Suffer...until you're dead von Teddy24 ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- So, hier also die überarbeitete Version des Prologs. Ich hoffe sie gefällt euch.^^ __________ PROLOG: Ein abgedunkeltes Zimmer. Die Vorhänge vor den großen Fenstern sind zugezogen; nur ein schmaler Streifen Licht dringt durch die Ritzen. Auf dem großen schwarzen Sofa sitzt ein Mann: schlank, hochgewachsen. Die Beine übereinandergeschlagen, die Arme auf der Rückenlehne ausgestreckt. Die eine Hand hält ein Weinglas. Das Gesicht ist in den Schatten verborgen. Vor dem Sofa stehen zwei schlanke Gestalten, reglos. Das Glas wird an den Mund geführt. Kalte, violette Augen mustern die Männer vor sich. Der Mann nimmt einen Schluck; der Arm kehrt in die Ausgangsposition zurück. „Ihr wisst, was zu tun ist.“ Die Stimme, kalt vor unterdrücktem Zorn. Die kleinere der beiden Gestalten nickt. „Findet sie. Lasst sie leiden für ihren Verrat und findet heraus, wo sie sie versteckt haben. Wir ihr das anstellt ist mir egal. Danach tötet sie meinetwegen“ Wieder ein Nicken. „Dann geht jetzt. Ich will euch hier erst wiedersehen, wenn ihr euren Auftrag erfüllt habt.“ Die beiden Männer vor dem Sofa drehen sich um und verschwinden, ohne das ihre Füße auch nur das leiseste Geräusch auf dem Boden hinterlassen. Die Tür fällt hinter ihnen ins Schloss. Der Mann auf dem Sofa starrt schweigend auf die Stelle, wo sie eben noch gestanden haben. Stille. Dann eine plötzliche Bewegung. Das Glas zerschellt an der Wand und hinterlässt einen roten Fleck. Wein tropft auf den Boden – wie Blut. „Miststück.“ _________ Fortsetzung folgt... Das war's auch schon wieder für's erste, aber ich verspreche euch, dass das nächste Kapi länger wird. Kapitel 1: Frohe Weihnachten ---------------------------- Hier die überarbeitete Fassung des ersten Kapitels. Viel Spaß beim Lesen!!!! __________ 1. KAPITEL: FROHE WEIHNACHTEN Es war der 21. Dezember – drei Tage vor Weihnachten. Draußen herrschten Minusgrade und der Wind peitschte den immer dichter fallenden Schnee durch die Straßen von DominoCity. Obwohl es erst früher Nachmittag war, wurde es bereits dunkel, nachdem es heute Morgen kaum hell geworden war. Der Wetterbericht hatte angekündigt, dass sich daran auch in den nächsten Tagen nichts ändern würde. Trotz allem war so ziemlich die halbe Stadt auf den Beinen und eilte von Geschäft zu Geschäft, um die letzten Geschenke zu kaufen und sich Vorräte anzulegen, bevor die Läden über die Feiertage schlossen. Nicht wenige verschlug es dabei in das Café Refuge, dem Etablissement, in dem ich vier Tage die Woche arbeitete. Noch arbeitete, sollte ich wohl besser sagen. Wegen des schlechten Umsatzes, den das Cafe im Verlauf des Jahres gemacht hatte, würde das Refuge nach den Festtagen nicht wieder öffnen. Ich stand also praktisch schon auf der Straße und hatte keine Ahnung, wie es weiter gehen sollte. Im Gegensatz zu den meisten sah ich den Feiertagen mit gemischten Gefühlen entgegen. Das Weihnachtsfest rief bei mir jedes Jahr unangenehme Erinnerungen wach, die ich den Rest des Jahres über erfolgreich zu verdrängen suchte. Auch wurden meine Albträume zu dieser Zeit immer schlimmer, sodass ich kaum noch eine Nacht ruhig schlafen konnte. Mit der Zeit traute ich mich kaum noch abends ins Bett zu gehen. Wie immer um diese Zeit wanderten meine Gedanken häufiger als sonst zu Kerry und Sascha zurück. Vor allem zu Sascha. Seine strubbligen schwarzen Haare, die dunkel gebräunte Haut, seine ausdrucksstarken blauen Augen… Bei dem Gedanken an ihn spürte ich jedes Mal ein schmerzhaftes Stechen in der Brust. Wie es ihm wohl ging? Und Kerry? Die Ungewissheit nagte an mir und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich die beiden je wieder sehen würde. Die Eingangstür schwang mit einem Klingeln auf und riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Eine Gruppe Jugendlicher betrat das Café und brachte einen Schwall eisiger Luft mit herein. Laut lachend und schwatzend ließen sie sich an einem Tisch in der hinteren Ecke nieder. Ich sah mich nach Eva um, die gerade an der Espressomaschine herumhantierte und mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich mich um die Neuankömmlinge kümmern sollte. Mit einem Seufzer schlängelte ich mich an den besetzen Tischen vorbei und blieb vor dem in der Ecke stehen. Mit einem gezwungen geschäftsmäßigem Lächeln zückte ich meinen Block und einen Stift. „Guten Tag. Was darf ich ihnen bringen?“ Die Fünf sahen auf. „Ähm…zwei Kaffees, schwarz, zwei Cappuccino, einen Kakao und…“, der Blondschopf hielt in seiner Aufzählung inne und warf dem Mädchen zu seiner rechten einen fragenden Blick zu, ehe er fortfuhr: „und eine Waffel mit heißen Himbeeren… Ah, und ihre Telefonnummer.“ Er grinste frech. Ich verdrehte innerlich die Augen und notierte seine Bestellung. „Ich besitze kein Telefon“, klärte ich ihn lakonisch auf. ‚Telefone können abgehört werden‘, ergänzte ich in Gedanken. Das Risiko war einfach zu groß. Ich besaß nicht einmal ein Handy. Handy-Ortung und so weiter… Als ich zur Theke zurückkehrte und die Bestellung an Eva weitergab, spürte ich die ungläubigen Blicke der Fünf im Rücken. Es war ihnen anzusehen, dass sie mir nicht glaubten. Wieder einmal verfluchte ich meinen zukünftigen Ex-Chef, der bei der Arbeit auf die traditionelle Kleidung bestand: ein schwarzes, für meinen Geschmack viel zu kurzes Kleid, darüber eine weiße Rüschenschürze und ein weißes Spitzenhäubchen auf dem Kopf. Wenigsten würde das nach Weihnachten auch ein Ende haben. Eva, meine Kollegin und für mich das, was einer Freundin am nächsten kommt, hatte schon mehrmals angemerkt, dass ich in dem Outfit extrem anziehend aussah, und genau das war es, was mich störte. Ich wollte nicht „anziehend“ aussehen. Ich wollte nicht einmal hübsch sein. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass sich jemand an mein Gesicht erinnerte oder, noch schlimmer, mich vielleicht sogar fotografierte. So etwas konnte ich mir nicht leisten. Nicht jetzt, wo alles so gut lief. Wer wusste denn schon, wer die Fotos vielleicht zu Gesicht bekommen würde und wenn mich einer von den falschen Leuten erkannte… Vielleicht reagiere ich über, überlegte ich. Vielleicht bin ich zu paranoid. Aber ich konnte mir meine aus der Furcht geborene Vorsicht nicht so leicht abgewöhnen. Würde ich jemals wieder ungestört leben können? Während Eva Kaffee in zwei Becher goss, musterte sie mich aufmerksam. „Was ist los mit dir, Mia? Du wirkst schon die ganzen letzten Tage so niedergeschlagen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Es ist nichts.“ Meine Probleme waren nicht von der Art, die man gerne mit jemand anderem besprach. Wie hätte ich ihr auch davon erzählen können, wo ich das Geschehene doch eisern verdrängte? Diese grauenvollen Bilder, die Schmerzen… Ich riss mich gewaltsam zusammen und versuchte mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Die Vergangenheit konnte man nicht rückgängig machen. Es war vorbei! Zeit wieder von vorne anzufangen. Ein neues Leben… Eva stellte die beiden Kaffeetassen auf ein Tablett und wandte sich der Espressomaschine zu. Um mich zu beschäftigen holte ich eine saubere Tasse aus dem Schrank und goss heißen Kakao hinein. Dabei versuchte ich angestrengt Evas fragenden Blicken auszuweichen. Sie merkte es immer sofort, wenn ich log oder nicht die ganze Wahrheit sagte, doch wie sonst auch bohrte sie nicht weiter nach, wofür ich ihr sehr dankbar war. Ich hätte sie nur erneut anlügen können. Stattdessen wechselte sie das Thema: „Hast du nachher noch Zeit? Wir sollten uns endlich mal überlegen, was wir Weihnachten machen wollen. Wenn wir noch was besorgen müssen, wäre jetzt die letzte Gelegenheit.“ Ich versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Eigentlich hätte ich die Weihnachtstage gerne wie jedes Jahr allein in meiner Wohnung verbracht und darauf gewartet, dass sie vorbeigingen, doch seit Eva erfahren hatte, dass ich keine Familie oder sonstige Bekannte hatte, mit denen ich feiern konnte, war sie fest entschlossen diesen für sie bedauernswerten Umstand zu beheben. Ihre eigene Familie flog über die Festtage nach Australien, um ihren älteren Bruder zu besuchen, sodass aus dieser Richtung keine Schwierigkeiten zu erwarten waren. Zum Teil war ich wahrscheinlich selber Schuld an ihrer Beharrlichkeit. Ich hatte zugelassen, dass sie mich mit der Zeit – innerhalb der sechs Monate, die wir uns nun schon kannten – immer mehr als eine Freundin angesehen hatte. Das Problem war, dass ich mir immer noch nicht sicher war, ob ich ihre Freundlichkeit erwidern sollte oder ob es nicht besser wäre sie auf Distanz zu halten. Nicht, dass ich grundsätzlich gegen Freundschaften war – eigentlich stellte ich es mir sogar sehr schön vor, endlich wieder jemanden zu haben, mit dem man über alles reden konnte – aber in den letzten Jahren war ich vorsichtig geworden, was soziale Bindungen anging. Ich wollte niemanden in Gefahr bringen. Ich bemerkte, dass Eva mich immer noch erwartungsvoll ansah und beeilte mich mit einer Antwort: „Klar…kein Problem.“ Ich rang mir ein Lächeln ab, nahm das Tablett und eilte damit zu der fünfköpfigen Gruppe hinüber. *** „Also…“, Eva stellte eine Tasse mit dampfendem Kaffee vor mich auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber auf den Küchenstuhl. „Ich erwarte konstruktive Vorschläge.“ Sie grinste. Nachdem unsere Schicht im Refuge zu Ende gewesen war, hatte Eva mich in ihr Auto verfrachtet und wir waren zu ihr gefahren. Sie wohnte in einem kleinen Haus am Stadtrand, das sie von ihren Eltern finanziert bekam; andernfalls hätte sie es sich kaum leisten können. Ich war erst ein paar Mal hier gewesen, fühlte mich aber trotzdem richtig wohl in der kleinen hell eingerichteten Küche. Durch das große Fenster, vor dem der Küchentisch stand, an dem wir nun saßen, blickte man auf einen kleinen Vorgarten hinaus, der im Sommer wirklich schön ausgesehen hatte, jetzt aber unter einer dicken Schicht Schnee verborgen lag. Meine eigene Wohnung konnte man dagegen vergessen: Viel zu klein und eng. Aber ich hatte schließlich keine Eltern, die mir ein Haus finanzieren konnten. Ich hatte nicht einmal jemanden, bei dem ich mir einfach mal so Geld leihen konnte, wenn ich mal knapp bei Kasse war. Ich seufzte und trank einen Schluck Kaffee. Das heiße Gebräu brannte in meiner Kehle. Ohne große Hoffnung auf Erfolg startete ich einen letzten Versuch, Eva von ihrem Vorhaben abzuhalten: „Weißt du, eigentlich wollte ich Weihnachten nach Jobangeboten suchen. Du weißt ja, ich hab noch nichts Neues und ich kann es mir nicht leisten, lange ohne Arbeit zu sein, sonst…“ Weiter kam ich nicht, denn Eva protestierte heftig: „Du kannst doch an Weihnachten nicht nach Arbeit suchen! Weihnachten verbringt man mit seinen Freunden, um zu feiern und Spaß zu haben!“ „Wir…“, begann ich, doch dann unterbrach ich mich und biss mir auf die Lippe. Wir sind keine richtigen Freunde, hatte ich sagen wollen, doch irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, die Worte auszusprechen. Es hätte sie tief verletzt und wahrscheinlich hätte ich damit den einzigen Menschen verloren, der bereit war etwas Zeit mit mir zu verbringen. Ich schluckte und begann erneut: „Wie soll ich mich denn aufs Feiern konzentrieren, wenn ich gleichzeitig immer daran denken muss, dass ich im nächsten Jahr meine Miete nicht mehr bezahlen kann, weil ich pleite bin ohne Arbeit?“ „Da mach dir mal keine Sorgen. Du kannst bei mir einziehen, wenn du willst. Ich habe genug Platz.“ Ich zog eine Grimasse, weil ich wusste, dass sie das Angebot ernst meinte und ich es nicht annehmen würde – nicht annehmen konnte. „Danke, aber mir wäre wohler, wenn das nicht nötig wäre…und das ist nichts gegen dich persönlich“, fügte ich hastig hinzu, als ich ihren gekränkten Gesichtsausdruck sah. „Es ist nur so, dass ich gerne unabhängig bin.“ „Schon gut“, Eva winkte ab. „Jedem das seine.“ Eine Weile schwiegen wir uns an, dann setzte ich ein gezwungen fröhliches Lächeln auf, von dem ich hoffte, dass es überzeugend wirkte und verkündete: „Weihnachten, also. Vielleicht könnte ich mich dazu bereit erklären, Heiligabend gemütlich mir dir zusammen zu verbringen. Du weißt schon: Tee, Kekse, gemütliche Musik… Und erst am ersten Weihnachtstag damit anzufangen, die Jobangebote durchzusehen.“ Eva strahlte. „Klingt super. Vielleicht könnten wir auch einen Film gucken? Nach der Bescherung versteht sich.“ Ihr Lächeln wurde breiter. Sie floss geradezu über vor Vorfreude. Wie konnte man sich nur dermaßen auf Weihnachten freuen? „Das wird sicher lustig“, fuhr Eva glücklich fort. „Die letzten Jahre habe ich immer nur mit meinen Eltern gefeiert, dass war ziemlich langweilig.“ Ich seufzte. „Tja, immerhin hast du Eltern, mit denen du feiern kannst.“ Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein bitterer Klang in meine Stimme mischte. Das Lächeln auf Evas Gesicht verschwand und machte einer bestürzten Miene Platz. „Oh, Mia, tut mir Leid. Ich…ich habe nicht dran gedacht, dass du ja…es tut mir wirklich Leid, was mit deinen Eltern passiert ist und…und ich wollte bestimmt keine traurigen Erinnerungen wecken…“ „Schon gut.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, um über meine Verbitterung hinwegzutäuschen, die mich jedes Mal überkam, wenn ich an meine Eltern dachte. „Ich erinnere mich ja nicht einmal mehr an sie.“ Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Ich war acht gewesen, als meine Eltern starben. Ein Autounfall. In den schrecklichen Jahren nach dem Unglück waren ihre Gesichter in meinem Kopf allmählich verblasst. Geblieben waren nur die wage Erinnerung an ihre sanften Stimmen, wenn sie mit mir sprachen, und das Gefühl von Geborgenheit und Wärme, dass mir jedes Mal die Tränen in die Augen trieb. Wann hatte ich mich das letzte Mal wirklich sicher gefühlt? Aber das alles war nichts Greifbares, nicht Reales. Wie sehr wünschte ich mir, ich hätte das Foto noch, dass ich damals nach dem Unfall aufbewahrt hatte. Das Foto von ihrer Hochzeit. Sie hatten so glücklich darauf ausgesehen. Aber dieser letzte Beweis dafür, dass sie wirklich gelebt hatten, dass sie nicht nur meiner Einbildung entsprungen waren, war mir vor langer Zeit schon genommen worden. Zu Asche verbrannt, weil ich unvorsichtig gewesen war. Unwiederbringlich verloren, weil ich mir einen Moment der Schwäche erlaubt hatte. ER hatte sie mir genommen. Luzifer! Schon bei dem Gedanken an ihn liefen mir kalte Schauer über den Rücken und meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Ich schnappte nach Luft. ‚Tief durchatmen‘, redete ich mir gut zu. ‚Einfach weiter atmen.‘ Mit geschlossenen Augen zählte ich langsam bis zehn und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Evas erschrockene Stimme riss mich in die Gegenwart zurück: „Mia! Mia! Mein Gott, was ist los? Du bist auf einmal so blass. Geht’s dir nicht gut?“ Sie war aufgesprungen und um den Tisch herum geeilt und legte mir eine Hand auf den Arm. Ihr Blick drückte Besorgnis aus. „Du zitterst ja!“ Ich rang mir ein beruhigendes Lächeln ab und verschränkte die Hände im Schoß, um das Zittern zu verbergen, während die Gänsehaut auf meinen Armen langsam wieder verschwand. „Keine Sorge, ich bin in Ordnung. Mir geht’s gut. Wirklich.“ Sie wirkte nicht überzeugt und machte einen schuldbewussten Eindruck. „Es ist wegen dem, was ich gesagt habe, nicht wahr? Wegen deiner…Eltern?“ „Nein“, ich wich ihrem Blick aus. „Ich habe mich nur plötzlich an etwas…an jemanden erinnert, den ich lieber vergessen würde.“ Im nächsten Moment, als ich die Neugier in ihren Augen aufleuchten sah, hätte ich mich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum erzählte ich ihr das? Ich hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen und ich wollte eigentlich auch nicht damit anfangen. „Ich möchte nicht darüber reden“, würgte ich ihre Frage ab, als sie den Mund öffnete. Eine Weile herrschte unbehagliches Schweigen, dann versuchte sich Eva wieder an einer fröhlichen Miene. „Also, zurück zum Thema. Was für Filme wollen wir denn gucken?“ __________ Forsetzung folgt... Das war's für's erste wieder. Ich hoffe es hat euch gefallen!! Kapitel 2: Ein neues Jahr... ---------------------------- Hi, hier also das zweite Kapitel meiner FF. Ich hoffe, es gefällt euch. __________ 2. KAPITEL: EIN NEUES JAHR… Das neue Jahr begann ebenso wie das Letzte geendet hatte: mit viel Schnee und Kälte. Die Straßen und Gehwege waren spiegelglatt und man musste höllisch aufpassen, wollte man nicht bei jedem Schritt ausrutschen. Ich hasste die Kälte, ich hasste den Schnee und ich hasste mein ganzes beschissenes Leben! Entsprechend missmutig stapfte ich deshalb durch den Schnee, den Kragen meines für die vorherrschenden Temperaturen viel zu dünnen Mantels hochgeschlagen und einen Schal so fest um Hals und Gesicht gewickelt, dass nur noch meine Augen zu sehen waren. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, starrte ich auf den Boden vor meinen Füßen und achtete kaum auf das, was um mich herum geschah. Die Weihnachtsfeiertage und Silvester waren, entgegen meiner ursprünglichen Vorahnung, richtig entspannend und unterhaltsam gewesen. Eva und ich hatten es uns in ihrer Wohnung gemütlich gemacht und einen Film nach dem anderen angeschaut, bis wir auf dem Sofa eingeschlafen waren. Ich hatte von Eva eine neue wintertaugliche Mütze und einen Schokoladenweihnachtsmann bekommen und ihr im Gegenzug ein Buch geschenkt, das sie schon länger hatte lesen wollen. Silvester hatte ich mich dazu überreden lassen, mit Eva durch verschiedene Bars in der Stadt zu ziehen und das erste Mal seit langem war es mir gelungen, meine Sorgen und Ängste zu vergessen. Obwohl ich zugeben muss, dass der Alkohol, den ich in dieser Nacht konsumierte, eine nicht zu verachtende Rolle dabei gespielt hatte. Die Zeit zwischen den Festtagen hatte ich in meiner eigenen Wohnung zugebracht und zusammen mit Eva, die es sich nicht nehmen ließ, jeden Tag bei mir vorbeizuschauen, ein paar mehr oder weniger interessant klingende Jobangebote herausgesucht, die für mich in Frage kamen – oder auch nicht. Eigentlich hatte ich es nur Eva zu verdanken, dass ich mir jetzt, zwei Wochen nach Neujahr, auf dem Weg zu meinem ersten Bewerbungsgespräch, die Füße abfror. Dabei machte ich mir nicht einmal große Hoffnungen, dass ich den Job überhaupt bekam. Ich konnte mir ja nicht einmal vorstellen, womit ich mir die Einladung zum Vorstellungsgespräch verdient hatte. Bestimmt nicht mit meinem mehr als kurzen Lebenslauf, der die Wahrheit an einigen Stellen etwas überstrapazierte und das meiste, was ich in meinem Leben schon jobtechnisch gemacht hatte, ganz wegließ, weil es sich eben nicht wirklich gut in einem normalen Lebenslauf machte. Aber Eva war ganz begeistert gewesen, als sie die Anzeige im Internet gefunden hatte. Wir saßen gerade in meinem kleinen Wohnzimmer auf dem mickrigen, an einigen Stellen schon etwas löchrigen Sofa, Eva mit ihrem Laptop auf den Knien, ich über die Jobangebote in der Zeitung gebeugt, beide eine Tasse heißen Kakao vor uns auf dem niedrigen Tischchen stehend, als Eva plötzlich einen geradezu begeisterten Ausruf ausstieß: „Ich hab’s!“ Erschrocken zuckte ich zusammen und sah auf. „Was hast du?“ „Den ultimativen Job für dich. Mann, wenn ich nicht gerade mitten im Studium wär, würd ich mich glatt selbst bewerben.“ Sie war ganz aus dem Häuschen. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Und was ist das für ein sagenhaftes Angebot?“ Mit einem breiten Grinsen drehte sie den Laptop um, damit ich den Bildschirm und die Homepage, die darauf angezeigt wurde, erkennen konnte. Ich runzelte die Stirn, als ich das Logo der Kaiba Corporation erkannte. Die KC war eine der größten Entwicklungsfirmen für Computer- und Duellmonstersspiele in der ganzen Welt. Ihr Inhaber ein gewisser Seto Kaiba galt als ausgesprochen reif für sein Alter, er leitete die Firma seit seinem achtzehnten Lebensjahr, und sollte überdurchschnittlich gut aussehen, was ihm zum Schwarm vieler junger Mädchen und Frauen gemacht hatte. Allerdings hörte man nicht nur Gutes über seinen Charakter. Weiter unten auf der Seite fiel mein Blick auf die Stellenanzeige, die Eva derart in Aufregung versetzte. «Sekretär/in in der Geschäftsführung gesucht, bis zum 1. Februar nächsten Jahres.» Es folgten eine genauere Beschreibung der Aufgabenbereiche und eine Auflistung der benötigten Fähigkeiten, die der Bewerber mitzubringen hatte. „Das ist nicht dein Ernst“, hakte ich ungläubig nach und riss meinen Blick von der Anzeige los, um Eva anzustarren. „Das ist ein Scherz, oder?“ Natürlich war es kein Scherz und in den nächsten Minuten erging sie sich förmlich in Schwärmereien: Ich solle mir bloß einmal vorstellen, wie absolut cool es wäre, wenn ich für DEN Seto Kaiba arbeiten würde! Er wäre ja der tollste Mann der Welt und wie gut er doch aussähe und ich könne ihr ja dann immer Bericht erstatten, wie es lief und was er den Tag über so machen würde. An dieser Stelle wagte ich einzuwerfen, warum sie sich nicht einfach selbst um den Job bewarb, wenn sie das alles so toll fand, woraufhin sie mich daran erinnerte, dass sie immer noch studierte und das deshalb zeitlich überhaupt nicht in Frage kam. Sie machte ein bisschen den Eindruck, als würde sie das tatsächlich ein wenig bedauern. „Aber ich habe überhaupt keine Erfahrungen als Sekretärin vorzuweisen“, versuchte ich erneut, ihr die Idee auszureden und schielte auf die Anzeige im Internet. „Und ich bin weder teamfähig noch besonders kontaktfreudig“, griff ich ein paar von den dort aufgelisteten Voraussetzungen auf. Doch auch diesen Einwand ließ sie nicht gelten. „Ach was. Was nicht ist, kann ja noch werden und außerdem hast du doch mal erzählt, dass du früher schon mal einen Verwaltungsjob gemacht hast, da kommst du doch sicher schnell wieder rein.“ Ich starrte sie ungläubig an. Wann sollte ich ihr das erzählt haben? Okay, gelogen war es nicht, ich hatte mich eine Zeit lang um die Verwaltungsarbeit einer gewissen Organisation gekümmert, doch auch das war etwas, woran ich nicht gerne zurückdachte. Nach einigem hin und her hatte ich mich schließlich überreden lassen, es wenigstens zu versuchen, obwohl ich nach wie vor der Meinung war, dass meine vorzuweisende Erfahrung wohl niemanden davon überzeugen würde, mich einzustellen. Umso größer war meine Überraschung als bereits fünf Tage später ein Antwortschreiben mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in meinem Briefkasten landete. Danach war Eva praktisch nicht mehr zu bremsen gewesen. Sie hatte sogar darauf bestanden, dass ich mir einen grünen Rollkragenpulli von ihr auslieh, der meine Augen besser zur Geltung bringen sollte. „Du kannst da unmöglich in diesen unscheinbaren langweiligen Pullis hin, die du sonst immer trägst“, erklärte sie mit unbewegter Miene, als ich zu protestieren versuchte. Meinen Einwand, ich hätte nichts dagegen unscheinbar und langweilig zu wirken, tat sie mit einem energischen Wink ab. „Du kannst in deiner Freizeit so unscheinbar und langweilig aussehen wie du willst, aber nicht bei einem Vorstellungsgespräch bei Seto Kaiba.“ Seufzend hatte ich mich in mein Schicksal gefügt. Und jetzt war ich also auf dem Weg zum Firmengebäude der Kaiba Corporation in der Innenstadt. Da ich nicht allzu weit entfernt wohnte und das Geld für den Bus lieber sparen wollte, war ich zu Fuß unterwegs. Eva hatte mir zwar angeboten, ihre Vorlesung an der Uni zu schwänzen, um mich hinfahren und wieder abholen zu können, doch das hatte ich entschieden abgelehnt. Das fehlte gerade noch, dass sie meinetwegen bei ihrem Studium schlecht abschnitt, obwohl ich es ihr hoch anrechnete, dass sie ihren Unterricht extra für mich hätte ausfallen lassen. Halb erfroren stand ich schließlich vor dem gut zwanzig Stockwerke hohen Gebäude und legte den Kopf in den Nacken um bis zum Dach hinaufzusehen. Nach oben hin reihte sich eine Fensterfront an die nächste. Beeindruckend sah es schon einmal aus. Auf halber Höhe waren zwei große Buchstaben angebracht: KC. Den Eingang bildete eine gläserne Drehtür, neben der zwei Minibäume in ockerfarbenen Tonkrügen standen. Der mit hellen Steinen gepflasterte Weg führte von der Tür fort zu einer Haltebucht, in der mindestens vier Busse gleichzeitig hintereinander Platz hatten. Ich bezweifelte jedoch, dass hier oft Busse hielten. Durch die Drehtür betrat ich eine weitläufige Empfangshalle von der mehrere Flure abgingen. Gegenüber dem Eingang stand ein langer Empfangsschalter, hinter dem zwei Frauen im Hosenanzug ihren Dienst versahen. Unschlüssig blieb ich stehen und kaute auf meiner Unterlippe herum. Die Versuchung, einfach wieder zu verschwinden, war groß, doch dann gab ich mir einen Ruck und steuerte zielstrebig auf die jüngere der beiden Empfangsdamen zu. Das Schild an ihrer Jacke wies sie als Mrs. White aus. Sie blickte auf, als ich näher kam und lächelte. „Guten Tag und herzlich Willkommen bei der Kaiba Corporation. Was kann ich für Sie tun?“ „Hallo. Mein Name ist Mia Terrell. Ich habe um 11:00 Uhr ein Vorstellungsgespräch bei Mr. Kaiba.“ „Einen Moment bitte.“ Mrs. White griff nach einem Telefonhörer und wählte eine zweistellige Nummer. Scheinbar hob gleich beim ersten Klingeln jemand ab. „Miss Terrell ist hier für Mr. Kaiba. Soll ich…“ Sie hielt inne und lauschte. „Ja. Ja, okay. Tschüss.“ Sie legte auf und wandte sich wieder mir zu. Mit einem Lächeln wies sie in Richtung Fahrstuhl. „Mr. Kaiba erwartet Sie. Nehmen Sie am besten den Fahrstuhl. Sie müssen in den 22. Stock hoch, die dritte Tür auf der rechten Seite. Viel Glück.“ Ich dankte ihr und ging zum Fahrstuhl hinüber. Die Türen glitten auf sobald ich den Knopf drückte und gaben den Blick auf eine mit großen Spiegeln ausgestattete geräumige Kabine frei. Als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, zog ich meinen Mantel aus und nahm Mütze und Schal ab. Nervös zupfte ich meine Haare zu Recht. Vielleicht wäre es doch besser gewesen zu kneifen. Nicht das ich ein Problem damit hatte, mich bei einem völlig Fremden vorzustellen, der mit etwas Glück mein neuer Arbeitgeber werden könnte. Es war vielmehr so, dass ich immer noch daran glaubte, die Einladung sei ein Versehen gewesen. Mit einem leisen „Ping“ schwangen die Fahrstuhltüren wieder auf. Dahinter wurde ein langer mit weißen Fliesen ausgelegter Flur sichtbar, von dem mehrere Türen abzweigten. Die Wände zierten gerahmte Bilder von Duellmonsters-Karten. Ich klopfte an der dritten Tür von rechts. In Kopfhöhe war ein goldenes Schild angebracht auf dem in schwarzen Buchstaben „Seto Kaiba, Geschäftsführung“ stand. „Herein“, erklang eine weibliche Stimme hinter der Tür. Ich folgte der Aufforderung und trat ein. Das Büro hinter der Tür war geräumig und recht gemütlich eingerichtet. In der Ecke neben der Tür stand ein kleines Sofa, davor ein niedriger Couchtisch. Gegenüber stand ein breiter Schreibtisch, auf dem mehrere Ordner und ein Flachbildschirm standen. Links dahinter an der Wand erhob sich ein Bücherregal, das vor Ordnern und Mappen nur so überquoll. Offenbar hatte da jemand keinen Sinn für Ordnung. Eine zweite Tür führte in den angrenzenden Raum. Hinter dem Schreibtisch saß eine schlanke blonde Frau, die von der Tastatur des Computers aufsah, als ich eintrat. „Guten Tag. Sie müssen Miss Terrell sein.“ Sie stand auf und kam um den Tisch herum, um mir die Hand zu schütteln. „Ich bin Helena Johnson. Mit etwas Glück werden Sie vielleicht meine Nachfolgerin.“ Sie gab mir gerade genug Zeit um ebenfalls eine Begrüßung über die Lippen zu bringen, ehe sie schon mit einer Geste in Richtung der zweiten Tür fortfuhr: „Sie können gleich durchgehen. Mr. Kaiba erwartet Sie bereits. Viel Glück.“ „Danke.“ Ich ging an ihr vorbei und klopfte vorsichtshalber noch einmal an, ehe ich die Tür aufdrückte. Der Raum dahinter war noch ein wenig größer als das Büro, das ich gerade verlassen hatte. Eine Fensterfront nahm die ganze hintere Wand ein. Davor stand ein großer Schreibtisch, auf dem gleich zwei Computermonitore Platz fanden. Vor dem Tisch standen zwei mit schwarzem Polster bezogene Stühle, die auf den ersten Blick einen bequemen Eindruck machten. Dahinter saß auf einem braunen Ledersessel mit hoher Lehne Seto Kaiba, der Leiter der Kaiba Corporation. In einem musste ich Eva zustimmen: Er sah wirklich gut aus. Schlank, hochgewachsen, die kurzen braunen Haare umrahmten ein schmal geschnittenes Gesicht. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, er war nicht älter als dreiundzwanzig. Seine ganze Haltung strahlte Autorität aus. Das Auffälligste waren jedoch seine Augen: von einem stechenden eisblau strahlten sie eine Kälte aus, die mich unwillkürlich Schaudern ließ. Ich hatte so einen Blick schon einmal bei einem anderen Menschen gesehen, mit dem ich heute nur noch Hass und Abscheu verband. Am liebsten hätte ich sofort kehrt gemacht und das Büro wieder verlassen und wahrscheinlich hätte ich das auch getan, wenn er mich nicht in diesem Moment angesehen hätte. Jetzt einen Rückzieher zu machen, wäre echt peinlich. Einen kurzen Moment lang musterte er mich nur schweigend, dann kam er um den Tisch herum und streckte mir zur Begrüßung eine Hand entgegen. „Guten Tag. Ich bin Seto Kaiba“, stellte er sich vor, was ich ein wenig überflüssig fand, doch ich sagte nichts. „Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ „G…guten Tag“, brachte ich mit einiger Verspätung hervor, ein wenig überrumpelt von der freundlichen Begrüßung, die ich ihm, dem ersten Eindruck nach, nicht zugetraut hatte. Er wies auf einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch. „Bitte, setzen Sie sich.“ Als ich mich in Bewegung setzte, schloss er die Tür hinter mir und kehrte zu seinem Platz zurück, wo er eine dünne Mappe aufschlug, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag und in der ich meine Bewerbungsmappe wiedererkannte. Ich setzte mich auf den rechten der beiden Stühle und wartete darauf, dass Kaiba etwas sagte. Nachdem er meine Unterlagen noch einmal überflogen hatte, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände. „Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, aber sie erfüllen nicht unbedingt die Bedingungen, die ich mir für diesen Job vorgestellt habe.“ Seine Stimme klang ausdruckslos und ich fragte mich verwundert, was er mir damit sagen wollte oder worauf er hinaus wollte. Gleichzeitig merkte ich, dass ich leicht rosa anlief. „Sie haben weder eine entsprechende Ausbildung noch haben sie mehrjährig Erfahrung in diesem Bereich vorzuweisen. Zudem haben Sie, nach eigenen Angaben, keine Übung im Erstellen von Präsentationen und würden sich auch nicht als besonders kommunikationsfreudig bezeichnen.“ Er durchbohrte mich geradezu mit seinem Blick. „Der Grund, warum ich Sie trotzdem zu einem Gespräch eingeladen habe, ist einfach: Ich war neugierig. Warum haben Sie sich überhaupt erst beworben? Sie müssen doch gewusst haben, dass ihre Chancen nicht gerade gut stehen.“ Er hob eine Augenbraue und sah mich abwartend an. Na toll! Hieß das jetzt, dass er mich nur herbestellt hatte, weil er wissen wollte, warum ich mich beworben hatte? Hieß das, er dachte nicht einmal ernsthaft darüber nach, mich einzustellen? Wenn das so war, konnte ich ja genauso gut wieder gehen. Für wen hielt sich der Kerl überhaupt? Doch dann erwiderte ich den Blick seiner eisblauen Augen, die mich immer noch aufmerksam musterten, und bevor ich genauer darüber nachgedacht hatte, antwortete ich: „Das Café, in dem ich gearbeitet habe, hat Insolvenz angemeldet und ich brauche einen neuen Job, um meine Miete bezahlen zu können.“ Okay, das klang jetzt weder besonders höflich noch diplomatisch. Auf jeden Fall schien er etwas anderes erwartet zu haben, denn für einen kurzen Augenblick blitze Überraschung in seinen Augen auf. Der Ausdruck verschwand jedoch genauso schnell wieder, wie er gekommen war und machte der ursprünglichen kalten Miene Platz. „Das ist alles?“ Ich zuckte die Schultern. „Aus welchem Grund würden Sie sich denn einen neuen Job suchen?“ Ich sah ihn herausfordernd an, doch er ging nicht darauf ein. „Und warum haben Sie sich ausgerechnet für die Stelle als Sekretärin bei mir beworben, wenn es ihnen nur darum geht, ihre Wohnung bezahlen zu können?“ Ich überlegte kurz und beschloss dann, bei der Wahrheit zu bleiben: „Meine Freundin hat mich dazu überredet. Sie war ganz begeistert von der Idee. Und ich hab mir gedacht, bevor sie mich für den Rest meines Lebens damit nervt, kann ich es genauso gut mal versuchen.“ Das schien ihn dann doch ein wenig aus der Fassung zu bringen, auch wenn ich zugeben muss, dass er seine Gesichtsmuskeln ziemlich gut unter Kontrolle hatte. Ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel, auch wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher war, dass es keine Einbildung war. Was war so lustig an meiner Antwort gewesen? Eine Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, starrte er mich nur an, ohne eine erkennbare Gefühlsregung zu zeigen und es kam mir so vor, als überlege er, was er nun tun sollte. Ich rechnete jeden Moment damit, dass er das Gespräch für beendet erklären und mich hinausschicken würde, jetzt da seine Neugier befriedigt war, doch er machte keine Anstalten irgendetwas in dieser Richtung zu unternehmen. Schließlich schien er zu einer Entscheidung zu kommen. Er lehnte sich auf seinem Sessel vor und stütze die Ellenbogen auf der Tischplatte auf. Über seine verschränkten Hände hinweg, sah er mich mit einem geschäftsmäßigen Ausdruck im Gesicht an. „Also gut. Was würden Sie sagen sind ihre Stärken?“ Mit dieser Frage brachte er nun mich völlig aus dem Konzept. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er jetzt anscheinend ein ganz normales Bewerbungsgespräch begann. Etwas überrumpelt starrte ich ihn an. „Ähm…ich…“, verdammt auf solche Fragen hatte ich mich doch vorbereitet! Warum fiel mir jetzt nichts ein? Vielleicht lag das daran, dass Kaiba mich immer noch unverwandt ansah. Blinzelte der Kerl eigentlich nie? „Also…ich denke, meine Stärke liegt darin, dass ich nicht leicht zu stressen bin. Ich kann alle möglichen Sachen gleichzeitig und in kurzer Zeit erledigen, wenn es nötig ist, ohne dabei gleich die Nerven zu verlieren. Ich bin gut darin, mir viele Dinge auf einmal zu merken und lerne recht schnell… und ich bin gut im Diktat schreiben.“ Letzteres fügte ich noch an, weil bei der Stellenanzeige im Internet unter Aufgaben stand, dass man nach Phonodiktat schreiben können musste. Kaiba quittierte meine Antwort mit einem knappen Lächeln. „Und ihre Schwächen?“ Okay, das war schon schwieriger. Sicher, ich hatte bestimmt eine Menge Schwächen, aber keine, die ich ihm auf die Nase binden wollte. Ich wusste, was andere Bewerberinnen jetzt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen würden und ich wusste, was Eva jetzt sagen würde. Fast hörte ich noch ihre Stimme, die in meinen Ohren nachhallte: „Und wenn er dich fragt, was deine Schwächen sind, dann kannst du ja sowas sagen wie, dass du dich manchmal viel zu sehr auf deine Arbeit konzentrieren würdest und darüber die Zeit vergessen würdest. Ich habe gehört Seto Kaiba soll ein Workaholic sein, das wird ihm also denke ich mal gefallen.“ Als Antwort hatte ich sie nur wortlos angestarrt und mir geschworen, dass ich das auf keinen Fall erwidern würde. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern. „Meine Schwäche haben sie doch schon selber aufgezählt. Ich bin nicht besonders kommunikationsfreudig, habe keine entsprechende Ausbildung für den Job und eigentlich überhaupt keine Qualifikationen, wegen der man mich einstellen würde.“ Kaiba ließ sich in keinster Weise anmerken, was er von der Antwort hielt. Allerdings wandte er jetzt endlich den Blick von mir ab, um erneut auf meine Unterlagen zu schauen. „Hat es einen bestimmten Grund, dass Sie keine Telefonnummer in ihrem Lebenslauf angegeben haben?“ „Äh, ja. Ich besitze kein Telefon.“ „Und ein Handy?“ „Ist auch ein Telefon, also nein.“ Er verengte kaum merklich die Augen. „Nun, wenn Sie den Job haben möchten, brauchen sie irgendetwas, womit ich Sie erreichen kann. Ohne Telefon wird das schwer. Da sie auch keine E-Mail-Adresse angegeben haben, nehme ich an, sie haben auch kein Internet?“ Ich nickte. „Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“, wollte Kaiba wissen, schob meinen Lebenslauf wieder in die Mappe zurück und schlug diese zu. Ich schüttelte den Kopf. „Gut. Dann können Sie jetzt gehen. Sie werden per Post benachrichtigt, ob sie den Posten bekommen oder nicht.“ Er erhob sich und ich sprang förmlich von meinem Stuhl hoch. Wir schüttelten uns über den Tisch hinweg die Hände. „Auf Wiedersehen, Miss Terrell.“ „Auf Wiedersehen.“ Ich drehte mich um und verließ das Büro. Im Vorzimmer begegnete ich dem mitfühlenden Blick von Helena Johnson. „War es sehr schlimm?“ „Sehe ich so mitgenommen aus?“, fragte ich verwundert. Sie kicherte. „Nun ja, Sie machen den Eindruck, als würden Sie ein wenig neben sich stehen und ich kenne ja meinen Chef.“ „Ich bin mir nicht sicher, was ich von Mr. Kaiba halten soll“, gab ich zu. „Das, was er sagt, klingt zwar freundlich, aber seine ganze Haltung strahlt so eine Distanziertheit und Unnahbarkeit aus und sein Blick ist eiskalt.“ Ich schauderte bei dem Gedanken an diese blauen Augen. Johnson zuckte mit den Schultern. „Man gewöhnt sich daran.“ Sie senkte verschwörerisch die Stimme: „Ich glaube ja, dass eine schwere Kindheit der Grund dafür ist, dass er so geworden ist. Warum sonst sollte er sich so abweisend verhalten. Er lässt niemanden an sich heran. Aber er sieht verboten gut aus“, fügte sie mit einem Zwinkern hinzu. Das Gespräch wandte sich nun eindeutig zu privaten Themen zu und ich hatte keine Lust mir von Johnson auch noch Kaibas gesamten Lebenslauf vorbeten zu lassen, da ich ihn sowieso nicht wieder sehen würde. Daher verabschiedete ich mich hastig und floh in den Flur. Den ganzen Weg nach Hause und später, als ich mein Mittagessen in die Mikrowelle schob, dachte ich noch über das hinter mir liegende Gespräch mit Kaiba nach. Es hatte ein paar rasante Wendungen genommen: von „ich will eigentlich nur wissen, warum Sie so blöd waren, sich für den Job zu bewerben“ über „ich kann ja einfach mal so tun, als würden wir beide tatsächlich ein Bewerbungsgespräch führen“ bis hin zu „ach so, Sie haben kein Telefon, na dann, tschüss“. Im Nachhinein ärgerte ich mich über Kaibas arrogante Art und über mein eigenes Verhalten. Normalerweise ließ ich mich nicht so einfach einschüchtern. Aber seine Augen, dieser eiskalte Blick, hatten mich völlig aus dem Konzept gebracht und Erinnerungen aus meinem früheren Leben in mir wach gerufen, die ich lieber vergessen hätte. ‚Wahrscheinlich ist es sogar gut, dass ich von vorneherein keine Chance hatte. Mit Sicherheit würde ich den Job in seiner Gegenwart nicht lange durchhalten‘, überlegte ich und schob mir eine Gabel voll Lasagne in den Mund. Die Türklingel riss mich so unerwartet aus meinen Gedanken, dass ich erschrocken zusammen zuckte und mir die Gabel in den Gaumen bohrte. Leise vor mich hin fluchend schlurfte ich zur Tür, warf einen Blick durch den Spion, seufzte ergeben auf und öffnete. „Hi, Eva. Komm rein.“ „Hi. Ich dachte, ich schaue mal kurz vorbei, um zu fragen, wie es gelaufen ist.“ Meine einzige Freundin hüpfte vergnügt an mir vorbei in die Wohnung und weiter in die Küche. „Oh, störe ich dich beim Essen? Tut mir Leid.“ Sie ließ sich auf einen der drei Stühle fallen. Ich setzte mich ihr gegenüber und widmete mich wieder meinem Mittagessen. Eva funkelte mich erwartungsvoll an. „Und, wie ist es gelaufen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, nicht so gut.“ „Erzähl mir alles“, verlangte sie. Ich verdrehte die Augen, wusste aber, dass sie keine Ruhe geben würde und ging das Gespräch mit Kaiba noch einmal mit ihr durch. Als ich meine Ausführungen beendet hatte, sah Eva gar nicht mehr so glücklich aus – eher nachdenklich. „Das hört sich irgendwie nicht so an, als könntest du mit einem positiven Schreiben rechnen“, resümierte sie. „Das Gleiche hab ich auch gedacht“, erklärte ich ihr und stand auf, um meinen leeren Teller in die Spüle zu stellen. Zum Abwaschen würde ich wohl erst kommen, wenn Eva wieder weg war. Nicht, dass sie Anstalten machte zu gehen. Scheinbar war sie gerade erst dabei, es sich in meiner Küche gemütlich zu machen. Lässig stützte sie die Arme auf der Tischplatte auf. „Na ja, mach dir nichts draus. Immerhin hast du’s versucht. Dann suchen wir jetzt halt weiter nach einem Job für dich.“ „Aber diesmal bitte einen, bei dem ich auch eine Chance habe.“ Und damit war das Thema Kaiba Corporation für uns beide erledigt. *** Umso unvorbereiteter traf mich der Brief, den ich eine Woche später in meinem Briefkasten fand. Es war ein großer, dicker Umschlag. Als Absender war die KC angegeben. Wie es der Zufall wollte, war ausgerechnet an diesem Tag Eva zu Besuch. Inzwischen war es fast einfacher, die Tage zu zählen, an denen sie nicht an meiner Tür klingelte. Grund dafür war die Tatsache, dass auch sie noch keinen neuen Job hatte. Nicht das sie es nötig hätte, ihre Eltern bezahlten sowieso ihren Unterhalt, aber Eva fühlte sich wohler, wenn sie nicht gänzlich von ihren Eltern abhängig war. In der dadurch neu gewonnenen freien Zeit drückte sie sich erfolgreich ums Lernen für ihr Studium, indem sie einfach häufiger bei mir vorbei schaute. Allmählich bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie ja indirekt vom Lernen abhielt, aber ich brachte es einfach nicht über mich, sie abzuweisen und ohne dass ich es mir selbst eingestehen wollte, genoss ich ihre Gesellschaft. Es war einfach lustiger nicht immer alleine in der Wohnung zu hocken. Als ich mit der Post wieder ins Wohnzimmer kam, hielt ich den Brief hoch. „Die Antwort von der KC ist da. Ganz schön dick für eine Absage.“ „Wahrscheinlich haben Sie deine Bewerbungsunterlagen wieder mit zurück geschickt“, mutmaßte Eva. Ich riss den Umschlag auf, zog einen kleinen Papierstapel daraus hervor, las die Überschrift auf der ersten Seite – und erstarrte. Das konnte nicht sein! Da musste ein Irrtum vorliegen! Eva, die meine Reaktion beobachtet hatte, trat neben mich. „Was ist los?“ Fassungslos blickte ich sie an. „Das ist ein Arbeitsvertrag“, brachte ich tonlos hervor, nicht ganz sicher, ob ich mich nun darüber freuen sollte oder nicht. Es kam etwas unerwartet. Rasch blätterte ich die Seiten durch. „In zweifacher Ausfertigung.“ „Nicht dein Ernst!“ Eva riss mir die Blätter aus der Hand und überflog die erste Seite. Als sie wieder aufschaute strahlte sie über das ganze Gesicht. „Das ist ja fantastisch! Du hast es geschafft!“ Überschwänglich fiel sie mir um den Hals. „Meinen Glückwunsch! Damit hast du den besten Job ever!“ Immer noch etwas geplättet nickte ich bloß. Ja, ein neuer Job. Ein viel besserer Job als ich mir mit meinem jämmerlichen Schulabschluss und den sowieso verloren gegangenen Zeugnissen erhofft hatte. Wenn ich es nicht sofort vermasselte und die Probezeit gut überstand, würde ich eventuell bald in eine größere Wohnung ziehen können. Mein Leben würde endlich wieder in geregelteren Bahnen verlaufen. Es war ein neuer Anfang. Aber konnte ich mich wirklich darüber freuen? An diesem Abend, als Eva gegangen war, schlich ich die Treppe hinauf zum Dachboden. Eigentlich hatte dort nur der Hausmeister Zugang, aber verschlossene Türen waren für mich noch nie ein Problem gewesen. Der Dachboden war vollgestellt mit allerlei Gerümpel und nachdem ich festgestellt hatte, dass auch der Hausmeister nur sehr selten hier heraufkam, hatte ich beschlossen, dass der Boden das war, was ich gesucht hatte: Ein Versteck! Mit einiger Mühe schob ich den leeren Schrank an der hinteren Wand ein Stück zur Seite. Darunter kamen ein paar lose Bretter zum Vorschein. Ich nahm sie heraus und legte so ein kleines Loch im Boden frei. In dem Hohlraum darunter lagen drei eingewickelte Päckchen. Ich nahm das flachere der drei heraus und wickelte es aus. Zum Vorschein kam ein handgroßer, goldener Ring. Dazwischen war eine Pyramide mit einem eingravierten Auge eingelassen, die den Ring nur an den Ecken berührte. Es war ein wunderschönes Stück – und gefährlich. Ich kannte die Macht, die er in sich barg. Alleine war er noch recht harmlos, aber zusammen mit den anderen Stücken… daran wollte ich nicht einmal denken. Lange saß ich dort auf dem Boden und betrachtete den Ring. Drei Jahre. Drei Jahre war es nun her, dass ich mit meinem alten verhassten Leben und den Menschen darin gebrochen hatte. Drei Jahre, in denen ich nichts von meinen besten Freunden gehört hatte, und jetzt machte mein Leben Anstalten wieder zu einer gewissen Normalität zurückzukehren. Durfte ich das einfach so zu lassen? Oder würde ich mit der Zeit meine Vorsicht fallen lassen? War es leichtsinnig zu hoffen, dass jetzt alles besser werden würde? Dass ich keine Angst mehr vor der Zukunft haben musste? Schließlich wickelte ich den Ring wieder in das Tuch ein und legte ihn an seinen Platz zurück. Dann verschloss ich das Loch und schob den Schrank wieder in seine alte Position. Ohne eine Antwort auf meine Fragen gefunden zu haben und immer noch von einem Gefühl der Unsicherheit geplagt, ging ich ins Bett. Es dauerte lange, bis ich endlich einschlief. __________ Fortsetzung folgt... Ich hoffe, es hat euch gefallen. Das dritte Kapitel ist bereits in Arbeit, sollte also nicht so lange auf sich warten lassen. ;) Kapitel 3: ...und ein neuer Anfang ---------------------------------- Hier kommt auch schon das 3. Kapitel. Wie immer wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen! :) __________ 3. KAPITEL: …UND EIN NEUER ANFANG An meinem ersten Arbeitstag erwachte ich noch vor dem Wecker klingeln mit einem nervösen Gefühl im Magen. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, in der Hoffnung, wieder einzuschlafen, bis ich schließlich aufgab und aufstand. Da ich jetzt mehr als genug Zeit hatte, mich fertig zu machen, begann ich den Tag mit einer ausgiebigen Dusche und stand dann unschlüssig vor meinem Kleiderschrank. In der letzten Woche hatte ich meine restlichen Ersparnisse zusammengeklaubt und war zusammen mit Eva einkaufen gegangen, sodass ich jetzt zumindest einen Hosenanzug, drei Blusen und zwei weitere Anzughosen besaß. Da mein Geld nicht einmal für die Hälfte davon gereicht hatte, hatte Eva das Meiste bezahlt und ich hatte darauf bestanden, es ihr zurückzuzahlen, sobald ich mein erstes Gehalt erhielt. Nach einigem hin und her entschied ich mich schließlich für eine dunkelbraune Hose und eine schlichte weiße Bluse. Dazu eine passende Kette und braune Pumps. Meine schwarzen Haare fasste ich im Nacken zu einem lockeren Knoten zusammen und betrachtete das Ergebnis skeptisch im Spiegel. Der Anblick war ungewohnt, aber ich fand, dass ich nicht schlecht aussah und für die Arbeit würde es reichen. Nach dem Frühstück, das ich unnötig in die Länge zog, war es trotzdem erst kurz nach halb sieben. Um acht sollte ich in der KC sein und ich brauchte maximal eine Viertelstunde zu Fuß. Also nahm ich ein Buch zur Hand und versuchte mich auf die Handlung zu konzentrieren, während ich gleichzeitig mit einem Auge auf meine Armbanduhr schielte. Auf keinen Fall wollte ich an meinem ersten Arbeitstag zu spät kommen. Um halb acht beschloss ich, einfach schon mal loszugehen. Was machte es schon, wenn ich ein bisschen früher bei der Arbeit erschien. Meine größte Angst war, dass sich alles doch noch als Irrtum herausstellte, was natürlich völlig unsinnig war. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich in diesem Moment tatsächlich ein Telefon vermisste. Ich hätte mich sicherer gefühlt, wenn ich jetzt mit Eva hätte reden können. Im gleichen Augenblick, wo mir der Gedanke in den Sinn kam, verbannte ich ihn wieder in die hinterste Ecke meines Kopfes. Nein. Ich brauchte niemanden. Ich kam sehr gut alleine zurecht und daran würde sich auch heute nichts ändern, nur weil ich einen neuen Job hatte und mich ein kleines Bisschen unsicher fühlte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte ich jemanden gebraucht. Sascha. Er hatte mir Halt gegeben, als ich bereits aufgegeben hatte und ich hatte ihn geliebt. Doch das war vorbei. Er war aus meinem Leben verschwunden und auch wenn ich mich manchmal nach ihm sehnte, so hoffte ich doch gleichzeitig, ihn nie wieder zu sehen, denn das würde bedeuten, dass etwas Schreckliches geschehen war. *** Um viertel vor acht erreichte ich die KC und musste feststellen, dass die Drehtür ihren Betrieb noch nicht wieder aufgenommen hatte. Ich stand vor verschlossenen Türen und hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Also lehnte ich mich gegen die gläserne Wand und wartete. Zehn vor acht kam eine Frau Mitte zwanzig auf mich zugeeilt, in der ich Mrs. White wiedererkannte, die Frau, die mich am Tag meines Bewerbungsgespräches begrüßt hatte. Sie lächelte, als sie mich erblickte. „Guten Morgen, Miss Terrell. Warten sie schon lange?“ Ich schüttelte den Kopf und reichte ihr meine Hand, die sie ergriff und schüttelte. „Nur ein paar Minuten.“ Mrs. White kramte eine Schlüsselkarte aus ihrer Handtasche hervor und führte sie durch den dafür vorgesehen Schlitz in dem elektronischen Schloss neben der Tür. „Ich komme immer erst zehn vor acht und ich und Mrs. O’Hara sind die einzigen, die eine Schlüsselkarte haben, neben Mr. Kaiba natürlich. Ach ja, und Sie als seine Sekretärin werden sicher auch eine bekommen. Zumindest hatte ihre Vorgängerin eine“, erklärte sie, während wir durch die Drehtür das Gebäude betraten. „Die KC öffnete eigentlich erst um acht, wenn die anderen Mitarbeiter so langsam hier eintrudeln. Mr. Kaiba kommt pünktlich um halb neun und ich möchte nicht in der Haut dessen stecken, der dann noch nicht an seinem Platz sitzt.“ Sie verzog das Gesicht. „Der Chef ist da etwas eigen, wenn es um Pünktlichkeit geht, also sollten Sie zusehen, dass sie auf jeden Fall immer vor ihm im Büro sind.“ Ich nickte nur. Zu mehr blieb mir auch gar keine Zeit, denn Mrs. White, die offenbar gerne redete, erzählte gleich weiter: „Mittagspause ist normalerweise um zwölf, aber von dem, was ich von Helena mitbekommen habe, kann es auch sein, dass Sie manchmal erst um eins was zu essen bekommen, wenn Mr. Kaiba unbedingt vorher noch was fertig haben will. Wobei mir einfällt: Drüben auf der anderen Straßenseite ist eine Kantine. Dort gibt es einen Mitarbeiterrabatt für alle, die hier arbeiten, und das Essen ist einigermaßen genießbar.“ Während sie redete und ich versuchte, mir alles zu merken, steuerten wir auf den Fahrstuhl zu und Mrs. White drückte auf den Knopf, um die Kabine zu rufen. „Ich komm jetzt erst mal mit Ihnen hoch, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Dann kann ich Sie schon mal ein wenig einweisen.“ Ich nickte wieder, nur um überhaupt irgendwie auf ihre Worte zu reagieren. Im Fahrstuhl drückte sie den Knopf für die 22. Etage. Die Türen schlossen sich und die Kabine setzte sich mit einem kleinen Ruck in Bewegung. Neben mir schlug sich Mrs. White mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Entschuldigen Sie bitte, wo bleiben bloß meine Manieren.“ Sie streckte mir ihre Hand entgegen. „Ich bin Sonja White.“ Wir schüttelten uns erneut die Hände und danach herrschte eine Weile schweigen, bis sich die Fahrstuhltüren im 22. Stock wieder öffneten. Die nächste viertel Stunde verbrachten wir damit, dass Sonja (wir waren inzwischen beim „du“ angekommen) mich in die verschiedenen Aufgabenbereiche einwies, die ich als Kaibas Sekretärin zu bewältigen hatte. So schwer, hörte sich das alles gar nicht an. Irgendwann fiel Sonjas Blick auf die Uhr über der Tür gegenüber vom Schreibtisch und sie erstarrte. „Oh mein Gott, ich hab total die Zeit vergessen! Mary wird sich fragen, wo ich abgeblieben bin. Und Mr. Kaiba kommt ja auch gleich.“ Ein wenig gehetzt sah sie mich an. „Meinst du, du kommst jetzt alleine zurecht?“ Ich versicherte ihr, dass dem so wäre, und erleichtert wuselte sie hinaus. Als sie weg war, sah ich mich ein wenig ratlos in meinem neuen Büro um und wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Aus reiner Neugier rief ich mir den Kalender auf den Desktop und fand heraus, dass für Morgen ein wichtiges Meeting angesetzt war. Wichtig deshalb, weil es dahinter stand. Erleichtert stellte ich fest, dass, laut einer nebenstehenden Notiz, die benötigten Materialien bereits organisiert worden waren – wahrscheinlich von meiner Vorgängerin – und dass ich deshalb noch etwas Zeit hatte, herauszufinden, von wo ich diese Materialien organisierte, wenn das nächste Meeting anfiel. Als nächstes klickte ich mich durch verschiedene Programme und Listen auf dem Computer und fand eine Tabelle, in der alle Verträge aufgelistet und mit einem Standort versehen waren. Als ich jedoch probeweise versuchte einen davon in dem Regal neben mir zu finden, scheiterte ich kläglich. Keine der Angaben im Rechner stimmte mit der Wirklichkeit überein. In Wahrheit war das Regal ein einziges Durcheinander von wahllos über- und nebeneinander gestapelten Ordnern und losen Zetteln, das mich dann doch ein wenig in Panik versetzte. Wie sollte ich in dem Chaos jemals etwas finden? Wie hatte meine Vorgängerin darin etwas gefunden? Und warum zum Teufel, gab es ein Ordnungssystem, wenn sich keiner daran hielt? Unschlüssig blickte ich zwischen dem Regal und der Tabelle auf meinem Bildschirm hin und her, dann gab ich mir einen Ruck und zog wahllos einen der Ordner aus dem Regal. Darin abgeheftet waren irgendwelche Verträge, nach Datum sortiert. Ich überprüfte die Daten im Computer und fand heraus, dass sie zwar im richtigen Ordern abgeheftet waren, der Ordner aber nicht da hingehörte, wo ich ihn weggenommen hatte. Ich behob diesen Fehler und musste im Gegenzug einen ganzen Stapel loser Zettel aus dem Regal ziehen, die alle ein neueres Datum trugen. Offenbar hatte niemand es für wichtig empfunden, die neuen Dokumente abzuheften. Als Kaiba schließlich Punkt halb neun auf der Matte stand, war ich so tief in meine Arbeit versunken, dass ich ihn nicht einmal bemerkte. Inzwischen hatte ich bereits ein Regalbrett in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Blieben nur noch die anderen sechs. Ich seufzte. So hatte ich mir meinen ersten Arbeitstag nicht vorgestellt. Ein Räuspern von der Tür her ließ mich aufschrecken. Erschrocken sah ich auf und erhob mich dann hastig, als ich meinen neuen Chef erblickte. „Oh, Mr. Kaiba. Guten Morgen. Tut mir Leid, dass ich Sie nicht bemerkt habe. Ich war sehr beschäftigt.“ „Ist mir nicht entgangen.“ Mit hochgezogener Augenbraue musterte Kaiba den Ordnerstapel auf meinem Tisch. Ich folgte seinem Blick und konnte mir einen Kommentar nicht verkneifen. „Ich glaube, ich weiß jetzt, warum Sie meine Vorgängerin rausgeschmissen haben. Die hatte ja überhaupt keinen Sinn für Ordnung“, grummelte ich. „Ich habe Mrs. Johnson nicht gefeuert. Sie hat gekündigt“, stellte Kaiba klar, seine Stimme klang genauso kalt wie beim Vorstellungsgespräch. Zeigte der Kerl eigentlich nie Gefühle? „Oh“, ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. „Na dann.“ Kaiba wandte sich ab und ging hinüber zu seiner Bürotür. Die Klinke schon in der Hand, hielt er inne und kam noch einmal zurück. Aus seiner Manteltasche holte er einen kleinen annähernd viereckigen Gegenstand und ließ ihn vor mich auf die Tischplatte fallen. Ich starrte das Ding an als wäre es eine Giftschlange. „Was ist das?“ „Ich weiß nicht“, gab Kaiba mit gleichgültiger Miene zur Antwort. „Sieht aus wie ein Handy.“ Meine Wangen färbten sich rosa und gekränkt funkelte ich ihn an. „Ich weiß, dass das ein Handy ist. Aber was soll ich damit?“ „Telefonieren, vielleicht?“ In Kaibas Augen glitzerte es spöttisch. Irgendwie schaffte er es dabei trotzdem, die Kälte in seinem Blick beizubehalten. Langsam kam ich mir etwas verarscht vor und spürte, wie Wut in mir aufstieg. Ich hatte ja gewusst, dass es nicht leicht werden würde mit so einem Chef. Mühsam versuchte ich den Ärger aus meiner Stimme zu verbannen und erwiderte betont ruhig: „Ich weiß, dass man mit einem Handy telefonieren kann. Was ich meinte war, warum geben Sie mir eins? Ich brauche es nicht.“ „Irgendwie muss ich Sie ja erreichen können“, erklärte Kaiba, ungerührt von meinem entsetzten Gesichtsausdruck. Als mir klar wurde, was er damit sagen wollte, setzte ich einen verschlossenen Gesichtsausdruck auf. „Ich will es nicht. Danke.“ Ich schob das Handy zu ihm hinüber, doch er machte keine Anstalten, es wieder an sich zu nehmen. Stattdessen verengte nun auch er verärgert die Augen. „Es spielt keine Rolle, ob Sie es wollen oder nicht. Sie brauchen es, um diesen Job vernünftig machen zu können und da Sie kein eigenes Telefon haben, werden Sie wohl mit diesem hier vorlieb nehmen müssen.“ „Es geht nicht darum, ob ich es mag oder nicht“, erklärte ich störrisch, während ganz hinten in meinem Kopf die Alarmglocken anfingen zu schrillen. „Ich lasse mir nichts aufdrängen.“ Mein Frühwarnsystem reagierte genauso schnell wie früher, was dazu führte, dass ich mich bereits weit in meinem Stuhl zurückgelehnt hatte, bevor Kaiba, jetzt wirklich verärgert, die Hände auf die Tischplatte stützte und mich wütend anfunkelte. Seine Stimme klang gefährlich ruhig und jagte mir eine eisige Gänsehaut über den Rücken. „Sie werden jetzt dieses Handy nehmen oder aber Sie können gleich wieder nach Hause gehen und sich einen neuen Job suchen.“ Eine Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, konnte ich nichts weiter tun, als ihn anzustarren, doch dann schaffte ich es meine erstarrten Muskeln wieder unter meine Kontrolle zu bringen und griff wie hypnotisiert nach dem Handy. Himmel, hatte der einen eisigen Blick drauf. Scheinbar zufrieden mit seiner Wirkung auf mich richtete sich Kaiba wieder auf. „Bis zum Mittag will ich nicht gestört werden. Von zwölf bis eins haben Sie Pause.“ Mit diesen Worten verschwand er in seinem Büro. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. ‚Warum tue ich mir das hier eigentlich an?‘, fragte ich mich immer noch etwas angesäuert, aber auch ein bisschen erschrocken über Kaibas Reaktion, als ich meine Sortierarbeit wieder aufnahm und beantwortete meine Frage gleich selbst: Weil ich ohne Geld meine Miete für diesen Monat nicht bezahlen konnte und mein Vermieter nicht zögern würde, mich auf die Straße zu setzen. Mit einem tiefen Seufzer wandte ich mich dem nächsten Ordner zu. Immerhin besaß ich jetzt ein Handy, das ich nicht haben wollte. Das war doch auch was. Eigentlich wurde der Tag dann doch noch richtig gut – für einen ersten Arbeitstag –, wenn man einmal davon absah, dass Kaiba kurz nach halb elf einen Kaffee, schwarz, über die Gegensprechanlage des Telefons orderte und mir damit beinahe einen Herzinfarkt bescherte. Das Mittagessen verbrachte ich zusammen mit Sonja in der Kantine gegenüber dem Firmengebäude. Unser Hauptgesprächsthema war – zu meinem Leidwesen – ich. Sonja wollte alles über meinen ersten Tag wissen, was Kaiba getan und zu mir gesagt hatte. Offenbar war ich auf noch einen Kaiba-Fan gestoßen. Ich beschloss, sie bei Gelegenheit Eva vorzustellen. Nach dem Essen kehrte ich an meinen Arbeitsplatz zurück und nahm meine Ordnungsarbeit wieder auf. Ich hatte es jetzt fast geschafft und hoffte, morgen mit der wirklichen Arbeit anzufangen, also solcher, die auch in der Jobbeschreibung vermerkt war. Von Kaiba sah und hörte ich kaum mehr etwas, wofür ich äußerst dankbar war. Auf sein gefriertruenhaftes Lächeln konnte ich getrost verzichten. Als sich der Zeiger der Uhr allmählich der Sechs näherte und mein Chef immer noch nichts von sich blicken ließ, wurde ich langsam ein wenig nervös. Meine Schicht endete um sechs und ich wusste nicht, ob ich dann einfach gehen sollte. Wann machte Kaiba eigentlich Feierabend? Zehn nach sechs beschloss ich, es einfach zu riskieren, stellte den letzten Ordner an seinen vorgesehenen Platz und fuhr den Computer herunter. Vorsichtig klopfte ich an Kaibas Tür. Als keine Antwort ertönte, öffnete ich sie einen Spalt breit und steckte den Kopf durch den Spalt. Kaiba saß an seinem Schreibtisch und gab irgendetwas in den Computer ein. Er sah nicht einmal auf. „Ähm… Mr. Kaiba?“ Keine Reaktion. „Ähm…also…wenn Sie keine weitere Arbeit für mich haben, würde ich jetzt gehen.“ Sein Blick löste sich kurz von seinem Monitor und huschte zu seiner Armbanduhr, dann endlich sah er auf und durchbohrte mich mit seinem eisigen Blick. „Ist für das Meeting morgen alles vorbereitet?“ „Ähm…ich denke schon“, wagte ich zu antworten und hoffte inständig, dass meine Vorgängerin nicht irgendetwas vergessen hatte. „Gut. Dann können Sie gehen.“ Er wandte sich wieder seinem Computer zu. Ich war entlassen. Irgendwie hatte sein letzter Satz vom Tonfall her mehr nach „Dann dürfen Sie gehen“ als nach „Dann können Sie gehen“ geklungen, doch ich verkniff mir jeden Kommentar. Leise grummelnd zog ich die Tür wieder zu und verließ das Büro. Unten im Foyer traf ich auf Sonja, die scheinbar auch gerade Schluss machte. „Hi, ähm…ich wollte noch mit ein paar Freunden, was trinken gehen. Willst du mitkommen?“, fragte sie mich und sah dabei ziemlich hoffnungsvoll aus. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Tut mir Leid, aber ich bin ziemlich geplättet. War ein langer Tag heute. Das bin ich gar nicht mehr gewöhnt.“ Ich lächelte entschuldigend. „Vielleicht ein anders Mal?“ „Klar. Kein Problem.“ Sie sah ein wenig enttäuscht aus, erholte sich jedoch rasch wieder. „Also dann, bis morgen.“ Sie winkte mir zum Abschied und schritt auf die Tür zu. „Ja. Bis morgen“, rief ich ihr noch nach, bevor sie durch die Drehtür verschwunden war. Ich folgte ihr etwas langsamer und ließ in Gedanken den verstrichen Tag Revue passieren. Eigentlich war es doch gar nicht so schlecht gelaufen. Okay, ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit meinem Chef wegen eines dämlichen Handys, aber sonst? Ich hatte nichts falsch gemacht und jetzt sogar ein vollständig aufgeräumtes Regal. Kaiba hatte nicht genervt und zumindest eine Mitarbeiterin schien sehr nett zu sein. Blieb nur abzuwarten, ob der positive Eindruck auch die nächsten Tage über anhalten würde. In meiner Wohnung angekommen merkte ich, dass ich doch ziemlich erschöpft war. Ich hatte schon lange nicht mehr so lange am Stück gearbeitet. Müde legte ich den Hausschlüssel und meine Tasche auf die kleine Kommode neben der Tür und zog meinen Mantel aus. Ich hatte mich gerade gemütlich auf mein Sofa fallen lassen, die Hand schon nach der Fernbedienung des Fernsehers ausgestreckt, als es an der Tür klingelte. Viel hätte nicht mehr gefehlt und ich hätte frustriert laut aufgestöhnt. Ich ahnte, wer da vor der Tür stand und ein Blick durch den Spion bestätigte meine Vermutung: Eva Costello. Wer sonst? Missmutig ließ ich sie herein. „Hi. Ähm…würde es dir etwas ausmachen, nicht zu lange zu bleiben? Ich bin fix und fertig.“ „Klar, kein Problem. Kann ich verstehen.“ Eva schien bester Laune und war nicht einmal beleidigt, dass ich sie so schnell wieder loswerden wollte. „Ich wollte nur kurz fragen, wie der Tag gelaufen ist.“ Ich zuckte die Schultern und kehrte zum Sofa zurück. „Ganz gut, denke ich.“ „Und Kaiba?“ „Was soll mit ihm sein?“ „Na, wie war er? Was hat er gesagt?“ Ich stöhnte. „Was findest du bloß an dem? Der ist der reinste Kühlschrank.“ Eva sah mich verständnislos an. „Kühlschrank?“ „Ja. Du musst nur mal seinen Blick sehen, total unterkühlt und abweisend.“ „Echt so schlimm?“ „Ich bekomme schon eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.“ Eva überlegte. „Vielleicht lässt er jetzt nur den Oberboss raushängen, weil du neu bist?“ „Kann ich mir nicht vorstellen“, ich schüttelte energisch den Kopf. „Auf mich hat er eher den Eindruck gemacht, als wäre er immer so.“ Ich hielt kurz inne. „Na ja, immerhin hab ich ihn kaum gesehen.“ „Nicht?“ Evas Stimme klang enttäuscht. „Nö, er hat den ganzen Tag in seinem Büro gehockt. Keine Ahnung, ob er überhaupt was gegessen hat. Als ich zum Mittagessen gegangen bin, saß er noch in seinem Zimmer und als ich wieder kam auch, also…“ Ich zuckte erneut mit den Achseln. Die nächsten Minuten verbrachten wir damit, dass Eva detaillierte Fragen zu Kaibas Auftreten und dem, was wir geredet hatten, stellte und ich ihr eine gekürzte und beschönigte Version erzählte, die die Handy-Auseinandersetzung gekonnt beiseite ließ. Als Eva sich dann kurz nach neun – es war natürlich nicht bei „Ich schaue nur mal kurz vorbei“ geblieben – wieder auf den Heimweg machte, fühlte ich mich noch ausgelaugter als zuvor und wollte nur noch eins: schlafen! Erst als ich schon im Bett lag und an die getäfelte Decke hinauf starrte, fiel mir ein, dass das Handy immer noch auf meinem Schreibtisch in der Kaiba Corporation lag. Das würde Ärger geben. __________ Fortsetzung folgt... Ein kleiner Hinweis noch zum Schluss: Sollte euch in einem der Kapitel auffallen, dass irgendjemand unlogisch handelt oder ich einen Bruch in der Handlung habe, der durch nichts gerechtfertigt wird, zögert bitte nicht, mir das in einem Kommentar zu schreiben, damit ich es verbessern kann. Ich gebe mir zwar große Mühe, alles fehlerfrei und von der Handlung her flüssig aufzuschreiben aber nobody is perfect. ;) Danke schon einmal im Voraus! Kapitel 4: Das Handy -------------------- Hier also das vierte Kapitel. Hat doch etwas länger gedauert, als ich gedacht hatte^^. __________ 4. KAPITEL: DAS HANDY Der nächste Tag begann, wie befürchtet, mit einem Donnerwetter. Als ich am Morgen ins Büro kam und den Schreibtisch hastig mit den Augen absuchte, war das Handy verschwunden, was mich nichts Gutes ahnen ließ. Bis zu diesem Moment hatte ich noch gehofft, Kaiba hätte es vielleicht nicht bemerkt. Um halb neun stand er dann plötzlich vor meinem Schreibtisch. Seine Augen blitzten verärgert, als er das Handy aus seiner Tasche zog und mir vor die Nase hielt. Sein Blick war noch kälter als sonst. Mit extrem ruhiger Stimme sagte er: „Sie haben gestern etwas vergessen.“ Ich nahm ihm das Handy ab und schaffte es immerhin, dass meine Hand nicht zitterte. „Hab ich bemerkt“, erwiderte ich und hasste mich selbst dafür, wie kleinlaut meine Stimme klang. Wie benahm ich mich denn hier? Es gab überhaupt keinen Grund eingeschüchtert zu sein, aber Kaiba machte irgendwie den Eindruck, er würde jeden Moment in die Luft gehen und anfangen rumzubrüllen. Stattdessen fuhr er mit unverändert ruhiger Stimme, in der jedoch jetzt eine gewisse Schärfe mitklang, fort: „Passen Sie auf, dass das nicht noch einmal passiert. Ich habe Ihnen dieses Handy besorgt, damit ich Sie erreichen kann, wenn ich Sie brauche und nicht damit Sie es irgendwo rumliegen lassen. War das deutlich?“ Eigentlich schon. Und eigentlich hatte ich auch vor, brav zu nicken, um ihn nicht noch weiter zu reizen, aber jetzt hatte er bei mir einen wunden Punkt berührt und ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, spürte ich, wie Zorn in mir Aufstieg. Mein Blick, eben noch zerknirscht reumütig, nahm einen ärgerlichen Zug an. „Sie wollen mich erreichen können, wenn Sie mich brauchen? Dann beschränken sie die Zeit, in der Sie etwas von mir wollen auf die Stunden, in denen ich hier bin. Ich bin ihre Sekretärin und nicht ihre Sklavin und obwohl beide Wörter mit einem „S“ anfangen, gibt es zwischen ihnen doch einen himmelweiten Unterschied. Glauben Sie nicht, dass ich jedes Mal springe, wenn Sie sagen spring“, fauchte ich ihn an. Ich war nicht aus meinem alten Leben geflohen, um mich jetzt von dem nächsten dahergelaufen Typen ausnutzen und herumkommandieren zu lassen. Oh nein! Das hatte ich endgültig hinter mir. Mein ganzes Leben hatte ich damit verbracht, auf Abruf bereitzustehen und alles stehen und liegen zu lassen, sobald mein Handy anfing zu klingeln. Ich war nicht gewillt, das zu wiederholen, denn es war nicht nur anstrengend sondern auch äußerst demütigend gewesen. Ich würde nie wieder die Sklavin für einen anderen sein. Kaiba hatte sich während meines Zornausbruches gerade aufgerichtet und sein Blick hätte die Sonne gefrieren lassen. Mein gerade neu erlangtes Selbstbewusstsein geriet ein wenig ins Wackeln, doch ich hielt meine Augen entschlossen auf sein Gesicht gerichtet. Ich würde nicht diejenige sein, die als erstes wegsah. „Es ist Ihre Pflicht, erreichbar zu sein, auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit“, erklärte mir Kaiba mit eiskalter Stimme. „Das steht übrigens auch in ihrem Arbeitsvertrag.“ Okay, jetzt hatte er mich. Meine Augen weiteten sich überrascht. „Echt?“, platzte es aus mir heraus. „Vielleicht sollten Sie sich den Vertrag noch einmal genauer durchlesen.“ Mit diesen Worten und einem letzten kalten Blick drehte er sich um und verschwand in seinem Büro. Brodelnd vor Zorn starrte ich ihm hinterher. Was erlaubte der sich eigentlich? Ich hatte den Vertrag gelesen, aber ich war mir sicher, dass nichts dergleichen darin stand. Das Meeting, das für den heutigen Tag angesetzt war, lief trotz des misslungenen Morgens besser als gedacht. Ich schaffte es, das ganze ohne einen Patzer zu überstehen, was vielleicht auch daran lag, dass ich nicht viel mehr zu tun hatte, als Kaffe und Tee nachzuschenken. Allerdings war ich auch ganz froh darüber, dass von mir nicht erwartet wurde, dass ich mich an irgendeiner Diskussion beteiligte, da ich kaum die Hälfte von dem verstand, was die fünf Männer, die sich um den runden Tisch im Konferenzraum versammelt hatte, von sich gaben. Am Ende glaubte ich jedoch genug mitgekriegt zu haben, um sagen zu können, dass Kaiba seinen Standpunkt durchgesetzt hatte und die anderen vier Diskussionsteilnehmer das Nachsehen hatten. Ehrlich gesagt, wunderte mich das überhaupt nicht. Nach dem Meeting verschwand Kaiba sofort wieder in seinem Büro, mit dem Hinweis, dass er nicht gestört werden wolle, und ich ging hinunter ins Foyer, wo Sonja bereits auf mich wartete. Gemeinsam gingen wir hinüber in die Kantine. „Sag mal“, fragte ich Sonja, als wir uns mit unseren Tabletts an einen der hinteren Tische setzten. „Hat meine Vorgängerin mal erwähnt, wie oft Kaiba während ihrer Arbeitszeit das Büro verlassen hat?“ „Ich glaube nicht. Wieso?“ „Weil er sich geradezu darin verschanzt. Ich sehe ihn nur außerhalb dieses Zimmers, wenn er kommt oder bei einem Meeting.“ Sonja sah mich ein wenig komisch an. „Du bist erst zwei Tage dabei. Meinst du wirklich, dass du das jetzt schon so verallgemeinern kannst?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich nicht.“ Eine Weile schwiegen wir uns an, dann fragte Sonja: „Wie läuft es denn so?“ Ich verdrehte die Augen. „Du meinst abgesehen davon, dass ich schon wieder eine Auseinandersetzung mit meinem Chef hatte?“ „Schon wieder?“ Sonja starrte mich ungläubig an. Ich hatte ihr gestern von unserem kleinen Streit wegen des Handys erzählt. „Wie machst du das bloß? Du scheinst da ja ein besonderes Talent zu haben.“ Sie kicherte. „Worum ging es denn heute?“ „Ich habe das Handy gestern im Büro liegen lassen.“ Sonja schüttelte den Kopf. „Was hast du bloß mit diesem Handy? Ich meine, es ist doch total nett von Kaiba, dass er dir eins besorgt hat, wo du doch kein eigenes hast. Apropos, krieg ich deine Nummer?“ Ich seufzte und kramte das Objekt unserer Unterhaltung aus meiner Tasche hervor. „Es geht nicht darum, wie nett das vielleicht von ihm ist, sondern darum, dass ich überhaupt kein Handy haben wollte“, erklärte ich, während ich im Menü der Telefonliste nach meiner eigenen Nummer suchte. Als ich sie gefunden hatte, reichte ich das Handy an Sonja weiter, die die Nummer eifrig abtippte. „Warum willst du kein Handy? Sind doch voll nützlich die Dinger“, wollte sie wissen, wobei sie immer noch konzentriert auf unsere Telefone starrte. Ich seufzte erneut und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. „Ist eine lange Geschichte, die ich nicht gerne erzähle.“ Meine Arbeitskollegin hob fragend den Blick, sagte jedoch nichts. Mit einem Lächeln gab sie mir das Handy zurück. „Hier bitte. Ich hab meine Nummer gleich eingespeichert.“ Mit einem Nicken ließ ich das Ding wieder in meiner Tasche verschwinden. „Und sonst?“, wollte Sonja nach einer kurzen Pause wissen. „Was sonst?“ „Na, dein Job. Wie ist der so? Außer, dass du dich mit unserem Chef zankst. Was ist das für ein Gefühl, zu wissen, dass Seto Kaiba nur ein Büro weiter sitzt? Ich zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Ich merke ja kaum das er da ist, so wenig wie er sich blicken lässt.“ „Enttäuscht?“ Sonjas Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an. Ich sah sie ehrlich erstaunt an. „Weswegen?“ „Das du Kaiba so wenig siehst natürlich“, präzisierte Sonja ungeduldig. „Wieso sollte ich?“ Ich fragte mich, worauf sie hinauswollte. „Vielleicht weil er einfach hinreißend aussieht? Oder weil er der coolste Mann auf der Welt ist? Du weißt ja gar nicht, was für ein Glück du hast.“ „Cool? Ja, das trifft es ziemlich genau. Außerdem, was soll das heißen, dass ich Glück habe. Du arbeitest doch auch in der Kaiba Corp.“ „Ja, schon“, gab Sonja gedehnt zu. „Aber am Empfang in der untersten Etage. Das ist was ganz anderes.“ Ich hob die Augenbrauen und nippte an meiner Cola. „Na, wenn du meinst.“ Die restliche Pause verbrachten wir damit, über die Vor- und Nachteile zu diskutieren, die es mit sich brachte, wenn man einen Seto Kaiba als Chef hatte, wobei ich deutlich mehr Nachteile fand als Sonja Vorteile. Auch wenn ich mir bei der ganzen Sache etwas albern vorkam, konnte ich nicht leugnen, dass ich Gefallen daran fand. Vielleicht war ich ja gerade dabei, noch eine Freundin zu finden. Bevor ich diesen Gedanken jedoch weiter verfolgen konnte, fiel mein Blick eher zufällig auf meine Armbanduhr und ich verschluckte mich fast an meiner Cola. Hustend versuchte ich wieder Luft zu bekommen und als ich genug Sauerstoff in meine Lungen gesogen hatte, um sprechen zu können, stieß ich krächzend hervor: „Ich komme zu spät.“ Sonja, die zuerst nicht ganz zu verstehen schien, was ich ihr mitteilen wollte, warf nun ihrerseits einen Blick auf die Uhr und ihre Augen weiteten sich: „Mist. Ich habe überhaupt nicht auf die Zeit geachtet. Jetzt aber schnell.“ Hastig gaben wir unsere Tabletts ab und hechten aus der Kantine und über die Straße. „Weißt du schon, was du am Wochenende machst?“, fragte mich Sonja, als wir durch die Drehtür der KC traten. Ich eilte schon weiter Richtung Fahrstuhl und drehte mich rückwärtsgehend noch einmal zu ihr um. „Keine Ahnung“, und einer spontanen Eingebung folgend, fügte ich noch hinzu: „Ruf mich nachher an. Vielleicht können wir ja was gemeinsam machen?“ Sonja hob den Daumen zum Zeichen das sie verstanden hatte und ich verschwand im Fahrstuhl, wo ich mit mehr Wucht als nötig auf den Knopf für die 22. Etage drückte. Oben angekommen sprintete ich den Flur entlang, darauf hoffend, dass Kaiba meine Abwesenheit noch nicht bemerkt hatte, und stürzte in mein Büro, wo ich mit zwei großen Sätzen beim Schreibtisch war und den Hörer des ungeduldig klingelnden Telefons an mich riss. „Kaiba Corporation, Mia Terrell am Apparat. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, japste ich in den Hörer und sank erschöpft auf meinen Schreibtischstuhl. „Guten Tag. Hier ist das Sekretariat der Domino High School. Könnte ich bitte mit Seto Kaiba sprechen?“ „Ähm…“, ich zögerte. Vorm Mittagessen hatte Kaiba mir gesagt, er wolle nicht gestört werden und bis jetzt hatte ich noch nichts Gegenteiliges wieder von ihm gehört. „Es tut mir Leid, aber Mr. Kaiba befindet sich momentan in einer wichtigen Besprechung“, behauptete ich also. „Soll ich ihm etwas ausrichten.“ „Es geht um seinen Bruder, Mokuba Kaiba“, erklärte mir die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ihm geht es nicht so gut und es wäre gut, wenn ihn jemand abholen könnte.“ „Äh…ja klar. Kein Problem. Richte ich ihm aus. Es wird auf jeden Fall jemand vorbeikommen“, erwiderte ich, nach dem ich meine Überraschung überwunden hatte. Kaiba hatte einen Bruder? Warum sagte mir das keiner? „Vielen Dank. Auf Widerhören“, verabschiedete sich meine Gesprächspartnerin. „Auf Widerhören.“ Ich legte auf. Eine Weile saß ich einfach da, den Hörer in der Hand, dann raffte ich mich auf, und ging hinüber zu Kaibas Bürotür. Fast zaghaft klopfte ich an und trat dann ohne eine Antwort abzuwarten ein. Mein Chef saß vor seinem Computer – wo auch sonst? – und sah ungehalten auf, als ich hereinkam. „Hatte ich nicht gesagt, ich wolle nicht gestört werden?“, blaffte er mich unfreundlich an und versprühte Eiszapfen aus seinen Augen. „Ähm…schon“, gab ich zu, „aber das Sekretariat der Schule ihres Bruders hat angerufen. Ihr Bruder ist krank und Sie werden gebeten ihn abzuholen.“ Kaibas Gesicht veränderte sich schlagartig. Statt kalt und gefühllos zu wirken, blitzte nun Sorge in seinem Blick auf. Hastig drückte er ein paar Tasten auf seiner Tastatur und sprang dann auf. „Haben die aus dem Sekretariat gesagt, wie schlimm es ist?“, wollte er wissen, rauschte an mir vorbei aus dem Zimmer und griff im Vorbeigehen nach seinem weißen Mantel, der an dem Garderobenständer neben der Tür stand. Ich eilte ihm nach. „Nein, nur das es ihm nicht gut geht.“ „Gut“, Kaiba war bereits an der Tür angekommen, die auf den Flur hinausführte. Die Klinke schon in der Hand drehte er sich noch einmal zu mir um. „Ich fahre ihn abholen. Wenn ich noch nicht zurück bin, wenn Sie Schluss haben, schließen Sie einfach alles ab hier oben: mein Büro und ihres auch.“ Mit diesen Worten warf er mir einen Schlüsselbund zu, an dem zwei Schlüssel hingen. Reflexartig fing ich ihn auf. „Äh…“, begann ich, ohne genau zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte, doch Kaiba war bereits verschwunden. Ich stand einfach da wie bestellt und nicht abgeholt, den Schlüsselbund in der Hand, immer noch ein wenig überrumpelt von Kaibas plötzlichem Stimmungsumschwung. Offenbar kannte er doch noch mehr Stimmungsmodi als den Ich-bin-eine-Eistruhe-Modus. Immerhin schien er ehrlich besorgt um seinen Bruder zu sein. Vielleicht war er ja doch kein so hoffnungsloser Fall, wie ich gedacht hatte. Vielleicht gab es ja doch einen Grund, warum so viele junge Frauen hinter ihm her waren… Nein, ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Es war doch recht unwahrscheinlich, dass Kaiba in Gegenwart einer ihm fremden Person auftaute, was hieß, dass ihn wahrscheinlich noch niemand ohne seinen Eisblick gesehen hatte. Abgesehen von seinem Bruder und anderen Verwandten vielleicht, ich wusste ja nicht, was er sonst noch an Familie hatte und ehrlich gesagt, war mir das auch ziemlich egal. Seufzend setzte ich mich wieder hinter den Schreibtisch und stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte auf. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt machen sollte und da mein Chef nicht mehr im Gebäude weilte, musste ich auch nicht so tun, als wäre ich beschäftigt. Etwas planlos ging ich noch einmal Kaibas Terminkalender durch, doch da gab es nichts, was noch organisiert werden musste. Als nächstes klickte ich mich durch die Startleiste des Computers und stieß auf einen Button mit der Aufschrift „Spiele“. Ein Klick offenbarte eine Liste der Standartspiele und eine Weile vertrieb ich mir die Zeit mit Minesweeper und Solitär. Gelangweilt hörte ich jedoch schon nach kurzer Zeit wieder auf und sah auf die Uhr. Noch vier Stunden! Hoffentlich war der Job nicht immer so öde. Ich hatte schließlich nur ein Regal, das ich aufräumen konnte, und das hatte ich gestern schon auf Vordermann gebracht. Ich überlegte, ob ich Sonja anklingeln sollte, die Nummer hatte ich ja jetzt, entschied mich jedoch dagegen, da ich sie nicht bei ihrer Arbeit stören wollte, was immer sie da unten gerade auch anstellte. Um mich zu beschäftigen stellte ich mich an die Fensterfront und beobachtete die Autos, die weit unter mir vorbeifuhren. Mein Blick wanderte weiter über die Dächer der Stadt und richtete sich schließlich auf den Horizont. Irgendwo dort draußen war Sascha. Unerreichbar fern. Bei dem Gedanken an ihn überkam mich eine starke Sehnsucht und ich spürte wieder ein Stechen in meiner Brust. Meine Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit, in eine Zeit, als meine Welt noch in Ordnung gewesen war. Natürlich hatte es auch damals schon einige Risse und Kerben gegeben, die auf einen Bruch hingedeutet hatten und die ich geflissentlich ignoriert hatte. Ich hatte nicht sehen wollen, dass meine Welt nur noch aus Lügen und Verrat bestand. Als mein Leben dann in tausend Scherben zersplitterte, war es ein Schock gewesen. Das Schlimmste an der Sache war, dass ich auch das Leben meiner einzigen Freunde zerstört hatte. Schon oft hatte ich gedacht, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, Kerry und Sascha da mit hineinzuziehen. Vielleicht waren sie inzwischen tot, dann wäre es meine Schuld. Meine Schuld. Aber was hätte ich denn machen sollen? Ohne mich wären sie blind in den Sturm hineingelaufen, der sich über unseren Köpfen zusammengebraut hatte. Ohne mich wären sie ein Teil davon geworden, nicht wissend, welche Katastrophe sie damit hinauf beschworen. Ohne mich… hätten sie ihr Leben weiterleben können. Ohne mich wären sie jetzt vielleicht in Sicherheit. Ohne mich müssten sie sich nicht verstecken. Aber welchen Preis hätte ihre Sicherheit gehabt? Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, als ich herausfand, dass mein Leben eine Lüge gewesen war, als ich erkannte, welche Ziele mein Vormund, der mich nach dem Tod meiner Eltern aufzog, verfolgte, als er mich aufnahm, als mir klar wurde, dass meine Liebe zu Sascha keine Zukunft haben durfte, wenn ich ihn nicht in Gefahr bringen wollte und an die Wochen und Monate, die dieser Erkenntnis folgten bis… ja, bis ich auch das letzte Geheimnis meines Vormundes, den ich hassen lernte, lüftete. Bis zu dem Tag, an dem ich beschloss fortzulaufen, meinem Leben zu entfliehen und dabei etwas Wichtiges entwendet hatte: den Schlüssel zur Weltherrschaft! Und genau das war es, was mein neues Leben so gefährlich machte, denn sicherlich würde sich Luzifer nicht kampflos geschlagen geben. Früher oder später würde ich mich ihm noch einmal stellen müssen. Ich hoffte, dass dies eher später als früher passieren würde. Damals wusste ich noch nicht, wie nah mir meine Gegner bereits gekommen waren und welche Tragödie ihnen folgte… Gewaltsam riss ich mich aus meinen Gedanken und drehte mich genau in dem Moment wieder zu meinem Schreibtisch um, als mein Handy in der Tasche zu klingeln begann. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich eine geschlagene halbe Stunde vor dem Fenster gestanden hatte. Auf dem Display blinkte Sonjas Name, als ich das Handy aus der Tasche holte. Na ja, wen hatte ich denn erwartet? Außer ihr hatte ja niemand meine Nummer – außer Kaiba natürlich. „Hi, was gibt’s?“ Sonjas Stimme drang gedämpft aus dem Hörer. „Ich dachte nur, ich nutze die Zeit, in der unser Chef außerhalb weilt, um mir dir das Wochenende zu planen. Wo wollte der überhaupt so schnell hin?“ „Familienangelegenheiten“, murmelte ich wage, da ich mir dachte, dass es Kaiba bestimmt nicht recht wäre, wenn ich sein Privatleben offenlegen würde. Gleich darauf wunderte ich mich über meine eigene Rücksichtnahme. „Vielleicht könnten wir ins Kino gehen, oder so?“, schlug ich vor. „Und danach was essen?“ „Klingt super. Der dritte Twilight Film ist gerade angelaufen, vielleicht können wir den ja gucken?“ „Klar“, erwiderte ich munter, um nicht zugeben zu müssen, dass ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. In der letzten Zeit hatte ich mich nicht viel um andere Dinge gekümmert, die über Selbstmitleid und Paranoia hinausgingen. „Wäre es dir Recht, wenn ich meine Freundin Eva frage, ob sie mitkommen möchte?“ „Frag wen du willst, aber dann frage ich meinen Freund“, meinte Sonja. „Treffen wir uns um acht vor dem Kino?“ „Okay.“ „Super, dann bis nachher. Ich warte unten auf dich.“ „Bis dann.“ Ich drückte auf den roten Hörer und legte das Handy achtlos auf den Tisch. Gleich darauf nahm ich es wieder in die Hand, um Eva anzurufen, bis mir einfiel, dass ich ihre Nummer überhaupt nicht kannte. Mit einem Seufzer legte ich das Handy zurück. Dann würde ich eben hoffen müssen, dass sie heute Abend oder morgen bei mir vorbeischauen würde. Kaiba tauchte in den letzten Stunden bis Feierabend nicht mehr auf. Ich schloss daraus, dass sein Bruder wohl ernsthaft krank sein musste. Sicher würde er es sich nicht entgehen lassen, wieder in seinem Büro aufzutauchen, wenn Mokuba nur eine leichte Erkältung ausbrütete. Es lag also an mir hier oben abzuschließen, was ich auch sorgfältig tat, ehe ich den Flur entlang zum Fahrstuhl ging und in die Empfangshalle hinunterfuhr. Wie ich es erwartet hatte, wartete Sonja bereits auf mich. Gemeinsam traten wir durch die Drehtür ins Freie. Sonja hob ihren Autoschlüssel. „Soll ich dich nach Hause fahren?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nicht nötig, danke. Ich hab’s nicht weit.“ Sonja zuckte mit den Schultern. „Dann bis morgen Abend.“ „Ja, bis morgen.“ Ich sah ihr nach, als sie in Richtung Parkplatz verschwand und machte mich dann selbst auf den Weg nach Hause. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, klingelte es an meiner Wohnungstür, kaum dass ich zehn Minuten zu Hause war. Eva war ganz begeistert von der Idee ins Kino zugehen, nachdem ich ihr davon erzählt hatte und sie hatte auch nichts dagegen, meine neue Freundin kennen zu lernen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag und nachdem das alles geklärt war, schmiss ich sie regelrecht aus meiner Wohnung, indem ich meinen anstrengenden Tag als Begründung anführte. Da ich tatsächlich ziemlich müde war, ging ich danach auch sehr bald ins Bett. Wahrscheinlich war ich das lange Arbeiten nicht mehr gewöhnt. In der Nacht hatte ich einen Albtraum. Dunkelheit umgab mich, Kälte durchströmte meinen Körper. Ich versuchte, mich zu bewegen, doch irgendetwas lähmte mich. Hilflos trieb ich in der Finsternis, während die Schatten um mich herum immer näher rückten, mich einkreisten und mir die Luft zum Atmen nahmen. Gesichter schälten sich aus der Dunkelheit. Gesichter, die mir nur allzu vertraut waren. Sascha erschien, das schmale Gesicht von Nebel um wabert. „Warum hast du uns verraten? Was hast du dir dabei gedacht? Wir sind verloren.“ „Nein, Sascha, ich wollte nicht… Es tut mir Leid“, stammelte ich, doch er schien mich überhaupt nicht zu hören. Stattdessen verschwammen seine Züge und fügten sich kurz darauf neu zusammen. Kerrys roter Haarschopf erschien. „Hilf mir… Bitte hilf mir. Sie kommen mich holen. Lass mich nicht sterben.“ „Kerry!“ Ich wollte die Hand nach ihr ausstrecken, doch mein Arm gehorchte mir nicht. Dann verschwand auch meine alte Freundin und ein neues Gesicht erschien. Violette Augen funkelten mich böse an. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Seine Stimme klirrte vor Kälte: „Du wirst deinen Verrat noch bitter bereuen. Ich werde dich angemessen bestrafen.“ Das Gesicht kam immer näher. Der Drang zurückzuweichen stieg in mir auf, doch ich war immer noch bewegungsunfähig. Bevor er mich jedoch erreicht hatte, veränderte sich das Gesicht erneut. Diesmal erschien Kaiba. Seine eisblauen Augen funkelten verärgert. „Wachen Sie sofort auf“, blaffte er mich an. „Sie kommen zu spät zur Arbeit. Wenn Sie auch nur eine Minute zu spät sind, werde ich sie feuern!“ Dann verschwand er auch schon wieder im Nebel und plötzlich fiel ich, stürzte in einen bodenlosen Abgrund. Mein gellender Schrei hallte von irgendwo aus der Dunkelheit wieder, während ich fiel, immer weiter und weiter, hinab. Die Gesichter verfolgten mich in die Tiefe, redeten wild durcheinander. Auch Kaiba erschien wieder, deutlicher als die anderen. Das durchdringende Klingeln und Piepen, das aus seinem Mund kam, übertönte sogar mein Schreien. Das Klingeln wurde lauter, deutlicher und nach und nach verblassten die Bilder aus meinem Traum und ich fand in die Wirklichkeit zurück. Mein Wecker auf dem Nachtisch klingelte immer noch ohne Unterlass, doch anstatt mich zu verfluchen, weil ich vergessen hatte das blöde Ding auszuschalten, war ich vielmehr erleichtert, dass es meine schrecklichen Traumbilder vertrieben hatte. Stöhnend setzte ich mich auf und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Mein Schlafanzug und meine Haare waren schweißnass und klebten an meiner Haut. Eigentlich war es für einen Samstag noch viel zu früh um aufzustehen, aber ich verspürte absolut keine Lust mich noch einmal in einem Albtraum wiederzufinden, wenn ich erst wieder eingeschlafen war, also schlurfte ich müde ins Bad. Nach einer ausgiebigen Dusche fühlte ich mich schon wesentlich wacher. Ich nutze den Vormittag um einzukaufen und die liegen gebliebene Wäsche zu waschen. Man kam doch zu weniger im Haushalt, wenn man arbeitete. Nach dem Mittagessen fing ich mehr aus Langeweile an, die Wohnung zu putzen und dann wartete ich darauf, dass es Zeit wurde zum Kino aufzubrechen. Verwundert stellte ich fest, dass ich mich richtig darauf freute. Es war lange her seit ich das letzte Mal etwas mit Freunden unternommen hatte. Eigentlich war es lange her, dass ich überhaupt Freunde gehabt hatte und erst jetzt fiel mir auf, dass mir die vertraulichen Gespräche, die ich mit Sascha und Kerry geführt hatte, fehlten. Das Schlimme daran war, dass ich zu meinen neuen Freunden nicht mehr ganz so offen sein konnte, wie bei den beiden. Eva und Sonja ahnten nichts von meiner Vergangenheit und ich würde alles dafür tun, dass das so blieb. Gegen sieben verließ ich das Haus und fuhr mit dem Bus in die Innenstadt. Eva wartete bereits vor dem Kino und Sonja traf fast im selben Augenblick wie ich ein. Ich umarmte beide zur Begrüßung und stellte die beiden einander vor. Oder anders gesagt, wurde ich stürmisch von Sonja umarmt und da ich nicht wollte, dass Eva zurückstand, drückte ich sie auch einmal kurz. „Wolltest du nicht deinen Freund mitbringen?“, fragte ich Sonja, als wir uns an der Kasse anstellten. Sie zuckte mit den Schultern. „Seine Schwester hat heute Geburtstag, da wollte er lieber bei ihr bleiben.“ „Verständlich. Dann lerne ich ihn eben ein anderes Mal kennen.“ Im Verlauf des Abends stellte sich heraus, dass sich Sonja und Eva bestens verstanden, was mich ein wenig erleichterte. Nichts ist schlimmer als mit zwei Frauen befreundet zu sein, die sich gegenseitig nicht ausstehen können. Der Film war gar nicht mal so schlecht, auch wenn sich mir an einigen Stellen ein paar Wissenslücken offenbarten, da ich die ersten beiden Teile nicht kannte. Ich hütete mich jedoch, nachzufragen und lauschte dem aufgeregten Getuschel von meinen Freundinnen, die den Film von der ersten Minute an kommentierten. So erfuhr ich wenigstens die Hintergrundinformationen, die mir fehlten. Nach dem Film gingen wir noch zu McDonalds, weil Eva noch nichts gegessen hatte und danach schleppten mich die beiden noch in irgendeine Bar, deren Namen ich sofort wieder vergaß, sobald ich den Blick von dem blinkenden Leuchtschild über der Tür abwandte. Drinnen war es proppenvoll. Nur mit Mühe gelang es uns einen Tisch zu ergattern. Wir bestellten jede einen Cocktail und unterhielten uns über den Film, den wir eben gesehen hatten, wobei man gerechterweise sagen muss, dass eher die anderen beiden redeten und ich größtenteils nur zu hörte. Nach einer Weile jedoch wandte sich das Gespräch Evas neuem Lieblingsthema zu: mein neuer Job als Kaibas Sekretärin. Sie wollte alles wissen, was gestern passiert war und fragte auch nach Sonjas Arbeit und wie oft sie Kaiba denn am Tag so sehe. „Ich beneide euch“, verkündete sie. „Ich würde auch gerne für so einen gut aussehenden Chef arbeiten. Na ja, wer weiß, vielleicht fang ich ja nach meinem Studium auch in der Kaiba Corp. an.“ Sie grinste und prostete uns mit ihrem Cocktail zu. „Aussehen ist nicht alles, weißt du“, versuchte ich ihre Euphorie ein wenig zu bremsen. „Es kommt auch auf den Charakter an und da verbucht Mr. Kaiba auf jeden Fall ein paar Minuspunkte.“ Eva zog in gespielter Verwunderung die Augenbrauen hoch. „Kaiba hat negative Eigenschaften?“ Sonja kicherte. „Oh ja, ich krieg jedes Mal eine Gänsehaut, wenn er morgens am Empfang vorbeikommt. Er strahlt so eine Kälte aus, die kann man glatt auf der Haut spüren.“ Ich sagte nichts, war aber erleichtert zu hören, dass es scheinbar nicht nur mir in Kaibas Gegenwart so erging. Insgesamt wurde es ein sehr lustiger Abend und meine Stimmung war so gut, wie schon lange nicht mehr. Es war bereits gegen halb eins, als ich mich von meinen Freundinnen verabschiedete und den Nachhauseweg antrat. Als ich aus der Bar heraus auf die Straße trat, stellte ich entsetzt fest, dass es angefangen hatte zu regnen und zwar nicht nur ein paar Tropfen, sondern ein richtiger Platzregen. Na super! Die nächste Bushaltestelle lag ein ganzes Stück entfernt. Bis ich in meiner Wohnung ankam würde ich nass sein bis auf die Knochen. Ich hatte weder daran gedacht einen Regenschirm mitzunehmen, noch ein Oberteil mit Kapuze anzuziehen. Schon nach wenigen Metern war ich patschnass. Und dabei hatte der Tag so gut angefangen. Ich hastete mit gesenktem Kopf die Straße entlang und schimpfte in Gedanken über das Wetter und mein Leben, das mir in diesem Moment schon wieder sehr undankbar erschien. Aus den Augenwinkeln sah ich eine schwarze Limousine, die auf der Straße an mir vorbeifuhr, der ich jedoch keine weitere Beachtung schenkte. Nur am Rande bekam ich mit, dass das edle Gefährt langsamer wurde und nach einigen Metern am Straßenrand ausrollte und zum Stehen kam. Die Fahrertür ging auf und ein Mann in einem schwarzen Anzug stieg aus. Er spannte einen Schirm auf und eilte um den Wagen herum auf mich zu. „Miss Terrell?“ Die Alarmglocken in meinem Kopf schrillten los und unwillkürlich spannten sich meine Muskeln an. Ich war bereit zur Flucht. Woher kannte der Kerl meinen Namen? „Ja?“, fragte ich misstrauisch und ließ ihn nicht aus den Augen. Er hatte mich inzwischen erreicht und hielt den Schirm nun auch über meinen Kopf. „Mr. Kaiba würde Sie gerne ein Stück mitnehmen, hier draußen werden Sie sich sonst noch erkälten.“ Es verging ein Moment bis die Worte bei mir angekommen waren und ein weiterer bis mir ihrer Bedeutung klar wurde. Ich starrte den Mann vor mir an, wandte dann den Kopf und blickte zu der Limousine hinüber, während sich mein Herzschlag allmählich wieder normalisierte. Kaiba also. Ich wusste nicht, ob ich darüber erleichtert sein sollte oder nicht und die Vorstellung mit ihm alleine in einem Auto eingepfercht zu sein behagte mir auch nicht unbedingt. Aber alles war besser, als weiter im Regen zu stehen. Der Chauffeure eilte mir voraus und öffnete galant die hintere Wagentür, damit ich einsteigen konnte. Durch die geöffnete Tür erkannte ich Kaiba, der mit ausdruckslosem Gesicht auf der Rückbank saß, einen Laptop auf dem Schoß und scheinbar ganz vertieft in seine Arbeit. Kaum zu glauben, dass er mich überhaupt beim Vorbeifahren bemerkt haben sollte. Ebenso unwahrscheinlich war, dass er sich Sorgen um meine Gesundheit machte. Aber vielleicht wollte er auch einfach nicht, dass seine neue Sekretärin gleich in der zweiten Woche wegen Krankheit fehlte. Aus einem Grund, den ich mir nicht erklären konnte, beschleunigte sich mein Herzschlag bei Kaibas Anblick wieder. „Steigen Sie jetzt ein oder gehen Sie doch lieber zu Fuß?“, fragte Kaiba plötzlich, ohne auch nur den Blick von seinem Laptop zu nehmen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit unschlüssig vor der offenen Wagentür gestanden hatte und der Chauffeur hinter mir ungeduldig auf den Fußballen wippte. Eilig kletterte ich neben meinen Chef auf die Rückbank, wobei ich mindestens drei Liter Wasser auf den Ledersitzen und dem Boden verteilte. Die Tür fiel zu und der Fahrer kehrte an seinen Platz hinter dem Steuer zurück. Als sich die Limousine wieder in Bewegung setzte, hielt Kaiba in seinem Tippen inne und holte einen kleinen viereckigen Gegenstand aus dem Aktenkoffer, der zwischen uns auf der Rückbank lag. Auffordernd hielt er ihn mir entgegen. Ich spürte, wie ich rot wurde, was ziemlich untypisch von mir war und nahm ihm das verhasste Ding aus der Hand. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich es nicht dabei hatte. „Was haben Sie bloß gegen Telefone?“, wollte Kaiba wissen und wandte sich wieder seinem Laptop zu. „Tut mir Leid“, erwiderte ich kleinlaut und wich damit seiner Frage aus. „Ich werde versuchen, es nicht noch einmal liegen zu lassen, aber ich bin es einfach nicht gewohnt, ein Handy mit mir rumzuschleppen.“ „Ist mir nicht entgangen.“ Die nächsten paar Minuten verbrachte ich damit, etwas angespannt aus dem Fenster zu schauen und dem leisen Klack-Klack von Kaibas Tastatur zu lauschen. Ich hatte keine Ahnung, was ich noch sagen sollte und mein Chef machte keinen sehr gesprächigen Eindruck. Schließlich fiel mir sein überstürztes Verschwinden von gestern Nachmittag ein. „Wie geht es ihrem Bruder?“ „Besser. Danke der Nachfrage.“ Letzteres klang nicht so, als würde er es ernst meinen, sondern eher wie eine Höflichkeitsfloskel, die man benutzte um den Gesprächspartner zufrieden zu stellen. Ich hütete mich, weiter nachzufragen und sah stattdessen wieder aus dem Fenster. Erneut herrschte Schweigen. „Sie haben meine Frage von eben noch nicht beantwortet“, stellte Kaiba nach einer Weile fest, ohne seine Arbeit – Gott wusste, was er da gerade tat – zu unterbrechen. Ich schaute ihn fragend an und versuchte mich zu erinnern, welche Frage er meinte. „Machen Sie das eigentlich häufiger so, dass Sie ihrem Gesprächspartner keine weitere Beachtung schenken?“ Ups! Der Gedanke war mir gerade durch den Kopf geschossen, allerdings hatte ich nicht vorgehabt ihn laut zu äußern. „Wieso, ich rede doch mit Ihnen.“ „Ja, aber Sie sehen mich dabei nicht an“, erklärte ich hitzig. „Ich habe irgendwie den Eindruck, dass es Sie überhaupt nicht wirklich interessiert, was ich sage.“ „Machen Sie das eigentlich häufiger so, dass Sie Fragen über sich ausweichen?“, entgegnete Kaiba ungerührt und gab eine Zahlenfolge in den Rechner ein. Ohne, dass ich es verhindern konnte, lief ich schon wieder rot an. „Ich weiche überhaupt nichts aus, es geht Sie einfach nichts an und ich rede nicht gerne mit Leuten, die mich nicht einmal angucken, wenn ich mit ihnen spreche.“ „Also gut.“ Mit einer energischen Bewegung klappte Kaiba den Laptop zu und wandte den Kopf in meine Richtung, das erste Mal, seit ich in den Wagen gestiegen war. Ein weiteres Mal schien er mich mit seinem Blick geradezu zu durchbohren. Wie konnte man nur so kalt gucken? Und wie kam man zu derart blauen Augen? „Ich sehe Sie an. Bekomme ich jetzt eine Antwort?“ Etwas überrumpelt starrte ich ihn an. Der Kerl war auch immer für eine Überraschung gut! „Da…das interessiert Sie wirklich?“, brachte ich schließlich hervor. Genervt verdrehte mein Chef die Augen. „Nein, ich frage nur, um meine Zeit zu verschwenden.“ Da seine Stimme einen deutlich schärferen Unterton bekommen hatte, versuchte ich bei meinen nächsten Worten so diplomatisch wie möglich zu bleiben: „Es tut mir Leid, aber das kann ich ihnen nicht sagen. Es geht Sie nichts an.“ Kaibas Blick verdüsterte sich und ich schrumpfte ein wenig auf meinem Sitz zusammen. Da half es auch nichts, dass ich immer noch wie ein begossener Pudel aussah. Offenbar war Kaiba einer von den Kerlen, die normalerweise immer bekamen, was sie wollten und mit Absagen nur schwer zurechtkamen. Bevor die Situation jedoch in irgendeiner Weise eskalieren konnte, hielt die Limousine glücklicherweise vor meinem Haus und der Fahrer stieg aus, um mir die Tür zu öffnen. Ich verabschiedete mich von Kaiba mit einem knappen „Tschüss, bis Montag“, ehe ich hastig vor der angespannten Atmosphäre im Auto floh und erst wieder halt machte, als ich vor meiner Wohnungstür stand. Aufatmend lehnte ich mich daneben an die Wand. Die letzten paar Minuten neben Kaiba in der Limousine hatten mich mehr erschöpft, als der gesamte restliche Tag. Was war bloß los mit mir? __________ Fortsetzung folgt... Ich hoffe es hat euch gefallen. Bis zum nächsten Kapitel ;) Kapitel 5: Panik ---------------- Vorhang auf für das fünfte Kapitel^^. Viel Spaß beim Lesen. Ich entschuldige mich schon mal im Voraus für den wirklich unkreativen Namen des Modehauses, aber ich wollte keinen Laden nehmen, den es wirklich gibt und da hatte ich echt Probleme, einen Namen zu finden^^. __________ 5. KAPITEL: PANIK Die Wochen vergingen wie im Flug und allmählich stellte sich bei mir wieder so etwas wie Normalität ein. Kaiba und ich koexistierten mehr oder weniger friedlich nebeneinander und schafften es, uns nur sehr selten in die Haare zu kriegen (nach wie vor ging mir seine kalte, arrogante Art auf die Nerven). Nach den ersten Tagen, in denen mein Handy in meiner Freizeit praktisch ohne Unterlass geklingelt hatte, weil entweder Eva oder Sonja etwas von mir wollten – Kaiba hatte bis jetzt noch nicht angerufen und dabei war er es gewesen, der auf das Handy bestanden hatte – gewöhnte ich mich langsam daran und zuckte nicht mehr jedes Mal zusammen, wenn das Ding losträllerte. Wie gesagt: Mein Leben verlief wieder mehr oder weniger normal und das seit nun mehr drei Jahren. Ich erwischte mich sogar dabei, dass ich immer weniger an meine alten Freunde zurück dachte und schämte mich dann jedes Mal deswegen. Nur weil ich jetzt wieder ein Leben hatte, konnte ich Sascha und Kerry doch nicht einfach so aus meinen Gedanken verbannen, oder? Aber im Grunde war ich viel zu glücklich, um mich deswegen wirklich zu quälen. Ich wagte sogar zu hoffen, dass jetzt alles einfacher werden würde, dass die Zeit der Angst endlich vorbei war, doch dabei vergaß ich, dass es niemals vorbei war, niemals vorbei sein konnte, auf Grund der Gegenstände, die ich auf meinem Dachboden versteckte. Nein, ich dachte nicht daran, ich war sozusagen geblendet vor Glück, mit anderen Worten ich war naiv und das nach all dem, was mir passiert war. So schrecklich naiv! Denn dann kam diese Geschäftsreise und der Ball und das war der Anfang vom Ende… „Haben Sie für morgen alles geregelt?“, fragte mich Kaiba und warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder seinem Computerbildschirm zuwandte. Echt, es war ein Wunder, dass er noch keine Brille brauchte, so lange wie er jeden Tag vorm Rechner hockte, war das doch geradezu ein tägliches Attentat auf seine Augen. „Natürlich. Wir fliegen morgen früh um acht hier los und werden so gegen zwei im Hotel erwartet, wo wir dann sogar noch die Möglichkeit haben, ein spätes Mittagessen zu bekommen, bevor dann um vier die Besprechungen anfangen“, erklärte ich, stolz darauf an alles gedacht zu haben. „Ich habe heute auch vorsichtshalber noch einmal angerufen, ob auch wirklich alles so klappt, wie es sollte.“ „Sehr gut, dann können Sie jetzt gehen. Ich nehme doch an, Sie müssen noch packen?“ „Ähm…ja“, gab ich zu und schielte auf meine Armbanduhr. Es war erst kurz nach sieben. Wow, das war ja richtig früh für Kaibas Verhältnisse! Eine Sensation! Aber immerhin hatte ich ja die letzten zwei Wochen schon jeden Tag bis acht oder neun gearbeitet, wegen der Geschäftsreise, für die noch dies und jenes hatte erledigt werden müssen. „Also, dann… Bis morgen.“ Ich wandte mich zur Tür um. „Und denken Sie daran auch Abendgarderobe einzupacken“, erinnerte mich mein Chef, als ich die Klinke schon in der Hand hatte. Ich erstarrte. Mein Stolz verpuffte in einem Rauchwölkchen. Wie in Zeitlupe drehte ich mich wieder zu ihm um. „Abendgarderobe?“, echote ich ungläubig, in der Hoffnung, mich vielleicht verhört zu haben. Kaiba warf mir einen ungeduldigen Blick zu. „Spreche ich chinesisch oder irgendeine andere Sprache, die Sie nicht verstehen.“ „Nein, nein“, versicherte ich eilig, „aber wieso Abendgarderobe?“ Ich rang immer noch um Fassung. Kaiba zog eine Augenbraue in die Höhe. „Für den Geschäftsball übermorgen? Vielleicht erinnern Sie sich noch, an die Einladung oder haben Sie sie wegen Überlastung aus ihrem Gedächtnis gestrichen?“ Oh, oh. Eins hatte ich in den vergangenen Wochen gelernt: Wenn Seto Kaiba anfing, derart gemein zu werden, stand er kurz davor die Geduld zu verlieren. Jetzt war Vorsicht angesagt. Allerdings war ich in meiner derzeitigen Verfassung alles andere als diplomatisch veranlagt. Es gab da nämlich ein Problem; ein sehr großes Problem… „Aber ich besitze keine Abendgarderobe“, platzte es aus mir heraus, was so ziemlich das Falsche war, was man in einer solchen Situation sagen konnte. „Wo soll ich denn heute noch etwas auftreiben?“ Für einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit erschien, herrschte Stille, während der mich Kaiba einfach nur anstarrte und seine Augen sich immer mehr verengten. „Das. Ist. Jetzt. Nicht. Ihr. Ernst. Oder?“, fragte er schließlich, mit gefährlich ruhiger Stimme, deren Kälte mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Mein Schweigen schien ihm Antwort genug, denn er fuhr im gleichen Tonfall fort: „Sie wissen seit vier Wochen von dieser Geschäftsreise und seit drei Wochen von der Einladung zum Ball bei einem meiner wichtigsten Geschäftspartner und Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass sie es innerhalb dieser Zeit nicht geschafft haben, ein Kleid aufzutreiben?“ Wenn Blicke töten könnten… Ich schaffte es jedenfalls nicht, den eisigen Blitzen aus seinen Augen standzuhalten und senkte stattdessen den Kopf, wobei ich mich über mich selbst ärgerte, weil ich mir vorkam wie ein Kind, das für ein Vergehen getadelt wird. Bei dem Gedanken spürte ich, wie ich rot anlief, ob vor Wut oder Verlegenheit konnte ich jedoch nicht sagen. Wahrscheinlich war es ein bisschen von beidem. „Ich warte“, ließ sich Kaiba erneut vernehmen. Ich zögerte. „Ich mag weder Bälle noch andere Veranstaltungen in dieser Richtung, da hab ich die Einladung wohl erfolgreich verdrängt“, erwiderte ich schließlich, immer noch ohne aufzuschauen. Die Kälte, die Kaiba verströmte, war geradezu körperlich spürbar und aus irgendeinem Grund versetzte mir das einen schmerzhaften Stich in der Brust. „Ich hab es einfach vergessen. Kann doch jedem Mal passieren.“ „Falsch“, meinte Kaiba. „Ihnen darf so etwas nicht passieren. Sie sind meine Sekretärin.“ Als ich bei diesen Worten doch aufsah und seinem Blick begegnete, in dem ich außer der mörderischen Kälte auch so etwas wie Geringschätzung zu erkennen glaubte, loderte Zorn in mir auf, so als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt. Plötzlich war die Wut da und strömte mit aller Macht aus mir heraus. Diesmal schaffte ich es, seinem Blick mit meinem standzuhalten, in dem zwar sehr viel weniger Kälte lag, dafür umso mehr Wut. „Was heißt hier, „Ihnen darf so etwas nicht passieren“?!“, fauchte ich, nicht in der Lage die Worte zu stoppen, die aus meinem Mund drangen. Doch sein Verhalten erinnerte mich so sehr an früher. Diesen Vorwurf, den er mir eben an den Kopf geworfen hatte, hatte ich schon einmal gehört. Damals hatte ich klein beigegeben, diesmal würde es anders laufen. „Ich bin immer noch ein Mensch, ob Sie das nun einsehen wollen oder nicht! Ich bin ein Mensch! Und Menschen machen Fehler! Warum scheine ich der einzige Mensch auf dieser Welt zu sein, bei dem das nicht gilt?! Warum bin ich die Einzige, bei der immer alles perfekt sein muss?!“ Meine Stimme wurde immer lauter und lauter. Ich hatte das Gefühl, mich selbst zu beobachten, unfähig in das Geschehen einzugreifen. Dabei wollte ich nichts von dem sagen, was da aus mir heraussprudelte. Schon gar nicht meinem Chef. Es gab viel zu viel von mir selbst Preis, von meinem wahren Ich, das ich all die Jahre über erfolgreich hinter einer mühsam errichteten Fassade versteckt hatte. Doch Kaibas Worte hatten Erinnerungen in mir wach gerüttelt. Erinnerungen an ein ganz ähnliches Gespräch, an dessen Ausgang ich mich nur zu gut erinnerte. Sie nagten an der Mauer, hinter der ich mich verkrochen hatte. Risse erschienen im Stein, von dem ich all die Jahre geglaubt hatte, er würde jedem Angriff standhalten. Kaiba hatte meinen Ausbruch wortlos über sich ergehen lassen, doch ihm war anzusehen, dass er seine beherrschte Miene nur mit Mühe beibehielt. Wahrscheinlich hatte ihn noch nie jemand dermaßen angebrüllt. Noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, verpuffte meine Wut und verwandelte sich stattdessen in Ungewissheit. Ich versuchte an Kaibas Gesicht abzulesen, was er dachte, doch wie immer war das ein Ding der Unmöglichkeit. War ich zu weit gegangen? Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht? Jetzt, wo ich mich wieder einigermaßen gefasst und die Risse in meiner Maske wieder halbwegs geschlossen hatte, ging mir auf, wie bescheuert ich gewesen war. Einen Mann wie Seto Kaiba schrie man nicht an. Jedenfalls nicht, wenn man den Job behalten wollte, der einem endlich wieder ein vernünftiges Leben ermöglichte. Ich hatte schließlich schon angefangen mich nach einer größeren Wohnung umzusehen und jetzt hatte ich all das innerhalb weniger Sekunden zunichte gemacht. Er würde mich feuern. Ich würde hochkant aus der Firma fliegen. Kein Chef ließ sich von seinen Angestellten anbrüllen. Unsicher schielte ich zu Kaiba hinüber, der immer noch nichts gesagt hatte. Den Blick fest auf mich gerichtet stand er wie in Zeitlupe von seinem Schreibtischsessel auf und kam um den Tisch herum auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand, da ich ja sowieso schon an der Tür gestanden hatte. Was hatte er vor? Sein Blick war zornerfüllt, in diesem Zustand wäre er bestimmt zu allem Möglichen in der Lage gewesen… und wieder bekam die Wand in meinem Kopf Risse, die größer und größer wurden. Bilder stürzten auf mich ein und vor meinen Augen begann sich Kaiba, der immer noch auf mich zukam, zu verwandeln. Das eisige blau seiner Augen verschwand und machte einem grausamen violett Platz. Ich keuchte. Ich kannte diese Augen. Seine Haare verfärbten sich und wuchsen in die Länge, bis sie ihm wie Stacheln vom Kopf abstanden, das Gesicht wurde voller und runder. Mein eigener rasselnder Atem dröhnte laut in meinen Ohren, es war das einzige, was ich überhaupt hören konnte. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Mein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei und als die Gestalt, die nun nichts mehr mit Kaiba gemein hatte, vor mir stand, spürte ich, wie meine Beine mir den Dienst versagten und ich kraftlos an der Wand hinunter sackte, die Arme schützend über dem Kopf ausgebreitet, um die Schmerzen abzuwehren, die sicher gleich einsetzten würden, diese grauenvollen Schmerzen, von denen ich gedacht hatte, sie nie wieder ertragen zu müssen… Weit hinten in meinem Kopf, in dem winzigen Teil, der sich noch einen letzten Rest von Vernunft bewahrt hatte, vernahm ich eine leise Stimme, die mich darauf hinweisen wollte, dass ich gerade am Durchdrehen war und dass das, was ich glaubte zu sehen, nicht möglich war, doch ich war schon zu weit in meinem selbstgeknüpften Netz aus Angst und Zweifel verstrickt, um ihr Gehör zu schenken. Ich atmete viel zu schnell, meine Brust schmerzte, als wolle sie jeden Moment zerspringen. Die Welt verschwamm vor meinen Augen. Eine schlanke Gestalt beugte sich über mich, Sorge spiegelte sich in ihrem Gesicht und ihr Mund bewegte sich, als würde sie auf mich einreden, doch die Worte drangen nicht an meine Ohren. Ich meinte, violette Augen aufblitzen zu sehen und schlug wild um mich und dann forderte die durch Hyperventilation entstandene Unterversorgung meines Gehirns ihren Tribut und ich versank in tiefer, Erleichterung bringender Dunkelheit. *** Ich erwachte durch einen plötzlichen, heftigen Schmerz, der sich auf meiner linken Gesichtshälfte ausbreitete. Erschrocken riss ich die Augen auf und fuhr hoch, die Hand an meiner Wange. „Au.“ Die abrupte Bewegung rächte sich jedoch prompt und die Welt versank in einem Schauer aus bunten Farben. Benommen ließ ich mich zurückfallen und blinzelte die schwarzen Punkte weg, die vor meinen Augen tanzten. Allmählich wurde mein Blick wieder klarer. Ich blickte an eine weiß gestrichene Decke, die sich, wie ich sofort erkannte, nicht in meiner Wohnung befinden konnte, weil es dort keine weißen Decken gab. Auch lag ich nicht, wie ich zuerst angenommen hatte in meinem Bett sondern auf einem Sofa, das, der Bequemlichkeit nach auch nicht mein eigenes sein konnte. Wo also war ich? Verwundert wandte ich den Kopf und erblickte meinen Chef, der auf dem Couchtisch neben dem Sofa saß und alles andere als glücklich aussah. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, wirkte er mehr als nur ein bisschen verstimmt. Nicht sicher, was ich nun schon wieder getan hatte, um ihn zu verärgern, brachte ich nur ein zögerliches: „Ähm…hi.“ hervor, für das ich mir im nächsten Moment am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Apropos Ohrfeige… Ich musterte Kaiba misstrauisch. „Kann…“, doch er unterbrach mich: „Sie hatten eine Panikattacke“, seine Stimme klang nur mühsam beherrscht. „Möchten Sie mir vielleicht irgendetwas mitteilen?“ Ich starrte ihn an. „Eine Panik…“ Die Erinnerung kam zurück; ich hatte das Gefühl, jemand würde einen Eimer mit kaltem Wasser über mir ausgießen. „Oh…“ „Sie haben geschrien und mir einen Kinnhaken verpasst und alles was ihnen dazu einfällt ist „oh“?“, Kaibas Stimme gewann an Schärfe, seine Augen funkelten verärgert. „Ich…nun ja… ich…es… es tut mir Leid“, brachte ich stotternd hervor, nicht ganz sicher, was ich sagen sollte. Kaiba schnaubte. „Das will ich auch hoffen. Haben Sie so etwas öfter?“ Ich antwortete nicht sofort. Stattdessen setzte ich mich erneut auf, vorsichtiger diesmal und vergrub das Gesicht in den Händen. Am liebsten wäre ich jetzt auf der Stelle im Boden versunken. Tränen traten mir in die Augen, doch ich drängte sie mit aller Macht zurück. Das fehlte mir gerade noch: vor Kaiba in Tränen ausbrechen. Als wenn die ganze Situation nicht schon unangenehm genug wäre. „Hatten Sie schon häufiger Panikattacken?“, präzisierte Kaiba seine Frage und ich fühlte geradezu, wie er mich mit Blicken durchbohrte. Irgendwie fand ich seine derzeitige Stimmung nicht gerade hilfreich dabei, meine Fassung wieder zu gewinnen. Das Gesicht immer noch in den Händen vergraben, nuschelte ich: „Seit ungefähr eineinhalb Jahren nicht mehr.“ „Und Sie haben es nicht für nötig empfunden, dass mit irgendeinem Wort zu erwähnen, als ich Sie eingestellt habe?“ „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es wieder passiert“, erwiderte ich patzig. „Außerdem wüsste ich nicht, was Sie das angeht.“ Gleich darauf bereute ich meine Worte, als sich Kaibas Gesicht wieder verfinsterte. „Was es mich angeht?“, zischte er. „Sie sind vor meinen Augen komplett durchgedreht und in Ohnmacht gefallen. Eine Vorwarnung wäre hilfreich gewesen.“ Mir ging auf, dass mein Auftritt sogar den sonst so gefühllosen Kaiba ein wenig geschockt haben musste und ein bisschen verlegen biss ich mir auf die Lippe. „Tut mir wirklich Leid. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Ich dachte, das wäre vorbei.“ „Schon gut.“ Kaiba fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und strich sich die Haare aus der Stirn. Dann stand er auf und ging zu der Fensterfront hinüber, wo er stehen blieb und scheinbar in Gedanken versunken nach draußen starrte. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn ungläubig anzusehen. Schon gut? Hatte er gerade tatsächlich „schon gut“ gesagt? Ein Seto Kaiba der eine Entschuldigung mit einem einfachen „schon gut“, noch dazu mit einem ziemlich erschöpft klingenden „schon gut“, abtat? Was war denn jetzt los? Obwohl, wenn man ihn so betrachtete, wie er gedankenverloren aus dem Fenster schaute, sah er doch etwas müde aus. Hatte mein Zusammenbruch vielleicht doch mehr aus der Fassung gebracht, als er sich anmerken lassen wollte? „…Auslöser war?“, drang Kaibas Stimme an meine Ohren und riss mich aus meinen Überlegungen. „Äh…was?“ Kaiba hatte sich wieder zu mir umgewandt, jetzt wieder verärgert wirkend. „Wissen Sie noch, was der Auslöser war?“, wiederholte er seine Frage. Der Auslöser? Gute Frage. Ich versuchte, mir unser vorangegangenes Gespräch in Erinnerung zu rufen. „Ich glaube, es fing an, als sie auf mich zugekommen sind“, meinte ich dann etwas zögerlich, während die letzten Momente, an die ich mich erinnerte noch einmal vor meinem inneren Auge abliefen. „Sie sahen so wütend aus und dann… dann hat wohl meine Fantasie verrückt gespielt“, ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich daran dachte, wie sich Kaiba vor meinen Augen verwandelt hatte. Mein Chef zog eine Augenbraue hoch. „Ich wusste gar nicht, dass ich so furchteinflößend bin.“ Irrte ich mich oder klang er tatsächlich ein wenig gekränkt? Naja, vermutlich war das Einbildung. Ich war offenbar noch immer nicht wieder ganz da. „Da kennen Sie sich aber schlecht“, murmelte ich leise und hoffte, er würde es nicht hören. Lauter sagte ich: „Nein, nein, Sie haben mich nur an jemanden aus meiner Vergangenheit erinnert. Jemand…nicht sehr nettes“, ergänzte ich etwas lahm, darauf bedacht, nicht zu viel auszuplaudern. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass Kaiba etwas über meine Vergangenheit erfuhr. Allerdings sah ich ein, dass ich ihm nach meiner Vorstellung wenigstens einen Teil der Erklärung schuldete. „Und darf ich fragen an wen?“, hakte Kaiba nach. Da ich nicht gewillt war, ihm darauf zu antworten, inspizierte ich äußerst interessiert meine Knie, in der Hoffnung, er würde nicht noch einmal nachfragen. Was er zu meiner Überraschung auch nicht tat. Nach einigen Momenten des Schweigens wagte ich es, wieder aufzuschauen und stellte fest, dass er sich wieder den Fenstern zugewandt hatte. „Und jetzt?“, fragte ich nach einer Weile etwas unsicher, nicht sicher, was ich als nächstes zu erwarten hatte. Kaiba drehte sich wieder zu mir um und musterte mich etwas abschätzig. „Fühlen Sie sich wieder besser?“ „Ähm…ja.“ „Dann werde ich jetzt bei Cloakroom anrufen und ihnen mitteilen, dass sie noch einen späten Gast zu erwarten haben.“ Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber, scheinbar in der Absicht sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Verwirrt starrte ich ihn an. „Sie wollen was?“ „Cloakroom anrufen“, wiederholte Kaiba ungeduldig. „Sie brauchen schließlich immer noch ein Ballkleid oder glauben Sie, das Problem hat sich von selbst gelöst, während Sie bewusstlos waren.“ Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Im ersten Moment wusste ich nicht, wovon er sprach. Dann fiel es mir wieder ein: Natürlich! Mit dem blöden Kleid für den Ball hatte ja alles angefangen! Aber momentmal… „Ich…ich meinte eigentlich, was passiert jetzt mit…mir?“ Kaiba sah mich nur mit seinem üblichen unergründlichen Gesichtsausdruck an. Wollte er tatsächlich einfach so darüber hinweg sehen, dass ich mitten in seinem Büro einen Panikanfall hatte und zusammengebrochen war? „Wer sind Sie und was haben Sie mit dem echten Kaiba gemacht“, hätte ich jetzt gerne gefragt, weil er sich zurzeit so ganz und gar nicht wie der Kaiba verhielt, den ich kannte. Aber ich sah ein, dass das wohl nicht sehr klug gewesen wäre, deshalb beließ ich es dabei, meine Frage ein wenig zu präzisieren: „Naja, ich meine, Sie werfen mich nicht raus? Ich…ich dachte, wo ich doch diesen Anfall hatte und Ihnen nichts gesagt habe und so und weil ich Sie vorhin angeschrien habe…“ Meine hastig hervorgestoßenen Worte erstarben in einem undeutlichen Murmeln unter Kaibas nach wie vor emotionslosem Gesicht. Als ich meinen Mund wieder zugeklappt hatte, erwiderte Kaiba, die Hand schon am Telefonhörer: „Voraussichtlich nicht in den nächsten drei Tagen. Es wäre unmöglich bis morgenfrüh noch Ersatz für Sie zu bekommen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich mich jetzt für Sie um ihr Problem kümmere.“ Ich beließ es dabei, ihn ungläubig anzustarren und verkniff mir den Kommentar, der mir auf der Zunge lag. Immerhin würde ich meinen Job noch für ein paar Tage behalten, da wäre es sadistisch, sich über Kaibas unpassende Wortwahl zu beschweren. Also wirklich, als wäre ich ein Ding, das man nach Belieben austauschen und ersetzen konnte. Inzwischen hatte Kaiba gewählt und unterhielt sich mit jemandem am anderen Ende der Leitung. Ich achte nicht weiter auf die Worte, die gesprochen wurde und versuchte mich stattdessen im Aufstehen, was mir sogar ziemlich gut gelang. Zumindest brach ich nicht gleich wieder ohnmächtig zusammen und nach ein paar unsicheren Schritten legte sich auch das aufkommende Schwindelgefühl. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war viertel nach sieben, was hieß, dass ich nicht länger als ein paar Minuten bewusstlos gewesen sein konnte. Nachdenklich ging ich zum Fenster hinüber und beobachtete die Autos, die weit unten auf der Straße vorbeifuhren. Warum hatte das passieren müssen? Warum gerade jetzt? Das, was ich Kaiba gesagt hatte, stimmte: Ich hatte seit etwas mehr als eineinhalb Jahren keinen Anfall mehr gehabt. Damals, kurz nach meiner Flucht, war ich ständig wegen irgendeiner Kleinigkeit durchgedreht: Wenn ich das Gefühl hatte, verfolgt zu werden, wenn mich jemand unerwartet auf der Straße ansprach oder wenn ich glaubte, ein Gesicht in der Menge zu erkennen, dass mich mit violetten Augen böse anfunkelte. Es war kein leichtes Leben gewesen. Mehr als einmal war ich unfreiwillig in einem Krankenhausbett aufgewacht. Ein freundlicher Arzt hatte mir schließlich Tabletten gegen meine Angstzustände und eine Therapie verschrieben, zu der ich jedoch nie hingegangen war. Wie hätte ich einem Fremden von meinen Problemen erzählen können? Im einfachsten Fall hätte der Betreffende mich wahrscheinlich für verrückt erklärt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, im schlimmsten Fall… Nun ja, darüber dachte ich besser nicht allzu genau nach. Nachdem meine Anfälle immer weniger geworden waren und schließlich ganz aufgehört hatten, hatte ich die Tabletten nicht mehr gebraucht und natürlich schleppte ich sie daher auch nicht mehr ständig mit mir herum. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. „Und Sie sind sich sicher, dass es ihnen gut geht?“ Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Kaiba sein Telefonat beendet hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich total vergessen, dass ich ja nicht alleine war. Mein Chef hatte sich in seinem Schreibtischsessel umgewandt und beäugte mich nun misstrauisch, als befürchtete er, ich könne jeden Moment wieder zusammenbrechen. „Ich bin wieder okay“, versicherte ich mit Nachdruck in der Stimme. „Schön“, Kaibas Stimme nahm wieder einen geschäftsmäßigen Tonfall an: „Dann werden Sie jetzt nach unten gehen, in die Limousine steigen, die für Sie bereit steht, und sich bei Cloakroom ein Kleid aussuchen, dass Sie übermorgen auf dem Ball anziehen können.“ Ich wusste nicht genau, ob ich verärgert oder erleichtert sein sollte. Verärgert darüber, dass er schon wieder in seinem arroganten Befehlston mit mir sprach und erleichtert darüber, dass er sich anscheinend in den gefühlskalten Kaiba zurückverwandelt hatte, den ich kennen gelernt hatte. Diese nachsichtige Version, die er nach meinem Anfall aufgefahren hatte, war mir langsam unheimlich geworden. Dennoch wagte ich es, ihn auf einen Haken in seinem Plan hinzuweisen: „Ähm… ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber es ist bereits halb acht. Die Geschäfte schließen in einer halben Stunde.“ „Was meinen Sie, warum ich gerade bei Cloakroom angerufen habe?“, fragte mich Kaiba leicht säuerlich. „Wenn Sie dort eintreffen, wird man sich um Sie kümmern und Sie erst mit einem geeigneten Kleid wieder hinaus lassen, egal, wie lange Sie brauchen, um eins zu finden.“ Ich sah ihn ungläubig an. „Und das können Sie einfach so veranlassen?“ „Mit dem nötigen Kleingeld, kann man alles Mögliche tun“, beschied mich Kaiba knapp. „Und den Aufschlag, den ich für diese Gefälligkeit zahle, werde ich Ihnen selbstverständlich von ihrem Gehalt abziehen, genauso wie die Rechnung für das Kleid. Sein eisiger Blick durchbohrte mich. „Immerhin ist es ihrem Versagen zu verdanken, dass Sie nicht vorbereitet sind.“ Ich schluckte. Das klang überhaupt nicht gut. „Und wie viel bezahlen Sie denen?“ Ein wölfisches Grinsen huschte über Kaibas Gesicht, bei dem ich unwillkürlich erschauerte. „Das kommt darauf an.“ „Worauf?“ „Darauf, wie viele Überstunden sie wegen Ihnen machen müssen. Ich an ihrer Stelle würde daher zusehen, dass ich mich ein bisschen beeile. In der Zeit, in der Sie hier gestanden und mich ausgefragt haben, hätten Sie schon mindestens drei Kleider anprobieren können“, sprach seine Majestät und wandte sich hoheitsvoll seinem Rechner zu. Ich war entlassen. Bebend vor Wut starrte ich ihn an. Hätte er das nicht eher sagen können? Doch da meine Zeit zurzeit sehr knapp zu sein schien, wollte ich am Ende des Monats wenigstens noch ein paar Euro verdient haben, beherrschte ich mich mühsam und wandte mich zum Gehen. Ein Streit hätte wahrscheinlich mein gesamtes Gehalt aufgebraucht. Zähneknirschend stieg ich in den Fahrstuhl. Vielleicht war der nachsichtige, ein wenig um mich besorgte Kaiba doch besser gewesen. __________ Fortsetzung folgt... Bis zum nächsten Kapitel^^. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Kapitel 6: Eine anstrengende Geschäftsreise ------------------------------------------- So, hier ist nun endlich das nächste Kapitel. Hat leider doch etwas länger gedauert, als ich gedacht hatte^^. Viel Spaß beim Lesen! __________ 6. KAPITEL: EINE ANSTRENGENDE GESCHÄFTSREISE Am nächsten Morgen erwachte ich zeitig durch das Nerv tötende Klingeln meines Weckers. Missmutig tastete ich nach den Aus-Knopf und hätte mich am liebsten einfach umgedreht und weitergeschlafen. Die unfreiwillige Shoppingtour am Abend zuvor hatte doch länger gedauert als erwartet. Aber dafür besaß ich jetzt ein vernünftiges Kleid, die dazu passenden Accessoires… und würde wahrscheinlich am Ende des Monats kein Gehalt mehr kriegen. Blöder Seto Kaiba! Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum ich den Job nicht einfach hinschmiss und kam wie immer zu dem Schluss, dass ich wahrscheinlich nie wieder eine so gut bezahlte Arbeit bekommen würde. Da half nur Zähne zusammen beißen und durch. Stöhnend wälzte ich mich aus dem Bett und tappte unter die Dusche. Danach fühlte ich mich schon wesentlich wacher. Um Punkt sieben Uhr stand ich mit meinen schon etwas ramponiert aussehenden Koffern vor dem Haus und wartete auf das Taxi, das mich zum Flughafen bringen sollte, wo Kaibas Privatjet untergestellt war. Ich hatte vielleicht gestaunt, als ich davon erfahren hatte, aber so im Nachhinein dachte ich, ich hätte damit rechnen können. Bei dem vielen Geld, das mein Chef erwirtschaftet hatte, könnte er sich bestimmt mühelos zehn von den Dingern leisten. Die Frage war nur: Was sollte man mit zehn Privatjets? In Erwartung eines kleinen gelben Autos mit Schild auf dem Dach spähte ich die Straße hinunter und bekam große Augen, als ich die Limousine bemerkte, die auf mich zusteuerte und neben mir am Bürgersteig hielt. Die Fahrertür öffnete sich und der Chauffeur, den ich vor einigen Wochen bereits kennen gelernt hatte, stieg aus, um mir die hintere Tür zu öffnen. Mit dem leichten Gefühl gerade ein Déjà-vu zu erleben, kletterte ich neben Kaiba auf die Rückbank. „Ich dachte, Sie wollten mich erst am Flughafen treffen“, brachte ich anstatt einer Begrüßung hervor, viel zu erstaunt um mich mit Höflichkeiten aufzuhalten. Kaiba, der diesmal ausnahmsweise keinen Laptop vor der Nase hatte, warf mir einen kalten Blick zu. „Und ich dachte, ich erfahre besser früher oder später, ob Sie auch in der Verfassung für diese Reise sind.“ „Ob ich in der Verfassung bin?“, wiederholte ich, nicht sicher worauf er hinaus wollte, bis mir aufging, dass er wahrscheinlich auf meinen Zusammenbruch vom Vorabend anspielte. Sofort setzte ich eine verschlossene Miene auf. „Es geht mir gut“, beschied ich ihn hitzig. „Und ich hätte Sie genauso gut am Flughafen treffen können.“ Na toll! Ich war kaum drei Minuten mit dem Kerl zusammen und schon war er auf dem besten Weg, mich einmal mehr in Rage zu versetzen. Da ich mich aber heute Morgen nicht in der Lage fühlte, einen neuen Streit zu beginnen, ruderte ich schnell wieder einen Schritt zurück und fügte etwas versöhnlicher hinzu: „Aber trotzdem danke fürs Abholen.“ Kaiba zuckte mit den Schultern. „So erspare ich mir wenigsten die Mühe, Sie am Flughafen erst suchen zu müssen.“ Okay, hatte ich gerade etwas von „nicht streiten“ gesagt? „Was soll das denn bitte schön heißen?“, brauste ich auf. „Zufällig weiß ich, von welcher Startbahn ihr Privatflieger abfliegen soll. Ihre Suche wäre daher total unnötig gewesen. Ich hätte den Treffpunkt „im Flugzeug“ schon gefunden.“ Darauf erwiderte Kaiba nichts. Stattdessen zog er nur abschätzig eine Augenbraue hoch, was mich noch wütender machte. „Was soll dieser „Wer’s glaubt“-Ausdruck auf ihrem Gesicht? Das Vertrauen, das Sie in meine Fähigkeiten setzen, scheint ja keine Grenzen zu kennen!“ Eingeschnappt wandte ich mich ab und blickte ärgerlich auf die vorbeiziehenden Häuserreihen vor dem Fenster. Der Chauffeur, der nicht im Geringesten auf unsere Auseinandersetzung geachtet zu haben schien, schlängelte die Limousine geschickt durch den all morgendlichen Berufsverkehr in Richtung Flughafen. „Und, waren Sie gestern erfolgreich?“, brach Kaiba schließlich das eisige Schweigen, das sich zwischen uns aufgebaut hatte. „Das werden Sie ja sehen, wenn die Rechnung kommt“, erwiderte ich unfreundlich, noch nicht wieder in der Stimmung, mich versöhnlich zu zeigen. Was fiel diesem aufgeblasenen Kerl eigentlich ein? Wenn er so wenig von mir hielt, konnte er mich genauso gut gleich feuern und in meinem derzeitigen Zustand hätte ich wahrscheinlich nicht einmal protestiert. Allmählich drängte sich jedoch noch ein anderer Gedanke durch meine Wut hindurch an die Oberfläche, der meinen Zorn ein wenig schmälerte: Warum hatte Kaiba mich abgeholt? Doch nicht etwa nur, um einen Streit mit mir anzufangen. Vielleicht war seine Frage vom Anfang sogar weniger abfällig gemeint gewesen, als sie geklungen hatte. Konnte es sein, dass er sich wegen gestern ernsthafte Sorgen um mich machte? Unauffällig musterte ich meinen Chef von der Seite, der mit unbewegtem Gesichtsausdruck aus dem Fenster sah und seine übliche Kälte verströmte. Aber warum sollte er sich Gedanken um mich machen? Bis jetzt hatte er eigentlich nicht den Eindruck gemacht als würde er mich sonderlich mögen. Seine bissigen Kommentare hatten für mich nie einen Zweifel daran gelassen, dass Kaiba mich nicht mochte, was mich vor ein noch viel größeres Rätsel stellte: Warum zum Teufel hatte er mich überhaupt erst eingestellt, wenn ich ihm so zuwider war? Was hatte ihn geritten, eine Frau als Sekretärin einzustellen, die er nicht leiden konnte? Oder stimmte das am Ende etwa gar nicht? Und wenn, was hieße das für mich? „Ist irgendetwas?“, durchschnitt Kaibas scharfe Stimme meine Gedanken. Offenbar war ich heute Morgen nicht die einzige mit schlechter Laune. Da mir erst jetzt auffiel, dass ich ihn, ganz in Gedanken versunken, die ganze Zeit angestarrt hatte, wandte ich hastig den Blick ab und schüttelte den Kopf. „Nein, ich war nur in Gedanken.“ Kaiba grinste spöttisch. „Ich hoffe, es war nichts Unanständiges“, meinte er in anzüglichem Tonfall. „Keine Sorge“, zischte ich zurück und sah demonstrativ wieder aus dem Fenster. Mein Chef konnte manchmal – oder besser gesagt, immer – ziemlich anstrengend sein. Man wusste bei ihm nie, was als nächstes kam. Aber damals hatte ich auch noch keine Ahnung für was für Überraschungen Kaiba gut sein konnte. Den Flug verbrachten wir größtenteils schweigend, auch wenn mir auffiel, dass Kaiba mir hin und wieder seltsame Blicke zuwarf. Ich tat jedoch mein Bestes, mir nichts anmerken zu lassen. Erst als wir in der gemieteten Limousine saßen, die uns zu unserem Hotel bringen sollte, wandte sich Kaiba wieder an mich: „Was hat ihnen dieser Typ getan, dass Sie solche Angst vor ihm haben?“ Irritiert sah ich ihn an. „Welcher Typ?“ Wovon sprach der Kerl jetzt schon wieder? „Der Typ, bei dem scheinbar schon die Erinnerung an ihn ausreicht, Sie in Panik zu versetzten.“ Ach so. Er sprach von gestern Abend. „Das beschäftigt Sie?“ Ich war sprachlos. Hatte er mich deshalb die ganze Zeit beobachtet? Weil er den gestrigen Tag nicht aus dem Kopf bekam? Aber das konnte doch nicht sein. Immerhin sprachen wir hier von Seto Kaiba. Kaiba, den nichts zu interessieren schien, das nicht mit der Firma oder seiner Arbeit zusammenhing – abgesehen von seinem Bruder natürlich. Kaiba befand meine ungläubige Frage nicht einmal einer Antwort wert. Sein Blick, mit dem er mich bedachte sprach Bände. „Würde ich sonst fragen?“, sagten seine Augen. Na ja, was hatte ich erwartet? Ohne, dass ich einen besonderen Grund gehabt hätte, wurde ich rot. „Ähm…also…ich glaube, ich habe Ihnen gestern schon gesagt, dass Sie das nichts angeht.“ Auf keinen Fall würde ich ihm davon erzählen. Nie und nimmer, denn das wäre für ihn wohl endgültig ein Grund mich rauszuschmeißen. Schlimmer noch, er würde wahrscheinlich nicht mal mehr mit mir reden. … Moment mal… Hatte ich gerade „schlimmer“ gedacht? Was war bloß los mit mir? Was wäre so schlimm daran, wenn Kaiba nicht mehr mit mir reden würde? Eigentlich stritten wir doch schon sobald einer von uns den Mund aufmachte. „Ich bin ihr Chef“, merkte Kaiba mit eingefrorenem Gesichtsausdruck an. Meine Verlegenheit war wie weggeblasen. Verblüffend, dass Kaiba nur vier Worte gebraucht hatte, um mich erneut zu verärgern. Vier lächerliche Worte! „Müssen Sie deshalb gleich alles über mein Privatleben erfahren?“ „Wenn ihr Privatleben ihre Arbeit für mich beeinflusst.“ „Mein Privatleben beeinflusst meine Arbeit nicht“, stellte ich richtig. „Aber Sie scheinen ja zurzeit geradezu erpicht darauf zu sein, mein Privatleben zu beeinflussen.“ Auf diese Worte folgte eine etwas drückende, für mich sogar sehr peinliche Stille, während der mich Kaiba nur mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Hatte ich das gerade tatsächlich gesagt? Ich meine…hatte ich wirklich gesagt, Kaiba würde mein Privatleben beeinflussen? Was war da über mich gekommen? Galt ich überhaupt noch als zurechnungsfähig? Mein Kopf fühlte sich plötzlich sehr heiß an und hatte wahrscheinlich die Farbe einer reifen Tomate angenommen. Hoffnungsvoll schielte ich nach einem Loch, das sich im Boden der Limousine auftat und dem ich verschwinden konnte, um dieser überaus unangenehmen Situation zu entkommen, doch natürlich war nie eins da, wenn man eins brauchte. Ich musste mich wohl oder übel darauf beschränken, meine Hände, die auf meinen Knien lagen mit mehr Interesse als nötig zu betrachten. Kaiba hatte immer noch nichts gesagt und wahrscheinlich war das das Beste, was passieren konnte. Wieder einmal breitete sich Schweigen zwischen uns aus, das auch noch anhielt, als wir im Hotel auf unsere Zimmer gingen. Als die Tür meiner Suite hinter mir ins Schloss fiel, lehnte ich mich aufatmend dagegen, froh, den Peinlichkeiten fürs erste entkommen zu sein. Ich sollte während meines Aufenthalts hier wohl besser höllisch aufpassen, was ich sagte, sonst landete ich womöglich früher oder später noch in Teufels Küche. Ich konnte ja nicht wissen, wie Recht ich damit hatte. Die Geschäftsbesprechungen, die an die an diesem Tag folgten, gingen reibungslos über die Bühne und ich bekam immerhin so viel mit, dass Kaiba schon wieder seinen Willen bekam. Was hatte ich auch erwartet? Zum Glück brachten diese Gespräche es mit sich, dass Kaiba nur sehr wenig Zeit fand, um mit mir zu reden, wofür ich in Anbetracht der Situation sehr dankbar war. Beim Abendessen war mein Chef dann immer noch so tief in seiner Arbeit versunken, dass es nicht schwer war, unser Schweigen aufrecht zu erhalten. Sobald es die Höflichkeit zuließ, verschwand ich mit einer lahmen Entschuldigung auf mein Zimmer, froh den Tag hinter mich gebracht zu haben. Am nächsten Morgen beim Frühstück begann ich mich dann allmählich etwas lächerlich zu fühlen, da sich die Situation irgendwie festgefahren zu haben schien. Kaiba verschwand, kaum dass er sich gesetzt und mich knapp begrüßt hatte, hinter einer Zeitung und tauchte erst wieder auf, als es Zeit war, mit unserer Arbeit fortzufahren. Der Gedanke, dass Kaiba sich absichtlich so verhielt, um mich für meine Worte vom Vortag zu bestrafen, schlich sich in meinen Kopf. Aber warum hätte er das tun sollen? Und außerdem: eigentlich verhielt er sich auch nicht anders als sonst. Im Grunde konnte ich froh sein, dass er einfach so darüber hinwegsah, oder? Aber warum beschäftigte mich das Ganze dann so? Wünschte ich mir am Ende sogar irgendeine Reaktion von ihm? Der offizielle Teil der Reise endete am frühen Nachmittag, als die Anwesenden, die den Diskussionen beigewohnt hatten, einen Vertrag unterzeichneten, der, sofern ich das richtig verstanden hatte, die gemeinsame Finanzierung eines Forschungsprojekts beinhaltete, bei dem es um die Entwicklung einer neuen Technik ging, die es ermöglichen sollte, die virtuelle Computerspielewelt noch realistischer wirken zu lassen. Als wir den Besprechungsraum verließen, machte Kaiba einen äußerst zufriedenen Eindruck, auch wenn er sich alle Mühe gab, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. „Sie können sich den Rest des Tages frei nehmen“, erklärte er großzügig, als wir wieder im Hotel angekommen waren. „Wir treffen uns dann um sieben wieder hier im Foyer.“ Ach ja, heute war ja der Ball. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht, was mein Chef jedoch zum Glück nicht zu bemerken schien. Er war schon auf halbem Weg die Treppe rauf, wahrscheinlich um sich mit seinem Laptop in seiner Suite zu verschanzen. Etwas verloren blieb ich in der Hotelhalle zurück. Toll! Und was sollte ich jetzt den restlichen Tag über machen? Bis sieben waren es noch gut fünf Stunden. Vielleicht sollte ich mich ein wenig in der Stadt umsehen, wenn ich schon mal die Gelegenheit dazu hatte. Während der Gedanke in meinem Kopf Gestalt annahm, war ich bereits auf halbem Weg zur Rezeption, wo ich den jungen Mann, der dahinter seinen Dienst versah, nach den besten Einkaufsmöglichkeiten fragte. Ich spürte ein angenehmes Kribbeln im Bauch, bei dem Gedanken, dass ich diesmal einkaufen gehen konnte, ohne ständig im Hinterkopf zu haben, dass ich danach eventuell kein Geld für Lebensmittel hatte. Es war doch schon schön, einen gut bezahlten Job zu haben, auch wenn der Chef einen hin und wieder – alle paar Minuten – zur Weißglut trieb. Der Rezeptionist nannte mir einen Straßennamen, der mir überhaupt nichts sagte, und zeigte mir den Weg dahin auf einer Karte. Erleichtert stellte ich fest, dass das genannte Ziel nur ein paar Straßen vom Hotel entfernt lag. Das hieß, ich konnte zu Fuß dorthin. Froh, etwas gefunden zu haben, womit ich den Tag überbrücken konnte, eilte ich hinauf in mein Zimmer, um meine Tasche zu holen und mich umzuziehen. Dann trat ich wieder in den Flur hinaus, bereit loszugehen – und hielt unschlüssig inne, als mein Blick auf die gegenüberliegende Tür fiel. Sollte ich Kaiba Bescheid sagen, was ich vorhatte? Nein, besser nicht. Er war schließlich nicht mein Vater; es ging ihn überhaupt nichts an, was ich in meiner Freizeit tat. Außerdem, wer wusste schon, wie er reagieren würde, wenn ich ihn jetzt bei seiner Arbeit störte. Entschlossen wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg Richtung Treppe. Andererseits… was, wenn er später doch noch Arbeit für mich hatte? Er würde sicher auch wütend werden, wenn er mich dann nicht erreichen konnte. Dann fiel mir ein, dass ich ja dank ihm inzwischen ein Handy besaß. Wenn er was von mir wollte, konnte er auch anrufen. Ich setzte meinen Weg fort – und stand wenige Augenblicke später doch vor Kaibas Tür und klopfte fast zaghaft dagegen. „Herein“, erklang die vertraute kalte Stimme von der anderen Seite. Ich öffnete die Tür und trat über die Schwelle. Kaibas Suite war fast ein genaues Abbild meiner eigenen. Er selbst saß am Tisch vor dem großen Fenster, den Laptop vor der Nase. Bei meinem Eintreten schaute er auf und für einen kurzen Augenblick glaubte ich, Überraschung in seinen Augen aufblitzen zu sehen, ehe sein Gesicht wieder den üblichen ausdruckslosen Zug annahm, den ich so sehr von ihm gewohnt war. „Was gibt es?“ „Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass ich mich ein wenig in der Stadt umsehe“, teilte ich ihm mit und kam mir gleich darauf dämlich vor, als Kaibas Augenbraue fragend in die Höhe wanderte. „Und warum glauben Sie, dass mich das interessiert?“ „Ähm… nun ja“, stotterte ich ein wenig verlegen. „Ich hatte gedacht, vielleicht…hätten Sie Lust mitzukommen?“ Fünf Minuten später ging ich die Straße vor dem Hotel hinunter, darum bemüht, mir meine Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Wieso war ich nicht einfach schnurstracks an Kaibas Zimmertür vorbeigegangen? Ich meine, mein erster Gedanke war doch schon ganz richtig gewesen: Es ging Kaiba überhaupt nichts an, wie ich meine Freizeit verbrachte. Warum also hatte ich zurückgehen müssen? Und was hatte mich geritten, ihn zu fragen, ob er mich begleiten wollte? Die Frage war nicht nur total peinlich gewesen – mal wieder – sondern eigentlich auch total überflüssig. Wir sprachen hier immerhin von Seto Kaiba, dem Workaholickönig, der wahrscheinlich nicht einmal wusste, was das Wort „Freizeit“ bedeutete. Nie und nimmer hatte dieser Mann Lust auf einen gemütlichen Stadtbummel – schon gar nicht mit seiner Sekretärin. Was also hatte ich mir dabei gedacht? Und warum zum Teufel hatte er „ja“ gesagt? Also eigentlich war es eher ein „warum nicht“ gewesen, aber das war ja auch gar nicht der Punkt. Der Punkt war, dass… „Hatten Sie eigentlich ein besonderes Ziel im Sinn?“ Ich schreckte einmal mehr aus meinen Gedanken und schielte zu Kaiba hinüber, der, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, neben mir her ging. „Nun ja“, ich zögerte, „ich hatte an die Einkaufspassage drei Straßen weitergedacht.“ „Das ist nicht Ihr ernst, oder?“ „Wieso?“ Etwas unsicher sah ich ihn an. „Sie schleppen mich aus dem Hotel um einkaufen zu gehen?“ Täuschte ich mich oder klang Kaiba tatsächlich etwas ungläubig. Eingeschnappt funkelte ich ihn an. „Sie hätten ja nicht mitkommen zu brauchen.“ „Ich meine mich zu erinnern, dass Sie von „in der Stadt umsehen“ sprachen, nicht von „ich gehe einkaufen“, meinte Kaiba kühl. Eins zu null für ihn. „Sie können gerne wieder umdrehen“, schnappte ich. „Sie haben nicht wirklich erwartet, dass ich zustimme Sie zu begleiten, richtig?“, in Kaibas Stimme klang so etwas wie Belustigung mit. Ich schluckte. „Ähm…nein, eigentlich habe ich nur aus Höflichkeit gefragt“, murmelte ich. „Und weil Sie so unfreundlich gefragt haben, warum es Sie interessieren sollte, was ich mache, da hab ich nicht gewusst, was ich sagen soll.“ „Aha.“ Vorsichtig schielte ich zu ihm hinüber, doch Kaiba wirkte nicht wirklich verärgert über meine Worte. Vielleicht hatte ihm ja der heutige Erfolg bei den Verhandlungen vorerst seine sonst so gereizte Stimmung genommen. „Also dann“, ein meiner Meinung nach teuflisches Lächeln stahl sich auf Kaibas Gesicht. „Gehen wir einkaufen.“ In mir keimte der Verdacht, dass ich meine unüberlegte Einladung noch bitter bereuen würde. Zwei Stunden später, als ich zusammen mit Kaiba ins Hotel zurückkehrte, ohne auch nur irgendetwas gekauft zu haben, war aus dem Verdacht absolute Gewissheit geworden. Nachdem ich mich die erste Viertelstunde lang nur unschlüssig vor den Geschäften herumgedrückt hatte, weil mich Kaibas Anwesenheit befangen machte, der mit ausdruckslosem Gesicht neben mir ging, traute ich mich schließlich doch noch in einen der Läden, da mein Chef mich darauf hinwies, dass seine Vorstellungen von einem Einkaufsbummel anscheinend deutlich von den meinen abwichen. „Ich dachte immer, einkaufen hieße, dass man auch mal in irgendein Geschäft hineingeht, um sich umzuschauen, anstatt ohne nach links und rechts zu gucken dran vorbei zu gehen“, kommentierte er, nachdem ich bereits an dem sechsten oder siebten Modegeschäft vorbeistolzierte. Im Laden wurde es allerdings nicht besser, da Kaiba die ganze Zeit mit verschränkten Armen neben mir stand und mich beobachtete, während ich die Ständer nach etwas passendem durchsah, und mir so irgendwie das Gefühl gab, ihn aufzuhalten. Ich ging ohne auch nur etwas anprobiert zu haben. Auch in den nächsten Geschäften wurde es nicht besser. Das ganze Unternehmen war alles andere als entspannend und half auch nicht gerade meine Gedanken auf ein anderes Thema zu lenken, als die Arbeit, da mich Kaibas Anblick immer wieder daran erinnerte. Frustriert gab ich schließlich auf und trat den Rückweg an. „Na, das war doch mal ein erfolgreicher Nachmittag“, spottete Kaiba, als wir wieder in der Hotelhalle standen. „Bei den vielen Sachen, die Sie gekauft haben, hätte ich nicht gedacht, dass Sie in der Lage wären, all die Tüten nach Hause zu schleppen.“ Er warf einen Blick auf meine leeren Hände. „Die müssen ja enorm schwer sein. Diese Fülle von neuen Sachen, die Sie erstanden haben.“ „Sie hätten mir ja was abnehmen können“, konterte ich gereizt. „Im Übrigen gehe ich nie wieder mit Ihnen einkaufen.“ „Oh, bitte, tun Sie mir das nicht an“, Kaiba heuchelte den Gekränkten. „Es hat doch so einen Spaß gemacht.“ „Sie hätten ja nicht mitkommen müssen.“ Inzwischen waren wir bereits auf dem Weg die Treppe rauf zu unseren Zimmern. „Sie hätten mich nicht leichtfertig einladen dürfen“, gab Kaiba zurück. „Wird auch bestimmt nicht wieder vorkommen“, grummelte ich. „Irgendwann werd ich ja wohl noch lernen, meinen Mund zu halten.“ Den letzten Satz hatte ich eigentlich nur zu mir selbst gesagt, doch als Kaiba in spöttischem Unglauben eine Augenbraue hochzog, war mir klar, dass er meine Worte mitbekommen hatte. Ich ging jedoch nicht darauf ein. Plötzlich fühlte ich mich nur noch müde und erschöpft und verspürte auch überhaupt keine Lust mehr, heute Abend noch auf einen Ball zu gehen – nicht das ich vor unserer Shoppingtour freudige Luftsprünge deswegen gemacht hätte. „Wir sehen uns dann nachher beim Ball“, erklärte ich Kaiba immer noch verstimmt. „Ich erwarte Sie um sieben unten im Foyer. Und seien Sie pünktlich.“ „Jaja.“ Ohne mich noch einmal umzudrehen, verschwand ich in meinem Zimmer. Dort warf ich mich aufs Bett und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Meine gute Laune von heute Morgen war verflogen. Irgendwie hatte es Kaiba mal wieder geschafft meine Stimmung zu verderben. Oder vielleicht war ich auch nur sauer auf mich, weil ich so blöd gewesen war und ihn eingeladen hatte, mit mir shoppen zu gehen. Es war doch eigentlich klar gewesen, dass das Ganze nur ein Fiasko werden konnte. Und jetzt lag noch ein langer Abend vor mir, bei dem es schwierig werden würde, meinem Chef aus dem Weg zu gehen. Mit einem durchdringenden Klingeln verlangte mein Handy nach Aufmerksamkeit. Es lag immer noch auf dem Nachttisch, wo ich es bei meiner Ankunft im Hotel liegen gelassen hatte. Seufzend drehte ich mich auf die Seite und angelte nach dem verhassten Gerät. Evas Nummer blinkte auf dem kleinen Display. Ich drücke auf den grünen Hörer. „Hi, Eva.“ „Mia, endlich. Ich versuche schon seit zwei Stunden, dich zu erreichen“, empörte sich meine Freundin, ohne auf meine Begrüßung einzugehen. „Tut mir Leid. Ich war einkaufen und hab vergessen das Handy einzupacken.“ Eva seufzte. „Wann gewöhnst du dich eigentlich endlich an das Ding?“ Ich zuckte unwillkürlich mit den Schultern. „Wahrscheinlich nie.“ „Was hast du denn gekauft?“ Diesmal war ich diejenige, die einen Seufzer ausstieß. „Nichts.“ „Nichts? Aber du hast doch gerade gesagt, …“ „Ich weiß, was ich gesagt habe“, schnitt ich ihr ziemlich unhöflich das Wort ab, nur um mich gleich darauf eines Besseren zu besinnen und hastig hinzuzufügen: „Tut mir Leid, aber der Tag hat mich so ziemlich alles an Nerven gekostet, was ich besitze.“ „Oh“, ein mitfühlender Ton schlich sich in Evas Stimme, den ich absolut nicht leiden konnte. „So schlimm?“ Ich schnaubte. „Versuch mal mit deinem Chef einkaufen zu gehen, dann verstehst du, was ich meine.“ Das hätte ich vielleicht nicht sagen sollen, aber das wurde mir erst zu spät klar, nämlich in dem Augenblick, als Eva: „DU WARST MIT SETO KAIBA EINKAUFEN?!“, schrie und ich den Hörer hastig ein gutes Stück von meinem Ohr wegriss. „Geht’s noch ein bisschen lauter, damit ich auch wirklich taub werde?“, grummelte ich. „Tschuldigung, tut mir Leid, es ist nur… wow.“ „Ich glaube, mit meinen Ohren stimmt wirklich was nicht“, merkte ich an. „Du klingst so völlig unangebracht begeistert.“ „Ich BIN begeistert“, versicherte mir meine Freundin. „Oh, na dann.“ „Erzähl mir alles.“ Das tat ich dann auch und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es gut tat, mit jemandem darüber reden zu können, auch wenn derjenige scheinbar völlig anders über die Sache dachte als ich. „Ich glaube, Kaiba hat irgendwas gegen mich. Warum sonst sollte er mir das Leben zur Hölle machen?“, beendete ich schließlich meinen Bericht. „Quatsch“, widersprach Eva, „der will dir das Leben nicht zur Hölle machen, der mag dich.“ „Aber…“, setzte ich an, doch sie unterbrach mich: „Überleg doch mal: Erst tut er die ganze Zeit unfreundlich und unnahbar, willigt dann aber sofort ein, etwas mit dir zu unternehmen und er ist auch nicht umgedreht, als er erfahren hat, dass du nur shoppen wolltest. Vielleicht kann er seine Gefühle nur nicht so zeigen? Immerhin ist er ein einflussreicher Mann. Wahrscheinlich muss er sich so abweisend geben, um keine Schwäche zu zeigen.“ „Bist du jetzt unter die Hobbypsychologen gegangen“, frage ich sie, um über meine eigene Verlegenheit hinwegzukommen. Bei Evas Worten spürte ich deutlich, dass sich meine Wangen rosa färbten und ich war sehr dankbar, dass sie das durch den Hörer nicht sehen konnte. „Nein, das sagt mir mein gesunder Menschenverstand und meine gute Menschenkenntnis.“ „Aber das ist völlig ausgeschlossen“, protestierte ich. „Du kennst ihn ja nicht einmal. Du warst nie dabei, wenn er so gemein zu mir war und…“, ich zögerte, „…und selbst wenn, niemand könnte mich dazu bringen, irgendwelche Gefühle für diesen Kühlschrank zu entwickeln, die über Abneigung hinausgehen.“ „Meinst du.“ An Evas Tonfall erkannte ich, dass sie breit grinste. Aus irgendeinem Grund machte mich das wütend. „Ja, das meine ich“, erwiderte ich ziemlich unfreundlich. „Dann verrat mir doch mal, warum du immer noch für ihn arbeitest.“ „Wie?“ Ich blinzelte irritiert. „Na, wenn du doch den netten Mr. Kaiba tatsächlich so unausstehlich findest, warum arbeitest du dann immer noch für ihn?“, präzisierte Eva ihre Frage. „Ähm…“, etwas aus dem Konzept gebracht zögerte ich. Eva schien ihre eigenen Schlüsse aus meinem Schweigen zu ziehen: „Siehst du“, meinte sie ziemlich selbstzufrieden. „Du weist es nicht, aber ich.“ Sie machte eine Kunstpause, dann platzte sie heraus: „Du magst ihn nämlich auch.“ „Was?“ Ihre Feststellung brachte mich völlig aus der Fassung und ich spürte deutlich, wie mein Gesicht feuerrot anlief. „Das…das ist überhaupt nicht war! Ich mag Kaiba kein bisschen. Er ist grob, unhöflich und kälter als der Nordpol. Wie könnte man so einen Menschen mögen?“ „Warum du ihn magst, musst du schon selbst wissen. Ich sag nur, wie es ist.“ „Ich mag ihn aber nicht!“, stellte ich noch einmal mit Nachdruck fest. „Im Übrigen muss ich jetzt Schluss machen, sonst kommen wir wegen mir zu spät zu diesem superwichtigen Geschäftsball und dann verliere ich vielleicht wirklich meinen Job.“ „Wetten nicht?“, fragte Eva. „Wetten er würde dich nur wieder anschreien und danach wäre alles wieder so wie vorher?“ Ich verdrehte die Augen. „Ich werd mich bestimmt nicht verspäten nur um das herauszufinden. Und hör gefälligst mit deinen wilden Theorien auf.“ „Wie du meinst. Ich komm morgen mal vorbei, wenn du wieder hier bist. Dann kannst du mir alles haargenau berichten. Viel Spaß.“ „Werd ich bestimmt nicht haben, aber danke“, erwiderte ich. „Bis morgen dann.“ „Tschau.“ Ich legte auf. Wahrscheinlich sollte ich jetzt wirklich anfangen, mich fertig zu machen. Das Problem war nur: Ich verspürte überhaupt keine Lust heute Abend noch irgendwo mit Kaiba hinzugehen. Die misslungene Shoppingtour hatte mich ganz schön mitgenommen und seit Evas Anruf kreisten meine Gedanken immer noch um das, was sie gesagt hatte: „Kaiba mag dich.“ Aber wenn sie damit wirklich Recht haben sollte, was bedeutete das dann für mich? __________ Fortsetzung folgt... Ich hoffe, es hat euch gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)