100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 42: #42 [Still] ----------------------- Neuorientierung Pascal klappte den Laptop zu und sah auf die Uhr. Was er sah, überraschte ihn nicht einmal. Es war halb drei in der Nacht; in letzter Zeit war es ständig halb drei in der Nacht, und Pascal saß mit Laptop auf dem Bett, weil ihn noch niemand von der Seite angemault hatte, dass er es doch wenigstens mal mit Schlaf probieren könnte. Frankie war weg, schon wieder. Kam in letzter Zeit häufiger vor. Er arbeitete lang und schlief woanders, und wenn er einmal da war, dann wirkte er müde und abwesend und... erstaunlich nüchtern. Keine sinnlosen Zickereien, aber auch keine kleinen Niedlichkeiten; als wären sie selbst dann durch eine Lage Zellophan getrennt, wenn sie mal Seite an Seite saßen und Wärme tauschten. Statt dass Frankie wieder die dritte Nacht in Folge außer Haus verbrachte. So wie jetzt. Sogar sein Geruch, der sonst immer subtil über dem Bett hing, verblasste langsam. Unwillig starrte Pascal sich auf die Fingerspitzen, die regungslos auf dem kühlen Chassis des Laptops ruhten. Die damit verbundene Freiheit genoss er immer noch. Es war schön, über einen längeren Zeitraum ungestört zu sein, und sich mit erfrischender Rücksichtslosigkeit lange vernachlässigten Plänen oder Beschäftigungen zu widmen - einfach mehr Zeit zu haben, die er nach gusto investieren konnte. Dass er seine Tage auch so verbringen konnte, hatte er in den vielbeschäftigten Wochen davor fast schon vergessen. Und jetzt war es fast wie früher. Nur, dass er in einer Wohnung herumhing, die ein anderer Mensch eingerichtet hatte, und die ihm damit ins Gesicht drückte, dass etwas fehlte. Früher wäre er nicht auf die Idee gekommen, das zu vermissen - aber früher hatte er das auch nicht gekannt. In all seinen kleinen Details, die sich mit ihren Widerhaken in seine Erinnerungen gebohrt hatten und jedem Zittern seine Gedanken auf ein Neues durchlöcherten. Und trotzdem saß er auf diesen unmöglich großen Bett und stieß sich das Gehirn an all den fremden Dingen, die ihn hier umringten. Statt einfach seine Sachen zu packen. Und es so zu machen wie früher. Vielleicht hatte Frankie ihn einfach satt. So etwas kam vor, besonders, wenn man zu lange aufeinander hing - dahinter steckte keine böse Absicht, manchmal lebten sich Situationen eben aus. Er hatte einfach genug von ihm, und zu viel Mitleid, um es ihm mitzuteilen. Oder zu viel Angst - Pascal kam es lächerlich vor, dass irgendwer vor ihm Angst haben konnte. Aber er war sich seines Temperamentes bewusst, und so sehr er da auch an sich arbeitete (denn das war absolut nicht okay, das sah er ein), er konnte auch nichts ungeschehen machen. Er war auch kein einfacher Mensch. Das gab er sofort zu. Er war schweigsam und unaufmerksam und hatte nicht besonders viel Selbstbewusstsein. Es war schrecklich anstrengend, ihn aus den Löchern zu ziehen, in denen er keinen Therapeuten der Welt stochern lassen wollte. Und dann wurde er wieder furchtbar wütend oder war angespannt und provozierte deshalb Streit. Gleichzeitig war er zu lethargisch und introvertiert, um mit Frankies Drängeln und Unternehmungslust mitzuhalten. Und schlussendlich war er ja auch keine Frau. Denn dass Pascal für Frankie eine riesige Ausnahme gemacht hatte, war von Anfang an klar gewesen. Aber dass das umgekehrt ebenfalls der Fall gewesen war, das war erst nach und nach zu ihm durchgesickert. Er hatte nicht damit gerechnet. Nicht bei Frankies Image, und nicht bei seiner Optik - er hatte manchmal so feminine Züge, und das hatte Pascal im Gewirr von Stereotypen und Schubladen falsch abbiegen lassen. Wahrscheinlich war er da zu Anfang etwas einfältig gewesen. Es war irgendwie ein wunder Punkt - Frankie war durchaus ein Mann, und doch tänzelte er zwischen Bezeichnungen und Rollen und streckte ihnen die Zunge heraus. Hinreichend geschminkt und zurecht gemacht wäre er trotzdem als Frau, oder zumindest als undefinierbar durchgegangen; das machte es Pascal leichter. Er selbst hingegen war ziemlich fest im Kerlsein verwurzelt. Die Putzgewohnheiten, mit denen er auch in Frankies Abwesenheit die Wohnung halbherzig bewohnbar hielt, gehörten schon zu den größeren Ausschreitungen, die er sich so erlaubte. Vielleicht hatte sich das am Ende für Frankie doch nicht als erträglich herausgestellt. Und jetzt schlich er um den heißen Brei herum, indem er auf irgendwelchen Sofas pennte, oder vielleicht auch in fremden Betten. Mit dem Geschlecht, zu dem er sich leider eben hingezogen fühlte. Mit einem unwirklich lauten Geräusch zog Pascal die Luft ein und zählte abwesend die dicken Kratzer in der hölzernen Schranktür, die er im schummrigen Licht der Papierlampe ausmachen konnte. Dass er einmal über so etwas nachdenken würde, hätte er nie gedacht. Nicht bei dieser Klette, deren weißblonder Schopf wie ein kleiner, fahrender Leuchtturm immer wieder durch sein Sichtfeld tänzelte; die kleine "Pascaaal"s zwischen seine beschäftigten Gedanken schubste, oder ausführliche Drama-und-Schock-Tänzchen um das Auftauchen von Spinnentieren veranstaltete, oder mit spitzen Fingern gegen verkrampfte Rückenmuskeln andrängelte. Und das machte es eben so seltsam. Pascal schloss die Augen. Wenn er sich konzentrierte, konnte er einen weit entferntes, rhythmisches Brummen hören - mehr ein unbewusster Druck auf den Ohren, von irgendeiner weit entfernten Straße. Er spürte eine prickelnde Nervosität, die ihm unter der Haut aus den Augen floss, und ein sinkendes Gefühl in seiner Kehle. Noch einmal klapperte sein Blick all die Kratzer in dem Furnier ab. Dann griff er nach seinen Kippen, stieg aus dem Bett und öffnete die Tür. Schlafen konnte er ja sowieso nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)