Drachenkind von maidlin ================================================================================ Kapitel 3: Frühlingserwachen ---------------------------- Annie schien es, dass der Winter länger und sehr viel kälter war, als alle Winter, die sie bisher erlebt hatte. Sobald sie die Hütte verließ, um Wasser zu holen, hatte sie das Gefühl Nase und Mund würden ihr gefrieren und sie beeilte sich schnell zurückzukehren. Allerdings musste sie dabei aufpassen nicht zu stolpern oder auszurutschen. Und nun machte sie sich doch sorgen, um den Bauch. Bei diesen Temperaturen würde auch die stärkste Quelle zufrieren. Sie hatte schon überlegt, was sie dann tun würde, aber wenn sie sich den Schnee ansah, fand sich schnell eine Lösung. Sie würde ihn schmelzen müssen, sollte ihr das Wasser verwehrt bleiben. Aber auch um ihre Hühner sorgte sie sich. Sollten sie Temperaturen weiter fallen, würden sie wohl erfrieren. Da würde noch so viel Stroh und Heu nicht helfen können. Es verging kein Tag an dem kein Schnee fiel und den Wald in ein weißes Kleid hüllte. Immer, wenn Annie ihre Hütte verlassen musste, kuschelte sie sich hinterher jedes Mal sofort in eine Decke und setzte sich neben den Ofen. Draco beobachtete sie dabei und dann begann Annie sich ein wenig zu ärgern. Körperlich schien es ihm besser zu gehen und doch verrichtete sie die ganze Arbeit. Das würde sie ändern müssen. Er konnte sich schließlich auch sein Brot verdienen, dachte sie und wollte es bei der nächsten Gelegenheit aussprechen. Irgendwie würde sie ihn schon dazu bringen, sie zu verstehen. Doch dann geschah etwas, was sie ihre Meinung über ihn ändern ließ. Es war der kälteste Tag dieses unerbittlichen Winters und Annie hätte es am liebsten nicht gewagt die Hütte zu verlassen. Wasser genug hatte sie in weiser Voraussicht gestern schon geholt, so dass ihr der Weg erspart blieb. Lediglich die Hühner musste sie versorgen, aber auch wenn der Stall hinter der Hütte stand, erschien ihr der Weg viel zu weit. Aber es musste getan werden. Vom Rückweg brachte sie Feuerholz mit, mit die ordentlich zu heizen begann. Es war warm in der Hütte, dass wusste sie, und doch schien sie von dem kurzen Weg in den Stall so verfroren zu sein, dass sie einfach nicht mehr warm werden wollte oder konnte. Selbst der Tee oder die heißen Kartoffeln wollten sie nicht von innen wärmen und so ging es den ganzen Tag. Immer wieder begann sie zu frösteln und wenn ihre Zähne einmal aufeinander schlugen, sah Draco sie aus seinen blauen Augen an, die trotz der helle, die sie normalerweise hatten, im Dämmerlicht, wie Saphire funkelten. Dann schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln und wandte sich wieder dem Herz zu, in den sie am liebsten hineingekrochen wäre, wenn sie gekonnt hätte. Die Tür und das Fenster und jeden anderen kleinen Ritz, durch den die kalte Luft hätte ziehen können, hatte sie bereits mit einem Tuch oder anderem abgedeckt. Draco hatte sie wie immer den ganzen Tag beobachtet und wunderte sich, dass sie so wenig sprach. Sie stand immer nur am Ofen und hielt die Handflächen darüber. Er musste sich eingestehen, dass er sich gegen seinen Willen an ihre Stimme und Plappern gewöhnt hatte und es ihm seltsam und ungewohnt still vorkam, wenn sie nicht sprach. Zudem konnte er mit diesem Schweigen keine neuen Wörter lernen und auch wenn er sich weigerte noch menschlicher zu werden, so wollte er doch wissen, was sie sagte. Er vertraute ihr nicht und gerade deswegen musste er wissen, was sie dachte und sprach. Immerhin kannte er nun auch den Namen, den sie ihm gegeben hatte und dessen Bedeutung. Und noch etwas war ihm aufgefallen. Sie hatte sich verändert. Ihre Haut war blasser geworden und ihr Gesicht schmaler. Unter den Augen sah er dunkle Ringe und sie wirkte müde. Die meiste Zeit war nur das Knistern des Feuers zu hören und hin und wieder ein seltsames Klappern, dass irgendwie von ihr zu kommen schien. Er sah genauer hin und stellte fest, dass dieses Geräusch dann entstand, wenn ihre Zähne aufeinander schlugen. War ihr wirklich so kalt?, fragte er sich. In der Hütte war es doch warm. Auch hier musste er zugeben, dass auch ihm die kalten Temperaturen etwas zu schaffen machten. Das Feuer konnte nicht immer auf voller Flamme brennen und besonders des Nachts, war es spürbar kälter. Annie legte zwar ab und nach, aber es reichte nicht, um sie beide zu wärmen. Die Nacht in der sich das folgende ereignete, war aber noch viel kälter, als es der Tag gewesen war. Annie hatte sich erneut früh schlafen gelegt und versuchte den Schlaf zu finden, während Draco an die Decke starrte und die Schatten beobachtet, die die Flammen des Ofens mit seiner offenen Ofenklappe, warfen. Mit Decke war ihm wärmer und er sagte sich selbst, dass er schon sehr viel kältere Winter überstanden hatte. Winter in denen Annie noch nicht einmal gelebt hatte. Er würde auch diesen überstehen. Er hing seinen Gedanken und Erinnerungen nach, lauschte dem Knistern des Feuers, welches eine beruhigende und einschläfernde Wirkung auf ihn ausübte. Er war bereits auf den Weg in das Reich des Schlafes, als ihn ein erneutes Klappern zurückholte. Draco hob leicht den Kopf und horchte in die Nacht hinein. Abermals war das Geräusch zu hören und er erhob den Oberkörper nun ganz, wusste er doch woher dieses Geräusch kam und wie es anscheinend entstand. Schlief sie nicht schon?, fragte er sich und richtet den Blick auf ihren Körper. Sie lag zusammengerollt neben dem Ofen und er sah das starke zittern ihres Körpers. Leise stand Draco auf und ging zu ihr. Er betrachtete ihren Körper, sah die zusammengekrümmte Gestalt und deren Beben, was die Kälte anscheinend verursachte. War ihr denn wirklich so kalt? Vorsichtig beugte er sich zu ihr herunter und berührte kurz ihre Wange, das einzige was nicht von Stoff bedeckt war. Sie war so kalt, dass er erschrocken zurückzuckte. Es ist egal, sagte er sich. Es ist nicht meine Angelegenheit. Ich bin nicht verpflichtet mich um sie zu kümmern. Er wollte sich gerade umdrehen und sich wieder hinlegen, als er noch einmal das Zusammenschlagen ihrer Zähne höre. Er blieb stehen und hielt inne. Sein Körper war warm, das spürte er. Nur wie sollte er sie wärmen? Er erinnerte sich an den Morgen, als er erwacht war und Annie neben ihm gelegen hatte. Sie hatte gesagt, ihr war kalt gewesen. Hatte sie sich bei ihm wärmen wollen? Würde sie sein Körper wärmen können? Aber warum sollte er das tun? Weil sie dir das Leben gerettet hat, antwortete sein Gewissen prompt. Auch wenn er kein Mensch war, so wusste er sehr wohl, dass er ihr etwas schuldig war. Ohne sie wäre er schon längst Tod – auch wenn er dafür diesen Körper in Kauf nehmen musste. Wäre er am Anfange lieber gestorben, als in dieser Gestalt zu sein, so wusste er nun, dass es besser war zu leben. Er war dem Tod lange – zu lange – Nahe gewesen und er wusste, dass er ihn irgendwann holen würde. Doch noch hatte er Zeit. Außerdem war er überzeugt, schon bald wieder in seiner wahren Gestalt zu sein. Es musste einfach so sein. Während er nachdachte, hatte er Annie weiterhin beobachtet. Sie zitterte noch immer und schließlich gab er sich und vor allem seinem Stolz einen Ruck. Er holte seine Decke und legte sich schließlich neben sie. Draco breitete die Decke über sie beide aus. Doch auch, wenn er ihr seine Nähe zugestand, so achtete er sehr genau darauf ihrem Körper nicht zu Nahe zu kommen. Es würde auch so gehen müssen und wenn nicht, dann hatte er sich keinen Vorwurf zu machen. Erst kurze Zeit später merkte Draco, dass er den Duft ihrer langen schwarzen Haare einatmete. Ein wohlriechender und sehr angenehmer Duft. Betört von diesem Geruch schlief auch er kurz darauf ein. Als Annie am nächsten Morgen langsam aus dem Reich des Schlafes erwachte, fühlte sie sich behaglich, warm und vor allem geborgen. So hatte sie sich das letzte Mal in diesem Winter gefühlt, als sie sich zu Draco geschlichen hatte. Etwas was schon lange her war. Sie wolle tief ein und ausatmen, als sie das Gewicht bemerkte, welches auf ihrem Köper lag. Dass sie einen Schreck bekam, muss an dieser Stelle nicht erste erwähnt werden. Langsam drehte sie den Kopf ein wenig und erblickte einen Arm, der auf ihrem Körper lag. Jetzt war sie noch verwunderter. Was war in der Nacht geschehen? Gleich darauf bemerkte sie einen warmen Luftzug, der an ihrem Nacken vorbeistrich und in ihrem Körper eine Kribbeln auslöste. Ihr Atem stocke und sie überlegte krampfhaft, ob sie in der Nacht nicht doch wieder zu Draco gewandert war. Doch sie konnte sich an nichts erinnern. Aber eine andere Erklärung konnte es doch nicht geben oder? Sie sah sich mit den Augen ein wenig um und musste feststellen, dass sie noch immer an der Stelle lag, auf der sie auch eingeschlafen war: direkt neben dem Ofen. Vorsichtig und mit so wenig Bewegungen, wie es ihr möglich war, dreht sie sich um und blickte direkt in Dracos schlafendes Gesicht. Stutzig blickte sie ihn an. Was machte er hier? Wie kam er neben sie? War er nicht gestern an seiner Schlafstelle eingeschlafen?, schoss es ihr durch den Kopf. Doch bevor sie weiter überlegen konnte oder sich auch nur rühren konnte, erwachte auch Draco und schlug die Augen auf. Annie hielt den Atem an. Das letzte Mal war seine Reaktion unmissverständlich, doch zuerst einmal geschah nichts weiter. Er sah sie mit seinen blauen Augen durchdringend an und erst dann schien er zu bemerken, dass sein Arm noch immer um ihren Körper lag. Ruckartig zog er ihn zurück und Annie wusste nicht, worüber sie sich mehr wundern sollte. Das sie eine Erklärung von ihm bekommen würde, schloss sie gleich aus. Weitere Sekunden sahen sie sich an, ohne das sich einer von ihnen bewegte und ohne das sich ihre Blicke von einander lösten. Noch einmal hatte Annie das Gefühl, dass sie in diesen blauen Augen zu versinken drohte, doch bevor diese geschah, riss sie sich davon los und tat ein paar tiefe Atemzüge, ehe sie sprach. Dass seine Augen trotzdem immer noch auf ihr lagen, entging ihr nicht. „Morgen.“, sagte sie zögerlich. „Hast du mich die ganze Nacht gewärmt? Ich danke dir. Du hast mich wohl vor dem erfrieren gerettet.“ Bevor Draco reagieren konnte, küsste sie ihn zum Dank sanft auf die Stirn. Doch trotz der Überraschung, konnte er diese Geste nicht als unangenehm empfinden. Seit diesem Morgen beklagte sich Annie nicht mehr darüber, dass sie alle Aufgaben allein erledigen musste. Viel lieber nahm sie seine Wärme an, die er ihr von da an jede Nacht spendete und würde sich hüten ihn durch etwas anderes zu verschrecken. Denn bei diesen einem kalten Tag war es nicht geblieben, sondern es waren weitere gefolgt. Außerdem kam eine neue Sorge hinzu: das Feuerholz würde schnell zu Ende gehen, wenn der Winter weiter so anhielt. So war es ihr nur sehr recht, wenn sie sich gegenseitig wärmen konnten. Es war wahr, dass Draco sich nun jede Nacht, nachdem sie eingeschlafen war, zu ihr legte. War es in der ersten Nacht noch aus Mitleid und vielleicht auch Schuldbewusstsein geschehen, so tat er es jetzt, weil ihm selbst kalt war. Er war überrascht aber auch schockiert gewesen, wie kälteempfindlich dieser Körper doch war und somit auch wie schwach. Annie hatte ihm erklärt, dass das Feuerholz bald zur Neige ging, wenn sie weiter so viel heizte und sie wussten schließlich nicht, wie lange dieses Wetter noch anhalten würde. Also würde sie weniger Holz auflegen und dafür doppelt so viel Stricken. Vielleicht würde sie in ein paar Tagen noch eine weitere Decke geschafft haben, die sie wärmen könnte. Für Draco würde sie dann auch noch eine anfertigen. All das erzählte sie Draco in dem Glauben, dass er sie nicht verstand. Doch er verstand sehr gut. Er hatte begriffen, dass das Holz nur begrenzt zur Verfügung stand und des es von nun an kälter in der Hütte sein würde. Aber das er es verstanden hatte, zeigte er ihr nicht. Irgendwann nach fast einen Monat sehr kalten und eisigem Wetters hatte die Natur doch Mitleid mit den zwei menschlichen Bewohnern des Waldes. Anfang März wurde das Wetter so langsam wieder wärmer und Annie konnte gar nicht genug von der Sonne bekommen, die zwar noch lange brauchte, bis sie durch das kleine Fenster der Hütte schien, aber dennoch etwas von ihrer Wärme abgab. Das Feuerholz hatte gerade so gereicht und Annie hoffte, dass der nächste Winter weniger unerbittlich sein würde. Dracos Wunden waren nun fast vollständig verheilt. Die eisigen Temperaturen schienen dem Heilungsprozess nichts angehabt zu haben und Annie trug nur noch etwas von der Salbe auf, ohne die Verbände wieder anzulegen. Doch noch immer war sie die einzige die sprach. Aber es hieß nicht, dass Draco sie nur versehen konnte. Er konnte die Worte, die er von ihr lernte auch sehr wohl sprechen. Wenn Annie nicht da war, murmelte er leise vor sich hin und wiederholte Wörter und Sätze, die er bei ihr gehört hatte und prägte sich die Aussprache ein. Obwohl er sein jetziges Dasein verabscheute und am liebsten wieder zu dem geworden wäre, was er eigentlich war, so war er ein wissbegieriges Wesen. Alles Neue und Fremde interessierte ihn und seiner Natur verschuldet, musste er es auch ausprobieren. So war er schon immer. Doch Sprechen würde er noch lange nicht. Warum sollte er auch? Es war Zufall, dass er sie nun doch verstand und irgendwann würde er wieder zu einem Drachen werden. Dann würde er die menschliche Sprache sowieso nicht mehr benötigen. Es war also überflüssig erst damit anzufangen. An einem der wenigen warmen Tage, die es seit langem wieder gab, kehrte Annie ganz aufgeregt vom Bach zurück. Draco hatte in der Küche auf sie gewartete und konnte ihren Worten zuerst nicht richtig folgen, da sie so schnell sprach. „Draco, du glaubst nicht was ich eben im Wald gefunden habe! Das musst du dir unbedingt ansehen!“ Ohne ein weiteres Wort und ohne zu zögern, packte sie ihn am Arm. Mit einem Ruck stand er auf seinen Beinen und sie zerrte ihn hinter sich her. Nur widerwillig ließ er es geschehen, doch seine Neugier wollte wissen, was sie so in Aufregung versetzt hatte. Deswegen wehrte er sich nicht weiter dagegen. Ungeduldig und in höchster Eile führte Annie ihn auf eine kleine Lichtung inmitten des Waldes und blieb dann völlig außer Atem stehen. Sie ließ seine Hand los und ging langsam auf etwas zu, was Draco selbst noch nicht sehen konnte. Etwas 15 Schritte weiter blieb sie stehen und kniet sich hin. „Komm her!“ forderte sie ihn auf und winkte mit der Hand. „Das ist fantastisch!“ Verwirrt sah er sie an und fragte sich, was sie eigentlich tat. Dann folgte er ihrer Bewegung und kniete sich neben sie. Seine Augen hatte an ihrer Sehkraft nichts eingebüßt und er sah sofort, was sie so faszinierte. Ein kleines, winziges, grünes Etwas war zwischen all dem verblieben Schnee zu sehen. „Siehst du das?“ fragte sie ihn mit leuchtenden Augen, sprach aber gleich weiter: „Das ist ein Schneeglöckchen. Zumindest ist es auf dem Weg dahin eines zu werden.“ Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: „Weißt du, was das bedeutet? Es wird Frühling! Der Winter ist nun endgültig vorbei und alles wird wieder anfangen zu blühen und zu grünen!“ Als sie das sagte, sah sie ihn freudestrahlend an. Er erwiderte den Blick und betrachtete ihr Gesicht. Vom schnellen Laufen, der Aufregung und der Freude glühten ihre Wangen in einem kräftigen rot. Ihre rehbraunen Augen strahlten vor Glück und Vorfreude und ihr langes schwarzes Haar, bildete einen perfekten Kontrast zu dem vielen Weiß um sie herum. Zum ersten Mal in diesen fünf Monaten die er bei ihr war, dachte Draco, wie schön sie doch eigentlich war. Und Annie sollte mit ihrer Prophezeiung recht behalten. Nur wenige Wochen später war der gesamte Schnee geschmolzen und alles begann von neuem zu wachsen und zu leben. Sie waren jetzt öfters an der frischen Luft und jeden Tag brachte Annie aufs neue einen Strauß Frühblüher mit, die sie in einer Wasserschüssel sammelte, so lange bis ein kleiner Blütenteppich entstanden war. Die Nächte wurde ebenfalls wärmer, doch noch immer schliefen sie beiden nebeneinander. Aber warum, wusste keiner mehr von ihnen so genau. Auch sonst hatte sich nicht viel geändert. Sie gingen jeder ihren Beschäftigungen nach. Annie kümmerte sich um das Essen, die Wäsche und auch die Tiere, während Draco sie dabei beobachtete. Doch hin und wieder ging er allein in den Wald. Am Anfang hatte Annie noch befürchtet, dass er nicht mehr zurückkommen würde. Doch als er es auch nach dem dritten Mal tat, wurde sie ruhiger. Vielleicht wusste er auch einfach nur nicht, wo er sonst hin sollte, dachte sie dann wehmütig und wünschte sich, dass er ihr wenigstens vertrauten würde. Aber das würde ihr wahrscheinlich niemals gelingen. Allerdings hatte Annie auch keine Ahnung, was Draco eigentlich stundenlang allein im Wald machte. Sie hatte gar nicht erst versucht ihm heimlich zu folgen, aus Angst, dass die Situation dann noch verkrampfter werden könnte, wenn er es erst einmal herausfand. Was Draco aber im Wald tatsächlich tat, hätte sie sehr überrascht. Er tat nichts anderes als seinen Körper auszuprobieren, dessen Grenzen zu ertesten. Zudem war er kein Wesen, was sich immer nur ruhig verhalten konnte. Allein aus diesem Grund, waren die letzten Monate eine zusätzliche Qual gewesen. Waren es am Anfang die Schmerzen, war es dann das Wetter, was in eingeschränkt hatte. Zu erst begann es mit einem einfach gehen, mit der Zeit wurde er aber immer schneller. Doch nie das Gefühl, diesen Körper schon voll auszulasten. Er lief so lange und schnell, dass die Bäume an ihm vorbei zogen und verschwammen. Trotzdem war es ihm nicht schnell genug. Er lief so schnell, wie es ein menschlicher Körper überhaupt nur konnte. So lange, bis ein stechender Schmerz in seiner Brust ihn zum stehen zwang. Mit zitternden Händen faste er sich an die Brust. So lange war er doch gar nicht gerannt, dachte er und versuchte sich zu beruhigen. Seine Atmung war flach und abgehakt und trotzdem hatte er das Gefühl, dass er nicht genug atmete. Plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen und seine Knie gaben nach. Was geschah mit ihm? Hielt dieser Körper wirklich nicht mehr aus? In seiner wahren Gestalt, war er noch viel schneller gewesen, hoch über den Wolken und selbst bei langen Flügen hatte er nie solch einen Schmerz empfunden. Oder war er vielleicht nur so geschwächt, weil er sich in den letzten fünf Monaten kaum beweg hatte?, gingen seine Gedanken weiter, während er noch immer die Augen geschlossen hatte. Er würde es ausprobieren müssen. Draco nahm sich vor, von nun an jeden Tag in den Wald zu gehen und diesen Körper zu erproben. Auch wenn er ihn nicht mehr lange besitzen würde, so konnte er das Gefühl der Schwäche noch weniger ertragen. Er musste sich schützen können, sollte er es einmal brauchen. So geschah es auch. Es war ein Tag im April, als Draco am späten Nachmittag aus dem Wald zurückkehrte. Kurz bevor er die Hütte aber sehen konnte, blieb er plötzlich stehen. Er hatte etwas seltsames gehört. Etwas, was sich der Hütte näherte und dann plötzlich zum Schweigen kam. Leise ging er weiter, bis die Hütte in Sicht kam. Hinter einem Baum versteckt, beobachtete er die beiden, konnte sie aber nicht hören. Er konnte Annie sehen, die gerade einen Mann umarmte. Sie schien sich aufrecht zu freuen ihn zu sehen, hielt die Umarmung doch länger an und auf ihren Lippen zeigte sich ein herzliches Lächeln. „Alexander, was machst du denn hier? Mit dir hätte ich nicht gerechnet!“ rief Annie vor Freude. „Na, ich muss doch mal nach meiner Lieblingsschwester sehen und schauen, ob sie den Winter auch gut überstanden hat.“, war seine Antwort und er lachte, was sich anhörte wie ein Reibeisen. Alexander, Annie älterer Bruder, war breitschultrig und von kräftiger Statur. Er trug elegante Kleidung in Schwarz und auch sein Pferd war eindrucksvoll besattelt. Seine Haare waren genauso schwarz, wie die seiner Schwester. Er trug einen stattlichen Vollbart, was ihn furchteinflößend erscheinen lassen hätte, wenn nicht seine braunen Knopfaugen, wie die eines kleinen Jungen gestrahlt hätten. „Danke der Nachfrage. Es geht mir gut, wie du sehen kannst. Was führt dich zu mir? Du wirst dich wohl nicht schon wieder versuchen mich zu verheiraten? Wenn das deine Absicht ist, kannst du gleich wieder nach Hause gehen.“, sagte sie bestimmt. „Nein, nein!“, wehrte er ab. „Das habe ich schon lange aufgeben. Ich wollte dir nur mitteilen, dass du seit zwei Monaten eine Schwägerin hast.“ Bei diesen Worten wurde sein Grinsen noch breiter, als es von Natur aus schon war. „Oh Alexander, das ist ja wunderbar! Ich gratuliere euch herzlich!“, sagte sie und freute sich aufrichtig für ihren Bruder. Sie wusste, dass er ein guter und treuer Ehemann sein würde. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihn geheiratet. „Vielen Dank. Ich werde es ausrichten. Ich wollte dir aber noch etwas geben.“ Er zog einen kleinen Sack aus seinem Umhang und warf ihn Annie zu. Als sie ihn auffing, hörte sie etwas metallenes gegeneinander schlagen. „Du weißt, dass ich das nicht annehmen kann und will. Ich lebe dieses Leben, damit ich von niemandem abhängig bin. Da brauche ich dein Geld auch nicht.“ „Ich dachte mir schon, dass du so etwas sagst. Aber ich werde es auf keinen Fall wieder mit mir nehmen. Geh damit auf den Markt und kauf dir ein paar Nahrungsmittel. So dünn wie du bist, kannst du es gebrauchen.“ „Vielen Dank auch.“, sagte sie und streckte ihm die Zunge heraus, was ihn wieder kräftig auflachen ließ. Annie wusste, dass das seine letzten Worte diesbezüglich sein würden und eigentlich konnte sie das Geld auch gut gebrauchen. Zwei Münder essen schließlich mehr als einer, dachte sie. „Außerdem habe ich noch ein paar Lebensmittel. Mehl, Schinken und vor allem Kartoffeln.“, sagte er dann weiter und stand schon bei seinem Pferd, um es abzuladen. „Danke, dass ist lieb von dir.“ Annie überlegte einen Moment, ob sie ihm von Draco erzählen sollte, entschied sich dann aber erst einmal dagegen. Auch wenn er sie liebte, so wusste sie, dass auch ihr Bruder es nicht gutheißen würde, wenn sie allein mitten im Wald mit einem Mann zusammen lebte. Noch dazu mit einem, der nicht mal ein echter Mann war. „Hab vielen Dank und noch mal alles Gute für euch beide.“, sagte sie zum Abschied, als die das Pferd von seiner Last befreit war und die Lebensmittel verstaut. „Mach’s gut, Schwesterchen und dieses Mal werde ich wirklich bald noch einmal kommen, um dich zu besuchen. Ich verspreche es.“ „Das hast du das letzte Mal schon gesagt und es hat sechs Monate gedauert.“, neckte sie ihn, war aber nicht böse. Sie lebten jetzt nun mal ihre eigenen Leben. Draco sah, wie die beiden sich noch einmal liebvoll umarmten, der fremde Mann dann auf sein Pferd stieg und davon ritt. Er konnte sehen, wie Annie ihm noch einen Moment hinterher sah und dann mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht in die Hütte ging. Bei diesem Anblick breitet sich ein Gefühl in Draco aus, was er nicht kannte. Es fühlte sich an, als würde das Blut in seinen Adern zu kochen beginnen und sein Herzschlag beschleunigte sich um das doppelte. In seiner Magengegend wurde es warm und alles in ihm begann sich zu verkrampfen. Wer war das? Ich habe ihn noch nie vorher hier gesehen und Annie hat auch nie einen anderen Menschen erwähnt! Nicht seitdem ich diese Sprache kann!, dachte er ärgerlich. Das Gefühl schien sich wie Gift in seinem Körper auszubreiten und er brauchte nur an das Gesicht des Mannes zu denken und es schien ihm schlimmer als zuvor. Immer und immer wieder sah er das Bild vor seinen Augen, wie sie ihn liebevoll umart hatte, wie sie gestrahlt hatte, als sie ihn erkannt hatte. Draco versuchte sich einzureden, dass es ihm egal sein konnte, wer dieser Mann war und er versuchte auch, dieses neue, unbekannte Gefühl zu verdrängen. Aber es schien übermächtig zu sein. Fast so als würde es ihn von innen zerfressen. Nicht nur, dass er dieses Gefühl nicht kannte, aber die Macht, die es auf seinen Körper ausübte, beunruhigte ihn. Als Drache hatte er nie so empfunden. Langsam ging er zu Hütte zurück. Noch immer versuchte er das ihm unbekannte Gefühl zu unterdrücken. Aber es gelang ihm einfach nicht. Er erreichte die Tür und öffnete sie langsam. Wer war das? Was machte er hier? Woher kannte sie ihn?, fragte eine Stimme immer wieder in seinem Kopf und er hatte das Gefühl verrückt zu werden, wenn es nicht bald aufhörte. Wer war das? Was machte er hier? Woher kannte sie ihn?, wiederholte die Stimme monoton und von vorn. Sein Kopf fing an zu schmerzen und jeder weitere klare Gedanken entglitt ihm. Diese drei Fragen schienen mit einmal sein ganzes Denken auszufüllen und das ärgerte ihn noch mehr. Immer und immer wieder hörte er es, ohne das er etwas dagegen tun konnte. Es sollte aufhören! Jetzt sofort! Doch die Stimme hörte nicht auf ihn, schien ihn weiterhin quälen zu wollen, bis er eine Antwort gab. Doch er konnte keine Antwort geben. Verdammt noch mal „Wer war das?!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)