Die Tränen der Engel von Pijara ================================================================================ Kapitel 1: Der Fremde --------------------- „Marion? Hey, wo bist du?“ Eilig lief Gabrielle durch den mit Rosen bewachsenen Garten, noch immer auf der Suche nach ihrer Freundin, dem Engel Marion. „Na schön, wenn du dich nicht gleich meldest, dann …“ „Gabrielle?“ Gabrielle stoppte verwirrt und sah sich um. „Ja?“ „Ich bin hier!“, ertönte es zu ihrer Linken. Gabrielle wandte sich nach links und traf kurz darauf auf einen blonden Engel mit strahlend grünen Augen. „Hier bist du!“ „Die Rosen sehen vertrocknet aus.“, bemerkte Marion und strich verträumt über die zarten Blütenblätter. Gabrielle rollte mit den Augen und zog sie schließlich auf die Beine. „Komm mit, ich muss dir was zeigen!“ Ihre Freundin starrte sie misstrauisch an. „Wenn du mir jetzt schon wieder irgendetwas wie … einen Eiskristall zeigen willst, dann…“ „Nein, viel besser! Etwas aus der Menschenwelt!“ „Aus der Menschenwelt?“ „Nun komm schon! Das musst du dir ansehen!“ „Warte doch…“ Doch Gabrielle zog ihre Freundin bereits mit sich, ohne auf ihre Proteste zu achten. Zu zweit stolperten sie durch das Rosenbeet und hielten kurz darauf vor einem gigantischen graugrünen Kampfjet. Marion sah erschrocken auf den langen kraterförmigen Pfad, den der Jet bei seiner Landung in die Erde gerissen hatte. Keine Pflanze war heil geblieben. „Sieh dir diesen Schlamassel an! Was hat dieses Ding hier zu suchen?“, rief sie aufgebracht und sah Gabrielle so wütend an, als hätte sie den Schaden verursacht. „Was schreist du mich an? Hab ich es vielleicht hierher gebracht?“ „Ich hoffe für dich, dass du es nicht warst“ „Ich war es auch nicht. Aber weißt du, was es ist?“ „Das ist ein Kampfjet, Gabrielle. Mit diesen Maschinen bekriegen sich die Menschen auf der Erde.“ „Ziemlich primitiv, sieht aber wirkungsvoll aus.“, murmelte Gabrielle und betrachtete das Flugobjekt interessiert. „Und wie wirkungsvoll das ist, das siehst du doch! Das ganze Beet hier ist zerstört.“ „Ist doch nur dieser Streifen.“ „Schlimm genug!“, zischte Marion verbittert und verschränkte die Arme vor der Brust. Gabrielle wusste nicht genau, was sie sagen sollte und betrachtete ihre Freundin unsicher. Das Sonnenlicht spielte in ihrem blond gelockten Haar. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Gabrielle schließlich schulterzuckend und warf einen ratlosen Blick auf das Ungetüm neben sich. „Das werde ich dir sagen. Wir verschwinden von hier!“ „Ach sei doch kein Spielverderber. Wann haben wir schon die Möglichkeit, etwas aus der Menschenwelt zu sehen?“ „Gott sei Dank selten genug. Aber bitte … bleib von mir aus hier. Ich werde Devion davon in Kenntnis setzen.“ „Ohhh ... immer schön nach Vorschrift, ja?“ Marion seufzte. „Gabrielle, das ist nicht lustig. Wenn ein Kampfjet hier gelandet ist, dann ist der Mensch, der ihn geflogen hat, mit Sicherheit auch hier und du weißt ganz genau, dass die Menschen von unserer Existenz nichts erfahren dürfen. Der Jet muss verschwinden und zwar sofort.“ Gabrielle wich zurück. „Und das sagst du nicht nur, weil er deine geliebten Rosen zerstört hat? Marion, die wachsen doch wieder nach!“ „Wachsen? Wo denn? Hier kann nichts mehr wachsen. Nicht einmal Unkraut!“ „Na ja … dann sieh es doch mal positiv. Wir haben einen neuen Pfad, den wir benutzen können.“ Marion sah aus, als würde sie ihre Freundin auf der Stelle erwürgen. „Du könntest wenigstens so tun, als würde dich das schockieren!“, fauchte sie. „Na gut.“, entgegnete Gabrielle munter und mit einem unnatürlichen Leuchten in den Augen. „Kann ich mir den Jet wenigstens ein einziges Mal von innen anschauen? Bitte, bitte nur einmal!“, bettelte sie dann plötzlich, faltete ihre Hände wie bei einem Gebet zusammen und blickte Marion flehend an. Marions Augenbrauen zogen sich jedoch augenblicklich gefährlich zusammen. „Kommt gar nicht in Frage. Stell dir vor, es passiert was! Du kriegst so gewaltigen Ärger, das kannst du dir nicht einmal im Traum vorstellen.“ Gabrielle wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Marion plötzlich aufschrie und zurückwich. Erschrocken wirbelte sie herum und schrie ebenfalls auf. Ein junger Mann, knapp 20 Jahren kam torkelnd auf die Beine und sah sich verwundert um. Sein schulterlanges, braunes Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht und seine grau-grüne Uniform starrte vor Schmutz und war völlig zerfetzt. Marion wich weiter zurück, unfähig irgendwas zu sagen und augenblicklich fiel Gabrielle wieder ein, dass ihre Freundin Menschen mehr als alles Andere fürchtete. Es war ein paar Jahre her, doch Gabrielle erinnerte sich noch gut daran, wie ihre Freundin völlig verstört aus der Menschenwelt zurückgekehrt war. Ihre Haare waren vollkommen zerzaust und ihre Federn komplett durcheinander geraten. Später erfuhr sie, dass ihre Freundin von einem Menschen fast abgeschossen worden war, als sie über den Wipfeln der Bäume hinweggeflogen war. Seit diesem Tag mied Marion diese Rasse, wo es nur ging. Gabrielle biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Sie konnte ihre Freundin schon verstehen, aber sie war auch unglaublich neugierig und hatte schon immer eine leidenschaftliche Schwäche für die Menschenwelt gehabt. Jetzt hatte sie die Gelegenheit, direkt etwas über sie zu erfahren. Und es war ihre Neugier, die am Ende über sie siegte. Langsam ging sie auf den Fremden zu. Ihre Hände zitterten vor Nervosität, doch darauf achtete sie nicht. „Wo ... wo zum Teufel bin ich?“, stieß er plötzlich hervor und betrachtete Gabrielle misstrauisch von oben bis unten an. Ihre blonden Haare, das schmale Gesicht, die klaren grünen Augen und die langen elfenbeinfarbenen Flügel. „Du … bist ein Engel.“ Gabrielle stutze, sah nach hinten auf ihre Flügel und zuckte mit den Schultern. „Und du … bist ein Genie!“ Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Moment … wenn du … du ein Engel bist, heißt das, dass ich tot bin?“ Gabrielle blinzelte unsicher. „Oh nein, tot bist du nicht, nur ... falsch abgebogen.“, beruhigte sie ihn und warf einen unsicheren Blick auf Marion. Sie beobachtete alles aus nächster Nähe. „Falsch abgebogen? Inwiefern?“ Gabrielle kicherte. „Na ja … du bist mit Sicherheit mit deinem … wie hieß das noch gleich … Kampfjet durch das Portal nach Angel-Island geflogen. Aber im Himmel bist du deswegen nicht!“ „Und wo bin ich dann?“ „Zuhören ist nicht deine Stärke, was? Du bist in Angel-Island, hab ich doch grad gesagt!“ Der Fremde rang nach Beherrschung. „Na schön, aber was ist Angel-Island?“, fuhr er sie aufgebracht an. Gabrielles Stirn legte sich in Falten. „Du brauchst nicht gleich auszurasten. Wenn dir die Fantasie dazu fehlt, um dir vorzustellen, um was es sich bei Angel-Island handelt, kann ich auch nichts dafür!“, schoss sie wütend zurück. Der Fremde merkte sofort, dass seine Reaktion offenbar zu heftig ausgefallen war. Abwehrend hob er die Hände. „Okay, tut mir leid! Ich wollte nicht so … austicken. Mein Name ist Tommy Hall. Und du bist?“ Gabrielle blickte Tommy verwirrt an, als er ihr seine Hand entgegenstreckte. Ratlos blickte sie von seiner Hand auf ihn, zu Marion und wieder zurück. Schließlich deutete sie auf seine Hand und fragte: „Was soll das werden?“ Tommy runzelte überrascht die Stirn. „Na ja … so sagen wir uns in der Menschenwelt Hallo.“ Lächelnd legte sie den Kopf schief. „Ach wirklich?“ Ein wenig zögernd ergriff sie seine Hand und kicherte verlegen. Tommy schmunzelte angesichts ihrer Kindlichkeit. „Hast du auch einen Namen?“ „Ja.“ Ein paar Sekunden vergingen, bis er schließlich fragte: „Und der wäre?“ „Ich ...“ „Gabrielle!“, rief Marion warnend, was Gabrielle schmunzeln ließ. „Jetzt weißt du ihn.“, beantwortete sie seine Frage „Ja und nun kannst du ohne Probleme wieder verschwinden!“, rief Marion ihm zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Gabrielle warf ihr einen bösen Blick zu. „Deine Gastfreundschaft scheint sich heute ganz schön in Grenzen zu halten!“, fauchte sie ihre Freundin an und wandte sich wieder Tommy zu. „Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund dafür, dass du hier bist?“ Tommy kratzte sich am Kopf. „Eigentlich … nicht wirklich. Ich schätze, das war Zufall. Aber … entschuldige, wenn ich nochmal fragen muss, aber … was ist Angel-Island?“ Gabrielle lächelte ihn nachsichtig an. „Angel-Island ist so eine Art Zwischendimension, in der wir Engel leben.“ „Ich dachte, ihr lebt im Himmel.“ „Nein, nicht ganz. Es gibt schon Engel, die dort leben, aber bei denen handelt es sich nur um die Erzengel. Gabriel, Raphael, Michael, Uriel … die kennst du bestimmt schon. Wir … normalen Engel haben unser eigenes Reich.“ Tommy blinzelte verwirrt. „Ehm … normale Engel?“ „Ja, normale Engel! Wir sind für die Kleinigkeiten zuständig!“ „Zum Beispiel?“ „Na ja … die Natur, das Schicksal…“ „Seit wann ist das Schicksal eine Kleinigkeit?“ Gabrielle blickte ihn ratlos an, bis es Klick machte. „Ach so … nein, ich meinte jetzt nicht das Schicksal im Sinne von Es festlegen. Wir überwachen es lediglich ... sorgen dafür, dass alles so geschieht, wie es vorbestimmt wurde.“ „Eine Kleinigkeit. Sicher!“ Gabrielle sah ihn verwirrt an. Der sarkastische Unterton in seiner Stimme war ihr nicht entgangen. „Warum nicht? Erzengel haben viel schwierigere Aufgaben.“ „Schon gut, ich sage nichts. Aber soll das jetzt heißen, dass du das Schicksal jedes einzelnen Menschen kennst?“ Gabrielle schüttelte rasch den Kopf. „Bist du verrückt? Das wär doch viel zu viel für mich allein! Vielleicht ein Drittel, aber nicht alle!“ Tommy schnitt eine Grimasse. „Und wer überwacht die anderen zwei Drittel?“ Gabrielle stemmte die Hände in die Hüften. „Du legst es drauf an, was?“ „Ich bin nur neugierig.“ „Ja, das merke ich. Na schön, hör zu…“ „Gabrielle, jetzt reicht es aber! Wir verschwinden von hier! Und du bringst gefälligst deine Klapperkiste wieder auf Vordermann und verschwindest ebenfalls!“, rief Marion, die mittlerweile ihre Fassung wiedergewonnen hatte. Gabrielle warf ihr einen flehenden Blick zu, doch Marion blieb eiskalt. „Und wenn du mich die nächsten zehn Jahre mit diesem Hundeblick ansiehst, vergiss es! Du kannst nicht einfach einem wildfremden Menschen alles über uns Engel erzählen. Vergiss nicht, dass sie eigentlich nichts über uns wissen dürfen.“ „Oh ... macht euch da keine Sorgen. Ich werde ganz sicher niemandem etwas erzählen. Außerdem würde mir das sowieso keiner glauben.“ Gabrielle sah ihn fragend an. „Wieso denn nicht?“ Tommy zuckte mit den Schultern. „Weißt du, wenn ich anfange, darüber zu reden, dass ich einem Engel begegnet bin, lande ich ganz schnell in der Klapsmühle. Bei uns wird so etwas gern mal unter die Kategorie Verrückt eingestuft.“ Gabrielle legte ihre Stirn in Falten. „Warum? Wir existieren doch!“, brummte sie und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Ich sehe es ja, aber … Gabrielle, ich will ehrlich sein. Wir Menschen glauben nur an das, was wir sehen und auch erklären können. Es mag einige Ausnahmen geben, aber der größte Teil der Bevölkerung gehört nun einmal zu den Realisten.“ Der Engel schob die Unterlippe vor. „Das ist albern.“ „Natürlich ist es albern, aber was soll man machen? Man kann die Menschen nicht zwingen, an etwas zu glauben, was sie einfach nicht glauben wollen, verstehst du?“ „Und was glaubst du?“ Tommy dachte kurz nach und ging dann auf sie zu. Vorsichtig nahm er ihre Hand und umschloss sie fest. „Ehrlich gesagt, kann ich nur hoffen, dass das alles nicht nur ein Traum ist.“ „Ehrlich?“ „Ehrlich! Ich … ich kann mir nämlich immer noch nicht vorstellen, dass ich hier tatsächlich einem so wunderschönen Wesen gegenüber stehe.“ Hinter Gabrielle stöhnte Marion wütend auf. „Das kannst du gleich wieder vergessen, mein Freund! Und jetzt bring deinen gottverdammten Jet auf Vordermann und sieh zu, dass du von hier verschwindest. Dir scheint nicht im Mindesten klar zu sein, dass du unsere ganze Welt in Gefahr bringst!“, rief Marion wütend und zerrte Gabrielle von ihm weg. Der junge Engel wehrte sich jedoch heftig. „Hör endlich auf, Marion! Er tut doch niemandem etwas!“ Marion schnaubte verächtlich. „Woher willst gerade du das wissen? Du kennst ihn doch überhaupt nicht!“ Gabrielle riss sich von ihrer Freundin los. „Ach ja und du kennst ihn, oder was?“ „Das hab ich nie behauptet, aber ich kenne die Menschen im Allgemeinen! Herr Gott nochmal, komm doch endlich wieder zur Vernunft. Die Menschen sind gefährlich. Ich habe es doch selbst erlebt.“ „Ohhh … Marion, hör doch endlich auf! Was dir passiert ist, ist nicht gerade schön, aber das heißt doch noch lange nicht, dass jeder Mensch so ist! Außerdem, wer sagt denn, dass der Mensch, der auf dich geschossen hat, dich nicht vielleicht für einen Vogel oder so etwas in der Art gehalten hat? Du hast doch gehört, dass die meisten überhaupt nicht an uns Engel glauben.“ „Das denke ich auch. Zumindest kann ich mir gut vorstellen, dass ihr aus wirklich großer Entfernung von einem Weißkopfseeadler nicht zu unterscheiden seid.“, wandte Tommy ein. Gabrielle sah ihn zweifelnd an. „Das muss aber eine ganz schöne Entfernung sein!“, bemerkte sie trocken. Tommy grinste. „Ich sagte doch aus wirklich großer Entfernung.“ Marion schäumte vor Wut. „Wer hat dich eigentlich nach deiner Meinung gefragt? Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was...“ Marion verstummte. Ein gewaltiger Lärm brauste plötzlich auf und ließ die Luft um sie herum heftig vibrieren. Ratlos fuhren die drei herum und schnappten nach Luft. Ein zweiter Kampfjet schlug im selben Moment mit einem mächtigen Krachen auf dem Boden auf und schlitterte mit atemberaubender Geschwindigkeit auf sie zu. Kapitel 2: Im Zwist ------------------- Marion schwang sich gerade noch rechtzeitig in die Luft, doch Gabrielle, die von dem Anblick des heranpreschenden Jets zu fasziniert war, schien sich der Gefahr überhaupt nicht bewusst zu sein. Tommy kletterte in der Zeit hastig auf seinen Jet und warf einen besorgten Blick zurück. Gabrielle rührte sich noch immer nicht und das Gefährt raste bedrohlich schnell näher. „Gabrielle, mach das du da verschwindest!“, schrie er, doch der Engel rührte sich nicht. Tommy stieß einen wilden Fluch aus, sprang auf den verbogenen Flügel seines Jets und schätzte noch einmal in Windes Eile die Entfernung ab. Dann sprang er von seinem Jet. Mitten im Flug prallte er mit Gabrielle zusammen und gemeinsam rollten sie aus der Landebahn des Jets. Mit einem ohrenbetäubenden Knirschen kam der Jet zum Stehen, nicht ohne jedoch vorher seinen amerikanischen Bruder zu rammen. Tommy stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er lag neben Gabrielle. Sein linker Arm hatte ihre Taille umschlungen, um sie besser festhalten zu können. Der Engel sah immer noch ehrfürchtig auf das monströse Kampfgeschoss und nahm Tommys Berührung gar nicht wahr. Mit einem plötzlichen Ruck kam sie auf die Beine und ließ dabei ihre Flügel unbeabsichtigt in Tommys Gesicht klatschen, der ebenfalls aufgesprungen war und nun unweigerlich zurücktaumelte. Gabrielle bemerkte dies jedoch nicht, sondern rannte auf den Flieger zu. Tommy brauchte gar nicht erst hinzusehen, um zu wissen, dass der Pilot des Kampfjets keineswegs zu seiner Staffel geschweige denn zu seinem Team gehörte. Ganz deutlich war auf der pfeilspitzen Schnauze des Geschosses das Zeichen des Feindes eingraviert und das bedeutete nichts Gutes. „Gabrielle, warte!“, rief er in einem ungewohnten Befehlston. Der Engel wandte sich ihm zu. Die Veränderung in seiner Stimme war ihr keineswegs entgangen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie bedrohlich kühl zurück. Tommy atmete kurz durch, um sich zu beherrschen. „Geh da nicht hin!“, bat er schließlich. „Und warum nicht? Sehr viel anders als deiner ist er doch auch nicht.“ „Das ist keiner von unserer Staffel.“ „Soll heißen?“ „Das ist einer unserer Feinde.“ Gabrielle blickte ihn einen Moment stirnrunzelnd an und lachte dann schließlich. „Ach, Tommy, du scheinst nicht ganz zu verstehen. In Angel-Island gibt es keine Feinde.“ Tommys Augenbrauen zogen sich zusammen. „Aber bei uns auf der Erde gibt es die und er kommt von der Erde.“ Gabrielle blickte ihn wütend an und stemmte die Hände in die Hüften. „Willst du mir verbieten, ihm zu helfen?“ Tommy biss sich auf die Unterlippe, als er merkte, dass er etwas Falsches gesagt hatte. „Ich … also … sei nur vorsichtig. Du weißt nicht, wie dieser Kerl reagiert.“ Der Engel zuckte mit den Schultern. „Wie soll er schon reagieren?“ „Vielleicht ganz anders als ich?“ „Ihr Menschen und euer Misstrauen.“, murmelte sie verständnislos, was Marion kräftig bejahte, als sie neben Gabrielle landete. „Gabrielle hat vollkommen recht. Euer dämliches Misstrauen lässt euch die wirklich schönen Dinge im Leben übersehen, ohne dass ihr es merkt.“ Tommy verkniff sich seine Antwort und sah besorgt auf Gabrielle, die auf das Cockpit zuschwebte. Mit einem lauten Knall sprang die Glaskuppel auf und ein schwarzhaariger Mann mit einer langen Narbe über dem rechten Auge kam zum Vorschein. Gabrielle stutzte. Der Fremde gefiel ihr nicht – ganz und gar nicht. Mit seinen wilden grünen Augen fixierte er sie. Gabrielle fühlte sich sofort unwohl in ihrer Haut und ging auf Abstand. Und das keine Sekunde zu früh. Der Fremde zog einen merkwürdigen Gegenstand aus seinem Gürtel hervor. Gabrielle erkannte sofort, dass er aus Eisen war. Unsicherheit überfiel sie. Was sollte das? War dieser Gegenstand gefährlich? Auch der Fremde schien einen Moment zu zögern, doch dann betätigte er eine Art Abzug und ein bleiernes Geschoss zischte haarscharf an ihrem Kopf vorbei. Gabrielle wich noch mehr zurück. Tommy jedoch war sofort gewarnt. „Gabrielle, verschwinde von dort!“, schrie er und rannte auf das Cockpit zu. Noch bevor die nächste Kugel in Gabrielles Körper einschlagen konnte, ergriff der junge Amerikaner ihre Hand und zerrte den Engel aus der Schussbahn. „Was … was war das?“, fragte sie aufgeregt und nervös zugleich. Tommy stolperte mit ihr ein paar Schritte zurück, das Cockpit immer im Auge behaltend. „Das war eine Waffe. Klein aber wirkungsvoll.“ „Und was....“ Gabrielle riss geschockt die Augen auf, als ihr klar wurde, was Tommy meinte. „Wollte er mich etwa töten?“, rief sie panisch. Tommy kniff die Augen zusammen. „Zutrauen würde ich es ihm. Verfluchter Japaner!“ „Aber ... warum? Er kennt mich doch gar nicht!“ „Glaub mir, das ist ihm ziemlich egal. Lass uns von hier verschwinden.“ „Vergiss es! Kommt gar nicht in Frage. Du bleibst, wo du bist. Wenn ihr zwei Streit habt, bitte, aber lasst uns Engel aus dem Spiel. Seht zu, dass ihr aus Angel-Island verschwindet und beendet euren Krieg in eurer eigenen Welt!“, rief Marion aufgebracht, ergriff Gabrielles Arm und zog sie von Tommy weg. „Warum Verfluchter Japaner?“, fragte Gabrielle und achtete nicht auf Marions Gezeter. „Japan und Amerika befinden sich derzeit im Krieg und …“ „Warum?“ Tommy wollte antworten, als ihm klar wurde, dass er den Grund selbst nicht mehr wusste. „Ehrlich gesagt … ich hab keine Ahnung.“, antwortete er und mit einem Mal klang er mehr als nur erschöpft. „Glaub nicht, dass wir den Krieg wollen. Genauso wenig glaube ich, dass die Japaner den Krieg wollen, aber ... es ist einfach kein Ende abzusehen. Da unten herrscht ein solcher Hass, das … dass es niemanden schert, wenn dabei Tausende von Menschen ums Leben kommen.“ Marion funkelte Tommy an. „Kein Wunder, dass die Erde dem Untergang geweiht ist.“, warf sie dazwischen, was Tommy aufhorchen ließ. „Wie bitte?“ Marion warf den Kopf in den Nacken und knurrte wütend, bis sie schließlich antwortete: „Die Erde leidet unter der Tyrannei von euch Menschen. Dumm nur, dass euch das offenbar überhaupt nicht klar ist! Falls dir das nicht klar sein sollte, aber ihr seid nicht die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten! Was glaubst du, was diese ganzen Naturkatastrophen zu bedeuten haben! Es sind Hilfeschreie, die euch zeigen sollen, was ihr im Begriff seid zu tun. Ihr zerstört eure Heimat!“, klärte Marion Tommy auf und Gabrielle konnte nicht anders als darüber zu staunen, was Marion alles von den Menschen wusste. Der junge Soldat wollte gerade etwas erwidern, als er ein Geräusch vernahm, was unzweifelhaft aus dem Cockpit des gegnerischen Jets erklang. Mit einem unguten Gefühl sah er zum Jet. Der Japaner sprang heraus und sah sich um. Gabrielle ging unweigerlich ein paar Schritte zurück. „Wirklich ein sehr nettes Fleckchen Erde.“ Gabrielle rauchte vor Zorn. „Das ist nicht die Erde!“, fauchte sie. Tommy zögerte nicht lange, sondern verschloss ihren Mund mit einer Hand zum Zeichen, dass sie schweigen sollte. Der Japaner blickte sie neugierig an. „Interessant? Was ist es dann? Was hatte dieser Wirbel zu bedeuten? Bin ich in einer anderen Zeit, einer anderen Welt?“ „Du bist ganz schön neugierig.“, knurrte Tommy, der sich nur mit Mühe beherrschen konnte. Marion wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Tommy schnitt ihr mit einer scharfen Geste das Wort ab. „Rede lieber nicht mit ihm. Wer weiß, was er vor hat. Ein falsches Wort und er schnappt sich euer Land oder vernichtet jeden Engel hier.“ „Ein Reich der Engel? Wie interessant.“ Tommy hätte sich am liebsten geohrfeigt. Soviel dazu, ihm nichts zu offenbaren. Offensichtlich sah Marion das genauso, denn sie verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust und blickte Tommy feindselig an. „Ganz hervorragend! Warum durfte ich ihm das nicht selbst sagen?“, zischte sie ihn an. Tommy suchte verzweifelt nach Worten, brachte aber keinen Ton heraus. Der Japaner grinste boshaft und wandte sich an Marion: „Du scheinst ja gesprächiger zu sein als er, also kläre du mich mal etwas über euer Reich auf.“ Die Augen des Engels sprühten Funken. „Einen Teufel werd ich! Aber du wirst sofort in deine verdammte Maschine steigen und von hier verschwinden. Und du!“ Sie deutete auf Tommy. „Du kannst dich ihm gleich anschließen!“, schrie sie. „Hör auf, Marion! Lass Tommy in Ruhe. Er hat schließlich überhaupt nichts getan.“, meldete sich Gabrielle zu Wort. Schützend stellte sie sich vor den jungen Amerikaner, der offenbar noch nicht ganz glauben konnte, was hier gerade geschah. „Sei doch vernünftig, Gabrielle! Du weißt ebenso gut wie ich, dass hier gerade alles aus dem Ruder läuft. Was hier passiert, darf nicht passieren! Hast du eigentlich eine Ahnung, was für einen Ärger wir kriegen? Die beiden müssen in ihre Welt zurück – da gehören sie nun einmal hin.“ Gabrielle schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich will aber, dass er hier bleibt.“ Wie zur Bestätigung ergriff sie seine Hand und umschloss sie so fest sie konnte. Marion entging das nicht und Nervosität machte sich in ihr breit. Zitternd streckte sie ihr ihre Hand entgegen. „Gabrielle, bitte komm her!“ Doch der Engel schüttelte beharrlich den Kopf. „Nein!“ „Bitte!“, flehte Marion, doch Gabrielle blieb eisern. „Wenn er gehen soll ... dann werde ich mit ihm gehen.“ Kapitel 3: Feuer ---------------- „Und wo willst du hin? Du kannst unmöglich als Engel in der Welt der Menschen leben.“ „Du warst doch auch dort und hast überlebt!“, entgegnete Gabrielle trotzig. „Und trotzdem kannst du nicht für immer bleiben! Komm doch endlich wieder zur Vernunft! Ich meine, sieh dich doch mal um! Das hier ist deine Heimat. Willst du sie wirklich für einen wie ihn aufgeben?“ „Ich...“ Gabrielle zögerte. „Gabrielle, bitte! Ich bin deine Freundin und ich will nicht, dass dir was passiert.“ Unsicher sah Gabrielle ihre Freundin an. Sie konnte verstehen, was in ihr vorging, aber sie konnte sich auch nicht des Gefühls erwehren, das sich in ihrem Inneren mit bahnbrechender Geschwindigkeit ausbreitete. Irgendwas kroch in ihr hoch. Etwas, das sie noch nie gefühlt hatte. Ein Gefühl, das ihr völlig fremd war. „Was würde denn passieren, wenn sie versuchen würde, in der Menschenwelt zu leben?“, fragte Tommy, der sich – aufgrund der Tatsache, dass zwei Freundinnen sich seinetwegen stritten – nicht wohl in seiner Haut fühlte. „Ich kann dir nur so viel sagen, dass kein Engel, der in der Menschenwelt leben wollte, zurückgekehrt ist. Sie … verschwanden einfach.“ „Na ja … ist doch auch logisch. Ich meine, wenn sie dort leben, verschwinden sie doch schließlich von hier.“ Marion schüttelte den Kopf. „Nein, so meine ich das nicht. Sie verschwanden richtig. Sie waren weder hier noch in der Menschenwelt existent.“ Marions Blick wurde unruhig. Tommy versteifte sich bei diesen Worten. „Dann wirst du hier bleiben, Gabrielle!“, befahl er und blickte Gabrielle fest an. Doch Gabrielle warf ihm nur einen nachsichtigen Blick zu. „Ach, Tommy! Du wirst doch dieses alberne Schauermärchen nicht etwa glauben. Das ist eine uralte Geschichte, die man den Kleinen erzählt, damit sie auf solche Gedanken gar nicht erst kommen.“ Marion runzelte die Stirn. „Wer sagt dir denn, dass es nicht so ist?“ „Ganz einfach mein Instinkt. Ich kann einfach nicht glauben, dass ein Engel völlig verschwinden soll, nur weil er an einem anderen Ort leben will.“ „Und wenn doch etwas Wahres dran ist?“, hakte Marion verbissen nach. Tommy begann zu zweifeln. Dieser Ort war so anders als seine Welt. Hier herrschten ganz andere Gesetze und so langsam keimte in ihm der Wunsch auf, nach Hause zu fliegen. Er warf einen verstohlenen Blick auf seinen Jet, der von seinem Feind gerammt und ziemlich ramponiert worden war. Flugtauglich wirkte er nicht mehr. Eine Bewegung im Cockpit des Japaners ließ ihn alarmiert herumfahren. Und eine Sekunde später bemerkte er mit Schrecken, wie die Triebwerke zündeten und die beweglichen Flammenwerfer, die an der Unterseite des Rumpfes montiert waren, sich auf die drei richteten. Gabrielle und Marion bemerkten nichts. Selbst aus dieser Entfernung konnte Tommy sehen, wie der Japaner hinterhältig grinste. Dann schoss, noch bevor Tommy irgendeine Warnung rufen konnte, eine gewaltige Feuersäule aus den Werfern. Marions Flügel fingen sofort Feuer und um sie herum begann ein flammendes Inferno. Marion schrie sich die Seele aus dem Leib, wälzte sich auf der Erde und versuchte vergebens, die Flammen zu ersticken. Gabrielle indes war vollkommen erstarrt vor Schreck – als könne sie nicht begreifen, was soeben geschah. Der Feuerkreis um sie wurde immer enger, versengte ihnen die Haut. Gabrielle – vollkommen in Panik – schlug mit ihren Flügeln und katapultierte sich in die Luft, die vom Rauch geschwängert war. Nur schwach konnte sie erkennen, wie Tommy die Flammen erstickte, die Marions Flügel halb zerfressen hatten. Doch auch ohne genau hinzusehen, wusste sie, dass Marion nicht mehr fliegen konnte. Gabrielle zögerte noch einen Moment, dann ging sie in den Sturzflug über, ergriff Tommys und Marions Hand und schwang sich wieder mühsam und ächzend in die Luft. Das Gewicht der beiden zog sie jedoch immer mehr hinunter und mit Erschrecken stellte sie fest, dass sie noch lange nicht über das Flammenmeer hinweg waren. Verzweifelt schlug sie mit den Flügeln, um über dem Boden zu bleiben. Und dann vernahm sie einen ratternden Lärm, der von allen Seiten zu kommen schien. Kurz darauf verspürte sie einen furchtbaren Schmerz, als drei Kugeln ihre Flügel durchbohrten und eine ihre Schulter streifte. Gabrielle verlor sofort an Höhe. Tommy sah mit Schrecken, wie das Feuer unter ihnen immer näher kam. Wie gierige Hände griffen die Flammen nach ihnen. Tommy spürte schon sie sengende Hitze, die von ihnen ausging. Neben ihm schrie Marion vor Schmerz auf, als ein Funken auf ihre Flügel übersprang und sie wieder in Brand setzten. Tommys Blick fiel auf Gabrielle und ihre Flügel, die nicht mehr so kraftvoll die Luft zerteilten wie vorher. „Komm schon, Gabrielle. Nur noch ein Stück.“, feuerte er sie an und warf noch einmal einen Blick auf das Flammenmeer unter ihm. Nur noch ein paar Meter. Marion schrie immer noch und fing zu seinem Entsetzen an wie verrückt zu zappeln. Gabrielle sackte ein gewaltiges Stück in die Tiefe. Ihre Augen brannten und ihre Flügel fühlten sich vollkommen taub an. Dann versagten sie endgültig ihren Dienst. Mit rasender Geschwindigkeit stürzten sie dem Boden entgegen, rauschten über die Flammen hinweg und landeten in einem verworrenen Knäuel aus Federn, Klamottenfetzen und Flammen im Rosenbeet. Tommy fackelte nicht lange, sondern schnappte sich seine Jacke und löschte zum zweiten Mal Marions Flügel, die fast gänzlich abgebrannt waren. Ihr ganzer Rücken glühte tiefrot. Suchend sah er sich nach Gabrielle um, die bewusstlos ein paar Meter von ihm entfernt in den Rosen lag. Ihr blondes Haar war völlig zerzaust und hatte sich wie ein goldener Teppich um sie ausgebreitet. Voller Sorge sah er auf die immer näher kommenden Flammen. Sie mussten verschwinden, wenn sie nicht geröstet werden wollten. Marion wimmerte entsetzlich und versuchte, auf die Beine zu kommen. Tommy half ihr und stützte sie. Erheblich langsamer stolperten sie zu Gabrielle, die sich in nicht im Mindesten regte. „Gabrielle! Gabrielle! Hörst du mich?“ Keine Antwort. Marion ergriff vollkommen in Panik ihre Schultern und schüttelte sie durch. „Bitte! Wach endlich auf, Gabrielle!“, schrie sie hysterisch, während sie immer wieder einen verängstigten Blick auf die näher kommenden Flammen warf. Tommy dachte hastig nach. Gabrielle zeigte nicht das geringste Lebenszeichen. Kurz entschlossen schob er seinen rechten Arm unter ihren Rücken und den linken unter ihre Beine und hob sie hoch. Er war überrascht, wie leicht sie war. „Komm schon, Marion! Wir müssen von hier verschwinden.“ Er wandte sich zum Gehen, doch Marion hielt ihn an der Schulter fest. „Warte, wir müssen nach rechts. Geradeaus ist es zu gefährlich. Da holt uns das Feuer mit Garantie ein. Aber in dieser Richtung liegt ein Wasserfall. Da haben wir sicher mehr Glück.“ Tommy nickte einsichtig und folgte dem Engel durch das Rosenbeet. Es behagte ihm gar nicht, dass sie diese Richtung eingeschlagen hatten, denn so liefen sie parallel zu den Flammen, die sich immer weiter durch das Rosenbeet fraßen. So schnell sie konnten, bahnten sie sich einen Weg durch das Gewirr von Dornen, das sich immer wieder in ihren Kleidern verhakte und ihre Flucht so erheblich verlangsamte. Dann vernahm er endlich das ohrenbetäubende Rauschen eines riesigen Wasserfalls, der direkt vor ihnen in die Tiefe preschte und aus dem Nichts zu kommen schien. Nur bei genauem Hinsehen, konnte er erkennen, dass ungefähr hundert Meter von ihnen entfernt ein breiter Fluss sich durch die Rosen schlängelte. Was es nicht alles gab. „Und was jetzt?“, schrie er. Marion deutete auf einen Pfad nicht weit von ihnen, der in die Schlucht führte. Eilig rannten sie darauf zu und der mühsame Abstieg begann. Mit Gabrielle auf dem Arm war es verdammt schwer voranzukommen, da er nicht sehen konnte, wohin er seine Schritte setzte. Er musste Marion auf Schritt und Tritt folgen, da es zu seiner rechten Seite steil in die Tiefe ging. Gabrielle regte sich plötzlich. Tommy blieb abrupt stehen. „Gabrielle? Alles in Ordnung?“ Marion fuhr herum und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als Gabrielle die Augen aufschlug. „Gott sei Dank, sie ist in Ordnung.“ „Nicht ganz.“, winkte er ab. „Lass mich runter.“, flüsterte Gabrielle und fuhr sich durch das Haar. Tommy setzte sie ab. „Deine Schulter sieht böse aus.“, stellte er fest und fing sich sofort einen scharfen Blick von Marion ein. „Das ist alles nur deine Schuld! Wärst du nicht hier gelandet, hätte dein Freund auch nie hierhergefunden und nichts von all dem, was gerade passiert ist, wäre geschehen!“ „Er ist kein Freund von mir!“, verteidigte er sich, doch Marion ließ ihn nicht weiter zur Wort kommen. „Sieh dir meine Flügel an oder das, was von ihnen übrig ist! Keiner kann sie mir ersetzen! Und heilen wird das niemals! Ich werde nie wieder fliegen können!“, schrie sie ihn an und brach schließlich in Tränen aus. Tommy schwieg. Was hätte er auch erwidern sollen? Er konnte Marion verstehen. Andererseits war es nicht gerecht, dass sie ihren Schmerz an ihm ausließ. Letztendlich war der Japaner für das ganze Inferno verantwortlich und nicht er. Gabrielle stolperte ein paar Schritte weiter und sah dann hinauf in den Himmel. „Nichts geschieht grundlos, Marion, und das weißt du auch!“, murmelte sie, was Marion mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck quittierte. „Und was bitteschön habe ich so Grausames verbrochen, dass man mir meine Flügel nimmt?“, schrie sie aufgebracht und übertönte sogar das Donnern des Wasserfalls. „Marion!“ „Sei still! Du willst ihn doch nur in Schutz nehmen und versuchst deshalb, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben! Aber ob du es willst oder nicht, meine liebe Gabrielle, das alles ist nur seinetwegen passiert!“ „Hörst du vielleicht endlich mal damit auf, Marion? Er hat doch überhaupt keine Ahnung, um was es hier eigentlich geht. Er kennt dieses Land ja nicht einmal!“ „Und genau aus diesem Grund will er es ja für sich haben!“ „Herr Gott nochmal, red doch nicht so einen Unsinn! Er hat das Feuer doch überhaupt nicht entfacht!“ „Wie naiv bist du eigentlich? Merkst du nicht, dass die beiden unter einer Decke stecken?“ Gabrielle prallte überrascht zurück. „Und zu welchem Sinn und Zweck bitte?“ „Um unser Reich zu beherrschen!“ Gabrielle schwieg kurz, bis sie schließlich herablassend den Kopf schüttelte. „Du leidest unter Verfolgungswahn, Marion.“ Und dann brauste sie plötzlich los: „Sie wussten bisher noch gar nichts von uns!“ Marions Augenbrauen zogen sich zusammen. „Glaub doch meinetwegen, was du willst, aber ich werde Devion Bericht erstatten und du weißt, was dann passieren wird!“, fuhr sie Gabrielle an und rauschte an ihr vorbei. Gabrielle zitterte. „Marion, warte ...“ Doch Marion war verschwunden. Tommy trat neben sie und blickte verwirrt auf den Pfad vor ihm. „Wie ... hat sie das gemacht?“ Der Engel seufzte. „Das ist eine ihrer Fähigkeiten. Teleportation. Man braucht viel Konzentration, um das zu bewerkstelligen, aber … daran schien es ihr scheinbar nicht zu mangeln.“ „Warum hat sie das nicht vorhin getan?“ Gabrielle lächelte schwach. „Ich sagte ja, sie muss sich stark konzentrieren, um das zu schaffen und vorhin war sie in Panik.“ Tommy runzelte die Stirn. „War sie denn jetzt ruhiger?“ „Zumindest hatte sie sie einen ziemlich starken Wunsch. Sie wollte weg von uns ... von dir.“ Tommy senkte den Blick. „Vielleicht hat sie ja recht. Ich hätte nie hierher kommen sollen.“ Gabrielle stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihn fest an. „Sag mir nur eins und ich will die Wahrheit wissen. Hat sie recht, mit dem was sie gesagt hat? Machst du mit diesem Mann gemeinsame Sache, um unser Reich zu zerstören?“ Tommys Blick wechselte in Überraschung. „Nein. Gabrielle, ich schwöre dir, so etwas würde ich niemals tun!“ Gabrielle blickte ihn immer noch zweifelnd an. Es herrschte betretenes Schweigen zwischen ihnen, bis sich Tommy schließlich straffte. „Was hat Marion damit gemeint, als sie sagte, du wüsstest, was passiert, wenn ... wie hieß er doch gleich … Devion alles weiß?“ Zu seiner Überraschung ließ sie die Schultern hängen und blickte erschöpft zu Boden. „Devion schickt die Menschen wieder in ihre Welt zurück.“ Eine Antwort, mit der Tommy gerechnet hatte. „Ist das denn so schlecht? Ich meine, ich könnte ein bisschen Hilfe gut gebrauchen. Meine Maschine wird wohl nie wieder fliegen.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie ihn wieder anblickte. Zu seinem Erstaunen schimmerten Tränen in ihren Augen. „Aber er löscht auch all ihre Erinnerungen, die sie an unsere Welt haben.“ Ein paar Sekunden lang stand Tommy vollkommen perplex da und sortierte krampfhaft seine Gedanken. Er wollte Gabrielle nicht vergessen, wollte sie für immer so in Erinnerung behalten, wie sie hier vor ihm stand. „Das … ist keine sehr angenehme Nachricht.“, brachte er mühsam hervor und ergriff ihre Hand. „Ich will dich nicht vergessen.“, gab er zu, was den Engel letztendlich in Tränen ausbrechen ließ. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte. Sie setzte gerade zu einer Antwort an, als ein aufbrausender Lärm über ihnen ertönte. „Was ist das?“, schrie sie, als der Lärm zu einem gewaltigen Crescendo anschwoll. Tommys Gedanken überschlugen sich. Dieser Lärm konnte nur Eines bedeuten. „Ich vermute mal, das ist der Jet des Japaners!“, rief er über den Lärm hinweg – hoffte innerlich aber, dass er sich irrte. Doch keine Sekunde später rauschte der riesige Jet über sie hinweg und steuerte das Herz Angel-Islands an Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)