Ein Neuer Schuh ist wie ein neues Leben von ChillKroete ================================================================================ Kapitel 1: ----------- ~Kapitel 1~ Ich habe immer gedacht mein Leben wäre total normal. Ich bin durchschnittlich hübsch. Meine Haare sind blond und fallen mir über die Schulter. Gelegentlich bekomme ich Besuch von einem Pickel im Gesicht. Sonst habe ich eher reine Haut. Wenn ich mich mit meinen Freundinnen unterhalte, müssen die meisten nach oben schauen. Mit meinen 1,73Metern bin ich nicht gerade die Kleinste. Was mir gefällt sind meine blau-grünen Augen. Wenn ich weine oder zuviel Shampoo in die Augen bekomme werden sie total blau. Grün werden sie, wenn ich richtig sauer werde. Sonst ist immer ein schönes Mittelmaß von Beiden da. Obwohl ich keine Modelmaße habe, bin ich mit meiner Figur recht zufrieden. Kein Gramm zuviel oder zu wenig. Mir laufen keine Jungs in scharren hinter her und beschwärmen mich, mich himmeln auch keine anderen Mädchen an und beneiden meine Schönheit. Mein ganzes Leben war bis her immer ganz normal. Auch meine Freunde sind alle ganz durchschnittlich. Auch wenn wir eher etwas verrückter sind als andere. Alex spielt unheimlich gerne Fußball. Ihn kenne ich jetzt schon, seitdem ich die Grundschule besuche. Nun nervt er mich schon seit der ersten Klasse. Mittlerweile haben wir es durch viel mogeln (vielleicht auch wegen ein bisschen lernen) in die Zehnte Klasse geschafft. Mit Annika bin ich aufgewachsen, auch wenn wir manchmal ein paar Kontakt Abbrüche hatten, immer wieder haben wir zu einander gefunden. Allerdings nennt sie keiner Annika, alle nennen sie Zipo, so heißt sie mit Nachnamen. Zipo hat das Glück, sie ist einmal Kleben geblieben. Zu ihrem Glück, machen sie fast immer das Selbe, was wir auch gemacht haben. So kommt es, dass sie schon mal unsere alten Sachen bekommt für die Schule. Alex und ich sind einfach zu großzügig. Nun Zipo geht auf die Realschule. Alex und ich gehen auf dieselbe Schule, die für den meisten Drogenhandel bekannt ist. Jedenfalls sagt man es sich so mit den Drogen. Wirklich mitbekommen habe ich es noch nie. Den Fleck wo ich wohne nennt man Velbert. Ja, Velbert ist eine kleine Stadt. Wir haben es gerade noch so geschafft mit unserer Einwohner Zahl, dass wir uns Stadt nennen dürfen. Velbert ist eigentlich relativ groß. Aber nur was die Größe von Wäldern, Bauernhöfen und irgendwelchen freiliegenden Wiesen betrifft. Wir Dorfkinder wissen wenigstens, dass Kühe nicht lila sind. Zu unserer Stadt gehören noch kleinere Anhängsel von Dörfern, die nicht zugeben wollen, dass sie zu uns gehören. Plötzlich wollen die Bewohner der Teile eigenständig sein, besuchen aber in Velbert die Schulen, gehen ins Zentrum einkaufen und besuchen unsere Ärzte. Außer kleinen Kneipen und Diskotheken, in denen die Meisten entweder viel zu alt sind oder sich zu junge Jungendliche mit gefälschten Ausweisen rein schmuggeln, hat Velbert am Wochenende nichts zu bieten. Manchmal sind so tolle Beach Partys, wo viel Sand am Forum liegt. Wenn man Glück hat, wird gute Musik gespielt. Sonst fährt man in eine für uns Dorfkinder „Großstadt“. Dort denkt man dann würde wirklich der Bär steppen. Das alles soll aber nicht heißen, dass man in Velbert keinen Spaß hat. Nein, ich komme immer auf meine Kosten. Mit meinen fünfzehn Jahren, bin ich hier auch noch festgebunden. Einen gefälschten Ausweis habe ich nicht. Zipo ist ja auch noch keine sechzehn und somit gehen wir meistens ins Chill-out, zur Ein-Euro Party. Wenn man nur einen Euro für jedes Getränk bezahlen muss, bleiben die anderen natürlich auch hier und verzichten liebend gerne auf das teure Zeugs in der sogenannten Großstadt. Manchmal wünsche ich mir auch schon sechzehn zu sein. Dann würde Alex nicht so damit angeben, einen fünfziger Roller fahren zu dürfen, er darf Legal Alkohol kaufen und in Discos gehen. Meistens aber muss er schon um zwölf Uhr Nachts zuhause sein. Ich in meinem alter, darf bis eins draußen bleiben. Alex dagegen möchte sehr bald 18 sein. Es gibt ja Leute, die bekommen den Hals nie voll genug. Zipo sagt immer: „Genießen wir unser Alter. Nach 18 kommt nur noch Ehe, Kinder, Tod.“ Meine Eltern haben mir einen Namen gegeben, bei dem ich nicht jedes Mal vor Scharm im Erdboden versinken muss, wenn man ihn ruft. Sie gaben mir den Namen, Nicole. Alex und Zipo nennen mich aber meistens Nic oder Nici. Mein Freund Tim nennt mich immer Nici, dabei zieht er das "I" wie Kaugummi in die Länge. Tim ist siebzehn und ebenfalls ein Angeber, was sein Alter betrifft. Ich habe ihn schon oft gesagt, er solle doch was mit Alex anfangen, dann könnten sie abends zusammen um die Häuser ziehen. Was ich an Tim mag ist schnell erklärt. Sein süßes Sunnyboy lächeln. Seine schwarzen Haare, die er immer Perfekt Stylt. Seine grünen Augen, welche immer strahlen, wenn er glücklich ist. Sein Humor und manchmal auch seine Sturheit. Faszinierend finde ich auch seine Schlagfertigkeit, aber nur wenn er mit Zipo streitet. Tim spielt Fußball in einem Verein, macht sein Abi und wohnt in Wuppertal. Mit dem schnell Bus brauche ich fünfundzwanzig Minuten nach Wuppertal, mit dem normalen eine drei viertel Stunde und mit meiner Mutter höchstens eine viertel Stunde. Meine Mutter rast liebend gerne durch die Gegend. (Wundert mich nicht, wenn wir irgendwann einen Fahrrad Fahrer als Kühlerfigur haben.) Da kommen wir auch schon auf das Thema. Soweit sind meine Freunde, ich und mein Umfeld ganz normal. Schlag auf Schlag änderte sich aber mein ganzes Leben. Meine Eltern waren lange verheiratet und am 15.08.2005 kamen sie auf die Schnaps Idee, sich scheiden zu lassen. Vorher haben sie sich nie gestritten. Beide führten ebenfalls ein ganz normales Leben. Ihre Kosenamen waren immer noch Bärchen, mein Vater nannte meine Mutter so und bei Streuselchen fühlte sich mein Vater immer angesprochen. Abends gingen sie immer zusammen zu Freunden, redeten normal. Sonntags saßen sie zusammen da spielten Karten oder lasen Zeitung. Wenn meine Mama was sagte, antwortete mein Vater auch immer schon mit „Aha“, „Nein, echt?“ und „Ne, das waren die Kinder.“. Keinerlei Anzeichen für eine Scheidung. Als sie es uns mitgeteilt haben, habe ich gelacht. „Wir haben kein April“, habe ich unter Tränen gesagt. Noch waren diese Tränen ein Ergebnis meines Gelächters, welches ich nicht abstellen konnte. „Es ist kein April Scherz. Euer Vater hat seine Sachen schon gepackt. Morgen wird er nach Heiligenhaus ziehen", sagte meine Mutter schroff. Nun waren meine Tränen Trauer Tränen. Wütend verließ ich die Küche, knallte meine Türe extra laut zu und schmiss mich aufs Bett. Wie lange bitte hatten die das schon gewusst, dass sie sich scheiden lassen wollen? Vielleicht fünf Jahre vorher? Wann hat mein Vater die Koffer gepackt? Oder hatte er seit der Hochzeit mit meiner Mutter und den Einzug in die neue Wohnung niemals seine Koffer aus gepackt? Meine Schwester Yvonne nahm das alles ganz gelassen. "Cool, dann bekomm ich jetzt doppelt Taschengeld und Geschenke." Mit der Scheidung unserer Eltern, wurde meine drei Jahre jüngere Schwester dann zum Punk. Nun hat sie nicht mehr ihr blondes Haar, sondern schwarze, die mit blauen Strähnchen noch mehr auffallen. Ihr Haar fiel ihr auch mal über die Schulter, war sogar ein ganzes Stück länger. Nun erreicht es nur ganz knapp ihre Schultern. Ihre Hosen sind nicht mehr von Orsay, sondern von irgendwo her. Sie durchlöchert diese und macht an ihnen über all Nieten und Sicherheitsnadeln dran. Mit grellen Farben schreibt sie dann Punk rulez, Green Day, Jackass und sonst was drauf. Hauptsache auffallen. Irgendwelche Buttons von Punk Bands verzieren ihre schwarze Tasche. Normalerweise war sie nie geschminkt, doch jetzt geht sie ohne Kajal nicht mehr Mal mehr aus dem Haus, um den Müll weg zu bringen. Gegen ein bisschen Kajal hat ja noch niemand was gegen gehabt, allerdings sind das schon Augenringe. Würde sie fünf Tage wach bleiben, hätte das denselben Effekt nur auf Naturbasis. Abends, wenn ich nach Hause komme, bin ich immer noch leise, weil ich denke, dass mein Vater schon schlafen gegangen ist. Morgens beeil ich mich immer im Bad, weil ich das Gefühl habe, dass mein Vater mich raus scheuchen wird, wenn ich wieder zu lange brauche. Nichts aber passiert. Nun wohnt er in Heiligenhaus. Wenigstens kann ich ihn mit dem Schnellbus Richtung Heiligenhaus besuchen. Seine Wohnung ist gar nicht mal so schlecht. Schöne Möbel, schöne große Räume. Selbst ich und meine Schwester haben zusammen ein Zimmer dort. Selbst ein Bett haben wir. Allerdings arbeitet er auch in diesem Zimmer. Dennoch ist es schön. Genau wie bei uns ist sein Esszimmer mit dem Wohnzimmer verbunden. Vom Wohnzimmer aus kann man auf den Balkon gehen. Während er einen Blick auf einen Spielplatz hat und andere Häuser sieht, sehen wir nur unseren Garten, der ganz klein neben den ganzen anderen Gärten gequetscht ist, die den anderen Mitbewohnern gehören. Obwohl ich seine Wohnung recht schön finde, finde ich unsere besser. Vielleicht weil es einfach Gewohnheit ist, fünfzehn Jahre immer durchs selbe Treppenhaus zu gehen, sich über die selben Leute zu beschweren, den selben Gang zum Kühlschrank zu haben und sich jeden Morgen beim verlassen des Zimmers, seinen kleinen Zeh am Kaninchen Käfig stößt. Hermann mein Hase, hat dann immer einen ganz komischen Blick drauf, als ob er lachen würde, wenn er es könnte. Für ein Zwergkaninchen ist er viel zu dick und zu groß, für einen Hasen aber noch zu klein. Wenn er sich auf seine Hinterpfoten stellt und ich unter ihm liege, sehe ich sein Doppel-dreifach Fell, wo drunter sich das ganze Fett sammelt. Seine Forderpfötchen sind klein und total süß, ebenso wie seine schwarzen Knopfaugen. Sein schwarz-weißes Fell ist total flauschig weich. Hermann ist der tollste Mann den ich kenne. Von mir lässt er sich Gott sei dank nie scheiden. Die Scheidung mit meinen Eltern ist jetzt schon eine Woche her. Nun sitz ich auf einen harten Sitz, auf dem schon Tausende fremde Menschen gesessen haben. Neben mir sitzt ein Mädchen mit dunkelblondem Haar, Kakao braunen Augen und einem hübschen Gesicht. Ganz leicht sieht man Sommersprossen. Im Sommer sieht sie mit denen immer ganz süß aus. Sie hasst ihre Sommersprossen. Ich sage dann immer, ein Mädchen ohne Sommersprossen sei wie ein Himmel ohne Sterne. „Du hast auch keine!“, giftet sie mich an. „Tja ich hatte einfach Glück.“ An der nächsten Bushaltestelle müssen wir raus, wir stellen uns schon einmal zur Tür hin und ich bemerke, dass Zipo doch etwas kleiner ist als ich. „Weißt du, warum kannst du dir dein Buch nicht in Velbert holen?", meckert sie rum. „Weil in Essen die Auswahl größer ist. Außerdem laufen in Essen doch so süße Typen rum." Einen Augenblick kommt von ihr gar nichts. „Stimmt bei uns in Velbert sind die süßen Typen ausgestorben." Zipo ist ein Man-Eater. „Vielleicht nicht unbedingt ausgestorben, nur einfach alle vergeben." Zipo lacht und schüttelt dann den Kopf. „Gib es zu", sage ich dann zu ihr. "Du bist gerne in Essen!" Der Bus hält, wir steigen aus. Auf dem Weg zur Straßenbahn antwortet sie immer noch nicht. Wieder sitzen wir auf so harten Sitzen. Warum können die nicht einmal bequem sein? Wir haben vier Uhr Mittags. Vor einer Stunde habe ich erst die Schule verlassen. Meine Rückenschmerzen werden auch nicht besser. Mit fünfzehn Jahren sage ich schon: „Ich hab Rücken.“ Jetzt im zehnten Schuljahr bekommen wir unheimlich fiel auf. Dabei wird das ganze auch nicht einfacher und vor allem meine Tasche wird nicht leichter. Meine letzten Arbeiten sind alle gut, die ich zurückbekommen habe, aber ohne Fleiß wären die bestimmt nicht so gut geworden. So ein Spickzettel erfordert eben höchste Konzentration. Zipo reißt mich aus meinen Gedanken. Mit ihrem Zeigefinger tippt sie an die Scheibe. Sie deutet auf einen Jungen, der vielleicht ein Jahr älter ist. Lässig mit einer Kippe im Mund steht er da und schaut auf die andere Straßenseite. Seine Hose hängt an ihm runter, sein dicker Nike Pullover schlabbert ebenfalls an ihm rum. Willst du mit Stil die Straße rocken, nimm die Hose aus den Socken, fällt mir dazu spontan ein. „Der sieht doch gut aus", quiekt sie. Ich verdrehe die Augen. „Wenn du ihn ansprechen willst, über uns ist dieses Hämmerchen. Schlag damit die Scheibe ein, spring raus und frag nach seiner Nummer." Schmunzelnd sieht sie mich an. „Denkst du die lassen das als Notfall gelten?" Ahnungslos zucke ich die Schultern. „Wenn du ihnen erzählst wie er seine Hose in den Socken hatte, denke ich schon." Es gibt nichts Schlimmeres. Doch schlimmer wäre, wenn er eine Jogging Hose angehabt hätte. Zum Glück war Tim nicht so. Lässig war sein Styl, ein bisschen punkig. Zipo schüttelt den Kopf. Als wir um die nächste Kurve fahren, verschwindet er. Seufzend lässt sie sich zurück in den Sitz fallen. "Und was macht Alex heute“, fragt sie mich. „Ich glaube er hat wieder Training." „Und Tim?" Da muss ich überlegen. Tim hat mit mir heute Morgen telefoniert, doch ich habe nur mit einem Ohr zu gehört. „Ich glaube irgendwas, wodurch er verhindert ist, seine Zeit mit uns Tod zu schlagen“, antworte ich nach ein paar Minuten. Nun überlege ich Krampfhaftig nach. Was war es noch mal? Inzwischen wird die Straßenbahn immer voller. Wir fahren unter die Erde. Je mehr wir uns Essen Hbf nähren, desto voller wird es. Neben mir steht ein junger Mann, der zehn Meilen gegen den Wind nach seinem Deo stinkt. Davon bekomme ich Kopfschmerzen. Jedes mal wenn ich atme, atme ich einen anderen Geruch ein. Frischen Kaffee, verschiedene Parfüms, Schweiß und Bier. Zipo hält Ausschau nach süßen Typen. Neben mir setzt sich nun ein sehr korpulenter Mann hin. Natürlich rücke ich ein wenig auf die Seite zum Fenster hin, worauf er mehr als die Hälfte meines Sitzes auch noch einnimmt. Würde Zipo nicht so grinsen, müsste ich mir mein Lachen nicht verkneifen. Immer wieder schaue ich durch das Fenster und wünsch mir, dass er endlich wieder geht. Er hebt seinen Arm, um was aus seiner Tasche zu holen. Ich glaub ich sterbe! Er riecht so nach Schweiß, dass ich mir den jungen Mann zurück wünsche, der zehn Meilen gegen den Wind nach Deo stinkt. Immer wieder schaut Zipo auf ihr Handy. „Wartest du auf eine bestimme Sms?" „Ich?" Fragend sieht sie mich an. „Nein, die Zipo, die hinter dir steht", gebe ich patzig zurück. Lächelnd sieht sie mich an. „Ach so, ich dachte schon ich muss mit dir reden." Eine weile sagt sie nichts, dann aber antwortet sie mir: „Nein, warte ich nicht. Aber vielleicht denkt ja auch mal so einer an mich." Endlich kommen wir Essen Hbf an. Ich gehe schnell an den Mann vorbei, bevor ich vor lachen explodiere. Ich weiß, man lacht nicht über andere. Mit Zipo aber ist das was anderes. Da muss man immer lachen. Da lacht man sogar über seinen eigenen Schatten. Den Weg zur Buchhandlung gehen wir so eingeübt, wie den Weg zum Klo. Wir wissen ganz genau, wo was steht. Wie voll es wann und wo ist. Essen wird mit der Zeit auch langweilig, jedenfalls für mich. Zipo hält schon wieder Ausschau nach ganz anderen Sachen. Als wir in der Buchhandlung sind, suche ich nach Büchern und sie nach hübschen Typen. Ich murmele manchmal was von: „Das habe ich schon gelesen.“ „Dieses Buch habe ich auch.“ Oder „Das war langweilig.“ Während ich die Abteilung Jugendgeschichten Suche, sucht sie wohl die Abteilung Süße Singles. Hinter einem der großen Regale steht Zipo mit großen Augen. Ein Grinsen kann sie sich nicht verkneifen. Was sie wohl gesehen hat? Das ist eigentlich schon eine Rhetorische Frage. Ich drehe mich um. Eine Horde Jungs, vielleicht zwei Jahre älter, streift ebenfalls hier herum. „Hast du sie auch gesehen?", haucht Zipo. „Nein Zipo, ich bin doch blind." Leicht schlägt sie mir auf die Schulter. "Was fragst du denn auch? Sie sind laut, es sind viele und..." "...Und es sind Jungs“, beendet sie den Satz für mich. Einer von denen setzt sich auf einen Stuhl. Er hält ein kleines Buch in der Hand. Der Richter und sein Henker, kann ich lesen. „Und was liest er?" Mein gelangweiltes Gesicht spricht Bände. „Der Richter und sein Henker. Du weißt, was ich gerade auch in Deutsch lesen muss." Nickend bestätigt sie es. Ich denke aber, dass sie mir gar nicht zugehört hat, als ich ihr erklärt habe worum es darin überhaupt geht. Dieser Typ streicht sich kurz durchs Haar. Um seinen Arm trägt er verdammt viele Armbänder, alle sind farblich aufeinander abgestimmt. Dieser ganze Typ ist farblich abgestimmt. Mit seinen Armbändern könnte er Wolle fast Konkurrenz machen. Deutscher ist er nicht, das erkennt man an seiner leichten Bräune, die definitiv nicht vom Solarium kommen kann. „Ich tue jetzt so, als ob ich mich für Bücher interessiere", flüstert Zipo vor sich her, atmet tief ein und geht Richtung Regal. Von der ganzen Meute bekommt sie volle Aufmerksamkeit. Schnell hole ich mir ein Buch aus dem Regal, halte es vor meinem Gesicht und spähe nur mit meinen Augen über den Bücherrand, um das Ganze besser verfolgen zu können. Zipo macht ihre Sache ganz gut. Sie holt sich ein Buch aus dem Regal, welches direkt neben seinem Stuhl steht. Alle in diesem Umfeld wissen, was Zipo wirklich vorhat, außer der farblich abgestimmte Typ. Plötzlich, das heißt natürlich von Zipo genau geplant, fällt ihr Buch in seinen Schoss. Ohne rot zu werden nimmt sie es weg, murmelt was von, es täte ihr leid. Nun grinst der Typ sie an und mustert sie dabei bis ins kleinste Detail. Die Meute Jungs schaut zu mir rüber. Unbewusst spähe ich immer noch über den Rand, dabei merke ich nicht wie lächerlich das Ganze aussehen muss. Beide kommen ins Gespräch. Laut fängt Zipo an zu lachen, schüttelt den Kopf, sie kann gar nicht mehr auf hören ihn zu schütteln. Was hat er sie bloß gefragt? Ein paar Minuten später holen beide ihre Handys raus, vermutlich tauschen sie ihre Nummer. Dankend geht Zipo davon, an mir vorbei zur Rolltreppe. Ist sie etwa die Blinde von uns beiden? Ohne zu zögern gehe ich ihr nach. Mit schnellen Schritten, ja fast schon am rennen, verlässt sie den Laden. Draußen angekommen bleibt sie stehen, zuerst schaut sie ob ihr jemand gefolgt ist. Danach erst lächelt sie mich an. Sie sieht so aus, als ob sie im Laden etwas geklaut hätte und nun befände sie sich auf der Flucht, um nicht erwischt zu werden. „Warum bist du an mir vorbei gegangen?“, frage ich sie sofort. Zugegeben dabei klinge ich etwas wütend. „Du sahst echt dämlich mit dem Buch aus. Als er mich gefragt hat, ob du eine Freundin von mir seiest und die anderen Jungs zu dir geschaut haben, habe ich den Kopf geschüttelt." „Und gelacht", bemerke ich. Es ist ja auch so normal, seine aller beste Freundin zu verleugnen und dann auch noch über sie zu lachen. „Ja, aber nur weil er mir sonst nicht geglaubt hätte. Nun habe ich seine Nummer." In Essen herrscht wieder dichtes Gedrängel. Das überdachte Zentrum ist viel zu voll. Wie Fische eines großen Schwarms bewegen sich hier alle. Alle schwimmen mit der Strömung. Manchmal wird man von irgendwelchen Tüten gegen eine Scheibe gedrängt, läuft anderen in die Hacken oder muss so langsam gehen, dass einem selbst in die Hacken gelaufen wird. Je mehr wir im Zentrum sind, desto mehr löst sich der Fischschwarm und alle hören auf mit der Strömung zu schwimmen. Aus einem Geschäft riecht es ganz grauenvoll nach Parfüm. Meine Nase brennt sofort. Meine Mutter würde sagen: „Ich kann das schon schmecken." Man sprüht nur einmal kurz mit Deo rum, schon ruft sie wie widerlich es stinkt. Meine Mutter hat mit Abstand die beste Nase, die es gibt. Ganz zu schweigen von meiner. Ich rieche nur, was es zu essen gibt und sonst nur die starken Gerüche. Stolz sieht Zipo immer wieder auf ihre neu erworbene Handynummer. "Weißt du auch seinen Namen?" "Natürlich er heißt, ehm... Moment.." Auf ihrem Handy drückt sie zweimal rum, es erscheint wieder die heutige geschnappte Beute. "Mike ", antwortet sie ganz schnell.“Wie hast du dich den vorgestellt. Ich bin Zipo das Lese-Hipo?" Wütend funkelt sie mich kurz an. Jede Aggression verliert sie aber sofort wieder. "Ich habe mich Angie genannt." Niemals würde sie auch ihren richtigen Namen nennen. Zipo findet mit Annika ist sie gestraft fürs Leben. Der Name ist so mies, der hat noch nicht mal einen Spitznamen. Nika, An, alles gefiel ihr nicht. Alex hat sie immer gerne Nika genannt. Irgendwann kam dann die Zeit, wo wir uns alle nur mit Nachnamen angesprochen haben und so ist es dann auch bei Zipo geblieben. Vor mir taucht jemand auf, in dessen Gesicht ich nicht sehen kann. Sein Korpulenter Körperbau wird mit dem Wort Adidas betont. Außerdem sieht der Pullover aus, als wäre er falsch rum angezogen. Ich kenne nur einen, der so einen trägt. Nils Lemten. Diesen gab es mit seinem Aussehen nur ein einiges Mal auf der Welt. Niemand sieht ihn ähnlich auch nur in kleinster Weise. Sein Wasserstoff blondes Haar, ist ganz kurz, seine blauen Augen so blau wie Tinte und sein Gesicht sieht ganz süß und blas aus. Selbst seine Augenbrauen und Wimpern sind Wasserstoff blond. Zipo will ihn gerade anmaulen, weil sie ebenfalls nur sieht, dass er im Weg steht, doch dann aber schaut sie in sein Gesicht. Grinsend, wie ein Riesen Baby, welches gerade einen Lutscher bekommen hat, steht er vor uns. "Was machst du denn hier?", platzt es sofort aus mir und Zipo gleichzeitig raus. Unser entsetzten hört man förmlich heraus. "Ja, ich wünsche euch auch einen guten Tag." "Das war nicht die Antwort, die wir hören wollten", bemerke ich beiläufig. Was macht er bitte alleine in Essen? Alleine in Velbert würde ich noch verstehen, aber in Essen? bei aller Liebe, aber allein die Zugfahrt ist mit Mp3-player schon langweilig genug! Zögernd schaut er uns an. Irgendwas verbirgt er doch vor uns. Nicht nur ich sehe das so. "Sag schon ", stochert Zipo weiter "Was machst du hier alleine?" Ihre ganze Betonung liegt auf dem Wort alleine. Sie spricht es wirklich Zeitlupen artig aus. Mein Gehirn ist nicht das schnellste, jedoch jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Mit einem breiten Grinsen stelle ich mich neben ihn und boxe ihn leicht mit meinem Ellebogen in seinen runden Bauch. "Du triffst dich mit Icegirl551 aus Knuddels!“ Meine Vermutungen müssen stimmen, er wird so rot, dass er fast leuchtet. Seine sonst so blasse Haut wird Feuerrot. Verlegen schaut er auf den Boden. "Ja, sie wollte mich bei McDonalds treffen." Zipo fängt an zu strahlen. Seit Wochen hat Nils kein anderes Thema drauf als Lena. Lena ist toll, mit Lena kann man so gut Chatten, Lena würde jetzt wissen was ich fühle. Lena, Lena, Lena. Nun bin ich froh, dass er sich mit ihr trifft. Entweder sagt er dann "Lena ist toll, wir wollen uns noch mal treffen" oder er motzt "Lena ist langweilig" Er könnte auch heulen:"Lena hat mich abblitzen lassen." "Wie sieht sie aus?" Zipo ist so neugierig, dass sie ihn während ihres Satzes fast anspringt. Wir bemerken nicht, wie wir mitten im Strom stehen. Wir blockieren einen Eingang, jeder versucht sich an uns vorbei zu quetschen. "Schwer zu beschreiben, ich werde euch ein Foto schicken. Aber ihr haltet mich auf, ich komme noch zu spät!" Aufmunternd klopfe ich ihm auf die Schulter, er taumelt ein paar Schritte nach vorne. "Schnapp sie dir Tiger!" Nickend sieht er mich an. "Ich kam, sah, siegte." "Gut gebrüllt Tiger ", wendet sich Zipo dann ein. Nachdem er zwischen den Massen, gegen die Strömung, geht, verschwinden wir Richtung U-Bahn. Unser Ausflug neigt sich dem Ende. Wir haben kein Buch, aber eine Nummer erbeutet und einen Nils beim Date erwischt. Im Bus frage ich mich, wann wollte mir Nils es erzählen? Wollte er mir gar nichts von Lenas Begegnung erzählen? Neben mir vibriert Zipo. "Huch", flüstert sie leise, kramt dabei nach ihrem Handy. "Es ist Mike", kreischt sie laut. Zum zweiten Mal zieht sie schon die Aufmerksamkeit auf sich. "Hi, ich bin es Mike. Wollte dich fragen, ob wir uns mal treffen können. Ich würde dich gern besser kennen lernen", liest sie total glücklich vom Handy ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)