After The Rain von -Amalthea- ================================================================================ Kapitel 1: Nach dem Regen ------------------------- Disclaimer: „Yellow“ und seine Charaktere gehören nicht mir sondern Makoto Tateno (hätte mir auch keiner geglaubt ;-) Ich geb’s zu, ich hab mal wieder meinen melancholischen... Aber wann habe ich den nicht, bin so ein Weltschmerz-Typ... :-) Auf diese Geschichte bin ich gekommen, als wir auf einem Mittelalter-Markt waren, fragt nicht, warum. Habe mich selber gewundert, auf was für Ideen ich ausgerechnet da gekommen bin... Das Lied „After the Rain“ kenne ich von Barbra Streisand. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Taki wachte auf und spürte, dass die ganze rechte Seite seines Körpers schmerzte. Er konnte sich kaum rühren. Mühsam bewegte er sich etwas und stellte fest, dass er in den Armen seines Geliebten eingeschlafen war. Das war ihm noch nie passiert, so lange er sich zurückerinnern konnte. Taki war fast genauso groß wie Go, und es war unbequem, länger als ein paar Minuten an seiner Schulter zu liegen. Meistens waren sie nahe beieinander eingeschlafen, Arme und Beine nebeneinander oder übereinander gelegt, hielten sich manchmal sogar an den Händen, aber heute Nacht hatten sie einander scheinbar nicht loslassen können. Die körperliche Anziehung zwischen ihnen hatte sie immer zusammengehalten, sogar bevor sie zusammen waren, und noch bevor Taki das bewusst geworden war; die Sehnsucht, einander nahe zu sein, hatte sie immer wieder zusammen geworfen. Nachdem sie ein Paar geworden waren, hatten sie Auseinandersetzungen oft im Bett beendet, und in solchen Augenblicken hatten sie völlig harmoniert, als ob ihre Körper sagen würden, was sie mit Worten nicht ausdrücken konnten. In der vergangenen Nacht hatten sie sich geliebt bis zur Erschöpfung, und danach weiter, bis Go sagte, dass Taki sich eine Verletzung einhandeln würde wie während ihrer „Flitterwochen“ in Rom, als sie die Finger wochenlang nicht voneinander lassen konnten. Taki hatte den Hinweis aufgenommen und frech, nach einer kurzen Kabbelei, die Rolle des Führenden übernommen. Das hatte er früher auch manchmal getan, auch wenn er im allgemeinen eher die passive Rolle übernahm, und obwohl Go es nicht zugab, liebte er es, sich seinem Partner hinzugeben. „Gott, habe ich das vermisst…” „Ich auch.” Jetzt lag er wieder an Go’s Schulter, eine von Go’s Händen war in seinem Nacken. Go war noch im Halbschlaf, aber auch ohne die Augen zu öffnen hielt er Taki fest. Nach einer Weile gelang es Taki, sich aufzurichten und er sah Go neben sich liegen, die Augen geschlossen, einen gelösten Ausdruck auf dem Gesicht. Unwillkürlich gingen seine Gedanken zurück zu ihrem ersten gemeinsamen Morgen, an dem er Go verlassen hatte, um zu seinen Zieheltern zurückzukehren. Tief in sich fühlte er sich immer noch schuldig für das, was er ihm damit angetan hatte. Er legte sich wieder hin, dieses Mal auf die andere Seite, so dass er aus dem großen Fenster sehen konnte. Es hatte die ganze Nacht geregnet und ab und zu fielen noch dicke Tropfen von der Fensterbank der Wohnung über ihnen und von den Zweigen des hohen Baumes, der draußen im Hof stand. Diese Wohnung war ganz anders als die über dem Café Roost, in der sie am Anfang zusammen gelebt hatten. Irgendwie friedlicher, und Taki war sich noch nicht sicher, ob das nun gut oder schlecht war. Aber Go war hier, und darauf kam es an. Go bewegte sich im Schlaf und drehte sich ebenfalls um, legte sich an Taki’s Rücken, ein Arm schlang sich besitzergreifend um Taki’s nackte Brust. Taki lächelte. „Dachtest du, ich gehe wieder und lasse dich allein?” Go öffnete nicht einmal die Augen. „Kannst du nicht. Ich hab die Tür abgeschlossen.” „Du hast… WAS?” „Sei ruhig und schlaf weiter...” Taki’s angefangener Protest endete schnell. Er entspannte sich, und kurz darauf schlief Go wieder ein. Taki konnte nicht mehr schlafen. Er sah aus dem Fenster und ließ seine Gedanken schweifen. Kapitel 2: Gewitter ~ Flashback ~ Sechs Jahre zuvor ~ ----------------------------------------------------- Taki’s Gedanken kehrten langsam zurück zu der Zeit, in der sie beide zusammen über dem „Café Roost” zusammen lebten und für den Cafébesitzer Tsunega arbeiteten, der ihnen heimlich Jobs in gefährlichen Milieus zusteckte. Sie waren „Diebe“, stellten heimlich Drogen und Waffen sicher und ließen manchmal - wenn auch mehr als Nebeneffekt - Verbrecher, mafiöse Gruppen oder illegale Verschwörungen auffliegen. Das bedeutete für sie viel und schnell verdientes Geld, aber auch ein Leben ständig am Rande der Gefahr. Go war darin schon erfahrener gewesen: Taki war erst später bei ihm eingezogen, um mit ihm zu arbeiten, und obwohl er heterosexuell war und mehr als einmal abends oder nachts eine Frau mit nach Hause brachte, konnte es sein dunkelhaariger, frecher Partner schon bald nicht lassen, ihn anzugraben. Vielleicht mehr aus Gewohnheit, bei jedem männlichen Exemplar als erstes die erotischen Reize abzuchecken, und sich dann einzureden, jeden haben zu können, den er wollte. Taki hatte es ihm nicht leicht gemacht; er wusste genau, was er wollte und nicht wollte, und mehr als einmal wies er seinen Mitbewohner und Arbeitskollegen in die Schranken, falls erforderlich auch mit einem gut gezielten Schlag unters Kinn oder in die Rippen. Doch Go ließ nicht locker, er hatte sich dieses Mal ernstlich verliebt. Ihm war klar geworden, dass Taki so stark war wie er, und es jederzeit mit ihm aufnehmen konnte. Gleichzeitig war er offenbar nicht glücklich, und in Go erwachte der Wunsch, ihn glücklich zu machen. Schläge und abwehrende Worte hielten ihn nicht ab: er wollte seinen Taki, mit Haut und Haaren. Und er gab nicht auf, bis er dieses Ziel - fast ein Jahr später - erreicht hatte. Und aus ihm und Taki war ein Liebespaar gewesen. Ein glückliches, anfangs. Sieben Jahre waren inzwischen vergangen. Als sie ungefähr ein Jahr zusammen gewesen waren, änderte sich langsam alles. Taki hatte begonnen, sich immer mehr nach einer „normalen Situation“ zu sehnen, nach einem friedlicheren, normaleren Leben. Das bezog sich nicht nur auf ihre Arbeit: es gefiel ihm nie, wenn ihn sein Geliebter in der Öffentlichkeit küssen oder berühren wollte, und auch allgemein gefiel ihm der Gedanke nicht, eine Liebe zu leben, die man geheim oder zumindest diskret halten musste. Außerdem wurde ihm immer klarer, dass eine homosexuelle Beziehung auch bedeutete, dass er nie eigene Kinder haben würde, und der Gedanke schmerzte irgendwie. Taki hatte immer daran geglaubt, dass er eines Tages eine eigene Familie haben würde, da er nicht einmal wusste, woher er eigentlich stammte und wie er gelebt hatte, bevor ihn seine Zieheltern Katsuro und Mizuki aufnahmen. Er und Go hatten sich nie wirklich getrennt. Nur ihre Streitereien waren immer heftiger geworden, es waren nicht mehr die halb scherzhaften Auseinandersetzungen, hinter denen ihre Zärtlichkeit füreinander versteckt war, noch bevor sie ihnen bewusst wurde, und die immer mit einem Drink und einer Zigarette endeten, und später im Bett, oder auch auf dem Sofa, unter der Dusche, wo auch immer... Nein. Diese Streitereien waren rau und erfüllten die Luft mit Gift. Nach einem solchen Krach, ein besonders lauter und heftiger, hatte Taki ein paar Sachen gepackt und zu Go gesagt, dass er ein wenig Abstand brauchte. Er hatte vor, ein wenig herumzureisen und sich ab und zu bei Go zu melden. Sein dunkelhaariger Partner hatte nichts dazu gesagt, nur schweigend auf der Fensterbank gesessen und seinem Zigarettenqualm nachgesehen. Taki war länger und länger fortgeblieben. Die Wochen hatten sich zu Monaten hingezogen, er hatte Go immer seltener angerufen, und am Ende hatte er nicht mehr den Mut gefunden, zurückzukehren. Die Monate schleppten sich allmählich zu Jahren. Jahre, in denen Taki fast pausenlos unterwegs war, das ganze Land durchquerte ohne zu wissen, was er eigentlich wollte und wonach er suchte. Manchmal kam er sich vor wie ein gehetztes Tier. Die Nächte waren das Schlimmste, wenn er fühlte, wie allein er war, und nicht einmal vor sich selbst zugeben konnte, dass er Go vermisste. Sechs Jahre später war er schließlich nach Tokyo zurückgekehrt. Er hatte genug davon, umherzuwandern und fand einen Bürojob in einer mittelgroßen japanischen Firma. Ein guter, ruhiger Job. Zu ruhig vielleicht. Genauso, wie sein Leben nun geworden war. Er riskierte nicht mehr sein Leben, sich die Knochen zu brechen, überfallen, verprügelt oder vergewaltigt zu werden - aber er fühlte auch keine wirkliche Leidenschaft mehr in sich. Geschweige denn die Freude, jemandem nahe zu sein, dem er vertraute und der ihm nur durch seine Nähe vermittelte, dass er sich einfach wohl fühlen konnte. Er hatte geglaubt, zufrieden zu sein mit seinem jetzigen Leben. Aber allmählich fragte er sich, ob nicht gerade dieses Leben an der Grenze zur Gefahr, die ständige Aufregung, die er und Go so geliebt hatten, der beste Nährboden für ihre junge Liebe gewesen war. Kapitel 3: Tropfen ~ Flashback ~ drei Monate zuvor ~ ---------------------------------------------------- Auf dem Spielfeld der Kashiwa-Jungenschule wimmelte es von Schülern, Eltern und Freunden, die dem Basketballspiel der neunten Klasse zusehen wollten. Irgendwo in der Mitte war ein großer, gutaussehender blonder Mann, ungefähr dreißig Jahre alt, in Begleitung eines Mädchens, das vielleicht vierzehn war. Sie trug eine Schuluniform und die blonden Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr über die linke Schulter fiel. Auf den ersten Blick hätte man sie für seine Tochter halten können. „Taki?” sagte das Mädchen und sah zu ihm hoch. „Sollen wir uns hierher setzen?” Sie hatte zwei gute Plätze ergattert, recht weit oben, aber von hier konnte man das Feld gut überblicken. „Ja.” Die beiden fanden ihre Plätze und er legte einen Arm um das Mädchen. Sie lehnte sich an seine Schulter. „Wer ist der Junge, der dich zu dem Spiel eingeladen hat?“ fragte Taki. „Der da hinten. Er heißt Takamichi.“ Sie zeigte auf einen mittelgroßen, fröhlich aussehenden Jungen, kastanienbraune Haare fielen ihm fast bis auf die Schultern. „Freut mich, wenn er dir gefällt.“ „Nein, nicht was du meinst!“ lachte sie. „Ich habe ihn auf dem Sportplatz kennen gelernt, und wir haben zusammen ein paar Bälle gespielt. Dann hat er gefragt, ob ich heute herkommen will. Das war alles.“ „Bist du dir sicher, Yuki?“ fragte der junge Mann scherzend. „Klar doch. Außerdem ist er schwul.“ Der Blonde sagte darauf nichts, aber ihm schoss eine leichte Röte ins Gesicht, und das Mädchen lachte. „Er hat’s zwar nicht gesagt, aber ich hab’s ihm an der Nasenspitze angesehen,“ grinste sie. Taki seufzte innerlich. Vielleicht hatte er dem aufgeweckten Mädchen ein bisschen zu viel über sich erzählt in letzter Zeit. Das Spiel begann. Der Trainer schob seine Sportkappe über das schwarze Haar in seinen Nacken, die Sonne ließ seine dunklen Augen blitzten, er rief den Spielern immer wieder Kommandos zu, kameradschaftlich und gleichzeitig frech. Er sah selbstsicher und zufrieden mit sich selbst aus, etwas großtuerisch, aber das war so verspielt, dass man es ihm nicht übel nehmen konnte. Taki’s Herzschlag setzte kurz aus. Nach dem Spiel leerten sich die Zuschauerreihen langsam. Yuki war vorausgerannt, um mit Takamichi zu sprechen, seine Mannschaft hatte gewonnen und sie wollte ihm gratulieren. Taki ging Schritt für Schritt die Reihen hinunter, fast ohne es zu merken. Vor dem Maschenzaun blieb stehen. Der Trainer sah kurz zu ihm hin, zuckte dann die Achseln und wollte sich abwenden. Auf einmal schien ihm etwas aufzufallen, und schnell drehte er sich wieder um. Langsam näherte er sich dem Zaun. Bei jedem Schritt fing Taki’s Herz an, heftiger zu schlagen. Schließlich stand der andere vor ihm, nur durch die Maschen von ihm getrennt. „Hallo...“ sagte der Blonde fast zu leise. „Taki.“ Der Dunkelhaarige griff mit einer Hand in die Maschen und sah ihn so direkt an, dass der Blonde leicht verlegen wurde, obwohl er eigentlich nicht zu Schüchternheit neigte. Sie maßen einander mit Blicken. Sie waren beide etwas älter geworden, Taki’s Haar war kürzer geschnitten und fiel ihm nicht mehr in den Nacken, und Go trug eine helle Jeans und ein weißes T-Shirt, während er früher gern schwarz getragen hatte. Eine Weile sahen sie sich an, aber keiner sagte ein Wort. „Taki!“ rief eine Mädchenstimme aus einiger Entfernung. „Wo bleibst du?!“ „Komme gleich!“ rief er zurück. „Ich... man sieht sich,“ sagte er zu dem Dunkelhaarigen. „Ja... Nehme ich an.” Einige Wochen später war Go spät nachmittags allein auf dem Spielfeld. Es war zwar noch Spielsaison, aber Go hatte seinen ehemaligen Partner nicht mehr gesehen und fragte sich, ob dieser jemals wieder herkommen würde. «Wahrscheinlich nicht,» dachte er und spürte eine plötzliche Wut. Er packte den Rechen fester in seine Hand, riss sich einen Splitter in die Haut und fluchte. Das Spiel war für heute zu Ende und er musste noch das Feld aufräumen. Als er fast fertig war, stand plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, jemand hinter dem Maschenzaun. Impulsiv sah er auf. Aber es war nicht die Person, mit der er gerechnet hatte. Gehofft hatte, um ehrlich zu sein. Eine Frau. Normalerweise wäre ihm das gleichgültig gewesen, aber da war irgend etwas an ihr. Langsam kam er näher. Seine Augen weiteten sich, als er sie wiedererkannte, dann wurden sie wieder schmaler. Was zum Teufel wollte sie? Er blieb einige Schritte vor dem Zaun stehen, gerade noch in Hörweite. Fast eine Minute lang sahen sie sich nur schweigend an. Schließlich brach sie die Stille. „Bist du... glücklich?” Eine lange Pause. Dann sah er an ihr vorbei und schob sich die Kappe tiefer in die Stirn, so dass seine Augen im Schatten lagen und sie sie nicht mehr sehen konnte. Aber er sah sie. Nur allzu gut. Eine Frau im mittleren Alter, gutaussehend, aber mit dem Schatten von Verwundbarkeit um ihre Lippen, den er immer an ihr gekannt hatte. Er sah ihr nicht in die Augen, er hatte sich geschworen, dass er das nie wieder tun würde. Aber er nickte, wenn auch so leicht, dass man auch hätte meinen können, man hätte es sich eingebildet. Die Frau sah ihn noch eine kurze Weile an. Dann drehte sie sich um und ging die Stufen nach oben. Er hörte ihre Absätze, während ihre Schritte sich entfernten, und verfluchte jedes einzelne nervtötende Klicken. Go schloss die Augen. Die Gedanken kamen zurück, obwohl er sich dagegen wehrte. Er sah sich selbst als Jungen, noch keine zehn Jahre alt. Fast gegen seinen Willen sah er sich selbst. Er lag auf einem schmalen Bett. Neben ihm eine Frau. Eine nackte Frau. Er presste die Augen zu. Seine Hand packte in die Maschen und griff so fest zu, dass es weh tat. Er wollte sich nicht erinnern, aber die Bilder kamen in seinen Kopf zurück. Die Frau lächelte ihn beruhigend an. Er lächelte zurück, wenn auch zögernd. Irgend etwas fühlte sich nicht richtig an für ihn. Langsam begann sie, über seine nackte Brust zu streichen. Er trug nur seine Jeans. Nach einer Weile nahm sie seine Hand. Hielt sie fest. Dann, nach einer Pause, führte sie seine Hand zu ihren Brüsten. Die Augen des Jungen weiteten sich. Sie begann, seine Hand tiefer zu führen… An diesem Nachmittag hatte sie ihn zum ersten Mal dazu gebracht, sie zu berühren. Draußen regnete es. Seitdem hasste er den Regen. Es war das erste Mal, aber nicht das letzte. Ihm war kalt, der Regen schien nie aufhören zu wollen. Vielleicht ließ er sie nur, damit ihm nicht mehr ganz so kalt war. „Verdammt!” Go drückte so fest in die Maschen, dass seine Hand zu bluten begann. Das Blut tropfte auf den Boden, aber er fühlte keinen Schmerz. Ja, sie war ein knappes Jahr später fortgegangen. Mit einem der Typen aus der Kommune davongerannt. So, wie sie immer vor allem geflohen war. Niemand hatte je herausgefunden, wohin sie gegangen waren, oder warum sie ihren Sohn einfach zurückgelassen hatte. Die anderen Männer aus der Kommune kümmerten sich um ihn, zogen ihn groß. Kluge, anständige Männer, gute Kumpels. Auf Männer war Verlass. Mit einigen von ihnen war er bis heute befreundet. Aber das größte Geheimnis von allen hatte nie jemand herausgefunden. Er war froh darüber gewesen, dass sie fortgegangen war. Die Erinnerung an ihren nackten Körper strich er danach für immer aus seinem Gedächtnis. Kapitel 4: Platzregen --------------------- Einige Tage später war Taki wieder beim Basketballfeld der Kashiwa, es hatte ihn dorthin gezogen, ohne dass er genau gewusst hätte, wie er hingekommen war. Schweigend sah er beim Training zu, grinste ab und zu vor sich hin. Go war gut darin, die Jungen umher zu scheuchen. Es passte irgendwie zu ihm, er war sportlich und hatte eine offene, heitere Natur. Taki erinnerte sich daran, dass Go den Job als Drogendieb nie besonders gemocht hatte, und am Ende nur damit weitergemacht hatte, um mit Taki zusammen zu sein und auf ihn Acht geben zu können. Nach kurzer Zeit verließ Taki die Zuschauertribüne, weil er befürchtete, von dem Dunkelhaarigen entdeckt zu werden. Und was dann geschehen sollte, davon hatte er im Moment absolut keine Vorstellung. Einige Tage später saß Taki auf seinem Sofa, es war nach Feierabend. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, seine Ellenbogen lagen auf dem Sofarücken, die Arme ließ er baumeln. Er versuchte sich zu entspannen, aber es gelang ihm nicht, trotz des Qualms, den seine Zigarette durch die Wohnung schickte. Als er sich zum x-ten Mal daran hindern musste, zu grübeln anzufangen, wurde die Haustür mit Schwung aufgerissen. Yuki war in einem Wohnheim bei ihrer Schule, hatte aber seinen Wohnungsschlüssel und heute war Donnerstag, der Tag, an dem sie gewöhnlich zusammen zum Abendessen ausgingen, außer es fiel einem von beiden ein, den anderen mit einem neuen Rezept zu bekochen. „Hallo!!“ Fröhlich wirbelte das junge Mädchen herein, die Schuhe hatte sie schon im Flur ausgezogen, Jacke und Schultasche wurden auf den nächsten Stuhl geworfen. Taki lächelte sie begrüßend an, sah aber gleich darauf etwas verlegen drein. „Taki?!“ Mit einem Satz war sie bei ihm und nahm ihm die Zigarette aus dem Mund. Der blonde Mann protestierte leicht, fing dann an zu husten. „Siehst du, du verträgst es nicht,“ mahnte sie ein wenig altklug, wie eine Tochter, die auf ihren Vater aufpassen muss. „Was soll denn das? Du hattest mir doch versprochen, nicht mehr zu rauchen!“ „Tue ich normalerweise auch nicht.“ Taki stand auf, reckte sich und versuchte, ein paar Verspannungen zu lösen. „Hast du dir schon was überlegt für heute abend, Yuki?“ „Was ist denn mit dir los?“ Sie trug die Zigarette mit spitzen Fingern in die Küche und entsorgte sie im Mülleimer. Als sie zurückkam, stand Taki in der Mitte des Wohnzimmers und rieb sich den Nacken. Es mochte am Licht der untergehenden Sonne liegen, das ins Zimmer strömte, aber er sah mitgenommen aus. „Irgendwie tickst du zur Zeit nicht richtig,“ stellte sie fest und pflanzte sich mit beiden Händen in den Hüften vor ihm auf. „Also, jetzt sag schon. Was hast du?“ „Nichts, Yuki. Ich bin nur etwas nachdenklich zur Zeit. Das ist ganz normal.“ „Bei dir nicht.“ Das Mädchen zog die Stirn kraus. Irgend etwas stimmte hier nicht. „Du bist so komisch, seit wir bei diesem Basketballspiel waren.“ Taki riss die Augen auf, drehte gleich darauf sein Gesicht weg. Verdammt, manchmal hatte er das Mädchen im Verdacht, eine Art Röntgenblick zu haben. Sie kannte ihn einfach zu gut. Yuki ging auf ihn zu und legte eine Hand auf seinen Arm. Er wich ihrem Blick aus. „Takamichi hat was gesagt... Dass er dich und seinen Trainer zusammen sprechen gehört hat. Was hat dir der erzählt?“ „Wir haben nicht gesprochen,“ stellte Taki richtig, aber etwas zu schnell. Yuki’s Augen weiteten sich. „Ist er etwa...!“ Taki drehte sich wütend weg und entzog ihr seinen Arm. „Taki, wenn der... Dann ist das doch toll, dass ihr euch wieder begegnet seid!“ „Meinst du...“ Taki stützte sich mit beiden Händen am oberen Fensterrahmen ab und schaute in den Abendhimmel. „Ja!“ Sie grinste. Zwar war sie in solchen Dingen noch unerfahren, aber sie erkannte die Anzeichen. Ihr väterlicher Freund litt an Liebeskummer, oder zumindest an einer Vorstufe davon. „Dann müsst ihr euch mal aussprechen!“ „Yuki, das ist alles so lange her...“ „Das ist doch egal, ich merk doch, dass es dir nahe geht. Ich rufe Takamichi an.“ „Nein!“ „Doch! Kein Widerspruch. Wie heißt er... Go... ist sein Trainer. Ich sage Takamichi, dass du ihn sehen willst, das ist doch alles kein Problem.“ „Moment...!“ protestierte Taki, aber er war nicht mehr so schnell wie früher. Er war aus der Übung, der einfachere Job und das bürgerliche Leben hatten dafür gesorgt. Yuki schnappte sich einfach das tragbare Telefon und verschwand in sein Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich ab, bevor er sie erreichen konnte. Hinter der Tür konnte er ihre helle Mädchenstimme hören, die in den Hörer sprach. Seufzend lehnte er seine Stirn an die Tür. Nein, es half wohl alles nichts. Er konnte nicht vor seiner Vergangenheit davonlaufen, oder vor dem, was er fühlte. Er hatte es immer wieder versucht in seinem Leben, und war jedes Mal damit gescheitert. Missmutig ging Taki einige Tage später wieder in Richtung der Kashiwa-Schule: Yuki und Takamichi («Diese Intriganten...» fluchte er in Gedanken vor sich hin, aber nicht sehr überzeugt) hatten eine Verabredung nach der Arbeitszeit für ihn und den Schultrainer arrangiert. Trainer, wie Takamichi ihn nannte. Für Taki ein Mann, den er nur allzu gut kannte. Es fing wieder an zu regnen, ein leichter, erfrischender Sommerregen. Aber er sollte sich beeilen, oder sie würden beide bis auf die Knochen nass werden. Go stand unter einem Baum am Eingang des Parks, der an das Schulgelände angrenzte, die Jacke hielt er an einer Hand lässig über die Schulter geworfen. «Er weiß immer noch genau, wie er wirkt,» dachte Taki. «Oder er will mich beeindrucken...» Einen Augenblick fühlte er den Impuls, loszurennen. Er fühlte sich für kurze Zeit um Jahre jünger, vor allem sein Herz war leichter, als es lange gewesen war. Am folgenden Tag ging Taki allein im gleichen Park spazieren, in dem er sich zum ersten Mal wieder mit Go getroffen hatte. Er hatte nur ein wenig Luft schnappen wollen, aber in Gedanken ließ er das, was er am Abend zuvor erfahren hatte, auf sich wirken. Go hatte Tsunega die Situation mit wenigen Worten erklärt und Hatozaki hatte ihm heimlich neue Papiere zukommen lassen, aus denen seine Vergangenheit als Dieb nicht hervorging. Er hatte ebenfalls seine Sachen gepackt und hatte die Wohnung und das Café verlassen, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Es tat ihm leid um seinen ehemaligen Chef, um Hatozaki trotz seiner Spezialaufträge, auch ein wenig um die kleine Mimi und um Mari, Tsunega’s Tochter, die sie nach ihrer überraschenden Rückkehr auch näher kennen gelernt hatten. Kanji war besonders traurig über die ganze Situation, aber Go hielt mit ihm wenigstens sporadischen Kontakt. Inzwischen hatte dessen Interesse für sein eigenes Geschlecht abgenommen und er entdeckte die Vorzüge der Mädchen. Jetzt hatte er eine Freundin und ging einer geregelten Ausbildung nach. Taki’s Gedanken schweiften ab. Nein, er war nicht perfekt, und Go war es auch nicht, und das Zusammenleben mit ihm war nie vollkommen gewesen. Er hatte in diesen Jahren auf Wanderschaft einige Paare zusammen beobachtet, gemischte Paare, aber auch Männer mit Männern und Frauen mit Frauen. Eines hatte er begriffen: mit wem auch immer man zusammen war, man konnte immer jemanden finden, der einem besser vorkam. Jemand, der besser aussah, intelligenter war oder andere Eigenschaften hatte, die man im eigenen Partner vermisste. Go hatte ihm vieles nicht geben können, im Gegenteil, er hatte ihn oft genervt. Aber von Anfang an, seit sie einander kennen lernten, als sie anfingen, zusammen für Tsunega zu arbeiten, hatte Go ihm einen Ort angeboten, an den er zurückkehren konnte. Die Wohnung war oft ein Chaos, und Go hatte eine Neigung dazu, Junkfood zu kochen, eine andere dazu, viel zu laut Musik zu hören und eine andere, den Fernseher einfach laufen zu lassen; wenn er da war, war er nicht zu überhören. Von seinen sexuellen Vorlieben ganz zu schweigen: Taki hatte der Gedanke nie gefallen, bei einem Kerl zu leben, dessen Lieblingshobby es offenbar war, minderjährige Jungs zu verführen. Aber Go hatte Taki vom ersten Moment an so angenommen, wie er war, nie danach gefragt, woher er kam und wie er geworden war, wer er war; er hatte Taki von Anfang an vertraut und ihm das Gefühl vermittelt, dass er ihn respektierte und annahm. Und nach einer Weile hatte er von sechzehnjährigen Jungen nichts mehr wissen wollen und nur noch Augen für ihn gehabt, für seinen spröden Mitbewohner. Taki erinnerte sich daran, wie er sich durch die Beziehung mit Go verändert hatte. Es war so langsam geschehen, dass er es nicht bemerkt hatte, aber rückblickend wusste er es. Die Freundschaft, später die Liebesbeziehung mit Go hatte ihn stärker gemacht, ruhiger. Selbst an jenem traurigen Morgen nach ihrer ersten (und, wie er damals glaubte, einzigen) gemeinsamen Nacht, als er Go verlassen hatte, um zu Mizuki und Katsuro zurückzukehren, hatte er sich gefestigter und ausgeglichener gefühlt denn je. Sich von Go so geliebt und gewollt zu fühlen, hatte ihm gesagt, wer er war. Go hatte ihn verändert, von Anfang an. Allein durch seine Reaktion auf Taki. Dieser hatte sich gegen Go’s Annäherungsversuche gewehrt, wollte nicht eine von Go’s Eroberungen sein, wollte nicht, dass dieser über sein Liebesleben entschied. Taki war immer mit Frauen zusammen gewesen, wenn auch nichts wirklich ernstes dabei gewesen war. Aber er konnte nichts gegen Go’s stets wachsende, ehrliche Zuneigung tun, und mit der Zeit war sie in seinem Herzen angekommen. Mann oder Frau, das war nicht mehr so wichtig. Ungefähr einen Monat später saß Taki an seinem Schreibtisch und schaute abwesend vor sich hin, anstatt zu arbeiten. Einer seiner Kollegen sprach ihn an. „Was ist los mit dir in letzter Zeit?” „Nichts.” „Solltest dir vielleicht mal wieder die Haare schneiden lassen.” „Hmmm?” „Ach, vergiss es.” Kapitel 5: Sommergewitter ------------------------- Eine Woche später hielt Taki es nicht mehr aus. Er und Go hatten sich nicht mehr getroffen; sie waren bei ihrer Verabredung kurz essen gegangen, Go hatte ihm erzählt, wie er seinen Job als Dieb quittiert und angefangen hatte, als Trainer zu arbeiten, aber bald danach hatten sie einander die meiste Zeit angeschwiegen und waren schließlich auseinander gegangen wie zwei Fremde. Sie konnten nicht miteinander sprechen. Taki wurde klar, dass sie das noch nie gekonnt hatten. Auch früher nicht. Mit Mit ihren Körpern, mit Gesten, mit mehr oder minder ernsten Streitereien zu kommunizieren war irgendwie leichter gewesen, als ein offenes Gespräch zu versuchen; und dieses Band war mit den Jahren gerissen. Aber er musste sich wenigstens mit Go aussprechen, versuchen, ihm zu erklären, wie es in ihm aussah. Auch wenn dort, ehrlich gesagt, zur Zeit nur eine Wüste von Verwirrung war. Kurz nach Schulschluss ging er zur Kashiwa. Taki war früh dran, aber das Schulgebäude war schon menschenleer. Er ging zu den Sporträumen, in der Hoffnung, den Dunkelhaarigen dort zu finden. Hinter der Wand hörte er das Wasser fließen, jemand war noch unter der Dusche. Taki steckte die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer und schloss die Augen. Er war müde und wollte kurz abschalten, sich wenigstens etwas sammeln, bevor er Go traf. Für einen Augenblick driftete er innerlich ab. Plötzlich ein kurzes Aufkeuchen: der Jemand unter der Dusche hatte versehentlich das kalte Wasser eingeschaltet und fluchte. Taki erkannte die Stimme, schlug die Augen auf, sah seine Umgebung aber nicht wirklich. Auf einmal hatte er das Gefühl, von einer Klippe zu springen, auf der er schon seit Wochen stand und in die unbekannte Tiefe blickte. Ohne ein Wort oder einen weiteren Gedanken betrat Taki den Duschraum mit wenigen Schritten, sah den dunkelhaarigen Mann in einer der Kabinen stehen, das Wasser glänzte auf seinem nackten Körper. Er war so leise gewesen, dass Go nicht sofort bemerkt hatte, dass er nicht mehr allein war. „Wha…?” Er fühlte zwei kräftige Arme, die sich von hinten um ihn legten, und der Kopf des anderen schmiegte sich zwischen seinen Schulterblättern. Er wollte Go, immer noch. Oder schon wieder. Go löste Taki’s Arme von seinem Körper, drehte sich um. Nicht, dass er zum ersten Mal erlebte, dass ihn jemand anmachte, während er unter der Dusche war. Dabei hatte er schon einige Überraschungen erlebt, manche davon mehr, manche weniger angenehm. Aber er wusste genau, um wen es sich dieses Mal handelte. Er drehte sich um, sah den Blonden an, auf dessen Gesicht sich die verschiedensten Gefühle widerspiegelten. Taki’s Kleidung wurde von der Dusche durchnässt, aber er machte keine Anstalten zu gehen. Go ging langsam auf ihn zu, fast bedrohlich, bis Taki mit dem Rücken an der Wand stand. Go’s Hände legten sich an die Mauer, links und rechts von ihm, als wollte er ihn gefangen halten. „Wütend auf mich?” fragte Taki leise. In Go’s Augen glitzerte es. „Ja. Was erwartest du?” Darauf folgte ein langes Schweigen, in dem die beiden einen stummen Kampf mit Blicken ausfochten. Langsam breitete sich ein freches Grinsen über Taki’s Gesicht. „Räch dich,” sagte er leise. Taki wachte wieder auf. Dieses Mal lag Go an seiner Schulter, hielt einen Arm über seiner Brust. Taki’s Schulter tat allmählich weh, aber er wollte ihn nicht wecken. Er hatte ihn zwar aufgefordert, sich an ihm zu „rächen“, Go war aber nicht rau mit ihm umgegangen; leidenschaftlich, hungrig, aber mit einer immer wiederkehrenden, unerwarteten Zärtlichkeit, die Taki ein paar Mal den Tränen nahe gebracht hatte. Sie waren in der Dusche hemmungslos übereinander hergefallen, mehrmals; nachdem der erste Rausch vorbei war, hatten sie sich gegenseitig abgeduscht und Taki hatte schuldbewusst die Kratzspuren an Go’s Rücken entdeckt, die er mit den Nägeln in seine Haut gerissen hatte. Er wollte sich entschuldigen, aber Go hatte ihn nur mit einem weiteren langen Kuss zum Schweigen gebracht. Danach hatte Go Taki einfach dazu aufgefordert, sich wieder anzuziehen und mit ihm zu kommen. Gemeinsam, schweigend hatten sie das Gebäude verlassen, während es draußen schon dämmerte; Go hatte Taki auf dem Motorrad mitgenommen, das er sich angeschafft hatte. Zu seiner Wohnung war es nicht weit. Die Details von Go’s Wohnung nahm Taki zuerst kaum wahr. Gleich nach dem Eintreten fielen sie wieder übereinander her, mehrmals, auf dem Sofa und auf dem Teppich davor. Danach lagen sie erschöpft, verschwitzt und ineinander verschlungen auf dem Boden. Nach einer Weile wurde beiden kalt, und Go stand auf und hielt Taki auffordernd eine Hand hin. Taki ließ sich hochziehen und sah etwas bang zu ihm hoch. Der Dunkelhaarige drückte seine Hand und zog ihn in Richtung Schlafzimmer. Taki wusste, was das bedeutete. Sie hatten zwar wieder Sex miteinander gehabt, aber das Schlafzimmer zu teilen war etwas anderes. Es war, als wären sie wieder ein Paar; oder doch fast. Nach einem kurzen Zögern erwiderte Taki den Druck von Go’s Hand und sie betraten gemeinsam das ihm noch unbekannte Schlafzimmer. Im Bett waren mehr Kissen und Decken als für eine Person, als hätte Go damit gerechnet, dass er bald nicht mehr allein übernachten würde. Der Blonde sagte aber nichts dazu. Sie machten es sich nebeneinander bequem. Go ließ Taki die ganze Zeit nicht aus den Augen. Taki war noch etwas verlegen, aber nach einer kurzen Weile konnte er nicht anders, als Go’s unverschämtes Grinsen mit einem Lächeln zu erwidern. Das Eis war gebrochen. Er schmiegte sich an die Seite des Dunkelhaarigen, und eine kurze Zeitlang lagen sie nur da und spürten den regelmäßigen Atem des anderen. Bis das Verlangen wieder erwachte, und sie feststellten, dass sie die ganze Nacht nicht die Hände voneinander lassen konnten. Gegen Morgen schlief Taki erschöpft in den Armen seines Geliebten ein und wachte erst auf, als sein ganzer Körper anfing zu schmerzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)