Entschluss, den Rennfahrer wieder auf den Boden der Tatsachen herunter zu holen. Egal, was in ihn gefahren war, es musste sich auch wieder austreiben lassen. Notfalls mit einem Exorzisten. „Nicht schlecht, Rennsemmel. Aber ich bin besser und das wissen wir beide.“, Jesse spottete höhnisch und drehte ab. Als er die Stimme eines anderen im Funkverkehr hörte, wurde ihm klar, dass er gar nicht auf Fireball geschossen hatte. Captain Hikari meldete sich beinahe so überzeugt von sich, wie es Fireball immer mit Jesse machte: „Ich weiß ja nicht, wen du erwischen wolltest, aber jetzt hast du ein Problem.“ Damit schoss der Jet hinter dem von Jesse her. Der blauhaarige Überläufer erkannte sofort, wen er da an seinen Backen hatte. Eigentlich hatte er Fireball eins vor den Latz knallen wollen, doch statt dem Jungen war der Alte in den Abfangjäger gestiegen, um den Eindringling vom Himmel zu schießen. Der legendäre Shinji Hikari klebte ihm nun an den Fersen und Jesse musste sich anstrengen, um nicht getroffen zu werden. Er hatte lange gespitzelt, einige Wochen um genau zu sein, um herauszufinden, wo es die vier Star Sheriffs in der Vergangenheit hin verschlagen hatte. Jesse hatte sofort nach dem Zwischenfall gewusst, dass auch seine vier Rivalen in diese Zeit katapultiert worden waren, hatte jedoch nicht gewusst, wo sie sich aufhielten. Er war im Gegensatz zu ihnen nämlich im Königreich Jarr gelandet. Immer wieder hatte er sich gewundert, weshalb die Outrider dieses einfältige Königreich nicht hatten einnehmen können. Das Militär war sogar für ihre Zeit unterentwickelt und antiquiert. Jesse hatte sich also darauf konzentriert, die vier Star Sheriffs aufzutreiben und war schließlich fündig geworden. Seine Sensoren spürten den Friedenswächter auch in dieser Zeit zielsicher auf. Er hatte beobachtet und Pläne geschmiedet. Als er gemerkt hatte, dass Fireball unter falschem Namen im Oberkommando Dienst schob, und das auch noch in der Flugstaffel seines Vaters, war sein Rachegedanke wieder erwacht. Er würde sich an Fireball rächen, egal wie, egal wo, und egal zu welcher Zeit. Jesse Blue hatte sich einen Gleiter genommen und mal höflich im Oberkommando angeklopft. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass Fireball zur Abwehr in die Luft geschickt wurde, da hatte er sich wohl getäuscht. Aber Jesse Blue wäre nicht Jesse Blue gewesen, wenn er nicht auch aus dieser Situation seinen Vorteil ziehen würde. Hinterhältig ließ er sich vernehmen: „Da hab ich wohl den falschen Hikari erwischt.“ Captain Hikari geriet in letzter Zeit immer an die Verrückten, so schien es ihm. Das seltsame Abendessen mit dem neuen Piloten war ihm noch frisch im Gedächtnis und nun verfolgte er einen fremden, der seinen Namen kannte und auch noch behauptete, es gäbe zumindest noch einen anderen Hikari in der Flugstaffel der Air Strike Base 1. Langsam aber sicher vermutete der Befehlshaber dieser Flotte mehr als nur Zufall dahinter. Er schüttelte den Gedanken vorläufig ab und jagte dem fremden Jet hinterher: „So viele gibt’s von uns nicht, aber wir hinterlassen einen bleibenden Eindruck.“, mit diesen Worten schoss er Jesse eine Bordrakete ab. Der Eindringling würde nicht lange in der Luft überleben. Nicht, wenn er ihn noch weiter reizte. „Allzu viele von euch wird’s auch in Zukunft nicht geben, wenn ich bekomme, was ich will.“, hektisch zog Jesse am Steuerknüppel. Verdammt, da musste er sich direkt anstrengen um nicht Kanonenfutter für Captain Hikari zu werden. Fliegerisch würde er ihn ohnehin nicht bezwingen können, aber Zweifel schüren und abwegige Gedanken säen, das konnte Jesse und das würde er auch tun. Damit schwächte er Captain Hikari. Denn jemand, der nicht mit dem Kopf bei der Sache war, war ein leichtes Ziel und ein hervorragendes Opfer. Es funktionierte für gewöhnlich mit dem hitzköpfigen Rennfahrer, weshalb also sollte der Vater da nicht vom gleichen Schlag sein? Unter seinem Helm verdrehte Shinji die Augen und schnaubte in den Funk: „Noch einer, der Orakel spielt.“, die Jugend von heute hatte wohl zu viele Sorgen für die Zukunft. Er setzte dem Jet wieder nach und warnte den Piloten: „Ihr solltet euch auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Vor allem im Kampf.“ Jesse schwenkte seinen Jet. Er hatte genug von dem Katz und Maus Spiel. Treffsicher visierte er den Jet von Captain Hikari an und lachte hämisch: „Und du solltest hoffen, dass dir das Jetzt nicht zu kurz wird.“ Damit feuerte Jesse seine verbliebene Rakete ab. Sie würde ihr Ziel nicht verfehlen, da war sich der Blauhaarige verdammt sicher. Aber er hatte nicht mit dem Können des Captains gerechnet. Dieser schoss die Rakete vom Himmel, bevor sie ihm auch nur annähernd gefährlich werden konnte. Er spöttelte in den Funk: „Momentan find ich es nur erstaunlich, wie man sie nur so sehr selbst überschätzen kann.“ Vom ersten Moment an war Shinji sein Gegner nicht geheuer gewesen und von sympathisch war da noch lange keine Rede. Die selbstherrliche Art und Weise konnte man auch über Funk noch sehen. Der Captain hasste solch übertriebenes Getue. Jesse störte das nicht. Gut, dann war der Captain eben ein Stückchen besser als er. Dafür aber wusste der Überläufer etwas, was der gute Papa Hikari noch nicht wusste. Übertrieben erstaunt von den Künsten des Captains ließ er ihn wissen: „Oha. Da ist der Apfel aber verdammt weit vom Stamm gefallen. Hat wohl mehr von der Frau Mama, der gute Fireball. Deine Zeit ist abgelaufen, Papa Hikari.“ Treffer! Jesse hatte sich den Vorsprung zur Flucht spielend herausgearbeitet. Während er sich verkrümelte und zurück zu seiner Basis flog, konnte er sich hinterhältig grinsend ausmalen, welches Gesicht der gute Captain wohl grade unter seinem Helm zur Schau trug. Erstarrt nahm Captain Hikari die Hände vom Steuerknüppel und schaltete auf Autopilot. Das musste er erst sacken lassen. Wurde nicht Hikaro von seinen Freunden Fireball genannt? Nein, unmöglich, der laufende Meter konnte unmöglich was mit ihm zu tun haben. Niemals. Schon gar nicht so, wie es der Eindringling unterstellte. Oder doch? Erkannte er sich deswegen selbst in diesem jungen Piloten wieder? Aber das konnte nicht sein. So etwas war unmöglich. Grübelnd flog Shinji zum Stützpunkt zurück. Diesen seltsamen Abwehrflug musste er erst einmal verarbeiten. Er war überarbeitet, das musste es sein. Dieses völlig verrückte Wortgefecht musste er sich eingebildet haben. Nachdem dieser Vorfall den Captain nicht mehr ruhig schlafen ließ und ihn immer wieder auf diese verrückten und absurden Gedanken brachte, ging er mit offenen Augen und Ohren durch das Oberkommando. Er war sensibilisiert für alles, was seine Gedanken untermauern oder entwerten konnte. Wie ein Luchs schlich er um seine Staffel herum, versuchte von überall was aufzuschnappen und auszuwerten. Seine Aufmerksamkeit galt dabei vor allem dem neu zu ihnen gestoßenen Shinichi. Von Anfang an hatte Shinji das Gefühl gehabt, dass der Junge etwas zu verbergen hatte. Er sprach kaum über Familie, Privates konnte man ihm auch nicht entlocken, aber er schien etwas von der Zukunft zu wissen, was er eigentlich nicht wissen konnte. Und dann glaubte Shinji immer wieder, etwas von sich selbst in ihm zu sehen. Die vor Ungeduld sprühenden Augen, das hitzköpfige und teils auch respektlose Gemüt des jungen Piloten. Das alles waren Eigenschaften, die auch er hatte. Shinji fühlte sich dem Jungen verbunden, verstand dessen traurige Blicke, wenn die Kollegen wieder von Frieden und Familie sprachen. Aber das alles konnte ihm das Geheimnisvolle nicht nehmen. Zum Teufel, Shinji war sich sicher, dass Shinichi diesen Angreifer kannte! Fireball war mit der Spätschicht betraut worden, es hatte einen guten Grund, weshalb diese Schicht so von seinen Kollegen benannt worden war. Kurz vor Arbeitsende hatte das Radar noch einmal Alarm gegeben und an Fireball war die undankbare Aufgabe hängen geblieben, noch einen Aufklärungsflug zu starten. Nun war er wieder eine gute Stunde später als ursprünglich gesagt mit der Arbeit fertig. Er hatte seinen Jet gerade geparkt und hatte sich seiner Arbeitskluft entledigt, da erschien ein Schatten in den weit geöffneten Hangartüren. Er kam auf Fireball zu und lehnte sich gegen den Gleiter: „Das war ein interessanter Aufklärungsflug heute.“ Captain Hikari hatte abwartend die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haltung verriet eindeutig, dass Fireball nicht so ungeschoren davonkommen würde. Der Japaner zuckte unbeteiligt mit den Schultern und antwortete, während er an Captain Hikari vorbeigehen wollte: „Ja, war nicht ganz so langweilig, wie sonst.“ „Es sind einige Dinge anders als sonst.“, warf der Captain ein und musterte Fireball argwöhnisch. Die angeborene Skepsis war bei Shinji auf ein Maximum hochgefahren. Eine verräterische Bewegung, ein falsches Wort und er würde den neuen Piloten einer gewaltigen Lüge überführen. Das wusste auch Fireball. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sein Vater nach möglichen Schwachstellen suchte. Er drehte sich noch einmal um und setzte ein ehrlich fragendes Gesicht auf: „Wie kommen Sie darauf?“ „Außer, dass du in mein Leben getreten bist?“, misstrauisch stieß sich Shinji vom Gleiter ab und umrundete Fireball. Keine Sekunde ließ er den jungen Spund aus den Augen. Er würde sich verraten, auf alle Fälle. Abschätzend fuhr er fort: „Nun, da wäre der gescheiterte und jämmerliche Versuch vor ein paar Tagen gewesen, mich aus den Wolken zu holen. Der galt allerdings, so habe ich das verstanden, einer gewissen Rennsemmel, die auf den Namen Fireball hört.“ Entsetzt riss der Angesprochene die Augen auf. Das konnte nur Jesse Blue gewesen sein! Er zuckte merklich zusammen, denn der Unterton in der Stimme seines Vaters hatte die Vermutung, die er diesbezüglich hegte, gleich mit ausgesprochen. Fireball blieb beinahe das Herz stehen. Wie sollte er da nur wieder rauskommen? Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte und sein Gesichtsausdruck nicht mehr ganz so viel Überraschung widerspiegelte, hakte Fireball bei einem ebenso interessanten Punkt ein. Erstaunt fragte er: „Sie wurden angegriffen?“ Shinji winkte ab: „Ein lächerlicher Versuch.“, der Möchtegern hätte niemals eine Chance gegen ihn gehabt. Da sein Opfer allerdings nicht die Antwort gegeben hatte, die er sich erhofft hatte, sprach der Captain nun ganz offen seine Vermutung aus. Kühl und selbstverständlich offenbarte er: „Allerdings sehr aufschlussreich. Vor allem, da er offensichtlich dir gegolten hat.“ „Mir?“, Fireball blieb das Wort beinahe im Hals stecken. Wie konnte er das nur umgehen? Sein Vater schien zu wissen, was los war. Er wollte nur ausloten, inwieweit er in diese Sache verstrickt war und wie lange es dauerte, bis sich Fireball um Kopf und Kragen redete. Dem Rennfahrer graute schon jetzt davor, denn er durfte die Wahrheit nicht sagen. Obendrein war er ein hundsmiserabler Lügner, sogar April durchschaute seine Lügen schon im Ansatz und die war gutgläubig wie sonst niemand. Der Captain stoppte seine Rundläufe abrupt und blieb direkt vor Fireball stehen. Er sah ihm geradewegs in die Augen und führte seine Gedanken aus: „Wie schon gesagt, der Angriff galt jemanden, der Fireball genannt wird. So, wie dich deine Freunde nennen.“ Nun lag der Argwohn auch noch in der Stimme des Captains. Fireball wäre am liebsten im nächstbesten Mäuseloch verschwunden. Unbarmherzig stachen die braunen Augen auf ihn hinab und verlangten prompte Antworten. Der Rennfahrer wich instinktiv einen Schritt zurück. Die Situation war verdammt heikel: „Das ist…“, versuchte er sich hinaus zu schwindeln: „ein gängiger Spitzname, Sir.“ Das glaubte Fireball doch selber nicht. Captain Hikari demonstrierte seine Ungläubigkeit, indem er von einem Standbein auf das andere wechselte und beide Augenbrauen so hoch wie möglich zog. Er war gespannt, ob der junge Mann das noch überbieten konnte, denn: „Für Piloten? Oder eher für Rennfahrer, Junge?“ Bei der nächsten Bemerkung in diese Richtung fiel Fireball einfach tot um. Wie sollte er das denn erklären können? Und wie um alles in der Welt kam sein Vater auf die Idee, er wäre ein Rennfahrer? Unterbewusst zog Fireball die Schultern nach oben und versuchte, die Angriffsfläche für seinen Vater so klein wie möglich zu halten. Lieber in Deckung gehen und noch einmal die Unschuldsnummer raus kramen: „Wieso Rennfahrer?“ Shinji zwang sich zur Ruhe. Es hatte keinen Sinn, den Jungen anzufauchen und forsch nach Antworten zu verlangen. Seine Augenbrauen zogen sich jedoch nun bedenklich zusammen. Mit diesem Gesichtsausdruck würde er jeden einschüchtern und vertreiben, besonders wenn derjenige ihn nicht kannte. Seine Stimme zeigte keinerlei Gefühlsregung. Ein todsicheres Zeichen bei einem Hikari: „Ich wurde mit Rennsemmel tituliert. Willst du mir jetzt weis machen, dass du nicht wüsstest, dass Rennsemmel eine abfällige Bezeichnung für einen Rennfahrer ist?“, felsenfest von der Theorie überzeugt nagelte er Fireball nun fest: „Wer auch immer mein Angreifer war. Er kann nur dich gesucht haben.“ Noch ein Schritt nach hinten. Fireball suchte einen Ausweg aus seiner Lage, fand jedoch keinen. Er stand buchstäblich mit dem Rücken zur Wand, er konnte nicht mehr weiter weg. Seine Augen blickten zu seinem Vater auf. Er stand vor seinem Dad. Alleine das hatte Fireball noch nicht einordnen können, kam mit diesem Fakt nicht klar. Nun aber von seinem Vater überführt zu werden, das tat dementsprechend weh. Er sah keinen Ausweg mehr, konnte sich jedoch nicht in Schweigen hüllen. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Sein Vater hatte kein Vertrauen zu ihm, schwieg er ihn jetzt auch noch an, war für ihn der Fall sonnenklar. Fireball hing in der Sache mit drinnen, tiefer als Captain Hikari es ahnen konnte. Der ertappte Rennfahrer schlug die Augen nieder: „Sir, ehrlich, ich hab keine Ahnung von was auch immer. Ich verstehe nicht, wie Sie auf die Idee kommen, der Angreifer hätte mich gesucht. Ja, meine Freunde nennen mich manchmal Fireball, aber deswegen bin ich noch lange kein Rennfahrer. Das ist ein Spitzname wie jeder andere auch.“ „Ich glaube dir kein Wort!“, bedrohlich hallte die Stimme durch den Hangar. Der ältere Hikari war gerade ausgebrochen. Er fuhr Fireball an: „Dein ganzes Verhalten, das du seit unserer ersten Begegnung an den Tag gelegt hast, beweist mir das irgendetwas im Verborgenen bleiben soll, das dich betrifft. Es ist deine seltsame Gewissheit über die Zukunft, dein äußerst merkwürdiges Verhalten beim Abendessen. Es ist die Tatsache, dass der Angriff dir galt und dein Spitzname, entgegen deiner Behauptung, eben keiner wie jeder andere ist. Ich rate dir, mir die Wahrheit zu sagen. Was immer es ist. Ich schätze es überhaupt nicht, wenn man mich belügt!“ „Das“, Fireball wusste weder vor noch zurück, sein Vater hatte ihm einen Tiefschlag versetzt, von dem er sich nicht so schnell erholte. Der Captain hatte alles aufgezählt, hatte haarklein alles mitbekommen und war von Anfang an misstrauisch gewesen. Und Fireball konnte keine seiner Vermutungen entkräften, denn wie Shinji selbst gesagt hatte, es waren alles Fakten. Mühsam presste Fireball noch einen Satz hervor: „Das bilden Sie sich ein, Sir.“ „Ich habe mir nicht eingebildet, dass es durch die Funkverbindung tönte: ‚Hoppla, der falsche Hikari‘. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass er dich kannte. ‚Ich bin besser als du, Rennsemmel, und das weißt du‘. Jemand, der solche Aussagen an seinen Gegner richtet, kennt ihn.“ Shinji verlor mit jedem Wort mehr die Beherrschung. Nein, er hatte sich das alles nicht eingebildet. Es hing mit dem neuen Piloten zusammen. Dieser sture Esel, der immer noch nach Ausflüchten suchte und dabei so offensichtlich log, dass Shinji der Kragen platzte. Shinji löste sich aus seiner Position und pumpte sich auf. Er baute sich bedrohlich vor Fireball auf und stieß ihm den rechten Zeigefinger gegen die Brust: „Also, ich höre, Hikaro!“ Bei dieser Aufforderung hatte er das O extra betont. Er unterstrich, wie wenig er dem jungen Japaner nun noch glaubte. Nicht einmal mehr den Namen, den er ihm am ersten Tag genannt hatte. Innerlich spannte sich alles in Shinji. Wie gehörte dieser Junge, der kaum aus dem Ei geschlüpft war, zu ihm? Hatte sein Angreifer Recht gehabt, als er ihnen die Blutsverwandtschaft unterstellt hatte? Shinji kannte die Antwort darauf nicht, aber er war felsenfest davon überzeugt, dass sein Gegenüber die sehr wohl kannte. Er wollte Gewissheit. Sofort. Die Zitate konnte Fireball nur einer Person zuordnen: „Jesse!“ Also war der Blauhaarige immer noch unter ihnen und versuchte, die Vergangenheit zu ändern. Fireball schlug das Herz bis zum Hals, er hatte Angst. Angst, dass Jesse Blue das getan haben könnte, wovor Saber ihn seit ihrer Ankunft immer und immer wieder gewarnt hatte. Na bitte, da hatte er seine Antwort. Shinji horchte auf und lockerte seine Position: „Wer?“ Fireball sah seinen Vater aufmerksam an, schlug die Augen jedoch gleich wieder nieder. Er würde nie heil aus diesem Fiasko heraus kommen, dafür war es zu spät. Fireball hätte unhöflich sein sollen und nach dem ersten Satz das Weite suchen sollen. Er fürchtete sich vor der Reaktion seines Vaters. Deshalb zeigte er sich vorerst geständig und erklärte: „Ihr Angreifer, Sir.“ „Würdest du wohl endlich die Güte haben und den Mund aufmachen?!“, am Ende seiner Geduld grollte Shinji seinen Sohn an. Wenn der Giftzwerg vor ihm so weiter machte, sprang er ihm an die Gurgel. Verunsichert setzte Fireball an: „Ich…“ Shinji brummte: „Ich bin nicht bereit, mir Ausflüchte anzuhören, Junge. Was wollte er von dir?“ Der Rennfahrer schluckte schwer. Was sollte er seinem Vater bloß sagen? Die Wahrheit wäre wohl das gewesen, was dieser nicht wissen wollte. Deshalb entschied sich Fireball für eine Auskunft ohne Inhalt: „Wir haben eine Rechnung offen, Sir.“ „Eine Rechnung offen?“, ungläubig wiederholte Captain Hikari diese Worte. Seine Augenbrauen zogen sich wieder bedächtig zusammen. Langsam aber sicher war er mit seiner Geduld am Ende angekommen. Er hatte lange genug versucht, freundlich zu bleiben. Mit verschränkten Armen und einem Blick, der mehr als tausend Worte sagte, zog er Fireballs letzte Worte ins Lächerliche: „Natürlich. Worum geht’s dabei? Wenn er dich umbringen wollte, wird’s wohl hoffentlich um mehr dabei gehen, als die bloße Tatsache, dass du ihm ein Mädchen ausgespannt hast.“ Mit keinem Gedanken hatte er vermutet, dass er dabei wieder ins Schwarze traf. Für Captain Hikari war es unvorstellbar, wegen eines Mädchens Krieg zu führen. Und, soviel hatte er schon bemerkt, es war eine private Auseinandersetzung zwischen seinem Angreifer und dem neuen Piloten. Aber um ein Mädchen zu kämpfen, das schien ihm lächerlich. Fireball brachte indes nicht mehr als „Uff…“ heraus. Sein Vater wusste gar nicht, wie Recht er mit seiner lächerlichen Behauptung hatte. Jesse Blue und er konnten sich tatsächlich aus diesem einen Grund nicht riechen. Der Überläufer war wegen April zu den Outridern gewechselt. Mit einem beinahe schon verstörten Blick blinzelte Fireball seinen Vater an. Das war zu viel für den Papa. Wutentbrannt packte er Fireball am Kragen und zog ihn zu sich. Er machte Schaschlik aus dem Jungen, wenn er nicht bald zu reden anfing. Harsch schrie er Fireball an: „Mir reicht’s jetzt langsam mit deiner sturen Verschwiegenheit! Was zum Teufel wird hier gespielt?“ Spätestens jetzt fragte sich Fireball, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, sein Vater wäre die Güte in Person gewesen. Erschrocken und verängstigt wollte er sich losmachen. Mit jedem Wort, das er ihm ins Gesicht geschrien hatte, zuckte Fireball von neuem zusammen und kniff die Augen zusammen. Das war furchteinflößend, vor allem, weil das Bild von Fireballs Vater, das sich aus Erzählungen von Freunden und seiner Mutter in seinem Kopf manifestiert hatte, jäh von der Wirklichkeit überdeckt wurde. Fireball versuchte, die Hände seines Vaters von sich zu schieben. Keuchend wand er sich: „Ich… Ich kann nicht.“ „Wie bitte?!“, böse funkelte er den jungen Mann an, der sich doch standhaft dagegen wehrte, mit der Wahrheit aufzuwarten. Einen sturen Bock hatte er sich da eingehandelt. Aber der Captain war sich nun sicher, der neue Pilot war in diese seltsamen Vorkommnisse verwickelt, wenn er nicht sogar der Drahtzieher war. Genervt stieß er Fireball gegen die Wand. Shinji musterte Fireball noch einmal eingehend. ‚Papa Hikari‘, schallte eine innere Stimme in ihm. War dieser Junge wirklich…? Der erfahrene Pilot schüttelte heftig den Kopf. Wie sollte das denn gehen? Shinji erkannte sich in diesem Jungen, jetzt mehr noch als zuvor. Er brauchte im Grunde keine Antwort mehr. Fireball presste kaum noch hörbar hervor: „Es ist alles, wie es sein sollte, Captain.“, todunglücklich fügte er hinzu: „Alles beim Alten.“ Captain Hikari ballte die Hände zu Fäusten und drehte sich um. Es hatte keinen Zweck, das hatte er eingesehen. Aber er würde nicht eher ruhen, bis er herausgefunden hatte, was los war. Er warnte Fireball: „Du lügst.“, dabei lugte er enttäuscht über seine Schulter auf Fireball. „Ich bin schwer enttäuscht von dir, Junge. Ich werde dich im Auge behalten, bis ich weiß, warum dieser Jesse mich Papa Hikari genannt hat.“ Ohne sich noch einmal umzusehen verließ Shinji den Hangar. Aufgewühlt und verwirrt darüber, was er erlebt und gesehen hatte. Es waren weniger die Worte seines Angreifers, als dieses eigenartige Gefühl, das ihn jedes Mal wieder überkam, wenn er in das Antlitz des kleinen Japaners lugte. Seine Frau, Ai, hatte nach dem gemeinsamen Abendessen gesagt, sollten sie jemals das Glück haben, ein Kind zu bekommen, sie würde sich wünschen, dass er so wie dieser Junge war. Und auch Shinji wünschte sich einen Sohn wie Fireball. Er brauchte dem jungen Piloten nur in die Augen zu sehen, und tief in ihm spürte er Vertrautheit und Verbundenheit. Er konnte es nicht erklären, aber Captain Hikari glaubte, er hätte eben seine Zukunft mit Ai gesehen. Er glaubte, er würde doch noch das geschenkt bekommen, was sie sich so sehr wünschten und das ihnen nicht vergönnt war. Aber wieso um alles in der Welt dachte er ausgerechnet daran, wenn er den talentierten Piloten vor sich hatte? Kapitel 7: Evil Plan -------------------- Sie saß auf der Wiese vor dem großen Friedenswächter, den Laptop auf ihre Beine, die sie im Schneidersitz verschränkt hielt, gelegt. Unter ihr lag eine Decke und die Blondine brütete über der Anomalie. Nun schon seit Wochen und bisher war sie zu keinem stimmigen oder schlüssigen Ergebnis gekommen. Auch Sabers Auswertungen und sein Datenmaterial hatten ihr nicht dabei helfen können. An diesem Nachmittag war sie allerdings nur halbherzig bei der Sache. Ihr spukten andere Dinge durch den Kopf. Und diese Dinge lagen ihr schwer auf dem Herzen. Bedrückt seufzte April zum wiederholten Male. Warum war es nur so schwer? April hatte sich verliebt. An sich war die Tatsache zwar eine wunderschöne und sie hätte sich auch darüber gefreut. Aber im Augenblick hätte es nichts Schlechteres geben können, als verliebt zu sein. April hatte sich schon vor einiger Zeit in Fireball verliebt, das hatte sie sich mittlerweile eingestanden. Ihre Kollegen sollten davon allerdings nichts mitbekommen. Aber diese Gefühle waren verboten. Auch, wenn Fireball dieselben Gefühle für sie hegen würde, die für ihn in ihr schlummerten, so würde es ihnen dennoch nicht erlaubt sein, zusammen zu sein. Und das war gleichzeitig schon der zweite Punkt, der April Kopfzerbrechen bereitete. Fireball selbst. Sie könnte darauf wetten, dass er sie mochte, aber ob er sie liebte, konnte sie nicht sagen. Und dann waren da auch noch all die seltsamen Ereignisse der letzten Zeit. Kurz nach ihrer Ankunft in der Vergangenheit musste sich schon etwas getan und verändert haben, denn April war aufgefallen, dass Fireball sich verändert hatte. Er verhielt sich ganz anders als sonst und zu allem Unglück echoten immer wieder auch die Worte, die in Tokio bezüglich Beziehung und Frauen gefallen waren, in ihrem Kopf. Traurig strich sich April die Haare hinter die Schultern. Sie glaubte allmählich, er hätte wirklich ein Beuteschema, das sie nicht beinhaltete. Das seltsame Ereignis in der Küche war für sie der beste Beweis dafür gewesen. Seither mied er sie, als ob sie eine Aussätzige wäre. Er war ein Rennfahrer, ein typischer Rennfahrer. Medien hätten das nicht besser beschreiben können, als er es ihr gezeigt hatte. „Hey, Prinzessin! Versteckst du dich vor unserem Boss?“, Colt setzte sich mit einem neckischen Lächeln zu April auf die Decke. Mann, wie ihm das vielleicht stank, dass Fireball im Yuma der Vergangenheit tun und lassen konnte, was er wollte und die anderen hier bleiben mussten und Ramrod nicht weiter verlassen durften. Aber er musste sich mit den Begebenheiten anfreunden und es hinnehmen. Von so was hatte sich der Cowboy noch nie die Laune verderben lassen. Allerdings, und das hatte Colt schon einige Zeit beobachten können, schlug ihrer Navigatorin etwas ziemlich auf den Magen. Und dem wollte er bei der günstigen Gelegenheit mal auf den Grund gehen. Saber saß im Gemeinschaftsraum und stellte Berechnungen an, Fireball war arbeiten und April saß ganz alleine hier. Verwirrt sah April vom Laptop auf. Colt hatte sie völlig aus ihren Gedanken gerissen und nun kannte sie sich nicht ganz aus. Was war denn los? Sie blinzelte in Colts freundlich lächelndes Gesicht und fragte irritiert nach: „Was gibt’s denn?“ Colt schob April den Blechtrottel von den Beinen und legte ihr einen Arm um die Schultern. Geheimnisvoll lehnte er sich zu ihr hinüber und flüsterte halb: „Das wollte ich dich fragen, Prinzessin. Was hast du denn in letzter Zeit?“ April zog die Augenbrauen hoch. War das sein Ernst? Skeptisch rückte sie ein Stück von ihm ab und gab nichtssagende Auskunft zu diesem Fall ab: „Du meinst, außer der klitzekleinen Tatsache, dass wir uns zwanzig Jahre vor unserer eigentlichen Zeit aufhalten? Alles in bester Ordnung, Colt.“ „Und ich bin der Osterhase, der mit dem Weihnachtsmann unter einer Decke steckt.“, schoss Colt augenblicklich zurück. Das Mädchen war ungeschickt beim Lügen. Klar, es machte ihnen allen zu schaffen, dass sie hier feststeckten und es seit Wochen den Anschein hatte, als gäbe es keinen Ausweg mehr aus der Situation. Aber das alleine konnte es nicht sein. Er kannte April. Da war mehr im Busch als sie zugeben wollte. Bei allem, was ihm heilig war, er glaubte auch zu wissen, woran es lag: „Das ist es nicht. Du kannst Saber für blöd verkaufen, Matchbox notgedrungen auch noch, aber mich doch nicht, April.“, er reckte den Kopf in Richtung der tiefstehenden Sonne: „Was ist vorgefallen, Kleines?“ Unbehaglich rutschte April auf der Decke umher. Sie wollte mit Colt nicht darüber reden, auch wenn es ihr sicherlich gut getan hätte. Der Cowboy zog doch so gut wie alles ins Lächerliche und hätte sie ihm erzählt, was ihr wirklich auf dem Herzen lag, er würde keine Sekunde zögern und sich darüber lustig machen. Nein, darauf hatte April keine Lust. Da heulte sie sich schon lieber alle paar Tage mal die Augen wegen dem klischeetreuen Piloten aus dem Kopf. April schloss die Programme auf dem Laptop und fuhr das Schmuckstück herunter. Für heute hatte sie keine Lust mehr. Dann wandte sie sich an Colt: „Was soll vorgefallen sein? Ich hab keinen blassen Dunst, wovon du redest.“ Colt sah sich kurz aufmerksam und verschwörerisch um, bevor er endlich ein ernstes Gesicht aufzog. Es war ihm wichtig, mit April zu reden, vor allem im Vertrauen zu reden, denn er wollte nicht, dass die Blondine ihren Kummer mit sich herumtrug. Seine blauen Augen musterten die Freundin von oben bis unten und stellten dann nüchtern fest, dass es nur einen Grund für Aprils traurige Augen geben konnte. Er riet treffsicher ins Blaue: „Was ist mit dir und unserem Turbofreak? Stimmt irgendetwas nicht?“ „Was?!“, entsetzt riss April die Augen auf und rückte von Colt ab. Wie hatte er das nur so schnell herausfinden können? Völlig erschrocken suchte sie den Abstand zu Colt, der war in letzter Zeit ja gemein gefährlich. Stand ihr das alles so offensichtlich ins Gesicht geschrieben? Die Blondine wartete nur noch auf sein scheinheiliges Grinsen und einen saublöden Spruch zu dem Thema. Aber Colts Lächeln verschwand, als er Aprils Reaktion mitbekommen hatte. Sein Instinkt verriet ihm, dass da einiges in die Brüche gegangen war. Der Grund dafür war für den Scharfschützen und Spurenleser momentan eher zweitrangig. Fakt war, dass es der Blondine damit schlecht ging und sie das schon die ganze Zeit über mit sich herumtrug. Dem Piloten schien das alles eher hinten rum zu gehen, der war in letzter Zeit doch wieder besser drauf gewesen, zwar schien er zu glauben, er wäre der Boss, aber gut gelaunt war er dennoch dieser Tage oft gewesen. Colt legte ihr wieder einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. Seine Hand strich über ihre Schulter, er wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte. Doch genau das schien sie im Moment zu tun. Colt setzte mit der anderen Hand seinen Hut ab und warf ihn achtlos hinter sich ins Gras. Er schob die Blondine sachte näher zu sich heran und ließ ihren Kopf an seiner Schulter legen. Das war etwas, was Frauen nie schaden konnte. April sollte sich geborgen bei Colt fühlen, sie brauchte es jetzt. Leise begann er von Neuem: „Ist etwas vorgefallen, von dem Saber und ich nichts mitbekommen haben, Prinzessin? Du siehst so traurig aus, jeden Tag ein bisschen mehr.“ Dabei streichelte er ihr immer wieder sanft über den Kopf. Colt machte sich wirklich Sorgen. So bedrückt war April an Bord noch nie gewesen und schon gar nicht so lange. Der Cowboy versuchte der Blondine Wärme und Geborgenheit zu vermitteln, das half bei Robin auch immer, wenn sie sich schlecht fühlte. Und so unterschiedlich konnten die Frauen in der Hinsicht nicht sein. April sträubte sich anfangs gegen die Umarmung, nahm sich gleich darauf jedoch dankbar an. Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr so alleine und missverstanden. Gleichzeitig aber brachen auch alle Dämme bei der Blondine. Sie versuchte noch, die Tränen hinunterzuschlucken, aber es gelang ihr nicht mehr wirklich. Beschämt versteckte sie ihr Gesicht an Colts Brust und schloss ganz fest die Augen. Ihre Hände schlangen sich um Colt. Es war ihr peinlich, aber im selben Moment fühlte sie sich bei Colt so gut aufgehoben und beschützt. Ganz leise schluchzte sie und wollte immer noch nicht wahr haben, dass sie tatsächlich weinte. Der Cowboy war verblüfft, wie schnell er April zum Weinen gebracht hatte. Er schloss die Blondine in eine innige Umarmung und versuchte, ihr Halt zu geben. Sie zitterte leicht, das spürte er ganz deutlich. Das arme Ding. Colt empfand in diesem Augenblick größtes Mitleid für die Navigatorin, auch wenn er nicht wusste, was los war. Beruhigend streichelte er von ihren Schultern über ihren Rücken hinab und legte behutsam sein Kinn auf ihren Scheitel. Er wiegte sie leicht, so wie er es mit Robin immer machte, wenn sie weinte. Hoffentlich half das auch dieser Blondine, nicht nur seiner zuhause. Colt murmelte leise: „Scht… Ist schon gut, April. Lass es raus, es wird dir gut tun. Glaub mir, danach ist alles besser.“ Colt fragte sich, was die kleine Kröte von Fireball bloß angestellt hatte. April konnte kaum aufhören zu weinen. Der Cowboy hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Es wurde kaum besser und sprechen tat das hübsche Dingens auch nicht. Colt allerdings glaubte fest daran, dass Fireball ihr was getan hatte. Egal, was er getan hatte, er hatte April furchtbar verletzt. Das grämte Colt. Wie konnte man den blonden Engel bloß derart zum Weinen bringen? April beruhigte sich überhaupt nicht mehr. „Ich kann’s dir nicht sagen.“, das konnte die Blondine wirklich nicht. Sie schämte sich unendlich für das, was vorgefallen war. April vergrub ihr Gesicht nur noch mehr und schüttelte frustriert den Kopf. Da war für Colt klar, dass er nicht mehr weiter nachhaken durfte. Aber ihm war auch klar, dass es nur der Rennfahrer gewesen sein konnte. Etwas ganz abwegiges musste da gelaufen sein, denn Colt war davor schon aufgefallen, dass sich die beiden aus dem Weg gingen, obwohl sie früher beinahe jede freie Minute zusammen verbracht hatten. So beschränkte sich Colt auf das Trösten und April im Arm zu halten. Mehr konnte er im Augenblick nicht für die Freundin tun. Aber er würde sich den Reiskocher bei nächster Gelegenheit vorknöpfen. Bei nächster Gelegenheit war bei Colt immer wörtlich zu nehmen und so hatte er es sich an diesem Tag nicht nehmen lassen, sich mal über Sabers Befehl hinwegzusetzen und die Lichtung ohne Erlaubnis zu verlassen. Er hatte mit April den Nachmittag verbracht und sie wieder aufgeheitert, sie war dankbar für die Ablenkung und den Seelentrost gewesen. Nun stapfte der Cowboy Richtung Stadtmitte. Er wollte das am liebsten ohne Zuhörer klären, was er zu klären hatte. Deswegen holte er Fireball an diesem Abend einfach vom Oberkommando ab. Colt sah den Grund für seinen Besuch bereits von Weitem. Sofort heizte sich der Zorn auf den Krümel wieder an. Der Flachmeier tat ihrer April einfach weh und dachte sich ganz offensichtlich noch nicht einmal etwas dabei. Über den halben Hof rief er ihn zu sich: „Hey! Fireball! Komm mal her, du kleine Rennsemmel!“ Der Cowboy war so laut dabei gewesen, dass sich das ganze Personal nach ihm umgedreht hatte. Darunter war auch Shinji gewesen. Er erkannte den Freund von Shinichi sofort, der Hut war im Oberkommando einzigartig. Als er Colt zugeordnet hatte, flog sein Kopf förmlich in die Richtung seines Piloten. Hatte der darauf reagiert? Shinji zog sich bei dem Gedanken alles zusammen, und als er auch noch eine Bestätigung dafür bekam, blieb ihm das Herz stehen. Shinichi hatte sofort in seiner Bewegung inne gehalten und nach demjenigen gesucht, der gerufen hatte. Shinji schluckte schwer. In welcher Hinsicht hatte der Kurze ihn noch belogen? Der Captain spürte, wie ihm dabei ganz anders wurde. Welches Spiel wurde hier gespielt? Er wusste im Augenblick nicht, was er davon halten sollte, wusste nicht, wer auf welcher Seite stand. Der erfahrene Pilot zwang sich dazu, seine Gefühle in dieser Situation nicht überhand nehmen zu lassen. Verwirrt und auch schwer enttäuscht, warf er Fireball noch einen Blick zu und suchte dann das Weite. Für diesen Tag hatte er genug gesehen und in Erfahrung gebracht. Shinichi hatte ihn angelogen. Eine bittere Erkenntnis, wo er mehr als einen guten Piloten in ihm gesehen hatte. Shinji zog den Kopf ein und verschwand. „Mal’s das nächste Mal bitte gleich mit Leuchtfarbe an die Hangartore!“, der junge Hikari schnaubte wie ein Dampfross. Als er Colts Stimme vernommen hatte, war ihm das Herz in die Hose gerutscht. Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu hoffen, dass sein Vater das nicht gehört hatte. Der Armleuchter, auf den er gerade zukam, hatte es geschafft, in einer einzigen Begrüßung alle Kosenamen hineinzubringen, die der Rennfahrer noch vor einer guten viertel Stunde zu leugnen versucht hatte. Als er endlich bei Colt angekommen war, zog er den Cowboy unwirsch mit sich und fauchte ihn an: „Solltest du nicht bei Saber und April sein, verdammt?“ „Ein Hallo ist wohl schon zu viel verlangt!“, Colt boxte Fireball gegen die Schulter. Mensch, die Laune war abartig. Der Cowboy funkelte seinen Freund an. Wenn er dabei auch noch an April dachte, bekam er alle Zustände. Irgendwas hatte der Jetpilot für Zwischendurch angerichtet, aber hundertprozentig! Kopfschüttelnd wandte sich Fireball von Colt ab. Er wollte sofort zu Ramrod zurück. Aufmerksamkeit hatte er für diesen Tag eindeutig genug erregt. Zuerst der mittelschwere Weltuntergang im Hangar und jetzt noch das Tüpfelchen auf dem I. Garantiert ging’s auf Ramrod gleich so weiter, wie er nun von Colt empfangen worden war. Fireball schnaubte. Manche Tage waren zum Vergessen. Zielstrebig zog er den Cowboy mit sich Richtung Ausgang und würgte jede Diskussion ab: „Wir reden zuhause.“ Der Wuschelkopf vermied es tunlichst, auch noch Ramrod namentlich zu erwähnen. Wenn sein Vater noch irgendwo in der Nähe war, was für Fireball eigentlich außer Frage stand, dann sollte der doch bitte nicht mehr als das ohnehin schon Erwähnte zu Ohren bekommen. Jetzt schlug es aber gleich dreizehn! Colt ließ sich vom Buggyfahrer doch nicht einfach so mitschleifen. Wer war er denn? Colt riss seinen Arm los und stieß gleich darauf wieder den Rennfahrer an: „Ich glaub, dir geht’s zu gut, geht’s dir doch! Seit wann nimmt der Rotzlöffel den Großen bei der Hand und bringt ihn heim?!“ Colt sprang gleich in die Höhe, und das nicht zu knapp. Er packte nun seinerseits Fireball an Arm und zwang ihn zum Stehenbleiben. Mit ordentlich Schmackes dahinter drehte er sich den handlichen Piloten zu sich um und giftete ihn an: „Langsam wird’s Zeit, dass du dir das Zeug nicht mehr einwirfst, das deinen sagenhaften Höhenflug verursacht! Himmel, Kreuzbirnbaum und Franziskanerbier! Matchbox, krieg dich endlich wieder ein!“ Der Sturkopf ließ sich hier im Oberkommando bestimmt auf keine Diskussion mit Colt ein. Da konnte der Cowboy fluchen und zetern, so viel er wollte. Nein, niemals würde er privates oder etwas, das Ramrod betraf, im Umkreis von hundert Metern vom Oberkommando besprechen! Fireball nahm Colts Hand und deutete mit einem vielsagenden Blick auf die Umgebung, in der sie sich befanden. Er zischte: „Pst! Ich wär‘ dir dankbar, wenn das warten könnte, bis wir zuhause sind, verdammt!“ Wieder versuchte er, Colt aus dem Oberkommando zu führen, hoffentlich folgte ihm der Starrsinn in Person dieses Mal. Fireball schnürte sich der Hals zu, wenn er daran dachte, dass sein Vater Colts Begrüßung vielleicht gehört haben könnte. Er sollte sein Testament schon mal zu Protokoll geben, wie er sarkastisch feststellte. Fireball konnte sich am nächsten Morgen lebendig begraben lassen, das stand für den jungen Hikari fest. Widerwillig, aber immerhin dieses Mal schweigend, folgte Colt ihrem Piloten aus dem Gelände. Sobald aber von dem Gebäudekomplex nichts mehr zu sehen war, stieß Colt dem Rennfahrer den Ellbogen in die Rippen. Nun explodierte er vollends: „Wenn du nicht willst, dass du zukünftig aus einer Schnabeltasse ernährt werden musst, schlag ich vor, du kommst von deinem Trip jetzt mal endlich runter! Verdammt und zugenäht, du führst dich wie ein Mustang im Reitstall auf.“ Unbeirrt, aber dennoch genervt, ging Fireball weiter voraus. Colt war ganz eindeutig schlecht drauf, so viele Flüche fanden ansonsten nur über seine Lippen, wenn jemand seine Freunde beleidigte. Der Pilot schlug schließlich einen scharfen Haken in eine kleine Gasse. Seit er täglich zum Dienst antreten musste, hatte er sich einige Schleichwege und Abkürzungen herausgesucht, um in möglichst kurzer Zeit entweder von oder zu Ramrod zu gehen. Der Kuhtreiber folgte ihm hoffentlich. Dass Fireball auf seinen wortgewaltigen Ausbruch nicht reagierte, brachte Colt gleich noch ein bisschen mehr in die Höhe. Und dann trabte die halbe Portion auch noch vor ihm her, als gehörten sie nicht zusammen! Außer sich legte Colt einen Zahn zu. Er packte den schmächtigen Rennfahrer mit ganzer Kraft am Arm und schrie: „Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede! Ist bei dir irgendwas durcheinander geraten?“ In letzter Zeit zogen und rissen alle an ihm. Was war denn nur los? Fireball blieb stehen und funkelte Colt dieses Mal an. Verdächtig leise zischte er: „Mir ist gar nichts durcheinander gekommen.“, mit dem freien Arm wies er auf den Gebäudekomplex hinter ihnen: „Aber dir ganz offensichtlich. Colt, du kannst da drinnen nicht so einen Wirbel schlagen. Was ist denn bloß passiert?“ „Das fragst du mich?!“, entrüstet und noch wütender stierte Colt seinen Freund an. Langsam aber sicher wurde Fireball ein rotes Tuch für den Cowboy. Er platzte schier und riss Fireball aus der Gasse heraus: „Das muss ich dich fragen. Was hast du mit April gemacht, du triebgesteuerte Turbopfeife?“ Jetzt fiel Fireball aus allen Wolken. Wovon sprach denn der da? Hatte April ihm am Ende erzählt, was in der Küche passiert war? Zuerst wollte Fireball lospoltern, doch dann zog er den Kopf ein und schwieg. Er zog es vor, Colt nun endgültig stehen zu lassen. Wenn April mit Colt gesprochen hatte, dann musste er doch auch wissen, dass er aufgehört hatte, als April nicht weiter gehen wollte. Stoisch ging er voraus, alles ignorierend, was Colt noch von sich gab. So kam das Gespann die Rampe hoch. Fireball voraus und Colt schimpfend und zeternd hinter ihm her. Den Cowboy hatte Saber schon von ganz unten gehört. Also war er vom Gemeinschaftsraum rausgegangen und in den Hangar hinunter. Was war denn schon wieder los? Immer dieses Affentheater. Seit sie hier waren, war dauernd irgendwas. Jeden Tag drehte jemand anderer völlig durch. Irgendwann würde es auch ihn erwischen, ganz sicher. Mit hochgezogenen Augenbrauen und verschränkten Armen lehnte er neben Steed und beobachtete, wie die beiden hochtrabten. Fireball rauschte an ihm vorbei. Ein knappes: „Hi. Ist noch was zu essen für mich übrig?“ und weg war der Rennfahrer. Colt hingegen kam wesentlich wortgewaltiger an Saber vorbei. Er polterte lautstark: „Oh! Kurzer, du machst mich wahnsinnig! Bleib endlich stehen und benimm dich wie ein erwachsener Kerl. Gleich setzt es was, zum Henker!“ Beide hatten ihn ignoriert. Saber war baff. Ganz eindeutig. Was er von der kleinen Szene so mitbekommen hatte, lag Fireball nun auch ganz offenbar mit Colt volle Wäsche im Clinch. Aber weshalb genau, das wusste der Anführer der Einheit nicht. Weil Fireball mitgenommen und fertig aussah, entschied sich Saber, den Rennfahrer in die Küche gehen zu lassen. Dafür knöpfte er sich Colt vor. Er stellte sich Colt in den Weg und hob beschwichtigend die Hände: „Colt, bitte. Was ist denn vorgefallen?“ Es störte den Säbelschwinger gerade nicht, dass Colt ausgebüchst war. Da war etwas viel Gravierenderes passiert. Als der Cowboy an ihm vorbei wollte, schüttelte Saber streng den Kopf und versperrte ihm ein weiteres Mal den Weg. Er musste Colt beruhigen, der war direkt außer sich und das erkannte der Säbelschwinger nicht nur an der roten Farbe im Gesicht. Da war auch noch die groß hervortretende Schlagader. Wenn er Colt und Fireball nicht voneinander fern hielt, gab’s womöglich Verletzte. Unbemerkt war auch April zur Szene bekommen. Sie warf Fireball einen unsicheren Blick zu und sah dann zu Colt. Er hatte es sich zu Herzen genommen. Colt hatte Fireball darauf angesprochen, deswegen war die Stimmung unter den Männern so hochgekocht. Ängstlich schlug April die Augen nieder. „Frag den faulen Rennfahrer!“, brauste Colt auf. Er hatte April in seiner Rage gar nicht bemerkt, deswegen war der folgende Kommentar auch vorprogrammiert: „Frag ihn, was er mit unserer armen April gemacht hat! Los, Saber! Lass ihn erzählen, wie weh er April getan hat, dieser verdammte Pilot!“ April zuckte zusammen. Sie hob die Hand, trat einen Schritt auf Colt und Saber zu, mit flehendem Blick wollte sie dazwischen treten, doch sie brachte keinen Ton hervor. Ihre Lippen bebten, denn der große Knall stand bevor. Sabers Augen wurden groß. Was war? Verdattert und alarmiert sah er zwischen seinen Freunden hin und her. Fireball bog gerade in die Küche ab, April standen die Tränen in den Augen und Colt platzte gleich. Was wurde hier gespielt? Was auch immer los war, er hatte es nicht mitbekommen. Zwischen April und dem Rennfahrer war etwas geschehen, etwas schwerwiegendes. Und Colt wusste davon. Nur er wieder nicht. Ehe er sich versah, rief er in die Küche: „Fireball!“ „Was?!“, rief der zurück. Fireball verlor die Nerven, sofern er noch welche hatte. Er drehte sich noch einmal kurz um und gab sanfter zurück: „Kann das bis später warten, Leute?“ Wieder hetzte es Colts Gemüt auf. Er schrie dieses Mal: „Kann es nicht, verdammt!“ Saber drehte sich von Colt weg, blieb jedoch vor ihm stehen. Der Cowboy sollte nicht auf dumme Gedanken kommen und hinter dem Rennfahrer her hetzen. Fireballs knurrende Antwort hatte den Schwertschwinger hellhörig gemacht. Er hob die Hand, sein Zeigefinger deutete in seine Richtung und einsilbig ordnete er an: „Sofort!“ Fireball fuhr aus der Haut. Haare raufend grollte er und fuhr seine Freunde an: „Kann ich grad noch fünf Minuten haben? Ist das zu viel verlangt?!“, es platzte aus ihm heraus: „Jesse Blue wollte meinen Vater abknallen, verdammt. Er hat eine erste Ahnung von den Geschehnissen hier. Also seid mir nicht böse, wenn ich für die Peanuts auf Ramrod grad keine Nerven hab!“ Wenigstens waren nun alle leise. Erschrocken starrten sie auf den Rennfahrer, der gerade wenige lobende Worte gefunden hatte. Erschüttert schluchzte April: „Peanuts?“ Mehr war das für ihn nicht gewesen? Die Blondine fiel in ein tiefes Loch. Nun hatte sie eine Bestätigung für ihr Gefühl. Fireball hatte es nicht das Geringste bedeutet! Eine Träne huschte von ihren Lidern. Die blonde Navigatorin musste weg, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie waren hier noch nicht fertig. Sie hatte das Gefühl, dass da noch was kam. Und es kam noch was. Colt brüllte über Saber hinweg. Er riss die Fäuste in die Höhe und hopste hinter Saber hoch, um endlich größer zu werden: „Hör zu, Kurzer! Die einzige Erdnuss hier bist du. Es ist mir scheißegal was mit deinem Vater ist. Hier spielt die Musik, dein alter Herr kann sich alleine helfen.“ Fireball zog düster die Augenbrauen zusammen und starrte auf Colt und Saber. Mit fester Stimme ermahnte er: „Sehr schön. Dann lass Jesse ihn vom Himmel holen, bevor seine Zeit gekommen ist. Verändert ja gar nichts in unserer Zeit. Sehen wir also tatenlos zu und hoffen, dass Jesse uns danach wieder mit nachhause nimmt.“ Saber wunderte sich noch über den seltsam anmutenden Blick, bis er auf die Idee kam, dass immer noch Colt hinter ihm stand. Er drehte leicht den Kopf nach hinten und bemerkte das hopsende Etwas hinter ihm. Mit Colts wilden Gesten und der kochenden Mimik wirkte es schon fast komisch. Allerdings war die Situation viel zu ernst. Sie eskalierte gleich. Colt kochte über, April löste sich in Wasser auf und Fireball verpuffte im nächsten Augenblick. Wieder hatte ihnen Fireball einen indirekten Befehl gegeben. Das war das Zeichen für den Schotten nun endlich andere Saiten aufzuziehen. Er warf Colt einen mahnenden Blick zu, der den Lockenkopf zum Innehalten brachte und widmete sich dann Fireball. Saber ging einige Schritte auf ihn zu. Ruhig, aber bestimmt wies er ihn an: „Schalt einen Gang runter, Fireball. Lass uns erst sehen, was dein Vater wirklich alles weiß und dann haben wir noch genug Zeit zu handeln.“ Fireball hob die Augenbrauen, verschränkte die Arme vor der Brust und knurrte Colt an: „Dank Colt, der sich nicht an Befehle halten kann und einfach von Ramrod verschwindet, wie es ihm grad passt, bestimmt alles. Würde mich nicht wundern, wenn uns der Captain hier her gefolgt wäre.“ „Er ist nicht der einzige, der sich nicht an Befehle hält.“, stellte Saber klar. Der junge Pilot war in der Hinsicht nicht besser als der Cowboy. Denn wäre der Pilot am ersten Abend nachhause gegangen, anstatt mit seinem Vater zu Abend zu essen, würde die Situation heute eine andere sein. Fireball seufzte: „Offensichtlich nicht.“ Er trat von einem Bein auf das andere und widersprach Saber nun ganz offen: „Wir können nicht warten, Saber. Jesse wird es sich nicht nehmen lassen, in die Vergangenheit einzugreifen und wir können nicht zulassen, dass er den herannahenden Krieg für die falsche Seite entscheidet.“ „Wir werden nichts unternehmen!“, wies der Schotte den jungen Rennfahrer nun energisch an. Er stieß Colt an und nahm April an der Hand. Fireball nickte er lediglich zu: „Hol dir was zu essen und dann sehen wir, wie heikel die Situation wirklich ist.“ Fireball fiel aus allen Wolken, schon wieder an diesem Tag. Hatte Saber ihm befohlen? Er wippte kurz nach vor und nach hinten, ehe er wieder festen Stand hatte. Mit forschem Blick erwiderte er: „Das ist nicht dein Ernst.“ Der Schotte nickte lediglich stumm. Es war sein Ernst. Es schien der richtige Moment für den Schritt zu sein. Immer wieder war ihm in der letzten Zeit aufgefallen, dass Fireball sich in die Position des Anführers geschoben hatte. Aber nun sah Saber nicht länger dabei zu. Er wies Fireball wieder an: „In fünf Minuten im Kontrollraum, Fireball.“ Der Japaner biss sich auf die Lippen und knurrte wie ein Tiger: „Es gibt nichts zu besprechen.“ „Gut.“, Saber ging voraus und warf Colt und April einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie sollten ihm folgen. Vor Fireball blieb er noch einen Moment stehen. Er sah dem Querulanten fest in die Augen. In Fireballs Fall gab es nur einen Ausweg: „Für dich gibt es nichts zu besprechen. Für uns aber sehr wohl. Dann bleib, wo du bist. Wir gehen in den Kontrollraum.“ Fireball blieb die Luft weg. Aber es gab nur eine Antwort darauf. Er fischte aus seiner Uniform den Schlüsselbund heraus und ging zu seinem Wagen. Es gab nichts mehr zu sagen. Nicht für ihn. Saber war sich nicht sicher, ob seine Therapie geholfen hatte, jedenfalls aber hatte sie Wirkung. Der Rennfahrer blieb außen vor. Hoffentlich lernte er dazu. Hoffentlich lernte Fireball daraus, nicht weiter Befehle zu geben. Er war nicht in der Position dazu. Für manches brauchte Ai nicht zu fragen, das erkannte sie bereits, wenn ihr Mann abends nachhause kam. Shinji war in letzter Zeit angespannt gewesen, oft sehr unruhig und wortkarg. All das waren Dinge, die Ai ganz deutlich zeigten, dass ihren Mann etwas belastete. Müsste sie raten, würde sie auf den jungen Piloten tippen, der erst seit wenigen Wochen in Shinjis Staffel flog. Anfangs hatte Shinji oft über ihn beim Abendessen gesprochen, hatte nur lobende und bewundernde Worte für den jungen Spund übrig gehabt, aber irgendetwas musste passiert sein, was diese Meinung über ihn zum Einsturz gebracht hatte. Denn seit einigen Tagen ließ sich Shinji zu keiner Aussage über Shinichi mehr hinreißen. Ai war sich ganz sicher, ihr Mann machte sich unentwegt Gedanken, wenn nicht sogar Sorgen. An diesem Abend war es besonders schlimm. Er hatte kaum ein „Hi, Süße!“ für sie übrig gehabt. Oh, Ai hasste es, wenn Shinji ihr etwas verschwieg. Noch dazu, wo es ihn so offensichtlich wie an diesem Abend belastete. Nach dem Abendessen und dem üblichen Glas Wein verließ die Japanerin kurze Zeit das gemeinsame Wohnzimmer, um sich frisch zu machen. Shinji blieb am Tisch sitzen, sank aber merklich zusammen, als Ai aus dem Raum gegangen war. Er seufzte bedrückt und stützte seinen Kopf auf die rechte Hand. Freund oder Feind? Was war der kleine Hüpfer? Shinji hatte Angst vor der Antwort, denn es sah ganz danach aus, als wäre Shinichi eindeutig auf der falschen Seite. Der Angriff vor wenigen Tagen. Dieser seltsame Angreifer hatte Dinge ausgesprochen, die unglaublich und fantastisch zugleich klangen. Shinji hatte keine Ahnung, wie er das zu deuten hatte, keimte doch jedes Mal, wenn er daran dachte, ein väterliches Gefühl in ihm auf. ‚Papa Hikari‘. Traurig biss er sich auf die Lippen. Es wäre zu schön um wirklich wahr zu werden. Daran konnte der erfahrene Pilot nicht mehr glauben. Niemals würde Ai und ihm dieses Glück vergönnt sein. Sonst hätten sie doch schon längst einen ganzen Stall voller kleiner Hikaris. Sie versuchten es schon so lange, jedes Monat wieder war die Enttäuschung darüber groß, dass es wieder nicht geklappt hatte. Nein, dieser Angreifer musste sich geirrt haben. Aber weshalb hatte er den Spitznamen und die Passion seines Piloten gekannt? Woher hatte er gewusst, wo er nach ihm suchen musste? Und warum zum Teufel hatte der ihn auch gekannt, obwohl der Captain sich ganz sicher war, den arroganten Angreifer noch niemals gesehen zu haben. Und dann war da noch die hauptbeteiligte Person des ganzen Spektakels gewesen. Shinichi. Der Wuschelkopf war von Anfang an ein kleiner, seltsamer, aber sehr liebenswerter Kauz gewesen. Shinji hatte ihm vertraut. Blind vertraut, wie er sich niedergeschlagen eingestand. Er hätte dem jungen Piloten sein Leben im Kampf anvertraut. Nicht nur, weil er ein hervorragender Pilot war und bereits genug Kampferfahrung zu haben schien, sondern auch, weil er sich sicher war, dass Shinichi nichts unversucht lassen würde, um für seinen Glauben einzustehen. Seit dem verunglückten Frühstücksgespräch hatte Shinji das Gefühl gehabt, auch Shinichi würde ihm blind vertrauen. Er hatte geglaubt, er würde dem Kurzen ein Vater und Freund sein. Hatte ihn sein Eindruck derart betrogen? Hatte Shinji nur gesehen, was er sehen wollte? Und wenn es so war, weshalb hatte er gerade in Shinichi das gesehen? Ai stand seit geraumer Zeit im Nachthemd im Türrahmen und beobachtete ihren Mann. Er wirkte so traurig, aber auch angespannt. Ai zerriss es das Herz in der Brust, ihn so zu sehen. Immerhin war er ihr Mann, sie hatte ihn geheiratet, weil sie ihn liebte und weil sie ihr Leben mit ihm verbringen wollte. Und natürlich auch, weil sie eine Familie mit ihm gründen wollte. Beide waren darüber einer Meinung gewesen. Sie wollten Kinder. Doch bisher hatte es nicht sein sollen. Ai verzog das Gesicht. Bisher. Es wollte seit nunmehr zehn Jahren nicht sein. Seit zehn Jahren quälten sie jedes Monat die Angst und die bange Hoffnung. Das Loch, in das sie beide fielen, war jedes Mal tief, wenn ihre Hoffnungen wieder zerschlagen wurden. Sie strich sich ihr glattes, schwarzes Haar nach hinten. Ai stieß sich vom Türrahmen ab und ging auf ihren Liebsten zu. Sie spürte, dass sie mit ihm sprechen musste. Egal, was es war, es belastete ihn und somit auch sie. Ai wollte ihm helfen, es gemeinsam mit ihm durchstehen. Die Asiatin nahm den Eheschwur ‚in guten wie in schlechten Zeiten‘ wortwörtlich. Zärtlich lächelnd fuhr sie ihm durch das wirre Haar: „Shinji.“ Zuerst sah er nur verwundert auf. Ai hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Als er endlich die Information verarbeitet hatte, zog er Ai zu sich auf den Schoß. Sie musste ihn nicht fragen, was los war, ihre Frage war in der Stimme gelegen. Shinji ließ sie auf seinem Schoß Platz nehmen und schlang die Arme um sie. Leise und mit einem bedrückten Lächeln gestand er: „Ich sollte mir abgewöhnen, die Arbeit mit nachhause zu nehmen.“ „Du nimmst die Arbeit sogar zum Essen mit nachhause.“, neckte sie ihn leicht. Ai hoffte, er würde so etwas gesprächiger werden. Und sie ahnte bereits, dass es der junge Shinichi war, der ihrem Mann Sorgen bereitete. Auch Ai hatte den Wirbelwind sofort in ihr Herz geschlossen. Sie hatte sowohl sein Benehmen, als auch seine Gesten als sehr angenehm empfunden. Manchmal hatte sie beim Essen sogar das Gefühl gehabt, ein junger Shinji saß mit ihnen am Esstisch. Ai war die Ähnlichkeit zwischen den beiden nicht entgangen und als sie beim Aufräumen zufällig über eines der alten Fotos gestolpert war, hatte sie sich bestätigt gefühlt. Shinji hatte im Alter des jungen Piloten beinahe so ausgesehen. Sie glichen sich beinahe bis aufs Haar. Immer wieder hatte sie sich seitdem nach Shinichi erkundigt und bisher auch immer Auskunft bekommen. Shinji hatte ihr auch erzählt, dass der Wuschelkopf seinen Vater verloren hatte. Bestimmt hatte er ihr nicht alle Einzelheiten des Gespräches wieder gegeben, aber die wichtigsten Fakten sicher. Der Pilot seufzte wieder schwer. Ai kannte ihn viel zu gut. Sie las in seinen Gedanken, wie in einem offenen Buch. Es war fürchterlich. Mit einem etwas traurigen Blick nickte er: „Ja. Auch das sollte ich mir abgewöhnen.“ Nichts würde er. Shinji kannte sich doch selbst. Er würde nicht aufhören, darüber nachzudenken, was mit Shinichi los war und wo er wirklich hin gehörte. Shinji würde wachsam bleiben. Um die Augen vor der ganzen Angelegenheit zu verschließen war es bereits zu spät. Ohne konkrete Frage würde Shinji ihr nichts erzählen. Ai blinzelte. Das war absolut kein gutes Zeichen, wenn Shinji nicht von alleine zu reden anfing. Entweder durfte er nicht, weil es wirklich den Dienst betraf, oder aber er wollte nicht. Ai tendierte eher zu letzterem, denn auch wenn ihr geliebter Mann nicht durfte, im Normalfall plauderte er alles aus. Ihre Fingerspitzen fuhren seinen Nacken entlang den Hinterkopf hinauf. Mit einem süßlichen Lächeln wickelte sie ihn um den Finger: „Was ist denn passiert, Shinji? Ist in deiner Staffel etwas vorgefallen?“ Ai steckte sich nur kleine Ziele. Würde sie sofort mit der großen Frage raus platzen, hätte sie sofort verloren. Dann würde er ihr gar nichts erzählen. Also tastete sie sich behutsam und mit Alltagsfragen vor. Sie wusste, was er brauchte. Genießerisch schloss Shinji die Augen und legte den Kopf in ihre zierlichen Hände. Das war seine Frau. Murmelnd und gurrend antwortete er: „In der Staffel ist alles in Ordnung. Der übliche Wahnsinn halt.“ „Soso, der übliche Wahnsinn.“, Ai schmunzelte und fuhr unbeirrt mit ihrer Kopfmassage fort. Sie wusste, dass ihn das entspannte und je entspannter Shinji war, desto gesprächiger wurde er in der Regel auch. Um ihm zu helfen, kämpfte Ai mit allen Mitteln und Waffen. Vor allem mit denen einer Frau. „Mit Familie Eagle ist auch alles in Ordnung?“ Zehn Fingerspitzen glitten über seine Kopfhaut. Kreisend und beruhigend. Er liebte es. Shinji nickte kaum merklich und erklärte: „Den dreien geht’s bestens. April ruiniert alles, was technisches Gerät ist und May muss es abends erklären.“, dabei schmunzelte Shinji. Die kleine April war ein Goldschatz. Sie war ein aufgewecktes, intelligentes Mädchen, denn immer wieder erzählte Charles von allerhand Meisterstücken, die die kleine Blondine so angerichtet hatte. May und Charles konnten sich glücklich schätzen. Ai lächelte. Ja, das wusste sie auch. Sie traf sich oft mit May zum Kaffeeklatsch, wenn es die Zeit zuließ. Da konnte man gut beobachten, was Shinji gerade beschrieben hatte. Am liebsten spielte April mit der Fernbedienung vom Fernseher oder mit Mobiltelefonen. Sie kannte keine Scheu vor fremden Leuten, lächelte jeden an. Langsam jedoch verschwand Ais Lächeln aus ihrem Gesicht. Weshalb hatten sie nicht dieses Glück, das May und Charles zuteil geworden war? Ais Mundwinkel zeigten traurig nach unten. Sie sollte keinen Neid empfinden, ihre Freunde konnten nichts dafür, dass es bei ihnen nicht klappte. Aber jedes Mal schwang Wehmut mit, wenn sie die kleine Familie besuchten. Hatte sie sich von ihrer eigenen Frage ablenken lassen. Ai schüttelte gedanklich den Kopf. Da wollte sie etwas aus ihrem Mann herausbekommen und sie versank in dumpfes Grübeln über etwas, das im Augenblick nebensächlich sein sollte. Die Frau mit den dunklen Augen stand kurz auf, stellte dabei die Kopfmassage ein und setzte sich anschließend mit gespreizten Beinen wieder auf den Schoß ihres Mannes. Sie rutschte so nahe an ihn heran, wie sie konnte. Anschließend vergrub sie wieder ihre Hände in seinen Haaren und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte. Bei ihren weiblichen Foltermethoden. Ai fischte eine weitere Frage aus ihrem unerschöpflichen Fundus: „Wie geht’s deinem Patenkind?“ „Wem?“, Shinji öffnete zögerlich die Augen und sah Ai fragend an. Er hatte doch kein Patenkind! Zumindest wüsste er nichts davon und hätte auch noch nie etwas für es getan. Unwillig richtete sich der Pilot wieder etwas auf. Seine Frau sprach neuerdings in Rätseln. Ais Hände glitten vom Hinterkopf nach vorne und massierten die Schläfen mit zärtlichen, kreisenden Bewegungen. Sanftmütig erklärte sie: „Nennt ihr das nicht Patenschaft, wenn einer von den älteren Piloten einem neuen den Start ins Oberkommando etwas erleichtert?“, sie wartete Shinjis Nicken ab und fuhr dann fort: „Na, also. Ich dachte nur, weil du für Shinichi diese Patenschaft übernommen hast, vielleicht ist etwas mit ihm.“ Drei Fragen. Ai brauchte nur drei klitzekleine Fragen um dort zu landen, wo ihm der Schuh drückte. Immer wieder schaffte sie es im Handumdrehen. Shinji schloss die Augen. Still wünschte er sich, den Kurzen niemals kennen gelernt zu haben. All die seltsamen Ereignisse, die in letzter Zeit geschehen waren, sie hingen bestimmt alle mit Shinichi zusammen. Dessen war sich der Captain mittlerweile sicher. Er konzentrierte sich auf die Berührungen seiner Frau. Sie hatte den Bengel sein Patenkind genannt. Wäre er doch nur mehr als das. Shinji sank etwas zusammen. Er wusste nicht, was er glauben sollte. War Shinichi böse oder gut? Sein Herz sagte ihm, dass der Kurze von seinem Schlag war, doch der Verstand widersprach kategorisch. Schließlich rang sich Shinji zu einer Antwort durch. Er formulierte sie möglichst unverfänglich, er wollte Ai nicht beunruhigen: „Nein. Dem Kurzen geht’s gut. Er braucht nur ab und an eine kleine Lektion, die ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt.“ Ais Verdacht hatte sich also bestätigt. Auch, wenn Shinji nicht auf ihre Frage geantwortet hätte, wäre sie hinter das Geheimnis gekommen. Seine Antwort war ohnehin wertlos, weil er sie belog. Ai hatte nicht auf die Worte geachtet, sondern nur auf Shinjis Gesten und Bewegungen. Als sie den Namen des jungen Piloten erwähnt hatte, hatte Shinji bereits zum ersten Mal den Atem angehalten. Unbewusst, aber Ai hatte es gefühlt. Gleich darauf hatte er die Augen geschlossen und lange überlegt. Sie war sich sicher, er hatte nicht gewusst, ob er ihr überhaupt etwas sagen sollte. Allerdings traute sich Ai nun nicht mehr zu fragen, was genau vorgefallen war. Sie hatte erkannt, dass Shinji es nicht erzählen wollte. Fest stand nun aber für die zierliche Japanerin, dass das gute, freundschaftliche Verhältnis zwischen ihrem Mann und dem Jungen einen ordentlichen Knacks bekommen hatte. Mit liebkosenden Berührungen brachte sie ihren Mann auf andere Gedanken. „Deine Lieblingsplätze ändern sich in keiner Zeit.“, der Besucher kniete sich auf den Boden und beugte den Kopf unter den Wagen. Kalt lächelnd stellte er weiter fest: „Unten gefällt’s dir, wie mir scheint.“ Erstaunt wandte Fireball seinen Kopf in die Richtung der Stimme. Er war in der Abenddämmerung, nachdem ihm seine Mannschaft deutlich gemacht hatte, dass sie mit ihm nicht reden wollten, hinaus gefahren, hatte sich die Umgebung angesehen. Gerade hatte er auf einem Wald- und Wiesenweg einen außerplanmäßigen Zwischenstopp einlegen müssen, weil er mit vollem Speed über einen zu großen Stein gefahren war. Nun hatte er schnell sehen wollen, ob er sich den Unterboden dabei ruiniert hatte. Fireball war in letzter Zeit unaufmerksam, zu viele Dinge schwirrten ihm durch den Kopf und vom Autofahren wurde es nicht mehr besser. Immer wieder dachte er an April, der Disput mit seinem Vater von diesem Tag hing wie eine düstere Wolke über ihm und die Schwierigkeiten, auf die er im Team zusteuerte, drehten ihm den Magen um. Und nun auch noch das. Die Stimme gehörte einem alten Bekannten mit blauen Haaren und dem einzigen Gesicht, in das Fireball zu gerne schlagen würde, wenn er es auch nur zu sehen bekam. Schnell wie selten fand er unter dem Wagen hervor und stand auf. Er funkelte Jesse bitterböse an: „Mein Tag war so schon perfekt genug, was zum Teufel treibst du hier?!“ Auch Jesse richtete sich wieder auf. Amüsiert beobachtete er, wie der Heißsporn gleich explodierte. Den Sarkasmus von Fireball kannte er nur zu gut. Das war immer der Fixpunkt, an dem man ausmachen konnte, wann die Schmerzgrenze bei dem guten Rennfahrer erreicht war. Dieses Mal schien das außerordentlich schnell zu gehen. Jesse glaubte auch zu wissen, weshalb. Er spekulierte auf den wunden Punkt von Fireball: „Streit mit Miss Eagle?“ „Selbst, wenn es so wäre, ist es nicht mehr deine Angelegenheit, Jesse!“, dabei versuchte Fireball so ruhig wie möglich zu bleiben. Er hatte seine Gefühle schlecht unter Kontrolle, an diesem Tag ganz besonders. Er hatte Colt schon wegen nichts und wieder nichts angefahren, war mit Saber zusammen gekracht und hätte sich am liebsten einfach nur noch in Luft aufgelöst. Alle Schwierigkeiten, denen sie momentan ausgesetzt waren, oder die gerade auftraten, hingen zwangsläufig irgendwie an ihm. Er schien an allem Schuld zu sein. Da sich die beiden gegenüber standen und der Wagen ihre natürliche Barriere bildete, entschied sich Jesse einige Schritte um den Wagen herum zu machen. Dabei betrachtete er das Modell gespielt aufmerksam. Unbemerkt blinzelte er dabei auch immer wieder zu seinem ärgsten Widersacher. Er war seinem Ziel so unendlich nahe und er würde es auch auskosten. Die letzten Wochen hatte er ausgespäht und ausgekundschaftet, nachdem sie in der fremden Zeit gelandet waren. Jesse hatte bald vermutet, dass die Star Sheriffs etwas glücklicher gelandet waren als die Outrider. Die waren mit all ihren Schiffen in der Phantomzone gelandet. Oh, es hatte ewig gedauert, Nemesis davon zu überzeugen, dass er ein Sympathisant war und kein böser Mensch. Nachdem diese Hürde aus dem Weg geschafft gewesen war, hatte sich Jesse auf Ramrod gestürzt und versucht heraus zu finden, wo sie sich rumtrieben und wie sie sich tarnten. Der Zufall hatte ihm einmal mehr in die Hände gespielt, als er bei einem Spaziergang durch die Stadt ein Gespräch zweier Soldaten aufgeschnappt hatte. Es war um Captain Hikari und den Neuen in der Air Strike Base 1 gegangen. Niemals hätte Jesse gedacht, dass Fireball so frech sein würde, und bei seinem Vater mitarbeiten würde. Aber, er tat es tatsächlich und Jesse hatte sich damit einen wunderschönen, grausamen Plan zurecht schmieden können. Süffisant lächelnd trat er neben Fireball: „Ich sagte doch. Irgendwann langweilt sie sich mit dir.“ Sein herablassender Tonfall und seine missbilligende Haltung unterstrichen diesen bissigen Kommentar zusätzlich. Jesse liebte es förmlich, Fireball bei dem heiklen Thema zu packen und ihn zu unüberlegten Aussagen zu reizen. Fireball wich automatisch einen Schritt nach hinten, obwohl das taktisch nicht unklüger hätte sein können. So signalisierte er Jesse eindeutig, dass er flüchten wollte, auch wenn dies gar nicht der Fall war. Der Rennfahrer tat es aus dem einfachen Grund, weil Jesse ihm verbal schon zu nahe trat, zumindest der räumliche Abstand sollte dabei gewährleistet bleiben, damit ihn das alles nicht zu sehr treffen konnte. Angriffsfläche bot er im Moment ja genug, das wusste er selbst auch. Fireball fragte sich, wie Jesse ihn hatte finden können. Wie genau wusste der Blauhaarige über die Lage Bescheid? Fireball legte die Hand auf die Motorhaube, als er wie selbstverständlich fragte: „Wie kommt es eigentlich, dass du mich in der einsamen Gegend beehrst, Kumpel? Hattest du Sehnsucht?“ Jesse trat einen Schritt nach vor. Es würde ihm Spaß bereiten. Ganz sicher. Sein Lächeln wuchs zu einem unverschämten Grinsen heran. Fireball würde es bereuen, alleine hier raus gefahren zu sein. Jesse lehnte sich gegen die Wagentür, den Ellbogen auf dem Dach abgestützt: „Wenn du mich so fragst, ja.“ Wieder wich Fireball einen Schritt nach hinten aus. Jesse bereitete ihm ein unangenehmes Gefühl. Sein Grinsen war falsch, seine Freundlichkeit nur gespielt. Das war einmal anders gewesen. Der junge Pilot rang sich zu einer Frage durch: „Was willst du hier?“ „Rate mal.“, das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. Fireball ließ sich so herrlich gut verunsichern. Man musste ihn nur am richtigen Punkt erwischen. Und Jesse hatte da schon gute Vorarbeit geleistet. Die Blondine war ein erheblich empfindliches Thema beim Rennfahrer, wenn er damit anfing, konnte er Fireball in jede x-beliebige Richtung schieben, wie er ihn gerade brauchte. Im Moment sorgte es für die nötige Unaufmerksamkeit. Der Rennfahrer biss sich auf die Lippen, ehe er hauchte: „April…“ Na bitte, das lief wie am Schnürchen. Vor lauter Sorge um die hübsche Navigatorin vergaß der Spund alles andere. Jesse strich sich die Haare nach hinten: „Dieses Mal nicht. Nachher gehört sie mir ohnehin.“ Fireball schluckte schwer. Was hatte Jesse nur vor? Er erkannte den blauhaarigen, ehemaligen Kadetten nicht wieder. Immer noch war er schwer enttäuscht, wenn er ihn sah. Dementsprechend fielen die nächsten Worte aus: „Warum hörst du nicht endlich auf damit? Seit du die Akademie geschmissen hast, richtest du nichts als Schaden an.“ Für einen Moment war der Anführer der Outrider sprachlos. Was war denn mit dem Reiskocher los? Ungläubig wiederholte er: „Schaden?!“, der Rennfahrer musste mit dem Kopf wo gegen gelaufen sein, so war es. Schnell fing sich Jesse deswegen wieder. Seine Augen funkelten hinterhältig: „Den wirst du bald haben, mein Freund.“ Unbemerkt zog Jesse aus seinem Gürtel eine Waffe hervor, während er kleine Schritte auf Fireball zu machte. Es würde ein Kinderspiel werden, ihm zu schaden. Nur noch wenige Zentimeter und er war in guter Reichweite. „Das waren wir, Jesse.“, die Enttäuschung darüber stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie hatten zusammen die Akademie auf Alamo besucht, hatten sich dort kennen gelernt und ihren Spaß gehabt. Bis Jesse gedacht hatte, ein Mädchen besitzen zu wollen. Daran war die Freundschaft zerbrochen. An April, denn Fireball hatte sich zwischen sie und Jesse gestellt, als der Blauhaarige ihr seine Zärtlichkeiten aufdrängen wollte. Die braunen Augen musterten ihn: „Du wirst nichts von alledem bekommen, was du willst.“ „Oh, doch, das werde ich.“, Jesse nützte die Gelegenheit gnadenlos aus. Er griff Fireball mit festem Druck an der Schulter, ging den letzten Schritt auf ihn zu und holte die andere Hand hervor. Als er Fireball das Messer in den Bauch rammte, flüsterte er kalt: „Mit dir fange ich an, Shinji-kun.“ Er hatte keine Gegenwehr gehabt, Jesse war darüber selbst mehr als erstaunt. Das war schon keine richtige Herausforderung mehr gewesen. Aber der Zweck seines Besuches war getan, das Ziel erfüllt. Jesse war zufrieden. Langsam und qualvoll zog er das Messer heraus, warf es achtlos hinter sich in die Wiese und entfernte sich von Fireball. Schmerzerfüllt keuchte Fireball auf, als Jesse ihm das Messer hinein gestoßen hatte. Fassungslos hatte er ihn mit großen Augen angesehen, das war nicht wirklich passiert. Es brannte wie Feuer unter der letzten linken Rippe, der Schmerz nahm ihm für einen Moment alle Kraft. Fireball sank mit dem Oberkörper auf die Motorhaube, seine Knie schienen das Gewicht nicht mehr tragen zu können. Er keuchte: „Verdammter Mistkerl…“ „Wie verdammt Recht du hast.“, Jesse hob die Hand und ging. Er sah sich nicht einmal mehr um. Er würde den Japaner seinem Schicksal überlassen. Hier in den Hügeln Yumas, würde niemand nach ihm suchen, sollte ihn jemand vermissen. Jesse verschwand in der Nacht. Mit letzter Kraft hatte er sich zu Ramrod zurückgeschleppt. Irgendwie war er noch über die Rampe ins Innere des Friedenswächters gekommen. Nun stand er in dem dunklen Zimmer, konnte sich kaum noch aufrecht halten und spürte das klebrige Blut, das durch seine Finger tropfte. Sie schlief. Er brauchte ihre Hilfe. Fireball wankte auf ihr Bett zu und flüsterte: „Süße. Bitte wach auf.“ Nichts. April lag in ihrem Bett und rührte sich nicht. Sie schlief tief und fest. Fireball nahm noch einmal alle Kraft zusammen. Etwas lauter als zuvor versuchte er wieder, sie zu wecken: „April. Bitte wach auf. Ich brauche deine Hilfe, Süße, bitte.“ Fireball flehte fast. Als er schon mit gequältem Gesichtsausdruck fester auf die Wunde drückte und sich ohne die Blondine auf den Weg ins Badezimmer machen wollte, regte sich doch noch was im Bett. Hatte sie tatsächlich jemanden gehört? Unwillig wurde April aus ihrem Traum gerissen, sie wollte noch gar nicht aufwachen. Aber irgendjemand war hier. Sie spürte die Nähe des Besuchers. Die Navigatorin drehte sich auf den Rücken. Sie hatte schlecht geschlafen. Das lag alleine daran, dass sie spät ins Bett gegangen war und dann ewig nicht hatte einschlafen können, weil sie sich dermaßen über Fireball geärgert hatte. Der Bengel hatte das Steuer an sich gerissen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. April wunderte sich immer mehr über den Japaner, der ihr von Tag zu Tag fremder wurde. Als Colt, Saber und sie beschlossen hatten, die Besprechung ohne Fireball zu Ende zu führen und den Rennfahrer schmoren ließen, war die Unvernunft in Person von Bord gegangen. Er hatte niemanden gesagt, wohin und wann er wieder kommen würde. Über all den Zorn hatte sich April aber auch Sorgen um Fireball gemacht. Sie hatte ihm angesehen, wie sehr ihm der Streit mit seinem Vater zugesetzt hatte. Sie schlug die Decke ein Stück zurück und setzte sich auf. Richtig wach war sie noch nicht, deswegen gähnte sie und streckte die Arme kurz über den Kopf, ehe sie die Augen richtig öffnete und in die Dunkelheit fragte: „Fireball?“ Sie hoffte, dass er nachhause gekommen war. Der Rennfahrer hatte sofort in seiner Bewegung inne gehalten, als er gehört hatte, wie sich im Bett hinter ihm etwas regte. Sie war seine letzte Chance. Hastig drehte er sich wieder ihr zu und flüsterte: „Ja, Süße. Ich bin’s. Du musst mir bitte helfen.“ Mürrisch verzog April die Mundwinkel. Der Kerl hatte vielleicht Nerven, das war schon beinahe unheimlich. Weil sie nicht ausgeschlafen war, war ihr ohne Decke um die Schultern sofort zu kalt geworden. Sie griff nach ihr und warf sie sich über die nackten Schultern. Irrsinnig viel konnte sie von ihrer Umgebung noch nicht ausmachen, deshalb fiel ihr auch der Ernst der Lage nicht auf. Ein bisschen ließ sie es Fireball nun spüren, dass er einfach abgehauen war: „Was brauchst du denn? Ein wenig Vernunft?“ Fireball biss sich auf die Lippen. Er hatte Schmerzen, er verlor Blut und hatte obendrein wirklich ein schlechtes Gewissen. Deswegen konnte er nicht wirklich kontern. Er wich einen Schritt nach hinten und fragte im Flüstern: „Wo ist der Verbandskasten?“ „Im Bad, wo soll er sonst sein?“, bekam er die nicht ganz so leise Antwort von April. Sie rieb sich die Augen und schaute angestrengt in die Richtung, aus der die Stimme kam. Aber im Dunkeln konnte sie nur seine Konturen ausnehmen. Schnippisch versetzte sie ihm noch: „Pflaster sind zu Hauf im Verbandskasten, solltest du dir wieder mal in den Finger geschnitten haben.“ Das Glückstrefferprinzip musste wohl im Team abfärben. Neuerdings waren nicht nur Fireball und Colt unsagbar präzise darin mit dummen Sprüchen ins Schwarze zu treffen, sondern auch Saber und April begannen damit. Nur, dass Fireball im Augenblick nicht darüber lachen konnte. Das warme Blut an seiner Hand erinnerte ihn qualvoll daran, weshalb er bei April im Zimmer stand. Gut, sie war sauer, aber das wäre er auch an ihrer Stelle gewesen. Vielleicht hätte er sie doch nicht wecken sollen. Er presste unter zusammengebissenen Zähnen hervor: „Nadel und Faden auch?“ April horchte auf. Nadel und Faden? Blitzschnell fuhr ihre Hand zum Lichtschalter. Augenblicklich war sie hellwach. Zuerst blendete sie das grelle Licht, es war ihren Augen viel zu hell. Doch als sie endlich klar sah und auch Fireball an ihrer Bettkante lebensgroß und in Farbe ausmachen konnte, stockte ihr der Atem. April sah direkt auf die blutverschmierte Hand, die sich der Japaner mit aller Kraft auf die Wunde drückte. Es war ihr zu viel. Sie lief kreidebleich an, musste sich die Hand vor den Mund halten und sprang an Fireball vorbei aus dem Schlafzimmer. Mit der anderen Hand deutete sie auf das Badezimmer. Es hatte ihr nicht nur den Atem verschlagen, es war ihr auch übel geworden. April war kein abgebrühter Star Sheriff. Sie war eine zart besaitete Frau und bei Fireballs Anblick hatte sich ihr der Magen umgedreht. Das war ihr um diese Uhrzeit einfach zu viel des Guten gewesen. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Toilette, um sich zu übergeben. Wie konnte er ihr bloß einen solchen Schrecken einjagen? Ihr spärlicher Mageninhalt entleerte sich und es dauerte eine ganze Weile, bis sich April im Griff hatte. Sie spülte sich den Mund mit kaltem Wasser aus, um den ätzenden Geschmack los zu werden. Nur ganz langsam wurde sie klar im Kopf und konnte das Ausmaß dieses Vorfalls erkennen. Sie musste ihm helfen! So schnell als möglich. Hektisch eilte April ins Badezimmer und hoffte, dass es Fireball noch bis dahin alleine geschafft hatte. Tatsächlich stand der Wuschelkopf im Bad. Als sie an ihm vorbeiging, erkannte sie auch in seinem Gesicht eine ungesunde Farbe. Es war offensichtlich Eile geboten. April ging an den Verbandskasten, holte allerhand Utensilien heraus und kniete sich anschließend vor Fireball. Mit professioneller Miene drückte sie die Hand von der Wunde weg und schnitt sein T-Shirt auf. Es klebte an der Wunde und April hatte Mühe, den Stoff von der Haut abzuziehen, ohne ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten. Die Blondine erschrak zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, als sie die Wunde zu Gesicht bekam. Lautlos forderte sie Fireball auf, sich das Shirt auszuziehen. Sie beobachtete, wie er sich mit langsamen, bedächtigen Bewegungen den blutverschmierten Stoff über den Kopf zog. „Das sieht übel aus, Fire. Du solltest zu einem Arzt.“, ihre blauen Augen hingen an der Schnittverletzung. Sie war nicht allzu lang, dafür aber tief. Behutsam wischte sie zuerst das meiste Blut von seiner Haut, danach holte sie Desinfektionsmittel und einen Lappen, worauf sie die Flüssigkeit träufeln konnte. Im ersten Moment, als April mit dem Desinfektionsmittel über die Wunde strich, zuckte Fireball gleich zurück. Das tat höllisch weh! Wollte sie ihn umbringen?! Er wollte laut schreien, konnte sich im letzten Moment aber noch auf die Lippen beißen. Er hätte das ganze Schiff zusammen getrommelt, genau das, was er nicht hatte wollen. Er hielt sich mit einer Hand am Waschbecken fest und atmete tief aus, durch den Schmerz. Angesichts seiner Reaktion, waren seine Worte leicht als Lüge zu enttarnen, als er April leise versicherte: „Das sieht schlimmer aus, als es ist.“ „Klar.“, April zog augenblicklich die Hand zurück und sah zu Fireball hinauf. Eine Leiche hätte mehr Farbe im Gesicht gehabt, als der Rennfahrer gerade. Sie sah ihm an, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte und dann log er sie auch noch an. Oh, der Sturkopf lernte niemals dazu. Egal, ob er nun vor dem brennenden Desinfektionsmittel zurückgewichen wäre, oder nicht, sie sah ihm das Lügen allemal an. In jeder Situation. Mit sanftem Druck auf den Oberschenkel dirigierte April den Rennfahrer vor das Waschbecken. Da konnte er sich dagegen drücken, soviel er wollte, aber nach hinten kam er ihr dann nicht mehr davon. Gründlich reinigte sie seine Wunde, immer darauf bedacht, ihre Gefühle nicht überhand nehmen zu lassen. Fireball hatte sie geweckt, mitten in der Nacht. Das alleine hatte die Blondine maßlos aufgeregt und seine schwere Verwundung hatte nur dafür gesorgt, dass sie diesen Frust zur Seite geschoben hatte. Nun aber stieg die Wut wieder in ihr auf. Während sie nach der Nadel und dem Faden fürs Nähen suchte, giftete sie ihn an: „Wie ist das überhaupt passiert? Soweit ich mich erinnere, hat dein Red Fury keine so scharfen und schmalen Kanten.“ Weshalb war sie nur so feindselig? Mit zusammengebissenen Zähnen lehnte er sein Becken gegen das Waschbecken, hielt sich mit beiden Händen daran fest. Aufmerksam sah er zu April hinab, wie sie zu nähen begann. Gegen seinen Willen musste der junge Rennfahrer schmunzeln. Er konnte sich vorstellen, was Colt wohl denken würde, wenn er ins Bad kommen würde und die beiden in dieser Position vorfand. Der erste Stich brachte ihn allerdings wieder in die Realität zurück. Ohne Betäubung war das noch schlimmer als das Desinfizieren. Heiser, vor Schmerz versagte ihm die Stimme, erklärte er April, während er den Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss: „Jesse. Ich bin ihm leider über den Weg gelaufen.“ Gleich darauf biss er sich auf die Unterlippe. Sein Gesichtsausdruck zeigte all das, was er April nicht zeigen wollte. Ihm trat der Schweiß auf die Stirn und bald würde er sich nicht mehr auf seinen Beinen halten können. Hoffentlich war sie bald fertig. Die Blondine achtete nicht darauf, sie konzentrierte sich darauf, Fireballs Wunde zu versorgen und dass ihr nicht wieder übel wurde. Und das ging am leichtesten, in dem sie die Sorge gegen ihren Zorn austauschte. Mit zittrigen Fingern stach sie die Nadel in seine Haut. Sie durfte nicht zurückzucken. Sie durfte Fireball nicht zeigen, wie schwer es ihr fiel und wie seltsam es war. Noch nie zuvor hatte sie einen Menschen wirklich nähen müssen. Kleinere Wunden hatte sie im Laufe des Krieges schon oft versorgt, noch nie allerdings so etwas. Das überließ sie ansonsten den Ärzten. April zwang sich zur Ruhe. Aber es gelang ihr nicht wirklich. Mit belegter Stimme brummte sie: „Ich bin Navigatorin und keine Sanitäterin, falls du das vergessen haben solltest. Warum lässt du dich von Jesse einfach so eiskalt erwischen?“ Er spürte Aprils kalte Finger auf seiner Haut. Und er fühlte, wie sie zitterte. Sie hatte Angst, ganz klar. Aber das sollte sie nicht. Vielleicht half ihr ein kleiner Scherz. Gequält schmunzelte er deswegen: „Das weiß ich. Aber du hast einen der besten Sanitätskurse gemacht. Ich will doch bloß nicht, dass du das verlernst, Süße.“ „Ich find das überhaupt nicht lustig, Fireball!“, grollte April. Dann spürte sie, wie er die Luft anhielt und seine Muskeln spannte. Seine Wunde zu versorgen, musste ihm starke Schmerzen bereiten. Als sie beim nächsten Stich unterdrücktes Stöhnen vernahm, hielt April inne. Vorbei war es mit den bitterbösen Gedanken. Vorsichtig strich April mit ihrer linken Hand über seine Seite. Ihre Finger ruhten auf seinen Hüften, übte sanften Druck darauf aus und sprach ihm gut zu: „Ich bin gleich fertig, Fire. Zwei Stiche noch, dann ist es auch schon vorbei.“ Fireball nickte, bevor er seine Hände fester in die Keramik drückte und den Kopf wieder in den Nacken legte. Ein weiteres Mal hielt er die Luft an und spannte die Muskeln. April sollte sich beeilen. Die letzten Stiche ließ er schweigend über sich ergehen, indem er sich auf die Lippen biss und darauf konzentrierte, nicht zu schreien. Es fiel ihm schwer. Als April von ihm ab ließ, sank er keuchend auf den Boden und fuhr sich mit den blutigen Händen über die Stirn und durch die Haare. Er brachte kaum einen Ton hervor: „Haben wir noch Schmerzmittel da, Süße?“ April ließ die Nadel augenblicklich auf den Fliesenboden fallen und rutschte auf den Knien von Fireball weg. Sie starrte auf ihre blutverschmierten Hände. Obwohl sie wusste, dass sie eine Verletzung behandelt hatte, kam sie sich beim Blick auf ihre Hände vor, als hätte sie gerade jemanden verwundet. Sie begann wieder zu zittern, stärker als vorhin noch und in ihr kroch Übelkeit empor. Die Blondine schüttelte den Kopf. Sie durfte jetzt nicht schwach werden. Noch nicht. April kämpfte den Brechreiz wieder zurück. Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, stand sie auf. Sie drängte sich zum Waschbecken und wusch sich zu allererst die Hände. Automatisch zog sie ein Handtuch aus dem Schrank und hielt es unter den kalten Wasserstrahl. Sie durfte nur nicht daran denken, wen sie gerade behandelt hatte. Krampfhaft redete sie sich ein, dass das eben das Gesicht des Krieges war und es jederzeit passieren konnte. Aber gerade dieser Gedanke half ihr ganz und gar nicht. Es machte ihr Angst. Denn April fürchtete diese Früchte des Krieges. Es verdeutlichte ihr, dass auch ihnen jederzeit etwas passieren konnte, dass sie ihre Freunde verlieren konnte. Ohne zu Fireball hinunter zu sehen, reichte sie ihm das Handtuch und erklärte: „Wisch dir das Blut von der Wunde und deinen Händen. Ich seh zu, dass ich etwas für dich auftreiben kann.“ Damit verschwand April aus dem Bad. Fireball fiel das Handtuch genau in die Hände. Verdammt, war das kalt. Im Nu breitete sich eine Gänsehaut über seinen gesamten Körper aus. Der Rennfahrer stieß sich mit den Beinen nach hinten, bis sein Rücken die Wand spürte. Keuchend lehnte sich Fireball gegen die Wand, er konnte eine Stütze gut gebrauchen. Er kniff die Augen zusammen, ehe er den Blick nach unten senkte, und begann, seine versorgte Wunde noch abzutupfen. Mit dem Kopf war er bei April. Sie war wohl ordentlich verstimmt. So kalt und herzlos war sie selten zu ihm gewesen. Hoffentlich brachte sie ihm noch die versprochenen Schmerzmittel, bevor sie wieder ins Bett ging. Hm, nein, das waren sie auch nicht. April legte schon die vierte Schachtel wieder in die Schublade zurück. Wo waren bloß die starken Schmerzmittel, die sie für den Notfall besorgt hatte? Im Bad saß immerhin gerade so ein Notfall und April fand die Tabletten nicht. Langsam wurde sie hektisch. Panik stieg in ihr auf. Ah, da waren sie! April umklammerte die Packung fester und hastete aus dem Zimmer. Sie lief an den Quartieren vorbei und wieder zu Fireball. Vor Sabers Zimmer blieb sie plötzlich stehen. In dem Moment wurde der Blondine alles zu viel. Die möglichen Folgen seiner Verletzung schossen ihr durch den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen. April brach vor Sabers Tür auf den Boden. Sie zitterte wie Espenlaub und ließ die Schachtel mit den Medikamenten auf den Boden fallen. April schlug die Hände vors Gesicht und kauerte sich zusammen. Unglaubliche Angst umschloss ihr Herz. Die Blondine wimmerte in ihre Hände hinein. Was war nur geschehen? April verstand nicht, wie Jesse es geschafft hatte, Fireball derart zu schaden. Der Rennfahrer ließ den Verräter doch sonst niemals in eine derart gute Position gelangen, um ihm ein Messer unter die Rippen zu jagen. April versuchte sich zu einzureden, stark zu sein. Sie dürfe sich nicht so gehen lassen, es würde nichts helfen. Doch ohne Erfolg. Sie begann nur noch mehr zu weinen und zu schluchzen. Die Verzweiflung und die Angst um Fireball zerfraßen sie beinahe. Warum nur? Angestrengt hörte er in die Dunkelheit hinein. Seit geraumer Zeit schon hatte Saber das Gefühl, im Gang draußen würde jemand umher schleichen. Sein leichter Schlaf machte ihm momentan jede Nacht einen Strich durch die Rechnung. Es verging keine Nacht, in der er nicht aus seinem traumlosen Schlaf hochfuhr und glaubte, es sei etwas geschehen. Saber wartete nur noch auf den großen Knall, der mit Sicherheit bald kam. Da war es wieder. Mit Luchsohren setzte sich Saber im Bett auf und schlug die Decke zurück. Da war etwas vor seiner Tür. Das konnte er sich nicht eingebildet haben. Ob der Rennfahrer wohl endlich zurück an Bord gefunden hatte? Saber haderte mit sich selbst. Er hatte einerseits absolut keine Lust aufzustehen und nachzusehen, andererseits würde es ihm aber doch keine Ruhe lassen. Er kannte sich selbst zu gut. Wenn er nicht nachsehen gehen würde, könnte er erst recht kein Auge mehr zu machen. Und auch, wenn er wegen Fireball immer noch einen dicken Hals hatte, so gehörte der Hitzkopf zu seinem Team. Saber musste nachsehen gehen. Er schwang die Beine aus dem Bett, schlüpfte in seine Pantoffel und machte sich Licht, damit er nirgends drüber fallen konnte. Leise öffnete er die Tür und sah sich im Flur um. Hm, alles ruhig. Doch da war es wieder. Saber riss den Kopf nach unten. Es war nicht Fireball gewesen, es war April! Saber sah auf die Blondine hinab, die dort vor seiner Tür kauerte und ängstlich am ganzen Körper zitterte. Sie saß dort, nur mit einem knappen Nachthemd bekleidet, mit nackten Füßen, auf dem kalten Boden und weinte in ihre Hände. Der Schotte erschrak bei dem Anblick zu Tode. Was um Himmels Willen war los? Er kniete sich zu April hinunter, legte ihr seine warmen Hände um die Schultern und zog sie in eine schützende Umarmung. Behutsam zog er ihre Hände von ihrem Gesicht und wischte ihr die Tränen von den Wangen. Besorgt fragte er: „April. Was ist geschehen?“ Erschrocken riss April die Augen auf. Sie zitterte noch heftiger: „Saber!“ Der Schotte konnte nur auf eine Weise darauf reagieren. Er zog die Blondine noch fester in die Umarmung. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand wach war. Auch, wenn er nicht wusste, weshalb die Blondine so herzzerreißend weinte, bestimmt gab es einen guten Grund dafür, so hinderte es ihn nicht daran, sich unendliche Sorgen um April zu machen. Er strich ihr über die kalte Haut ihrer Schultern, rieb sie, damit sich April wieder aufwärmte. Noch einmal erkundigte er sich: „April? Was ist mit dir?“ Die Navigatorin starrte Saber sekundenlang an, unfähig eine Reaktion zu zeigen. In ihrem Kopf lief gerade ein Film ab, wie sich die nächsten Minuten abspielen würden. Und weder Variante a noch die Variante b gefielen April. Der Rennfahrer, der immer noch im Bad saß, kam ihr wieder in den Sinn. Sie konnte Saber nicht beichten, was geschehen war. Niemals! Heftig schüttelte April deshalb ihre blonde Mähne und schälte sich aus Sabers Umarmung. Sie stand wieder auf und blickte auf Saber hinab. Flüsternd verneinte sie: „Es ist nichts, Saber. Danke, trotzdem.“ ‚Ist aber ein verdammt nasses Nichts!‘, Saber blinzelte verwirrt zu April hinauf. Nie im Leben war da nichts, sonst hätte sie sich nicht vor seiner Zimmertür die Augen aus dem Kopf geheult. Als er sich mit der Hand auf dem Boden abstützte, um aufzustehen, stieß er gegen eine Schachtel. Sofort nahm er sie in seine Hände und in Augenschein. Zweimal musste Saber den Namen der Tabletten auf der Packung lesen, ehe er die Mittel zuordnen konnte. Dann entfuhr es ihm allerdings aufgeregt: „Um Himmels Willen, April! Wofür sind die Schmerzmittel? Was ist mit dir?“ „Die sind nicht für mich.“, gestand die junge Frau kleinlaut. Sie konnte Saber nicht ins Gesicht lügen. Wären es nur leichte Schmerzmittel gewesen, hätte sie ihn angeschwindelt und gesagt, sie hätte Krämpfe gehabt. So zog sie nun ihren hübschen Kopf ein und hoffte auf ein gnädiges Donnerwetter. Mittlerweile stand Saber wieder. Der Schotte wurde langsam nervös. Aprils Verhalten behagte ihm ganz und gar nicht. Er kannte die Blondine. Sie log immer schon schlecht und ihre Gefühle konnte man an ihrer Art und ihrem Verhalten schon ablesen. Es musste einfach etwas Schlimmes passiert sein. Sabers Herz pumpte auf Hochtouren Blut durch seine Adern, ordentlich versetzt mit Adrenalin, er war so klar bei Verstand wie selten um diese Uhrzeit. Er hielt ihr die Packung vor die Augen und forderte ungeduldig: „Wenn sie nicht für dich sind, für wen dann? April, Himmel noch eins, was ist los?!“ Tränen sammelten sich abermals in Aprils Augen, als sie den Kopf senkte und murmelte: „Fireball.“ Saber rutschte das Herz in die Hose. Mit großen, erschrockenen Augen sah er auf die Blondine: „Was ist mit ihm? Wo ist er?“ April traute sich in diesem Augenblick nicht, Saber ins Gesicht zu sehen. Stattdessen senkte sie schuldbewusst den Kopf, kämpfte tapfer ihre Tränen hinunter und schlich voraus. Sie brauchte Saber nicht mehr zu sagen, als das, was sie ohnehin schon ausgeplaudert hatte. Alleine wegen der Tabletten hätte Saber sofort alles in Betracht gezogen, was übel ausgehen könnte. Sie kannte den Schwertschwinger doch. Er war ständig um das Wohl seiner Mannschaft besorgt. Seit sie hier gelandet waren, noch mehr als sonst schon. Im nächsten Augenblick flackerte allerdings der Gedanke an Fireball in ihr auf. Der Rennfahrer hatte ihr gar nicht richtig erzählt, was passiert war. Aber auch ohne eine Erklärung hätte sie schreckliche Angst um ihn gehabt. Zitternd griff sie im Vorbeigehen nach Sabers Hand und umklammerte sie ängstlich. Der Schotte ließ sich führen. Er spürte Aprils eiskalte Finger, die sich um seine schlossen. Entweder war der Blondine irrsinnig kalt, was aufgrund ihres Aufzugs kein Wunder war, oder sie hatte schreckliche Angst und der Rennfahrer hatte ihr vor Schrecken das Blut in den Adern gefrieren lassen. Hand in Hand gingen die beiden Richtung Bad. Saber ging leicht hinter April versetzt, aufmerksam beobachtete er jede noch so kleine Bewegung der Blondine. Nein, sie sah ganz und gar nicht gut aus. Er war gespannt, was auf ihn zukommen würde. Eine Mischung aus Besorgnis und Wut stieg in Saber empor. Besorgnis, weil offensichtlich einiges in die Brüche gegangen sein dürfte und Wut, weil es ausgerechnet schon wieder Fireball war, den das alles betraf. Saber kam nicht umhin, allmählich die Geduld mit ihm zu verlieren. Jeden Tag wurde es schlimmer mit Fireball, er sah einfach nicht, worauf Saber ihn schon seit Wochen mit Leuchtschriftzeichen und Gebärdensprache hinzuweisen versuchte. Das ein oder andere Mal hatte er es ihm auch schon deutlich gesagt, was nicht in Ordnung war, aber Fireball hatte ihn dann immer nur verständnislos und mit tausenden Fragezeichen auf der Stirn angesehen. Die Situation war schon bedenklich genug, und nun schien es ernste Auswüchse daraus zu geben. Saber merkte gar nicht, wie April im Badezimmer plötzlich anhielt. Er rempelte sie leicht an, weil er nicht abgebremst hatte und entschuldigte sich murmelnd bei ihr. Der Schotte war selten so sehr in Gedanken versunken. Nun schienen sie am Ziel ihrer kurzen Reise zu sein und Saber sah sich erst einmal um. Auf dem Boden lag der offene Verbandskasten, der hastig nach den geeigneten Utensilien durchsucht worden war, die blutverschmierte Nadel lag ebenfalls auf dem Fliesenboden. Das blutige T-Shirt von Fireball hing halb über der Badewanne, ein rot gefärbtes, ehemals rein weißes Handtuch gleich daneben. Und neben dem Waschbecken hockte der schwer atmende Rennfahrer. Er war blass um die Nase, ganz klar am Ende seiner Kräfte und schwer verwundet. Sabers Augen wurden groß und entsetzt stieß er hervor: „Oh, mein Gott!“ Fireball hatte die Augen geschlossen gehalten und während Aprils Abwesenheit versucht, durch den Schmerz hindurch zu atmen. Es hatte nur mäßig Früchte getragen, denn immer noch fühlte er, wie Blut aus der Wund trat, wie wild sie pochte und bei jeder Bewegung, sei sie auch noch so klein gewesen, auf sich aufmerksam machte. Jede Sekunde, die er länger auf April hatte warten müssen, desto verzweifelter war er tief in sich geworden. April hatte ihn nie hängen lassen, doch in dieser Nacht hatte er das Gefühl gehabt, sie würde es ohne mit der Wimper zu zucken tun. Und dann kam seine ersehnte Rettung doch noch und brachte ausgerechnet Saber im Schlepptau mit! Verblüfft schlug Fireball die Augen auf und sah direkt in Sabers düsteres Gesicht. Er stammelte: „Saber? Was…?“ Dem Schotten war der Schrecken bis vor Kurzem noch ins Gesicht geschrieben gestanden, schnell allerdings hatte er seine hochprofessionelle Miene aufgezogen und versucht, alles daran abprallen zu lassen, was im Augenblick nur hinderlich war. Blöd nur, dass es sich dabei um Mitgefühl und Sorge handelte, die Saber weggesperrt hatte. Augenblicklich dachte er wieder als Anführer an seine Mannschaft und die Mission. Und Fakt war, dass der Pilot verletzt war, eben weil er sich ohne Erlaubnis vom Schiff entfernt hatte. Saber brummte: „Wie ist das passiert, Fireball?“ Ungefähr die selbe Reaktion konnte April sekundenbruchteile später bei Fireball ablesen. Der erste Schrecken war verpufft, das erstaunte Gesicht verfinsterte sich. Fireball rappelte sich irgendwie aus seiner Position auf, er musste Saber zumindest annähernd auf Augenhöhe entgegensehen können. Er konnte es nicht ausstehen, wenn der Schotte auf ihn hinab sah, als wäre er ein kleines Kind. Mit einer Hand musste er sich wieder am Waschbeckenrand festhalten, sonst hätte er es nicht geschafft aufzustehen. Auch so war es ein unglaublicher Kraftakt für den ausgezehrten Rennfahrer gewesen. Er blickte Saber kurz in die Augen, dann entschloss er sich, das Thema einfach auf ein andermal zu verschieben. Der kurzgeratene Japaner wollte an Saber vorbei und streckte die offene Hand nach April aus. Er bat sie: „Süße, hast du wenigstens die Schmerzmittel auch mitgebracht?“ Seine Stimme verriet deutlich, dass er Saber im Augenblick weder sehen noch sprechen wollte. Die beiden waren im Augenblick nicht gut aufeinander zu sprechen. Sie gerieten die letzten Tage ständig aneinander, an diesem Abend war alles soweit gegipfelt, dass der Rennfahrer von seinen Freunden einfach stehen gelassen worden war. Und nun hatte er schlicht und ergreifend keine Lust, mit Saber zu diskutieren. Und das würde er ohne Zweifel müssen. Sein Pech war allerdings, dass der Schotte die Schmerzmittel hatte und nicht April. Die Blondine hob entschuldigend die Hände, während Saber Fireball die Schachtel unter die Nase hielt. Er war geweckt worden, hatte schlecht geschlafen und der Ton in Fireballs Stimme ließ den Blutdruck wieder deutlich nach oben schnellen. Was glaubte der Rotzlöffel eigentlich? Saber wollte die nächsten Augenblicke keine ungebetenen Zuhörer haben, deswegen schickte er April unter einem Vorwand aus dem Bad: „Hol unserem Bruchpiloten bitte ein Glas Wasser zu seiner Tablette, April.“ Klar, Fireball hätte auch einfach von der Wasserleitung trinken können, aber dann hätte April nicht gehen müssen. War zwar eine platte Ausrede, aber für die Uhrzeit ausgefuchst genug. Man konnte schließlich keine Genialität von Saber verlangen, er war doch erst knappe fünf Minuten wach, hatte schon einen Schrecken nach dem anderen erlebt und auch sein Nervenkostüm war mal angekratzt. Gut erzogen verließ April das Bad. Sie würde sich Zeit lassen, mit dem Glas Wasser, denn auf gar keinen Fall wollte sie Zeuge eines Streits zwischen Fireball und Saber werden. Die Blondine hatte das Gefühl, dass beide von Freunden zu Rivalen geworden waren. Sie boten sich die Stirn, vor allem Fireball schien keinerlei Respekt mehr vor der Position Sabers zu haben. Der Rennfahrer griff nach der Schachtel, bekam sie aber nicht zu fassen, weil Saber die Hand blitzschnell mit der Schachtel hinter seinem Rücken verschwinden ließ. Er funkelte Fireball an: „Zuerst will ich mal hören, wo du warst, warum du erst jetzt wieder kommst und wie das da passiert ist.“, dabei senkte Saber seinen Blick auf die Wunde. „Das klären wir morgen beim Frühstück. Es ist spät und ich muss morgen wieder früh raus. Also wirst du mich bitte entschuldigen.“, es kostete Fireball viel Mühe, ruhig und schmerzfrei zu klingen. Er ließ sich von Saber doch nicht erpressen! Das waren bestimmt nicht die einzigen Schmerzmittel, die an Bord rumlagen. Er nahm Saber an der Schulter und versuchte, den Schotten zur Seite zu schieben. Der Blonde allerdings hielt dagegen. Er machte sogar noch einen Schritt in die andere Richtung, damit Fireball auch ja nicht an ihm vorbei kam. Ihr Pilot hatte nicht die Kraft, Saber zur Seite zu schieben. Das verriet Saber, dass es eine schwere Verletzung sein musste, an der großen Klappe hätte man das nämlich nicht festmachen können. Mit etwas mehr Druck hielt nun Saber den Japaner an der Schulter. Er drückte ihm die Finger fest in die kalte Haut. Sein Blick verfinsterte sich noch mehr als zuvor schon. Saber blaffte Fireball an: „Ich werde gar nichts! Du wirst mir vorher meine Fragen beantworten, Fireball. Haben wir uns verstanden?“ Fireball blieb stehen und schluckte kaum merklich. Der Highlander hatte beinahe zu viel Kraft aufgewendet. Der ausgezehrte Rennfahrer hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten und seine Schmerzen zu verstecken, nun auch noch den festen Griff von Saber zu ignorieren, war fast schon zu viel für heute. Er hob seine rechte Hand und versuchte, Sabers Hand von seiner linken Schulter zu schlagen. Seine Haltung hatte sich augenblicklich versteift und sein Blick war entschlossen. Er war der Captain und hatte entschieden! Fireballs braune Augen blitzten auf: „Wenn du zugehört hast, dann haben wir uns verstanden, Saber. Wir werden morgen früh darüber reden.“ Der bestimmte Tonfall machte Saber rasend. Er drückte die Hand an Fireballs Schulter automatisch fest zusammen. Es war ihm im Moment herzlich egal, ob dem Rennfahrer das weh tat, oder er es kaum spürte. Saber brodelte. So deutlich wie nie hatte Saber nun das Gefühl, Fireball würde ihm den Rang streitig machen. Den Befehlston wollte er dem Rennfahrer sofort wieder austreiben. Ruhig, aber scharf, gab er zurück: „Gar nichts werden wir morgen früh. Jetzt sofort wirst du mir erklären, was passiert ist.“ Aber der sture Bock dachte nicht daran. Ihm wurde vor Schmerz schon schlecht, er konnte sich keinen Augenblick länger mehr auf seinen Beinen halten. Er durfte Saber das allerdings nicht sehen lassen. Mit wütenden Augen fixierte er Saber und keifte ihn nun an: „Jetzt sofort geht schon mal gar nichts! Du wirst wohl über übel auf morgen warten müssen. Leg dich endlich wieder schlafen!“ Das war der Punkt, an dem Saber die Nerven verlor. Hatte er ihm einen Befehl gegeben?! Das war nicht Fireballs Ernst. Aber er erkannte auch, dass es keinen Sinn machte, das auf Biegen und Brechen augenblicklich klären zu wollen. Grollend stieß er Fireball nach hinten: „Das war’s! Mir reicht’s, Fireball! Wir zwei sind fertig.“ Stinksauer stapfte Saber aus dem Bad und wieder zurück in sein Zimmer. Dabei warf er die Schmerzmittel mit Schwung auf den Flur im Gang. Das war einfach nicht zu fassen. Die halbe Portion versuchte, ihm Befehle zu geben als wär es eine Selbstverständlichkeit! Das war doch ein Witz! Hinter ihm ging besagte halbe Portion auf die Knie und stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab. Er keuchte und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Das war mehr gewesen, als er noch hatte bewältigen können. Saber, sein engster Vertrauter kündigte ihm die Freundschaft. April hatte die beiden Männer bis in die Küche gehört. Sie hatte Fireball kein Wasser mit gebracht, war allerdings in den Flur gegangen, als sie Saber gehört hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl sah sie dem Schotten nach. Um Himmels Willen, der kochte schlimmer als ein Dampfkessel. April blieb stehen und hob die Tabletten auf, die Saber beinahe zielgenau gegen Colts Zimmertür gepfeffert hatte. Sie warf dem Schotten noch einen Blick zu und machte sich dann auf den Weg zu Fireball. Der Rennfahrer kniete auf dem Boden. April bückte sich zu ihm hinab und langte nach seinem Arm. Als sie ihn vorsichtig auf die Beine ziehen wollte, machte er sich wieder los. „Lass mich bitte in Ruhe, April. Alles in Ordnung.“, flüsterte der Rennfahrer mit schmerzerfüllter Stimme. Dabei rappelte er sich ohne Aprils Hilfe mühsam auf. Wütend schüttelte April den Kopf und stand auf. Sie ließ ihm die Tabletten auf dem Waschbeckenrand liegen und ging ebenfalls aus dem Bad. Sie verteufelte den jungen Japaner missbilligend: „Elender Trotzkopf!“ Die restliche Nacht war er in der Küche am Tisch gesessen und hatte nachgedacht. Alles lief aus dem Ruder. Seine Freunde ignorierten seine Entscheidungen, taten sich gegen ihn zusammen. Sein Vater hatte die Spürnase und den Argwohn ausgepackt und alles nur wegen Jesse Blue. Fireball hatte sich aus seinem Zimmer einen Pulli geholt, ihm war kalt gewesen. Zuvor hatte er sich großzügig ein Pflaster über die Wunde geklebt und zwei Tabletten auf einmal genommen. An Schlaf war für den Piloten nicht mehr zu denken gewesen. Bis in den frühen Morgen war er vor einer Tasse Tee gesessen und hatte sich Gedanken gemacht. Ernüchternd war er zu dem Schluss gekommen, dass er als Captain völlig versagt hatte. Immerhin stellte sich seine Mannschaft kollektiv gegen ihn. Auch die Beziehung zu April ging in die Brüche. Sie war distanziert und enthielt ihm Zärtlichkeiten vor, die er sich gerne bei ihr geholt hätte. Die Geschichte war mittlerweile mehr als nur frustrierend. Sie stellte alles auf den Kopf, vor allem das Leben der vier Freunde. Fireball machte sich pünktlich auf den Weg ins Oberkommando. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, hatte es keiner geschafft, aus dem Bett zu krabbeln, bevor er das Schiff wieder verließ. Colt war immer schon der geborene Langschläfer gewesen und April und Saber mussten ein paar Stunden Defizit aufholen. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, während er in der Flugstaffel seinen Dienst tat. Die nächsten beiden Tage hatte er zumindest insoweit Glück, als dass er nicht fliegen hatte müssen. Aber das hieß gar nichts. Captain Hikari trug seine Schwierigkeiten ebenfalls mit sich herum. Es war klar gewesen, dass er mit niemanden darüber reden konnte. Weder wollte er seine Mannschaft verunsichern, noch hätte er seiner Frau von seinen Erlebnissen erzählen können. Ai hatte auch so gemerkt, dass etwas nicht stimmte und mit ihrem guten Instinkt hatte sie gleich in die richtige Richtung geraten. Shinji hatte den Fehler gemacht und war, aufgebracht, wie er nach dem Gespräch mit Fireball gewesen war, gleich nachhause gefahren. Er hätte mit Charles lieber noch eine Runde Tennis spielen sollen, aber ihm war nicht danach gewesen. So war er noch gar nicht richtig zur Tür hinein gegangen gewesen, hatte Ai ihm schon angesehen, was die Uhr geschlagen hatte. Auch, wenn er ihr nichts erzählt hatte und alles als Einbildung abgetan hatte, so hatte er doch ihre Besorgnis geweckt. Seit dieser Jesse versucht hatte, ihn abzuschießen und ihm den Gedanken in den Kopf gesetzt hatte, der junge Hüpfer könnte sein Kind sein, widmete er seine gesamte Aufmerksamkeit dem Frechdachs. Und dieser gab ihm noch mehr Rätsel auf. Ihre Auseinandersetzung hatte nichts gebracht, es hatte das Gefühl in Shinji nur noch verstärkt, der Angreifer hätte mit seinem blöden Spruch Recht gehabt. Aber das konnte nicht sein. Das war absolut unmöglich. Unbemerkt beobachtete der Captain das Jungtalent in beinahe jeder Situation. Und es beunruhigte ihn zusehends. Nach dem Streit musste noch etwas vorgefallen sein. Bereits am nächsten Tag war ihm aufgefallen, dass der Spund blass um die Nase war und er mit aller Macht versuchte, sich in Luft aufzulösen. So zumindest kam es dem erfahrenen Captain vor. Tunlichst vermied der junge Pilot, mit jemanden zu sprechen oder sonst irgendwie aufzufallen. Aber gerade das verriet ihn beim Captain. Zuvor war er aufgeweckt und zu Späßen jeder Art aufgelegt gewesen. Mit jedem Tag wurde es schlimmer. Da war mehr faul und Shinji begann sich Sorgen zu machen. Alles war ruhig im Hangar, als Shinji an diesem späten Vormittag einen Rundgang machte. Seine Piloten waren alle irgendwo unterwegs oder erledigten in den ruhigen Stunden mal ihren Papierkram. Der junge Japaner aber nicht. Er war da, wo Shinji ihn erwartet hatte. Er stand im Hangar und schraubte an seinem Jet herum. Das kleine Multitalent verstand nicht nur was vom Fliegen, sondern kannte sich mit der Mechanik der kleinen Gleiter auch blendend aus. Aber er war dieser Tage langsam und auch unkonzentriert. Fireball bewegte sich für Captain Hikaris Geschmack fahrig und ein Blick ins Gesicht ließ es nicht besser werden. Entweder war der Bengel krank, oder es fehlte ihm etwas anderes. „Warst du schon beim Arzt, Kurzer?“, mit diesen Worten drehte er Fireball vom Gleiter zu sich herum. „Was?“, verdattert sah Fireball in das Gesicht seines Vaters. Die letzten Tage hatte er ihn erfolgreich gemieden und sich vor ihm versteckt. Nun aber stand er ihm wieder gegenüber. Seine Augen spiegelten die Unsicherheit wieder, die in diesem Augenblick in ihm hochgekommen war. Sein Vater hatte nach einem Arztbesuch gefragt. Was hatte er mitbekommen oder gesehen? Von Nahem sah er noch schlimmer aus. Shinji wäre beinahe erschrocken einen Schritt nach hinten gewichen. Definitiv brauchte der junge Spund einen Arzt. Blass war gar kein Ausdruck für die Gesichtsfarbe. Sorge breitete sich in Shinji rasend aus. Warum, das konnte er sich selbst nicht erklären. Aber er durfte persönliche Gefühle ohnehin gerade nicht zulassen, es ging um die Sicherheit seiner Staffel. Um nichts anderes, das redete sich der ältere Hikari sofort ein. Er strich Fireball über die Schulter. Besorgnis schwang trotzdem in seiner Stimme mit: „Ob du schon beim Arzt warst, hab ich dich gefragt, Kurzer.“ Fireball versuchte, seinem Captain den Wind aus den Segeln zu nehmen, ihn gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, dass etwas im Busch sein könnte. Er strich die Hand seines Vorgesetzten von seiner Schulter und sah ihm fest in die Augen: „Weshalb sollte ich? Mir fehlt nichts, Sir.“ Lügen hatten kurze Beine und in Fireballs Fall auch noch zittrige Knie. Wie viel wusste sein Vater bereits? Eines war sicher, dass er ihn angelogen hatte, hatte Shinji in seinem Gesicht schon ablesen können. Fireball wusste in der momentanen Lage nicht recht vor und zurück. Er war verletzt und ihm war auch klar, dass er es nicht verbergen hatte können. Sein Vater stand als Captain vor ihm, weniger als Freund, das hatte er beim ersten Blick schon sagen können. So gut das Verhältnis zwischen den beiden zwischenzeitlich auch gewesen war, Jesse Blue hatte mit diesem Angriff auf seinen Vater alles wieder zunichte gemacht. Shinji hatte ihn beobachtet, ständig im Auge behalten und nur darauf gewartet, dass der Rennfahrer einen Fehler beging. Es war offensichtlich, dass der kleine Hitzkopf ihm ins Gesicht gelogen hatte. Hatte sich Shinji so sehr in ihm getäuscht? Er hatte vom ersten Augenblick an gedacht, Fireball und ihn würde etwas verbinden, sie würden sich gut verstehen. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Der Captain stemmte die Hände in die Hüften. Bestimmt belehrte er ihn eines Besseren: „Willst du mich verkohlen?“, er wies auf die Gestalt seines Piloten: „Du kannst dich kaum auf den Beinen halten und machst selbst dem Tod noch Konkurrenz. Und dir will nichts fehlen?“, Shinjis Augen verengten sich. Es war für jedermann zu sehen, dass ihm der Junge was vormachen wollte. Und es machte den Captain ungehalten. Fireball schluckte. Anstatt zu antworten, senkte er den Blick zu Boden. Er würde innerhalb kurzer Zeit ein weiteres Mal mit ihm aneinander geraten. Eine unbehagliche Vorstellung und Fireball zog vorsorglich schon mal den Kopf ein. Bereits beim ersten Mal hatte er den Kürzeren gezogen, gegen den Sturschädel seines Vaters hatte er nicht viel entgegenzusetzen. Er konnte ihm ja schlecht die Wahrheit erzählen. Shinji schob Fireball zur Tür und befahl ihm: „Sieh zu, dass du zum Arzt kommst, Kurzer. Ohne sein Einverständnis fliegst du nicht.“ Fireball setzte bedächtig einen Fuß vor den anderen und ging aus dem Hangar. Er würde nicht zum Arzt gehen. Wie denn auch? Ohne gültige Versicherungskarte und einem Geburtsdatum, das erst in einem guten Jahr aktuell wurde? Leise brummte er, während er auf die Tür zusteuerte: „Ich brauche keinen Arzt.“ „Das war keine Bitte, sondern ein Befehl!“, unzählige Male hallten die Worte in der Fliegergarage wider. Der verfluchte Sturkopf hörte nicht. Shinji hopste gleich im Dreieck, wenn der Wuschelkopf nicht sofort das tat, was er ihm anordnete. Abrupt blieb Fireball stehen. Das war zu ruckartig gewesen, wie er gleich darauf feststellte. Seine Stichwunde vermeldete sofort, dass er besser nicht stehen geblieben wäre. Nun half nur noch eines. Zähne zusammen beißen und bloß nicht zu seinem Vater umdrehen. Denn dann hätte der gesehen, welche Schmerzen ihm ins Gesicht geschrieben standen. Aber dazu hätte er sich auch nicht umdrehen müssen. Shinji hatte auch so gesehen, dass Fireball beinahe umgefallen wäre. Weshalb log der Junge ihn an? Die Enttäuschung brüllte Shinji in die Welt hinaus: „Verflucht und zugenäht, Shinichi! Weshalb lügst du mir so rotzfrech ins Gesicht? Du brichst gleich zusammen und willst trotzdem nicht zum Arzt gehen.“ Der Captain stapfte auf Fireball zu und riss ihn zu sich herum. Er nahm ihn mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte ihn. Seine Enttäuschung schlug in Wut um. Er hätte seine Hand für den Rotzjungen ins Feuer gelegt, hätte ihm bei allem geholfen! Abermals schrie er ihn an: „Du kriegst von mir keine Extraeinladung. Verdammt, geh zum Stützpunktarzt und lass dich ansehen!“ Die großen Augen eines erschrockenen Kindes sahen ihn einen Augenblick lang an, ehe Fireball ebenfalls auf stur schaltete. Unbehaglich befreite er sich von der Schüttelattacke und brummte: „Das ist Zeitverschwendung. Mir fehlt nichts, Sir.“ Das war zu viel gewesen. Der Captain rief zwei MPs ran, die zufällig des Weges kamen. Er ließ Fireball von den beiden zum Arzt bringen. Die Hitze des Zorns war dem Oberhaupt der besten Kampfjeteinheit anzusehen. Er zischte Fireball noch zu: „Danach sprechen wir uns in meinem Büro, Gefreiter Hikaro! Die Befehlsverweigerung hat Konsequenzen.“ Er sah dem ungleichen Dreiergespann hinterher, wie sie zum Arzt gingen. Shinji biss sich auf die Lippen und stemmte die Arme in die Hüften. Er konnte es nicht glauben. Wut, Enttäuschung und Verwirrung tobten in ihm. Verdammt, was hatte er bei dem Jungen übersehen? Der Captain wandte schließlich den Blick von der Hangartür ab und ging in sein Büro hinauf. Er musste seine Gedanken ordnen. Aber das war schwierig. Shinji hatte gedacht, der Kurze ließe sich führen, würde ihm vertrauen, aber er war schmerzlich eines Besseren belehrt worden. Unglaublich aber wahr. Shinji hätte alles für das Naturtalent getan. Er fühlte sich verraten und verkauft. Die Zweifel schürten wieder die Gedanken, die ihm sein Angreifer in den Kopf gesetzt hatte. Aber wie konnte das eine zum anderen passen? Es war unmöglich. Ihm war gleichzeitig bewusst, dass er mit seinem Ausbruch keine gute Basis dafür geschaffen hatte, an Antworten zu kommen. Aber notfalls würde er sie anders bekommen. Der Tag würde wohl wieder länger dauern, als ihm lieb war. Dabei würde er heute mal gerne mit seiner Frau in Ruhe zu Abend essen. Es schien ewig zu dauern, bis man den jungen Japaner direkt vom Arzt zu ihm ins Büro brachte. Zwischendurch war Shinji immer wieder von seinem Stuhl aufgestanden und durch den Raum gegangen. Sorge und Unbehagen hatten sich nach der ersten Wut über sein Gemüt gelegt. Er tigerte vor seinem Schreibtisch auf und ab, nichts rührte sich in seinem Büro. Es behagte Shinji nicht. Ganz und gar nicht. Niemand brauchte so ewig lange beim Arzt, wenn ihm nichts fehlte. Die Tür ging auf und die beiden MPs traten mit Shinichi und einem Attest ein. Das Papier wurde Shinji auf den Tisch gelegt. Er bedankte sich bei den MPs und bedeutete Fireball, sich zu setzen. Der wäre nämlich am liebsten gleich wieder rückwärts aus dem Zimmer geschlichen. Auch der Captain setzte sich wieder. Er musste die Ruhe bewahren. Shinji warf seinem Gegenüber einen kurzen Blick zu. Wie er da saß, mit einer fahlen Gesichtsfarbe, einem betretenen Blick und angezogenen Schultern. Der junge Spund saß vor Shinji wie ein Kind, das etwas angestellt hatte. Wie sein Kind. Shinji lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Der Kurze war nicht sein Kind, das konnte er nicht. Shinji senkte die Augen auf das ärztliche Attest. Er konnte ihn nicht länger ansehen, sonst wäre er weich geworden. Shinji überflog den Arztbericht. Erschrocken, aber auch über den Leichtsinn entsetzt, schob er den Zettel wieder von sich weg. Shinji stand wieder auf, er musste sich bewegen. Herrisch fuhr er Fireball an, er beugte sich weit zu ihm hinunter: „Verdammt und zugenäht! Was hast du dir dabei gedacht?“, er richtete sich auf und schrie ungehalten: „Eine Stichwunde! Verflucht, Shinichi! Und dann lügst du mich auch noch an.“ Fireball schloss die Augen und steckte den Kopf noch weiter zwischen die Schultern. Leise murmelte er: „Sie wurde bereits vor dem Arzt gut versorgt.“ „Das ist mir egal. Du verrichtest Dienst, obwohl du dich nicht auf den Beinen halten kannst“, Shinji lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. Die Antwort seines Neuzugangs missfiel ihm. Er saß da und rückte mit der Sprache nicht raus. Was verbarg der kleine Japaner nur? Und vor allem, weshalb konnte er es ihm nicht erzählen? Der Kurze schien doch von Anfang an Vertrauen zu ihm gehabt zu haben und sich gut mit ihm verstanden zu haben. Warum ging das auf einmal nicht mehr? Shinji beobachtete Fireball bei jedem Atemzug. Insgeheim hoffte er, dass der junge Hüpfer zu reden anfing, bevor er zu fragen anfangen musste. Doch wieder wurde er von Fireball enttäuscht. Die braunen Augen seines Gegenübers waren stur zu Boden gerichtet, der Mund verschlossen und versiegelt. Wieder stieß sich Shinji vom Schreibtisch ab. Er konnte den Jungen nicht ansehen. Er war ein Mitglied seiner Staffel, als solches musste er ihn auch behandeln. Und jeden anderen hätte er deswegen schon fünfmal durch den Fleischwolf gedreht. Shinji schluckte. Er konnte es nicht. Etwas, tief in seinem Inneren, hielt ihn davon ab. Doch er musste. Shinji straffte seine Haltung und erhob abermals die Stimme: „Wo bist du rein geraten, Shinichi? Verdammt noch mal, was hast du ausgefressen und wer trachtet dir nach dem Leben? Und ich warne dich. Lüg mich ja nicht an!“ Fireball hatte den scharfen Blick seines Vaters im Rücken ganz deutlich gespürt. Wie ein Pfeil stieß er ins Fleisch. ‚Lüg mich nicht an!‘, hallte es in seinen Gedanken wieder. Wie gern hätte er ihm die Wahrheit gesagt, aber das konnte er nicht. Fireball sank in sich zusammen, verbarg das Gesicht minutenlang in seinen Händen und schloss die Augen. Er hoffte, dass alles nur ein schlechter Traum war. Wenn er seine Augen wieder öffnen würde, dann saß er mit seinen Freunden an Bord von Ramrod bei einer Tasse Kaffee und sie unterhielten sich über ihre nächsten Urlaubsziele. Fireball versuchte mit aller Macht, jeglichen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Die letzten Tage waren ohnehin schon die Hölle auf Erden gewesen. Saber und Colt, aber auch April gingen ihm aus dem Weg. Der Cowboy betitelte ihn nur noch mit ‚der Krümel, der zum Keks mutieren wollte‘, Saber hatte nicht einmal mehr ein ‚Guten Morgen‘ für ihn übrig. Jedes Mal, wenn Fireball dieser Tage Aprils Nähe gesucht hatte, hatte sie ihn von sich gestoßen, wollte sie ihn nicht sehen. An was auch immer ihre Freundschaft zu Grunde gegangen war, es hatte funktioniert. Fireball hatte als Captain versagt und offenbar auch als Freund. Und als Sohn würde er es in den nächsten Minuten, wenn es nicht schon längst geschehen war. Er öffnete die Augen und hob den Kopf. Er war immer noch im Büro seines Vaters. Es war zum Heulen! Fireball seufzte bedrückt und log mit zusammengekniffenen Augen: „Niemand trachtet mir nach dem Leben und ich hab auch nichts ausgefressen, Sir. Ich war einfach nur tollpatschig, das ist alles.“ Mit einem Satz war Shinji wieder bei seinem Gesprächspartner am Tisch. Er stieß mit seiner flachen, rechten Hand gegen die Schulter seines jungen Piloten und drückte ihn unwirsch in die Lehne des Sessels. Wutentbrannt schrie er: „Sieh mir in die Augen und sag das noch mal! Hör verdammt noch mal auf, mich anzulügen und so zu tun, als ginge es hier nur um einen kleinen Nadelstich.“ Der Captain kochte und brodelte schon ordentlich vor sich hin. Ein falsches Wort noch von Shinichi und Shinji schoss durch die Decke. Garantiert. Als er sah, wie sich Fireball auf die Lippen biss und den Blick senkte, ließ er ihn schlagartig wieder los. Er war richtig vor sich selbst erschrocken. Warum nur ließ dieser Junge ihn alles vergessen, was man für einen sachlichen Umgang im Dienst miteinander benötigte? Er wurde persönlich. Zumindest empfand es Shinji so. Als würde er diese groben Worte gegen sich selbst richten. Lange ruhten seine Blicke auf Fireball. Jeder Augenblick, den er ihn länger betrachtete, kroch das Gefühl mehr in ihm hoch, das sein Angreifer mit seinen Worten in seinem Herzen gesät hatte. Sein Sohn sollte der laufende Meter vor ihm sein. Das hatte dieser Jesse Blue doch mit seinen Worten sagen wollen. Die Alarmsirene riss Shinji schließlich aus seinen Gedanken. Gleich darauf klingelte sein Telefon und der Anrufer teilte ihm mit, dass die Flugstaffel vollzählig ausrücken sollte. Ein Schwarm unbekannter Jets käme direkt auf den Planeten Yuma zu. Shinji hastete aus dem Zimmer. Aus den Augenwinkeln konnte er noch sehen, wie auch Fireball aufstand und hinterher wollte. Bestimmt pfiff er ihn zurück: „Vergiss es, Hikaro! Du gehst nachhause.“ Diese Worte duldeten keinen Widerspruch. Nachdem sich Shinji noch einmal vergewissert hatte, dass der Bengel keine weiteren Dummheiten begehen würde, lief er so schnell er konnte, in den Hangar hinunter. Das Abendessen mit Ai fiel definitiv ins Wasser. Schade, dabei hatte er sich auf einen ruhigen, beschaulichen Abend mit seiner Frau gefreut. Fireball ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Missmutig hörte er den Alarm. Er durfte nicht mit! Ein Angriff, den es nicht geben dürfte, und Fireball musste tatenlos dabei zusehen, wie sein Vater mit seiner Staffel vielleicht zu einem Harakiri aufbrach. Der Rennfahrer biss sich auf die Lippen. Er verfluchte Jesse. Im nächsten Moment galt sein stummes Fluchen allerdings sich selbst. Fireball durfte aufgrund seiner Verletzung nicht mit ihnen starten. Hätte Jesse ihn nicht erwischt, dann wäre er jetzt ebenfalls in der Luft und könnte seinem Vater notfalls unter die Arme greifen. Es war furchtbar und an alle dem war er selbst Schuld. Fireball fuhr sich zuerst mit beiden Händen übers Gesicht, ehe er mit der linken nach seiner Wunde tastete. Nun war sie zwar medizinisch korrekt versorgt worden, die Schmerzen waren deswegen dennoch nicht besser geworden. Bevor er das Büro seines Vaters verließ, umrundete der Heißsporn den Tisch des Captains. Ein Foto stand dort. Eines von Ai und seinem Vater. Schmerzlich hauchte er: „Tu es Ai nicht an.“ Kapitel 8: für immer? --------------------- So, hey meine Lieben. Von mir gibt's auch wieder mal was zu lesen. Wieder nicht viel, aber hoffentlich unterhaltsam. ^^ Er hatte ihn lange genug schmoren und leiden lassen. Der Blondschopf entschied sich an diesem Abend dafür, es noch einmal unter vier Augen zu versuchen. Hoffentlich hatte er sich wieder soweit beruhigt, dass nun vernünftig mit ihm zu reden war. Saber hoffte es. Ihre Probleme im Yuma vor zwanzig Jahren wuchsen mit jedem Tag an, irgendwann konnte ihnen das alles über den Kopf wachsen. Sie waren nahe dran, immerhin hatte sich Jesse Blue schon gewaltig gezeigt und in die Geschichte eingemischt und in ziemlich genau einem Monat stand die alles entscheidende große Schlacht im Königreich Jarr an. Ihnen lief die Zeit davon. Und Saber musste alle seine Crewmitglieder auf seiner Seite wissen, wenn sie heil da raus kommen wollten. Saber Rider hatte Colt und April noch einmal angehalten, Ramrod unter keinen Umständen zu verlassen. Der Schotte hatte das miese Gefühl, dass Jesse Blue irgendwo ganz in ihrer Nähe war. Die beiden sollten aufeinander aufpassen, Saber hatte Colt sogar ausdrücklich den Auftrag erteilt, auf April Acht zu geben. Er selbst hatte sich an diesem Abend etwas früher auf den Weg gemacht, als er hätte müssen. Irgendetwas sagte ihm, dass er gut daran tat, vor Feierabend im Oberkommando zu sein. Mit im Gepäck hatte Saber auch einen Regenschirm, kurz bevor er das Schiff verlassen hatte, hatten sich dicke, schwarze Wolken am Himmel gezeigt. Auf dem Weg zum Oberkommando pfiff ihm ein scharfer Wind um die Nase und immer, wenn er in den Himmel empor sah, wurden die Wolken dunkler. Von den Jets, die vor wenigen Stunden gestartet waren, war nichts mehr zu sehen. Saber dachte an eine der vielen Übungen im Oberkommando. Bestimmt war nichts Aufregendes oder Bedrohliches geschehen. Sein Kopf war so voll im Augenblick, ihre Schwierigkeiten zeichneten sich in Form von Falten tief in Sabers Stirn. Jedes Problem eine Falte. Nur leider wurde es vom Nachdenken nicht besser. Saber tat es auch nicht gut, die Füße still zu halten und alles seinen Gang gehen zu lassen, aber wenn sie eingriffen, so wie Fireball es vorgeschlagen hatte, konnte niemand garantieren, in eine sichere Gegenwart zurückzukehren. Es war zum Verzweifeln und war mit dem verletzten Japaner nicht gerade einfacher geworden. Im Büro seines Vaters hatte er sich unwohl gefühlt, allerdings trat er erst nach draußen, als die Alarmsirenen verstummt waren. Gedankenverloren kaute er auf seiner Unterlippe herum und suchte nach einem Weg. Doch er fand keinen. Er konnte seinem Vater nicht helfen. Selbst, wenn er gesund gewesen wäre, hätte er sich in diese Schlacht nicht einmischen dürfen. Und dennoch. Es machte ihn wahnsinnig auf dem Boden bleiben zu müssen, wenn der Frieden in Gefahr war! Er war einfach nicht der Typ, der still dabei zusah, wie die Welt um ihn herum einstürzte. Zuerst war Fireball in den Hangar gegangen. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, stand keine einzige Maschine mehr in der Garage. Zum Glück, denn wäre noch ein einsatzfähiger Jet hier gewesen, der Hitzkopf hätte für nichts garantieren können. Schmerzlich musste er einsehen, dass sein Zug in dieser Schlacht abgefahren war. Nachdem im Hangar gespenstische Stille geherrscht hatte, hatte sich Fireball dazu entschlossen, in den Tower hinauf zu stapfen. Er musste wissen, was los war und ob die Einheit seines Vaters Hilfe brauchen würde. Die Stewards im Tower hatten mit dem Naseweis allerdings keine Freude und so schickten die ihn dann endgültig nachhause. Zumindest hatte er in Erfahrung gebracht, dass die Horde Angreifer zu bewältigen war. Dem Rennfahrer blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Staffel es auch schaffte. Denn eines war klar. Auch, wenn die im Tower nicht gewusst hatten, welche Schiffe es waren, Fireball hatte sie den Outridern zuordnen können. Jesse Blue schien früher als in der Geschichte vorgesehen zum Rundumschlag auszuholen. Missmutig trat Fireball mit dem Kopf bei dem Kampf den Heimweg an. Seine Untersuchungsergebnisse hatte er dem Captain auf dem Schreibtisch liegen lassen. Er betete, dass er noch einmal von diesem Einsatz zurück kam. Aber er hoffte auch, dass ihm dann nicht die nächste Runde mit seinem Vater bevorstand. Sie hatten nicht zu Ende gesprochen. Vieles war für Captain Hikari offen im Raum stehen geblieben. Saber sah verwundert zu Fireball, als er den bemerkte. Sofort grub sich eine tiefe Sorgenfalte quer über seine Stirn ein. Der Pilot wirkte schwer angeschlagen. Saber seufzte. Es wurde wirklich mit jedem Tag schlimmer. Weshalb hatte er Fireball erlaubt, mit seiner Verletzung ins Oberkommando zu gehen? Missmutig verzog der Schotte daraufhin die Mundwinkel nach unten. Ach nein, er hatte ihm ja gar nichts erlaubt. Fireball war einfach am nächsten Tag arbeiten gegangen, noch bevor Saber überhaupt aus dem Bett gefunden hatte. Seit dem Krach war er dem Rennfahrer konsequent aus dem Weg gegangen. An diesem Abend hatte sich der Highlander endlich so weit im Griff, dass er sich zutraute, in Ruhe mit Fireball zu reden. Dem Plan winkte er schon mal hinterher, als er Fireball auf sich zukommen sah. Als der auch noch ohne etwas zu sagen an ihm vorbeigehen wollte, offenbar hatte er ihn noch nicht einmal bemerkt, legte er dem Heißsporn die Hand auf die Schulter: „Was war da drin los?“ Er hatte ihn gar nicht bemerkt. Mit kummervollen Augen blickte er Saber kurz an, ehe er weiter ging, die Hände in den Hosentaschen. Grummelnd gab er an: „Mord und Totschlag.“ „Ah ja. Wie immer.“, auch Saber konnte den Sarkasmus nicht immer unterdrücken. Er hatte das ungute Gefühl, dass das allerdings noch nicht alles gewesen war und wenn er die abwertende Haltung seines Gesprächspartners so betrachtete, fing es ihn wieder zu wurmen an. Da war mehr schief gegangen. Mord und Totschlag waren im Normalfall im Oberkommando Usus. Zumindest bei ihnen war es nichts Ungewöhnliches. Fireball sah darüber allerdings nicht begeistert aus. Deswegen erkundigte er sich noch einmal: „Was war genau los?“ Wieder bekam Saber eine einsilbige, im Vorbeigehen ausgesprochene, Antwort: „Outriderangriff.“ Fireball hatte einfach keine Lust mehr als nötig zu sagen. Ihm war an diesem Nachmittag mehr als einmal alles vergangen. Zu allem Unglück begann er sich nun auch noch reichlich unwohl in seiner Haut zu fühlen. Es lag vielleicht nur an der Aufregung und der Tatsache, dass er den ganzen Tag wieder nicht zur Ruhe gekommen war, aber eigentlich sollte er dank der Schmerzmittel nicht so viel spüren, wie er im Moment wirklich wahrnahm. Saber runzelte die Stirn. Wieder eine Falte mehr. Das war nicht Fireballs Ernst. Der junge Spund hatte das so selbstverständlich ausgesprochen, dass sich Saber sofort fragen musste, ob denen im Oberkommando das auch klar war. Er stutzte und warf noch einen fragenden Blick auf seinen Piloten, der schon einige Schritte vorausgegangen war: „Was? Ist denen im Oberkommando das auch bewusst?“ Fireball lugte über die Schulter zu Saber hinüber. Seit ihrem Krach vor einigen Tagen war ziemliche Eiszeit zwischen ihnen. Es war generell Eiszeit zwischen den Freunden und dem Rennfahrer, da brauchte er sich nichts vorzumachen. Fireball senkte kurz den Blick und gab Saber noch einmal ein Zeichen, er solle ihm doch folgen. Er murmelte: „Die haben keinen blassen Dunst, wer sie angreift.“ „Und woher weißt du es dann?“, Saber verlor während der Unterhaltung immer wieder den Faden. Das konnte zum einen daran liegen, dass er völlig alarmiert war, zum anderen aber ganz bestimmt daran, dass die Informationen von Fireball zusammenhanglos und nach Belieben kamen. Er legte kurz den Kopf in den Nacken. Die dicken Gewitterwolken brachten bald Regen, das war sicher. Der Schotte griff fester um den Schirm und trabte dann genervt Fireball hinterher. Neuerdings ließ der Japaner seine Freunde und andere sehr gerne im Regen stehen. Fireball indes ging weiter. Zwar nicht übertrieben schnell, aber unbeirrbar Richtung Ramrod zurück. Er wollte auf sein Zimmer und sich ausruhen. Als Saber endlich gleich auf mit ihm war, gab er genauere Auskunft: „Wie du siehst, durfte ich nicht mit in die Luft, also hab ich mich anderwärtig nützlich gemacht. Ich war im Tower und hab mir die Signaturen der Angreifer genauer angesehen. Eine Horde Outrider sucht Streit.“ Saber schnaubte: „Na, wenigstens versteht dein Vater was von seinem Job. Dich mitzulassen wäre unverantwortlich gewesen.“, der Krümel hatte eben sogar noch beleidigt über diesen Umstand geklungen. Alles, was Recht war, aber das war einfach zu viel des Guten. Ungehalten brummte Saber: „Das kann man von dir nicht gerade behaupten.“ Es stieß dem Highlander sauer auf, unglaublich sauer sogar. Man hatte deutlich gemerkt, an wessen Befehle sich Fireball hielt und welche Position er inne zu haben glaubte. Saber kam sich seit ihrem dämlichen Disput mitten in der Nacht an Bord völlig überflüssig vor und das wollte schon was heißen. Fireball sägte unaufhaltsam an seinem Captain. Saber hatte lediglich das Glück, dass April und Colt das genauso wenig gut hießen, wie er selbst. Der Schotte wurde den Gedanken einfach nicht los, dass daran nicht zuletzt Jesse Blue und ihre Anwesenheit Schuld war. Immerhin war ihr Verhältnis vor ihrer Landung in dieser Zeit ein sehr enges und freundschaftliches gewesen. Saber hatte bis zum heutigen Tag keine Befehle ausdrücklich erteilen müssen, meistens waren es noch nicht einmal ausgesprochene Anweisungen gewesen. Sie hatten sich blind verstanden und jeder hatte die Meinung des anderen respektiert. Nun schien sich das zumindest bei einem Mitglied ihrer Staffel massiv geändert zu haben. Fireball vergrub den Kopf zwischen den Schultern. Das war eindeutig gewesen. Allerdings wollte er das in aller Öffentlichkeit nicht ausdiskutieren. Ihr Zoff war ohnehin schon schlimm genug für den Japaner. Fireball hatte keine Ahnung, weshalb Saber plötzlich jemand war, der ihm seinen Posten streitig machen wollte. Damals war im Einvernehmen bestimmt worden, dass er das Kommando hatte, still allerdings hatte er sich immer bei Saber Rückendeckung für seine Entscheidungen geholt. Der erfahrene Allrounder und ehemalige britische Geheimdienstagent war immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Der Wuschelkopf murmelte: „Macht’s dir was aus, wenn wir später reden? Zuhause?“ Genervt verdrehte Saber die Augen. War klar gewesen, dass der Rennfahrer seine Ansichten nicht teilte und somit gleich alles abwiegelte, was man in Ruhe und unter vier Augen hätte besprechen können. Aber gerade deshalb war Saber ihm doch entgegen gegangen. Eben weil er es unter vier Augen klären wollte, bevor er die Situation noch einmal vor allen anderen zur Sprache brachte. Saber schüttelte unwillig den Kopf. Nein, Fireball kam ihm nun bestimmt nicht davon. Wer wusste schon, wann sich wieder eine solche Chance bieten würde. Er widersprach seinem Piloten bestimmt aber nicht unhöflich: „Tut mir leid, Fireball. Das kann nicht mehr länger warten. Ich habe schon zu lange damit gewartet. Du drängst dich seit Wochen in eine Position, die du nicht inne hast. Anfangs war ich ja schon begeistert von deinem Engagement und deinem Willen, weiter voran zu kommen, aber naja, mittlerweile überschreitest du deine Kompetenzen meilenweit. Du gibst keine Befehle. Was denkst du, was du in unserem Team bist?“ Er überschritt seine Kompetenzen? Fireball horchte auf. Er drängte sich in eine Position, die er nicht hatte? Was, um Himmels Willen war los? Fireball sah Saber ungläubig an. Der war mit jedem Satz wütender geworden und war zum Schluss hin sogar noch bedrohlich ruhig geworden. Langsam beschlich zumindest Fireball das ungute Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Gut, er fragte sich schon seit Wochen, was mit ihnen allen los war, dauernd hatte er das Gefühl, dass er am Ende auch noch das Problem für sie war. Alle glaubten, er würde sich entgegen seiner Natur verhalten, aber dass plötzlich ihre Verhaltensweisen ganz anders geworden waren, das war ihnen nicht in den Sinn gekommen. Wenn das in ihrem Team so weiter ging, wäre das ein unüberwindbares Problem. Nachdem sich Saber, Colt und auch April einig waren, dass er nicht der Captain war, würde er es akzeptieren müssen. Leise antwortete er deswegen: „Pilot.“ „Na, du weißt es doch. Was ist daran dann so schwer umzusetzen?“, das konnte sich Saber einfach nicht verkneifen. Er giftete Fireball sogar noch einmal zusätzlich an: „Spar dir in Zukunft deine Befehle und vor allem aber spar dir dein Brummen und Murren. Mir ist schon klar, dass es momentan nicht leicht für dich ist, aber verdammt noch mal, das ist kein Grund dauernd aus der Haut zu fahren und solchen Blödsinn anzustellen.“ Hoffentlich war das deutlich genug gewesen. Saber war ein geduldiger Mensch, er hatte lange gewartet, bis er etwas gesagt hatte, aber nun war er deutlich geworden. Blieb nur noch zu hoffen, dass Fireball ihn auch verstanden hatte. Besagter Hitzkopf verzog das Gesicht. Saber hätte in dem Augenblick nicht sagen können, weshalb er das tat, sicher war nur, dass Saber es für unangebracht hielt. Deswegen fuhr er Fireball an: „Das ist noch lange kein Grund so aus der Wäsche zu schauen. Bei deinen Kommentaren in der letzten Zeit dürften Colt, April und ich nur noch mit so einem Gesicht herumlaufen. Benimm dich endlich wieder, wie es sich gehört.“ Fireball gab kommentarlos klein bei. Dieses Mal hielt er es für sinnlos, noch etwas anmerken zu wollen. Überhaupt schien im Augenblick so ziemlich alles sinnlos, was er sagte. Er spürte die ersten Regentropfen auf seiner Nasenspitze. Es tröpfelte zwar nur ganz leicht und vereinzelt, doch kam es ihm so vor, als würden die Tropfen schwer sein. Schweigend ging er neben Saber den Weg zu Ramrod zurück. Immer wieder durchfuhr ihn ein seltsames Gefühl, manchmal glaubte er sogar, es würde alles um ihn herum kurz aufflackern. Saber war unterdessen unbemerkt schneller geworden und hatte Fireball bereits ein gutes Stück hinter sich gelassen. Der Schotte war nach wie vor nicht gut gelaunt, aber zumindest hatte er sich mal ehrlich alles von der Seele geredet, was ihn seit Wochen störte. Das fühlte sich ganz gut an, wie er fast schon beschämt feststellte. Er konnte Colt in der Hinsicht nun besser verstehen. Manchmal auszubrechen tat unverschämt gut. „Saber?“, mit rauer Stimme fragte er seinen Kollegen. Fireball fühlte sich nicht mehr wohl, überhaupt nicht mehr. Irgendwie hatte er das Gefühl, Stück für Stück zu verschwinden, aber das musste er sich einbilden. Bestimmt waren es nur die Schmerzen, die seinen Nerven einen Streich spielten. Er bat den Schotten: „Kannst du…?“ Saber war schon stehengeblieben und zu Fireball herumgefahren, als dieser seinen Namen ausgesprochen hatte und zuerst hatte er patzig sein wollen, doch dann hatte er etwas Seltsames erlebt. Hatte Fireball wirklich einen Augenblick durchsichtig gewirkt? Nach einem kurzen Blinzeln allerdings war der Rennfahrer wieder vollständig. Er musste sich getäuscht haben. Allerdings war der Pilot blass um die Nase. Das brachte die nächsten Sorgenfalten auf Sabers Stirn. Beunruhigt wartete er, bis der Junge wieder mit ihm auf gleicher Höhe war und fragte ihn schließlich: „Was hast du, Fire?“ „Ich weiß auch nicht… Ich fühl mich…“ Kam es Saber nur so vor, oder wurde Fireball mit jedem Atemzug weniger? Die Haut des Rennfahrers wurde immer fahler und blasser. Saber war sich nicht sicher, aber es hatte nichts Gutes zu bedeuten. Weshalb sah ihn der Säbelschwinger so seltsam besorgt an? Fireball konnte sich darauf keinen Reim machen, bis er schließlich auf die Idee kam, dass man ihm seinen Zustand ansah. Aber weshalb starrte Saber dann auf das gesamte Erscheinungsbild und nicht nur ins Gesicht? Skeptisch und enorm besorgt wollte er wissen: „Was ist?“ Saber war sich nun endgültig sicher. Er bildete sich das nicht ein! Fireball löste sich wirklich Stück für Stück vor seinen Augen auf. Um Gottes Willen, ihr Pilot verschwand mit jedem Augenblick, den sie hier standen, ein bisschen mehr. Saber beobachtete, wie Fireball an sich hinab sah, nachdem er keine Antwort vom blonden Highlander bekommen hatte. Als er Fireballs Gesichtsausdruck deuten konnte, beschloss er, ihn zu beruhigen. Aber das war nicht einfach, wenn man selbst panisch war. Saber atmete tief durch und hielt dem jungen Piloten beide Hände hin: „Wir… Wir kriegen das hin, Fireball. Ganz sicher.“ Er bekam ihn nicht zu fassen. Saber hatte einfach durch Fireballs Hand hindurch gegriffen! Was passierte nur gerade? In Sabers Kopf ratterte es bereits wie wild, aber auf die Schnelle fiel ihm absolut keine plausible Erklärung dafür ein. Fireball sehr wohl. Mit Angst hatte er bemerkt, wie Saber seine Hand nicht mehr zu fassen bekam. Für ihn hatte es sich nur wie ein leichter Luftzug auf der Haut angefühlt. Fireball hatte eine schlimme Vorahnung, was seinen weiteren Verbleib und den Verlauf der Geschichte betraf. Er hörte zu existieren auf. Fireball sah Saber geradewegs in die Augen, als er angsterfüllt hauchte: „Ich schätze, Dad kommt von diesem Einsatz nicht wieder.“ Saber wollte widersprechen, wollte Fireball ausreden, dass Captain Hikari bereits jetzt den Tod fand, aber ehrlich gestanden war der Schotte dazu nicht mehr in der Lage. Fireball löste sich vor seinen Augen auf und es gab nichts, absolut nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Ein quälender Gedanke war das. Fireball war bereits nicht mehr greifbar. Bis sie zuhause waren… Saber brach diesen Gedanken ab. Sie schafften es nicht mehr bis nachhause. Fireball war nur noch durchsichtig, ein blasser Schatten. Ehe er noch einmal einen brauchbaren Gedanken fassen konnte, war Fireball verschwunden. Sein Pilot, sein Freund war weg, war niemals geboren worden. Fassungslos starrte Saber dorthin, wo Fireball zuletzt zu sehen gewesen war. Er spürte nicht, wie gewitterartiger Regen über ihn hereinbrach. Einer seiner besten Freunde war verschwunden, vor seinen Augen. Saber war zum ersten Mal in seinem Leben ratlos und überfordert. Er hatte keine Idee, wie es weitergehen sollte, wie er das alles rückgängig machen konnte. Dem Schotten standen Tränen in den Augen, als er nach einer halben Ewigkeit den Kopf senkte und sich auf den Weg Richtung Ramrod machte. Er war im Streit mit Fireball auseinander gegangen. Schlimmer als das jedoch war gewesen, mit ansehen zu müssen, wie er verschwand ohne helfen zu können. Die Angst in Fireballs Augen hatte sich tief in sein Herz gefressen. „Hey!“, grüßte Colt verwundert, als Saber die Rampe hochgelaufen kam. Als der Cowboy auch noch bemerkte, dass Saber alleine wieder gekommen war, schwante ihm nichts Gutes. Er riet einfach mal wieder ins Blaue: „Wo hast du den Welpen gelassen? Sag bloß, er ist dir abgehauen und streunt jetzt irgendwo in der Weltgeschichte rum.“ Colt war sein Unmut über die Situation mittlerweile anzuhören und anzusehen. An den jungen Rennfahrer ließ er kein allzu gutes Haar mehr. Immer mehr hatte sich in letzter Zeit angehäuft, zu viel hatte sich der Kleine herausgenommen und schien es sogar, als könnte nicht einmal mehr Saber ihm ein bisschen Vernunft eindrillen. Das war unerhört und spottete jeder Beschreibung. „Fireball ist verhindert…“, mehr brachte Saber nicht hervor. Seine Stimme hatte angeschlagen und krächzend geklungen, dabei hatte der Schotte noch extra versucht, so wie immer zu klingen. Aber das war eindeutig in die Hose gegangen. In ihm tobte immer noch die Panik. Sie wütete und brachte alles durcheinander, vor allem aber zerstörte sie seine Ruhe und Ausgeglichenheit. Wenn er schon die Nerven verlor, bei dem, was er gesehen hatte, wie sollte es dann Colt und erst recht April damit gehen? Der Schotte hatte panische Angst, Fireball zum letzten Mal überhaupt gesehen zu haben. Denn wenn der Rennfahrer Recht gehabt haben sollte, würde er nie mehr zu ihnen zurück kommen. Er musste so schnell wie möglich auf die Brücke um zumindest das ausschließen zu können. Saber musste sich selbst damit beruhigen, denn er war immer noch aufgewühlt und erschüttert. Colt war da im Augenblick ein Klotz am Bein. Fantastisch! Jetzt fing Saber auch noch mit dem Schwachsinn an. Kaum bei der Rampe rauf auch schon wieder verschwunden! Den Trick hatte Fireball über die letzten Wochen perfektioniert, die letzten paar Tage hatte man ihn noch nicht einmal mehr zu sehen bekommen, geschweige denn bemerkt. Sabers seltsam wortkarge Weise brachte den Cowboy zusätzlich noch auf den Dampfer, dass er und April immer mehr außen vor gelassen wurden. Und das ging schon gleich zwei Mal nicht! Niemand ließ sein halbes Team uninformiert über Geschehnisse. Das konnte der Schotte nicht mit ihm und der Prinzessin machen! Colt entschloss sich dafür, gleich zu handeln, anstatt nachher einfach auszubrechen. Er stieß sich den Hut aus der Stirn und eilte hinter dem schweigsamen Anführer her. Er wollte unwirsch wissen: „Und hat offensichtlich total auf dich abgefärbt, der Krümel. Herrgott, was ist denn jetzt schon wieder los, zum Teufel noch eins?“ Langsam aber sicher hatte Colt die Schnauze gestrichen voll. Bei der nächsten Kleinigkeit quittierte er den Dienst und die feinen Herren konnten ihm den Buckel runter rutschen. Es interessierte ohnehin niemanden mehr, wie sie nachhause kamen. Alle hatten es aufgegeben. Aber Colt freundete sich nicht mit diesem Gedanken an. Er wollte zu seiner Robin zurück, am liebsten noch gestern als heute. Ihm gefiel es in dieser Zeit absolut nicht, obwohl er zugeben musste, dass der Frieden schon was hatte. Aber hier gab es keine Robin, naja, zumindest keine in seinem Alter, und umherziehen durfte er auch nicht. Was sollte er also hier länger als notwendig rumsitzen und Däumchen drehen? Saber wandte sich im Gehen halb zu Colt um. Er musste es ihnen sagen. Colt war es ohnehin schon aufgefallen. Aber was sollte er ihnen sagen? Sabers Schuldgefühle und die Hilflosigkeit krochen wieder in ihm empor. Mit zitternden Lippen befahl er Colt: „Hol bitte April und eine Packung Taschentücher und kommt dann in den Kontrollraum.“ „Wie bitte?“, was war denn das für ein seltsamer Befehl? Der Cowboy kam gerade überhaupt nicht mehr mit. Er sollte April holen, soweit kam er ja noch klar, aber wozu Taschentücher? Wollte der Schotte mit ihnen Origami basteln? Irritiert runzelte er die Stirn. Was war denn beim Säbelschwinger kaputt? Der Schotte kämpfte damit, nicht ungehalten zu werden. Gerade jetzt wollte er sich nicht wiederholen oder schon zu viel ausplaudern. Er fragte sich, ob er es überhaupt schaffte, das Unglaubliche einmal zu erzählen, da war ein zweites Mal sicher nicht drin. Er kämpfte den Unmut hinunter, was dank seiner Gewissensbisse und dem Schock auch hervorragend funktionierte und sah Colt über die Schulter hinweg an. Seine Augen sprachen in diesem Moment Bände und unterstrichen seinen Befehl: „Du hast mich schon verstanden, Colt. Bitte mach es einfach.“ Spätestens jetzt standen bei Colt alle Warnsignale auf Blutrot. Saber war ohne Fireball wieder gekommen, verdammt wortkarg gewesen und jetzt wollte er April dabei haben. Da war etwas passiert, das alle betraf und es schien etwas von der ganz üblen Sorte zu sein. Unsicher und auch unbehaglich murmelte Colt: „Saber?“ „Bitte hol jetzt endlich April. Wir klären das gemeinsam, okay.“, Sabers Stimme versank fast in einer Mischung aus Emotionen, die Colt bisher noch nie beim Schotten hatte ausmachen können. Ganz offenbar versuchte er krampfhaft einen kühlen Kopf zu bewahren und irgendetwas schien ihn daneben auch noch enorm angekratzt zu haben. Saber schluckte hart, als er selbst gemerkt hatte, wie schmerzlich seine Stimme geklungen hatte. Er fügte schließlich noch hinzu, bevor er in den Kontrollraum voraus ging: „Und vergiss die Taschentücher nicht.“ Auch beim zweiten Mal war der Befehl nicht besser geworden, Colt fand ihn immer noch seltsam und besorgniserregend, aber immerhin ging er nun auf die Suche nach April. Wo hatte er ihr blondes Gift zuletzt gesehen? Hatte sie sich nicht kurz aufs Ohr gelegt? Genau! Colt trabte zielstrebig zuerst in die Küche, wo er Sabers Taschentuchbefehl nachkam und von dort aus weiter zu den Quartieren. Einmal mehr fiel dem Kuhhirten dabei auf, dass sich ein Fremder hier leicht verirren konnte, Ramrod hatte für seine Größe eine beachtliche Zahl an Gängen und Korridoren. Vor Aprils Zimmer machte er Halt und klopfte: „Prinzessin? Kommst du mal bitte, der Boss will uns sehen?“ Der Cowboy hoffte, dass er die Taschentücher nicht jetzt schon brauchen würde. April weinte in letzter Zeit viel und oft. Das lag alleine an dem Rennfahrer, der sich viel zu bequem dazu war, mal wieder für die anderen sichtbar nachhause zu kommen. Colt glaubte auch zu wissen, weshalb. Er ging ihnen aus dem Weg, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Ganz bestimmt sogar. Dem kleinen Rotzlöffel sollte man die Benimmregeln noch mal intravenös verabreichen. Zaghaft öffnete sich die Zimmertür und die Blondine steckte vorsichtig den Kopf heraus. Sie wirkte verschlafen, schien aber nicht geweint zu haben. Sie gähnte verhalten und sah zu Colt auf: „Sind die beiden schon wieder da?“ Colt zog die Blondine aus dem Zimmer, nahm sie gleich vorsichtshalber in den Arm und ging mit ihr, unvorbereitet und überrumpelt wie sie nun war, in Richtung Kontrollraum. Er drückte die Blondine freundschaftlich an sich und erwiderte mit einem grimmigen Gesichtsausdruck: „Nein, nur Saber. Weiß der Geier, was die Rennsemmel schon wieder veranstaltet.“ „Irgendwann kommt er überhaupt nicht mehr wieder.“, bei diesen Worten rang April bereits wieder mit den Tränen. Sie hatte Fireball nicht mehr gesehen, seit sie ihn mitten in der Nacht hatte nähen müssen. Seither war er allen an Bord konsequent aus dem Weg gegangen, früh aufgestanden und spät nachhause gekommen. Bekam April ihn auch nicht mehr zu sehen, sie spürte manchmal nachts seine Anwesenheit. Sie glaubte dann sogar, wenn sie aus ihrem leichten Schlaf aufwachte, er wäre bei ihr im Zimmer gewesen und hatte ihren Schlaf beobachtet, als hätte er darauf gehofft, dass sie aufwachte und noch mit ihm sprach. Aber nie war jemand in ihrem Zimmer gestanden, wenn sie das Licht angemacht hatte. Colt wollte den aufkeimenden Kummer sofort im Keim ersticken, wer wusste schon, was im Kontrollraum für Neuigkeiten auf sie warteten. Am Ende hatte Saber den Rennfahrer vielleicht noch um die Ecke gebracht, weil der überhaupt nicht mehr zur Vernunft gekommen war. Naja, auf jeden Fall knuffte er April leicht und versprach jovial: „Ach was, der kommt schon wieder, keine Sorge. Und dann wasch ich ihm den Kopf.“ April schmunzelte leicht auf den Gedanken hin und bat Colt schon wieder fröhlicher: „Dann ertränk ihn bitte gleich.“ Sie machte viel im Augenblick durch, alles nur wegen Fireball, da durfte sich auch April mal makabre und gemeine Sprüche erlauben. Es half ihr, denn immerhin wusste sie, wie wörtlich Colt manche Sprichwörter nahm. Das Thema Kopfwaschen war immerhin kurz vor ihrer Bruchlandung hier schon einmal aktuell gewesen und hatte eine ziemliche Überschwemmung auf Ramrod verursacht. Da war alles noch in Ordnung gewesen. Mehr oder weniger halt, aber zumindest hatte jeder im Team gewusst, wo sein Platz war. Colt hob die rechte Hand und legte sie auf seine Brust. Theatralisch meinte er: „Indianerehrenwort. Und danach mach ich auch wieder sauber. Dieses Mal sogar freiwillig.“ Mit diesen Worten betrat der Cowboy mit April im Arm den Kontrollraum. Saber saß bereits in seiner Satteleinheit und durchforstete hektisch Daten. Den Kuhhirten überkam ein ganz übles Gefühl in der Magengegend, das sah verdammt noch mal ganz und gar nicht gut aus, was Saber da machte. Der Schotte war im Normalfall weder hektisch noch so elendig wortkarg, wie er es im Augenblick war und das machte Colt nervös. Was hatte der Boss bloß zu berichten? Colt räusperte sich gespielt und vermeldete dann: „Private Wilcox und Officer Eagle melden sich zum Rapport, Captain Rider.“ Ohne aufzusehen nickte Saber. Er fand keine Daten über das, was heute Nachmittag geschehen sein musste. Immer noch war nicht klar, ob Captain Hikari bereits gestorben war. Das ließ Sabers Panik nicht gerade weniger werden. Seine Augen blieben auf dem Bildschirm haften, als er kurz neben sich deutete: „Setzt euch. Wir haben Probleme.“ Bei diesen Worten plumpste Colt in seine Satteleinheit und hielt sich den Hut fest: „Lass mich raten, welcher Natur die sind. Ziemlich schlitzäugig und aufsässig, wenn ich mich nicht irre. Und ich irre mich nie, wenn ich mich nicht irre.“ April war neben Saber stehen geblieben und äugte auf dessen Konsolen hinab. Wonach suchte er und was war los? Ihr schwante nichts Gutes bei der ganzen Geschichte. Aber auf der anderen Seite, wie viel Schlimmer konnte es schon noch werden? Für die Blondine war klar, dass sie den Tiefpunkt ihrer unfreiwilligen Reise mittlerweile längst erreicht hatten. Von nun an sollte es doch eigentlich wieder bergauf gehen. Wieder nickte der blonde Highlander. Immer noch nichts gefunden. Das war frustrierend. Warum nur konnte er über diesen Angriff nichts im Archiv von Ramrod finden? Die Geschichte erfand sich doch ständig neu, ihr Archiv müsste sich demnach auch ständig erneuern und ändern, weshalb aber fand er über diesen Angriff nichts? Der Schotte raufte sich die Haare. Er wollte diese Option endlich ausschließen können, er wollte sich nicht den Rest seines Lebens Vorwürfe machen müssen, Fireball verschwinden gesehen zu haben. Nicht so bei der Sache, wie er sonst war, erklärte er den beiden Kollegen: „Das Oberkommando wurde angegriffen. Captain Hikari ist weg und Fireball verschwunden.“ Seine Augen scannten immer noch jeden einzelnen Eintrag des Computers. Noch immer nichts. Er hatte kaum auf seine eigenen Worte geachtet, denn sonst wäre ihm aufgefallen, dass er sich selten unklar ausgedrückt hatte. Ängstlich legte April ihre Hände ineinander, fast so, als faltete sie sie zu einem Gebet. Ihre blauen Augen hafteten an Saber und dessen ausdrucksloser Miene. Schlimme Befürchtungen keimten in ihr auf. Wozu hatte er sich überhaupt hingesetzt? Colt hatte im Null komma nichts wieder aus seiner Sitzgelegenheit gefunden und stand neben April, bereit um sie jederzeit in seine schützenden Arme zu nehmen. Er konnte mit Sabers Angaben rein und absolut nichts anfangen, April offenbar auch nicht, sonst hätte sie entweder schon etwas erwidert, oder zu weinen angefangen. Weder das eine noch das andere hatte sie getan, also stand er nicht alleine auf der berühmt berüchtigten Leitung. Er hakte ungeduldig nach: „Wie? Das Oberkommando wurde angegriffen? Von wem? Outridern? Und was hat das mit den zwei Hikaris auf sich?“ Endlich sah Saber zu den beiden auf. Das fragte Colt jetzt aber nicht im Ernst, oder? „Hab ich…?“, er kratzte sich am Kopf und nachdem er merkte, dass sowohl der Scharfschütze als auch April so fragend und irritiert drein blickten, begann er noch einmal von vorne. Er hatte wohl zu viel auf einmal weggelassen. Nun widmete er seine gesamte Aufmerksamkeit seinen beiden verbliebenen Freunden und den Fragen, die Colt auf ihn torpediert hatte. Die Artikel mussten warten: „Oh… Also, die Sache ist die. Die Outrider haben einen Überraschungsangriff auf das Oberkommando geflogen, zumindest hat Fireball mir das so gesagt. Sein Vater ist mit seiner Staffel hoch um Yuma zu verteidigen.“ Reichlich blass um die Nase unterbrach April ihren Vorgesetzten: „Sag jetzt bitte nicht, dass Fireball da mit hoch ist?“ Bei dem Gedanken daran begannen ihre Augen schon verdächtig zu schimmern. Fireball mochte viel in der letzten Zeit angerichtet haben, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er immer noch ein guter Freund von ihnen war. Es änderte auch nichts an Aprils Gefühlen für den Piloten. Nun hören zu müssen, dass er mit seiner Verletzung auch noch einen Angriff mitflog, würde April den Boden unter den Füßen wegziehen. „Nein, sein Vater hat es ihm verboten.“, gerade noch rechtzeitig, bevor April die erste Träne geweint hatte, hatte Saber ihr die aufkeimende Angst nehmen können. Nur war das ein schwacher Trost, wenn er bedachte, was er den beiden gleich noch antun würde. Traurig blickten seine Augen deswegen zu Colt und April auf. „Ein Glück.“ Zumindest war das für Colt nun sonnenklar. Wenn der Krümel nicht mitgeflogen war, konnte ihm nicht allzu viel fehlen. April sah das alles nicht so, wie Colt. Fireball war nicht an Bord zurück gekommen. Da war noch wesentlich mehr im Busch, als Saber schon erzählt hatte. Warum nur wurde sie das Gefühl nicht los, dass sich gleich der Boden unter ihr auftat und sie in ein tiefes Loch fallen würde? Obwohl sie Angst vor der Antwort hatte, fragte sie mit zitternden Knien: „Wenn er nicht mitgeflogen ist, wieso ist er nicht mit dir zurück an Bord gekommen, Saber?“ Der Schotte biss sich unweigerlich auf die Lippen. Welche Worte waren in einer Lage wie dieser die richtigen? Saber hatte keine Ahnung. Er hatte noch nie Familienmitgliedern mitteilen müssen, dass einer ihrer Kameraden gefallen war. Saber schüttelte den Kopf, das war etwas ganz anderes. Seine Augen wanderten von Colt, der mit allem einverstanden zu sein schien, solange der Rennfahrer nichts ausgefressen hatte, zu April hinüber. Da erkannte Saber, dass nichts, was er sagen würde, ihren Schmerz würde lindern können. Und nichts würde ihm helfen, es schön zu umschreiben. Seine Augen hafteten an April, ehe er leise hervorbrachte: „Er ist weg, Freunde.“ „Wie weg?“, Colt zog eine verdatterte Grimasse, während er den Hut aus der Stirn stupste. Irgendwas hatte Saber da nicht so erzählt, wie er hätte sollen. Das stank doch zum Himmel, stank es doch! Colt stemmte die Arme in die Hüften und bekundete, wie glaubwürdig er die Worte fand: „In Luft kann er sich doch nicht aufgelöst haben.“ „Doch.“ Saber wandte schuldbewusst den Blick von seinen Freunden ab. Colt hatte wieder mal unbeabsichtigt ins Schwarze getroffen. Schuldgefühle nagten an Saber und den anklagenden Blick von Colt brauchte er nicht zu sehen, um ihn zu spüren. Saber konnte die beiden nicht ansehen, denn er kämpfte immer noch mit dem, was er kurz zuvor erlebt hatte. Fireball war vor seinen Augen verschwunden, war Stück für Stück durchscheinender geworden, bis er schließlich gar nicht mehr zu sehen gewesen war. Er hatte nie existiert. Saber schluckte schwer und senkte den Kopf. Hätte er ihn doch nicht so angefahren. Sabers Gedanken geißelten ihn, sie quälten ihn. Und auch, dass er noch nichts hatte finden können, das Fireballs Verschwinden plausibler erklärte, als der Tod seines Vaters, ließ Saber schier verzweifeln. Wie musste es dann erst seinen Freunden gehen? April fiel in das befürchtete Loch. Ihre Lippen bebten, eine dicke Träne nach der anderen kullerte über ihre Wangen. Ihre klaren, blauen Augen spiegelten das Unglück wider, das ihnen gerade widerfahren war. April wusste nicht, wohin mit ihren Händen, wohin mit ihren Gefühlen. Alles brach gerade über sie herein, wie eine Sturmflut und schwemmte sie weg. Es schien sie fortzuspülen und ertränken zu wollen. Ein unglückliches Schluchzen verließ ihren Mund, ehe sie ihr Gesicht in ihren Händen vergrub und hemmungslos zu weinen begann. Dafür also hatte Colt die Taschentücher holen müssen. Sofort war er mit einem zur Stelle, nahm April in den Arm und drückte ihren Kopf an seine Brust. Sie sollte sich ruhig an ihm festhalten und spüren, dass jemand bei ihr war. Der Cowboy musste das erst mal sacken lassen. Er verstand es ganz einfach noch nicht. Wie verschwunden? Ihm war das alles viel zu hoch. Und noch ehe ihm eingefallen wäre, was er Saber fragen könnte, hatte April gewimmert: „Weshalb ist er verschwunden, Saber?“ „Ich weiß es nicht.“, es war selten, dass der Schotte diese Worte gebrauchte. Gerade deswegen verstärkten sie den Ernst der Lage. Wenn Saber nicht mehr weiter wusste, dann konnten sie sich gleich die Kugel geben. Immer wieder blätterte er das Archiv des großen Cowboys durch, in der Hoffnung etwas zu finden, das Fireballs letzte Vermutung zerschlagen oder bestätigen würde. Aber nichts. Die Berichte sprachen immer noch vom Morgen des 27. Juli 2067, an dem Captain Shinji Hikari sein Leben verloren hatte. Aber wenn es das nicht war, weshalb war Fireball dann verschwunden? Gespenstische Stille legte sich wie ein Schleier über den Friedenswächter. Alle drei schwiegen und waren damit beschäftigt, auf ihre Weise damit klar zu kommen. Unheimlich war diese Stille. April bekam immer wieder eine Gänsehaut und dachte, jemand anderes als Colt würde ihre Hand halten versuchen. Aber das musste sie sich einbilden. Niemand außer ihnen war hier und Saber hatte seine Hände ineinander verschränkt. Colt war der einzige, der sie im Arm hielt. „Fireball ist im April geboren, oder?“, durchbrach Saber schließlich die Stille. Fieberhaft hatte er überlegt, was wirklich geschehen sein konnte. Wenn seine Freunde ihm jetzt hoffentlich zur Bestätigung zunickten, wäre das vielleicht des Rätsels Lösung. April wischte sich über die verweinten und nassen Wangen, ehe sie nickte: „Ja. Mitte April.“ Sein Geburtstag war noch nicht lange her und wie jedes Jahr hatten sie auf eine Feier verzichtet. Heuer aus dem einfachen Grund, weil sie zwanzig Jahre vor ihrer Zeit feststeckten und keinem nach Feiern zumute gewesen war. Aber auch so hatte Fireball nie großen Wert darauf gelegt, dass sein Geburtstag gefeiert wurde. Für ihn war das ein Tag wie jeder andere auch. April wünschte sich in diesem Augenblick, er hätte ihn doch mit ihnen gefeiert. Saber begann augenblicklich zu rechnen und nachzuzählen. Konnte das hinkommen? Wieder biss er sich auf die Lippen. Das ging verdammt knapp zur Sache, aber konnte es sein, dass es das war? Etwas unsicher sah er zu April auf, die immer noch mit Colt neben seiner Satteleinheit stand. Sie war eine Frau, vielleicht kannte sie sich auf diesem Gebiet besser aus, als er. Fragend zog er die Augenbrauen hoch, als er ihr erklärte: „Wir haben jetzt Juni. Kann es sein, dass…?“ „…Papa bei Mama Hikari sein sollte und nicht in der Luft?“, unterbrach Colt ihn aufgeregt. Dann hatten sie ja noch eine Chance, wenn es das war, was er gerade dachte. Auch April horchte auf und löste sich leicht aus Colts Umarmung. Man konnte sehen, wie sich ihr trauriges Gesicht für einen Augenblick aufhellte, im nächsten jedoch sofort wieder die selben traurigen Augen hatte. Die Blondine schüttelte den Kopf. Nichts bestätigte ihnen diese Annahme. Ratlos legte Saber den Kopf in seine Hände. Was sollten sie nur machen? Er war am Ende mit seinem Latein. Es war nur eine vage Idee gewesen, dass Jesse diesen Angriff vielleicht so genau getimt hatte, weil er Fireball für immer aus dem Weg haben wollte. Genau das hatte er geschafft, wenn es sein Plan gewesen war. Fireball hatte sich aufgelöst und existierte nicht mehr. Es hatte den hitzköpfigen, aber fröhlichen Rennfahrer niemals gegeben. Der Schotte blinzelte durch seine Finger auf die mittlere Satteleinheit hinüber. Es fehlte was. Es fehlte einer ihrer besten Freunde. Und er hatte nichts dagegen tun können. Saber raufte sich die Haare und stand schließlich auf. Er entschuldigte sich bei seinen Freunden: „Ich muss raus, tut mir leid.“ Mit zunehmend gemischten Gefühlen versuchte Shinji, sich einen geregelten Arbeitstag vorzugaukeln. Nach dem Angriff auf das Kavallary Oberkommando war wieder Ruhe eingekehrt. Aber zu welchem Preis? Und welchen Zweck hatte dieser Angriff? Niemand war verletzt worden, die fremden Störenfriede hatten auf keines der Schiffe geschossen. Shinji fand das äußerst merkwürdig. Als er an diesem Tag ins Oberkommando zurückgekommen war, war der Kurze schon nicht mehr hier gewesen. Kein Wunder. Er hatte ihn nachhause geschickt und es war schon beinahe der nächste Morgen, als Shinji es endlich bis in sein eigenes Büro geschafft hatte. Zuerst da hin, dann dort hin, mit allen Beteiligten eine kurze Lagebesprechung, zu guter letzt war er noch bei Charles im Büro gelandet, der nicht nur sein Freund, sondern auch sein direkter Vorgesetzter war und einen kurzen Bericht erwartet hatte. Als er endlich in seinem Stuhl Platz nahm, holten ihn die Geschehnisse vor dem Angriff wieder ein. Der Arztbericht lag immer noch auf seinem Schreibtisch. Sie hatten ihre Besprechung nicht beendet. Shinji war zum Ende der Unterhaltung noch gleich schlau gewesen, wie am Beginn. Zumindest kam es ihm so vor. Mit einem mulmigen Gefühl nahm er den Bericht zur Hand und begann ihn zu lesen. Am Nachmittag hatte er ihn nur überflogen, hatte gerade mal herauslesen können, dass es sich um eine Stichwunde bei Shinichis Verletzung handelte. Wie schlimm es wirklich war, nun, so weit war er in der Hitze des Gefechts gar nicht gekommen. Shinji stützte den Kopf auf die rechte Hand und durchforstete den Bericht aufmerksam. Zumindest in einem Punkt hatte der Kurze ihn nicht belogen. Die Wunde war bereits medizinisch versorgt gewesen, als er zum Stützpunktarzt kommandiert worden war. Der kleine Frechdachs hatte eine tiefe Schnittwunde unter der linken Rippe, wie durch ein Wunder waren keine inneren Organe verletzt worden. Das erklärte dem Captain zumindest das blasse Gesicht des Kurzen, nicht aber, weshalb er ihn belog. Am liebsten hätte Shinji geschrien, doch über seine Lippen kam lediglich ein bedrücktes Stöhnen. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte. Recht sollte er behalten, der Captain der Air Strike Base 1. Die Basis war in den kommenden Tagen immer noch in Alarmbereitschaft versetzt, doch zum Glück blieben weitere Angriffe aus. Aber auch etwas anderes blieb aus. Shinichi war weder zum Dienst erschienen noch hatte er sich krank gemeldet. Mit nervös zuckenden Augenbrauen schlich der Captain immer wieder durch die Gänge, immer in der Hoffnung, dass ihm jemand mitteilen konnte, wo Shinichi abgeblieben war. Doch nichts. Niemand hatte den Kurzen seit dem Angriff gesehen oder gesprochen. Es schürte die Besorgnis um den jungen Hitzkopf, gleichzeitig jedoch auch den Argwohn. Der Junge verschwand nach einem missglückten Angriff. Es ließ Shinji keine Ruhe. Er konnte sich tagsüber auf nichts richtig konzentrieren, musste die meiste Arbeit seinen Geschwaderführern übertragen und träumte nachts schon schlecht davon. Er musste diesem Geheimnis auf die Schliche kommen. Eine innere Unruhe trieb ihn dazu, fast so, als hätte er nicht mehr viel Zeit dafür. Sie trieb ihn unaufhaltsam an, ließ sich nicht mehr abwimmeln. Eines Morgens hielt Shinji es nicht mehr aus. Sein Kopf schien zu platzen, wenn er die nagenden Gedanken weiterhin ignorierte. Hektisch zog er aus seinem Schreibtisch ein Stück Papier und einen Stift, ehe er niederschrieb, was ihm alles durch den Kopf ging. Irgendwie hing alles an Shinichi. Was wusste er alles über den Kurzen? Shinji schrieb jedes noch so unwichtige Detail auf, das er noch in seinem Gedächtnis hatte. Um auf des Rätsels Lösung zu kommen, bedurfte es des unerfahrenen Piloten. Doch der war nicht mehr da. Der Teufel alleine wusste, wo er hin verschwunden war! Shinji raufte sich die Haare. Das durfte doch nicht wahr sein! Irgendjemand musste doch wissen, wo er sich aufhielt oder zumindest wo er nach ihm suchen musste. Dann überfiel ihn die rettende Idee. Shinichis Freunde! Die vier wohnten zusammen. Nur wo? Was hatte der Kurze ihm erzählt? Shinji strengte sich an, brachte seine grauen Zellen zu Höchstleistungen, bis er endlich eine grobe Richtung hatte. Enthusiastisch, weil er nun endlich sein Unbehagen und seine Angst in eine Bahn lenken konnte, stieß Shinji den Stuhl zurück und stand auf. Den Notizzettel steckte er schnell und unvorsichtig in die Hosentasche. Kurz darauf war der Japaner auch schon aus dem Oberkommando verschwunden, mit dem festen Vorhaben, herauszufinden, wer diesen Angriff geflogen hatte und was sein Neuzugang damit zu tun hatte. Außerhalb der Stadt wohnte er, am Waldrand, das hatte Shinichi ihm erzählt. Es gab außerhalb von Yuma nur einen Wald, der war dafür aber groß angelegt. Da gab es viel Waldrand zu durchforsten. Trotzdem ließ sich Shinji davon nicht entmutigen und er würde den Teufel tun und jemanden dabei um Hilfe bitten. Er wollte niemanden beunruhigen, bevor er nicht wusste, was wirklich los war und womit sie es zu tun hatten. Der Pilot verließ sich auf seinen guten Spürsinn und ließ sich von seiner Intuition leiten. Die hatte ihn schon öfter auf eine heiße Spur geführt und der Japaner war Manns genug, das auch zuzugeben. Sein Weg führte ihn über einen Waldweg, durch dichtbewaldetes Terrain, bis er schließlich nach einer halben Ewigkeit auf einer Lichtung ankam. Augenblicklich erstarrte Shinji in seiner Bewegung. Was war denn das?! Vor ihm auf der Lichtung baute sich ein riesiger, schwarzer Koloss auf. Shinji wusste nicht, womit er es da zu tun hatte, jedenfalls aber sah dieses Ungetüm bedrohlich und gefährlich aus. Hatte es etwas mit dem Angriff zu tun? Er musste es herausfinden. Auf der Stelle! Der Captain holte sein Com-Gerät heraus und funkte seinen Freund an, dem er in dieser Situation uneingeschränkt vertraute: „Ich hab da was Interessantes gefunden. Seh‘ mir das mal aus der Nähe an und meld‘ mich dann wieder.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, schaltete Shinji sein Funkgerät aus, nicht, dass es ihn im falschen Moment verriet. Er atmete tief durch, ehe er in geduckter Haltung über die Lichtung auf dieses Ungetüm zu huschte. Es hatte die Fahrwerke ausgefahren und je näher er kam, desto deutlicher wurde, dass es sich um ein Flugzeug handeln musste. Aber Shinji hatte ein solches noch nie zuvor gesehen. Und ganz offenbar war es auch nicht abgestürzt aus, an dem schwarzen Stahlvogel war noch alles heil. Bedrohlich glänzte das dunkle Metall an der Außenhülle. Immer noch konnte er nicht genau sagen, was es war, aber der Captain war sich sicher, dass es ein Schiff ihrer unbekannten Feinde sein musste, ansonsten würde sich dieses Ungetüm nicht im Wald verstecken. Da knackte etwas hinter ihm. Sofort sprang Shinji hinter die riesigen Reifen in Deckung und drückte sich an den Gummi. Im nächsten Moment zuckte er wieder zusammen. Da konnte doch nur der Alarm losgehen, aber er hatte auf die Schnelle keine bessere Deckung mehr finden können. Wider Erwarten tat sich nichts. Aber gar nichts. Weder tauchte aus dem Schatten des Waldes jemand auf, noch ging der befürchtete Alarm los. Shinji atmete tief durch. Das war gerade noch mal gut gegangen, dennoch blieb er vorerst in seinem Versteck. Er sah am Fahrwerk nach oben. Wie groß war dieser Koloss? Mehr als fünf Meter? Er wunderte sich, dass sie den nie auf den Schirm bekommen hatten, der Radar hätte das doch auffangen müssen! Shinji musste mit den Jungs von der Bodenkontrolle mal ein ernstes Wörtchen wechseln, das hätte sie schon längst den Kopf kosten können, wie er alarmiert festhielt. Das Schiff lag ruhig und friedlich da, fast als wäre es verlassen worden. Doch immer noch wirkte es enorm bedrohlich auf den Captain. Angespannt, durch die letzten Vorkommnisse konnte das nur ein feindliches Kriegsschiff sein. Vorsichtig traute sich Shinji wieder aus seinem Versteck hervor. Er erkundete mit Argusaugen dieses Ungetüm. Wie kam er dort bloß hinein? Er musste es unschädlich machen, bevor es sie angreifen konnte. Nirgendwo ein Eingang zu sehen. Hm, aber es musste doch einen geben! Da öffnete sich mit einem bedrohlichen Zischen etwas über ihm. Shinji sprang ein weiteres Mal in Deckung und konnte mit ansehen, wie sich seine Fahrkarte ins Innere des Schiffes öffnete. Niemand kam heraus und niemand näherte sich dem Schiff, also entschied er sich, sofort die Rampe hinauf zu laufen und seine Erkundungstour drinnen fort zu setzen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Hinter Shinji schloss sich die Rampe plötzlich wieder, erschrocken drehte sich der Captain danach um. Das alles war seltsam, sein Puls raste und ganz sicher war er sich nicht, ob er lebend davon kam. Aber nun war er schon einmal hier und deswegen würde er nach einem Weg suchen, dieses Schiff zu vernichten. Shinji sah sich in diesem Raum um. Sah wie ein Hangar für ihn aus. Ein Jet stand neben einem Robotpferd. Shinji drehte sich um und suchte nach einem Weg, wie er zur Steuerung des Schiffes gelangen konnte, als ihm seine Entdeckung bewusst wurde. Ein Robotpferd?! Er musste sich geirrt haben. Noch einmal warf er einen Blick auf das schwarzweiße Pferd mit der Schweizer Flagge auf der Brust. Nein, echtes Pferd war das bestimmt keines. Es schien aus dem selben Material zu sein, wie dieses Schiff. Der Captain runzelte die Stirn und speicherte die Information erst mal so ab. Damit musste er sich später noch näher befassen, wenn er die Zeit dazu noch hatte. Aufmerksam und immer darauf bedacht, niemandem zu begegnen huschte Shinji durch die Gänge des Kolosses. Vor jeder Tür horchte er angestrengt, ob er etwas hören konnte, bevor er hineinschlich. Nein, das war das Badezimmer gewesen. Das ein Aufenthaltsraum. Shinji fragte sich langsam, ob hier auch gewohnt wurde. Ganz klar war das Schiff für lange Reisen im All ausgelegt, nur die Brücke, die konnte er auf die Schnelle nicht finden. Immer noch schlich der Captain durch die Gänge und kam aus dem Staunen nicht heraus. Hochinteressant war dieses Gebilde, in dem er sich befand. Gleichzeitig aber fragte er sich, wie so etwas entwickelt worden sein konnte. Er kannte niemanden, der diese Technologie kennen konnte. Jarred baute immerhin erst eine eigene Einheit auf, er war noch weit davon entfernt, Schiffe zu bauen, wie dieses. Es musste einfach eines der unbekannten Angreifer sein. Shinji fand sich vor einer großen Glasfront wieder. Ungläubig starrte er in den Raum hinein. Okay, er hatte den Kontrollraum gefunden, aber das half ihm gerade gar nicht. Vier gelbe Module bauten sich vor ihm auf, in einer eigenartigen Anordnung. Unbemerkt war er auf das Schiff gekommen und auch in das Herzstück. Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem lausig, wie er fand. Längst hätte ihn jemand bemerken müssen. Vorausgesetzt, es war jemand an Bord. Vorsichtig ging Shinji in den Raum hinein. Es war überwältigend. So etwas hatte er noch nie gesehen. Um dieses Schiff kampfunfähig zu machen, bedurfte es seiner ganzen Fantasie. Angespannt ging er auf das erste Modul zu, das mit dem Rücken zur Glasfront stand. Shinji lugte hinein. Waren das Navigationsgeräte? Der Bildschirm trug die Handschrift des Oberkommandos, hatten die Fremden bei ihnen abgekupfert? Hatte Shinichi am Ende das Oberkommando infiltriert und ausgehorcht? Shinji stand mit einem beklemmenden Gefühl wieder auf. Er ging zur nächsten Satteleinheit, es war die, die vorne rechts positioniert war. Waffensysteme. Oh mein Gott, die waren hier bis auf die Zähne bewaffnet. Hitzeraketen, Schnellfeuerwaffen und Laser. Dieses Schiff war mit allem ausgerüstet, was tödlich enden konnte. Shinji ging zur nächsten Satteleinheit weiter, vorbei an der großen Fensterscheibe. Er blieb kurz stehen und spähte hinaus. Der Ausblick war überwältigend. Aber das sollte ihn doch gerade überhaupt nicht interessieren! Shinji rief sich zur Ordnung, wer wusste schon, wie lange er wirklich noch unentdeckt blieb. Sein nächstes Ziel war das Modul ganz links. Er beugte sich hinunter. Ganz klar war ihm nicht, wofür die Tastatur und der Bildschirm gut sein sollten, aber auch hier vermutete der Captain eine überlebenswichtige Funktion dahinter. Wieder richtete er sich auf. Konnte das Modul in der Mitte nur einen Zweck erfüllen. Irgendwie musste der schwerfällige Vogel auch in die Luft kommen. Mit Herzklopfen ging Shinji auf die mittlere Satteleinheit zu. Ja, ganz klar. Das war der Platz des Piloten. Er wusste nicht, weshalb, aber diesen Platz wollte er aus der Nähe inspizieren. Shinjis Finger glitten über einen Schubregler. Dieses Schiff musste ordentlich Power unter der Haube haben, sonst wäre es für den Kampfeinsatz nicht gut genug gewesen. Vorsichtig setzte er sich hinein. Der Pilot musste hier viele Kontrollen im Auge behalten und Gespür für dieses riesige Schiff haben. Gebannt und auch nervös besah der Captain diesen Arbeitsplatz. Sein Cockpit im Jet war dagegen leer und karg eingerichtet. Er hätte längst gehen sollen, immerhin hatte er gesehen, was er sehen wollte und dabei gemerkt, dass er keine Ahnung hatte, wie man dieses Schiff ausschalten konnte. Aber Shinji brachte es nicht fertig. Er saß in diesem Modul, sein Fliegerherz schlug höher. Wofür war der rote Knopf in der Mitte der Konsole? Der Pilot zog die Augenbrauen nach oben. Er legte seine Hände um beide Schubregler. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus. Die letzten Tage waren schrecklich gewesen, alle waren mit bedrückten Mienen durch das Schiff gelaufen. April konnte seither kaum eine Nacht durchschlafen. Und Saber schien es ähnlich zu gehen. Aus welchen Gründen auch immer, gab er sich die Schuld an Fireballs Verschwindetrick. April verstand das alles nicht. Aber da war sie nicht die einzige. Die vergangenen Tage hatten sie viel zusammen gesessen und sich beratschlagt. Alle hofften, dass das alles vielleicht nur vorübergehend war, denn immerhin konnten sie sich alle noch an die Frohnatur in Form des Rennfahrers erinnern. April trat in den Kontrollraum, weil sie die neuesten Daten von ihrem Laptop ins System überspielen wollte. Vielleicht hatten sie einen Weg gefunden, um endlich nachhause zu kommen. Die Blondine legte den Laptop neben ihrer Satteleinheit auf den Boden und wollte sich gerade hinein setzen, als sie dachte, sie wäre nicht allein hier. Sofort stand sie wieder auf und sah sich um. Hm, Colt und Saber waren nicht nachgekommen. Sie musste sich getäuscht haben. Trotzdem wandte sie sich der großen Glasfront und den drei vorderen Satteleinheiten zu. Ein dunkelbrauner Haarschopf leuchtete ihr aus der mittleren entgegen. Sie musste sich vertan haben. Ungläubig rieb sie sich die Augen und ihr Herz schlug plötzlich bis zum Hals. April ging auf die Satteleinheit zu. Mit gebrochener Stimme flüsterte sie: „Fire…“ „Bitte?“, erschrocken sprang Shinji aus der Satteleinheit. Er hatte sie gar nicht kommen gehört. Auf alles gefasst, drehte er sich zu seinem ungebetenen Gast herum. Das blonde Mädchen hatte ihn entdeckt. Aber das konnte nicht sein. Sie hatte nicht ihn in der Satteleinheit sitzen sehen, sondern den Kurzen. Fire musste die Kurzform von Fireball sein und so wurde er generell von den Freunden gerufen. Shinji spannte sich. Was zum Teufel war hier los? April blieb das Herz stehen, als sie den Captain aus Fireballs Modul hüpfen sah. Um Gottes Willen, wie hatte er nur hier reinkommen können? Einen kurzen Augenblick hatte sie wirklich gedacht, der Rennfahrer, ihr Fireball wäre wieder zurückgekommen. Doch es war nur sein Vater. Die Blondine hatte keine Zeit um lange zu überlegen. Sie ging in die Grundstellung, jederzeit bereit, um auf einen eventuellen Angriff reagieren zu können. Allerdings stammelte sie überfahren: „Captain? …Wie… Unmöglich…“ Ramrod hätte Alarm schlagen müssen, aber das hatte er nicht! Kein einziger Warnton war auf dem Schiff zu hören gewesen. Und April war sich sicher gewesen, dass sie die Rampe geschlossen hatten. Wie war Fireballs Vater nur hier rein gekommen? Sicher, sie hatten damit gerechnet, dass er zu suchen anfangen würde, aber dass er sie so schnell fand, damit hatte nicht einmal Saber gerechnet. Shinji hatte nicht vor, dem Mädchen etwas zu tun, allerdings war der Argwohn gerade das einzige, an das er noch denken konnte. Irgendetwas war hier im Busch, die Kinder waren nicht das, was sie vorgaben, also musste er auf alles gefasst sein. Schritt für Schritt ging er auf die Blondine zu, dabei hob er die Hände, bereit um sich zu verteidigen, sollte sie ihn angreifen. Wie sehr ihm die Situation widerstrebte, konnte April seiner Stimme entnehmen: „Du hast den Kurzen hier erwartet, nicht wahr?“ „Wo ist er, Captain?“, April fuhr Shinji ungehalten an. Sie wusste nicht, was sie gerade fühlte. Auf der einen Seite war sie erleichtert, immerhin war Fireballs Vater am Leben und damit bestand auch die Hoffnung, dass Fireball noch irgendwo rumgeisterte. Aber der Vater und nicht der Sohn stand hier. April wurde energisch. Hätte sie eigentlich Fireball spüren lassen wollen, wie sehr sie das alles kränkte, sie warf es Shinji an den Kopf. Das lag daran, dass sich Vater und Sohn derart ähnlich waren und April sich sehnlichst den Hitzkopf wieder zurück wünschte. Sie wollte Fireball wieder haben, den frechen Rennfahrer. Sie fuhr ihn wieder an: „Und dann wüsste ich gerne, wie Sie hier reingekommen sind.“ Shinji blieb wie angewurzelt stehen. Sie wollte von ihm wissen, wo der Kurze abgeblieben war? Also, das war ja mal ein starkes Stück. Mit blitzenden, braunen Augen konterte er: „Das sollte doch eher ich dich fragen. Ich hab ihn nachhause geschickt, weil er verletzt zum Dienst erschienen ist.“ Er hatte ihn nachhause geschickt. Hier her. Dem Captain wurde angesichts der blauen Augen langsam klar, dass sein Pilot hier niemals aufgetaucht war. Aber weshalb? Unter all den Zorn und die vielen offenen Fragen mischte sich zu allem Überfluss nun auch noch Sorge. Auch, wenn sein Verstand ihm klipp und klar vorhielt, dass Fireball etwas mit dem Angriff zu tun hatte, sein Bauchgefühl mahnte dem Jungen ein schreckliches Schicksal an. Shinji bemerkte die Wut, vor allem aber auch die Hoffnungslosigkeit, die sich in den blauen Augen der Blondine spiegelten. Nur auf welcher Seite standen sie? Der Captain wusste es nicht. Er konnte es nicht sagen, absolut nicht. Die Navigatorin nahm unterdessen allen Mut zusammen, den sie aufbringen konnte und erstaunlicherweise war das sehr viel, und kam ebenfalls ein paar Schritte auf den Captain zu. Sie forderte Antworten ein: „Noch mal, Captain Hikari. Wie kommen Sie hier her? Was wollen Sie von uns?“ April kam dabei gar nicht auf den Gedanken, vor ihm zurück zu weichen. Viel eher fühlte es sich an, als würde sie mit Fireball einen Streit austragen. Und wie sie sich den Rennfahrer zurechtlegen konnte, das wusste sie. Nein, sie würde nicht klein bei geben und hoffen, dass der Captain dieses Geheimnis für sich behielt. „Was ich von euch will?!“, das schlug dem Fass den Boden aus. Wütend machte er die letzten Schritte auf April zu und packte das Mädchen an den Schultern. Er schüttelte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass er die Ungeduld mit seinem Sohn teilte. Shinji fauchte aufgebracht: „Was wollt ihr hier? Wieso ist Fireball verschwunden und Teufel, wehe du lügst mich an! Verflucht, seid ihr für den Angriff verantwortlich?“ Behände schlug April die Hände des Captains von sich. Sofort schaffte sie eine Distanz, in der sie außer Reichweite für Shinji war. Ihre blauen Augen funkelten und sie schrie: „Nein, wir haben mit dem Angriff nichts zu tun, Captain. Wir sollten gar nicht hier sein.“ Das alles führte zu nichts. Shinji wusste nicht, worauf er vertrauen sollte. Auf seinen Kopf oder auf sein Gefühl? Beides hätte in diesem Augenblick nicht unterschiedlicherer Meinung sein können. Der Kopf, also sein klarer und scharfer Verstand, brüllte ihm zu, dass hier ein falsches Spiel im Gange war und alle in Yuma in Gefahr waren. Gleichzeitig aber wollte ihm sein Gefühl einreden, dass die Freunde rund um Shinichi nichts damit zu tun hatten und das Mädchen die Wahrheit gesagt hatte. Was sollte er nur tun? Sein Puls raste, er war überrascht worden und konnte die Situation gerade sehr schwer einschätzen. Und dann mischten sich zu allem Überfluss auch noch Gefühle dazu. Der Captain der Air Strike Base 1 handelte im Grunde immer rational, aber hier konnte er das nicht mehr. Shinji stand kurz davor, die Nerven zu verlieren. Er hatte Angst vor dem, in das er durch den blutjungen Piloten rein geraten war. Dann sah er sich auch noch mit einem solch gigantischen Schiff konfrontiert und war kaum in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Aber er musste es wissen! Alles andere hätte Shinji nicht akzeptieren können. Deswegen forderte er April noch einmal auf: „Wo solltet ihr dann sein? Was ist hier im Gange? Und wo um alles in der Welt ist der Kurze abgeblieben?“ Es hatte sie zu viel Kraft gekostet. Kraft, die April eigentlich gar nicht mehr hatte. Ihre Augen schimmerten traurig und bevor sie etwas sagte, schlug sie sich die Hände vors Gesicht. Der Blondine hatte es gerade einen Stich versetzt. Weshalb hatte sie auch in die Augen des Captain sehen müssen? Als ob Fireball vor ihr stand. Aber er war es nicht! April schluckte schwer, sie musste stark sein. Denn auf Colt und Saber konnte sie sich gerade nicht verlassen. Wer wusste schon, ob die beiden bald auftauchen würden? April wischte sich über die Augen und tat nun etwas, was sie ganz sicher nicht hätte dürfen. Sie straffte ihre Schultern. Dafür brauchte sie allen Mut, denn einen Sturkopf zu überzeugen, war nicht immer einfach. Sie presste hervor: „Unser Pilot ist verschwunden. Er ist weg, weil sich hier Dinge ereignet haben, die nicht hätten geschehen dürfen. Captain, wir gehören ganz sicher nicht zu den Bösen, aber wir gehören auch nicht hier her. Wir gehören nicht in diese Zeit.“ Diplomatisch war sie gewesen, aber das hieß noch lange nichts. Sie wartete darauf, dass auf dem Gesicht des Captains derselbe Ausdruck erschien, wie auf Fireballs Gesicht, wenn er grade den Faden verloren hatte. April war die erste, die Ai endlich voll und ganz verstehen konnte. Der Sohn war wie der Vater. Das bestätigte ihr auch gleich darauf der Captain, der tatsächlich diesen fragenden und überrumpelten Blick zur Schau stellte. Das war zu viel. Das konnte einfach nicht sein! April konnte nicht mehr. Sie lehnte sich an die Brust des Piloten und schluchzte unglücklich: „Helfen Sie uns bitte, Captain Hikari.“ Automatisch schloss er die Arme um das hilflos weinende Mädchen. Bei allem, was Recht war, aber spätestens jetzt konnte er sich nicht mehr vorstellen, dass die vier Freunde etwas mit dem Angriff zu tun hatten. Verwirrt, weil er Aprils Worte überhaupt nicht einordnen konnte und mit ihrer Information nichts anfangen konnte, blieb er mit großen Augen stehen. Er streichelte Commander Eagles Tochter über den Rücken und wollte sie somit beruhigen. Was auch immer geschehen war, der Argwohn den Freunden gegenüber war zwar berechtigt, in diesem Ausmaß aber inakzeptabel gewesen. Shinji drückte ihren Kopf leicht an seine Brust und flüsterte: „Sch.“ Mehr konnte er im Augenblick nicht tun, weil er nicht einmal wusste, worum es ging. Mittlerweile hatte sein Herz die Oberhand bei seinem inneren Disput gewonnen und den Kopf völlig zum Schweigen gebracht. Seine Hilfe wurde gebraucht. Auch, wenn er auf einem Kriegsschiff stand, das Verhalten der jungen Blondine ließ für ihn nur einen Schluss zu. Er konnte ihnen vertrauen. Weshalb nur hatte Shinichi ihm nicht vertraut? Der Captain war immer noch nicht schlauer geworden, über den Verbleib seines Kurzen hatte er immer noch keinerlei Informationen erhalten und was eigentlich genau los war, wusste er auch immer noch nicht. Das einzige, dessen er sich sicher sein konnte, war das arme Mädchen, das sich hilflos an ihn klammerte und todunglücklich weinte. „Na, klasse einfach! Ihr Hikaris bringt unsere Prinzessin echt gern zum Weinen, bringt ihr sie doch!“, mit diesen Worten zog Colt die Blondine aus den Armen des Captains und warf diesem einen verärgerten Blick zu. Er war mit Saber zusammen in den Kontrollraum gegangen, weil sie etwas gehört hatten. Es hatte nach Streit geklungen und es hatte sich nach April und Fireball angehört. Sie hatten gedacht, ihr Rennfahrer wäre wieder aufgetaucht und April hätte ihm die Leviten gelesen, denn recht viel mehr als gedämpfte Laute waren nicht bis in die Küche gedrungen. Dass nun statt Fireball sein Vater im Kontrollraum stand, war für Colt grad zweitrangig. Der war doch auch bloß ein Hikari, ein grober Klotz, der von ihrer Prinzessin keine Ahnung hatte! Der Cowboy begann sofort damit, April zu trösten. Verdattert hatte Shinji beobachtet, wie ihm das Mädchen aus den Armen gezogen worden war und er einen Blick zugeworfen bekommen hatte, der wohl einen Mann in Colts Alter in Angst und Schrecken versetzt hätte. Allerdings hatte Shinji weniger mit dem Blick als mit den Worten des Lockenkopfs seine Schwierigkeiten. ‚Ihr Hikaris‘? Er war der einzige Spross aus seiner Familie, das wusste Shinji ziemlich sicher. Wenn seine Eltern noch einmal Nachwuchs erwartet hätten, dann wär ihm das mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgefallen. Und er selbst hatte kein Kind. Schon gar keines im Alter dieser drei Jungspunde. Der fragende Blick wurde mit Auftauchen des Cowboys nicht besser, eher noch verwirrter, aber auch besorgter. Wo war er da nur rein geraten? Angespannt wollte er von Colt schließlich wissen: „Wie meinst du das ‚ihr Hikaris‘?“ Colt wollte gerade zu herzhaften Protest ansetzen und dem Captain mal ordentlich den Marsch blasen, weil der aber so gleich gar nichts in den richtigen Trichter bekam, da wurde er von Saber unterbrochen. Der Schotte deutete Colt mit einer Handbewegung den Mund zu halten und es nicht noch schlimmer zu machen. Der Captain war tatsächlich gekommen. Wenige Tage nach Fireballs Verschwinden schon. Saber hatte nicht damit gerechnet, sehr wohl aber damit, dass er sich schlau machen würde. Der Highlander überlegte einige Momente, was er am besten tun konnte. Doch er kam nur zu einem einzigen Schluss, angesichts dieser Lage. Er konnte sich nicht mehr an den Befehl halten, den er allen anderen gegeben hatte. Ihr Pilot, einer ihrer besten Freunde war bereits verschwunden. Wie viel schlimmer konnten sie ihre eigene Zeit noch beeinflussen, als sie es ohnehin schon getan hatten? Saber wandte sich ruhig an Colt und bat ihn: „Kümmere dich bitte um April, Kumpel. Geht raus, ja?“ Während Colt mal ausnahmsweise ohne Widerworte mit April das Weite suchte, kam Shinji überhaupt nicht mehr mit. Er starrte der Blondine hinter her. Er murmelte verwirrt: „April?“ Der Schotte legte Fireballs Vater eine Hand auf die Schulter. Die Reaktionen kamen Saber vertraut vor, weshalb er genau wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Zuerst musste der blonde Highlander für Durchblick sorgen, sonst würde er niemals vernünftig mit dem Captain reden können. Das kannte er von Fireball. Bis man ihm die großen W-Fragen nicht beantwortet hatte, war der meistens so durch den Wind, das alles zu spät war. Das hatte nichts mit Neugier zu tun, nur konnte der Hitzkopf mit halbschwachen Informationen meistens gar nichts anfangen und die Lage richtig einschätzen. Er verließ sich nur ungerne blind auf andere, auch, wenn es seine besten Freunde waren. Saber senkte bei dem Gedanken daran betreten den Kopf. Er führte den Captain einige Schritte durch den Kontrollraum, dabei überlegte er sich die richtigen Worte. Nur, was waren in so einem Fall die richtigen Worte? Saber hatte keine Idee, wo er anfangen sollte, was er genau sagen sollte und was er lieber verschwieg. Unbehaglich stellte der Captain fest, dass er da wohl wirklich in ein Desaster größeren Ausmaßes geschlittert war und das nur, weil er nicht still hatte rumsitzen können und warten, bis der verflixte kleine Pilot wieder auf dem Stützpunkt auftauchte. Eigentlich hatte Shinji gedacht, die Jahre, in denen er vor Unruhe beinahe geplatzt wäre, waren vergangen. Nachdem der Blondschopf ihn mit sich zog, nahm er folgendes an: „Du bist der Boss hier?“ Saber nickte leicht: „Ja, Sir. Ich befehlige Ramrod.“ „Na, dann klär mich mal auf, Junge.“, Shinji verschränkte die Arme vor der Brust und nahm eine abwartende Haltung an. Ganz bestimmt war dieses Schiff hier eine militärische Einrichtung, wer sonst hätte die Mittel und das Knowhow für den Bau eines solchen Ungetüms. Für ihn war es schwer vorstellbar, dass der blonde Junge vor ihm der Captain hier sein sollte. Der Kleine war doch noch grün hinter den Ohren. Sie alle waren noch mehr Kinder als Erwachsene. Wer beging einen solchen Leichtsinn und stellte Jugendliche in seine Dienste? Er wartete mit einem ganzen Fragenkatalog auf, der sich inzwischen angehäuft hatte: „Wo bin ich hier gelandet? Wer seid ihr? Wo gehört ihr dazu? Was war mit dem Angriff vor einigen Tagen und ganz wichtig: Was ist hier los?“ Da waren die wichtigsten Fragen. Kurz, prägnant und undiplomatisch formuliert. Saber war schwer erstaunt, wie ähnlich sich Vater und Sohn im Verhalten waren, obwohl sie einander nie kennen lernen durften. Das war schier unheimlich. Aber Saber hatte im Laufe ihres Aufenthaltes hier gelernt, dass unheimlich und schräg Gegebenheiten waren, die in dieser fremden Welt einfach als gegeben zu akzeptieren waren und einfach die Regeln jeglicher Normalität außer Kraft setzten. Der Schotte bemühte sich, alle Fragen so gut als möglich zu beantworten. Er setzte sich deshalb in seine Satteleinheit und überprüfte eine Ahnung, die ihn just überfallen hatte. Weshalb hatte Ramrod nicht auf Captain Hikari reagiert? Während er das durch den Computer abklären ließ, wandte er sich an den Captain: „Gut. Ich fange am besten ganz vorne an. Wir gehören zum Kavallary Oberkommando, Sir. Wir sind eine Spezialeinheit, allerdings nicht hier, sondern auf Yuma des Jahres 2086. Wir wurden während eines Angriffes irgendwie versehentlich in diese Zeit befördert und haben seither versucht, einen Weg nachhause zu finden und nicht in die Geschehnisse hier einzugreifen.“ „Moment mal!“, Shinji kam zu Saber hinab, er ging in die Hocke und hielt sich mit der rechten Hand an der oberen Verstrebung der Satteleinheit fest. Das war ihm jetzt zu schnell gegangen. Shinji warf Saber einen absolut überforderten Blick zu und rekapitulierte: „2086 sagst du? Also, bitte, das kaufst du dir doch selber nicht ab, Junge. Das ist erst in zwanzig Jahren.“ Er stand wieder auf. Das klang zu unglaublich um tatsächlich wahr zu sein. Aber andererseits. Weshalb sollte der Blondschopf ihn belügen? Shinji versuchte die Fakten zusammenzuzählen. Die seltsame Gewissheit über manche zukünftige Dinge, die Shinichi an den Tag gelegt hatte, der Name der jungen Blondine und nicht zuletzt dieses Schiff, auf dem er sich befand und dessen Technologie unmöglich vom Oberkommando stammen konnte, stießen ihn darauf, dass Saber nicht gelogen hatte. Aber es herrschte doch Frieden! Völlig durcheinander fuhr sich Shinji durch die Haare und kratzte sich anschließend am Kinn. Saber hatte etwas von einem Angriff gesagt. Shinji versuchte, einen kühlen Kopf zu behalten. Aber das war in dieser Situation gerade alles andere als einfach. Immer mehr Punkte kamen auf seine ohnehin schon elendig lange Liste und keiner davon schien sich mit Sabers Worten in Wohlgefallen aufzulösen. Wieder sah er auf den Schotten hinab, atmete tief durch und ging wieder in die Hocke. Das musste in Ruhe besprochen werden, der Junge sah nicht aus, als würde er ihn nun noch dumm sterben lassen. Shinji packte also die gedankliche Liste wieder aus und ackerte sich Punkt für Punkt mit Saber durch. Er bekam alles erklärt, mit einer Seelenruhe und einer Sachlichkeit, die Shinji in Erstaunen versetzte. Jemand in Sabers Alter reagierte normalerweise nicht so reif, wie es der Anführer dieser Einheit tat. Saber gab sich die größte Mühe, dem Captain alle seine Fragen zu beantworten und ihm eine erste Orientierung zu verschaffen. Immer wieder, wenn Saber den Captain ansah, ihm zuhörte und seine Gesten beobachtete, begannen Schuldgefühle an dem Schotten zu nagen. Fireball war verschwunden, ohne dass er ihm hatte helfen können. Und niemand wusste, ob und wann er überhaupt wieder auftauchen würde. Saber gab bereitwillig Auskunft über alles, was der Captain wissen wollte. Als die groben Details geklärt waren und der Captain sich davon überzeugt hatte, dass die vier wirklich friedliche Absichten mit dem – wie hatte Saber den Koloss genannt? – Friedenswächter hatten, war für Saber die Sache abgefrühstückt. Shinji würde ihnen helfen und sie nicht verraten. Er würde verhindern, dass noch größeres Chaos ausbrach. Nur war das dem Captain der Air Strike Base 1 noch nicht genug. Bei Shinichi hatte er das Gefühl gehabt, er müsse dem Kurzen ein Vater sein, bei April lächerlicherweise geglaubt, er würde sie irgendwoher kennen. Er wusste nun, dass die vier lediglich Interesse daran hatten, nachhause zu kommen und die Zeit ihren Verlauf nehmen zu lassen. In Zukunft würde Krieg herrschen, doch Shinji konnte sich das nicht vorstellen. Yuma war ein friedlicher Planet, niemand trachtete einem anderen nach dem Leben. Shinji stand wieder auf und lehnte sich gegen die Satteleinheit des Piloten. Er interessierte sich für die Menschen, die hier gelandet waren und doch nicht hier her gehörten. Er wollte wissen, aus welchen Familien die vier jungen Helden der Zukunft kamen. Ihre Eltern mussten stolz auf die vier sein. Der Pilot verschränkte die Arme ein weiteres Mal vor der Brust und linste auf Saber hinab. Der Junge brach unter der Last des Captains beinahe zusammen, einen solchen Eindruck jedenfalls vermittelte ihm der Highlander. Shinji fragte ruhig: „Wo gehört ihr dazu?“ Saber schloss die Augen und schluckte schwer. Er ahnte bereits, was der Captain von ihm wissen wollte. Allerdings war das eine der wenigen Tatsachen, die Saber ihm lieber verschwiegen hätte. Der Captain würde nur noch ein gutes Monat leben und Colt hatte in einem Gespräch nonchalant fallen lassen, dass unter Druck so oder so nix laufen würde. Ihre Chancen, den Piloten wieder zurück zu bekommen standen so schon nicht übertrieben rosig, dem Captain mitzuteilen, dass er für das Kunststück, mit Ai einen Sohn zu bekommen, weniger als einen Monat Zeit hatte, das würde für gehörigen Druck sorgen. In wenigen Fällen hatte Colt den Nagel jemals so präzise auf den Kopf getroffen, wie in diesem Fall. Der Schotte stahl sich so aus der Misere: „Wie gesagt, Sir. Zum Oberkommando. Colt ist Scharfschütze und für den Maverickfeuerleitstand zuständig. April ist unsere Navigatorin, ich bin für die Steuerung verantwortlich und…“, Saber deutete nach der Reihe auf die entsprechenden Satteleinheiten und stockte bei der letzten. Er musste wieder schlucken, eher er betreten fortfuhr: „Fireball ist… unser Pilot.“ „Das meinte ich nicht, Junge.“, Shinji überlegte nicht lange. Er fiel einfach mal mit der Tür ins Haus, nachdem die eher dezente Frage davor nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hatte. Er hatte da eine ganz üble Vorahnung, konnte sie nicht begründen und deshalb wollte er jeden Zweifel von vornherein ausschließen. Wieder, wie so oft in den vergangen Nächten, hörte er Jesses Stimme über Funk ‚Papa Hikari‘. „Zu wem gehört ihr? Wer sind eure Eltern?“ Das hatte er befürchtet. Saber rieb sich über die Schläfen und senkte den Kopf. Wie diplomatisch konnte er jetzt noch sein? Der Schotte sah an Shinji hinab. Entweder fiel der bei den nächsten Worten tot um oder wusste überhaupt nicht mehr, wie er reagieren sollte. Aber der Sturkopf war einem jedem Hikari eigen, deswegen half es Saber nichts, sich noch einmal heraus schwindeln zu wollen. Er atmete tief durch und begann: „Ich komme aus den schottischen Highlands, wie meine Eltern. Colt hat seine Eltern durch die Outrider verloren. Sie hatten eine Farm in Texas. April ist die Tochter von Commander Charles Eagle, Sir. Und…“ Mit der namentlichen Nennung von Aprils Vater hatte Saber kurzfristig den gewünschten Effekt erzielt. Der Pilot schien einiges zu verstehen und stieß sich deswegen von der Satteleinheit ab. Er ging an die Glasfront und lächelte versonnen: „Sie ist also wirklich die Kleine von Charles und May.“ Deswegen war sie ihm so vertraut vorgekommen. Er hatte die kleine April oft um sich, seit Charles Vater geworden war und mochte die kleine Eagle. Auch Ai war oft mit der Kleinen konfrontiert, weil May ihre beste Freundin war. Shinji sah April zumindest einmal in der Woche, wenn nicht öfter und nun, da er die erwachsene April vor sich gesehen hatte, konnte er mit Fug und Recht behaupten, dass sie sich prächtig entwickelt hatte. Sie hatte nichts von ihrer Aura, die sie schon als kleines Mädchen hatte, eingebüßt. Im Gegenteil. Sie war stärker geworden. Shinji wandte sich wieder an Saber: „Und der Kurze? Wer …war sein Vater, Saber?“ Der Captain war sich nicht sicher, welche Antwort er erhalten würde. Wollte er auf diese Frage überhaupt eine Antwort haben? Spürte er nicht ohnehin, zu wem Shinichi gehörte? Shinji fühlte einen Knoten in der Brust. Jede Sekunde, die Saber ihn länger anschwieg, desto schlimmer wurden das Gefühl und die erdrückende Ungewissheit. ‚Papa Hikari‘. Fireballs Vater war gestorben, hatte den Kurzen alleine mit seiner Mutter in dieser Welt, die sich bald so drastisch ändern würde, zurückgelassen. Es hatte so kommen müssen. Saber war klar gewesen, vom ersten Wort an hatte der Schotte das Ende dieser Unterhaltung vorhergesehen. Aber davon war es nicht leichter geworden. Im Gegenteil. Saber biss sich unbehaglich auf die Lippen, seine Augen baten wortlos um Entschuldigung, bevor er den Kopf senkte und die Augen schloss. Er hatte nicht verhindert, dass der Sohn des Captains sich vor seinen Augen aufgelöst hatte. Nun sollte er ihm auch noch sagen, was er ohnehin bereits in seinem Herzen wusste. Saber wusste, dass er, egal wie er die Frage von Shinji beantwortet hätte, der Captain die Antwort bereits in sich trug. Noch einmal versuchte er auszuweichen, wahrscheinlich mit wenig Erfolg, aber er wollte nicht der Überbringer dieser Nachrichten sein: „Sein… Vater war Captain im Oberkommando. In einer der besten Eliteflugstaffeln.“ Der Japaner fühlte sich plötzlich, als hätte ihn der Blitz getroffen. Alles überschlug sich, seine Gefühle wirbelten durcheinander und hinterließen nichts als blankes Chaos in ihm. Seine Gedanken machten auch keine Ausnahme, auch sie drängten sich wie wild durch sein Bewusstsein, kämpften um die Vorherrschaft dort und hinterließen nichts weiter als Verwirrung. Shinji hatte Sabers nichtssagende Worte deuten können, hatte sofort gewusst, wer damit gemeint war und es zog dem Befehlshaber der Air Strike Base 1 den Boden unter den Füßen weg. Ohnmächtig ruhten seine Augen auf Saber. Er sollte noch etwas sagen, sollte ihm mehr erklären, doch der blonde Highlander schwieg. „Ich…“, er brachte die Worte nicht über seine Lippen. Es gelang Shinji ganz einfach nicht. Er beugte sich ein weiteres Mal zu Saber hinab. Was war hier nur passiert und weshalb sah Saber aus, als würde er mit einer Schuld leben müssen? Der Captain hatte inzwischen alle Mitglieder von Ramrod mehr oder weniger kennen gelernt und hier auch schon gesehen. Nur einen nicht. Er hatte den jungen Piloten und Hitzkopf seit diesem unglückseligen Gespräch in seinem Büro nicht mehr gesehen. Ganz klar wäre der Kurze hier im Kontrollraum irgendwann mal aufgetaucht, wenn er das Tohuwabohu, das sein Vater ausgelöst hatte, mitbekommen hätte. Aber er schien nicht hier zu sein. Das ließ das Magengeschwür, das er wegen Shinichi in den letzten Tagen mit Sicherheit schon bekommen hatte, wieder explosionsartig anwachsen. Heiser krächzte Shinji: „Wo ist er? Wo ist… mein Sohn?“ Saber sank zusammen. In Momenten wie diesen war es die Hölle, der Captain einer Einheit zu sein. Schuldbewusst senkte Saber den Blick noch weiter, seine Schuhspitzen wurden mit einem Mal hochinteressant. Er räusperte sich unglücklich und flüsterte: „Er ist verschwunden, Captain. Fireball hat sich vor meinen Augen aufgelöst, während Sie den Angriff abgewehrt haben.“ Dem Schotten zerriss es das Herz in der Brust, die Schuldgefühle schrien inzwischen schon in jeden Winkel von Sabers Bewusstsein, dass er etwas hätte unternehmen müssen. Nach Möglichkeit schon viel früher. Er seufzte schwer und warf einen kurzen, aber unendlich traurigen Blick auf die Satteleinheit rechts neben seiner. Es war nicht fair von Jesse gewesen, so hinterhältig in die Geschichte einzugreifen. Der Plan hatte letztendlich aber funktioniert und Jesse hatte sich dabei nicht einmal die Finger schmutzig machen müssen. Wie er wohl überhaupt den Zeitpunkt so genau hatte vorhersagen können? Väterlich legte Shinji dem jungen Schotten die Hand auf die Schulter. Der zerbrach an seinen Schuldgefühlen gleich. Lange schwieg der Captain. Er musste die Informationen erst richtig sortieren und bei der verwirrenden und unübersichtlichen Menge konnte das dauern. Erst langsam verstand er, was Sabers Worte wirklich zu bedeuten hatten. Und noch langsamer verstand er, was er die ganze Zeit über gespürt hatte. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und Fireball kam nicht von ungefähr. Es gab einen guten Grund für die Vertrautheit, die Shinji vom ersten Augenblick an gespürt hatte. Fireball war sein Sohn, sein eigen Fleisch und Blut. Er konnte sein Glück kaum fassen, doch es verblasste ohnehin mit jedem neuen Gedanken mehr. Saber hatte gesagt, Fireball hätte sich aufgelöst, während er in dieses Gefecht verwickelt gewesen wäre. Hieß das etwa, dass der Kurze an diesem Abend entstanden war? Hieß es für ihn und Ai, dass sie tatsächlich für die Entbehrungen und den Kummer noch entlohnt wurden? Tränen glitzerten in den haselnussbraunen Augen. Er hatte seine einzige Chance vertan, jemals Vater zu werden. Saber spürte die starke Hand auf seiner Schulter. Sie war eine Wohltat, als hätte sein Vater ihm die Hand aufgelegt. Captain Hikari wäre ein guter Vater geworden. Bei diesem Gedanken biss sich Saber erneut deprimiert auf die Lippen. Es war kein Sohn mehr da, dem Shinji ein Vater sein sollte und selbst wenn, dann würde er nicht mehr lange genug leben, um überhaupt Vater zu werden. Saber sah sich in einem echten Dilemma. Auf der einen Seite hatte er Colts Worte nur allzu deutlich im Gedächtnis, aber andererseits sah er sich dazu verpflichtet, zumindest zu versuchen, Fireball wieder zu ihnen zurückzubringen. Wenn sie nicht irgendetwas taten, würde Jesse siegen und er hätte sowohl das Leben des Vaters beendet als auch das des Sohnes verhindert. Es gab keinen Grund mehr, weshalb sich die Star Sheriffs an diese selbst auserkorene Regel halten sollten, und nichts in der Vergangenheit ändern sollten. Wenn es nur nicht schon zu spät dafür war. Saber schluckte, er nahm allen Mut zusammen und öffnete auf seinem Rechner das Archiv. Er blinzelte zu dem Mann hinauf, der seinem Freund so ähnlich war, dass es Saber bei jedem Anblick schmerzlich an dessen Verschwinden erinnerte: „Ich möchte Ihnen was zeigen, Captain Hikari. Bitte…“ Shinji folgte den Bewegungen des Säbelschwingers zum Bildschirm hinab. Der Captain beugte sich hinunter und las, was Saber ihm auf den Schirm gelegt hatte. Ein Bericht des Oberkommandos. Verfasst von Major Charles Eagle, in etwas mehr als einem Monat. Darin stand geschrieben, was kurz zuvor passiert war, beziehungsweise, was bald passieren würde. Shinji ging mit jedem Satz etwas mehr in die Knie, bis er schließlich fassungslos neben Sabers Satteleinheit kniete und die Augen leer auf den Bildschirm starrten. Schockiert von den Ereignissen, vergaß er alles um sich herum. Ein Großteil seiner Piloten würde ihr Leben bei einem Angriff auf das Königreich Jarr verlieren. Er selbst würde sterben. Im Manöver, das sie Jarred vor einer guten Woche zugesagt hatten. Shinji würde nicht mehr zu seiner Frau zurückkehren. Aber schlimmer als die Tatsache, dass er sterben würde, war das Wann und Wie für den Captain. Langsam sickerte in sein Bewusstsein, dass er – unter normalen Umständen – niemals erfahren hätte, dass er Vater wurde. In Shinjis Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Die Kinder hier kamen aus dem Jahr 2086, keiner von ihnen war älter als 26 und sein Sohn? Er würde, wenn er Saber richtig verstanden hatte, niemals geboren werden, weil jemand ihn davon abgehalten hatte, bei Ai zu sein. Shinji verstand die Welt nicht mehr. Seit mehr als zehn Jahren schon wünschten Ai und er sich ein Kind, bisher hatte sich dieser Wunsch noch nicht erfüllt. Und plötzlich sollte er Vater werden und es niemals erfahren? Welche Ungerechtigkeit war das? „Gibt es…“, Shinji rappelte sich auf. Er durfte nicht zusammen brechen und den jungen Star Sheriffs die letzte Hoffnung nehmen. Der Captain straffte seine Schultern, strich seine Uniform glatt und blickte auf Saber: „Welche Möglichkeiten haben wir, eure Zukunft so zu belassen, wie sie ursprünglich war?“ Saber stand auf. Die väterlichen Augen des Captains machte es ihm nicht leichter. Diese Haltung von Captain Hikari, entschlossen und zu allem bereit, machte Saber beinahe schon Angst. Er kannte sie von Fireball. Er würde alles in Kauf nehmen, wirklich alles. „Nicht allzu viele fürchte ich, Sir.“ Shinji schüttelte den Kopf: „Nenn mich nicht Sir, Junge.“ Die vier waren kein Mitglied des Oberkommandos, naja, zumindest nicht in seiner Zeit. Er mochte die Bande, sah sich deswegen nicht gezwungen, hier auf Respekt zu pochen. Den hatten zumindest Saber und April und auch der Kurze wusste meistens, wie er sich zu benehmen hatte. Und bei Colt, nun ja, dem konnte man seine Klappe nachsehen. Der war nur besorgt. Shinji wandte sich um. Er wusste, was er zu tun hatte. Bevor er von der Kommandozentrale ging, blickte er noch einmal über seine Schulter. Entschlossen gab er Saber zu verstehen: „Mischt euch nicht ein. Es wird alles gut.“ Saber wollte folgen. Das klang absolut nicht gut. Zu entschlossen und zu ausdrücklich hatte die Anweisung geklungen. Er streckte die Hand nach Captain Hikari aus: „Warten Sie, Captain! Was haben Sie vor?“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, gab er grimmig zurück: „Ich werde das tun, was die Geschichte von mir verlangt.“ Kapitel 9: getting back - a new start? -------------------------------------- sodala... von mir gibt's auch wieder ein Kapitel zu lesen. Viel Spaß beim Lesen. ^_^ *Im Jahr 2086* Verschwunden? Einfach weg und nicht mehr auffindbar. Charles starrte auf den letzten Bericht der Staffel, die mit der Suche nach Ramrod beauftragt worden war. Mitten im Gefecht war der Kontakt zu den vier Star Sheriffs abgebrochen, plötzlich kein Signal mehr von ihnen auf den Schirm zu bekommen gewesen. Niemand wusste, was geschehen war, doch der Commander musste das Schlimmste befürchten. Ramrod war von den Outridern zerstört worden. Er wischte sich verstohlen über die Augen. Nicht nur das beste Team im Oberkommando war gestorben, es waren auch seine Tochter und deren Freunde gewesen. Commander Eagle hatte eine ganz besondere Beziehung zu den vieren gehabt, nicht zuletzt, weil er sie als seine Schützlinge eingestuft hatte und immer dafür gesorgt hatte, dass im Rahmen seiner Möglichkeiten den Freunden kein Haar gekrümmt wurde. Nunmehr seit über zwei Monaten gab es kein Lebenszeichen von ihnen. Eagle hatte sie gleich nach Bekanntwerden als vermisst melden lassen. Lange genug hatte er das Unvermeidliche aufgeschoben, hatte dafür gesorgt, dass es weder in der Presse propagiert wurde, noch dass die Angehörigen von Saber, Colt und Fireball darüber informiert wurden. Aber nun, nach dem abschließenden Bericht der Staffel, die wieder nur negative Ergebnisse vorweisen konnte, mussten sie der Wahrheit ins Auge sehen. Und das ausgerechnet in diesem besonderen Jahr. Ausgerechnet so knapp, bevor sich der erste Outriderangriff zum zwanzigsten Mal jährte, verlor die Hoffnung des Neuen Grenzlandes im Kampf für Frieden ihr Leben. Und ausgerechnet der Sohn des Helden, der vor zwanzig Jahren bereits sein Leben für den Frieden geopfert hatte, starb dabei. Charles holten grausame Erinnerungen daran ein. Er hatte noch genau vor Augen, wie er Shinjis Frau damals die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbracht hatte… …Ein Krisenstab war wegen der jüngsten Ereignisse einberufen worden und Charles hatte keinen Augenblick mehr für sich. Stündlich mehrten sich die Berichte aus dem Königreich Jarr, stündlich stiegen die Opferzahlen des Angriffs. Der Major bekam zu den Zahlen immer wieder Namen und damit auch die Gesichter der Toten. Und zu allem Überfluss glaubte König Jarred auch noch, dass das Oberkommando keine Hilfe geschickt hatte. Denn nicht nur die halbe Air Strike Base 1, die im Königreich ein Manöver ausgeführt hatten, sondern auch viele Zivilisten und Soldaten des Königreiches hatten durch diesen Angriff ihr Leben verloren. Charles saß mit anderen ranghohen Offizieren im Büro, ließ Pressemeldungen verfassen und kommandierte immer mehr ihrer Stützpunktseelsorger dazu ab, den Angehörigen die Nachricht über den Tod ihrer geliebten Partner mitzuteilen. Bis die Welt stillzustehen schien. Charles bekam einen weiteren Namen eines Toten auf den Tisch. Dieses Gesicht hatte er jeden Tag auf dem Stützpunkt gesehen. Captain Shinji Hikari. Einer der vielen Seelsorger griff nach der Meldung und wandte sich um: „Ich werde das übernehmen, Major.“ Hektisch nahm Charles dem Pfarrer das Papier wieder aus der Hand: „Nein. Nicht. Ich möchte nicht, dass ein Fremder zu Ai geht.“ Ohnmächtig war er seit der Meldung gewesen, aber dann doch so reaktionsschnell, dass er niemanden zu Ai gehen lassen wollte. Niemand sollte es der Freundin sagen, der ihr nicht vertraut war. Nein, die zierliche Japanerin hatte genug durchmachen müssen in jüngster Zeit. Ihre Ehe hatte unter den gegebenen Umständen gelitten und nun verlor sie ihren Mann. Charles fühlte sich dazu verpflichtet, es Ai so schonend wie möglich beizubringen. Der Major kümmerte sich noch um die restlichen Aufgaben und gab seinen Kollegen noch den ausdrücklichen Auftrag, nichts nach draußen dringen zu lassen. Die meisten Angehörigen dürften ohnehin schon genug aus den Berichten gehört haben. Dann aber rief er seine Frau an und holte sie ab. Sie sollte mit ihm zu Ai gehen und ihm helfen. Doch alles verlief ganz anders als Charles gedacht hatte. Ai öffnete den beiden überrascht die Tür. Nichts hatte sie von den Angriffen mitbekommen und dann stand Shinjis bester Freund vor ihrer Tür. Sie entschuldigte sich bei ihren Freunden: „Shinji ist nicht da, Charles. Er ist doch noch im Königreich Jarr.“ „Ai“, Charles standen die Tränen in den Augen. Er würde seiner Freundin den Verlust ihrer besseren Hälfte beibringen müssen. Der Vater strich Ai behutsam über die Schulter: „Hör mir bitte kurz zu. Es gab einen Angriff auf das Königreich. Die Air Strike Base 1 hat versucht, sie zu verteidigen. …Es tut mir so leid, Ai.“ Er konnte nichts weiter sagen. Charles hatte einen dicken Kloß im Hals sitzen und realisierte erst jetzt, was es wirklich bedeutete. Der Tod hatte Einzug gehalten. Zusammen mit dem Krieg. Er hatte seinen besten Freund verloren und Ai ihren Mann. Der Krieg war in aller Grausamkeit in ihrer schönen Galaxie zu Tage getreten. Ai schob Charles und May sofort aus der Tür. Nein, niemals! Niemals war ihr Shinji gestorben. Die schwarzhaarige Frau sank auf die Knie… Shinji war für immer gegangen, hatte sie mutterseelenalleine hier zurück gelassen. Sie wünschte sich an seine Stelle. Ai verkroch sich die nächsten Tage in der Wohnung, wollte niemanden sehen und sprechen. Sie war für immer von ihrem Seelenverwandten getrennt. Ai verschloss sich vor allem, was auf sie zukam. Ruhig und stoisch ließ sie alles über sich ergehen, schwieg ihre engsten Freunde an und kam über den Verlust nicht hinweg. Erst am Tag von Shinjis Beerdigung erfuhr Ai von dem Wesen in ihrem Bauch. Sie trug die Wiedergeburt ihres Mannes in sich, das spürte Ai von dem Augenblick an, an dem sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Das Schicksal hatte es nicht anders gewollt. Niemals hatte es ihr und Shinji ein Kind geschenkt, doch mit seinem Tod war auch neues Leben entstanden. Charles senkte den Kopf auf die Tischplatte. Dieses Mal würde es keinen Strohhalm für Ai geben, an den sie sich klammern konnte. Ai hatte durch den Outriderkrieg nicht nur ihren Mann verloren, sondern auch ihren Sohn überlebt. So, wie Charles seine Tochter überlebt hatte. Es gab nichts schlimmeres, als seine Kinder sterben zu sehen. So war nicht der Lauf der Zeit, so sollte das nicht sein. Und wieder würde Charles die Aufgabe übernehmen, es Sabers Eltern, Colts Verlobter und Fireballs Mutter mitzuteilen. Doch erst musste er mit dem Verlust seiner geliebten Tochter zurechtkommen. *Im Jahr 2066* Er wollte nur noch nachhause, doch er konnte nicht. Shinji musste vorher noch im Büro vorbei, schließlich hatte er Charles vor seiner ungeheuerlichen Entdeckung eine Nachricht zukommen lassen. Da musste er ihm jetzt auch Bericht erstatten. Der Pilot hasste es, seinem besten Freund ins Gesicht zu lügen und bisher hatte er das auch noch nicht getan, aber er wusste, heute war es soweit. Heute würde er Charles etwas vorlügen müssen. Der Nachmittag war schon fast zum Abend geworden und im Oberkommando war nicht mehr allzu viel los. Der Captain stieß die Tür auf. Bei Charles war bestimmt niemand mehr im Büro, den er im Gespräch stören konnte. Mit einem aufgesetzten Lächeln steckte er den Kopf zur Tür hinein und machte auf sich aufmerksam: „Hey, Charles! Bist schon auf dem Nachhauseweg oder hast noch schnell fünf Minuten?“ Der Major sah von seinem Chaos am Schreibtisch auf. Kein ‚Stör ich?‘ und kein ‚Entschuldigung, Sir.‘, das konnte doch nur Shinji sein. Niemand im ganzen Oberkommando konnte so derart unhöflich sein wie der Japaner. Charles schüttelte nur schmunzelnd den Kopf und winkte ihn zu sich an den Schreibtisch. Was sollte er machen? Shinji war sein bester Freund, die beiden hielten den Laden hier schon gemeinsam am Laufen, seit der Pilot mit seiner Frau nach Yuma gekommen war. Sie waren nicht nur Arbeitskollegen, sondern, wie gesagt, beste Freunde. Sogar ihre Frauen verstanden sich, wofür die beiden Männer dankbar waren. Das ermöglichte ihnen so manch heiteren gemeinsamen Abend. Als Shinji Platz genommen hatte, ließ Charles endlich von seinen Unterlagen ab. Den Papierkram nahm ihm ohnehin keiner ab, wenn er bis morgen liegen blieb, dann war das wohl schade, aber ändern würde das auch nichts. Der dunkelhaarige Major widmete seine gesamte Aufmerksamkeit seinem Freund. Der hatte ihn am frühen Nachmittag angefunkt, ihm gesagt, er hätte etwas Interessantes gefunden und seither war von ihm weder etwas zu hören noch zu sehen gewesen. Charles war gespannt auf die Neuigkeiten, die Shinji bestimmt im Gepäck hatte. Er sah aus, als hätte er wichtige Informationen sammeln können, die ihnen weiterhelfen würden. Charles wartete darauf, dass Shinji ohne Aufforderung zu reden begann, aber da kam nichts. Der Japaner hatte sich einfach nur gesetzt und starrte vor sich hin. Der Blick war leer, und dennoch loderte dort etwas, das Charles häufig in Shinjis Gesicht ablesen konnte. Nur was hatte das alles mit seiner Entdeckung zu tun? Immer noch kam kein Mucks vom Piloten. Da musste Charles nachhelfen: „Also, was hast du heute gefunden?“ „War ein Satz mit X, Charles.“, lächelte Shinji matt und fuhr sich durch die Haare. Dann senkte er den Blick und gab nähere Auskunft: „Das war nix. Aber absolut nichts. Ich dachte, ich würde schlauer wieder kommen, was den Angriff betrifft. Aber naja…“ Da passte das eine gerade nicht zum anderen, wie Eagle gedanklich feststellte. Vorhin war Shinji schon aufgeregt gewesen, er hätte alles darauf verwettet, dass sein bester Freund etwas wirklich Wichtiges entdeckt hatte und nun kam da ein ‚nichts‘? War da etwas schief gelaufen? Wieder musterte der Major seinen Freund von oben bis unten. Da war was faul an der Geschichte, nur konnte Charles das nicht mit hundert prozentiger Sicherheit behaupten. Skeptisch allerdings hakte er nach: „Wirklich nichts? Du hast am Funk vorhin aber geklungen, als hättest du eine entscheidende Entdeckung gemacht.“ „Hab ich das?“, Shinji verzog das Gesicht zu einer fragenden wie überraschten Grimasse. Oh Mann, seinem Freund was vorzugaukeln war nicht unbedingt eine leichte Aufgabe. Der Pilot ertappte sich dabei, wie er vermutlich den selben Gesichtsausdruck zur Schau trug, wie Fireball, wenn er diesen etwas gefragt hatte, was eindeutig in Richtung Wahrheit gegangen war. Sofort kniff er die Augen zusammen. Das war grade nicht das Thema! Der Kurze, sein – so merkwürdig das auch klang – sein Sohn, war gerade nebensächlich. Shinji fischte aus seinem Fundus eine durchaus plausible Erklärung hervor: „Ich bin überspannt, ganz ehrlich. Der letzte Urlaub ist schon ewig her und seit dem Angriff hab ich keinen Augenblick mehr Ruhe.“ Um seinen Worten geschickt Nachdruck zu verleihen, wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn und senkte abgekämpft den Kopf. Schwäche zu zeigen war einem Japaner an und für sich fremd, vor allem Shinji, der sich lieber etwas abgehackt hätte, als Schwäche zuzugeben, aber um ein kleines Ablenkungsmanöver zu inszenieren, kam ihm dieser Grund gerade recht. Das würde Charles vielleicht auch die Situation verdeutlichen und ihn davon abhalten, weiter nach dem Funkspruch zu fragen. Hoffentlich ging seine Taktik auf. Im Lügen war der ältere Hikari nämlich auch nicht grade gesegnet gut. Verständnisvoll nickte Charles daraufhin. Seit dem Angriff hier war die Hölle los, alle rannten wie aufgescheuchte Hühner durch die Gänge, völlig angespannt und nervös. Er lächelte Shinji deswegen an: „Ja, kann ich verstehen. Dein letzter Urlaub war voriges Jahr im August, oder?“ Er nickte ergeben. Shinji hatte nie viel darum gegeben, Urlaub zu machen. Aber nun, da er wusste, was auf ihn zukam, wünschte er sich, er hätte seine Zeit mit Ai intensiver genutzt. Man lebte manchmal wirklich nur noch nebeneinander her, sah es als selbstverständlich an, dass der andere da war. Shinji musste die Augen schließen und hoffen, dass mit dem Licht auch der Gedanke daran wieder verging. Das war es auch nicht. Charles hatte zwar keine Ahnung, woran es lag, aber er merkte deutlich, dass weder die angebliche Entdeckung noch der Stress, dem Shinji in Zeiten wie diesen ohne Zweifel ausgesetzt war, der Grund für dessen betrübtes Gesicht waren. Der Major und der Captain waren nun schon lange genug Freunde, Charles wusste alles von dem verheirateten Paar. Auch das, was die beiden niemanden anvertrauen wollten. Zufällig waren May und er darauf gestoßen, hatten niemals damit gerechnet. Doch sie wussten, wie lange Ai und Shinji schon versuchten, Eltern zu werden, und sie wollten dem Paar helfen. Während May oft und viel mit Ai sprach und versuchte, ihr den Kummer so zu nehmen, beschränkte sich Charles darauf, einmal im Monat einen Tag auf Shinji Acht zu geben. Der Pilot war immer besonders niedergeschlagen, wenn es wieder einmal nicht geklappt hatte. Genau ein solcher Tag schien auch heute zu sein. Nur schlimmer irgendwie. Charles konnte es sich nicht erklären, aber er glaubte, in Shinjis Gesicht auch Verzweiflung lesen zu können. Enttäuschung ja, die war jeden Monat wieder da und es setzte dem Piloten zu, aber so wie an diesem Nachmittag hatte er selten aus der Wäsche geguckt. Charles hakte deshalb den dienstlichen Teil sofort ab und unterhielt sich mit Shinji als Freund: „Sag mal“, begann er einfühlsam: „Ist mit dir und Ai irgendwas?“ „Was soll sein?“, dabei zog Shinji eine Augenbraue nach oben. Beinahe hätte er seine Chance, das Gespräch damit noch plausibler und für Charles nachvollziehbarer zu machen, vertan. Er hätte fast abgewunken und gesagt, es sei alles in bester Ordnung, was für die zwischenmenschlichen Belange zwischen ihm und Ai auch stimmen würde. So aber machte er ein halbverschlossenes Gesicht und ließ seinem Freund ein oder zwei bemitleidenswerte Blicke zukommen, damit dieser Lunte roch und Shinji ihn möglichst weit weg vom eigentlichen Thema bringen konnte. Die traurigen Blicke musste der Captain nicht einmal besonders aufsetzen oder spielen, er brauchte dabei nur an die blonde junge Frau zu denken, die Charles‘ Tochter war und um ihren Freund geweint hatte. Shinji spürte ihre Verzweiflung noch deutlich, wenn er kurz die Augen schloss. Nach diesem Nachmittag war es für den Piloten wahrlich keine Kunst mehr, ein betretenes Gesicht zu machen. Charles deutete den Blick richtig. Es war wieder einmal einer dieser Tage an dem die Welt für Shinji und Ai nicht hätte schwärzer und schlechter sein können. Wieder einmal waren die Hoffnungen des Paares wie Seifenblasen zerplatzt. Der Major empfand tiefes Mitgefühl für die beiden, hegte aber nach all den Jahren langsam Zweifel, ob ihnen dieser Wunsch jemals erfüllt werden würde. Vielleicht sollten sie sich endlich damit abfinden, so der Gedanke des nicht mehr ganz so frisch gebackenen Vaters. Shinji schien mit diesem Schicksal schwer zu hadern, es nicht akzeptieren zu wollen. Charles wusste nicht, wie es ihm in dieser Situation gehen würde, aber er glaubte doch, dass er in dem Fall rational genug sein würde, um sich eine Alternative zu überlegen und vielleicht ein Kind zu adoptieren, wenn man keine eigenen bekommen konnte. In dieser Hinsicht verstand er das Paar eher weniger. Aber er war auch in einer denkbar schlechten Position dafür, verteidigte er sich gedanklich selbst, denn er war Vater einer kleinen Prinzessin. Charles lehnte die Ellbogen auf den Tisch und musterte Shinji noch einmal eingehend. Dieses Mal schien es mehr als sonst zu sein. Irgendwie schien sein Freund darüber noch trauriger zu sein, als sonst. Nur weshalb? Nach dessen halblustiger Gegenfrage, hatte der Vater durchaus das Gefühl, dass es auch etwas mit Ai zu tun hatte. Etwas mit ihrer Beziehung. Der dunkelhaarige, bärtige Mann legte den Kopf schief: „Das frag ich dich ja grade, Shinji. Was ist bei euch beiden los?“ Betrübt gab Shinji an: „Es ist immer das Gleiche, Charles. Jedes Mal wieder. Und langsam wird es unerträglich. Unsere Ehe leidet bereits darunter.“ Naja, dass das nun eindeutig gelogen war, fiel Charles zum Glück nicht auf. In Wahrheit hatten Shinji und Ai eine Bilderbuchehe, nur mit dem kleinen Makel eben, dass sie keine Kinder bekommen konnten. Das Paar stand die schweren Zeiten gemeinsam durch, wurde mit jedem Mal eigentlich stärker. Den einzigen Knick, den diese Ehe jemals sehen würde, war der, der bald auf sie zukommen würde. Nein, Shinji war sich sicher, seine Frau liebte ihn so abgöttisch wie er sie. Niemals hatte er auch nur einen Gedanken an eine andere Frau verschwendet, seit er sich in Ai verguckt hatte. Mit jedem Tag war diese Liebe stärker geworden, jeden Tag reifte sie etwas mehr, auch nach bereits mehr als zehn Jahren Ehe. Seine Ai würde bei ihm bleiben, bis dass der Tod, dem Shinji nicht mehr allzu weit entfernt war, sie schied. Nun reagierte Charles mit völligem Unverständnis. Wenn bereits ihre Ehe darunter litt, weshalb gaben sie diese Hoffnungen nicht endlich auf? Es war extrem schwer für den Major zu begreifen, dass ein unerfüllter Wunsch eine Beziehung wie die von Ai und Shinji schwächen konnte. Natürlich war es schwer, über ein solches Thema als Außenstehender zu urteilen und sich hineinzuversetzen, aber der gesunde Menschenverstand sagte doch eindeutig, dass manche Dinge einfach nicht sein sollten. Für die Hikaris bedeutete das, dass sie vielleicht einfach keine Kinder haben sollten. Eine Laune der Natur. Eine gemeine Laune zwar, wenn man bedachte, wie viele Eltern Kinder bekamen, obwohl sie niemals welche haben wollten und ein Paar wie seine Freunde niemals welche bekommen würden, obwohl sie bestimmt ganz fabelhafte Eltern wurden, aber mehr war es nicht. Charles verzog den Mund leicht nach unten. Was sollte er Shinji nur darauf erwidern? Das Gesprächsthema war außerordentlich heikel und der Captain der Air Strike Base 1 bereits stark angeschlagen deswegen. Ein falsches Wort und der Japaner würde aufstehen und gehen, das wusste Charles. Etliche Male zuvor war ihm das schon passiert. In der Hinsicht war Shinji etwas zu sensibel, aber zumindest, auch das hatte seine Vorteile, ging er schweigend und begann nicht zu schreien. Denn auch das konnte der Japaner. Manchmal fuhr er aus der Haut, meistens dann, wenn viel auf einmal war und wenn man ihn persönlich angriff. Nur was konnte persönlicher sein, als ein Gespräch wie dieses? Charles konnte eigentlich nur das Falsche sagen, wie er sich selbst eingestand. Er war Vater, hatte eine liebreizende Tochter, Shinji nicht. Eigentlich konnte das alles grad nur schief gehen. Charles atmete tief durch und senkte betreten den Blick. Er nahm Anteil am Schicksal seiner Freunde. Und eben weil er ein Freund war, legte er Shinji den folgenden Rat ans Herz: „Shinji, vielleicht hat es einen Grund, weshalb es bei Ai und dir nicht klappen will. Mittlerweile beginnt sogar schon eure Ehe darunter zu leiden. Es ist zu viel Druck für euch. Vielleicht, um eure Beziehung zu retten, solltet ihr beginnen, über Alternativen nachzudenken. Du und Ai, ihr seid beide meine Freunde, und um Gottes Willen, ich möchte wirklich nicht, dass ihr deswegen noch unglücklicher werdet, als ihr schon seid.“ Wie befürchtet, stand Shinji im Anschluss an Charles‘ gut gemeinte Worte auf. Aber entgegen jeglicher Befürchtung polterte er weder los, noch verließ er schnurstracks das Büro. Der Japaner senkte bekümmert den Blick und murmelte: „Vielleicht. Es muss vielleicht Schicksal sein, dass es so kommt, wie es kommt.“ Der Pilot wünschte seinem Freund noch eine gute Nacht und verließ dessen Büro. Mit seinen letzten Worten hatte er sowohl die Familienproblematik als auch seine Zukunft gemeint. Der Captain wollte sich eigentlich nicht damit abfinden, dass er niemals Vater werden würde. Denn nun, da er wusste, dass der Kurze sein eigen Fleisch und Blut war und wusste, dass es diesen Monat eigentlich geklappt hätte, wenn der Angriff nicht dazwischen gekommen wäre, da wollte er nicht glauben, dass sie diese veränderte Zeit so hinnehmen sollten. Charles sah seinem Freund traurig nach. Er wusste nicht, wie schwer ihm die letzten Worte von Shinji später wieder aus dem Kopf gehen würden. Nach dem Tod seines besten Freundes allerdings würde er sie nie wieder vergessen können, noch dazu, wenn er von Ai noch erfahren würde, in welchen Umständen sie sich befand. Es war gut, dass Charles das alles nicht wusste, sonst würde er sich sein restliches Leben schwere Vorwürfe machen, Shinji und die Air Strike Base 1 ins Königreich Jarr zu einem Manöver geschickt zu haben. Shinji verbannte in den nächsten beiden Tagen alles aus dem Oberkommando, was verdächtig wirken konnte. Dazu zählte vor allem die Akte von Shinichi Hikaro, die geradezu bedächtig im Reißwolf verschwand. Der Pilot räumte seinen Schreibtisch gewissenhaft auf, sortierte alles Mögliche aus und verteilte manche Dinge zur Bearbeitung an seine Sekretärin. Shinji wollte nicht, dass jemand nach ihrem Manöver diese Aufgabe übernehmen musste. Den Schreibtisch eines gefallenen Kameraden aufräumen und ausräumen zu müssen, war schwierig. Manche konnten das gar nicht. Deshalb arbeitete Shinji vor. Nichts desto trotz kreisten auch in der Arbeit seine Gedanken um seine Familie, die noch immer keine war. Er musste bald weg, hatte es jeden Abend wieder versucht und noch immer gab es keine positiven Nachrichten zu verzeichnen. Shinjis Hoffnung schwand immer mehr. Bald war es zu spät. An diesem Abend kam er pünktlich nachhause. Er würde am nächsten Morgen aufbrechen, zu einem Manöver, aus dem er nicht wieder heimkommen sollte. Shinji bekümmerte dieser Umstand, weil er Ai niemals alleine lassen wollte. Doch er wusste von Saber, dass es dem Neuen Grenzland fünfzehn wertvolle Jahre schenken würde, die es brauchte, um den Technologienachteil aufzuholen. Shinji tat es für den Frieden. Und deswegen wollte er den letzten Abend und die letzte Nacht mit seiner Frau für immer unvergesslich machen. Er entführte seine Frau an einen ganz besonderen Ort. Nur sie beide und die Sterne über Yuma. Sonst würde niemand bei ihrem Abendessen dabei sein. Mit Champagner, einem Picknickkorb und einer großen, blauen Decke bewaffnet, stieg das Paar aus dem Auto aus. Shinji stellte die Utensilien auf die Wiese und breitete die Decke aus. Er strich sie mit der untergehenden Sonne im Rücken glatt und forderte seine Gefährtin auf, sich zu setzen. Er selbst nahm nach ihr Platz, rutschte zu ihr und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf den Scheitel: „Ich hoffe, dir gefällt es, fernab von Yumacity und dem Lärm. Heute Abend soll es nur dich und mich geben, mein Engel.“ Ai war beeindruckt von dem Aufgebot, das Shinji aufgefahren hatte um ihr den Abschied zu versüßen. Sie war von Anfang an nicht übertrieben glücklich darüber gewesen, dass er zu Jarred flog, und das gleich für mehrere Wochen. Aber es gehörte zur Arbeit eines Captains und er musste beim Team bleiben. Ai akzeptierte es, doch dieses Mal fiel ihr der Abschied besonders schwer. Weshalb, das wusste sie nicht. Wahrscheinlich aber lag es einfach nur daran, dass Shinji sich in letzter Zeit sehr verändert hatte. Es war ihr immer mehr aufgefallen. Seit Shinji die Patenschaft für den neuen Piloten übernommen hatte, war ihr Mann ein anderer geworden. In den letzten Tagen war er zunehmend ruhig geworden, starrte manchmal nachts versonnen aus dem Wohnzimmerfenster. Es war ihr nicht entgangen. Und nun wartete er mit einem solchen Dinner auf. Sie ließ sich in seine Arme sinken, die beiden blickten direkt in die untergehende Sonne, die gerade vom Vollmond abgelöst wurde. Der Abendhimmel färbte sich schon mehr lila bis blau, bald würde es Nacht über Yuma sein. Schweigend genoss sie die Liebkosungen ihres Mannes. Er strich ihr die Haare über die Schulter, streifte dabei wie zufällig mit seinen Fingerspitzen ihre Rundungen. Seine Lippen tasteten sich an ihre. Shinji schmiegte sich an Ai. Sie war nach all den Jahren immer noch die Frau seiner schlaflosen Nächte, er begehrte sie jede Minute seines Lebens. Als der Captain bemerkte, wie angetan Ai von seiner Geste und seiner Überraschung war, ließ er den Korb mit all seinen Leckereien links liegen. Es zählte im Augenblick nur Ai. Zärtlich bat seine Zunge um Einlass und seine Hände hielten ihren Kopf. Diese Frau war das wundervollste, was ihm jemals widerfahren war. Sie stand zu ihm, in jeder erdenklichen Situation. Kein Mann hätte größeres Glück mit seiner Frau haben können. Das war in Shinjis Augen unmöglich. Keiner hatte eine so liebevolle, zärtliche und verständnisvolle Frau. Ai war alles, was er je gebraucht hatte. Von Anfang an. Sie war seine Frau, seine Geliebte, seine beste Freundin und die Erfüllung aller Fantasien. Es war unmöglich, diesen Mann nicht zu lieben. Zumindest für Ai. Sie schlang die Arme um ihren Wuschelkopf und drückte sich an ihn. Gerade, weil er am nächsten Morgen für längere Zeit aufbrechen musste, wollte sie ihn spüren. So intensiv wie nur irgend möglich. Sie öffnete ihren Mund. Ihre Zunge gab sich mit seiner einem zärtlichen, berauschenden Spiel hin. Beide ließen keinen Zweifel an ihren Absichten. Die Umgebung war geradezu wie geschaffen für die Romantik eines unausweichlichen Abschieds. Ai wagte es. Sie setzte sich auf seinen Schoß, fuhr ihm durch die Haare und ging in diesem Kuss vollends auf. Ein frisch verliebtes Pärchen hätte sich nicht anders benommen als die beiden gerade. Ai legte den Kopf auf Shinjis Brust. Gemeinsam sahen sie in den Nachthimmel. Sternenklar und funkelnd war er. Die Japanerin schmiegte sich an ihn, sie liebte seine Wärme. Das würde sie vermissen, solange er bei Jarred war. Shinji hatte einen Arm um seine Frau gelegt, den anderen hinter seinen Kopf. Auch er sah zu den Sternen auf. Sie alle strahlten hell am Firmament und verliehen diesem Abend noch zusätzlich Charme. „Shinji, ich war letzte Woche beim Arzt und…“, die beiden zarten Hände hielten sich an ihrem Mann fest, als ihr Redefluss wieder erstarb. Sie hatte so sehr darauf gehofft, dass es endlich geklappt hatte, doch sie war enttäuscht worden. Ai schluchzte verzweifelt. Sie hatte es ihm nicht sagen wollen, da er mit den Vorbereitungen für das Manöver so viel zu tun gehabt hatte, aber es ihm länger zu verschweigen hätte sie nicht fertig gebracht. Dann wäre sie ganz alleine mit ihrem Kummer geblieben. So tropften ihre heißen Tränen unaufhaltsam auf seine nackte Haut. Er zog sie sofort so nahe wie möglich zu sich. Das wusste er doch. Shinji wusste doch, dass es nicht geklappt hatte! Der Pilot hob ihren Kopf sachte an und wischte ihre Tränen fort. Allerdings schimmerten auch in seinen braunen Augen welche, als er auf seine Frau hinab sah. Sie litt so sehr darunter. Hilflos begann er, sie zu streicheln und mit ihr zu reden. Shinji wollte nicht wahrhaben, dass es nicht funktioniert hatte. Er glaubte aber auch nicht mehr daran, dass es jemals klappen könnte. Ai würde kinderlos zurückbleiben. Shinji verabschiedete sich am nächsten Morgen mit einem Kuss von seiner Frau. Er hauchte ihr ins Ohr: „Vergiss mich nicht, Ai.“ Dann ging er zur Arbeit. Sie mussten an diesem Morgen pünktlich wegkommen, König Jarred freute sich zwar auf den Besuch der Air Strike Base 1, doch sie sollten zur genannten Uhrzeit landen. Der König mochte Unpünktlichkeit nicht. Ein letzter Blick zu seiner Ai. Sein tapferes Mädchen. Sie weinte nicht und winkte sogar mit einem kleinen Lächeln. So würde er seine Frau in Erinnerung behalten. Nachdem sie Shinji nicht mehr sehen konnte, schloss die Japanerin die Wohnungstür. Sie vermisste diesen Chaoten jetzt schon, wie sollte sie es zwei Monate ohne ihn nur aushalten? Ai straffte die Schultern und lenkte sich mit Aufräumen ab. Sonst würde sie früher wahnsinnig werden, als der hübschen Frau lieb war. Ai staubsaugte, wischte die Böden, hütete sich aber davor, die Betten frisch zu überziehen. Nein, so lange wie nur möglich wollte sie den Duft ihres Mannes zumindest im Bett neben sich wahrnehmen, wenn er schon nicht wirklich bei ihr sein konnte. Ganz wohl war ihr an diesem Tag nicht, immer wieder spürte sie ein leichtes Ziehen in ihrem Bauch. Der Ausflug hatte ihr vielleicht nicht gut getan und sie hatte sich erkältet. Aber Ai bereute nichts an dem gestrigen Abend. Er war trotzdem wunderschön und romantisch gewesen. Für einen kurzen Besuch bei der Crew von Ramrod hatte er allerdings noch Zeit. Er wollte sich von den Kindern verabschieden und ging insgeheim auch mit der Hoffnung hin, seinen Sohn dort vielleicht wieder vorzufinden. Shinji wünschte es sich von ganzem Herzen. „Also wirklich. Euer Sicherheitssystem auf dem Schiff hier ist lausig.“, mit einem aufgesetzten Lachen stand Shinji in der Küche. Wie schon bei seinem ersten, zufälligen Besuch war es für den Captain kein Problem gewesen, an Bord zu gelangen. Die Rampe war wieder herunter gekommen und er hatte die Einladung nur annehmen zu brauchen. Nur, so schien es, platzte er mit einem unpassenden Spruch in eine bedrückte Stimmung. Die jungen Helden saßen nur zu dritt am Frühstückstisch. Sabers Miene war verschlossen, von dem blonden Highlander konnte man niemals erkennen, wie er sich fühlte. Er hatte etliche ausgedruckte Berichte neben seiner Kaffeetasse liegen und durchforstete diese, während er immer wieder mal vom schwarzen Getränk einen Schluck nahm. Der Anführer dieser interessanten Truppe war immer ruhig und besonnen. Doch Shinji war sich nicht sicher, in wie weit dieses Bild der Wahrheit entsprach. Etwas sagte ihm, dass es einer Maskerade ähnelte. Der Lockenkopf, der auf den Namen Colt hörte, hatte den Kopf auf seine Hand gestützt und brummte vor sich hin. Der war ganz offenbar ein unglaublicher Morgenmuffel. Er starrte auf seine Tasse, die er mit der anderen Hand von einer Ecke in die andere schob und der Inhalt dabei immer wieder bedächtig ins Schwanken geriet. Der Hut, den er sonst immer getragen hatte, wenn Shinji ihnen begegnet war, lag achtlos neben ihm auf der Bank. Lustlos wirkte der Cowboy. Anschließend musterte er Charles‘ Tochter. April hatte Augenringe unten den Lidern, sie schien nächtelang nicht geschlafen zu haben. Neben ihrer Kaffeetasse lagen ebenfalls lose Blätter, ein Kugelschreiber und ein Taschenrechner daneben. Kein Zweifel, die drei arbeiteten immer noch an einer Lösung für ihr kleines Zeitproblem. Und doch war April an diesem Morgen genauso traurig, wie an dem Tag, an dem Shinji auf Ramrod gelandet war. Sein Blick blieb allerdings an der vierten – noch leeren – Kaffeetasse hängen. War sein Sohn wieder da? Saber sah von seinen Unterlagen auf, als Shinji eingetreten war. Er wünschte dem Captain einen guten Morgen, bot ihm einen Platz an und erklärte ihm dann verhalten: „Unser Sicherheitssystem ist gut, Sir. Es reagiert nur auf fremde Biosignaturen, die nicht verankert sind. Nun, Sie und Fireball, sie haben identische Biosignaturen, deswegen reagiert Ramrod nicht.“ Der Schotte hatte das nach dem ersten Besuch von Captain Hikari schon weitgehend überprüft, denn ein Sicherheitsleck von Ramrod hätte für sie alle große Gefahr bedeutet. Immer und immer wieder hatte er den Check durchlaufen lassen, jedes Mal wieder mit dem Ergebnis, dass Fireballs und Captain Hikaris Biosignatur die gleiche waren. Saber hatte dabei äußerst besonnen geklungen, er wollte sich nicht von Shinji in die Karten schauen lassen. Dem Vater mehr als unbedingt nötig zu erzählen, hielt Saber nicht für angebracht. Er wusste, dass der Captain hier nach dem Rechten sehen wollte, bevor er ins Königreich Jarr aufbrach und wahrscheinlich hoffte er auf gute Nachrichten. Saber zog sich alles zusammen, denn sie hatten keinerlei gute Nachrichten. Er lugte zuerst auf seine Zettelwirtschaft, noch wussten sie nicht, wie sie wieder nachhause kommen sollten, dann glitt sein Blick auf die leere Kaffeetasse. April deckte jeden Morgen für vier Personen, wohl in der Hoffnung, ihr Pilot möge zu ihnen zurückgekommen sein. Nur blieb die Tasse jeden Morgen unbenützt, genauso wie der Teller zu Mittag und der beim Abendessen. Es gab keinen vierten Mann mehr an Bord von Ramrod. Und das tat weh. Noch war alles in Ramrod auf ein viertes Besatzungsmitglied ausgelegt, doch Saber merkte mit jedem Tag ein bisschen mehr, dass sich seine Erinnerung bezüglich Fireball veränderte. Sie wurde dunkler, wie von Nebel verhüllt und ehrlich gestanden hatte Saber ungeheure Angst, sich bald überhaupt nicht mehr an den Hitzkopf zu erinnern. Der Captain nahm Platz, setzte sich auf den Platz, den sonst der junge Pilot in Beschlag nahm. Shinji hielt die Tasse mit beiden Händen umklammert und lugte auf das weiße Porzellan. Sein Sohn war wohl ein starker Kaffeetrinker. Wenn er so in die Runde sah, überall standen kleine Kaffeetassen, er hielt eine große in Händen. Ob Fireball morgens auch nicht ansprechbar war, so wie er? Nie hatte sich Shinji Gedanken darüber gemacht, welche Eigenschaften seinem Kind zuteil werden würden, doch nun fragte er sich dauernd. Das hatte schon angefangen, als er noch nicht gewusst hatte, dass der Kurze sein Junge war. Während er mit ihm in der Staffel geflogen war, hatte er sich manchmal gefragt, ob sein Sohn, wenn er dann einen hätte, irgendwann auch so gut fliegen würde wie der Kurze. Seine Augen wanderten wieder zu Saber: „Ist er… hier?“ Er wollte ihn sehen, bevor er wirklich losmusste, doch irgendwie hatte er auch Angst. Shinji wusste nicht, ob Fireball wieder da war. Und er hatte keinen blassen Schimmer, wie er dem Kurzen gegenüber treten sollte. Mit dem Wissen über seine Zukunft und dass er ihn niemals im Arm halten würde? Shinji glaubte, er würde daran eher zerbrechen, als im Kampf zu sterben. Saber und April stockte der Atem. Während April verbittert darum kämpfte, nicht beim Frühstückstisch schon wieder zu weinen, rang Saber nach den richtigen Worten. Da waren keine. Man konnte dem Captain zwar mit vielen nichtssagenden und schönen Floskeln erklären, dass Fireball eben nicht da war, aber im Endeffekt blieb es eine herbe Enttäuschung. Und zwar für alle. Saber stellte sich gerade die Frage, wie verhalten er reagieren sollte, als ihm jemand mit einer Antwort und einer Reaktion zuvor kam. Ausgerechnet Colt schoss in die Höhe und keifte sich den Frust von der Seele. Er knetete seinen Hut ungestüm an der Krempe, er musste sich einfach irgendwo festhalten, um seine Fäuste nicht auf den Tisch zu hauen. Dass seine geliebte Kopfbedeckung nicht minder darunter zu leiden hatte, als es der Tisch hätte, fiel dem Kuhhirten nicht auf. Zuerst funkelten seine Augen den Captain an, der hatte doch nichts zustande gebracht. Dann aber stachen die blauen Guckerchen zu Saber hinüber: „Deine Nichts-erzählt-ist-schon-zu-viel-gesagt-Taktik ist ja bestens aufgegangen. Super, Saber! Hättest du unserem Kamimiezepiloten nicht einfach klipp und klar sagen können, dass er sich ranhalten soll, wenn da mal ein kleiner Matchbox draus werden soll?“ Aus dem Kamikazepiloten war im Eifer eine Kamimieze geworden und wieder einmal standen dem Captain deswegen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Egal, welche Wortmeldung er von Colt bisher miterlebt hatte, bei jeder war er sich sicher, dass er die Sprache des Vollbluttexaners nicht beherrschte. Klar war Shinji im Augenblick nur, dass Colt stinksauer auf die Informationspolitik des Highlanders war und demnach ganz offenbar immer noch kein Fireball wieder an Bord war. Der Japaner senkte bekümmert den Kopf und stand wieder auf. Er verneigte sich tief vor den zukünftigen Freunden seines niemals entstandenen Sohnes und entschuldigte sich. Im Hinausgehen warf er April noch einen traurigen Blick zu. Kein Zweifel, seit er das Mädchen kennengelernt hatte und er mit dem Kurzen über nächtliche Verweise auf die Couch gesprochen hatte, glaubte er zu wissen, dass sie, die Tochter von Commander Eagle, diejenige war, für die Fireball seine Mauern einreißen würde. Aber das würde ja niemals passieren, denn Rennfahrer war keiner da. Saber sparte sich Maßregelungen und Zurechtweisungen, das hätte bei Colt die Wirkung von genau gar nichts im Augenblick gehabt. Aber er warf ein Auge auf den Captain. Als dieser gehen wollte, sprang auch Saber von seinem Platz hoch: „Warten Sie noch einen Moment, Captain. Ich möchte mich noch kurz mit Ihnen unterhalten.“ Während sich der Schotte aus seinem Platz ganz hinten herausschälte und an Colt vorbeidrängelte, neigte er den Kopf leicht zu ihrer Blondine hinüber. Saber wollte, dass sich der Cowboy in der Zwischenzeit gut um sie kümmerte. Er begleitete den Captain zur Rampe. Am Fuße der Rampe fuhr sich Saber verschämt über die Augen. Es machte ihm enorm zu schaffen, was seit ihrer Ankunft hier alles geschehen war. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil am Ausgang der Geschichte fühlte sich Saber direkt verantwortlich. Er sah zu Captain Hikari hinüber, der im Begriff war, zum Oberkommando aufzubrechen. Der erfahrende Pilot erinnerte Saber am stärksten an Fireball. Der kleine Rennfahrer, der bis vor kurzem noch auf Ramrod ein- und ausgegangen war, sah dem Captain wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Sogar ihr Gemüt und ihre Bewegungen ähnelten sich stark. Saber biss sich auf die Lippen. Immer wieder sagte er sich im Gedanken, dass das alles nicht stimmte. Ihm würden diese Ähnlichkeiten nur deswegen auffallen, weil er sich das so einbildete und er die beiden Hikari miteinander nicht objektiv genug verglich. Endlich fand er seine Sprache wieder: „Colt hatte Recht. Ich habe Ihnen vielleicht nicht genug gesagt. Das möchte ich bitte noch nachholen.“ Shinji horchte unweigerlich auf. Ja, er musste los, aber die paar Minuten hatte er immer noch, um mit Saber zu Ende zu sprechen. Ungeduldig und neugierig hörte er sich an, was der noch junge Captain dieser besonderen Einheit zu erzählen hatte. Der Schotte indes handelte entgegen seiner Natur. Aber er hielt es für angebracht. Ihre Zukunft hatte sich bereits maßgeblich verändert, sonst wäre Fireball immer noch bei ihnen. Egal, wie er nun noch eingreifen würde, recht viel drastischer konnte sich nichts mehr in ihrer Zeit ändern. Saber war sich dessen völlig bewusst und er tat es mit einer Ruhe, von der er selbst nicht gedacht hatte, diese aufzubringen. Der Schotte erzählte Shinji von den Outridern, gab Auskunft darüber, wie sie in ihre Dimension gekommen waren und weshalb sie ausgerechnet im Königreich Jarr angreifen würden. Saber erzählte ihm von seinem Sohn. Er hoffte, dass seine Erinnerung dadurch lebendiger blieb. Aber tatsächlich wusste Saber viele Dinge nur noch verschwommen, so als waren sie ein Traum und gar nicht wirklich passiert. Er konnte schon nicht mehr genau sagen, wie Fireball zu seinem Spitznamen gekommen war oder wie er Pilot von Ramrod geworden war. Aber Saber konnte viel über den Charakter des ehemaligen Rennfahrers Preis geben. Der Captain fühlte, wie ihm immer elender zumute wurde. Nicht nur wegen der Outrider und der Tatsache, dass er bald sterben würde, viel eher deswegen, weil er gerne mehr Zeit mit dem Kurzen, seinem Jungen, verbracht hätte. Er würde dem Kind nie ein Vater sein, vorausgesetzt, er würde vielleicht irgendwann noch entstehen. Zum Abschied umarmte Shinji den blonden Highlander noch kurz aber herzlich. Er sprach ihn von seinem Kummer und den offensichtlichen Gewissensbissen los. Aufmunternd klopfte er dem Schotten auf den Rücken: „Ihr habt euer bestes getan, Saber. Und dafür bin ich euch sehr dankbar. Das Neue Grenzland wird es auch sein. Ich hoffe, ihr findet einen Weg nachhause.“ Als er Saber los ließ und einen letzten Blick auf die offene Rampe warf, erblickte Shinji den Hauch eines Rennfahrers. Im nächsten Augenblick war diese Ahnung auch schon wieder verschwunden. Nachdem Shinji geblinzelt hatte, war dort an der Rampe nichts mehr. Er musste sich getäuscht haben. Sein Sohn war nicht wieder hier. Sein Verstand spielte ihm einen Streich, weil er sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als Fireball noch einmal zu sehen. Mit hängendem Kopf drehte sich Shinji schließlich von Ramrod weg und verließ die Lichtung, auf der das große Schlachtschiff noch immer versteckt war. Wolkenlos strahlte der Tag vom Himmel und ließ eigentlich auf einen wunderschönen Tag hoffen, doch Shinji wusste es besser. Er hatte seine Frau an diesem Morgen zum letzten Mal in seinem Leben gesehen, er würde sie alleine hier zurücklassen. Und im Oberkommando würde er Charles über den Weg laufen, vielleicht hatte er May und April bei sich. Dann würde er auch diese Freunde zum letzten Mal begrüßen und ihnen einen schönen Tag wünschen. Dieser Tag mochte mit einem wunderbaren Frühsommertag locken, doch das konnte den Abschiedsschmerz nicht lindern. In der Küche war Colt zu April aufgerückt und hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt. Traurig sah sie aus, ihre Prinzessin. Auf der einen Seite konnte es der Lockenkopf gut verstehen, denn auch er wollte Fireball wieder bei ihnen wissen, doch noch immer war von ihm keine Spur. Auf der anderen allerdings konnte es Colt auch wieder nicht verstehen, immerhin war zwischen April und Fireball in den letzten Wochen einiges schief gegangen. Er wusste zwar nicht was, aber das war im Augenblick auch nicht wichtig. Ihr vierter Mann war nicht mehr da, hatte niemals existiert und der Schmerz überwog eindeutig. Colt seufzte leise und strich April die Haare hinter die Schultern. Er wusste mittlerweile nicht mehr, was er ihr nur sagen könnte. Nichts würde Fireball zurückbringen, wirklich nichts. Der Cowboy machte eine sorgenvolle Miene, konnte er sich doch kaum noch an den asiatischen Wirbelwind erinnern. Noch einmal versuchte er, der Blondine Mut und Hoffnung zu machen: „Ach, Prinzessin. Es wird alles gut. Du wirst schon sehen.“ Die Blondine starrte mit leerem Blick auf ihre eigene Kaffeetasse. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte, dass sie noch die meiste Erinnerung an Fireball hatte. Es musste fast so sein, denn ihr Herz war seinetwegen in tausende, kleiner Stücke gesplittert und tat ihr höllisch weh. Sie vermisste Fireball und mit jedem Tag schwand die Hoffnung, ihn jemals wieder zu sehen. An diesem Tag starb ihre Hoffnung. „Er kommt nicht wieder zu uns zurück.“, gebrochen und todunglücklich hatte sie dabei geklungen. Wie zum Beweis wand sich die blonde Navigatorin aus Colts Umarmung und stand auf. Sie nahm das ungebrauchte Frühstücksgeschirr des vierten Teammitglieds und räumte es an die entsprechenden Plätze zurück. Jemand anderes würde Fireballs Platz einnehmen, sobald sie endlich wieder zuhause waren. Als April die Tür des Küchenschranks schloss, und damit den Blick auf Fireballs große Kaffeetasse verwehrte, stahl sich eine einzelne Träne über ihre Wange davon. Für April fühlte sich das an, wie ein Abschied für immer. Sie hatte ihn verloren. Mit reichlich Unbehagen hatte Colt dieses seltsam anmutende Schauspiel verfolgt. Und dann noch Aprils Worte. Sie gab auf! Der Cowboy fand sofort von seinem Platz hoch und kam auf die Blondine zu. Er packte April bei den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. Fireball war erst verloren, wenn sie ihn aufgaben. Und das durften sie nicht. Er fixierte das glanzlose Augenpaar und meinte mit dem Brustton der Überzeugung: „Wir kriegen unseren kleinen Überflieger wieder. Ganz bestimmt, April. Er wird zu uns zurückkommen, der verdammte Sturschädel.“ Wortlos schlang April die Arme um Colt und legte den Kopf an seine Brust. Sie wusste nicht, woher Colt diese Kraft nahm, sie hatte jedenfalls keine mehr. Es war für sie so schwer wie noch nie. Ihre Gefühle für den Rennfahrer, der Streit, den sie mit ihm noch kurz vor seinem Verschwinden hatte und dann noch die unsägliche Tatsache, dass sie sich nicht von ihm hatte verabschieden können. All das nagte an der Blondine wie saurer Regen an Eisen. Nicht mehr lange, und sie würde deswegen zerbröseln. Nachdem Fireballs Vater ebenfalls keine guten Nachrichten mitgebracht hatte, blieb April nur noch die Hoffnung, dass mit der Erinnerung an den Piloten auch der Schmerz stillschweigend verschwand und sie sich nicht ihr ganzes Leben lang fühlen würde, als fehle ein entscheidender Teil in ihrem Leben. Saber hatte dem Captain noch nachgesehen, bis dieser im Dickicht des Waldes verschwunden war, dann war er die Rampe hinauf getrottet. Und nun stand er im Gang, ganz unschlüssig. Saber war selten in seinem Leben ratlos gewesen und er musste sich eingestehen, dass er diesen Zustand auch lieber nicht kennen gelernt hätte. Aber nun war es so. Der Schotte hatte nicht das Bedürfnis, dieses trübsinnige Frühstück mit seinen Freunden fort zu setzen. Auch sie litten unter der Situation, wie sie im Augenblick war und manchmal glaubte er, in Aprils Blicken einen stummen Vorwurf zu sehen. Letztlich entschied sich der rat- aber auch rastlose Highlander, in den Kontrollraum zu gehen und nachzudenken. Flüchtig war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, das Leben von Captain Hikari zu retten und somit der Familie eine zweite Chance zu geben. Er hatte dabei Colts Worte in den Ohren gehabt, dass sich manche Dinge durchaus auch zum Guten verändern konnten. Sicher war er sich jedoch nicht. Das Eingreifen in diese Familiengeschichte hätte weitreichende Auswirkungen, die niemand kontrollieren konnte. Aber hatte nicht Jesse schon tiefgehende Veränderungen hervorgerufen? War es da nicht nur gerecht, wieder Chancengleichheit herzustellen, egal mit welchen Tricks? Saber spielte mit dem Gedanken, der Staffel ins Königreich Jarr zu folgen, ihnen beim Angriff der Outrider mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite zu stehen. Der Säbelschwinger hatte die Vermutung, dass auch Jesse Blue ähnliches tun könnte. Oder hatte er sein Ziel bereits erreicht, indem er seinen privaten Konkurrenten aus dem Weg geschafft hatte? Dabei lief Saber ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was, wenn Jesse Blue der neue Pilot von Ramrod wurde? Denn eines war klar. Wenn April keinen Grund gehabt hätte, dem blauhaarigen Kadetten eine Abfuhr zu erteilen, dann wäre dieser in der Akademie geblieben. Aber nur, weil ein Kollege und guter Freund nicht mehr an Aprils Seite war, garantierte das noch lange nicht, dass sich Jesses Charakter änderte. So in Gedanken versunken, brütend über seltsamen „Was-wäre-wenn“-Fragen, ging Saber zu seiner Satteleinheit und setzte sich. Automatisch fuhr er den Computer und die Systeme hoch und starrte auf den dunklen Bildschirm. Saber hatte immer geahnt, dass eine kleine Veränderung in der Vergangenheit Folgen haben könnte, aber die Ausmaße, denen sie sich zuhause stellen mussten, würden unwahrscheinlich gigantisch sein. Würde es überhaupt ein Team Ramrod geben? War der Krieg längst verloren und herrschten gar die Outrider über die Menschen? Saber musste bei diesem Gedanken direkt schlucken und ihn abschütteln. Das war ganz einfach eine Horrorvorstellung. „Wieso ignorierst du mich jetzt auch noch, Säbelschwinger?“ Der Schotte schoss in die Höhe, als er die Stimme gehört hatte. Einzig und allein die Seitenverstrebung seiner Satteleinheit beendete sein Aufspringen. Saber stieß mit voller Wucht mit dem Kopf dagegen und zuckte unweigerlich zusammen. Au, verdammt, tat das weh! Hatte er sich das eingebildet? Noch während er sich den Kopf rieb und um einiges vorsichtiger aufstand, sah er sich suchend um. War das wirklich…? „Shinji?“, er traute seinen Augen nicht mehr über den Weg. Der Schotte musste sich das alles nur eingebildet haben. Er sah Gespenster und hörte Stimmen. Jetzt war es amtlich, Saber drehte langsam aber sicher durch. Saber ging auf die durchsichtige Gestalt zu und streckte die Hand aus. Die Berührung war genauso unwirklich, wie die, als er bei Fireballs Verschwinden noch versucht hatte, seine Hand zu nehmen. Wieder bekam er nichts zu fassen. Mit stockendem Atem murmelte Saber: „Bist du wirklich da, Fireball?“ „Ich find das nicht komisch, Saber!“, zuerst ignorierte ihn Saber schamlos und nun stellte er ihm auch noch eine solche Frage. Fireball spürte immer noch eine panische Angst in sich und sein Freund fragte, ob er wirklich da sei. Der Pilot wich einen Schritt zurück und beäugte Saber argwöhnisch. Ja, sie hatten sich etwas in die Wolle bekommen, aber das war noch lange kein Grund ihn wie Luft zu behandeln. Das vertrug Fireball in seiner Lage überhaupt nicht: „Kannst du mir bitte helfen, Saber. Ich weiß, du würdest dich grad freuen, wenn ich mich auflöse, aber so prickelnd ist das für mich nicht.“ Er musste Herr der Lage werden, doch so einfach war das in dem Moment nicht. Saber war hin und her gerissen. Er freute sich wie ein kleines Kind am Weihnachtsmorgen, aber andererseits behagte ihm Fireballs Tonfall absolut nicht. Saber sah sich um, er hatte ihn nicht zu fassen bekommen, weil Fireball immer noch mehr Luft als Mensch aus Fleisch und Blut war, beinahe wie ein Geist. Er hatte durch ihn hindurch greifen können, hatte den Hitzkopf nicht zu fassen bekommen. Deswegen schied ihn in seine Satteleinheit zu schieben auch zwangsläufig aus. Dann erst bemerkte Saber den ängstlichen Gesichtsausdruck des Japaners und verstand die Bedeutung dieser Worte. Hastig schüttelte er den Kopf und versicherte: „Nein, nein, Fireball. Du löst dich nicht auf! Im Gegenteil. Du kommst gerade wieder, Hauch für Hauch.“ Der klein gewachsene Pilot war mit der Situation vollkommen überfordert. Wollte Saber ihn für unzurechnungsfähig erklären? Ihm steckten die Worte von vorhin noch in den Knochen, die Saber so ungehalten wie selten ausposaunt hatte. ‚Benimm dich endlich wieder wie man es von dir erwartet!‘ Gerade eben war Saber doch noch stocksauer gewesen, wieso machte er nur jetzt ein so erleichtertes Gesicht? Fireball ging zu seiner Satteleinheit, blieb dort aber stehen und spähte aus dem Panoramafenster. Unten an der Rampe hatte er seinen Vater gesehen, der hatte ihn aber nicht wahrgenommen. Aber wie konnte das sein? Der war doch zu einem Einsatz gerufen worden. Leise wollte er wissen: „Was ist los, Saber? Was geht hier nur vor?“ Seine Stimme hatte wie das Flüstern eines Geistes geklungen. Saber lief eine Gänsehaut über den Rücken. Mit jedem Moment allerdings wurde er sich bewusst, dass es geklappt hatte. Ai und Shinji wurden Eltern, die Frau des Captains trug das Leben ihres ungeborenen Sohnes in sich. Nachdem der quirlige Pilot noch nicht wirklich zu sehen war, konnte dieser Zustand noch nicht lange so sein, vielleicht erst seit wenigen Stunden. Hoffentlich geschah nun nichts mehr. Saber schloss zu Fireball auf, berühren konnte er ihn immer noch nicht, aber versuchen, ihn zu beruhigen. Deswegen begann der Highlander ihm zu erzählen, was genau passiert war. Sie standen im Kontrollraum und Saber hatte die größte Mühe, Fireball verständlich zu erklären und vor Augen zu führen, was passiert war. Dass das dem Japaner nicht nur eine Nummer zu hoch war, konnte Saber an der immer noch durchscheinenden Mimik des Piloten erkennen. Er selbst glaubte den Großteil der Geschichte ja selbst noch nicht richtig. Schlussendlich schlug er dem wiedergewonnenen Freund vor: „Lass uns in die Küche gehen, Colt und April werden sich freuen, dich wieder zu sehen.“ Doch Fireball schüttelte den Kopf. Er sah Saber verständnislos an: „Das glaubst du dir doch selber nicht, Saber. Suchst du einen Grund, mich komplett vom Schiff zu verbannen, sobald wir wieder zuhause sind?“ Anders konnte es sich der Hitzkopf nicht erklären. Saber und er waren in letzter Zeit so oft wegen der Kompetenzsache aneinander geraten, dass sich nur das als plausible Erklärung für Fireball anbot. Saber wollte ihn nach ihrer Rückkehr zuhause nicht mehr im Team wissen. Nicht nur, dass er kläglich als Captain versagt hatte, offenbar hatte er es auch als Freund und Teamkamerad. Er war wohl besser dran, wenn er zuhause offiziell zurücktrat und endlich seine vorzeitig abgeschlossene Ausbildung in Ruhe und ordnungsgemäß nachholte. Es wäre das Beste für alle. „Das hab ich mit keinem Wort gesagt.“, Saber biss sich auf die Lippe. Verzagte Geschichte war das. Wie sollte er Fireball nur erklären, dass sie für den Blödsinn gerade keine Zeit hatten? Etwas unwillig stieß Saber die Luft zwischen den Zähnen aus und ging einige Schritte Richtung Ausgang. Da er den Japaner immer noch nicht physisch fassen konnte, musste er ihm so bedeuten, ihm endlich zu folgen. Jede Minute, die sie hier vergeudeten, schwanden ihre Chancen, etwas an ihrer Lage zu ändern. Mittlerweile hatten April und der Highlander herausgefunden, dass sie eine kleine Chance hatten, wieder nachhause zu kommen. Ramrods Energiereserven würden dabei fast komplett aufgebraucht werden und es war nicht gewiss, ob es sie tatsächlich wieder nachhause bringen würde, aber es war besser, als es unversucht zu lassen. Saber wollte allerdings den Blauhaarigen dabei wissen, nicht, dass dieser noch auf ganz andere Ideen kam, was er in der Vergangenheit alles verändern konnte. Fireball jedoch folgte ihm nicht. Schwer enttäuscht sah er dem Schotten hinterher und murmelte: „Aber gedacht.“ Saber fuhr herum. Wie sollte er den sturen Bock da coachen und ihm helfen, sich weiter zu entwickeln, wenn der nicht wollte? Saber erschrak dabei über seine Gedanken. Was hatte er gerade gedacht? Passte das zu seinen Erinnerungen? Verschwommen wusste Saber noch, dass Fireball bis zu Ramrod keinerlei Kampferfahrung hatte, weil er… Der Schotte legte die Stirn in Falten. Ja, was eigentlich? Er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab, sie hatten keine Zeit, um in Erinnerungen zu kramen, die alles andere als klar gerade waren. Er konzentrierte sich wieder auf den Japaner und funkelte ihn an: „Jetzt halt aber mal die Luft an, Shinji!“ „Geht grad schwer.“, kam der Konter vom Wuschelkopf. Er war immer noch mehr durchscheinend und somit noch lange nicht wieder da. Zudem fühlte er sich von Saber auch ein Stück weit angegriffen und in eine Ecke gedrängt. Die Geschichte, die ihm der Freund aufgetischt hatte, sie war einfach viel zu unglaublich. Aber andererseits, wenn er an sich hinabsah und es recht überdachte, vielleicht gar nicht unwahrscheinlich. Fehlte ihm tatsächlich ein ganzes Monat? Der Pilot sackte auf seinen Platz und keuchte: „Ich… Du und die anderen beiden…“ Saber kam wieder auf ihn zu. Okay, vielleicht musste er doch noch mal fünf Minuten investieren, sonst würde der Sturkopf es niemals begreifen. Der Schotte ging neben Fireball in die Hocke und bedachte ihn mit erforschenden Blicken, zumindest, soweit der Hitzkopf sichtbar war. Es war immer noch schwer, mehr als einen Verdacht seiner Gestalt auszumachen, was Saber allerdings doch wunderte. Verschwunden war Fireball innerhalb weniger Minuten, wieder sichtbar wurde er nur schleppend. Er atmete einmal tief durch und versuchte es erneut. Nur, wo sollte er ansetzen? „Wir sind alle vier hier und es geht uns gut. Nur du scheinst dich grad nicht wohl zu fühlen. Fehlt dir was? Hast du Schmerzen?“ Unbeholfen war Saber nun daran gegangen, aber vielleicht lenkte es Fireball noch am ehesten davon ab, was sie vor einem Monat besprochen hatten. Obwohl ihr Streit nun schon einige Wochen zurücklag, auch Saber dachte nachts oft daran. Er hatte sich oft dafür geschämt, dem Freund solche Worte an den Kopf geworfen zu haben. Auch, wenn es ihm im ersten Augenblick unglaublich gut getan hatte, im Endeffekt hatte es nichts geholfen. Das merkte Saber spätestens jetzt, da der Pilot vor ihm saß und gerade aussah, als würde er das Handtuch werfen. „Nein, die Wunde“, zögerlich antwortete Fireball. An die Stichwunde hatte er gar nicht mehr gedacht. Hatten ihm die Schmerzmittel des Stützpunktarztes geholfen? Er fuhr sich mit der rechten Hand unter das Shirt und tastete vorsichtig über die Stelle, an der ihn Jesse Blue verwundet hatte. Aber da war nichts mehr. Verdattert sah Fireball zu Saber auf und beendete schließlich seinen Satz: „ist weg.“ Sabers Taktik war schließlich aufgegangen. Fireball dachte nicht mehr an die Schwierigkeiten zwischen ihnen. Auch, wenn er nun etwas verwundert war, dass seine Stichwunde überhaupt nicht mehr vorhanden war, es war doch ein kleiner Beweis für den Wahrheitsgehalt von Sabers Worten. Wieder stand Saber auf. Dieses Mal wies er aber zur Tür: „Komm, lass uns endlich in die Küche zu den anderen gehen, Fireball. Wir müssen zusehen, dass wir endlich von hier wegkommen, bevor uns noch ein anderes Teammitglied abhanden kommt.“ Verwirrt und überfahren erhob sich auch Fireball. Schweigend folgte er dem Recken. Er verstand im Augenblick nur Bahnhof, Saber hatte ihm zu viel auf einmal erzählt. Aber wahrscheinlich hatte er das müssen, weil ihnen die Zeit fehlte. Flüchtig drehte sich der junge Spund noch einmal zum Fenster und sah in die Richtung, wo sein Vater in den Wald verschwunden war. Verhalten fragte er nach: „Wohin geht mein Vater?“ Saber blieb stehen und senkte den Blick. Ehrlich bestürzt über den Fakt, gab er Auskunft: „Zum Manöver ins Königreich, Fireball. Er hat sich von uns verabschiedet.“ In den letzten Wochen hatten auch Saber, Colt und April den Captain besser kennen gelernt, er war manchmal am Abend noch einen Sprung zu ihnen gekommen um nach dem Rechten zu sehen. Saber hätte ihn als eine Bereicherung für das Oberkommando ihrer Zeit gesehen. Er hätte ihnen viel beibringen können. Der Schotte sah zu Fireball. Er glaubte, ihr Pilot, ihr Anführer, hatte einiges von seinem Dienst im Oberkommando hier mitgenommen. Saber war sich sicher, Fireball hatte in den wenigen Monaten hier mehr fürs Leben gelernt, als in den letzten Jahren zuhause. Das hatte er nicht zuletzt deshalb, weil er etwas vom Leben seines Vaters kennen gelernt hatte und über seine Familie erfahren hatte, sondern auch, weil er gesehen hatte, was einen guten Captain ausmachte. Nur umsetzen konnte er es noch nicht recht. Saber glaubte zu wissen, wenn Fireball erst einmal begriffen hatte, dass er auch trotz seines Alters ein umsichtiger Captain war, dann würde er aufhören, seine Position mit Nachdruck zu unterstreichen. Er musste niemanden hier beweisen, dass er es konnte. Was waren das nur für Gedanken? Saber fuhr sich zerstreut durch die Haare. Wieso dachte er plötzlich so über Fireball? Das waren doch alles Dinge, die so gar nicht waren. Der Kurze von Captain Hikari war hier nicht der Captain. Oder etwa doch? Verwirrt zog es Saber vor, Fireball nicht mehr anzusehen und in die Küche vorauszugehen. „Saber, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen“, witzelte Colt, als Saber wieder in die Küche kam. Dem Schotten stand der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben, das hatte der Scharfschütze schnell gesehen. Nur, was ihn erschrocken hatte, das hatte er nicht wissen können. Wieder mal landete Colt mit seinen dummen Sprüchen einen Volltreffer erster Güte. Der blonde Recke trat durch die Tür und gab den Blick darauf frei, was ihm die noble Blässe ins Gesicht getrieben hatte. Ein durchsichtiger Pilot und Freund. Colt ließ die Blondine ruckartig los, stupste sie an und deutete mit einem ausgestreckten Arm auf die Erscheinung hinter Saber. Er brachte nur eins hervor: „Himmel. Wir arbeiten in einer Geisterbahn! Oder ich hab endgültig einen an der Waffel.“ „Wenn das mit dem Piloten nichts mehr werden sollte, kann ich ja auf Geist umsatteln“, gequält lächelte Fireball seine Freunde an. Colt trug’s mit verbaler Fassung. Wie ihm tatsächlich zumute war, konnte er gerade nicht sagen. Aber auch er schien überrascht zu sein, so wie Saber kurz zu vor. April war in diesem Augenblick ganz froh, nichts in der Hand gehabt zu haben, sonst wär das nächste Porzellan auf dem Boden gelandet. Sie kam aus der Kochnische hervor und trat auf die beiden Neuankömmlinge zu. Täuschte sie sich? War das wirklich Fireball? Mit zittrigen Fingern streckte sie die Hand nach seinem Gesicht aus. Sie spürte nichts außer einem Hauch. April konnte ihn nicht fassen. War er am Ende nur ihre Einbildung? Fireball hatte instinktiv den Kopf zu ihrer Handfläche geneigt, aber ihre Berührung konnte er nicht wahrnehmen. Dabei hatte er sich nach ihr gesehnt. Seit der Geschichte eines Nachts in der Küche hatten sie sich kaum gesehen und überhaupt nicht berührt. April hatte ihn lediglich genäht, dabei war sie stocksauer gewesen und wenig zärtlich. Er hatte sich nach ihr gesehnt und ihre Berührung nun nicht fühlen zu können, war eine herbe Enttäuschung. Colt war April zum Tisch gefolgt und zog die Blondine nun von Fireball weg. Er drückte sie und sich auf die Bank. Der Cowboy hatte bemerkt, wie seltsam das Wiedersehen zwischen den beiden Freunden gerade gewesen war. Deswegen hielt er es für besser, mal dezent für Ablenkung zu sorgen. Er deutete auf Saber und Fireball, die beiden sollten sich ebenfalls setzen, bevor er brummend den Beleidigten mimte: „Ich glaub ja langsam, du und dein alter Herr habt Saber bei einem Streich geholfen. Dein Dad verschwindet, du tauchst auf und vor einem Monat das ganze umverkehrt. Ich fühl mich total veräppelt von euch Kommissionären.“ Colt hatte Komiker gemeint, aber wieder mal war da sein kleines Leck mit den Fremdwörtern gewesen. Egal, seine Freunde würden ihn auch so verstehen. Mit aufmerksamen Augen eines Fährtenlesers musterte der Cowboy nun seine Freunde. Der eine blass, der andere ein bisschen durchsichtiger als gesund war und die Blondine extrem schweigsam. Colt stieß sich seufzend den Hut aus der Stirn. So ganz schien niemand hier zu glauben, dass der Windbeutel von Rennfahrer tatsächlich wieder da war. Saber sah wirklich aus, als hätte er einen Geist gesehen. So konnte man den Freund ja fast in die Klapsmühle einweisen lassen. Der Schotte wirkte, als wäre er vollkommen durch den Wind, total verwirrt und ausnahmsweise mal ohne Plan. Colt musste bei der Erkenntnis beinahe hart schlucken. Es musste einen Grund geben, wieso Saber gar so seltsam drein blickte. Das konnte nur wieder nichts Gutes sein. Die blauen Augen wanderten weiter zu ihrer Prinzessin. Deren Blick hing an dem geisterhaften Erscheinungsbild des Rennfahrers, wie gebannt starrte sie ihn an. Colt brauchte sich da nicht großartig anzustrengen, das musste doch sogar ein unsensibler Klotz wie Fireball merken, wie sich April gerade fühlte. Die war einfach nur heillos mit der Situation überfordert und innerlich momentan mehr als nur zerrissen. Nachdem sich alle seltsam anschwiegen, entschloss sich der Kuhhirte, mal das Wort an sich zu reißen und wieder für Stimmung zu sorgen. Denn immerhin war von Fireball schon wieder mehr zu sehen, als es die letzten Wochen der Fall gewesen war, so schlecht stand es für die Guten nun also nicht mehr. Colt stieß den rechten Zeigefinger in Fireballs Richtung und klopfte einen jovialen Spruch raus: „So, du zum Keks mutierter Krümel. Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt und lässt in Zukunft wieder Saber denken. Das kann der nämlich erstens besser als du und zweitens wird er sogar noch dafür bezahlt.“ Im selben Augenblick allerdings ließ Colt die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger auch schon wieder sinken und runzelte verdattert die Stirn. Er war gerade über seine eigenen Gedanken gestolpert. Plötzlich war er sich gar nicht mehr so sicher, ob Saber wirklich nur fürs Denken an Bord von Ramrod bezahlt wurde. Unwirklich schien dieser Gedanke, und dennoch biss er sich in Colts Hirnwindungen fest. Fireball, noch immer mehr Schein als Sein, blinzelte um Bestätigung suchend zu Saber, ehe er den Kopf betreten senkte. Wie viel eindeutiger konnte es noch werden, dass hier längst entschieden worden war, wer Ramrod als Captain nachhause bringen würde? Der junge Pilot ergab sich in der Hinsicht still in sein Schicksal und stimmte Colt kopfnickend zu. Es sollte nach Möglichkeit zu keinen weiteren Reibereien mehr unter ihnen kommen. Fireball hatte genug davon. Er würde alles akzeptieren, was die Freunde um ihn herum entschieden und er würde diese Entscheidungen mittragen, so wie es sich gehörte. Saber hatte den Mund schon offen gehabt, nachdem Colt losgelegt hatte, doch Fireballs Blick hatte ihn ruckartig wieder zum Schweigen gebracht. Es war vorerst besser, keine weiteren Diskussionen diesbezüglich mehr heraufzubeschwören. Sie hatten ohnehin Wichtigeres zu tun. Der Schotte bedeutete Colt und April, dass sie noch mal Kaffee für die Belegschaft an den Tisch bringen sollten, während er selbst auch wieder aufstand und sich entschuldigte: „Ich komme gleich wieder. Muss nur schnell was holen.“ „So schnell wird man hier zum Dienstboten degradiert“, regte sich Colt lachend auf. Also, das war ja wieder mal typisch für Saber. Der schickte andere nach Kaffee und Brötchen während sich der halbadlige Schwertschwinger um die netteren Dinge des Lebens kümmerte. Aber Colt konnte sich schon vorstellen, wonach der Schotte sich selbst schickte. Es ging um ihre Heimreise. Nicht die erste Heimreise, auf die sich Colt freute, aber eine, die er kaum mehr abwarten konnte. Gott, er vermisste seine Robin. Er wollte sie endlich heiraten. Seine Robin. Colt verlor sich in dem Gedanken, seine Verlobte endlich wieder im Arm zu halten. Sie und… Wieder hing Colt in seinen Gedanken und Erinnerungen fest. Und wem? Er glaubte gerade zu wissen, dass seine süße Lehrerin nicht alleine auf ihn wartete. Weiter denken konnte Colt den wirren und absurden Gedanken nicht, denn da kam Saber schon wieder hereingeschneit und setzte sich an den Küchentisch. Der blonde Highlander breitete allerhand Unterlagen aus und trommelte somit alle wieder an den Tisch zurück. Noch einmal wurde durch besprochen, was sie unternehmen würden und wie sie wieder nachhause kommen würden. Saber war die ganze Zeit über darauf bedacht, keine allzu klaren Vorgaben zu machen. Immer wieder warf er bei seinen Worten und Vorschlägen auch einen Blick auf Fireball, so als würde er darauf warten, was der Hitzkopf dazu zu sagen hatte. Aber der Pilot hielt den Mund und hörte aufmerksam zu. Auch die Blondine schwieg immer noch. Sie saß dem Wuschelkopf gegenüber, ihre Hände um ein Glas Wasser gelegt. Mit nur einem Ohr war sie bei Sabers Ausführungen, immerhin kannte sie die Details schon. Sie hatte sie schließlich in den letzten Wochen zusammen mit Saber ausgetüftelt. Hoffentlich funktionierte auch alles so, wie sie es durch gerechnet hatten. Dessen war sich April nicht mehr so sicher, seit sie in der Vergangenheit fest saßen. Wie oft hatte sie zuvor irgendwelchen Wissenschaftlern bei Vorträgen zugehört, die allesamt rigoros behauptet hatten, dass Zeitreisen absolut nicht machbar waren? Jeder, der im Neuen Grenzland einen klingenden Namen in Sachen Forschung hatte, hatte diese Meinung vertreten. Auch die Blondine selbst hatte zu den absoluten Skeptikern gehört. Sie war eines Besseren belehrt worden. Ihre Augen hingen auf der Tischplatte, über all den Plänen und Zeichnungen. Aus eigener Kraft würden sie nicht zurück in ihre Zeit kommen. Saber schloss mit den Worten: „…Der Plan hat sich allerdings nun geringfügig geändert. Wir werden nach Jarr fliegen und versuchen, Jesse dort zu erwischen. Wir brauchen ihn.“ „Falsch. Wir brauchen sein Schiff, den Überläufer können wir gerne hier lassen“, darüber könnte sich Colt maßlos aufregen. Sie, die Guten, brauchten den Verräter, um wieder nachhause zu kommen. Das war doch ein Witz! Sogleich versuchte Saber, dem Scharfschützen wieder ins Gewissen zu reden und ihn von seiner Palme runter zu holen. Das Raufkraxeln der selbigen war in den letzten Wochen so etwas wie die Lieblingsbeschäftigung von Colt geworden. Der Schotte schob ein Papier zu Colt hinüber und unterrichtete ihn noch mal: „Er wird nicht hier gelassen, hast du mich verstanden, Colt? Willst du, dass er unsere ganze Zukunft verändern kann? Genau das wird er nämlich tun, wenn er nicht mehr in unsere Zeit kann. Jesse wird irgendwo anders eingreifen, etwas anderes verändern und so versuchen, unsere Welt aus den Angeln zu heben.“ Auch April nickte dem Schotten unterstützend zu: „Willst du das, Colt? Also, ich möchte nicht riskieren, dass Jesse Blue hier mein Babysitter wird.“ Bei diesem Gedanken schüttelte sich die Blondine und ihr lief eine Gänsehaut über den Rücken. Also, bei allem, was ihr lieb und teuer war, das wollte sie sich nicht vorstellen oder sogar noch erleben müssen. Es waren ihre ersten Worte seit geraumer Zeit gewesen, endlich schien sie ihre Sprache wieder gefunden zu haben. Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasser und blickte ihre drei Jungs an. Sie würden Jesse Blue mit an Bord nehmen. Das konnte ein Spaß werden. Aber ihnen blieb nichts anderes übrig, wenn sie unbeschadet wieder nachhause kommen wollten. Und mittlerweile waren alle reif für ihre eigenen vier Wände, für ihre Zeit. Doch dieses Mal ließ sich Colt nicht so schnell den Wind aus den Segeln nehmen. Er war da anderer Meinung. Der Cowboy hatte kaum an dem Plan mithelfen können, war in den letzten Wochen eher zum Hausmann umfunktioniert worden, der gekocht und die Wäsche gemacht hatte, während die anderen beiden sich stundenlang den Kopf zerbrochen hatten. Und da hatten sich Saber und April ganz offensichtlich eine kleine Verschnaufpause im logisch Denken gegönnt. Er schüttelte den Kopf und murrte: „Dann setzen wir ihn doch einfach irgendwo im Weltall aus! Was soll daran so schwer sein?“ „Moralisch und ethisch nicht vertretbar. Schlag dir das aus dem Kopf!“, Saber verdrehte die Augen. Einer schoss bei der Bande doch wirklich immer quer. Er hoffte inständig, dass Colt das nur aus Trotz zu ihnen gesagt hatte, aber richtig wissen konnte man es bei ihrem Scharfschützen nie. Ein Blick in das zornige Gesicht des Cowboys genügte Saber allerdings um zu wissen, dass er sich mit diesen Vorschlägen gerade nur Luft verschaffte, weil er nichts tun konnte. Irgendwo musste die überschüssige Energie entladen werden. Auch April hatte das bemerkt, weshalb sie sich alle weiteren Widerworte verkniff. Colt würde sich schon wieder beruhigen, wenn er alles ausgelassen hatte, was ihn nervte. Nur Fireball hatte das nicht bemerkt. Der Japaner war noch mehr oder weniger dabei, die Informationen zu verarbeiten und Colts Gemurre war da nicht hilfreich. Etwas unbedacht bat er ihn deswegen: „Kannst du einen Moment lang mal den Mund halten? Danke.“ Das hatte in Colts Ohren wieder zu sehr nach Befehl geklungen. Und das vertrug er von Fireball nicht, egal, wie viel von ihm gerade zu sehen war. Ohne Rücksicht auf Verluste verbot er nun seinerseits Fireball den Mund: „Ich halte meinen Schnabel wann’s mir passt und nicht, wenn du grad meinst, meine Stimme würde dich stören. Also ehrlich, Kurzer! Kusch in deine Ecke und spuk dort weiter, Kinderschreck.“ Schon fast ungeduldig wartete Colt nun auf Widerworte von Fireball. Er traktierte ihn mit seinen Blicken, wartete darauf, dass endlich ein Fluch über die durchscheinenden Lippen des Piloten kam. Aber da kam nichts. Colt konnte zusehen, wie Fireball aufstand. Ebenso April und auch Saber. Fireball stand auf, senkte kurz den Blick und bat um Verzeihung. Danach verließ er die Küche. „Au!“, Colt fuhr zusammen und rieb sich die getroffene Schulter. Nicht April, wie er erwartet hatte, sondern Saber, hatte ihm einen Fausthieb genau dorthin verpasst, wo es immer besonders weh tat. Düster funkelte er den Schwertschwinger an. Der ließ nicht lange mit einer Rechtfertigung für den Schlag auf sich warten. Saber setzte sich wieder hin, nachdem er Fireball hinterher gesehen hatte. Übertrieben feinfühlig war Colt nie gewesen, aber das war unterste Schublade gewesen. Saber tadelte den Scharfschützen: „Das war absolut unnötig, Colt. So übertrieben lustig ist es nicht, nur halb da zu sein. Meinst du, ihm macht es Spaß, nichts anfassen zu können und dass jeder durch ihn durchsehen kann?“ April hatte nach diesem verwirrenden und anstrengenden Tag bald ins Bett gefunden. Ihre Knochen waren schwer gewesen, doch nun lag sie im Bett und konnte wieder nicht einschlafen. Die Blondine war unglaublich froh darüber gewesen, dass Fireball nach einem schweren Monat endlich wieder sichtbar geworden war. Sie hatten noch einmal Glück gehabt und Fireball nicht für immer verloren. Doch das hatte auch einen schalen Beigeschmack gehabt. Das Kompetenzthema war wieder aktuell geworden und das auch noch nicht reibungslos. Fireball, noch gar nicht wieder ganz sichtbar, hatte es nach zwei Sätzen von Colt bereits wieder vorgezogen, die Wogen zu glätten und erst mal ein bisschen frische Luft zu schnappen. April war aufgefallen, dass der Rennfahrer die Konfrontation mied. Er mied sie nicht nur mit Colt, sondern mit allen. April kuschelte sich in ihre Bettdecke. Sie versuchte diesen Tag zu verarbeiten, allerdings fiel es ihr nicht leicht. Die Blondine konnte so vieles nicht einordnen. Immer wieder glaubte sie, wieder diesen Hauch auf ihrer Haut zu spüren, als er sie berührt hatte. Eine Gänsehaut fuhr ihr über den Rücken, sobald sie nur daran dachte. Mit Angst hatte er, bis er endlich wieder ganz sichtbar war, immer wieder versucht, ihre Hand zu nehmen. Er hatte sie gebraucht. Doch auch April hätte jemanden gebraucht. Sie hatte ihn nicht halten können. Es schien ewig zu dauern, bis Fireball endlich wieder greifbar und sichtbarer wurde. So hatte sich April an die Kontrollen des Friedenswächters setzen müssen und hatte ihren großen Cowboy sicher in das Königreich Jarr geflogen. Hier lauerte Ramrod nun seit einigen Tagen in der Umlaufbahn des Planeten, immer darauf bedacht, außerhalb der Sensorenreichweite zu bleiben. Noch war alles ruhig, zumindest im All. Auf dem Schiff war ziemlich alles aus dem Gleichgewicht geraten. Colt zum Beispiel bildete eine unüberwindbare Mauer für alles, was Fireball zu sagen hatte. Es machte keinen Unterschied, ob es ein Vorschlag von dem Piloten war oder eine simple Bitte. Der Cowboy schmetterte alles ab, ließ es einfach abprallen und strafte Fireball somit für die letzten Wochen, in denen Befehle wie selbstverständlich vom Asiaten gekommen waren. Er war fast schon feindselig. Deswegen hatte es Fireball vorgezogen, nur noch das Nötigste zu sprechen. Konsequenz von Colts Taktik war, dass sich der junge Japaner mehr und mehr zurückzog. Aber das war nicht das Einzige, was sich auf Ramrod geändert hatte. Saber, Colt und April kämpften mit unterschiedlichen, wie auch widersprüchlichen Erinnerungen. Sie waren verschwommen, unwirklich und nicht sonderlich hilfreich, wie besonders Saber immer wieder selbst merkte. Der Schotte war in den nächsten Tagen aufmerksam wie selten, wunderte sich immer wieder über seine eigenen Gedanken und Bilder, die sich in seinem Kopf zu wandeln begannen. Colt stolperte gähnend in den Kontrollraum. Der Tag war anstrengend gewesen, weil wieder nur mit Warten verplempert. Der Cowboy hasste es, wenn er warten musste und ihm die Hände gebunden waren. Das war für ihn schlimmer als ein Tag voll mit Outriderkämpfen und Schlafmangel. Es machte ihm weniger aus als dieses verdammte Däumchen drehen. Und mit genau dieser Ungeduld trat er momentan Fireball gegenüber. Colt setzte sich in seine Satteleinheit, außer ihm war nur Saber im Raum. Das ließ für den spitzfindigen Fährtenleser nur einen Schluss zu, nachdem April schon ins Bett geschlichen war: „Hast du Hui Buh ins Bett gebracht?“ „Nenn ihn nicht so“, genervt verdrehte Saber die Augen. Er sah von seiner Arbeit noch nicht einmal auf. Mittlerweile hatte Saber schon beinahe das Gefühl, Colt würde das sogar Spaß machen. Die kleinen Gemeinheiten, die immer wieder und wie selbstverständlich aus Colts Mund kamen, waren nicht mehr nur ein Denkzettel, sondern vor allem für Colt schon ein kleines Ritual geworden, das ihm Spaß machte. Nur irgendwann musste auch mal Schluss mit Lustig sein und Saber, der immer noch in der Nacht manchmal von seinen Träumen hochfuhr, wollte endlich wieder Frieden auf dem Schiff haben. Sie waren immerhin alle Freunde. Colt und Fireball waren die besten Freunde gewesen, wenn er sich noch recht daran erinnerte. Der Cowboy holte seinen Blaster aus dem Holster und fummelte an der Waffe herum. Mit einer Hand fuhr er sich über die Nase, als würde sie ihn jucken, dann gab er Saber schließlich eine Antwort. Aber nur, weil er andere Worte benützte, hieß das noch lange nicht, dass sich seine Meinung deswegen geändert hatte: „Sam kann ich ihn ja schlecht nennen. Nachricht hat er uns schließlich keine da gelassen.“ Saber seufzte tief. Nahm das mit Colt denn gar kein Ende mehr? Als ob er sich fest vorgenommen hätte, den Geisterscherz bis zur Eskalation weiter zu treiben. Nur hatte der Cowboy dabei nicht bedacht, dass die Eskalation, auf die sie dann zusteuerten, eine Versetzung von Fireball sein würde. Der Schotte hatte zu gut im Kopf, wie Fireball auf ihn reagiert hatte, nachdem er wieder aufgetaucht war. Seitdem waren kaum drei Tage vergangen, der junge Hikari war immer noch ein wenig durchsichtig, aber zumindest war er soweit wieder hergestellt, dass er endlich Dinge fassen konnte. Saber hatte oft beobachtet, wie es Fireball zu schaffen gemacht hatte, nichts und niemanden berühren zu können. Niemanden hieß in diesem Fall April und auch der Blondine hatte es zu schaffen gemacht, dass sie den kleinen Wirbelwind nicht spüren konnte. Der Schotte hoffte, dass sich das in den nächsten beiden Tagen noch geben würde und Fireball dann wieder den großen Cowboy steuern konnte. Denn spätestens dann würden sie den Piloten mit vollem Einsatz brauchen. Naja, außer es ginge im Moment nach Colt. Saber blickte zum Scharfschützen auf. Es schien, als hätte der auf Fireball verzichten können. Und das war schlicht und ergreifend völliger Schwachsinn. Es war an der Zeit, dem Freund mit den üblen Umgangsformen ins Gewissen zu reden und endlich das Thema anzuschneiden, das alle hier aus dem Gleichgewicht brachte. „Ist ja auch so irrsinnig einfach. Colt, hör doch bitte auf, ihn zu ärgern. Das hilft uns nicht im Geringsten weiter.“ „Ich soll aufhören?“, ja war er denn hier im Zirkus gelandet? Er reckte den Kopf zu Saber hinüber und bedachte den mit einem tödlichen Blick. Angegriffen verteidigte er sich. Energisch fuhr er Saber schließlich an: „Ich?! Dann sag du unserem Slimer, er soll sich seine Sprüche verkneifen. Erst, wenn er nicht mehr von mir verlangt, irgendwas zu tun, dann bin ich wieder lieb zu ihm.“ Da musste er wohl oder übel die Arbeit für heute liegen lassen. Saber schloss alle Ordner und Dateien auf dem PC, fuhr diesen herunter und versuchte nebenbei die Zettelwirtschaft von Berechnungen, die in den letzten Tagen ungeahnte Ausmaße angenommen hatte, zu sortieren und auf dem Boden abzulegen. Dann widmete Saber seine ganze Aufmerksamkeit einem weiteren sturen Esel. Ramrod schien von dieser Sorte ja wirklich mehr als einen an Bord zu haben. Der Schotte beobachtete Colt geraume Zeit, ließ sich noch einmal durch den Kopf gehen, was ihm dieser gerade gesagt hatte. Stur und verbohrt, das war ihr Colt. Langsam strich sich Saber mit dem Finger über den Nasenrücken, er musste es einfach tun. Er musste zumindest mit Colt jetzt darüber reden, ansonsten würde er bald dem Wahnsinn verfallen. Deswegen stand Saber nun auch auf. Er kam auf Colt zu, sah auf den Freund hinab und begann schließlich: „Was nervt dich daran so sehr?“ Zuerst wollte der Schotte herausfinden, was Colt denn wirklich im Augenblick an der Art des Japaners störte. Seit dieser wieder aufgetaucht war, hatte Saber immer wieder Momente, in denen ihm schwindlig wurde und er glaubte, eine ganz andere Welt zische an ihm vorbei. In solchen Augenblicken starrte er den Piloten oft minutenlang an, unfähig, zu begreifen, was los war. Vielleicht ging es auch Colt so. Immerhin war es möglich, dass auch er solche Momente hatte, vielleicht sogar immer dann, wenn Fireball mit ihm sprach. Das würde zumindest Colts übersensible Reaktion auf den Tonfall erklären. „Ganz einfach“, Colt holte aus dem schmalen Spalt zwischen seinem Sitz und dem Rahmen seiner Satteleinheit ein Samttuch hervor und begann seinen Blaster damit penibel zu polieren. Seine Augen hafteten auf der Waffe, aber seine Haltung und der Gesichtsausdruck waren die Selbstverständlichkeit in Person, als er Saber erklärte: „Er ist der Krümel hier. War er schon immer und wird er auch immer bleiben, wenn’s nach mir geht. Der Geist der vergangenen Weihnacht hat nichts zu melden.“ Irritiert zog Saber daraufhin eine Augenbraue nach oben. Woher nahm Colt nur diese Sicherheit? Saber hatte sie diesbezüglich schon lange nicht mehr. Immer wieder ertappte er sich bei den Besprechungen dabei, wie er Blicke auf Fireball warf und insgeheim sogar darauf wartete, was der zu sagen hatte. Das letzte Wort hatte schließlich immer schon der Captain gehabt, egal, wie einstimmig die Entscheidungen auf Ramrod auch getroffen wurden. Nur wer war der Captain? Saber verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust und überlegte. Er ging in sich, fand aber keine eindeutige Antwort. Deswegen schielte er zu Colt hinab: „Shinji hat aber Recht mit dem, was er sagt. Teilweise nimmt er mir sogar das Wort aus dem Mund.“ Colt verzog seine Lippen zu einer abfälligen Schnute und gab Saber zu verstehen: „Selbst, wenn er dir Wort für Wort nachplappern würde. Unser leibeigener Geisterfahrer hat nichts zu melden.“ Uneinsichtig war Colts zweiter Vorname. Stur gesellte sich auf Rang drei gleich dahinter. Nein, der Lockenkopf weigerte sich in dem Punkt einfach, etwas anderes als Wahrheit zu akzeptieren. Da war es ihm gleichgültig, ob die Bedenken von Saber oder von ihm kamen. Es war ja nicht so, dass er diese Bedenken nicht wirklich selbst schon gehabt hätte. Überhaupt, nachdem ihm das Kleinbeigeben von Fireball im Grunde genommen nicht gefallen hatte. Er hatte es zeitweise darauf angelegt, dass der Japaner endlich mal explodierte und die Fassung verlor, doch seit er wieder sichtbar war, war nichts dergleichen passiert. Colt verstand das nicht. Er konnte den frechen Piloten momentan so viel ärgern, wie er wollte, alles, was er dafür erntete, waren Abmahnungen von Saber, die ihm eigentlich hinten rum gingen und böse Blicke von April, die ihm da schon mehr Angst machte. Wenn Fireball nicht mitspielte, machte das ganze Piesacken keinen Spaß und Colt wusste nicht, weshalb es sich so seltsam anfühlte. Manchmal glaubte er, eigentlich darauf zu warten, dass Fireball ihm seine Grenzen aufzeigte. Immer noch streichelte er beinahe über das kalte Metall des Blasters, aber aus seinem Gesicht wich die Selbstverständlichkeit. Saber hatte den Cowboy soweit gebracht, dass er sich nun ernsthafte Gedanken darüber machte, weshalb sich die Situation an Bord manchmal so seltsam und falsch anfühlte. Aber er hatte auf die Schnelle dafür keine Antwort parat. Die Veränderung in Colts Gesichtszügen war Saber als guten Beobachter nicht verborgen geblieben. Er musste Colt also einen Denkanstoß geliefert haben. Einige Momente wartete er geduldig ab, ob dem Scharfschützen nicht doch von selbst ein paar Dinge einfielen, die hier in den letzten Tagen zwar Routine, aber irgendwie nicht richtig gewesen waren. Aber der Lockenkopf schwieg sich diesbezüglich aus. Deswegen setzte Saber zu einem erneuten Versuch an: „Kommt dir das nicht auch unwirklich vor, was mit uns gerade los ist? Es kann sein, dass ich mich irre, aber ich werde das Gefühl seit Tagen schon nicht mehr los, dass wir hier mitten in einer veränderten Welt leben.“ Da war der Blaster zur Nebensache verkommen. Colt steckte ihn wieder in den Holster und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. Mit Saber konnte man gut reden, das hatte man immer können, nicht umsonst hatte der Schotte etwas Mentorhaftes an sich. Er schien seine Freunde immer ein Stück des Weges zu begleiten, wie eine unsichtbare Hand, die einen in die richtige Richtung schob. Colt kniff die Augen zusammen und blickte in das leere All hinaus. Er dachte angestrengt nach, versuchte eine Antwort auf Sabers Frage zu finden. Unschlüssig brummte er, als ihm keine brauchbare einfiel: „Der Krümel kann nicht zum Keks mutieren, auch wenn er das möchte.“ Wenn gar nichts mehr ging und Colt keine Antworten oder plausible Erklärungen für manche Dinge hatte, dann musste man sich an etwas halten, von dem man überzeugt war. In dem Fall war es die Überzeugung, dass der Captain der Einheit Ramrod bereits neben ihm stand. Egal, wie erschüttert diese Wahrheit auch gerade war. Es war immer noch besser, als sich irgendwelchen Zweifeln hinzugeben und ratlos in einer Ecke zu sitzen. Nun lehnte sich Saber mit einem Arm gegen Colts Satteleinheit und stützte den Kopf auf der Hand ab. Wie sollte er ihm das nur wieder erklären, der sture Esel hielt doch tatsächlich an der Meinung fest. Aber was, wenn sie falsch war? So falsch, wie das Gefüge der Mannschaft in den letzten Tagen? Saber wollte es so schnell wie möglich herausfinden, ihm behagte die Situation nicht, weil er langsam aber sicher wirklich zu glauben begann, den Verstand zu verlieren. Er hatte jedes Mal, wenn er etwas anordnete, ein furchtbar schlechtes Gefühl in der Magengegend und ertappte sich dabei, wie er sich als Betrüger fühlte. Als ob er dabei jemanden hintergehen würde. Und das war doch sicherlich nicht richtig. Auch Saber richtete sein Augenpaar nach draußen. Alles war ruhig in den unendlichen Weiten vor dem Königreich Jarr. Zumindest noch bis übermorgen. Man konnte sich nicht vorstellen, wie erbittert die Kämpfe sein würden, auch nicht, wenn man selbst so kampferprobt und erfahren war, wie die Star Sheriffs. Geschick, ein gutes Gespür und die richtigen Befehle zu gegebenen Zeit hatten sie bisher immer vor dem Schlimmsten bewahrt. Aber auch der umsichtigste Captain würde einen Angriff niemals verhindern können oder irgendwann sogar im Kampf sterben. Captain Hikari stand dieses Schicksal bevor. Er wusste es sogar. Saber hegte tiefste Bewunderung für den Piloten. Schließlich kam Saber von seinen abgedrifteten Gedanken wieder auf das eigentliche Thema zurück. Ihm schwirrte in der letzten Zeit einfach zu viel durch den Kopf, vor allem: „Komm schon, Colt. Willst du mir erzählen, dass es dir etwa nicht so geht? Ich für meinen Teil glaube manchmal, mich an etwas ganz anderes zu erinnern, weiß aber nicht was. Und manche Dinge, die wir mit einer Selbstverständlichkeit sagen und tun, die passen überhaupt nicht dazu. So, als hätte sich unsere Zukunft verändert.“ Immer noch blieb Colt stur, allerdings brauchte er für seine Antworten schon um Hausecken länger als noch zuvor. Colt dachte angestrengt nach. Saber hatte mit seinen Worten durchaus Recht, auch ihm kam alles hier in der letzten Zeit furchtbar falsch vor. Und es war mittlerweile nicht mehr nur die Tatsache, dass ihm der Ton von Fireball gegen den Strich ging, sondern auch diese seltsame Sehnsucht nach Robin, die immer stärker wurde. Sie mischte sich mit Sorge und Angst vor etwas Unbekanntem. Der Cowboy wusste, sie würde zuhause auf ihn warten, dennoch machte er sich Sorgen um die ehemalige Lehrerin aus Tranquility. Dabei war er sich sicher, dass sie gesund war und es ihr gut ging. Colt eiste seine Gedanken von Robin los und kam wieder auf das eigentliche Thema zurück. Er schüttelte langsam den Kopf, aber nicht, weil er Saber nicht glaubte, sondern weil er es sich selbst kaum glaubte. Stumm stimmte er Saber zu. Eben hatte er sich gefühlt, als wäre die Welt, wie er sie kannte, nicht mehr existent. „Weißt du noch, was wir alle gemacht haben, bevor wir zu Ramrod gekommen sind?“, der Schotte wusste es leider nicht mehr so genau. Das verunsicherte Saber bis zu einem gewissen Grad. Scherzend, und wie aus der Pistole geschossen, bekam Saber darauf eine Antwort. Colt grinste ihn nonchalant an: „Dich musste ich ja nicht aus der Pampa herholen…“ Noch während Colt sprach, erstarb sein Lächeln. Was hatte er getan? Der Cowboy zog die Augenbrauen zusammen. Was geschah hier nur? Er wunderte sich über seine Antwort, vor allem über diese Sicherheit und Schnelligkeit, die er dabei an den Tag gelegt hatte. Das war nicht normal, denn im gleichen Augenblick wusste Colt, dass er keinen Schimmer hatte, was wahr und was falsch war. Er konnte sich an ihre eigene Geschichte nicht mehr richtig erinnern. Details verschmolzen zu einem undurchsichtigen, verschleierten Klumpen und offenbar neigten sie dazu, unbewusst andere Dinge zu sagen, als das, was sie wirklich erlebt hatten. Aber hatten sie wirklich erlebt, was sie im Gedächtnis gespeichert hatten? Saber schmunzelte leicht. Endlich war Colt auf den richtigen Weg gekommen und hatte endlich nachzudenken angefangen. Er lehnte den Kopf noch etwas mehr auf seine Faust und lugte zu Colt hinab. Mit einem gnädigen Lächeln fuhr Saber fort: „Das weiß ich, dass du mich nicht aus der Pampa geholt hast. Aber was hast du wirklich gemacht, Colt? Was habe ich vor Ramrod gemacht?“ „Öh…“, Colt kratzte sich ratlos am Kopf. Wie waren sie überhaupt zu Ramrod gekommen? Wenn der Cowboy jemals daran geglaubt hätte, dass sie wirklich was in ihrer Zeit veränderten, dann hätte er sich so ziemlich alles verkniffen, was er getan hatte. Ihm kam es vor, wie ein totales Blackout. Alles, was vor ihrem Ausflug gewesen war, war weg. Colt wusste es nicht mehr. Mit einem unsicheren Räuspern machte sich Fireball bemerkbar, als er in den Kontrollraum trat. Er hatte nicht direkt nach den beiden gesucht, hatte sie aber dennoch wie vermutet im Kontrollraum gefunden. Sie standen zusammen und unterhielten sich. Unbehaglich wollte er wissen, als die beiden ihn verdattert ansahen: „Stör ich gerade?“ „Ja! Siehst du doch!“, fuhr Colt den Japaner ungehalten an. Zur selben Zeit antwortete auch Saber: „Öhm… Nein.“ Die beiden Männer warfen sich jeweils einen verärgerten Blick zu, weil sie beide unterschiedlich geantwortet hatten. Was sollte Fireball jetzt bloß davon halten? Der Wuschelkopf zuckte kurz zusammen, Colts feindselige Antwort hatte ihn beinahe verschreckt. Er zog den Kopf ein und stolperte sofort wieder Richtung Tür: „Oh… Tut mir leid… Ich geh dann…“ Fireballs Selbstbewusstsein hatte in der letzten Zeit massiv unter Colts Anfeindungen gelitten. Er hatte aufgegeben, noch irgendwas sagen zu wollen. Denn wenn er es tat, so wie eben, wo er nur eine höfliche Frage gestellt hatte, erntete er von Colt böses Blut. Fireball wollte keinen Streit mehr heraufbeschwören, aber anscheinend tat er es, sobald er den Raum betrat. Saber schnellte in die Höhe und streckte die Hand nach dem jungen Hikari aus: „Warte mal noch einen Moment, Fireball!“ Saber war gerade eingefallen, dass er Colt nun beweisen konnte, dass er mit seiner Theorie nicht so falsch lag. Derjenige, der ihre Welt ins Taumeln gebracht hatte, musste doch die Antwort auf Sabers Fragen alle kennen. Saber wartete ab, bis sich Fireball wieder zu ihnen gedreht hatte. Dann hob er eine Augenbraue nach oben. Aufmerksam musterte er den jungen Spund, als er ihm die Frage stellte: „Sag mal, was hab ich eigentlich gemacht, bevor ich zu Ramrod versetzt worden bin?“ Fireball fuhr sich durch die Haare, dabei kratzte er sich kurz die Kopfhaut. Selbstverständlich und ehrlich gab er den beiden eine Antwort auf die Frage: „Du warst vorher ein Geheimagent bei der königlichen Leibgarde Englands. Frag mich nicht, was du da genau gemacht hast, das war Top Secret und durfte bis dato noch nicht mal Commander Eagle erfahren.“ Etwas verständnislos sah er in die staunenden Gesichter seiner beiden Freunde. Wollten sie ihn jetzt prüfen? Aber weshalb nur? Fireball war an seiner bisher größten Prüfung doch schon gescheitert, weshalb sollte das jetzt noch sein? Die Information war mit einer Selbstverständlichkeit gekommen, die Saber beinahe die Sprache verschlagen hätte. Er selbst hatte so etwas vom Geheimdienst auch im Kopf gehabt, aber er hatte es für Einbildung gehalten. Nun war er in seiner Annahme bestätigt worden, Saber war sich sicher, dass sie in eine andere Zukunft zurückkehren würden und ihm war auch klar, wer dieses Schiff hier befehligte. Schon beinahe dankbar nickte der Schotte dem Piloten mit dem Bleifuß zu und versprach ihm: „Ich klär nur noch was kurz mit Colt, dann holen wir dich.“ Colt sah dem Krümel staunend hinterher, als dieser nur nickte und den Kontrollraum tatsächlich wieder verließ. Schließlich widmete er seine Aufmerksamkeit wieder Saber. Das eben war total schräg gewesen und Colt wollte nicht so recht glauben, was er gerade gehört hatte. Der Kleine musste sich den Kopf gestoßen haben. Und auch Saber widmete sich wieder ganz dem Sturkopf in der Satteleinheit neben sich. Der Schotte klang schon beinahe triumphierend: „Glaubst du mir jetzt, dass wir nicht mehr die sind, die wir vor dem Unfall waren?“ „Ja, aber wie…?“, Colt konnte seine Bedenken gerade gar nicht mehr in Worte fassen. Hieß das etwa, der kleine Wuschelkopf war wirklich der Captain? Hatte er Fireball Unrecht getan? Oh Mann, da hatte sich Colt verdammt hart in die Nesseln gesetzt und sich ganz schön was geleistet. Das war genau das gewesen, was Saber ihm hatte sagen wollen. Der Scharfschütze sollte sich entschuldigen. Saber klopfte Colt aufmunternd auf die Schulter. Auch ihm war endlich ein Licht aufgegangen und alles ergab einen Sinn für Saber. Es gab andere Strukturen auf Ramrod, offenbar hatte es diese in Fireballs Erinnerung schon länger gegeben, vermutlich war es für ihn schleichender gegangen, als für alle anderen. Immerhin betraf es den Japaner direkt, dadurch, dass er zwischendurch nicht einmal existiert hatte, war er wahrscheinlich mit einer völlig neuen Erinnerung wieder zu ihnen zurückgekommen. Saber wusste nun, was er zu tun hatte. Er wies Colt noch einmal an: „Entschuldige dich, Colt.“ Der Cowboy schlug die Hand von seiner Schulter und maulte: „Ja ja ja! Mach ich ja! Ich will ja nicht, dass er heute Nacht mit den Kerkerketten rasselt.“ „Und du machst es jetzt“, Saber beschloss das einfach und stellte Colt diesbezüglich vor vollendete Tatsachen. Er holte Fireball wieder herein und lotste den vor Colts Satteleinheit. Saber zwinkerte Colt zu und sprach mit Fireball: „Colt hat dir was zu sagen.“ Unbehaglich blickte Fireball auf Colt hinab. Der guckte immer noch grimmig aus der Wäsche. Er schluckte: „Was ist los?“ Colt senkte den Blick, kratzte sich am Hinterkopf und nuschelte so unverständlich er nur konnte: „Tutmirleidkommtnichtwiedervor.“ „Was ist?“, Fireball sah zuerst skeptisch zu Colt hinunter. Er hatte kein Wort von dem Scharfschützen verstanden. Dann hob er den Blick zu Saber. Ihm war nicht wohl. Fireball fühlte sich eher, als hätte man ihn gerade wie ein Tier zur Schlachtbank geführt, das konnte nichts Gutes zu bedeuten haben. „Colt!“, Saber rollte genervt die Augen und forderte ihn mit einem düsteren Blick noch einmal unmissverständlich auf, es ordentlich zu machen. „Ja, also hör mal“, druckste Colt herum. Immer noch hielt er eine Hand im Nacken. Oh, wie er es hasste, sich entschuldigen zu müssen. Und dann auch noch förmlich. Überhaupt hatte er doch schon ‚Entschuldigung‘ gesagt, noch mehr auf Knien sollte er eigentlich nicht herumrutschen müssen. Colt wählte deswegen einen Weg, den er in solchen Situationen immer wählte. Den indirekten nämlich: „Ich bin satt. Heute wird kein Keks mehr zerkrümelt.“ Dass mit dem Keks zum ersten Mal überhaupt Fireball gemeint war, war dem nicht bewusst. Er hatte sich inzwischen schon an den Krümel gewöhnt und eigentlich auch mit der Tatsache, dass er nicht mehr das Sagen auf Ramrod hatte, abgefunden. Der Japaner hatte den Faden verloren und verstand im Augenblick gar nichts mehr. Saber bemerkte die vielen Fragezeichen, die Fireball ins Gesicht geschrieben standen. So entschloss er sich, dem Cowboy noch einmal mit Nachdruck Gas zu geben. Er verpasste ihm kurzerhand einen leichten Schlag auf den Hinterkopf: „Hilft dir das auf die Sprünge, Colt?“ Grimmig streckte Colt dem Säbelschwinger die Zunge raus und wandte sich dann an Fireball. Wieder leise, aber dieses Mal verständlich, entschuldigte er sich: „Sorry, Kurzer.“ Kapitel 10: Intermezzo ---------------------- Hey, ihr lieben! Nachdem sich hier so seltsame Kommentare mehren, da würde noch mehr kommen, kommt da auch noch mehr ^^ Die vier müssen schließlich wieder mal nachhause kommen. Nur noch nicht jetzt. Aber lest selbst. Trotz der Entschuldigung von Colt blieb der Japaner eher verhalten. Die drei Männer setzten sich gemeinsam in den Aufenthaltsraum und gingen miteinander die Sternenkarten durch. Die Geschichtsaufzeichnungen waren in diesem Fall mehr als nur hilfreich, die Freunde konnten das angegriffene Gebiet auf wenige Stellen einschränken. Sie wussten, wo die ersten Angriffe stattfinden würden, sie kannten die Stelle, an der Nemesis‘ Kampfschiff auftauchen würde und das ermöglichte ihnen auch eine genaue Prognose über Jesse Blues Verbleib. Würde er wirklich versuchen, die erste Schlacht zugunsten der Outrider zu entscheiden, er wäre in der Nähe des Phantombosses. Colt verließ irgendwann die Lust am Taktieren und Jonglieren mit Strategien. Erschöpft ließ er die anderen beiden im Aufenthaltsraum über einer Sternenkarte sitzen und teilte ihnen mit: „Ich werde jetzt das machen, was unsere Prinzessin auch macht. Das soll bekanntlich helfen, wenn ihr wisst, was ich meine. Euch würde so ne Mütze voll Schönheitsschlaf jedenfalls nicht schaden.“ Die beiden verbliebenen warfen Colt noch einen irritierten Blick hinterher und wandten sich dann wieder der Sternenkarte zu. Es war nicht ungemütlich, wie die zwei über den Karten hingen und immer wieder mit dem Finger Wege nachzeichneten oder Stellen markierten. Aber es kam der Zeitpunkt, wo ihnen die Vorschläge ausgingen und sie nicht mehr recht weiter wussten. Saber schüttelte müde den Kopf und verschwand in der Küche, um sich etwas zu trinken zu holen, währenddessen faltete und rollte Fireball die Karten zusammen. Als Saber mit einem Tablett, darauf einer Teekanne, einer Zuckerdose und zwei Tassen, wieder in den Aufenthaltsraum kam, hatte sich Fireball schon eine bequeme Position gesucht. Der Wuschelkopf hatte die Beine auf die Sitzfläche gezogen und die Arme darum geschlungen. Der Kopf lag auf den Knien und regelmäßig wippte er vor und zurück, wie eine kleine Schaukel. Der Highlander sah sich das Bild genau an. Fireball wirkte, als würde er angestrengt über etwas nachdenken, dabei hatten sie beschlossen, für heute das Denken zu lassen. Zumindest, was die große Schlacht in zwei Tagen betraf. Mit einem skeptischen Blick stellte Saber das Tablett auf den niedrigen Tisch und teilte die Tassen aus. Dabei behielt er Fireball immer in den Augen. So ganz wollte ihm immer noch nicht gefallen, was er sah. Saber war sich vollkommen darüber im Klaren, dass alles miteinander momentan furchtbar schwierig war, sowohl für ihn als auch für die anderen. Schweigend goss er Tee in die Tasse und versuchte mit dem ebenso schweigsamen Piloten nur über Blicke zu kommunizieren. Aber das gelang nicht recht. Saber setzte sich, nahm seine Tasse in beide Hände und warf Fireball abermals einen Blick zu: „Hast du irgendwas?“ Der unerfahrene Spund rührte den Tee um und sah endlich zu Saber auf. Sein Blick war immer noch reichlich verunsichert, so ganz hatte die Entschuldigung von Colt nicht gefruchtet. Bedächtig legte er den Löffel nach dem Umrühren auf die Untertasse, dann rang er sich dazu durch. Es kostete Fireball viel Überwindung und er tat es nicht gerne: „Kann ich dich um etwas bitten, Richard?“ Einen Augenblick blieb Saber das Herz stehen. Lange schon nannte ihn außer seinen Eltern niemand mehr Richard. Saber war seit seiner Zeit bei der königlichen Leibgarde sein Deck- oder besser Spitzname geworden. Dem Schotten fielen, seit Fireball ihrem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hatte, allerhand Kleinigkeiten wieder ein, von denen er nun wusste, dass sie keine Einbildung waren. Es waren seine Erinnerungen an eine veränderte Zeit, an die Zeit, in die sie zurückkehren würden. „Was hast du auf dem Herzen, Fireball?“, richtig einordnen konnte der Säbelschwinger nicht, was Fireball im Augenblick wirklich bedrückte. In der Hinsicht hatte er gegen Fireballs Mauer immer schon schlechte Karten gehabt. Man merkte grundsätzlich, wenn etwas nicht in Ordnung war, aber was nicht stimmte, das wusste in der Regel nur Fireball selbst. Saber war sich sicher, nicht einmal April wusste, worüber ihr Captain sich manchmal den Kopf zerbrach. Fireball versuchte, seine Strähnen, die ihm immer wieder in die Stirn fielen, zu verbannen, bis er den Kampf schließlich als verloren betrachtete und aufgab. Er wusste nicht, wie er Saber sagen sollte, was er zu sagen hatte. Bestimmt würde er ihn für unfähig halten, aber war er das nicht ohnehin? Unfähig ein solch kleines Team, wie das ihre, unter Kontrolle zu behalten und Streit zu vermeiden. Lange Zeit war es gut gegangen, umsonst war Ramrod nicht das beste Team im Neuen Grenzland gewesen, aber hier war die Zeit gekommen, wo man es hinnehmen musste. Fireball hatte lernen müssen, dass Captain mehr als ein Titel war, es bedeutete nicht nur mehr Verantwortung. Darüber hatte er sich nie den Kopf zerbrochen, darüber hatte er bis zu dieser Mission auch nicht ernsthaft nachdenken müssen. Es hatte sich nie die Frage gestellt, ob sie dieser Herausforderung gewachsen waren. Ohnehin waren nie Zweifel diesbezüglich in den höheren Rängen des Oberkommandos laut geworden. Fireball hatte sich zu Beginn seiner Laufbahn hier einmal geschworen, er würde zum Wohle des Teams handeln. Nun, da es zwar persönliche Schwäche bedeutete und Versagen im Wortschatz eines Japaners, der noch nach dem alten Ehrenkodex erzogen worden war, nicht vorkam, fiel ihm dieser Schritt nicht besonders leicht. Aber er hielt es für sinnvoll. Seine braunen Augen glitten zu demjenigen hinüber, der eigentlich immer schon im Hintergrund darauf geachtet hatte, dass er keinen Blödsinn anstellte. Saber im Rücken zu haben war ein unglaublich beruhigendes Gefühl. Und nur, weil er ihm das nötige Vertrauen entgegen brachte, traute er sich: „Ich möchte, dass wir alle sicher und unversehrt nachhause kommen, Schwertschwinger. Dafür kann ich nicht garantieren. Deswegen bitte ich dich, übernimm du das Kommando auf dem Friedenswächter.“ Saber zog die Augenbrauen zusammen und musterte Fireball nachdenklich. Er musste erst einmal begreifen, was der junge Pilot eigentlich von ihm wollte. Er hatte seinen Wunsch zwar klar geäußert, das hatte Saber schon verstanden, aber das Warum blieb dem Schotten ein Rätsel. Gerade hatte sich doch alles wieder eingerenkt, weshalb sollte er den Schritt überhaupt noch setzen? „Und warum solltest du das nicht können?“, lieber einmal öfter nachgebohrt, als einmal zu wenig gefragt und dann die falsche Entscheidung getroffen. Nach dieser Devise versuchte Saber nun, schon zum wiederholten Male an diesem Tag, den tieferen Sinn und die Bedeutung mancher Worte seiner Freunde zu ergründen. Manchmal kam er in letzter Zeit einfach nicht auf Anhieb dahinter, was genau gespielt wurde. Der Schotte hatte nicht die Absicht, diesem Wunsch überhaupt nachzukommen. In seinen Augen stand der Captain der Einheit fest. Wohlgemerkt, endlich mal wieder für alle klar. Es wäre völlig falsch, wenn jetzt jemand anderes das Kommando auf Ramrod übernehmen würde. Außerdem war sich Saber mehr als nur sicher, dass Fireball das konnte. Der Schotte akzeptierte mit jeder Minute mehr die seltsamen Erinnerungen, die seine alte Wirklichkeit überdeckten. Sie gehörten zu dem neuen Weltbild, das sich in den letzten Wochen entwickelt hatte. Fireball war manchmal ein richtig unruhiger Geist, das schlug sich auch auf seine Bewegungen um. Saber kannte das nur zu gut. War der Hitzkopf dabei, Gedanken zu sortieren und überschlugen sich die Ereignisse, dann konnte man beobachten, wie Fireball von ruhig sitzen nicht mehr allzu viel hielt. Saber hätte schon fast zu schmunzeln angefangen, als er beobachten konnte, wie Fireball die Füße zum Schneidersitz auf der Couch verschränkte und die Unterarme auf die Knie legte, um so seinen Oberkörper abzustützen. Aber er konnte sich in letzter Sekunde noch ein Lächeln verkneifen, das hier war ein vertrauliches Gespräch zwischen ihm und dem Captain, der in dem, was er tat, im Augenblick verunsichert war. Völlig zu Unrecht, wie Saber fand, aber aufgrund der jüngsten Ereignisse völlig verständlich. Der Schotte war sich allerdings auch völlig darüber im Klaren, dass der schlimmste Teil der Reise noch auszustehen galt und deswegen war es angebracht, dem Energiebündel unterstützend unter die Arme zu greifen. Gemeinsam brachten sie das schon auf die Reihe. Immer wieder war Fireball froh über die ruhigen Gespräche, die er mit Saber führen konnte, wenn die anderen beiden im Bett waren. Er hatte den Schotten von Anfang an als Freund und helfende Hand empfunden, der immer im Hintergrund und für den Notfall da war. Das rechnete ihm der Japaner hoch an. Fireball fuhr sich wieder durch die Haare, während er Saber erklärte, weshalb er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Es war nicht so, dass er sich darüber nicht wirklich selbst schon den Kopf zerbrochen hatte, aber in seinen Dickschädel konnte außer ihm niemand hinein sehen und so war ihm klar gewesen, dass Saber nicht nur die fertige Bitte, sondern auch die Gründe dafür wissen wollte. „Auf uns wird hier noch einiges zukommen, Saber. Wer etwas anderes behauptet, der lügt schlicht und ergreifend. Um wirklich sicher wieder nachhause zu kommen, brauchen wir das ganze Team auf der selben Seite. Das ist gerade nicht der Fall. Absolut nicht. Wir können uns im Ernstfall keine Diskussion leisten, genau darauf wird’s aber hinaus laufen, wenn ich etwas sage. Die lebenswichtige Zeit können wir uns sparen, wenn du das Kommando auf Ramrod übernimmst. Colt und April werden auf dich besser hören und ich hab damit keine Probleme.“ Die skeptische Augenbraue schoss noch weiter in die Höhe. Saber war eine solch kritische Betrachtung der Dinge von Fireball überhaupt nicht mehr gewöhnt. Langsam glaubte er, dass die Geschichte mit Captain Hikari und dem Dienst im Oberkommando dieser Zeit einen äußerst positiven Einfluss auf Fireball gehabt hatten. Er hatte vorher schon sehr gründlich abgewogen, was sie tun sollten, aber nun spielte da noch eine andere Komponente hinein. Fireball betrachtete manche Dinge viel selbstkritischer als noch vor ihrer Reise. „Okay, das ist mir schon klar“, Saber hob die Hand, zufrieden war er mit der Antwort absolut nicht. Noch einmal hakte er nach: „Und wieso solltest du nicht in der Lage dazu sein, uns da durch zu manövrieren? Das wird nicht die erste heikle Situation sein und bestimmt auch nicht die letzte.“ Fireball biss sich auf die Lippen. Lief er da etwa gerade gegen einen Fels an? Mit dem Kopf durch die Wand war ihm nichts Neues mehr, das hatte er in der Akademie zur Perfektion getrieben, aber gegen Saber zu argumentieren war immer wieder eine Herausforderung der ganz besonderen Art. Jetzt mussten gute Argumente her und am Besten noch welche, die dann alle Gegenargumente von Saber gleich vorweg ausschließen würden. „Das weiß ich. Wär ja auch ein Irrglaube, wenn wir immer Eitel Wonne Sonnenschein auf Ramrod hätten. Aber das hier“, Fireball senkte den Blick auf seine Tasse. Er überlegte kurz, wie er Saber seine Bedenken erklären sollte. Ihm war durchaus klar, dass sich der blonde Highlander nicht mit Nullachtfünfzehnnummern abspeisen ließ, dennoch war ihm in seiner Haut nicht übertrieben wohl. Nun suchte er den Blick des ehemaligen Geheimdienstagenten und gab offen zu: „Das hier übersteigt meine Fähigkeiten meilenweit. Saber, ich hab im Moment das Gefühl, egal was ich sage oder wie ich mich entscheide, es ist der falsche Weg. Wenn ich mich dazu entschließe, doch einzugreifen, dann sind das persönliche Beweggründe, die mir Colt dafür an den Kopf knallen wird. Bleiben wir aber untätig, kann ich mir anhören, dass ich Jesse die Möglichkeit gelassen habe, unsere Zukunft zu verändern. Der springende Punkt aber ist, dass ich mich nicht dazu in der Lage fühle, euch sicher und wohlbehalten nachhause zu bringen.“ Saber schickte gedanklich einen Fluch zu Colt hinüber. Hätte der Esel vielleicht mal fünf Minuten früher die Luft angehalten und aufgehört, Fireball schwach anzureden, dann hätte sich diese Unterhaltung hier wahrscheinlich niemals ereignet. Nun aber saß der Schotte hier und durfte ausbaden, was der Cowboy angerichtet hatte. Wie immer. Nur war es für einen Tadel von Colt eigentlich schon zu spät und so beschränkte sich Saber auf das halbe Hemd, das vor ihm auf der Couch saß und während seiner Abwesenheit augenscheinlich einen großen Teil seines Selbstvertrauens eingebüßt hatte. Saber hörte Fireball aufmerksam zu, er nickte hin und wieder, war aber immer noch nicht bereit, einfach seinen Segen für den Kuhhandel zu geben. Das konnte sich Fireball eigentlich schon seit dem ersten Satz in die Haare schmieren. Der Schotte war sich so sicher wie nie, dass ihr Captain auch dieses Hindernis überwinden würde. Und wenn er selbst Colt noch mal zur Seite nehmen musste! Leicht schmunzelte der Schotte: „Aber ich kann das, oder?“ „Im Moment ganz sicher besser als ich“, ob bittende Augen was helfen würden? Fireball glaubte zwar nicht daran, aber unversucht wollte er es auch nicht lassen. Seine größte Sorge war im Augenblick wirklich, wie er seine Freunde bloß wieder in ihre Zeit bringen sollte, ohne sie dabei noch weiter zu gefährden. Er hatte in den letzten Tagen schon gemerkt, dass er dazu nicht fähig war und dabei war es aber ruhig gewesen und nichts war passiert. April verhielt sich ihm gegenüber immer noch seltsam, auf der einen Seite wollte sie genauso gerne wie er, dass sie sich einfach nur im Arm lagen, aber auf der anderen Seite, die bei der Blondine wesentlich stärker ausgeprägt war, wollte sie ihn nur von Weitem sehen. Und Colt war alles andere als begeistert. Egal, worum es gerade ging, es brauchte nur einer von Fireballs Vorschlägen sein und Colt war automatisch dagegen. Saber hingegen hatte in den letzten Tagen mehr und mehr die Rolle des Captains angenommen und niemand hatte sich darüber beschwert. Es war eigentlich nur richtig und fair, es dabei zu belassen, wie Fireball fand. Alles andere würde zu Krach führen und damit auch potentielle Gefahr für die Freunde bedeuten. „Jetzt hör mir mal zu, Shinji“, Saber klang dabei nicht im Geringsten gereizt, eher väterlich und wie ein Berater. Saber spürte, wie sich das endlich real anfühlte und er nicht mehr dauernd glaubte, etwas liefe auf Ramrod total verkehrt. Er war ein Berater hier auf Ramrod, aber auch ein Freund. Und als solcher handelte er nun auch. Der blonde Highlander stellte seine Tasse auf den niedrigen Tisch und stand auf. Er umrundete die Sitzgarnitur und setzte sich schließlich neben Fireball auf die Lehne des Sofas. Mit ernstem Gesichtsausdruck legte er dem Hitzkopf die Hand auf die Schulter und beäugte ihn aufmerksam. Saber wusste, der junge Hikari war wie sein Vater. Daran bestand für Saber seit seinem ersten Zusammentreffen mit Captain Hikari kein Zweifel mehr. Die berufliche Zukunft von Fireball hatte Saber gesehen. Er musste nun nur den richtigen Weg einschlagen und ihn auch gehen. Saber grinste innerlich, der kleine Sturschädel brauchte nur einen Klaps in die richtige Richtung, dann würde er den Weg schon von alleine finden. Und nichts anderes machte der Schotte nun: „Du kannst mir ruhig glauben, wenn ich dir sage, dass du es kannst. Du weißt, dass sich unsere Zukunft massiv verändert hat und wir alle damit schwer zurecht kommen. Und mit wir meine ich vor allem April, Colt und mich. Dadurch, dass du mit den neuen und richtigen Erinnerungen quasi wieder zurück gekommen bist, hat sich für dich nichts verändert. Für uns aber sehr wohl. Shinji, wir hatten zum Einen plötzlich zwei ganz unterschiedliche Erinnerungen an manche Sachen und zum Anderen war es für uns vorher auch anders. Und du weißt doch, wie unser Colt auf alles reagiert, was neu ist oder sich verändert. Er sträubt sich und braucht ewig dafür. Glaub mir, in Zukunft wird wieder alles wie am Schnürchen laufen.“ Über Fireballs Gesicht huschte ein kurzes Lächeln: „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.“ Den Spruch konnte man bei Colt wirklich auf alles umwälzen. Und als hätte es Saber gewusst, hatte er Fireball damit von seinen Sorgen los geeist. Ein verschmitztes Schmunzeln war das Zeichen, dass es wieder bergauf ging. Saber nahm sich fest vor, Colt noch einmal am nächsten Morgen zur Seite zu nehmen und dem Bauern das Essen doch noch schmackhaft zu machen. Colt brauchte selbst nur ein paar rationale Worte und vielleicht half es ihm schon, wenn er mal eine Nacht darüber schlief. Apropos Schlaf. Bei dem Gedanken daran überfiel Saber die Müdigkeit. Er reckte sich, gähnte herzhaft und klopfte dem jungen Hikarispross auf die Schulter: „Lass uns schlafen gehen, morgen brüten wir mit April und Colt weiter. Die zwei haben sicher auch ein paar ganz interessante Ideen.“ Fireball nickte und stand auf. Saber hatte ihm tatsächlich einen Großteil seiner Angst nehmen können. Nur war da jetzt noch etwas anderes, das Fireball bestimmt in dieser Nacht nicht schlafen ließ, wenn er es dabei bewenden ließ. Der Pilot stapelte das Geschirr aufeinander und verließ damit den Raum: „Du hast bestimmt Recht, Säbelschwinger. Morgen Früh sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“ „Nicht schon wieder“, entfuhr es Saber beinahe erschrocken. Einmal eine komplett veränderte Welt zu sehen und damit klar kommen zu müssen, das reichte dem Schotten für die nächsten paar Leben. Sie waren gerade erst dabei, ihre veränderten Bahnen einzuschlagen und alles neu zu ordnen, da wollte Saber eigentlich nicht mehr, dass sich wieder etwas änderte. Das konnte ihm – gelinde ausgedrückt – gestohlen bleiben. Er winkte mit einem leichten Lächeln ab und verließ ebenfalls den Aufenthaltsraum. Während er den Lichtschalter betätigte, flüsterte er Fireball zu: „Mir hat einmal gelangt.“ Kopfschüttelnd, aber vor allem schmunzelnd, verabschiedeten sich die beiden Männer auf dem Flur voneinander, bevor sich ihre Wege trennten. Fireball brachte noch das Teegeschirr in die Küche und Saber suchte nach einem langen Tag sein Quartier auf. Er freute sich auf ein bisschen Schlaf und er glaubte auch zu wissen, dass er heute Nacht wieder mal tief und fest, vor allem aber beruhigt, schlafen konnte. Sukzessive lösten sich ihre internen Probleme auf, bestimmt war bald wieder alles, wie Saber es in Erinnerung hatte. Mit dem Kopf schon zuhause zog sich Saber aus und schlüpfte ins Bett. So schön es auf Ramrod auch war, alleine zu schlafen konnte manchmal den Spaß ganz schön trüben. Vor allem dann, wenn man es gewohnt war, neben jemandem einzuschlafen. Saber drehte sich schwer seufzend zur Seite und kuschelte sich in seine Bettdecke. Bald, bald waren sie wieder zuhause. Ganz sicher. Colt lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte die dunkle Decke an. Er war noch hellwach, als ihm das Zischen der Nachbartür verraten hatte, dass nun zumindest auch die anderen zwei schlafen gegangen waren. Es war ihm immer noch nicht geheuer. Aber es musste schon was an dem dran sein, was Saber an diesem Abend alles vom Stapel gelassen hatte. Colt hatte sich doch selbst in den letzten Tagen immer wieder dabei ertappt, dass er eigentlich gar nicht mehr wusste, woran er sich wirklich erinnerte und was er sich einbildete. Der Texaner schloss die Augen und konzentrierte sich. Wie war sein Leben bisher wirklich verlaufen? Er konnte sich daran erinnern, wie er mit sechzehn zum Rodeo wollte. Auch noch, dass er es dort gerade mal zwei Jahre ausgehalten hatte, weil ihm das Umhertingeln doch nicht so gefallen hatte, wie er sich das immer vorgestellt hatte. Seine Eltern waren bei seiner Abreise von den Outridern angegriffen und dabei getötet worden. Seither hegte er Groll und Hass gegen die Outrider. Aber wie war er eigentlich zu den Star Sheriffs gekommen? Dooley kam ihm in den Sinn. Er war Agent des Oberkommandos gewesen und ein exzellenter Scharfschütze. Colt hatte gegen ihn verloren, was auch keine Kunst war. Tim Dooley hatte jahrelange Erfahrung und Übung darin gehabt, er dagegen hatte lediglich oft zuhause in Texas nur rumgealbert und mit Freunden Dosen über die Weide tanzen lassen. Dooley war derjenige gewesen, der das Potential in ihm gesehen hatte und ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Jetzt fiel es Colt wieder ein! Dooley hatte ihn geschoben und gedrängt, dem Oberkommando beizutreten und sich dort ordentlich ausbilden zu lassen. Irgendwann hatte Colt schließlich nachgegeben und er war eingetreten. Untergekommen war Colt zunächst in einer internen Sondereinheit, die aus dem Wehrdienst Geflohene oder Fahnenflüchtige Kavalleristen aufspürte. Colt war dank seiner guten Spürnase, seiner Treffsicherheit und seinem unsäglichen Gespür dafür wie geschaffen gewesen. April und den Säbelschwinger hatte er bis zu seiner Einberufung zu Ramrod nur vom Sehen gekannt, die beiden hatten ihren Dienst schließlich nach Vorschrift verrichtet. Colt fuhr im Bett hoch und saß kerzengerade. Natürlich! So war das gewesen! Mit einem lauten Plumpsen ließ er sich wieder ins Bett zurückfallen und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Der kleine Buggyfahrer hatte was ausgefressen gehabt und sich dann zu allem Überfluss nicht an den auferlegten Hausarrest gehalten. Colt fragte sich immer noch, wie so einer dann auch noch Captain einer solchen Einheit wurde. Aber zumindest war er nun wieder vollkommen im Bilde. Er hatte Fireball aus der Pampa geholt! Jetzt konnte er endlich einschlafen, hätte er dieses Geheimnis nicht gelüftet, er hätte wahrscheinlich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Das war aber auch seltsam abgelaufen, damals. Er hatte schlecht geschlafen in den letzten Nächten. Obwohl er wusste, dass er nichts unversucht gelassen hatte, mit diesem Schicksal wollte er sich nun nicht mehr abfinden. Immer wieder wachte er mitten in der Nacht in seinem Zimmer auf und zerbrach sich den Kopf über die Zukunft. Es würde eine Zukunft ohne ihn sein, damit hatte sich Shinji längst abgefunden, aber auch ohne seinen Sohn. Er war nicht wieder aufgetaucht, er hatte diese Chance vertan. Kurzfristig hatte sich Shinji sogar überlegt, ob er nicht einfach wieder nachhause fahren sollte und das Übungsmanöver verschieben sollte, doch das hätte lediglich bedeutet, dass die Outrider Jarreds Königreich überrennen konnten. Shinji konnte seinem Schicksal nicht einfach davonlaufen. Und nun nahm er dafür sogar in Kauf, dass das Team der Star Sheriffs in der Zukunft anders besetzt wurde. Shinji hielt es in seinem Zimmer nicht mehr aus. Er schwang die Beine aus dem Bett und zog sich an. Der Captain brauchte endlich frische Luft. Nur mit einem Shirt und Shorts verließ er sein Zimmer und lief barfuß durch die Gänge ihrer Unterkunft. Er spürte den kalten Marmorboden unter seinen Fußsohlen. Doch das konnte ihn nicht beeindrucken. Zielstrebig verließ Shinji das Haus, nur um dann über die Parkanlage zu spazieren. Er fühlte die kantigen und eckigen Kieselsteine, das taunasse Gras, über das er lief. Immer, wenn Shinji die Gedanken plagten und er mit niemanden darüber sprechen konnte, wurde er unruhig und umtriebig. Und dieses Mal schien er gleich zu explodieren oder zu platzen. Er wusste nicht, wie lange er umhergegangen war, vielleicht hatte er Jarred einen Weg in seinen englischen Rasen getrampelt, aber das störte den Captain der Air Strike Base 1 nicht. Shinji hatte den Kopf immer noch nicht frei. Frustriert setzte sich der Japaner schließlich auf eine kunstvoll verzierte, steinerne Parkbank. Links und rechts hielten zwei Fabelwesen die Sitzfläche. Doch das war Shinji egal, und wenn er sich auf den Rücken eines Nilpferdes gesetzt hätte. Seufzend lehnte er sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und sah in den sternenklaren Nachthimmel hinauf. Selten hatte er in der letzten Zeit den Blick zu den Sternen gehoben und nun, da er es tat, glitzerten Tränen in seinen Augen. Ganz bestimmt war die Ramrodcrew in der Nähe, es war fast so, als könnte er sie spüren. Sie waren sozusagen die Rückendeckung, sollte dieser Jesse Blue versuchen, die Zukunft noch gravierender zu ändern. Shinji blinzelte und wandte den Blick von den Sternen ab. Für ihn konnte die Zukunft nicht mehr schrecklicher verändert werden, als es der fremde Angreifer bereits getan hatte. Shinji hatte von den drei Freunden erfahren, wer sein Angreifer gewesen war und weshalb er auch für das Verschwinden seines Sohnes verantwortlich war. Wie kalt musste das Herz eines Menschen nur sein, um so etwas zu tun? Shinji wischte sich verstohlen über die Augen. Obwohl er von Saber und den anderen erfahren hatte, dass er niemals etwas von seinem Sohn wissen würde, wenn alles normal verlaufen wäre, tröstete ihn das nicht. Es tröstete den Piloten nicht im Geringsten darüber hinweg, dass er den Kurzen verloren hatte. Sein Sohn wäre in seine Fußstapfen getreten und hätte sich um Ai gekümmert. Shinji ließ seine Frau nun ganz alleine zurück. Er schniefte leise und wischte sich wieder über die Augen. Er hätte sich einen Sohn wie Fireball gewünscht. Dieser Gedanke zerriss ihm das Herz in der Brust, weil er nun wusste, dass der kleine Frechdachs sein Sohn gewesen wäre. Das tat weh. Wieso nur hatte er ihm misstraut und ihn nicht beschützt? Vorwürfe nagten an Shinji. Wieso nur hatte er diesen Angriff vor über einem Monat selbst abwehren müssen? Warum nur war er nicht nachhause gegangen? Diese Fragen quälten den erfahrenen Piloten. Und weil er sie alle nur mit Pflichterfüllung beantworten konnte, wurden die Vorwürfe noch lauter. Sein Sohn könnte noch hier sein, wenn er für ihn dagewesen wäre. „Geht es dir nicht gut, Captain?“, es war König Jarred, der auf seinem morgendlichen Spaziergang einen seiner Freunde entdeckt hatte. Er hatte ihn eine Weile beobachtet, weil er ihn nicht hatte stören wollen, aber als Jarred vermehrt so etwas wie Schluchzen gehört hatte, hielt es der Monarch für besser, wenn er nach dem Rechten sah. Ihm hatte das lachende Energiebündel seit seiner Ankunft schon nicht gefallen, weil vom ansteckenden Lachen des Piloten nichts mehr zu sehen gewesen war. Nun war sich Jarred nicht sicher, ob Shinji nicht doch etwas bedrückte. Schnell wischte sich Shinji über die Augen und schniefte noch einmal, ehe er zu dem frühen Besucher aufsah und log: „Guten Morgen, eure Hoheit. Du wirst lachen, aber ich bin erkältet und zum ersten Mal seit langem hab ich Sehnsucht nach meiner Frau.“ Jarred setzte sich. „Erkältet. So so“, beinahe schon verächtlich schüttelte er den Kopf. Der Pilot konnte sagen, was er wollte, das war ganz bestimmt nicht wahr. Aber es ging ihn nichts an. Dafür sahen sich der König und Shinji zu selten. Der Monarch hatte kaum Zeit, sein Land mal einen Tag zu verlassen und der Pilot kam höchstens einmal im Jahr zu Besuch oder für ein Manöver her. Schweigend blieb er neben Shinji sitzen und betrachtete mit ihm gemeinsam den Sonnenaufgang. Shinji würde vielleicht auch das etwas helfen. Der Japaner stützte den Kopf auf beiden Händen ab und seufzte bedrückt. Auch das noch. Ihm blieb nichts erspart, aber immerhin blieb Jarred so höflich und ließ ihn trotzdem in Ruhe. Shinji starrte den großen roten Ball an, der sich wie eine Feuerkugel über den Horizont schob und die Sterne verdrängte. Ob sein Sohn den Spitznamen Fireball daher hatte? Immerhin war der Junge eine Frohnatur gewesen, die seinesgleichen gesucht hatte und sie hatte Sorgen verdrängt, so wie die Sonne die düstere Nacht. Nach Sonnenaufgang stand Shinji endlich auf. Er zwinkerte dem Monarchen entgegen: „Es wird Zeit, königliche Hoheit. Es gilt heute noch einiges zu erledigen.“ Auch Jarred erhob sich ebenfalls. Er lächelte leicht: „Nicht vor dem Frühstück, Shinji.“ Die Gedanken an den schmächtigen, aber liebenswürdigen Piloten schwächten in den nächsten Tagen nicht ab. Immer wieder mischten sie sich mit den Erinnerungen an seine geliebte Frau. Shinji brauchte keine Fotos um an seine Frau zu denken. Er schloss dazu nur die Augen, dann sah er ihr Lächeln, ihre ebenholzweiße Haut und diese wunderschönen schwarzen Augen. Seine Ai lachte immerzu. Dieses Lächeln würde er vermissen. Dabei fühlte er sich auch ein bisschen schuldig, denn Shinji wusste, in nächster Zeit würde Ai keinen Grund mehr zu lachen haben. Er würde ihr die Tränen in die wundervollen Augen treiben, sie zum Weinen bringen. Es war eine Schande. Shinji fühlte sich unglaublich schlecht deswegen, seine Ai ahnte nichts von alledem. Und sie hatte keine Gelegenheit sich von ihm zu verabschieden. Hoffentlich brach es ihr nicht das Herz. Der Captain wunderte sich immer wieder über die Gedanken, die ihm in letzter Zeit durch den Kopf jagten. Nur deswegen, weil er von seinem frühzeitigen Ende erfahren hatte, machte er sich überhaupt diese Gedanken. Er würde dem Schicksal kein Schnippchen schlagen können, das hatte er aus Sabers und auch Colts Erzählungen heraushören können. Die Outrider würden mit einer Übermacht angreifen. Sie drehte sich im Halbschlaf auf die Seite und war wieder einmal dabei wach geworden. April weckte sich seit einigen Wochen selbst immer wieder in der Nacht, einfach nur, weil sie sich von einer Seite auf die andere drehte. Schläfrig und auch grummelnd schlug sie die Augen auf. Ihr war, als wäre jemand in ihrem Zimmer. Tatsächlich blinzelte sie im Grau des dunklen Zimmers in ein anderes schlafendes Gesicht. April tat das zunächst als Einbildung ab. In den letzten Wochen war diese Einbildung, Fireball wäre bei ihr, wohl so etwas wie eine Gewohnheit geworden. Sie war einsam gewesen, in den Nächten war es naturgemäß schlimmer gewesen als am Tag. April schloss die Augen und seufzte unterdrückt. Ihr Herz projizierte Gestalten in die Nacht. Dann war es auch noch die Gestalt, die sie schon so viele Tränen gekostet hatte. Die Blondine zog sich die Decke, die bei ihrem Wendemanöver im Bett verrutscht war, wieder über die Schultern. Ihr war im All ständig zu kalt, zumindest in der Nacht. Während sie sich die Decke wieder hinaufzog, wischte sie auch über die Matratze, auf der sie sich hin und her wälzte. Dabei erschrak sie beinahe zu Tode. Sie hatte etwas berührt, was nicht aus Baumwolle war. Alarmiert öffnete April ihre Augen und setzte sich auf. Was war das? Sie rutschte etwas nach hinten weg, im ersten Moment hatte sie nichts in der Dunkelheit erkennen können. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und irgendwie hatte sie plötzlich Angst. Denn ihr schoss durch den Kopf, dass es Jesse Blue sein könnte, der sie hier heimsuchte. Sie hatte in letzter Zeit oft von dem blauhaarigen Überläufer geträumt, wie er sie angefasst hatte und besitzen wollte. Niemand war da gewesen, der ihr auf dem Fest geholfen hätte und auch, wenn sich April den schwarzen Gürtel im Judo redlich verdient hatte und eine der besten gewesen war, sie war starr vor Angst wenn sie Jesse gegenüber stand. Er war bedrohlich und strahlte für die blonde Navigatorin alles aus, wovor sie sich fürchtete. Ihre Ängste bestätigten sich allerdings nicht. Als sich ihre Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass ihre Einbildung Wirklichkeit geworden war. Fireball hatte sich neben ihrem Bett auf den Fußboden gesetzt, als sie geschlafen hatte und über ihren Schlaf gewacht. Dabei war er ganz offenbar selbst eingeschlafen, denn sein Kopf lag auf der Matratze, während er sich irgendwie so auf dem Fußboden verdreht haben musste, dass er dort sitzen konnte. Ein kleines Lächeln huschte über Aprils Lippen. Er war schon süß irgendwie, dieser Wuschelkopf. In diesem Moment überkam sie ein seltsames Gefühl. Seltsam deswegen, weil sie es so intensiv noch nie erlebt hatte. April fühlte sich glücklich, geborgen und auch zufrieden. Seine bloße Anwesenheit war der Grund dafür, das wusste April. Sie hatte Fireball schon aufgegeben, doch sie hatten noch einmal Glück gehabt und auch, wenn April den Piloten seit geraumer Zeit auf Distanz hielt, so war seine Gegenwart immer noch das einzige, was sie glücklich machte. Nun saß er zusammengekauert auf dem Fußboden und schlief. April schüttelte leicht den Kopf, sie hatte ihr Herz schon frühzeitig an ihn verloren, das wurde ihr immer mehr klar. Sie krabbelte auf allen vieren zur Bettkante nach vor und blieb vor Fireball sitzen. Zärtlich strich sie ihm die störrischen Strähnen aus der Stirn. Was er hier wohl gewollt hatte? Hier bei ihr? April wollte ihn schlafen lassen, doch ihre Neugierde siegte schließlich. Mit dem Zeigefinger strich sie über seinen Nasenrücken, sanft und zärtlich, aber doch so, dass er es spürte. Dabei flüsterte sie: „Turbo? Bist du wach?“ Fireballs Nasenrücken kräuselte sich und er zog automatisch den Kopf nach hinten, als April ihn berührt hatte. Manche Dinge beherrschte der Hobbyrennfahrer im Schlaf. Aber er schlug auch die Augen auf. Saber war nicht der einzige an Bord, der einen verdammt leichten Schlaf momentan hatte. Die gesamte Crew konnte sich diesen Schuh anziehen. Auch Colt, obwohl dieser es niemals zugeben würde. „Hm“, das gemurmelte Brummen verriet deutlich, dass er noch nicht ganz wach war. Aber immerhin blinzelte sie schon ein Paar dunkler Augen an. April schmunzelte. Plötzlich waren alle Vorkommnisse der letzten Monate weit weg, fast so, als wären sie niemals geschehen. Sie wollte nur noch bei ihm sein. Diesem Wunsch war sie näher als jemals zuvor, wie April bemerkte. Während sie ihm nun mit der Handinnenfläche über die Wange fuhr, ihn zärtlich wachstreichelte, sprach sie ihn wieder an. April wusste, dass die Holzhammermethode bei Fireball nichts brachte. Da würde er maximal zum Morgenmuffel mutieren und den ganzen Tag schlechte Laune haben. Das hatte Colt öfter als einmal schon ausgetestet und sich dabei nur die ersten fünf Minuten köstlich amüsiert. „Fireball, du bist eingeschlafen. Komm, wach auf, du Früchtchen.“ Obwohl sie nur geflüstert hatte, war ihre Stimme voller Wärme und Zärtlichkeit gewesen. Sie versuchte, ihn mit ein bisschen Necken wach zu bekommen. April wusste selbst nicht, womit es zu tun hatte oder weshalb es so war, aber seit sie nun das erste Mal in sein schlafendes Gesicht gesehen hatte, knisterte die Luft. Eine herzliche Atmosphäre hüllte die beiden ein, die Dunkelheit der Nacht schien etwas frei zu lassen, was sich im Schutze dieser vier Wände wohl fühlte. April wusste mit einer eigenartigen Gewissheit, dass die folgenden Minuten oder vielleicht sogar Stunden etwas Besonderes würden. Da war sich Ramrods Pilot noch nicht ganz so sicher. Fireball kämpfte im Augenblick noch gegen den Schlaf an, der ihn gerade erst ereilt haben musste. Er hatte das Gefühl, vor zwei Minuten erst eingeschlafen zu sein und dementsprechend fertig war er auch noch. Gähnend rieb er sich die Augen und richtete seinen Oberkörper auf. Er war zwar noch nicht übertrieben klar im Kopf, aber Aprils warme und zärtliche Geste hatte er deutlich gespürt. Oh man, jeder Knochen meldete sich und beschwerte sich mit Schmerzen beim Strecken über die unmögliche Position, in der er eingenickt war. Er nahm von seiner Umgebung noch nicht allzu viel wahr, doch die Richtung, in der er die Blondine vermutete, konnte er erahnen. Fireball streckte eine Hand nach ihr aus und murmelte: „Ich bin wach, ich bin wach. Was ist denn?“ Nun kicherte die Blondine. Er war wirklich zu süß, wenn er nicht ganz da war. April griff nach seiner ausgestreckten Hand und erklärte ihm immer noch leise kichernd: „Du bist hier eingeschlafen, Fire. Ich frage mich, was du in meinem Zimmer wolltest.“ Er spürte ihre Finger, wie sie um seine Hand fassten. Langsam wurde Fireball wach und seine Gedanken klarer. Er war zu ihr ins Zimmer geschlichen, weil er nicht hatte schlafen können. Die letzten Tage über hatte er ihre Nähe schmerzlich vermisst, sich aber eingeredet, dass er selbst Schuld war, dass sie so abweisend zu ihm war. Schließlich war auch Colts Reaktion auf ihn ähnlich ausgefallen. Nur nachdem er mit Saber noch einmal darüber gesprochen hatte, war es immer quälender geworden. Fireball und April kannten sich, seit er sich für die Karriere beim Oberkommando entschieden hatte und Aprils Vater, Commander Eagle, ihn auch schon in der Akademie unter seine Fittiche genommen hatte. Seither war April seine ständige Begleiterin gewesen und hatte alles mit ihm zusammen durchgestanden. Er hatte ihre Zurückweisung nicht deuten können und deswegen war er in ihr Zimmer geschlichen. Doch April hatte schon geschlafen. Nun saß er hier und April war endlich wach und gesprächig. Fireball stand auf, stellte aber postwendend fest, dass ihm die Füße eingeschlafen waren und so beschränkte sich der junge Japaner lediglich darauf, sein Körpergewicht von seinen Beinen zu schieben und vorerst auf dem Boden sitzen zu bleiben. Fireball verschränkte die Arme auf der Matratze, legte sein Kinn darauf und sah April mit großen, treuherzigen Augen an: „Hab dich vermisst, Süße. Ich weiß, wir hatten die letzten Wochen so unsere Schwierigkeiten, aber trotzdem mag ich dich. Es fehlt mir etwas, wenn du nicht mit mir redest oder bei mir bist.“ Ihr Herz machte einen Satz und die Blondine war froh über die Dunkelheit, die ihre Verlegenheit versteckte. Sie senkte kurz den Blick, er brachte sie ganz durcheinander, wenn er sie mit diesen braunen Augen anguckte. Dieses warme Augenpaar. Oh ja, Ai hatte keinesfalls gelogen. April sah auf und musterte Fireball. Der Besuch bei seiner Mutter war ordentlich schief gegangen. Der verbohrte Sturschädel hatte zuvor drei Jahre nicht ein Wort mit seiner Mum gewechselt, hatte es sich aber auch nicht nehmen lassen, sie zu ihrem fünfzigsten Geburtstag zu besuchen. Das Fiasko war schon zu Beginn ihres Urlaubs perfekt gewesen, als Ai seine Freunde kennen lernen musste. April hatte allerdings doch, ebenso wie Saber und Colt, einen Draht zu Ai gefunden und schlussendlich waren auch Freunde von Ai wieder nachhause gefahren. Was Ai zu erzählen hatte, das war April anfangs zu viel des Guten gewesen. Sie hatte nicht glauben können, dass Captain Hikari und sein Sohn sich wie ein Ei dem anderen gleichen sollten. Nur was Ai über die dunklen Augen hatte berichten können, das hätte April in Tokio schon blindlings unterschreiben können. Mit einem wehmütigen Lächeln vergrub April ihre Hand in seinem Nacken, legte sich dabei auf den Bauch und konnte Fireball nun auf der selben Höhe ins Gesicht schauen. Hier, in dieser verrückten Zeit, hatte sie viel gelernt. Vater und Sohn waren nicht nur aus dem selben Holz geschnitzt, April war sich mittlerweile ganz sicher, sie teilten sich eine Seele. Einen Moment lang vergaß sie, wie schwer sie sich manchmal miteinander taten, und hauchte ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. Dabei murmelte sie: „Du Esel.“ „Wieso bin ich jetzt wieder ein Esel?“, Fireball verzog schmollend das Gesicht, schob aber gleichzeitig seinen Kopf weiter in Aprils Richtung. Dieser Kuss war ihm viel zu wenig gewesen. Wenn sie ihn schon einen Esel schimpfte, dann sollte sie auch einen Grund dafür haben. Fireball griff mit einer Hand in Aprils Nacken und hielt sie so fest. Beinahe schon stürmisch neigte er den Kopf etwas zur Seite und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Danach blickte ein Paar blitzender Augen zu ihr auf und der Schelm höchstpersönlich sprach aus ihm: „Etwa deswegen?“ Kichernd schüttelte April den Kopf: „Deswegen auch, ja.“ Sie war endlich wieder fröhlich. April hatte schon geglaubt, sie könnte nie wieder lachen und dass nichts mehr einen Sinn hätte. Aber so war es nicht. Fireball war endlich wieder hier, er war wieder ein lachendes Energiebündel und das tat der Blondine unheimlich gut. Sie ließ sich fröhlich kichernd auf den Rücken nieder und winkelte die Beine an. Es befreite sie, mit Fireball alleine zu sein. Egal, was auch alles geschehen war, ihren Gefühlen tat das alles keinen Abbruch. Im Gegenteil. Sie wurden wieder intensiver und zeigten sich in ihrem losgelösten Lachen. April war zwar dabei leise, weil sie niemanden in den anderen Zimmern wecken wollte, aber sie strahlte übers ganze Gesicht. Das konnte ruhig die ganze Welt sehen und auch hören. Fireball wagte es. Er kam zu ihr ins Bett gekrochen. Ihre Fröhlichkeit und ihre Unbeschwertheit steckten den Piloten an. Er hüllte die Blondine in ihre Bettdecke ein und schmunzelte: „Genauso gefällt mir das.“ Die beiden verfielen in ein neckisches Spiel, getrieben von ihrem jugendlichen Gemüt und der Ungezwungenheit des Moments. Während Fireball seine Gefährtin immer wieder zudecken wollte und sie endlich zum Schlafen bringen wollte, kroch April immer wieder aus ihrer Bettdecke hervor und neckte den Rennfahrer. Sie wussten nicht, wie lange sie sich diesem Fangenspiel hingaben. Beide vergaßen über diesem Spaß nicht nur die Zeit, sondern auch ihre Sorgen der letzten Zeit. April rückte Fireballs Welt mit jeder Minute wieder ins richtige Licht, in die richtige Lage und auch der junge Pilot brachte Aprils Realität wieder aus dem Abgrund hervor. Die Navigatorin wich einen von Fireballs Attacken geschickt aus und streckte ihm die Zunge heraus: „Fang mich doch, wenn du kannst.“ Im nächsten Augenblick schossen zwei Hände auf April zu und packten sie an den Schultern. Ungestüm und mit zu viel Schwung hatte Fireball sie erwischt. April hatte damit nicht gerechnet, deswegen gab sie ohne Gegenwehr nach und landete postwendend auf dem Rücken. Der Pilot beugte sich über sie. Schwer atmend hob sich Aprils Brustkorb immer wieder. Plötzlich war der kindliche Spaß vorbei. April sah zu ihm auf, ihre großen Augen erkundeten seinen Körper aufmerksam. Auch Fireball spürte, dass aus dem unschuldigen Spiel Ernst geworden war. Etwas war zwischen ihnen, nur konnte der Japaner es nicht zuordnen. Seine Hände strichen über Aprils Schultern hinweg, über ihre Arme hinab und wechselten schließlich zu ihren Seiten hinüber. Fireball kniete neben der Blondine. Noch ehe er selbst verstand, was sich über die letzten Wochen und Monate schleichend entwickelt hatte und was nun passieren würde, senkte er den Kopf und küsste April. Dabei murmelte er: „Ich liebe dich, Süße.“ April erwiderte den Kuss. Zuerst nur zaghaft, dann aber ließ sie Fireball gewähren. Sie schlang ihre Arme um ihn, April wollte Fireball so nahe als möglich bei sich haben. Genießerisch schloss sie die Augen und gab sich dem hin, was da auf sie zukommen würde. Die Blondine nahm seinen Duft intensiv wahr, spürte und erforschte jeden Zentimeter seiner Haut unter ihren Händen und sie fühlte seine Wärme. Seine Berührungen jagten ihr tausende kleiner Schauer über die Haut und führten dazu, dass April alles andere vergaß. Bis auf eine Kleinigkeit, die sich in ihrem Kopf festgebissen hatte. Als sie begriff, was gleich geschehen würde, öffnete April die Augen und flehte ihn an: „Mach mich nicht zu einer von vielen. Bitte.“ Irritiert hielt Fireball inne. Er sah auf die Blondine hinab. Das Mädchen, das er so sehr begehrte und auch liebte. Sie lag unter ihm auf dem Rücken und schien gerade nicht mehr das zu wollen, was sie begonnen hatten. Fireball richtete sich leicht auf, damit er ihr offen ins Gesicht sehen konnte. Nichts wollte er lieber mit diesem engelsgleichen Wesen, als das, was er gerade begonnen hatte. Verzagt biss er sich auf die Lippen, weil er ihre Frage nicht zuordnen konnte. Er verstand sie schlicht und ergreifend nicht: „Zu einer von vielen? Wie meinst du das, Süße?“ April wagte es nicht, sich zu bewegen. Sie spürte seine forschenden Blicke auf ihr ruhen, und hörte seine verwirrte Stimme. Er verstand sie wirklich nicht. Mit zittrigen Fingern, weil April durchaus gefallen hatte, was sie taten, streichelte sie über seine nackte Brust. April schloss einen Moment lang die Augen. Sie wünschte sich so sehr, dass die Antwort von Fireball sie nicht enttäuschte. Doch er war in der Ausbildung schon ein Mädchenschwarm gewesen und von so vielen Mädchen und auch Freundinnen hatte sie gehört, dass er wie alle anderen eine Liste führte. Sie hatte Angst, dass Fireball im Endeffekt nicht anders als Jesse war. Es würde ihr das Herz brechen, aber sie wollte sich nicht auf einer endlosen Liste von Telefonnummern wieder finden. Nicht nur, weil sie zusammen arbeiteten, sondern auch und vor allem deswegen, weil sie ihn liebte und es nicht verkraften würde, wenn er sie nur einmal flachlegte und sie dann keines Blickes mehr würdigen würde. Er war etwas Besonderes für sie, sie wollte so etwas auch für ihn sein. Aber sie war sich nicht sicher. April hatte Angst, ihn gleich von sich schieben zu müssen, fand sich aber innerlich auch schon damit ab. In der Küche war es ja auch ähnlich gelaufen. „Ich möchte nicht zu einer von unzähligen Telefonnummern aus deinem schwarzen Buch werden. Bitte tu mir das nicht an.“ Fireball war bereits im Begriff gewesen, April irritiert loszulassen, doch dann erkannte er, dass das das Falsche wäre. Sie bangte um seine Zuneigung, und selbst wenn ihn ihre Worte nun durcheinanderwirbelten, so durfte er sie nicht einfach loslassen. Fireball beugte sich zu ihr hinab, kuschelte sich zu der Blondine und nahm sie in eine beschützende, liebevolle Umarmung. Niemals hätte er sie belügen können. Weswegen er ihr nun behutsam, vor allem aber ehrlich, die Bedenken nehmen wollte: „Ich habe doch gar kein solches Büchlein. Und selbst wenn, dann wäre es leer“, Fireball drängte sich noch näher an Aprils Körper und flüsterte: „Du bist die einzige für mich und ganz bestimmt nicht eine von vielen. Süße, glaub mir bitte.“ Erleichtert drehte sich April in seine zärtliche Umarmung und zu ihm herum. Sie drängte sich ebenfalls an seinen Körper, wollte ihn so nahe wie möglich bei sich haben. In diesem Moment glaubte April ihm und dachte nicht an später. April gab sich ihren Gefühlen für den Wuschelkopf hin. Kapitel 11: alles neu und doch alles beim Alten ----------------------------------------------- Ferien beflügeln, hab ich mir sagen lassen und deshalb kommt hier ein kleines Stückchen. Wir nähern uns der Zielgeraden ^^ Seit langem saßen die vier wieder einmal gemeinsam beim Frühstückstisch und die Stimmung war nicht angespannt. April und Fireball waren in einer innigen Umarmung irgendwann in der Nacht eingeschlafen und dennoch relativ zeitig wieder wach geworden. Sie hatten den anderen beiden ein leckeres Frühstück gezaubert. Saber war bald nach ihnen aufgestanden und schon, als er die Beine aus dem Bett geschwungen hatte, hatte er gespürt, dass an diesem Tag etwas in der Luft lag. Er hatte nicht sagen können, was es tatsächlich war oder ob ihm seine Nerven mal einen Streich spielten, aber er glaubte nicht, dass es etwas mit dem Angriff der Outrider zu tun hatte. Darauf waren sie vorbereitet und durch die Geschichtsaufzeichnungen mehr als genügend informiert. Es musste etwas anderes sein. Auch Colt hatte bald an den Tisch in der Küche gefunden und nachdem auch er endlich voll im Bilde war, was Erinnerung und was Humbug war, gestaltete sich das Frühstück ausnahmsweise nicht wie ein Tanz auf heißen Kohlen. Während Colt alles in sich hinein schaufelte, was er an dem reich gedeckten Tisch an ungesundem Essen finden konnte, brachte Saber die Blondine auf den neuesten Stand der Dinge und weihte sie in ihre Pläne ein. Der Cowboy war dabei allerdings voll aufmerksam, auch wenn er vor sich hin schmatzte. Mitreden konnte und wollte er gerade noch nicht, dafür brauchte er noch fünf Minuten, um endlich auch verbal wach zu sein. Mit ihr gemeinsam grübelten Saber und Fireball an ihren Strategien vom Vorabend weiter. Alle vier waren sich einig und wussten, was zu tun war. Nur eine Sache galt es noch zu klären und ohne die würde Ramrod sich überhaupt nicht vom Fleck bewegen. Fireball stellte seine Tasse auf dem Tisch ab und sah einmal in die Runde. Saber nickte kaum merklich, er wusste nur zu gut, was nun kommen würde und er unterstützte Fireball damit in seinem Tun. Notfalls auch verbal. Es war wichtig, dass dieses Thema nun noch einmal auf den Tisch kam und dann aber endgültig ad acta gelegt wurde. April beobachtete ihn aufmerksam. Sie konnte ahnen, was dem Japaner noch auf der Seele brannte. Der Cowboy hätte sich am liebsten hinter seinem Hut verschanzt. Denn auch der hatte zumindest eine wage Vorstellung von den folgenden Minuten und so ganz wohl war ihm dabei nicht. Colt hatte das, was man gewöhnlich ein schlechtes Gewissen nannte und er wusste selbst, dass das auch nicht von ungefähr kam. Sein schlechtes Gewissen war ganz zu recht da und wenn er den Krümel rechts von sich betrachtete, würde er wohl anfangen müssen. Er wollte es hinter sich bringen. „Okay, Kurzer, hör mir mal einen Moment zu. Öhm“, er kratzte sich wieder am Hinterkopf, während er nach den richtigen Worten, vor allem aber nach guten Argumenten suchte: „Ich wär dir echt dankbar, wenn du mich nicht den Outridern zum Fraß vorwirfst. Mir sind in der Nacht ein paar Sachen wieder eingefallen. Was ich aber immer noch nicht weiß ist, welchen Befehl du in der Akademie eigentlich verweigert hast. Ich mein, mal ganz abgesehen davon, dass du ein ganz ganz toller Keks bist und auch noch fliegen kannst wie kein anderer, ein bisschen grün hinter den Ohren find ich dich immer noch.“ Saber musste sich die Hand vor den Mund halten und seine Tasse so schnell wie möglich auf dem Tisch abstellen, beinahe hätte er den Kaffee wieder ausgespuckt. Die Fontäne hätte er seinem Gegenüber gern erspart. Also hielt Saber die Luft an, versuchte schon fast panisch sich wieder zu beruhigen und bloß nicht zu lachen. Der Schotte hätte losbrüllen können, aber erstens war er an und für sich ein gut erzogener Mensch und zweitens hatte Colt noch nie eine Entschuldigung so präzise und ehrlich formuliert, wie eben. Den Punkt musste er Colt gönnen. April blickte aus den Augenwinkeln zu Fireball hinüber. Nach den verbalen Tiefschlägen der letzten Zeit hatte die blonde Navigatorin ehrliche Bedenken, dass die Entschuldigung richtig angekommen war. Sie hatte Angst, dass Fireball das als Anfeindung aufnehmen könnte, auch wenn es gar keine war. Aber der Pilot schüttelte leicht lächelnd den Kopf. Er verschränkte die Arme vor der Brust und senkte kurz sein Haupt. Es sah aus, als würde er Colt gleich tadeln. Als er auch noch begann, wollte sich Colt hinter seine Tasse verschanzen: „Zwei Dinge, Colt“, dabei sah er wieder zu seinen Freunden auf, sein Lächeln war ihm immer noch nicht vergangen. Fireball zeigte mit der rechten Hand eine Zwei und zählte dem Kuhhirten, aber auch ein wenig für April und Saber, auf: „Gewöhn dir das Kurzer bitte wieder ab. Ich möchte das nie wieder hören müssen. Und zweitens: Derjenige, der sich hier entschuldigen muss, bin einzig und allein ich. Ich hätte nicht auf meine Position pochen dürfen. Dass du da allergisch reagierst, hätte ich wissen müssen.“ Da fiel Colt doch glatt das Buttermesser aus der Hand, so erstaunt war er nun. Der Mund stand ihm sperrangelweit offen und die Augen wurden groß wie zwei ausgewachsene Unterteller. Die Fragezeichen über seiner Stirn konnten die Freunde förmlich in Neonfarben leuchten sehen. Saber hatte es Gott sei Dank vor diesem Gesichtsausdruck noch geschafft, endlich seinen Kaffee hinunter zu schlucken, denn ansonsten wäre das bräunliche Getränk jetzt über den ganzen Tisch verteilt. Ganz ungeniert fing Saber zu grinsen und in weiterer Folge auch zu kichern an. Das war in der Luft gelegen, da war sich der Schotte ganz sicher. Alle hatten ihren Platz in ihrer veränderten Zeit gefunden und auch akzeptiert. Saber fiel ein richtiger Felsbrocken vom Herzen. Mit diesen Vorzeichen würden sie ihre Heimreise ohne weiteres antreten können und auch wieder gut daheim ankommen. Dem blonden Highlander blieb nur noch eines übrig: „Ihr habt euch beide entschuldigen müssen. So sehe ich das. Ein bisschen mehr Rücksicht würde euch beiden Dickköpfen manchmal ganz gut tun.“ Colt warf sein halbes Brötchen nach Saber, lachte dabei aber lauthals: „Und dir würd’s mal nicht schaden, wenn du deinen vornehmen, blaubärtigen Schnabel hältst und dich nicht überall einmischt. Drageekeksi und ich wissen schon ganz genau, was wir machen.“ April stöhnte leise auf und ließ sich vornüber mit dem Kopf auf die Tischplatte nieder. Und trotzdem musste sie lachen. Die drei Männer befetzten sich schon in aller Herrgottsfrühe und lachten dabei auch noch. Die Blondine war begeistert. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft hier war alles locker und ungezwungen. Es war ein beruhigendes und gleichzeitig befreiendes Gefühl, die Freundschaft untereinander wieder so deutlich zu spüren. Sie würden es nachhause schaffen, ganz bestimmt. „Drageekeski? Ich glaub, bei dir piepst’s im Oberstübchen!“, Fireball sah Colt mit großen, verständnislosen Augen an. Der Kerl da kam doch immer wieder auf die blödesten Spitz- und Kosenamen, die das Neue Grenzland jemals gehört hatte. Der Pilot sah sich und seine Freunde bereits in Yuma ankommen und das erste, was Colt zu Commander Eagle sagen würde, war bestimmt irgend so ein Spruch über Dragees, Kekse und vielleicht noch Schoko. Eagle würde sie auf der Stelle einweisen lassen, aber hundertprozentig. Colt lehnte sich zurück, Saber war mit dem Brötchen, das er genau auf die Zwölf bekommen hatte, vorerst genug bestraft. Nun würde er sich um die freche, kleine Kröte kümmern. Dabei rieb sich der Cowboy im Gedanken schon eifrig beide Hände. Darauf freute er sich diebisch, denn ganz sicher konnte er nun keinen Fettnapf mehr erwischen. Der Kuhhirte riskierte einen Blick auf seinen Teller, ganz unschuldig und ruhig, dann wandte er sich an Fireball: „Was passt dir an Drageekeksen nicht? Die sind klein, niedlich und mit einem Haps weg. Genau wie du!“ Fireball nahm die Herausforderung ohne zu zögern an. Er konterte: „Hör mal. Niedlich ist der Specht, der dir da wohl ganz offensichtlich von innen gegen die Schädeldecke klopft. Und der fühlt sich da auch noch heimisch.“ „Hab nie was anderes behauptet!“, lachte Colt hell auf. Oh ja, das waren Frühstücksgespräche wie sie der Cowboy liebte. Er warf den beiden Unbeteiligten einen kurzen Blick zu und machte dann munter dort weiter, wo er noch gar nicht richtig angefangen hatte. Noch ein Spruch musste auf die Schnelle her und deswegen wühlte er noch mal in der Keksdose: „Hey, was soll ich machen? Butterkeks bist du keiner, ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass du zweiundfünfzig Zähne hättest. Okay, ja, groß genug wär deine Klappe dafür, aber das trau ich dir dann auch wieder nicht zu. Die Milka Schoko und Keks Tafel wirst du erst, wenn du dich mit einem süßen Püppchen zusammentust und Vollkornkeks bist du erst recht keiner. Wenn dir das Drageekeksi nicht passt, können wir noch immer ein Reiswafferl aus dir machen.“ „Lieber einen Reispuffer.“ Der Zwischenruf kam von April. Sie lächelte dabei verschmitzt und strahlte ihre Mannen an. Es war einfach zu herrlich. Das hatte sie vermisst. Nur hätte sie gewusst, was Colt darauf einfiel, sie hätte sich die kalorienarme Variante von Keksen garantiert verkniffen. Die Augen des Cowboys flogen über die drei Freunde und versuchten auf die Schnelle auszumachen, wie weit er bei ihnen noch gehen durfte. Nachdem aus allen drei Augenpaaren der Schalk lachte, ließ er seinem Mundwerk freien Lauf. Das saß an diesem Morgen verdächtig locker und wenn April ihm schon eine solche einladende Vorlage schenkte, musste er sie mit einem zweideutigen Lächeln doch wieder zurückspielen. Colt grinste also nun zwischen April und Fireball hin und her, hielt sich mit den Händen an der Tischkante fest und drückte den Oberkörper nach hinten. Skeptisch blitzten seine Augen immer wieder auf, der Gag würde ein Knaller werden, da verwettete er seinen Hut drauf. Wie die Unschuld vom Lande klopfte er seinen Spruch nun raus: „Ah, verstehe. Du hast Angst, dass man von Keksen mit Schokoladeüberzug einen dicken Bauch bekommt und aufgeht, wie ein Hefekloß. Da kann ich dir nur eins sagen, herzallerliebste April. Das kann dir auch mit einem leichten Reispuffer blühen, wenn du nicht vorsichtig bist.“ Entsetzt starrten sich April und besagter Reispuffer einen Moment lang an, bis sie sich stillschweigend dazu entschieden, einfach lauthals loszulachen. Das war doch wieder typisch Colt gewesen. Auch Saber stimmte in das muntere Gelächter ein, denn Lachen vertrieb bekanntlich Sorgen. Solange hier niemand an die erste Schlacht gegen die Outrider dachte, würden sie ihre freie Zeit genießen. Das war Saber im Moment wichtig. Deswegen stimmte er auch noch in Colts dämlichen Spruch ein: „Wobei ich mir gerade nicht ganz sicher bin, ob ein Schokoüberzug nicht eher eine schützende Funktion erfüllt.“ Robin hatte er die traurige Mitteilung als erste gemacht. Es war eine Tortur für den Witwer gewesen, der schwangeren Lehrerin die Nachricht vom Tod des Kindsvaters zu überbringen. Tapfer hatte sie versucht, neben ihrem kleinen Bruder Josh keine Träne zu vergießen, doch im Endeffekt war sie auf einen Stuhl gesunken und hatte Rotz und Wasser geheult. Charles war so lange bei ihr geblieben, wie er konnte. Immer wieder hatte er schon Beistand gegeben, wenn ein tapferer Soldat sein Leben im Kampf gegen das Böse verloren hatte. Doch dieses Mal war es anders. Er hatte die vier Helden persönlich gut gekannt, einer davon war seine Tochter gewesen. Der Commander hielt mit Tränen in den Augen Robin im Arm. Er versprach, für sie und Josh da zu sein. Er wusste, dass die Lehrerin und ihr kleiner Bruder keine Verwandten mehr hatten. Er würde Robin in jeder erdenklichen Situation beistehen. Seine tapfere, große Schwester weinen zu sehen, war zu viel für den halbstarken Josh gewesen. Spätestens da wusste der vierzehnjährige, dass es ernst war. Als er endlich mitbekommen hatte, was geschehen war und dass Colt nicht mehr zu ihnen nachhause kommen würde, hatte auch er sich in die Arme des Commanders geworfen und hemmungslos zu weinen begonnen. Sabers Freundin hatte ähnlich reagiert. Auch da war es Charles alles andere als leicht gefallen, denn immerhin war die Freundin des Schotten seine Nichte June. Die Tochter seines Bruders hatte im Laufe der Zeit schon einiges mitgemacht, Wayde war vor einigen Jahren erschossen worden und hatte als Erbe für seine Tochter geheime Koordinaten eines Outriderstützpunktes überlassen. Von diesem Tag hatte sich June geschworen, mit dem Oberkommando nichts mehr zu tun zu haben. Bis sie Saber kennen gelernt hatte. Dieses Glück hatte viel zu kurz nur gewährt, der Schotte und Eagles Nichte waren erst ein paar Monate vor dieser Mission zusammengezogen und hatten angefangen, sich eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Nun hatte June Saber verloren und in April nicht nur ihre Cousine, sondern ihre Freundin. Charles hasste sich dafür und nach dem Besuch in den schottischen Highlands, bei Sabers Eltern, wollte er die Angehörigen von Fireball gar nicht mehr aufsuchen. Es tat in der Seele weh, der Überbringer solcher Nachrichten zu sein. Gerade jetzt. Das Oberkommando hatte alles Mögliche versucht, um die vier noch nicht für tot erklären zu müssen, doch nach spätestens einem halben Jahr waren ihnen die Hände gebunden gewesen. Charles hätte sich gewünscht, die Gedenkfeier noch abwarten zu können, doch nun musste er allen Angehörigen einen Monat davor mitteilen, dass ihre Freunde, Väter und Kinder nie von einer Mission zurückgekehrt waren. Nicht nur, dass sie nun der Toten von vor zwanzig Jahren gedenken würden, sie würden am selben Tag auch ein Grabmal für die Crew von Ramrod errichten und sie in allen Ehren zu Grabe tragen. Schweren Herzens war Charles doch noch nach Japan aufgebrochen. Es hätte nichts geholfen und den Sohn von Ai und Shinji hätte es auch nicht wieder zurückgebracht. Der Commander war seit jeher die Verbindung zwischen Fireball und seiner Mutter gewesen. Charles stand vor der Adresse, die in den Akten hinterlegt worden war. Er sah an der Hausmauer empor. Klein fühlte er sich und dennoch glaubte er, das Gewicht der ganzen Welt würde auf seinen Schultern lasten. Erinnerungen stiegen in ihm empor. Es war gar nicht so lange her, da hatte er den kleinen Wildfang von Ai unter seine Fittiche genommen. Charles hatte Fireball seit Eintritt in die Akademie unter die Arme gegriffen. Sein Name hatte ihm immer wieder Vorurteile und Neid eingebracht. Der Sturkopf, den er eindeutig von seinem Vater geerbt hatte, hatte dann noch sein Übriges dazu beigetragen. Von vielen Ausbildern war Fireball ungerecht behandelt worden, aber bestimmt hätte er sich auch ohne die Hilfe von Commander Eagle überall durchgesetzt. Hinterrücks hatte der Commander in regelmäßigen Abständen mit Fireballs Mutter telefoniert und sie auf dem neuesten Stand gehalten. Wie ein Vater war er Fireball auch beigestanden, als dieser endlich das Vertrauen in ihn gefasst hatte und ihm bei einem Überraschungsbesuch in seinem Büro davon erzählt hatte, dass Ai wegen seiner Berufswahl kein Wort mehr mit ihm wechselte. Nun stand der Kommandant der Sektion West vor der Wohnungstür und wünschte sich still seine Frau an seine Seite zurück. Er vermisste May jeden Tag, aber in Momenten wie diesen, oder den vergangenen Monaten mehr noch als sonst. Seit April und ihre Freunde spurlos bei einem Routineangriff verschwunden waren und nicht auffindbar waren, hatte Charles keine ruhige Nacht mehr verbracht. Gerade eben kam es ihm so vor, wie vor zwanzig Jahren, als er Ai von Shinjis Tod erzählen musste. Charles klopfte vorsichtig an der Tür, Ai würde ihn verwünschen, mit hunderten uralten Flüchen belegen, das wusste er bereits jetzt. Nervös und mit einem schlechten Gefühl wartete er darauf, dass jemand öffnete. Ai steckte tatsächlich kurz darauf den Kopf durch die Tür und sah verwundert zu ihrem alten Freund auf. Sie hatten sich lange nicht gesehen, in der letzten Zeit auch selten gehört. Charles meldete sich sonst in regelmäßigen Abständen bei Ai und hielt sie auf dem Laufenden, was ihr Sorgenkind betraf. Überrascht strich sich die Japanerin die Haare hinter die Ohren und lugte vorsichtig an Charles vorbei. War er wirklich alleine gekommen? Ai umarmte Charles kurz aber herzlich, ehe sie ihn fragend ansah: „Hast du meinen Shinji gar nicht mitgebracht?“ Er schluckte hart und hoffte, dass man seine Tränen in den Augen nicht sehen konnte. Vorsichtig tastete sich der Commander nach vor und fragte Ai erst einmal höflich, ob sie ein bisschen Zeit für ihn übrig hätte. Doch der Argwohn war auch bei Ai angeboren und nachdem Charles sie noch nie in Japan besucht hatte, kam ihr das alles höchst spanisch und verdächtig vor. Zudem hatte sie von dem Witwer schon länger nichts mehr gehört, wusste eigentlich gar nicht, wo ihr Sohn mit seinen Freunden gerade herum schwirrte. Das behagte Ai ganz und gar nicht. Irgendwas war da faul. Grausame Erinnerungen kamen in ihr hoch. Hatte das alles etwa zu bedeuten, dass…? Nein! Ai blieb bei dem Gedanken daran, dass ihre fürchterlichsten Alpträume Wirklichkeit geworden waren, das Herz stehen. Charles konnte sie nicht länger ansehen. Er trat ein, schloss die Wohnungstür hinter sich und nahm Ai in eine schützende Umarmung. Stimmlos bestätigte er, was ihre Augen ausgedrückt hatten: „Die vier sind von einer Mission nicht mehr zurückgekommen. Es tut mir so leid, Ai. Es tut mir so leid.“ Ai klammerte sich an Charles fest. Sie konnte ihre Tränen keinen Augenblick länger mehr zurückhalten. Shinji war von ihr gegangen! Dieses Mal für immer. Die zierliche Japanerin zitterte und schluchzte, schon wieder hatte sie das Liebste für sie auf dieser Welt verloren. In diesem Augenblick war es auch mit Charles vorbei. Er hielt sich an Ai fest und weinte ebenfalls stumme Tränen. Zum ersten Mal, seit er vom Verschwinden der Kinder erfahren hatte. Jetzt erst hatte er verstanden, dass seine Tochter gestorben war. Es hatte bis eben gebraucht, um in sein Bewusstsein vorzudringen. Wie viel mehr Leid konnten die Outrider noch über ihn bringen? Der Commander schmiegte den Kopf an Ais Schulter und brachte kaum noch hervor: „Wir tragen sie nächste Woche zu Grabe. Nur Familie und Angehörige. Nächsten Monat findet mit der Gedenkfeier auch die offizielle Beerdigung der vier statt.“ „Du träumst heute auch vor dich hin, Captain“, Emilio, einer seiner besten Piloten, riss Shinji aus den Gedanken. Verwirrt blinzelte er in dessen Gesicht. Emilio schüttelte den Kopf und klopfte Shinji aufmunternd auf die Schulter. Der Captain war seit Tagen schon unkonzentriert und in Gedanken, das wollte dem Brasilianer nicht recht gefallen. Er hatte gemerkt, was Shinji seit dem Angriff alles gearbeitet hatte, manchmal hatte er ihn Berichte aufarbeiten sehen, die erst nach ihrer Rückkehr nach Yuma fällig waren und Shinji war eigentlich immer jemand gewesen, der sich den Papierkram bis zur letzten Minute aufbehalten hatte. Überhaupt war ihr Staffeloberhaupt seltsam geworden, seit der kleine Zwilling von ihm aufgetaucht war. So plötzlich, wie Shinichi aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden gewesen. Shinji drehte sich von seinem Jet weg und wandte sich an den dunkelhaarigen Brasilianer. Etwas ertappt fühlte er sich, denn er hatte seine Staffel nicht merken lassen wollen, dass etwas faul war. Jarred hatte es bereits gemerkt, Emilio nun auch und dabei hatte er niemanden beunruhigen wollen. Der Captain lehnte sich gegen seine Maschine und senkte den Kopf. Er linste auf seine Uhr, aber er wollte nicht nachsehen, wie spät es war, sondern welches Datum sie hatten. Unweigerlich schluckte Shinji. Es war bald so weit. Schmunzelnd hob er den Blick wieder und stieg auf den freundlichen Spruch ein: „Träumen ist manchmal ganz schön. Auch am helllichten Tag.“ „Das glaub ich gern. Träumen erhält die Hoffnung“, Emilio lächelte leicht. Auch er lehnte sich gegen den Jet des Captains. Dabei musterte er sein Staffeloberhaupt. Es war nicht immer einfach mit ihm, denn wenn er wollte, konnte er cholerisch und laut werden. Aber in diesem Fall war er schon seit Tagen ruhig. Etwas zu ruhig vielleicht schon, wie Emilio fand. Der Pilot drehte den Kopf zu seinem Gesprächspartner. Dieses Mal klopfte er Emilio auf die Schulter und zog ihn auf: „Worauf hoffst du denn, Milo?“ Milo war das Kürzel für Emilio und kam von Shinji immer dann, wenn etwas nicht so ernst gemeint war. Der Captain hoffte, dass es seinem Kumpel verdeutlichte, es wäre alles in Ordnung. Die beiden verstanden sich gut, auch wenn Shinji den Captain das ein oder andere Mal raushängen ließ. Er musste das manchmal, vor allem dann, wenn alle anderen dachten, sie könnten die Regeln ein bisschen überdehnen. Und da bedeutete mit gehangen gleichzeitig auch mit gefangen. Shinji machte niemals eine Ausnahme, egal wie gerne er es auch würde. Deswegen war die Air Strike Base 1 auch die beste Eliteflugstaffel im Oberkommando. Sie hielten es wie die alten Musketiere. Einer für alle und alle für einen. Dies würde Shinji bei der bevorstehenden Schlacht unter Beweis stellen. Emilio schüttelte lächelnd den Kopf. Oh, es gab so vieles, auf das man hoffen musste. Und im Moment gab es für den gebräunten Brasilianer nur eines, worauf er hoffte. Emilio legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel hinauf: „In erster Linie mal darauf, dass das Manöver bald vorbei ist. Und dann hoffe ich darauf, dass ich meinen Junior groß bekomme.“ Auch Shinji legte nun den Kopf in den Nacken und sah in den strahlend blauen Himmel hinauf. Er konnte die drohenden Schatten bereits ganz deutlich fühlen, doch noch deutete nichts auf das Schicksal seiner Staffel hin. Shinji wollte so viele als möglich retten, vor allem Familienväter wie Emilio. Kein Kind sollte ohne seinen Vater aufwachsen, denn der Captain hatte gesehen, welche Verbitterung sein eigener Sohn darüber in sich trug. Shinji schloss die Augen. Er würde nie einen Sohn geschenkt bekommen, Shinji hatte seine Chance bereits vertan. Er sah zu Emilio hinüber: „Du kriegst Martin schon groß, ganz bestimmt. Der kleine Racker entwickelt sich doch prächtig.“ „Ja, fünf Jahre alt aber reden wie ein Großer“, Emilio lachte auf. Sein kleiner Racker war ein ganz besonderes Kind. Aber das dachten wohl alle Eltern von ihren Fratzen. Shinji und Emilio stießen sich vom Jet ab und spazierten gemeinsam zu ihren Unterkünften zurück. Die beiden unterhielten sich noch ausführlich über ihre Hoffnungen, Wünsche und Träume. Es kam Shinji seltsam vor, doch er hatte nichts mehr zu verlieren. Vieles würde unerfüllt bleiben, doch das musste Emilio nicht zwangsläufig wissen. „Wie ging der Spruch noch gleich? Schlimmer geht immer“, Colt murmelte mehr zu sich selbst, als dass er mit seinen Freunden auf Ramrod sprach. Er hatte in seinen Helm gemurmelt, als er die Hölle vor ihren Augen losbrechen sah. Eine unbändige Horde Outrider sammelte sich, so wie es die Geschichtsaufzeichnungen vorher gesagt hatten, an diversen Stellen vor dem Planeten Jarr. Es war eine unzählige Übermacht, selbst Ramrod hätte alleine gegen diese Flotte schlechte Karten. Colts Nerven waren zum Zerreißen gespannt und da war er garantiert auf diesem Schlachtschiff nicht der einzige. Er brauchte nur einen Blick durch die Brücke zu werfen, auf seine Freunde. Alle hatten vorsorglich ihre Rüstungen angelegt, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. April, in ihrem pinkfarbenen Kampfanzug, hielt sich hin und wieder eine Hand mit gespreizten Fingern vor die Augen und blinzelte auf ihre Kontrollen hindurch. Es sah aus, als würde sie einen Horrorfilm sehen und sich dabei zu Tode fürchten. Manchmal tippte sie Befehle in ihre Tastatur, sie korrigierte somit still und heimlich den Kurs, und kontrollierte immer wieder ihre letzten Berechnungen für ihre Heimreise. Es war der Blondine nicht geheuer. Als kleines Mädchen hatte sie nachts oft schon Alpträume von den Geschichten ihres Vaters gehabt, der ihr voller Leidenschaft und Mitgefühl für die gefallenen Kameraden immer wieder vor dem zu Bett gehen vom ersten Angriff der Outrider in ihrer Dimension erzählt hatte. Heute würde sich weisen, ob ihre Fantasie die Wirklichkeit schlagen konnte. Colt blickte geradewegs durch die mittlere Satteleinheit zu Saber hinüber. Der täuschte rege Betriebsamkeit vor, indem er Befehle in den Computer eingab und manche Dinge abfragte. Saber wollte nichts dem Zufall überlassen. Das letzte Mal hätte der Zufall sie fast den Piloten gekostet, auch wenn das für den völlig schmerzfrei gewesen war, für die verbliebenen Crewmitglieder war das alles andere als spaßig gewesen. Im fünf Minuten Takt aktualisierte Saber die Geschichtsdaten zur entscheidenden ersten Schlacht, nur um sicher zu gehen, dass sich nichts änderte. Hin und wieder hob er dabei auch den Blick nach draußen. Die Feinde sammelten sich. Zu gerne hätte Saber ein Notrufsignal ans Oberkommando Yuma abgesetzt, aber er wagte es nicht. Die Freunde waren sich einig gewesen, nicht einzugreifen. Daran hatte sich auch Saber zu halten. Manchmal hasste er sich selbst für seine sagenhaft genialen Ideen. Auch der Pilot von Ramrod hatte bereits seine Rüstung und den Helm angezogen. Fireball war der einzige, der totale Ruhe nach außen hin ausstrahlte. Zumindest kam es Colt so vor. Von dem Heißsporn hatte man seit dem Kommando „Wir werden nicht eingreifen.“ nichts mehr vernommen. Tatsächlich allerdings war Fireball einfach nur von dem Anblick gelähmt. Diese Übermacht, mit der die Outrider angreifen würden, sie war nicht zu überwinden. Gebannt starrte Fireball auf das Flaggschiff der Outrider. Nemesis. April durchbrach die gespenstische Stille, die auf dem Friedenswächter entstanden war, indem sie etwas für die drei Herren der Schöpfung auf den Hauptmonitor legte und dazu erklärte: „Unser Energielieferant ist auch gerade angekommen. Er versteckt sich hinter dem Asteroiden.“ „Darf ich ihn kalt machen? Och, bitte“, Colt setzte seine unschuldigsten Kuhaugen auf und das erbärmlichste Gesicht, das er auf die Schnelle aus dem Ärmel zaubern konnte. Er wollte Jesse eins vor den Latz knallen. Dem Scherzkeks hatten sie es schließlich zu verdanken, dass sie überhaupt hier gelandet waren! Außerdem hatte Colt noch ein persönliches Hühnchen mit ihm zu rupfen. Wegen Jesse war Colt hier zum Däumchen drehen verdonnert worden, mittlerweile seit mehr als einem halben Jahr. Colt hatte die Faxen dicke. Jesse würde sich noch wünschen, er wäre niemals hier aufgetaucht. Während Fireball nur schwach den Kopf schüttelte, verlieh Saber diesem Befehl Stimme: „Wir schnappen uns Jesse, wenn die Schlacht ausgebrochen ist. Wir dürfen uns im Augenblick nicht verraten, das weißt du genauso gut wie wir auch, Colt. Schraub deinen Spieltrieb bitte solange auf ein Minimum herunter.“ Der Cowboy zog unter seinem Helm eine Schnute, wollte Saber sogar die Zunge rausstrecken, aber so viel Platz hatte er unter seiner Kopfbedeckung dann auch wieder nicht. So schnaubte er nur einmal verächtlich und brummte: „Ein Keks hätte mir gereicht!“ Sofort schaltete sich auch April wieder dazwischen. Sie konnte nicht mehr stumm sitzen bleiben und das alles nur beobachten. Sie war Star Sheriff. Es setzte ihr mehr zu, nicht eingreifen zu dürfen als gegen eine Übermacht ankämpfen zu müssen. Sie musste sich irgendwie ablenken, und so kam ihr Colts kindisches Verhalten gerade Recht. April nörgelte Colt an: „Würdest du dich mal benehmen, wie man es von einem Scharfschützen erwarten kann, dann bräuchten wir nicht zwei Captains, die dich bremsen, Viehtreiber.“ „Geht das schon wieder los?“, Saber verdrehte genervt die Augen, war aber gleichzeitig dankbar für die Ablenkung. Nur sollten die Freunde darauf achten, dass sie nicht von einem belastenden Thema zum nächsten schlidderten. Das taten sie aber gerade. Saber versuchte deshalb, das ganze Geplänkel in eine witzigere Richtung zu lenken. Er beschwerte sich halbherzig: „Lasst endlich die verdammte Keksdose zu. Mir wird mittlerweile schon übel, wenn ich nur was davon höre. Ich sattle demnächst nur noch auf Chips um.“ Jarreds panischen Gesichtsausdruck hatte Shinji sofort zu deuten gewusst. Das Schicksal wartete nicht länger auf ihn. Yama, der japanische Gott des Todes, er würde ihn heute holen. Nachdem ihm Jarred kurz geschildert hatte, was sie auf den Bildschirmen hatten sehen können, was ihnen dieser schreckliche Phantomboss angedroht hatte, trommelte der Captain auch schon seine Mannschaft zusammen. Sie mussten los und durften keine Zeit mehr verlieren. Es blieb keine Zeit – das Kavallerie Oberkommando konnte doch nicht helfen. Der erfahrene Pilot führte seine Staffel an. Er geleitete sie ins All, gab ihnen immer wieder Befehle und Anweisungen. Für den atemberaubenden Blick auf den Planten Jarr hatten sie kein Auge. Schnell hatte Shinji gesehen, dass seine und die Staffel von König Jarred alleine kaum in der Lage sein würden, diesen fremden Angreifern Herr zu werden. Er hatte sich deshalb schnell eine Hinhaltetaktik überlegt, immer noch darauf bedacht, so viele Kameraden und Freunde lebend nachhause schicken zu können. Shinji steuerte auf das Flaggschiff zu, von allen Seiten geriet er unter Beschuss. Dabei fiel ihm ein Laser auf, der sich von denen seiner anderen Angreifer unterschied. Dieses Schiff gehörte nicht zu den Outridern. Es musste jemand anderes sein. Doch Shinji konnte darauf keinen Gedanken verschwenden. Er musste das große Kriegsschiff so schnell als möglich erreichen. Er wollte so viele Leben als möglich schützen und retten. Abermals suchten ihn Gedanken an die ferne Zukunft heim. Shinji kniff die Augen zusammen und schwor sich selbst auf sein Unterfangen ein: „Ich tue es für eine friedliche Zukunft, Ai. Ich tue es nur für dich, meine Liebe!“ Er hörte das gegenseitige Necken um ihn herum kaum. Alles nahm er nur wie durch einen Schleier wahr. Die Schiffe der Outrider, die Flotte des Königs, die sich in den nächsten zwanzig Jahren kaum verändern würde, die Staffel der Air Strike Base 1 und den Badlander von Jesse Blue. Alles schien ineinander zu fließen und kein richtiges Bild mehr abzugehen. Nur eines konnte Fireball klar und deutlich erkennen. Das waghalsige Manöver eines Jets, dessen Ausgang ganz klar war. Als die ersten Schüsse den Ausbruch der Schlacht kund taten, verstummten auch die Blödeleien an Bord. Alle setzten sich in ihre Satteleinheiten, schnallten sich an und waren sofort für alles bereit. Keiner wusste, wie lange sie den Kämpfen zusahen, nur als Jesses Badlander offensichtlich für sie und alle anderen angriff, war es mit der gespenstischen und schicksalsschweren Stille auf Ramrod schlagartig wieder vorbei. Colt schnellte in seinem Sitz nach vor, fuhr ohne Anweisungen seine Maverickschnellfeuerraketen aus und teufelte los: „Ich schnapp ihn mir! Verdammt, der wagt es echt, sich einzumischen.“ Er hatte bereits den Finger am Abzug und die Zielerfassung hatte Jesse längst schon im Fadenkreuz. Colt sah nicht ein, weshalb er jetzt noch still halten sollte. Jesse würde vielleicht einen entscheidenden Teil der Geschichte sehr negativ beeinflussen, da durfte wohl auch er mal ein bisschen Schicksal spielen. Waren Saber und April auch auf Colts Seite und nickten ihm stumm zu, kam aus der mittleren Satteleinheit nur ein fest entschlossenes: „Nein.“ Fireball streckte ohne den Cowboy anzusehen, seinen rechten Arm aus und redete Colt sein Vorhaben gleich wieder aus. Der Japaner blickte starr gerade aus, mitten in einer Schlacht auf Leben und Tod. Es fiel ihm schwer und er war dankbar, dass keiner seiner Freunde nahe genug neben ihm stand, um seine Augen durch seinen Helm hindurch sehen zu können. Er schüttelte den Kopf, langsam und bedächtig, dabei hielt er Colt mit fester Stimme an: „Wir werden nicht eingreifen.“ Darauf gab es für Colt nur eine Antwort. Nämlich Rebellion. Er fuhr zwar seine Systeme herunter, aber ganz und gar nicht schweigend. Mit Unverständnis in der Stimme brauste er auf: „Scheiße, Fireball! Der mischt sich ein und du siehst genauso gut wie ich mit meinen liebreizend blauen Äuglein, dass er nur ein Ziel dabei im Auge hat. Verdammt, Fire, das kann doch schlecht dein Ernst sein?!“ Colt war außer sich. Jesse Blue vergnügte sich da draußen von seinem Versteck. Immer wieder feuerte der Badlander aus dem Hinterhalt Lasersalven auf Captain Hikari ab. Genau auf Captain Hikari nämlich. Ja, verdammt, sie hatten sich darauf geeinigt, nichts zu unternehmen, aber dem Blauhaarigen diesen unverschämten Vorteil zu lassen, das sah Colt überhaupt nicht ein. Stinksauer schlug er mit der flachen Hand auf seine Armaturen: „Verflucht und zugenäht, du verdammter sturer Hund, du!“ April zuckte erschrocken zusammen, als Colt das Schaltpult halb massakrierte. Der Knall war unerwartet laut gewesen. Mit angezogenen Schultern drehte sie sich zu ihren Jungs nach vorne. Hätte sie das lieber mal gelassen. Statt auf Colt einzureden und ihn beruhigen zu wollen, erhaschte sie ungewollt einen Blick aus dem großen Panoramafenster nach draußen. Krieg. Das und nichts anderes tobte in ihrer unmittelbaren Umgebung. April überflog die Situation kurz, um sich ein klareres Bild machen zu können. Dann lehnte sie sich halb aus ihrer Satteleinheit, hielt sich dabei an der hinteren Seitenverstrebung fest. Ihre blauen Augen suchten den Piloten und als sie ihn von hinten in seiner Satteleinheit sitzen sah, musste sie plötzlich daran denken, wie Captain Hikari genau dort gesessen hatte. April schluckte dieses aufkeimende, beklemmende Gefühl hinunter. Jetzt erst wurde ihr klar, dass sie den Tod von Captain Hikari mit ansehen würden. Sie murmelte: „Fire?“ Keine Antwort. Saber sah mit wachsendem Unbehagen, wie Fireball in eine Starre verfiel. Irgendwas musste er unternehmen. Nur was? Der Schotte war sich dessen bewusst, dass es nicht ihre Schlacht war und dass sie nicht eingreifen durften, aber Jesse sollte das nach Möglichkeit auch nicht machen. Der Blauhaarige feuerte immer wieder gezielte Schüsse auf die Schiffe des Neuen Grenzlandes ab, er mischte sich ein. Also war Handeln angesagt. Saber wandte sich nun ebenfalls an Fireball: „Wir müssen Jesse zumindest davon abhalten, dass er sich einmischen kann, Fireball.“ Der junge Pilot hörte Colts Wutausbruch stumm zu, vernahm Aprils bittende Worte und er bekam auch Sabers Vorschlag mit. Fireball schloss einen Moment die Augen und ging in sich. Es war nicht vertretbar, was Jesse sich da draußen leistete. Deswegen ordnete er an: „Colt? Hol ihn her.“ Bei seinem Namen war Colt bereits wieder nach vor geschnellt und hatte die Waffensysteme wieder voll aktiviert. Er war zum Schuss bereit, eine seiner Hitzefeuerraketen würde schon treffen. Endlich wurde der Japaner katholisch und gab den Befehl, dem Blaukehlchen an die Federn zu gehen. Doch da hatte sich Colt zu früh gefreut. Fireball schüttelte den Kopf. Einsilbig kam wieder eine Anweisung: „Nimm den Bronco und bring ihn her.“ Colt war noch gar nicht richtig abgeschnallt, da sprang er auch schon aus seiner Satteleinheit. Das ausgewachsene Mondkalb würde er sich holen. Aber auch Saber sprang aus seiner Satteleinheit, alleine sollte in das Getümmel niemand gehen. Der Cowboy würde Rückendeckung gebrauchen können: „Ich begleite Colt.“ „Ich komme auch mit!“, auch die Blondine war aufgestanden und bereit, ihren beiden Kollegen unterstützend unter die Arme zu greifen. Da draußen tobte die Hölle, sie würden jede helfende Hand gebrauchen. Es waren Aprils Worte, die Fireball zusammenfahren ließen. Nun war er wieder ganz bei der Sache. Er schnallte sich ebenfalls ab und erhob sich. Seine drei Freunde standen bereits beim Ausgang, für alles bereit. Doch Fireball hielt sie noch einmal zurück: „Colt und Saber gehen. Passt aufeinander auf und kommt heil wieder. Du bleibst hier, Süße“, ein stummes „bitte“ folgte diesen Anweisungen. Sein Vater ging da draußen in den nächsten Minuten hops, er wollte nicht auch noch riskieren, dass er April verlor. Widerworte waren sehr konstruktiv für Diskussionen, aber in diesem Fall gab es keine Diskussion. Nur April wollte das noch nicht so wahrhaben. Sie widersprach Fireball bestimmt: „Die können da draußen jeden Mann gebrauchen!“ „Es ist nicht unsere Schlacht!“, so hart es auch war, Fireball musste es sagen. Jeder von ihnen hätte gerne eingegriffen, er selbst würde keinen Augenblick zögern, aber damit würden sie ihre Zukunft verändern. Keiner hatte mehr Lust darauf. Saber nickte zustimmend und war mit Colt schon weg. Auch er hätte April niemals da raus gelassen. Sie war zwar ein Star Sheriff und sie war gut in dem, was sie tat, aber für diese Art von Einsatz hatte sie zu wenig Kampferfahrung. Die Jungs schlugen sich schon öfter durch ein solches Getümmel. April wollte noch einmal protestieren, doch da hatte sie Sabers Nicken bemerkt. Der Kerl fiel ihr auch in den Rücken! Da würde wohl auch Colt der gleichen Meinung sein. Furchtbar, wie sich die Männer manchmal gegen sie verschworen. Sie rief den beiden noch nach: „Gebt aufeinander Acht!“ „Stellt solange nichts an“, Colts schelmisches Grinsen dabei hatte April auch trotz des Helms sehen können. Der alte Schwerenöter! Kopfschüttelnd drehte sie sich zu Fireball, der ausnahmsweise das Schicksal mit ihr teilte und an Bord blieb. Doch ihr gefiel nicht, was sie sah. Fireball hatte ihr den Rücken zugewandt und blickte auf die Schlacht, die vor ihnen tobte. Mit jeder Minute wurden die Kämpfe heftiger und erbitterter. Man konnte die Verzweiflung der Menschen spüren. Auf so etwas waren sie niemals vorbereitet gewesen. Die Jets der Air Strike Base 1 flogen immer neue und waghalsigere Manöver, nur um der Übermacht endlich Herr zu werden. Eine unlösbare Aufgabe. „Die Menschen dort brauchen unsere Hilfe“, April war einige Schritte auf ihn zugegangen, nachdem sie Colt und Saber die Rampe geöffnet und die beiden entlassen hatte. Ihr Sinn für Gerechtigkeit ließ sie immer wieder vergessen, dass es nicht einmal ihre Zeit war, in der dieser Kampf statt fand. April sah ebenfalls durch das Panoramafenster nach draußen. Sie konnten bestimmt viele Menschen retten, wenn sie einschritten und halfen. Emilio, John, Pete. Fireball biss sich auf die Lippen. Er kannte sie alle. Er war einige Monate einer von ihnen gewesen. Die Namen der Helden waren für ihn Gesichter, Geschichten und in so manchem Fall auch Freunde geworden. Viele von ihnen hatten eine Frau oder zumindest eine Freundin, die zuhause vergeblich auf ihre Rückkehr warten würde. Aus den Augenwinkeln bemerkte Fireball weitere Freunde, die in die Schlacht zogen. Colt und Saber. Hoffentlich würden die beiden wirklich nur Jesse und den Badlander an Bord holen. Obwohl die beiden seine engsten Freunde waren, nahm er ihr Unterfangen lediglich wie eine Randnotiz wahr, sein Hauptaugenmerk galt immer noch den Geschehnissen rund um den Kreuzer von Nemesis. April erhielt keine Antwort. Es wunderte sie nicht wirklich, aber es bekümmerte sie. Wortkarg war bei Fireball schon ein Anzeichen für Probleme, totale Schweigsamkeit konnte nur der Supergau sein. Zum Sprechen konnte sie ihn nicht bringen, das hatte April gemerkt, also schenkte sie ihm auf anderem Wege Zuversicht. April schloss zu ihm auf, lehnte sich an seine Seite und legte ihren Arm um ihn. Er sollte wenigstens spüren, dass er in dieser Situation nicht alleine war und sie das als Freunde durchstehen würden. „Du rechts lang und ich links, oder?“, sie würden Jesse in die Zange nehmen und ihn so vielleicht auch gehörig aus dem Konzept bringen. Nur wollte Saber vorher sicher gehen, dass Colt und er nicht auf die glorreiche Idee kamen und von der gleichen Seite angreifen wollten. Wäre immerhin nicht das erste Mal, dass sie sich schlecht abgesprochen hätten. Colt bestätigte durch den Funk die Richtigkeit dieser Annahme. Allerdings wieder mal auf seine Art: „Aber immer doch! Zieht dein Hotti wieder nach links, weil du die Seite haben willst?“ Der Cowboy wusste sehr wohl, wie ernst die Lage war und was auf dem Spiel stand, und gerade deshalb musste er mit seinen Sprüchen dafür sorgen, dass ihnen das nicht allzu bewusst wurde. Ihre größte Stärke im Kampf war immer gewesen, dass sie sich blind verstanden und dabei auch noch Zeit fanden, sich aufs Korn zu nehmen. In der Hinsicht hatte sich bis zum heutigen Tage nie etwas geändert. Auch Saber war völlig klar, worauf sie sich da eingelassen hatten. Aber sie mussten Jesse davon abhalten, die Schlacht vorzeitig für die falsche Seite zu entscheiden. Schaffte es Captain Hikari nicht, Nemesis die Lichter auszupusten, würden die Menschen im Neuen Grenzland fünfzehn wertvolle und auch friedliche Jahre verlieren, die sie bitter nötig hatten. Saber nickte dem Cowboy zu: „Ein Hotti war vielleicht deine Kathrin, aber mein Steed ist bitte immer noch ein Ross.“ Colt lachte in den Funk: „Klar. Hat ja blaues Blut dein Pferd. Äh, Entschuldigung, ich mein natürlich Öl, mein ich doch!“ Dabei teilten sich die Wege der beiden Star Sheriffs auf. Saber flog mit Steed links am Asteroiden vorbei und Colt schlug mit Bronco Buster den Weg rechts rum ein. Bestimmt war Jesse so damit beschäftigt, auf ein Ziel zu schießen, dass er unter normalen Umständen sowieso nicht treffen würde, also sollte der Überraschungsmoment für die beiden Guten umso größer sein. Insgeheim hoffte Colt, dass Jesse sein Vorhaben noch nicht über die Bühne gebracht hatte, bis sie eintrafen und ihn mal freundlich in Gewahrsam nahmen. Irgendwie bekamen sie den Badlander schon an Bord und wenn er ihn mit Bronco abschleppen musste! Colt schloss die Hand fester um den Steuerknüppel und machte sich auf alles gefasst. Mit dem Blauhaarigen war nicht zu spaßen, das war es nie gewesen. Den Cowboy ärgerte es, denn Jesse war wirklich zu allem bereit. Der hatte noch nicht einmal gemerkt, dass er mit dieser Aktion vielleicht auch sein Leben änderte oder gar in Gefahr brachte. Aber was wollte man von ihm schon erwarten? Jesse Blue war kalt und ging über Leichen, auch seine eigene, wie es schien. Saber hielt Steeds Zügel fest mit der linken Hand umschlossen, in der anderen hielt er bereits seinen Blaster. Wie sollten sie Jesse nun an Bord holen? Überrumpeln ging im All leider etwas schlecht. Also entschied sich der Recke für eine ganz andere Tour. Er funkte Colt kurz an: „Hey, Kumpel! Was hältst du von der Masche Verkehrskontrolle im All?“ „Hä?“, von der Vorgehensweise hatte Colt offensichtlich noch nie was gehört. Aber er vertraute auf Saber und seine taktischen Kniffe. Seit Saber nicht mehr der Boss war, hatte Colt das Gefühl, der edle Schotte würde aufblühen. Saber war zwar nach wie vor ein eher ruhiger Mensch, aber er agierte neuerdings mit Taktiken und hinterhältigen Tricks, dass Colt dabei nur noch mit den Ohren schlackern konnte. Das hatte schon was und auch, wenn sich Colt noch daran erinnern konnte, dass Saber ein guter Captain gewesen war, so wie jetzt sagte es ihm fast besser zu. „Dann gib mir mal Rückendeckung. Gleich siehst du, was ich meine“, Saber konnte es sich nicht verkneifen, Colt ein bisschen belehrend in den Funkverkehr zu antworten. Nachdem er Colts Okay bekommen hatte, setzte sich Saber mit Steed direkt neben den Badlander, der auf dem Asteroiden doch glatt geparkt hatte. Der Schotte hatte keine Zeit darauf zu achten, wie gemütlich es sich Jesse dort tatsächlich gemacht hatte. Er stieg von Steed ab, trat auf den Badlander zu und klopfte dann mal gegen die Scheibe, während er eine Funkverbindung zum Insassen des schwarzen Jets herstellte: „Hallöchen, Jesse. Wenn du mal bitte aussteigen würdest.“ Dabei hielt Saber ihm seine Dienstmarke ans Fenster. Colt, der das alles aus sicherer Entfernung beobachtete, fing am Funk doch glatt zu lachen an. Jetzt verstand er, was Saber mit Verkehrskontrolle im All gemeint hatte. Oh Mann, auf welche Ideen er immer kam! Aber das Beste war mit Sicherheit, dass Jesse da auch noch mitspielte. Der glaubte wohl, Saber wäre alleine gekommen, denn er stieg aus, ebenfalls mit seiner Waffe in der Hand. Shinji musste seinen Jet ruckartig nach oben wegziehen, um nicht von einem Laser getroffen zu werden. Diese Schlacht verlangte ihm alles ab und noch immer war seine Staffel mitten im Geschehen. Langsam wurde es eng für sie. Die Schlacht war verloren, das war sie von Anfang an gewesen. Deswegen galt es nun für Shinji seine Crew in Sicherheit zu wissen. Er würde nicht ins Jenseits übertreten können mit dem Wissen, dass mit ihm auch seine Staffel in den Tod gegangen war. Nachdem er seinen Looping ausgeführt hatte und sich wieder in Position brachte, befahl Shinji seiner und der Staffel von König Jarred: „Abdrehen! Wir ziehen uns zurück!“ Kein einziger Jet seiner Staffel befolgte den Funkspruch, weswegen Shinji ungeduldig in den Funk schrie: „Nun macht endlich! Zieht euch zurück oder ich mach euch Beine, Jungs!“ Die wussten nicht, was noch alles passieren würde. Aber das entschuldigte ihr Verhalten nicht. Shinji fand kaum noch Zeit, erneut auf den Kreuzer zu zielen. Für einen Moment vergaß er die Wichtigkeit seines Unterfangens. Seine Männer sollten endlich zusehen, dass sie nachhause kamen. Doch die kämpften weiter. „Wir werden dich nicht hier zurück lassen, Captain!“, entschlossen hatte Emilio diesen Funkspruch abgesetzt. Die Mannschaft stand geschlossen hinter Shinji. Sie bewiesen wieder einmal ihre Treue, denn vom ersten Schuss an hatte sich abgezeichnet, wie die Schlacht verlaufen würde. Shinji musste wieder einem Schuss ausweichen, von überall her schienen die Outrider auf ihn zuzukommen. Aber er fand trotzdem noch die Zeit, seiner Mannschaft über die Funkverbindung die Hölle heiß zu machen: „Habt ihr alle Tomaten auf den Ohren?! Verflucht und zugenäht, zieht euch mit König Jarreds Staffel zurück! Gebt ihnen Geleitschutz und achtet darauf, dass euch niemand auf den Planeten folgt. Ich komme nach!“ Emilio wollte zu Widerworten ansetzen, er hatte deutlich gespürt, dass Shinji gelogen hatte. Ihr Captain würde nicht nachkommen. Aber dieses Mal war der Befehl zu eindeutig gewesen. Ob er wollte oder nicht, sie mussten ihn befolgen. Deshalb drehte Emilio schließlich ab. Obwohl er glaubte, das nicht mehr länger mit ansehen zu können, blieb Fireballs Blick auf seinen Vater gerichtet. Er hatte ihn nie richtig kennen lernen dürfen. Die Zeit hier war mitunter manchmal unerträglich für Fireball gewesen. Sein Vater war nicht nur sein Captain gewesen, er war ihm auch ohne sein Wissen ein Freund und Vater gewesen. Er wünschte sich, seinen Vater doch besser kennen lernen zu können, dieser Wunsch würde allerdings für immer unerfüllt bleiben. Als er merkte, wie die Staffel seines Vaters den geordneten Rückzug antrat, murmelte er mit gebrochener Stimme: „Captain…“ Dann sah Fireball, zu welchem Angriff sich sein Vater bereit machte. Als der Jet kerzengerade auf den Kreuzer zuschoss, schloss Fireball die Augen und wandte sich ab. In diesem Augenblick schloss auch der Captain der Air Strike Base 1 seine Augen. Shinjis letzte Gedanken galten seiner Einheit, seinen Freunden, vor allem aber seiner Familie. Er würde Ai niemals vergessen… Er spürte Aprils Hand auf seiner Schulter. Ohne die Augen zu öffnen, griff Fireball nach ihr und wischte sie von seiner Schulter. Auch, wenn er nicht sehen konnte, was passieren würde, er wusste es. Fireball spürte es bereits. Besorgt hatte April mit angesehen, wie sich der Japaner wegdrehte und ihre Hand von seiner Schulter streifte. Doch April konnte nicht zulassen, dass er ganz alleine hier stehen blieb. Die Blondine legte ihre Hand in seine, umschloss mit sanftem Druck seine Finger und strich ihm mit der anderen Hand über die Schulter, während sie in sein Gesichtsfeld ging. Es tat ihr weh, Fireball so zu sehen und ihr wurde auch allmählich klar, dass es eine schlechte Idee gewesen war, Jesse Blue hier abzupassen. Aber woanders hätten sie ihn niemals gefunden, das wusste April genauso. Die Navigatorin spürte, wie Fireball den Druck erwiderte, da wusste April, was sie zu tun hatte. Mit der freien Hand umarmte sie ihn, zog ihn zu sich und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie biss sich auf die Lippen und blinzelte tapfer die Tränen fort. Sie flüsterte, den Kopf nahe an seinen Helm gelehnt: „Ich bin da, Fire.“ Fireball registrierte die Worte der Blondine kaum noch. Alles, was April von ihrem Platz aus sehen konnte, erfuhr der quirlige Pilot seit wenigen Augenblicken am eigenen Leib. Noch immer hielt er die Augen geschlossen, doch das Bild war immer noch klar vor ihm. Er schoss ungebremst auf das Flaggschiff der Outrider zu. Eine lebende Kanonenkugel. Fireball spürte den Aufprall, wie ihm die Stichflammen ins Gesicht schlugen und fühlte ihre unbarmherzige Hitze. Die Hitze der Flammen nahm ihm die Luft zum Atmen, ließ Schweißperlen auf seine Stirn treten. Er schwitzte unter seinem Helm, hatte das Gefühl, gleich zu kochen. Unter der gigantischen Hitze begann sein Helm zu schmilzen. Die Explosion erlöste ihn und hauchte ihm den letzten Funken Leben aus. Bilder vergangener Zeiten flammten vor ihm auf. Alles lief wie ein Film vor ihm ab. Aber es war nicht sein Leben, sondern das seines Vaters. Dessen erste Schritte, Erlebnisse aus seiner Kindheit und plötzlich tauchte ein bekanntes Gesicht in den Erinnerungen auf. Es war Fireballs Mutter. Er sah, wie sie sich kennen lernten, in welchem Moment Fireballs Vater bewusst geworden war, dass er Ai liebte, ihre Hochzeit und Momente aus zehn glücklichen Ehejahren, was Ai und Fireballs Vater zusammen erlebt hatten, wie viel und wie oft sie zusammen gelacht hatten. Zum Schluss gesellten sich noch Bilder von Piloten der Air Strike Base 1 hinzu, das unvergessliche Frühstück mit seinem Vater und schließlich noch die drei Star Sheriffs. Es waren nicht Fireballs Erinnerungen, nein, es war das Leben seines Vaters. Von der Geburt bis zu seinem Tod. Einen winzigen Augenblick stand sein Herz still. Es hatte aufgehört zu schlagen. Als das Leben wieder in ihn zurückkehrte, schnappte der Hitzkopf verzweifelt nach Luft und fuhr zusammen. Fireball riss die Augen auf und rang nach Luft. Seine Seele, die Seele seines Vaters, kehrte in Fireballs Körper zurück, beladen mit allen Erinnerungen des Captains. April zog Fireball den Helm über den Kopf, ließ ihn in Fireballs Satteleinheit fallen und streichelte behutsam über seine Wange. Sorgenvoll sah sie ihn an. Was sie gerade miterlebt hatte, ließ in ihr eine unschöne Ahnung hochsteigen. Niemand wusste, ob etwas an Seelenwanderungen dran war und wenn ja, wie sie sich äußerten. April hatte da gerade eine vage Vorstellung davon demonstriert bekommen. Es jagte ihr unheimliche Angst ein. Sie drückte sich ganz nahe an Fireball, sie wollte bei ihm sein. Dankbar legte Fireball den Kopf in ihre warme, schützende Hand. Als er die Augen aufgemacht hatte, war das erste, was er gesehen hatte, April gewesen. Sie war hier. Fireball schlang die Arme um die Blondine und drückte sie an sich. Er brauchte sie in diesem Moment. Sein Herz raste und pumpte das Blut durch seine Adern. Sein Atem war unregelmäßig und immer wieder verschwamm alles vor ihm. Nur Aprils Gesicht mit ihren klaren, blauen Augen blieb klar und deutlich erkennbar. Haltlos versicherte er ihr: „Alles okay, Süße.“ Nichts war okay, das wusste die Blondine. Sie konnte fühlen, was gerade mit ihm los war, sie erlebte es beinahe mit, so intensiv waren seine Empfindungen gerade. April wischte Fireball mit der Hand den Schweiß von der Stirn, ehe sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm beinahe schon mütterlich einen Kuss hinauf hauchte. Ihre Finger kraulten seine Kopfhaut, strichen seine nassen Haarsträhnen nach hinten. Gerade war nichts wichtiger, als bei ihm zu sein. Sollte Nemesis doch verrecken oder die Schlacht tatsächlich an die Outrider gehen, April wäre es im Augenblick völlig egal. April begann von einem Bein auf das andere zu steigen, was darin endete, dass sie sich und Fireball in einer innigen, geborgenen Umarmung wiegte. Alles würde gut werden, das und nichts anderes versuchte sie ihm zu vermitteln. Jesse stieg tatsächlich aus seinem Badlander, allerdings mit einer Waffe in der rechten Hand. Er hatte annähernd die selbe Größe wie sein Gegenüber, er brauchte lediglich die Nase etwas in die Höhe zu recken. Damit tat sich Jesse nicht schwer, arrogant war er immer schon gewesen. Er lächelte Saber süffisant entgegen: „Was wird das denn, wenn’s fertig ist, Semmelblondi?“ Jesse hatte Saber noch nicht mal richtig die Zeit gelassen, darauf einzugehen, da hielt er ihm auch schon die Waffe vor die Brust. Der Schotte musste glatt einen Schritt zurückweichen, den Lauf von Jesses Blaster hatte er nicht so gerne vor dem Visier. Aber immerhin ging seine Taktik voll auf und der halbprofessionelle Schurke war abgelenkt. Mit einem kaum merklichen Wink bestellte er nun Colt auf die Bühne des Schauspiels um den nächsten Akt einzuläuten. Der Cowboy hatte seinen Bronco in sicherer Entfernung geparkt, war ausgestiegen und hatte sich auf Indianersohlen auf den Weg zu Saber und Jesse gemacht. Immerzu war der Fährtenleser darauf bedacht, nicht aufzufallen oder sich durch blöde Bewegungen zu verraten. Colt wusste nach den Jahren auf Ramrod immer noch, wie man sich an eine potentielle Beute anschlich. In dem Moment, wo Saber einen Schritt zurückwich, sprang Colt aus seiner Deckung hervor, hob kurz die Hand und schlug Jesse dann die Faust mit voller Wucht auf die Rübe. Dabei lachte er: „Kuckuck, hier ist das Vögelchen!“ Mit dem Wums hatte selbst Colt nicht gerechnet, denn Jesse trug einen Helm, da konnte er nicht sonderlich viel Schaden anrichten. Sollte er zumindest, dachte Colt. Aber als er und Saber das Resultat betrachteten, waren sie sich einig. Colt musste so glücklich getroffen haben, dass Jesse alle Lichter ausgegangen waren. Der blauhaarige Querulant war wie ein nasser Sack zusammen gesackt. Saber sah zuerst den bewusstlosen Überläufer, dann ganz baff seinen Kollegen an. Mit großen Augen, aber dem Daumen nach oben deutend, wollte er wissen: „Hast du auf deine alten Tage noch irgendwelche Tricks gelernt, von denen ich noch nichts wusste?“ „Ach du weißt ja“, winkte Colt lässig ab, während er Jesse auf Steed verfrachtete und ihn dort verschnürte. Dabei zwinkerte er zu Saber hinüber: „Einem alten Hund kann man doch keine Kunststückchen mehr beibringen. Das konnte ich doch schon immer.“ Der Schotte nickte lachend: „Stimmt. Glückstreffer landest du ja am laufenden Band!“ Damit schickte Saber das verschnürte Paket auf Steeds Rücken zur Ramrod zurück, während er in den Badlander einstieg und dieses Ungetüm ebenfalls zum großen Cowboy steuerte. Bevor er jedoch startete, warf Saber noch einen Blick auf das völlig unwichtig gewordene Kampfgeschehen vor sich. Der Kreuzer von Nemesis war schon nicht mehr da. Alle zogen sich zurück. Von den Piloten des Königreiches und des Oberkommandos war schon nichts mehr zu sehen. Die Schlacht war vorbei, sie war geschlagen und noch hatte Saber keine Veränderung bemerkt. Also war sie so verlaufen, wie er es aus dem Geschichtsunterricht einmal gelernt hatte. Die Menschen hatten eine Niederlage erlitten, aber fünfzehn wertvolle Jahre des Friedens gewonnen. Saber nickte leicht und schloss zu Colt auf. Endlich konnte es nachhause gehen. Als Saber und Colt mit Jesse im Schlepptau auf die Brücke kamen, hätten sie keine großartige Aufregung wahrnehmen können. Hier schien nichts passiert zu sein. Zum Glück. Colt suchte noch nach einem geeigneten Platz für ihr Mitbringsel, dann ließ er sich in seine Satteleinheit plumpsen. Aufmerksam glitt sein Blick über seine Freunde, verdächtig ruhig war es hier plötzlich wieder geworden. Schweigen behagte dem Scharfschützen nicht, das war auf Ramrod für gewöhnlich kein gutes Zeichen. „Ich hoffe, ihr habt nichts angestellt, ihr zwei Turteltauben“, suchte er deshalb das Gespräch. Was eignete sich da wohl besser, als die beiden jüngsten Teammitglieder ein wenig zu necken. Nicht ernsthaft dachte Colt daran, dass sich die beiden ineinander verguckt haben könnten, aber ihre roten Ohren waren einfach immer zu köstlich. Sie waren ja doch beide noch eher Teenies als erwachsene Menschen. Prompt stellte sich auch gewünschter Rotton in den Gesichtern der beiden jüngsten ein, auch, wenn da wirklich nichts gewesen war. Es behagte den beiden einfach nicht, wenn Colt solche Töne spuckte. Während Fireball den Schub verringerte, erinnerte April den Scharfschützen: „Wir haben lediglich auf euch gewartet, damit wir endlich nachhause können.“ „Jaja, jetzt wären es wieder wir gewesen. Siehst du Saber, deswegen sollten wir ein Auge auf die beiden werfen“, die Vorfreude auf die baldige Heimreise ließ Colt übermütig werden. Er wollte endlich zurück in seine Zeit. Egal, wie waghalsig der Sprung in die Gegenwart werden mochte, sie waren gesund in der Vergangenheit gelandet, also würden sie auch gesund wieder zuhause ankommen. Zuhause bei Josh und Robin. Oh, er vermisste seine kleine, blonde Lehrerin. Hoffentlich hatte sie sich nicht zu viele Sorgen um ihn gemacht. Aber sicher war er sich da nicht. Immerhin war sein kleiner Rubin jemand, der sich immer und überall über alles Sorgen machte. Sie hasste das Kämpfen, verachtete den Krieg, aber sie liebte ihn. Wenn er doch nur schon wieder bei ihr wäre. Ja, Colt wurde langsam aber sicher ungeduldig, was das betraf. Hinter den vier Satteleinheiten regte sich was. Saber nahm das prompt als Anlass, um Colt schmunzelnd zu erinnern: „Dann wirf du mal. Aber auf Jesse und nicht auf April und Fireball. Die brauchen keinen Anstandswauwau.“ Der Schotte schüttelte amüsiert den Kopf und ließ sich noch mal die Geschichtsdaten vom Computer vorführen. Erleichtert stellte er fest, dass die Schlacht so ausgefallen war, wie sie Saber im Gedächtnis gehabt hatte. Viele Todesopfer, aber immerhin war das Königreich Jarr zu guter Letzt doch noch verschont worden. Die Strukturen blieben nun, wie sie der Highlander im Kopf hatte. Alles war bereit für den Sprung in die Zukunft, oder Gegenwart. Na, jedenfalls in ihre eigene Zeit. Saber kam schon ganz durcheinander, es wurde wirklich Zeit, dieses Abenteuer zu beenden. Die Navigatorin hatte die letzten Modifikationen an Ramrods Systemen vorgenommen und berechnete gerade noch einmal zur Sicherheit den Kurs zu nächsten Anomalie. Sie schickte Fireball die Daten und sah dann direkt in die kalten, lieblosen Augen des Überläufers. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Jesse war ihr nicht geheuer. Er hatte sie damals umgarnt, war charmant gewesen, aber sie war nie an ihm interessiert gewesen. Sie hatten einander durch Fireball kennen gelernt. Der Pilot hatte in der Akademie die Schulbank mit Jesse gedrückt und die beiden waren Freunde gewesen. Bis an jenen Abend, an dem der Ball der Abschlussklasse stattgefunden hatte. April war ohne Begleitung dahin gegangen, obwohl sie mehr als nur eine Einladung dazu bekommen hatte. Jesse war keinen Augenblick von ihrer Seite gewichen, seit er sie auf dem Fest entdeckt hatte. Immerzu hatte er ihr Komplimente gemacht, ihr geschmeichelt und versucht, sie um den Finger zu wickeln. In ihrer misslichen Lage, einen Verehrer am Hals zu haben und ihn nicht mehr los zu werden, war sie zu jemandem gegangen, der ihr immer half. Doch Fireball war nicht im Saal gewesen. Also war April auf ihrer Flucht nach draußen gegangen, hatte das Fest somit offiziell verlassen. Doch Jesse war ihr gefolgt, hatte keine ihrer Abweisungen verstanden. Stattdessen hatte er eine Einladung darin gesehen, wie sie durch die leeren Gassen ging. Forsch hatte er April gegen die Wand gedrückt und sie geküsst. April hatte mit den flachen Händen auf ihn eingeschlagen, doch er hatte nicht von ihr abgelassen. Ein Glück für die Blondine, war Fireball dann zur Stelle gewesen. Allerdings war das Ende dieser Liebesgeschichte zwischen April und Jesse auch das Ende einer guten Freundschaft zwischen Jesse und Fireball gewesen. Ihre Wege hatten sich getrennt, nachdem sie sich wegen April gestritten und geprügelt hatten. April schüttelte sich und wandte den Kopf von Jesse ab. Sie konnte ihm immer noch nicht in die Augen sehen. Das wollte sie auch gar nicht. Für sie war dieser falsche Fünfziger gestorben. Er hatte Mist gebaut, aber statt sich zu entschuldigen, hatte sich Jesse seither immer im Recht gesehen. Zornig hatte er Fireball die Schuld an allem gegeben und dass der Japaner das alles nur deswegen getan hatte, weil er April für sich haben wollte. Jesse wurde mit einem Brummschädel und eben jener Erinnerung wach. Als er sich umsah und feststellen musste, dass er auf Ramrod war, kam in ihm sofort wieder der Rebell zum Vorschein. Colt, der nach ihm greifen wollte und ihn ruhig stellen wollte, bekam das als erster zu spüren, mit einem kräftigen Schlag gegen seine Brust. Aber die Spürnase wäre nicht der beste Scout gewesen, wenn er mit so etwas nicht gerechnet hätte. Colt kannte die Sorte Mensch, der Jesse angehörte, vor der hatte Timothy ihn immer gewarnt. Schnell wich der Cowboy einen Schritt zurück, damit Jesse nicht mit voller Kraft traf. Da fing Jesse Aprils Blick auf. Von Colts Totschläger auf dem Asteroiden hatte er verdächtige Kopfschmerzen. Wieso nur hatte er nicht besser aufgepasst? Er hätte wissen müssen, dass der ehemalige MP mehr als nur einen Trick auf Lager hatte. Nicht umsonst hatte das Oberkommando Colt als zusätzliche Unterstützung für den kleinwüchsigen Captain an Bord geholt. Der blauhaarige stutzte plötzlich. Wie? Er hatte doch eigentlich etwas anderes vor gehabt oder nicht? Und verdammt nochmal: „Wo sind wir?!“ Colt drehte dem gut verschnürten Paket den Kopf herum. Ihm war aufgefallen, wie dieser April unentwegt anstarrte. Kein Wunder, dass ihr kleiner Engel da verunsichert war. Colt erklärte wenig freundlich: „Also. Zu aller erst bist du zum ersten und wahrscheinlich auch letzten Mal auf Ramrod. Sieh ihn dir gut an, so was wirst du nie wieder sehen, wenn’s nach mir geht. Und zweitens geht’s jetzt ab in die Heimat, die heimatliche.“ Jesse hatte schon dazu angesetzt, Widerworte zu geben und Colt an zu maulen, da stand auch Saber plötzlich vor ihm. Der Schotte hatte das Gefühl gehabt, Colt unterstützend unter die Arme greifen zu müssen. Nicht, dass er befürchtete, Colt könnte sich nicht wehren, vielmehr ging es dem Schotten um eine eventuelle lautstarke verbale Auseinandersetzung. Die wollte Saber gleich von vornherein ausschließen, weil sie die Konzentration für etwas anderes brauchten. Der Highlander zog also Jesse auf die Beine und verkündete nüchtern: „Du siehst dir jetzt erst mal die Arrestzellen an, die sind das Highlight auf dem Friedenswächter.“ Saber war von Jesses ewigen Widerworten und gehässigen Kommentaren mittlerweile mehr als nur genervt. Noch hatte der Tagedieb zwar nicht angefangen, wieder gegen Fireball und April zu schießen, was er für gewöhnlich sonst gleich als erstes tat, und das sollte Sabers Meinung nach auch so bleiben. Mit einem strengen Gesichtsausdruck führte er Jesse vor sich her aus dem Raum. Nach fünfzehn Minuten Flug, den die Freunde schweigend hinter sich gebracht hatten, verkündete April schließlich: „Die Anomalie ist genau vor uns. Schickt ein Stoßgebet gen Himmel und hofft, dass jetzt alles gut geht.“ Die Modifizierungen an Ramrod hatte die Blondine mit Saber zusammen in den letzten Tagen fertig abgeschlossen. Hauptsächlich hatte sie jede verfügbare Energiequelle angezapft und auf das kleine Programm, das sie möglichst wieder nachhause bringen sollte, umgeleitet. Lief alles glatt bei ihrer Heimkehr, blieb ihnen noch genug Energie für den Flug nach Yuma. Ging aber etwas daneben, und davon gingen alle vier eigentlich aus, waren sie ein angreifbares Ziel, waren vielleicht irgendwo sonst, nur nicht im Jahr 2086, und hatten zu wenig Energie. Deswegen war es April auch ein persönliches Anliegen gewesen, den Badlander an Bord zu haben. Notfalls würde sie dessen Systeme anzapfen müssen und auf etwas Energie spekulieren. Nun tippte sie die letzten Befehle ein, startete das Programm und zählte den Countdown. Hoffentlich ging alles gut und sie überlebten es. Colt starrte gebannt in das All hinaus. Da war nichts. Zumindest konnte er nichts sehen. Der Cowboy hatte noch das Bild von der Anomalie im Kopf, das ihnen April zwei Monate nach ihrer Ankunft hatte präsentieren können. Ihm war durchaus klar gewesen, dass es reine Energieschwankungen waren, beinahe wie ein schwarzes Loch oder etwas ähnliches, aber ein bisschen enttäuscht war er schon, dass man mit bloßem Auge nichts erkennen konnte. Andererseits hätte er es sich auch denken können. Bei ihrer unfreiwilligen Reise durch die Zeit hatte es auch keine äußeren Anzeichen für so etwas gegeben. Warum hätte das nun anders sein sollen? Colt überprüfte seinen Sicherheitsgurt noch mal unnötigerweise, der konnte ohnehin nicht mehr fester sitzen, dann atmete er tief ein. Oh, er hasste es, so hilflos dabei zusehen zu müssen, wenn ihr Schicksal auf einem Scheideweg stand! Colt biss die Zähne aufeinander, er hatte vollstes Vertrauen zu seinen Freunden, er musste. Mit etwas Galgenhumor presste er schließlich doch noch hervor: „Also, Leute. Sollten wir uns im Jahr 2086 nicht in einem Stück wiedersehen, dann möchte ich euch noch gesagt haben, dass ich es genossen habe und es mir eine Ehre war, mit euch zu reiten.“ „Sag das nochmal, wenn wir wohlbehalten zuhause ankommen“, forderte Fireball ihn daraufhin auf. Er hatte eine ganze Weile gebraucht, um das zu verdauen, was er erlebt und gesehen hatte, aber nun war er wieder ganz bei der Sache. Der junge Pilot drosselte stetig den Schub des großen Cowboys und hielt ihn auf Kurs. Hochkonzentriert steuerte er sich und seine Freunde auf die unsichtbare Anomalie zu. Im Gegensatz zu Colt überwog bei Fireball die Hoffnung. Endlich würden sie nachhause kommen, endlich! Ein letztes Mal, bevor sie ihr waghalsiges Manöver über die Bühne bringen würden, schloss Fireball die Augen und dachte an seinen Vater. Er hatte ein erfülltes Leben gehabt, eines, dass seinem Sohn noch bevor stand. Fireball schluckte die Trauer hinunter, es gab keinen Grund mehr für ihn traurig zu sein. Er hatte seinen Vater kennen gelernt. Aber nicht nur das, sondern auch die seltsame Begebenheit während sein Vater den Tod gefunden hatte, hatten Fireball zur Einsicht gebracht. Seine Mutter hatte Recht gehabt, all die Jahre über. Er war die Wiedergeburt von Captain Hikari, er war sein Vater, mit all seinen Erinnerungen, seinen Gefühlen und seiner Lebensfreude. Starke, braune Augen sahen ins finstere All hinaus, seine Hände schlossen sich stärker um die Schubregler und entschlossen nickte der Heißsporn. Alles würde gut werden, er wusste es. Auch der Highlander blickte gespannt auf die Stelle im All, die sie endlich wieder nachhause bringen sollte. Wie bei Colt, überwog auch bei ihm die Skepsis. Das Gebiet der Zeitreisen war im Neuen Grenzland bisher noch nicht erforscht worden, bisher war angenommen worden, es ginge sowieso nicht. Aber Saber wurde gerade eines besseren belehrt, vorausgesetzt, es funktionierte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er und April innerhalb eines halben Jahres eine völlig unerforschte Materie bearbeitet und soweit strukturiert hatten, dass Reisen durch die Zeit tatsächlich gezielt möglich wurden. Okay, dass sie überhaupt möglich wurden, war für Saber schon unvorstellbar. Dumm nur, dachte der blonde Schotte bei sich, dass nie jemand davon erfahren würde. Die vier hatten sich darauf geeinigt, im Oberkommando einfach irgendeine Geschichte zu erzählen, aber nicht die Wahrheit. Die würde ohnehin keiner glauben. Saber warf einen Blick auf seine Freunde. April, ihr femininer Charme und Esprit an Bord. Colt, der chaotische Scharfschütze, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte. Fireball, ihr junger Captain und Ausnahmepilot. Und schließlich er selbst. Saber, der Rettungsanker im Hintergrund. Sie alle waren so unterschiedlich und doch die besten Freunde. Saber wandte den Kopf zu Fireball herum und nickte ihm aufmunternd zu. Gemeinsam würden sie es schaffen. Hoffentlich. April gab den Befehl zum Zeitsprung und kniff die Augen zusammen. Ramrod flog auf gleißendes Licht zu und blendete seine Insassen… Kapitel 12: Home again ---------------------- Das letzte Kapitel dieser FF! Freut euch, ihr habt's überstanden ^^ Verhalten blinzelte die Crew nach draußen, wirklich erkennen konnten sie ohnehin noch nichts. Jeder prüfte gleichzeitig auch, ob noch alles dran war. Tja, zumindest waren sie an einem Stück angekommen, wo auch immer sie sich gerade befanden. Saber war der erste, der seine Sprache wieder fand. Er schnallte sich ab, stand auf und ging auf die Glasfront zu, dabei fragte er seine Freunde: „Bei euch noch alles dran?“ „Jo“, kam von Colt die Bestätigung. War alles an seinem Platz. Zumindest soweit er das beurteilen konnte, denn wieder mal war der Sprung kein Zuckerschlecken gewesen. Der Cowboy hatte einen dringlichen Wunsch, während er sich ebenfalls abschnallte: „Wenn wir das das nächste Mal machen, erinnert mich vorher daran, die Kopfschmerztabletten in meine Satteleinheit zu packen.“ „Ich“, Fireball hatte den Autopiloten eingeschaltet und war aufgestanden. Nur ging der Pilot nicht auf die Glasfront zu, sondern nach hinten zu April, dabei sprach er ungerührt weiter: „mach sowas freiwillig sicher nicht noch mal! Süße, bitte sag, dass das da vorne das Königreich Jarr ist und dass wir noch genug Energie haben, um bis nach Yuma zu kommen.“ Da war offenbar der dringliche Wunsch zuhause, endlich in Gefilde aufzubrechen, die ihnen bekannt waren. Aber da war er garantiert nicht der einzige an Bord. Es war an der Zeit, dass sie sich endlich wieder frei auf einem Planeten bewegen konnten. Mit verzerrtem Gesichtsausdruck hielt sich April den Kopf. Sie hasste es und es tat schrecklich weh. Als hätte der Blitz in ihrem Kopf eingeschlagen. Das tat gerade an den Schläfen weh, aber so schnell der Schmerz auch gekommen war, war er auch wieder weg. Etwas verunsichert sah April auf und gab Auskunft: „Das ist das Königreich, aber ich weiß nicht, ob es unseres ist.“ Auf dieses Stichwort hin ging Saber zu seiner Satteleinheit zurück. Die Frage war berechtigt. Und die Zweifel natürlich erst recht. Schnell beugte er sich hinab und gab ein paar Befehle in den PC ein. Ob sie tatsächlich zuhause waren, würde sich gleich klären. Solange war Warten angesagt. Eine Disziplin, die niemandem an Bord lag. Fireball war von Haus aus immer die Ungeduld in Person gewesen und die anderen drei hatten erst mal genug davon. Einen Monat lang zu bangen und zu hoffen, dass eine geliebte Person endlich wieder zurück kam, das brauchte niemand mehr. April war eigentlich sehr geübt darin und normalerweise hatte sie eine Engelsgeduld, aber die konnte sie gerade nicht mehr aufbringen. Ihr dauerte das zu lange. April stand auf, trat neben Saber und gab der Satteleinheit einen kräftigen Schlag. Sie verteufelte das Ding: „Nun mach schon!“ Wieso war nie eine Kamera in der Nähe, wenn man eine brauchte? Colt hätte das zu gerne für die Nachwelt und die anderen Kollegen festgehalten. Ein denkwürdiges Ereignis. April verlor mit ihrem Baby die Geduld. Saber fing Aprils Hand ab, als sie gleich darauf noch einmal ausholte. Besonnen versuchte er sie zu beruhigen: „Gib ihm noch ein bisschen Zeit. Wir haben mit dem Sprung viel Energie verbraucht.“ „Also, Prinzessin, wenn du willst“, kam nun auch Colt auf die beiden zu und begutachtete den Blecheimer: „ich könnte auch mal einen fachmännischen Blick darauf werfen.“ Gemeint hatte der Cowboy natürlich, dass er auch mal drauf hauen könnte. So standen sie nun da, die drei, und starrten nervös auf den kleinen Bildschirm. Saber schüttelte leicht mahnend den Kopf, wehe da kam noch einmal jemand auf die Idee, seine Satteleinheit zu massakrieren. Immer noch fest umschlossen hielt er dabei Aprils Hand. Zum Einen, weil er sicher gehen wollte, dass eben niemand mehr Schlagzeug spielte und zum Anderen, weil ein bisschen gegenseitiger Halt im Augenblick gut tat. Nicht nur der Blondine. Auch Fireball kam auf die drei wieder zu und steckte sich dazwischen. Die vier wagten es Augenblicke lang nicht, sich zu bewegen, oder auch nur ein Wort zu sagen. Sie wollten doch nur wieder zuhause sein. Das und nichts anderes. Hoffentlich enttäuschte sie der Computer mit seinen Berechnungen nicht. Zu allem Überfluss ging plötzlich auch noch die gesamte Beleuchtung auf dem Schiff aus, nur die Notbeleuchtung blinkte. Der Bildschirm war vorerst schwarz. Eine herbe Enttäuschung und alle vier mussten hart schlucken. Colt trat nun doch nach der Satteleinheit des blonden Recken und fluchte: „Verdammt!“ Saber kommentierte das ziemlich trocken, noch immer mit Aprils Hand in seiner: „Ich schätze, uns ist grad der letzte Rest Energie ausgegangen.“ Fireball klopfte dem Recken auf die Schulter und deutete ihm, mitzukommen. Während er sich schon umwandte, ließ er verlautbaren: „Das wäre dann die Antwort auf meine zweite Frage gewesen. Saber, wir zwei sehen uns mal den Badlander genauer an. Colt? Du und April haltet die Stellung, wir sind gleich wieder da.“ Colt verzog missmutig das Gesicht. Super! Jetzt war er auch noch vom Wach- zum Hütehund gemacht worden. Das gefiel ihm gar nicht. Zumal er das blinkende, rote Lichtlein über dem Ausgang auch nicht gerade mochte. Ramrod war noch nie so derart leer gewesen, dass ihnen die Systeme versagten. Der Cowboy holte mit dem Fuß noch einmal aus, aber dieses Mal war sein Ziel beweglich und zum Glück außer Reichweite. Er brummte den Wuschelkopf an: „Pah! Stellung halten! Dir geb ich gleich ne Stellung, Kurzer!“ Der Kuhhirte war dabei allerdings bei weitem nicht so gereizt oder sauer, wie er geklungen hatte. Es machte ihn nur wahnsinnig, nichts tun zu können. Da fühlte er sich immer ein Stück weit hilflos und nutzlos obendrein. Dafür bekam er jetzt von Saber Aprils Hand in die seine gedrückt. Der Schotte folgte dem Piloten nur mit einem Nicken. „Da wären wir nun, Prinzessin“, presste Colt leise hervor, nachdem Fireball und Saber aus dem Raum verschwunden waren. Er sah auf die behandschuhte Hand der Blondine hinab, die er in seiner hielt und zog einen Schmollmund: „zum Warten verdammt.“ „Sei froh, du wirst wenigstens nicht weitergereicht“, scherzte die Navigatorin und zog ihre Hand weg. Die Geste war von Saber zwar lieb gemeint gewesen, aber so schwach war sie dann auch wieder nicht. Und außerdem fürchtete sie sich nicht im Dunkeln. Das blonde Mädchen neigte den Kopf und bedeutete dem Cowboy so, dass sie sich das Warten versüßen sollten. Solange kein einziges System funktionierte und sie nicht einmal Saft für das Licht an Bord hatten, konnten sie ohnehin nichts tun. April setzte den Helm ab, klemmte ihn unter ihren Arm und trat vor die große Glasscheibe. Im Augenblick ging von draußen keine Gefahr aus, alles war friedlich. April konnte einen Blick auf den Planeten werfen, der von König Jarred seit mehr als dreißig Jahren regiert wurde. Sie konnte kaum glauben, dass hier vor zwanzig Jahren ein erbitterter und erbarmungsloser Kampf um Leben und Tod statt gefunden hatte, den viele Menschen mit dem Leben bezahlt hatten. Es war doch idyllisch hier draußen. Dieser Gedanke erschreckte April etwas, weil sie diese Empfindung bei einem Kriegsschauplatz nicht für angebracht hielt. Sie senkte die Augen. Fast die halbe Air Strike Base 1 hatte hier ihr Grab gefunden, so viele Männer waren nicht mehr zu ihren Familien zurück gekommen. Allen voran Fireballs Vater. April schloss die Augen und kämpfte die Tränen hinunter. Warum musste sie ihre Zeit zum Nachdenken nützen? Sie könnte sich dafür ohrfeigen! Sie hatten den Japaner persönlich kennen gelernt, alle von ihnen. Der Held von einst war ein Mensch, wie jeder andere. April korrigierte ihre Gedanken sofort wieder. Nein, der Held war wie sein Sohn. Er war ein liebevoller Mann, gerechtigkeitsliebend, ehrlich und war für den Frieden eingestanden. Langsam wurde ihr erst bewusst, was sie wirklich mit angesehen hatte. Es raubte ihr für einen Moment den Atem. Dann aber sah sie entschlossen zu Colt auf. Alles, was ihr wichtig war, war immer noch bei ihr, stand an ihrer Seite und stärkte ihr den Rücken. Mehr noch als zuvor und anders, als vor ihrer verrückten Reise. Das fühlte April. Vieles hatte sich verändert. Ihre Freundschaft aber war geblieben. Colt hatte zu ihr aufgeschlossen und selbst minutenlang auf das schwarze Weltall vor ihnen geschaut. Gedankenverloren. Als April zu ihm aufsah, legte er ihr lächelnd einen Arm um die Schulter und gestand ihr leise: „Ich freu mich auf zuhause. Auf meine süße Robin und Josh. Und auf unsere kleine Rachel.“ Ihm stockte einen Moment der Atem. Rachel? Klar doch! Sein Töchterchen. Colt fiel es wie Schuppen von den Augen. Er wurde ja Vater. Das war es gewesen, was ihm die ganze Zeit schwer auf dem Herzen gelegen war und nicht gewusst hatte, weshalb er sich plötzlich solche Sorgen um seine Robin machte. Sie war schwanger. Seine Robin bekam sein Kind. Jetzt wurde der Cowboy erst recht ungeduldig. Er wollte sofort zu seiner Familie heim. Am besten noch gestern. April schmunzelte leicht und lehnte den Kopf an seine Schulter: „Ihr habt also schon einen Namen für euer Kind ausgesucht“, stellte sie fest. „Tja“, bestätigte der Cowboy und gestand seiner besten Freundin dann noch: „das haben wir wohl. Manche Erinnerungen sind mir nach wie vor unheimlich. Sie scheinen so unwirklich.“ Da sprach Colt nicht nur seine eigenen Gedanken aus, sondern auch die von Saber und April. Auch ihnen war immer noch bei manchen Erinnerungen etwas seltsam zumute. Doch sie waren wahr, so hatten sie es erlebt und April hoffte, dass es ihnen erst einmal wie selbstverständlich vorkam, wenn sie endlich wieder zuhause waren. Es musste einfach besser werden. In ihrem Umfeld, ihrem Zuhause. Tief in sich wusste April, dass sie in ihrer Zeit gelandet waren, da war sie sich beinahe schon totsicher. Und sie freute sich auf zuhause. Auch, wenn das Erlebte dieses Schiff niemals verlassen würde, so wusste sie doch, dass sie mit ihren drei Jungs jederzeit darüber reden konnte. Da ging der Strom auf Ramrod wieder an und kurze Zeit später kamen Saber und Fireball wieder zu Colt und April auf die Brücke. Der Schotte erklärte trocken: „Also, alles, was die Outridertechnologie ist, aber so fortschrittlich, wie Jesse immer tut, ist sie dann auch wieder nicht.“ „Stimmt“, lächelte Fireball den Schotten an und lobte die gute Zusammenarbeit der vier damit gleich indirekt mit: „Da gibt es nichts, was wir nicht auch hingebracht hätten.“ Aprils Augen blitzten kurz auf, als sie Fireballs Lächeln wahr nahm. Er hatte alles gut weggesteckt. Darüber war sie froh und sie hoffte, dass es auch so blieb. Die vier versammelten sich wieder um Sabers Satteleinheit und warteten schweigend auf weitere Ergebnisse. Nachdem der Badlander als Energielieferant angezapft worden war, funktionierten die Systeme wieder einwandfrei. Aber allen war klar, dass so ein kleines Schiffchen wie Jesses Jet die Energieversorgung von Ramrod nicht ewig aufrecht erhalten konnte. Sobald Sabers Rechner endlich das gewünschte Jahr ausspuckte, würden sie ihren Stromverbrauch auf ein Minimum reduzieren müssen. Erleichtert atmeten die vier auf, als es da endlich gut lesbar auf Sabers Schirm hieß: Königreich Jarr, mit Datum 20. Juni 2086. Irgendwie hatten sie es geschafft, zumindest das richtige Jahr zu erwischen. Wie sie es aber geschafft hatten, über einen Monat vor der Schlacht wieder hier zu landen, das war ihnen ein Rätsel. Aber damit konnten sie leben. Die vier fielen sich in die Arme. „Schwein braucht der Mensch“, jubelte Colt, während er April umarmte und den anderen beiden jeweils leicht auf die Schulter schlug. Fireball stichelte gleich übermütig weiter: „Bist ja nach wie vor unser Glücksschweinchen, Cowboy. Deshalb nehmen wir dich immer noch mit.“ Als Colt aus den Augenwinkeln auch noch dieses schelmische Zwinkern bemerkte, schob er April von sich und setzte dem vermaledeiten Japaner endgültig nach, der in weiser Voraussicht schon mal die Flucht angetreten hatte. Er stob Fireball hinterher und fluchte lachend: „Wenn wir erst mal gelandet sind, Matchbox, dann liefere ich dich eigenhändig wieder in der Akademie ab! So ein frecher Zwerg, hat man dafür Worte?!“ April schüttelte lächelnd den Kopf und stupste Saber an: „Die zwei Kindsköpfe.“ Der Schotte konnte das nur ebenso schmunzelnd bestätigen. Dabei stupste er April selbst leicht mit dem Ellbogen an und zwinkerte: „Blöderweise sind das unsere. Die nimmt uns keiner mehr freiwillig ab.“ Saber stellte die kleine Hetzjagd von Fireball und Colt gleich wieder ein. Dann machten sich die vier doch sichtlich gelöst und entspannter an die Arbeit, sämtliche, nicht für die Heimreise benötigte Systeme herunterzufahren. Auf Aprils Anraten hin, nahmen sie sogar so viel Saft wie möglich von der Steuerung und der Navigation. Sie wusste, Fireball war ein hervorragender Pilot und April konnte notfalls auch mit Sternenkarten ihren Kurs berechnen. Je mehr Energie ihnen blieb, desto besser standen ihre Chancen, dass sie es endlich bis nachhause schafften. Es dauerte ewig, bis Yuma endlich in Sicht kam. Alle saßen wie auf Nadeln, wollten endlich zuhause landen. Kurzfristig hielt die Anspannung wieder Einzug im Kontrollraum von Ramrod. Was würden die Daheimgebliebenen sagen? Hatten sie auf die vier gewartet? „Ein bisschen finster da unten“, stellte der Recke fest, als sie den Militärflughafen Yuma überflogen. Die Startbahn war nicht mehr beleuchtet und auch sonst war nichts mehr los. Seltsam, wie Saber fand. Sie befanden sich im Krieg, da war sich Saber ausnahmsweise totsicher. Da war es doch etwas leichtsinnig, den Militärflughafen in der Nacht unbesetzt zu lassen. Saber wunderte das. Fireball nickte. Auch ihm sagte der Anblick nicht sonderlich zu. Er sah in die dunkle Nacht hinab. Was war in der Zwischenzeit hier passiert? Alles sah verlassen aus, dem Piloten war es etwas zu ruhig da unten. Die Hände fest um die Schubregler geschlossen, wandte er sich an April zurück: „Süße? Meld uns bitte beim Tower unten an. Die sollen mal Licht machen.“ Dieser Aufforderung kam April sofort nach. Sie funkte das Bodenpersonal an, hoffte auf eine positive Antwort. Es dauerte eine ganze Weile, bis April endlich alles geklärt hatte. Sie war verwundert, bestimmt drei Mal hatte sie dem Tower erklären müssen, wer sie waren und dass sie wirklich Ramrod waren. Erst als sie die Funkkennung von Ramrod mehrmals geprüft hatten, waren sie endlich so weit, auch April ein paar Fragen zu beantworten. Etwas überfahren beendete sie die Funkverbindung und murmelte: „Fünf Monate.“ „Bitte?“, Colt wandte sich halb zu April um, blieb aber brav in seiner Satteleinheit sitzen, weil Fireball den Landeanflug bereits einleitete. Aprils leise Stimme hatte den Cowboy hellhörig werden lassen. Nur ganz verstanden hatte er ihre zwei kleinen Worte nicht. Die Blondine gab Colt die gewünschte Antwort. Sie drehte sich ebenfalls herum, sodass sie zu ihrem Scharfschützen sehen konnte. Es war seltsam gewesen, vom Bodenpersonal zu erfahren, dass sie seit fünf Monaten verschollen waren. Sie schluckte, denn bis jetzt war ihr nicht klar gewesen, was ihre Odyssee für die Menschen bedeutet hatte, die zurück geblieben waren. Sie erklärte ihren Jungs: „Sie sagen, wir waren fünf Monate verschwunden. Der nette Herr vom Tower hat geglaubt, er hätte in der Nachtschicht grade seine Sinne nicht mehr alle beisammen. Aber, ich glaube, wir kriegen ein herzliches ‚Willkommen daheim!‘ von allen.“ Auf dem Rollfeld ging endlich das Licht an. Fireball atmete erleichtert auf. Ramrod war ohne diverse technische Hilfsmittelchen verdammt schwer zu fliegen. Hoffentlich brachte er sie alle heil runter. Nur mit dem Licht kam auch Leben aufs Rollfeld. Plötzlich strömten von überall her Menschen auf die offene Fläche zwischen den Flugzeuggaragen. Eine Menge Kavalleristen, darunter Offiziere und auch Commander Eagle. Saber sah gespannt auf das Treiben hinunter. Wer war dort überall vertreten? War sie auch da? Der Schotte stolperte über seine eigenen Gedanken. Wer wartete auf ihn? Erwartungsvoll blickte er nach unten. Saber hoffte auf June. Er wollte sie endlich wieder in die Arme schließen können. Hoffentlich kam sie auch. Bei all dem Rummel war es schwer zu sehen, ob die junge Brünette auch unter all den aufgescheuchten Hühnern war. Dort unten ging es zu, als wäre eine Weltsensation gerade im Landeanflug. Saber hörte Aprils Worte aufmerksam zu und ließ sie sich durch den Kopf gehen. Dann stockte ihm für einen Augenblick der Atem. Sie waren fünf Monate weg gewesen. Unauffindbar verschollen. Nun kannte Saber den Grund für diesen Aufruhr. Es konnte nur bedeuten: „Okay, sie sehen grade ein paar Geister.“ „Ich sag doch unser kleiner Schlossgeist rasselt zu laut mit seinen Ketten“, mit einem leichten Seitenhieb auf Fireball zwinkerte Colt zum Oberhelden hinüber. Er hatte nicht wirklich verstanden, was Saber damit sagen wollte. Sie waren zuhause! Die Knilche da unten sollten sich mal die Augen auswaschen und noch mal genauer hinsehen. Da war kein Knick in der Linse, sie waren es wirklich. April verdrehte leicht die Augen. Im Gegensatz zu Colt hatte sie den Recken sehr wohl verstanden. Sie übersetzte für diejenigen an Bord, die den Schotten nicht verstanden hatten: „Wir waren fünf Monate weg, Colt. Wir wurden für tot erklärt.“ Nun kommentierte auch Fireball das Treiben dort unten: „Ich schätze, wir sprengen grade die Beerdigung.“ War zwar eine seltsame Vorstellung, das musste er zugeben, aber so ganz unwahrscheinlich war die Option leider nicht. Vorsichtig senkte er Ramrod hinab, korrigierte immer wieder über die Schubregler ihre Flugbahn. Ohne Stabilisatoren war Ramrod schwer zu halten, jede Windböe brachte sie erneut vom Kurs ab. Aber wenigstens war der große Cowboy nun bodennahe genug, dass die Schaulustigen endlich Platz machten. Die Blondine stand aus ihrer Satteleinheit auf, sie vertraute voll und ganz auf die Flugkünste ihres Piloten und kam vorsichtig nach vor. April hielt sich an Colts Satteleinheit fest und blickte auf das Rollfeld hinunter. Endlich war es mit Flutlicht ausgeleuchtet worden, endlich konnte man sehen, wo noch ein Platz für ihr Riesenbaby sein würde. Unmengen von Menschen versammelten sich, drängten sich aneinander. Mittlerweile waren auch viele Zivilisten darunter. Freunde und Verwandte konnte April dort schon von Weitem erkennen, eine komplette Flugstaffel war zur Sicherheit ausgerückt und eskortierte Ramrod herunter. Das Bodenpersonal hatte also ihr Energiedefizit gemeldet und vorsorglich alle Hilfseinheiten alarmiert. April bedachte ihre Jungs mit einem kurzen Blick. Colt hielt es kaum noch in seinem Sitz aus. Er fieberte ungeduldig seiner Robin entgegen, das konnte sie förmlich spüren. Die sensible Frau an Bord musterte auch Fireball kurz. Der musste sich voll und ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und hatte für keine anderen Gedanken Platz. Und zu guter letzt blieben ihre meerblauen Augen an Saber hängen. Auch er fieberte jemandem entgegen. Es wurde Zeit, dass sie endlich zuhause ankamen. April selbst kam der Landeanflug wie eine kleine Ewigkeit vor. Wieso ging das nicht schneller? Kaum hatte Ramrod aufgesetzt und verstummten seine Motoren, nahm einer nach dem anderen die Beine in die Hände und verließ das Schiff. Im Klartext hieß das, April rief erfreut den Namen ihres Vaters aus und war erst mal verschwunden. Colt sprang ebenfalls auf und hechtete der Blondine hinterher. Fireball schnallte sich eher bedächtig ab und verließ den Kontrollraum erst mal Richtung Verwahrzellen. Der Schotte murmelte nur kurz: „Ich komme gleich nach“ und blieb vorläufig alleine im Kontrollraum zurück. Er wollte noch ein paar Momente für sich haben und versuchen zu verarbeiten, was in den letzten Monaten alles geschehen war. Saber senkte den Blick auf seine Satteleinheit. Nur dunkel konnte er sich daran erinnern, dass sie als anderes Team gestartet waren, dass er zu Beginn ihrer Reise der Captain gewesen war. Hatte er in der Vergangenheit seine Identität verloren? Der Highlander horchte noch einmal tief in sich hinein. Nein, er hatte nichts verloren. Im Gegenteil. Er wusste, dass er nur gewonnen hatte. Saber war zufrieden, wie es jetzt war. Ramrod war ein Pilotprojekt gewesen, Commander Eagle hatte ein junges Team dafür haben wollen. Der Commander hatte sehr genau gewusst, wen er mit welchem Posten betrauen würde. Saber war ein fähiger Stratege, hatte beim britischen Geheimdienst viele Fähigkeiten erlernt und war auch im Oberkommando im Rang eines Majors eingestuft worden. Dennoch war das Kommando an einen jungen und unerfahrenen Piloten gegangen. Saber sah zur mittleren Satteleinheit auf. Die Entscheidung war goldrichtig gewesen. Shinji war talentiert und lernte schnell. Schneller, als Saber manchmal lieb war. Der Schotte hatte im Hintergrund immer darauf geachtet, dass nichts aus der Bahn geriet. Er war sich sicher, jeder hier hatte seine Aufgabe gut gemacht. Sie waren ein eingeschworenes Team und Saber hatte, nachdem für alle klar war, wo sein Platz im Team war, kaum ein greifen oder lenken müssen. Sie waren Freunde und hatten gewusst, wer was zu tun hatte. Bedächtig stand Saber aus seiner Satteleinheit auf und sah sich auf dem Schiff um. So ruhig wie in diesem Moment war es selten auf dem großen Cowboy. Besonders in den letzten Monaten war hier immer die Hölle losgewesen. Saber schmunzelte. Colt zu erklären, dass beim Schiff zu bleiben auch wirklich hieß, beim Schiff zu bleiben, war schier ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Bis auf seine kleinen Ausflüge war der Cowboy allerdings lieb und brav geblieben. Naja, wie man das bei Colt halt definierte. Lieb und brav. Es war tatsächlich an der Zeit, dass sie wieder dort angekommen waren, wo sie hingehörten. Saber ging auf die Glasfront zu. Sie hatten vor Kurzem mit an gesehen, wie der Krieg zwischen Menschen und Outridern ausgebrochen war. Dem Schotten standen dabei die Haare zu Berge. Es war schrecklich gewesen. Jetzt, wo er die Zeit gefunden hatte, das alles noch einmal Revue passieren zu lassen, kam er zu diesem vernichtenden Urteil. Er hätte es lieber nicht erlebt. Jede Heldengeschichte hatte einen bitteren Beigeschmack. Das wusste nicht zuletzt der Schotte besser als kaum ein anderer. Schließlich stammte der Sprössling eines schottischen Adelshauses von William Wallace, einem Freiheitskämpfer, ab. Saber senkte den Blick. Helden starben bekanntlich. War nur die Frage, ob sie nun auch Helden waren. Für tot wurden sie schließlich schon erklärt und nun standen sie hier, heimgekehrt. War sie das? Der Schotte erhaschte einen Augenblick lang einen Blick auf das Antlitz einer Frau in der Menge. Nun kam auch in ihm wieder die Unruhe zum Vorschein. Sie war es, sie war es wirklich. So unglaublich es für Saber auch war, sein Herz sprach eine andere Sprache. Da unten stand die Frau, die er liebte und die er seit Monaten nicht gesehen hatte. Mit leuchtenden Augen und dem Wissen, dass alles gut ausgegangen war und alles richtig war, wandte sich Saber von der Glasfront ab und verließ Ramrod. Schwer waren die letzten Schritte hier herunter gewesen und mit jedem Schritt war er langsamer geworden. Shinji sträubte sich innerlich dagegen, aber was blieb dem jungen Captain übrig? Sein Freund hatte Mist gebaut, mittlerweile mehr als nur einmal, und er sollte seine gerechte Strafe bekommen. Gedanklich hakte Fireball den Tag schon ab, der war es nicht wert, länger in seinem Gedächtnis zu bleiben. Leider würde der Pilot diesen Tag nie wieder vergessen können, das wusste er auch selbst. Aber zumindest einen Versuch war es wert. „Endstation. Wir sind da, Jesse.“ Dabei öffnete Shinji die Zellentür und trat auf den blauhaarigen zu. Es war ein unangenehmes Gefühl. Fireball gefiel das alles überhaupt nicht. Er spürte die Kälte zwischen ihnen, die Distanz und auch die Spannungen, die sie seit jenem Abend nie aus dem Weg geräumt hatten. Aus Freunden waren Rivalen geworden, schleichend, dafür aber umso überraschender. Jesse erhob sich. Seine Hände waren immer noch gut verschnürt, dank der Handschellen, die ihm angelegt worden waren. Das Kopfbrummen hatte sich in den letzten Minuten stetig gelegt, allerdings hatte der Überläufer begonnen, über einige Dinge nachzudenken. Als er im Kontrollraum wach geworden war, hatte er ein seltsames Gefühl gehabt, hatte eigentlich gar nicht wirklich gewusst, was genau los war. Hier unten, in der karg ausgeleuchteten Zelle war es still gewesen und Jesse hatte Zeit gefunden, seine Gedanken zu sortieren. Viele Erinnerungen waren über ihn hereingebrochen. Zuerst war er verwirrt darüber gewesen. Was hatte er mit Fireball zu tun gehabt? Doch gar nichts! Der feine Rennfahrer war immerhin nur zufällig auf Ramrod gelandet und hatte ihm ein Mädchen ausgespannt, das er gerne besitzen würde. Doch je länger Jesse darüber nachdachte, desto mehr anderer Dinge waren ihm eingefallen. Er und der kurzgeratene Laufmeter waren Klassenkameraden gewesen. Eigentlich mehr als das. Sie waren miteinander oft um die Häuser gezogen, waren Freunde gewesen. Jesse sah auf Fireball hinab, folgte ihm aber ohne Anstalten zu machen. Der Japaner war schuld daran, dass alles letztendlich so gekommen war. Kalt blaffte er ihn an: „Spar dir deine Freundschaftstour!“ Der Pilot nahm Jesse an der Schulter und führte ihn auf den Gang hinaus. Ihre Freundschaft von damals war nichts mehr wert. Nicht erst seit der Geschichte, die hier passiert war. Sie war früher schon in die Brüche gegangen. Wegen einem Mädchen. Das Beste an der ganzen Geschichte allerdings war, zumindest empfand es Fireball so, dass er mit April nie etwas angefangen hatte, sie Jesse ausgespannt hätte. Er war mit der Tochter von Commander Eagle von Anfang an gut ausgekommen, hatte sich mit ihr verstanden, aber er war nie auch nur auf die Idee gekommen, sich in sie zu verlieben oder sie einem Freund auszuspannen. „Mach es mir nicht unnötig schwer. Das hier ist schon schlimm genug“, dabei verstärkte Fireball den Druck auf Jesses Schulter etwas mehr. Jesse wand sich aus dem Griff und blieb kurzerhand auf dem Gang wieder stehen. Je ruhiger der kleine Japaner mit ihm sprach, desto mehr stachelte ihn das an. Diese selbstgefällige Art von Fireball brachte Jesse im Null Komma nix an die Decke. Der Sohn eines Captains war doch wirklich nur durch die Akademie gekommen, weil der Nachname zu verführerisch gewesen war. Wie hätte das denn ausgesehen, wenn der Sohn von Captain Shinji Hikari wegen einer Befehlsverweigerung von der Akademie geflogen wäre? Jesses Augen funkelten und blitzten auf den kleineren hinab. Nichts war sie noch wert, ihre Freundschaft aus der Zeit vor Jesses Rauswurf, den er alleine Fireball zu verdanken hatte. Er knurrte ihn deswegen drohend an: „Denk mal scharf darüber nach, wer es hier wem unnötig schwer macht! Hat es dir nicht Spaß gemacht, mich vor April ständig schlecht zu machen, nur damit deine Chancen bei ihr steigen?“ Der ehemalige Kadett hatte seit jeher das Gefühl gehabt, Fireball hätte über ihn nur schlecht gesprochen. Die Blondine hatte Jesse vom ersten Moment an, wo sie einander vorgestellt worden waren, abblitzen lassen. Er hatte von April nicht nur eine Abfuhr kassiert, sondern immer wieder. Sie war prinzipiell lieber mit Fireball, everybody’s darling, ausgegangen. Dabei übersah er geflissentlich, dass April schlicht und ergreifend kein Interesse an ihm hatte. Genau sowenig Interesse hatte sie aber zum Zeitpunkt des Balls an Fireball gehabt, er war allein deswegen ihr ständiger Begleiter gewesen, weil sie sich bei ihm gut aufgehoben fühlte und sich in seiner Gegenwart wohl gefühlt hatte. Damals hätte sie darauf schwören können, nichts außer Freundschaft für den Wuschelkopf zu empfinden, nach ihrer Reise hatte sich das allerdings geändert. Auch Fireball war stehen geblieben. Das war der Kern allen Übels. Fireball war damals dazwischen gegangen, als Jesse auf dem Ball gedacht hatte, ein ‚Nein‘ wäre nur eine Aufforderung dafür, es noch vehementer zu versuchen. Als Fireball in die Szene geplatzt war, hatte bei ihm alles ausgesetzt. Er hätte bei jedem anderen Mädchen so reagiert. Der Beschützer in ihm, sein Gerechtigkeitssinn, nichts hätte zugelassen, dass er dabei nur zugesehen hätte. In dem Moment war Jesse ihm unterlegen gewesen, eine einmalige Ausnahme. Das wussten sie beide. Und so standen sie sich nun auch gegenüber. Der hochgewachsene, gut trainierte Jesse sah drohend auf den kleinen und eher schmächtigen Fireball hinab. Auch in Handschellen war er Fireball überlegen. Nur ein falsches Wort von dem kleinen Armleuchter und Jesse würde ihm eine vor den Latz knallen. Fireball allerdings bot Jesse die Stirn: „Deine Chancen wären schon mal rapide angestiegen, wenn du ihr auch nur einmal zugehört hättest, wenn sie etwas erzählt hat. Du hattest an ihr als Mensch kein Interesse, weshalb hätte sie dann welches an dir haben sollen?“ Jesse biss die Zähne zusammen. Er wollte ruhig bleiben, aber das fiel bei dem selbstgefälligen Kaliber vor ihm nicht leicht. Es funktionierte nicht. Weshalb er Fireball die Hände gegen die Schulter stieß und ihn anblaffte: „Aber du schon! Du wolltest sie doch erst haben, als ich mich mit ihr getroffen hab.“ „Du redest von April wie von etwas, das man besitzen kann. Warum kapierst du’s denn nicht? April und ich sind Freunde. Und nur das“, in dem Moment hatte er Jesse angelogen. Aber was war das noch wert? Es würde ohnehin nichts mehr kitten können. Diese Freundschaft war ein Scherbenhaufen. Fireball bedauerte es zwar irgendwie, aber schlussendlich würde es zwischen ihnen ohnehin nicht mehr so werden, wie noch in der Akademie. Zu viel war mittlerweile vorgefallen und Jesse stand hier nicht als Freund, sondern als Kadett, der es vorgezogen hatte, seinen Arrest nicht abzusitzen. Diesem Gespann eine weitere Chance zu geben, war sinnlos, das sah Fireball ein. Deswegen griff er fest um Jesses Arm und führte ihn hinaus: „Aber egal, wie oft ich es dir erkläre, du verstehst es trotzdem nicht. Es ist egal, Jesse. Ich hoffe nur, dass du diesmal so schlau bist und deine Strafe absitzt.“ Unwirsch zog Jesse seinen Arm zurück, doch den Griff von Fireballs Händen entkam er dadurch nicht mehr. Es hatte alles keinen Zweck mehr, für dieses Mal musste er sich geschlagen geben. Nur hieß geschlagen geben nicht zwangsläufig, sich auch verbal geschlagen zu geben. Jesse wusste es besser. Dieser kleine Tunichtgut hatte ihm bei April alles vermasselt. Noch einmal protestierte Jesse ungehalten dagegen: „Freunde! Klar doch. Du kennst die Bedeutung dieses Wortes doch noch nicht mal! Ich wette, ihr beiden teilt euch hier auf Ramrod nicht nur den Tisch. Du kannst doch deine Finger nicht von ihr lassen. Das konntest du damals nicht, das kannst du heute noch nicht.“ „Du solltest in einer ruhigen Minute noch einmal darüber nachdenken, was ein Freund ist. Du kennst da nämlich keinerlei Unterschied“, sie hatten sich in der Hinsicht beide nicht gerade mit Ruhm bekleckert, das wusste zumindest Fireball. Bei Jesse war er sich da nicht so sicher. Der war elendig uneinsichtig, was manche Dinge betraf. Schweigend begleitete er ihn nun hinaus. Ohne weitere Gegenwehr ging Jesse mit. Immer wieder warf er einen Blick auf den kleineren Star Sheriff. Er hätte Fireball nur einmal richtig anrempeln zu brauchen, dann hätte er sich wieder aus dem Staub machen können. Doch spätestens am Fuß der Rampe wäre die Reise in die Freiheit für ihn auch schon wieder zu Ende gewesen. Jesse sah es wohl oder übel ein. Dieses Mal war er zu langsam gewesen. Aber er hatte eine Menge anderer Dinge gelernt. Freundschaften waren nicht immer das, wofür sie sich aus gaben und für das man sie hielt. Jesse hatte in der Akademie noch gedacht, mit Fireball einen Freund gefunden zu haben, mit dem man Pferde stehlen konnte. Sie hatten sich wirklich gut verstanden und beide ziemlich die selbe Einstellung zu manchen Kursen gehabt. Ein Mädchen hatte das alles zunichte gemacht. War das zu fassen? Jesse sah ein weiteres Mal auf Fireball hinab. Er hatte mit April nie ernsthaft an so etwas wie eine Beziehung gedacht, er hatte sich lediglich die Zeit mit ihr vertreiben wollen. Fireball hingegen dürfte diesbezüglich vom Blitz getroffen worden zu sein. Jesse dachte an einen dämlichen Trinkspruch: ‚Wahre Freunde teilen alles. Auch die Frau.‘ Ihre Freundschaft war nicht das gewesen, wofür sie sie gehalten hatten. Das war Jesse nun endgültig klar. Sie hatten sich eine Menge Fehler geleistet. Jesse allerdings hatte sich den größeren geleistet. Er war so blöd gewesen und hatte sich nach seiner Suspendierung und dem aufgebrummten Hausarrest nicht an die Ausgangssperre gehalten. Wüsste er, dass auch Fireball das getan hatte, er hätte sich dann für nicht ganz so blöd hingestellt. Nur hatte sich Jesse erwischen lassen. Er hätte einfach nur abhauen müssen, weit genug weg, aber er hatte es vorgezogen, seine Rachegelüste zu befriedigen, die ihm im Endeffekt wieder die Arrestzelle eingebrockt hatten. Er war schon in mancherlei Hinsicht ein selten dämlicher Hornochse. Das ganze Theater nur wegen eines Mädchens. Draußen wurde Jesse ohne ein weiteres Wort an zwei MPs weitergereicht und abgeführt. Jesse hatte nicht mehr als einen kritischen Blick für Fireball übrig. Sie würden sich wiedersehen, irgendwann. Da war sich Jesse ganz sicher. Bis dahin aber würde er mehr aus seinem Leben machen. Viel mehr. Jesse hatte große Pläne für seine Zukunft ohne das Kavallary Oberkommando. Fireball sah Jesse und seiner Begleitung noch kurz nach. Da ging ein ehemaliger Freund hin. Der Captain wandte sich ab, blieb aber mit einem seltsamen Gefühl stehen. Hinter ihm lag nun ein alter Freund, vor ihm standen drei Freunde. Etwas mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit waren sie. Saber, Colt und April. Die drei lagen Freunden und Familie im Arm und feierten das Wiedersehen. April war ihrem Vater um den Hals gefallen und klammerte sich seither an das Oberhaupt der Sektion West, ohne ihn ein einziges Mal losgelassen zu haben. Der Cowboy hielt seine Zukünftige im Arm, streichelte ihr immer wieder über das Bäuchlein, das inzwischen deutlich verriet, was in den nächsten Monaten auf den Scharfschützen zukam, und scherzte mit Josh. Eine glückliche kleine Familie eben. Saber stand mit June etwas abseits dieser überschwänglichen Freuden, hielt etwas schüchtern deren Hand. Der Pilot schmunzelte. Saber konnte schon so manches Mal etwas unterkühlt wirken. Von Saber und June wanderten Fireballs Augen zu Ramrod hinüber. Es war kaum zu glauben, wo sie die letzten Monate gewesen waren. Er glaubte es selbst kaum. Aber wichtig war schließlich nur, dass sie alle gesund und wohlbehalten wieder zuhause angekommen waren. Fireball sah sich um. War in der Menge vielleicht auch irgendwo jemand, der sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte? Als er seine Mutter nicht entdecken konnte, seufzte er leise und schloss zu seinen Freunden auf. Manche Dinge änderten sich auch nicht, wenn sich die Vergangenheit änderte. Die nächste Zeit standen Routinearbeiten an. Commander Eagle musste eine Beerdigung absagen. Nun ja, das fiel nicht unter die Routinearbeiten, aber diese Feierlichkeiten sagte der Commander nur zu gerne ab. Die vier Freunde sahen sich zwei Tage lang die Krankenstation aus der Nähe an, der Commander wollte sichergehen, dass ihnen auch wirklich nichts fehlte. Währenddessen wurde Ramrod in einen Hangar geschafft und wieder in Gang gesetzt. Für die Berichte ließen sich die vier etwas Plausibles einfallen, wie man fünf Monate absolute Abstinenz von der Bildfläche erklären konnte. Das kleine Kunststück brachten sie tatsächlich fertig. Für eine gute Woche wurden sie dann noch dienstfrei gestellt, um sich von den Strapazen erholen zu können. Alle hatten mitgenommen ausgesehen. Colt wich, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, keine Sekunde von Robins Seite. Er verbrachte jede freie Minute mit ihr und seinem zukünftigen Schwager. Der Cowboy blühte wieder auf, innerhalb weniger Tage war er wieder zur alten Hochform aufgelaufen. Natürlich war das nur Robins liebevoller Hingabe und ihrer guten Küche zu verdanken, aber in diesem Fall heiligte der Zweck wohl die Mittel. Die beiden wurden bald Eltern, da sollte auch der Vater, wenn möglich, Nerven aus Drahtseilen haben. Für Robin galt es also, ihren armen Schatz wieder aufzupäppeln und für die nächsten Missionen zu stärken. Dass die bestimmt kamen, daran bestand für die blonde Lehrerin kein Zweifel. Mit Müh und Not hatte das Oberkommando die fünf Monate ohne die Ramrodcrew überstanden, immer wieder hatten Outrider die neuen Siedlungen angegriffen. Robin würde Colt nicht zum Daheimbleiben überreden, das hätte sowieso keinen Sinn bei einem verbohrten Sturkopf wie ihm, aber sie wollte doch, dass sich in Zukunft alle etwas vorsahen und Vorsicht walten ließen. Sabers erstes Wiedersehen nach fünf Monaten hatte zwar etwas unterkühlt gewirkt, war aber dann umso herzlicher und überraschender geworden. Auch June war etwas verschreckt von Sabers Unnahbarkeit bei seiner Heimkehr gewesen, wenn nicht sogar verunsichert. Die erste Nacht war sie wach im Bett neben dem Schotten gelegen und hatte sich gefragt, was nur passiert war. Saber war von Haus aus nie ein übertrieben gefühlsbetonter Mensch gewesen, aber neben ihr war er doch immer herzlich gewesen. Das hatte sie bei seiner Heimkehr vermisst und sich sofort Gedanken darüber gemacht. Eine Aussprache war am nächsten Morgen schon fällig gewesen, bevor Saber überhaupt ins Oberkommando aufgebrochen war. Die war in einer Überraschung gegipfelt. Saber hatte es zuhause die Augen geöffnet. Junes Nähe war wundervoll, er hatte sie vermisst. Nach einem tiefen und erholsamen Schlaf neben ihr, war sein Heiratsantrag nur noch Formsache gewesen. Saber hatte sich noch während der Ansprache vor June gekniet und sie gebeten, seine Frau zu werden. Er hatte ihr aufgezählt, was er alles an ihr liebte. Seine Entscheidung war ihm leicht gefallen. Mit dieser Partnerin konnte das Leben in all seinen Facetten gerne kommen. Saber und June würden gemeinsam alles überstehen. April hatte in der ersten Nacht ihrer Heimkehr Besuch gehabt. Fireball hatte sie nachhause begleitet. Nach dieser Odyssee waren beide mal ganz alleine. Es war eine Wohltat gewesen, in dieser Nacht hatten beide schlecht ein Auge zutun können. Das Feuer der Leidenschaft hatte zu stark in ihnen gelodert. Dieses Feuer war prompt am nächsten Morgen von der Erkenntnis gelöscht worden, dass das Oberkommando Beziehungen unter Kollegen verbot. Keinem der beiden gefiel es, es brach ihnen sogar das Herz, aber die Vernunft siegte. Sie waren Kollegen und Freunde. Mehr durften sie einfach nicht sein, mehr würden sie nicht mehr sein. Das schlug sich auf die Laune und Gemüter der beiden jüngsten nieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)