Vertraue mir von Pijara ================================================================================ Kapitel 1: Die Explosion ------------------------ Kiara streckte sich genüsslich, als der Wecker klingelte und sie aus dem Schlaf riss. Ihr gegenüber murmelte Yugi schlaftrunken: „Lass mich noch fünf Minuten.“, bevor er wieder in den Schlaf hinüberglitt. Kiara rollte mit den Augen und sprang aus dem Bett. „Von wegen noch fünf Minuten! Raus aus den Federn, ich darf auch nicht länger schlafen!“, rief sie und zog Yugi die Bettdecke weg. Yugi fuhr hoch und blickte sie fragend an. „Was wird das jetzt?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Das ist dein morgendlicher Weckruf, damit du pünktlich zur Schule kommst.“, antwortete sie lächelnd und fing sich einen entrüsteten Blick von ihrem Bruder ein. „Schule? Ich glaube, ich muss dir mal eine Liste mit Wörtern geben, die du mir am frühen Morgen unter keinen Umständen an den Kopf werfen darfst.“ Kiara rollte mit den Augen und wandte sich ihrem Schrank zu, während sie fragte: „An welcher Stelle steht das Wort Schule?“ „An oberster Stelle.“ „Uhhh….überraschend.“ „Ich weiß.“, murmelte Yugi, während er sich langsam aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Kiara schmunzelte. „Und du glaubst, ich freu mich auf die Schule?“, fragte sie ihn und klaubte ihre Uniform aus dem Schrank. „Du kannst ja meine auch gleich mal herausholen.“, bat Yugi, während er seine Bettdecke von Kiaras Bett klaubte und sie ordentlich auf seinem ausbreitete. Dann machte er sich daran, Kiaras Decke zu glätten. Kiara indes legte ihre Uniformen auf sein Bett und verschwand im Bad. Höchste Zeit für den Pharao, sich bemerkbar zu machen. „Hey, Yugi!“ Yugi blickte auf und blickte die blasse Silhouette des Pharaos an, der ihn besorgt musterte. „Also, was ist los?“ „Es geht um heute Nacht.“ „Das dachte ich mir schon. Drück dich doch ein wenig konkreter aus.“ „Ist dir denn gar nicht aufgefallen, dass Kiara heute Nacht wie verrückt um sich geschlagen hat?“ „Schon wieder?“ „Das ist jetzt schon die dritte Nacht in Folge. Irgendwas stimmt da doch nicht.“ „Und was soll ich jetzt machen? Soll ich sie fragen? Das einzige, was ich als Antwort bekäme, wäre Ich hatte einen Albtraum. Und was soll ich dagegen dann machen? Sie vom Schlafen abhalten?“ „Jetzt werd doch nicht gleich so knietschig. Aber du könntest dich doch wenigstens mal danach erkundigen. Yugi, sie ist deine Schwester. Brauchst du einen Grund dafür, dass du dir Sorgen machst?“ Yugi wollte gerade etwas erwidern, als sich die Tür öffnete und Kiara den Raum betrat. Der Pharao verschwand und Yugi sprang hastig auf. „Ist was?“, fragte Kiara, doch Yugi antwortete nicht und verschwand stattdessen eilig im Bad. Kiara blickte ihm ratlos nach, zuckte schließlich mit den Schultern und zog sich um. Der Rest des Morgens verlief ereignislos. Yugi hatte beschlossen, Kiara nach der Schule auf ihre letzten Nächte anzusprechen und so machten sie sich zusammen auf den Weg zur Schule. „Ich hab keine Lust auf die Schule!“, jammerte Kiara, als sie um eine Ecke bogen und eine schmale Allee entlang liefen. „Du hast doch nur keine Lust, weil wir als erstes Geschichte haben.“ „Und? Ist das ein Verbrechen?“ „Hab ich denn ein Recht dazu dich dafür zu verurteilen?“, fragte Yugi zurück. Kiara dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein, hast du nicht.“ Yugi zuckte mit den Schultern. „Na dann … hat es doch sowieso keinen Sinn, irgendwas zu sagen.“ Kiara grinste. Doch einen Augenblick später verschwand dieses Grinsen und wich purem Entsetzen. Yugi runzelte die Stirn und folgte ihrem Blick. Seine Kinnlade klappte herunter. Keine fünfzig Meter vor ihnen stand ein Haus in Flammen. Dicker schwarzer Qualm stieg in den Himmel hinauf und verdüsterte ihn, als wäre es später Abend. Kiara schüttelte ungläubig den Kopf. Es war ihr ein Rätsel, dass es bisher niemand bemerkt zu haben schien, dass ein Haus in der Nachbarschaft lichterloh brannte. Die Zwillinge liefen auf das Haus zu und blickten wie apathisch auf die lodernden Flammen, die aus vereinzelten Löchern in die Höhe leckten und nach und nach immer mehr Löcher in das Haus fraßen. Kiara schluckte und griff nach Yugis Ärmel. „Yugi, lass uns von hier verschwinden. Wir müssen Hilfe holen.“ Yugi antwortete nicht. Er reagierte überhaupt nicht, sondern blickte nur mit glasigen Augen auf das Haus. Er schien nicht im Mindesten wahrzunehmen, was um ihn herum sonst noch geschah. Kiara zerrte an seinem Ärmel. „Yugi, bitte…“, flehte sie. Yugi blickte sie an. Ein seltsam träumerischer Ausdruck lag in seinem Gesicht, der Kiara Angst machte. „Hilfe ist doch bestimmt schon unterwegs.“, murmelte er tonlos. Kiara erschrak, als ihr klar wurde, dass Yugi unter Schock stand. „Yugi, komm schon! Wir müssen verschwinden, ehe das ganze Haus in die…“ Ein gewaltiges Donnern erfüllte plötzlich die Luft. Fieberglas flog durch die Luft. Steinsplitter und einzelne Brocken regneten auf sie herab. Die Zwillinge hatten das Gefühl, als würde die Welt untergehen. Die Druckwelle, die durch die Explosion entstand, schleuderte Kiara und Yugi durch die Luft und gegen eine niedrige Gartenmauer. Yugi fiel direkt in eines des Gebüsche, während Kiara ungebremst mit dem Kopf gegen den Rand der Mauer krachte. Für einen kurzen Augenblick tanzten Abermillionen von Sternen vor ihren Augen, bis sie schließlich das Bewusstsein verlor. Der Lärm des Martinshorns riss Yugi aus seiner Bewusstlosigkeit heraus. Torkelnd kam er wieder auf die Beine und blickte sich verwirrt um. Feuerwehrleute hasteten durch die Gegend, rollten Wasserschläuche aus, schlossen sie an die Hydranten an und machten sich daran, das Feuer zu löschen, was sich bereits zu einer wahren Flammenhölle ausgebreitet hatte. Einer der Helfer bemerkte Yugi, der aus dem Gebüsch kletterte und sich nach Kiara umsah. „Hey, du! Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte der Mann und kam auf ihn zu. Yugi nickte benommen, stolperte allerdings über seine eigenen Füße und wurde von dem Fremden aufgefangen, noch ehe er auf dem Boden aufschlug. „Wo … wo ist Kiara?“, fragte er, während der Helfer ihn zu einem der Krankenwagen geleitete, die ein paar Meter entfernt auf dem Gehweg parkten. „Wer?“ „Meine Schwester. Sie … sie war dabei, als das Haus … explodierte.“ Der Mann deutete auf eine Trage, die gerade in einen zweiten Krankenwagen geschoben wurde. „Meinst du das Mädchen dort drüben?“, fragte er und für einen Moment stockte Yugi der Atem, als er Kiaras schwarzes Haar zu beiden Seiten der Trage herabfließen sah. „Kiara!“, rief er und war mit einem Mal hellwach. Hastig riss er sich von dem Mann los und lief auf den Krankenwagen zu. „Was ist mit ihr? Kommt sie wieder auf die Beine? Geht es ihr gut?“ Einer der Sanitäter warf ihm einen strengen Blick zu, bis ihm die Ähnlichkeit von Yugi und Kiara auffiel. „Bist du mit ihr verwandt?“ „Sie ist meine Schwester?“, rief er aufgebracht. Der Sanitäter beobachtete, wie die Trage in den Wagen geschoben wurde und wandte sich dann wieder Yugi zu. „Ehrlich gesagt, hat es deine Schwester übel erwischt. Ich kann dir noch nichts Genaues sagen, aber eine Gehirnerschütterung hat sie auf jeden Fall. Was ist passiert?“, fragte er, während er Yugi am Ärmel ergriff und ihn in den Wagen geleitete. Drinnen ließ sich Yugi auf einen Stuhl neben der Trage sinken. „Wir waren dabei, als das Haus explodierte. Die Druckwelle hat uns sozusagen eine kleine Rundreise spendiert.“ Der Sanitäter nickte und betupfte vorsichtig Yugis Platzwunde an der Stirn mit einem Wattepad, das er vorher mit einem Desinfektionsmittel besprüht hatte. Yugi kniff die Augen zusammen, als ein stechender Schmerz durch seinen Körper fuhr. „Deine Schwester ist mit dem Kopf gegen die Mauer gefallen. Ich weiß also noch nicht wirklich, wie es genau um sie steht.“ „Können Sie meinen Großvater informieren?“, fragte Yugi zitternd. Der Sanitäter blickte ihn kurz forschend an und nickte schließlich. Dann ließ er sich von Yugi die Telefonnummer geben und verschwand im Führerhaus. Yugi rappelte sich auf und sah seine Schwester besorgt an. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem ging flach. Ein dicker Verband schmiegte sich um ihre Stirn und eine Halskrause schützte ihren Hals. Yugi hatte das Gefühl, als würde in seinem Innersten ein Eisklumpen seine Eingeweide einfrieren. Ein furchtbares Gefühl von Kälte und Angst beherrschte ihn, als ihm klar wurde, wie schlecht es um Kiara stand. Was sollte er machen, wenn Kiara nicht überleben würde? Doch beinah sofort schob er diesen Gedanken wieder beiseite. So schlimm dürfte es wohl kaum sein. Das Gefühl, plötzlich schrecklich einsam zu sein, beschlich ihn. Er wollte Kiara aufwecken, sie durchschütteln, bis sie ihre Augen öffnete und ihn lächelnd umarmte, während sie ihm versicherte, dass alles in Ordnung sei. Doch als er sie wieder anblickte, wurde ihm klar, dass er sich nur falsche Hoffnungen machte. Wäre dies alles doch nur ein schlechter Traum. Würde er doch nur aufwachen, in seinem Bett liegen und sehen, dass Kiara ihm gegenüber in ihrem Bett lag und friedlich schlief. Doch es war kein Traum. Es war harte Realität. Ihm gegenüber erschien der Pharao, der Yugi traurig anblickte. „Ist mir dir alles in Ordnung, Yugi?“ „Das ist alles meine Schuld.“ „Nein, Yugi, das ist doch …“ „Doch das ist es. Wenn ich nicht einfach da herumgestanden hätte, als wäre ich festgewachsen … wenn ich nur auf sie gehört hätte …“ „Du standest unter Schock, Yugi! Gib dir nicht die Schuld, weil du …“ „Weil ich was? Weil ich die Nerven verloren habe?“ „Yugi!“ „Hör auf, Pharao! Du kannst es drehen und wenden, wie du willst. Hätte ich auf Kiara gehört, wäre es gar nicht erst so weit gekommen.“ Eine Weile herrschte Schweigen, bis Yugi schließlich flüsterte: „Glaubst du, sie wird …“ „So darfst du gar nicht erst denken.“, unterbrach der Pharao seinen Gedankengang, doch er konnte nicht verhindern, dass ihn plötzlich eine furchtbare Angst erfasste. Wenn Yugi nun Recht hatte? Die Fahrt zum Krankenhaus kam Yugi endlos vor und als sie in der Notaufnahme ankamen, hatte er das Gefühl, alles würde sich nur in Zeitlupe abspielen. Einer der Sanitäter führte ihn in ein Behandlungszimmer, während Kiara eilig in einen OP-Saal geschoben wurde. Von da an verlor Yugi seine Schwester aus den Augen. Kapitel 2: Der Schock --------------------- Erst als Yugi am Nachmittag erwachte, wurde ihm klar, dass ihm die Ärzte ein Beruhigungsmittel verabreicht hatten. Wütend setzte er sich auf, bereute dies jedoch sofort, als ihm schwarz vor Augen wurde und er sich langsam wieder in sein Kissen sinken ließ. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus und startete einen neuerlichen Versuch. Diesmal blieb seine Sicht klar. Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen und sein Großvater stürmte in das Zimmer, gefolgt von Tea, Tristan, Joey und Duke, die ihn allesamt mit besorgten Gesichtern musterten. „Bist du in Ordnung, Yugi?“, fragte sein Großvater, während sich Yugis Freunde auf den Rand des Bettes setzten. „Ich denke schon. Wie geht es Kiara?“ Großvater Muto schloss die Augen und Yugi beschlich ein böser Verdacht. „Sie ist doch noch am Leben oder?“ „Natürlich.“, antwortete er sofort und blickte ihn verängstigt an. „Sie liegt auf der Intensivstation. Die Ärzte sagen, sie wird durchkommen.“ Yugi ließ die Worte auf sich einwirken und fiel dann erleichtert in sein Bett zurück. „Können wir zu ihr?“ „Sie sagen uns Bescheid, wenn sie aufwacht. Bis dahin …“ Ein zweites Mal wurde die Tür geöffnet und ein sympathisch aussehender Arzt Ende zwanzig betrat das Zimmer. Um seinen Hals trug er ein Stethoskop und unter dem Arm ein Klemmbrett. „Ah … sehr schön, du bist wach. Ich bin Dr. Makoru. Und ich nehme mal an, dass hier sind deine Freunde?“ „Meine Freunde und mein Großvater.“, stelle Yugi sie vor. „Und? Wie fühlst du dich?“ „Blendend.“ „Du hast ja auch noch mal richtiges Glück gehabt.“, bemerkte der Arzt freundlich und blickte kurz auf sein Klemmbrett. „Also… außer dieser beeindruckenden Platzwunde an deiner Stirn, ein paar Blutergüssen und mehreren Kratzern bist du völlig in Ordnung. Eine Gehirnerschütterung konnten wir bisher nicht feststellen. Hast du Kopfschmerzen?“ Wahrheitsgetreu schüttelte Yugi den Kopf. „Dann dreh mal den Kopf nach rechts und nach links.“ Yugi tat wie ihm geheißen. „Wird dir irgendwie schwindelig?“ Yugi schüttelte den Kopf. „Irgendwelche anderen Beschwerden? Übelkeit?“ „Nix!“ „Na schön. Dann denke ich, kannst du auch heute wieder nach Hause. Aber wenn du noch irgendetwas bemerkst, irgendwelche Schwindelanfälle, kommst du noch mal hierher, ja?“ „Was ist mit meiner Schwester?“ Dr. Makoru blickte ein zweites Mal auf sein Klemmbrett. „Kiara Muto, richtig? Eigentlich müsste sie bald aufwachen. Wenn ihr wollt, könnt ihr kurz zu ihr. Aber leise… sie braucht erst einmal Ruhe.“ Yugi sprang aus seinem Bett und folgte dem Arzt. Großvater Muto nahm zusammen mit den anderen die Verfolgung auf. Dr. Makoru führte sie zwei Stockwerke tiefer zur Intensivstation und blieb vor einem Einzelzimmer stehen. „Wartet bitte kurz.“ Damit verschwand er und kehrte kurz darauf mit sechs flaschengrünen Kitteln zurück. Yugi und seine Freunde schlüpften hinein und betraten dann das Zimmer. Der Duel Monsters-Champion wurde von einer Gänsehaut erfasst, als er Kiara erblickte. Mit geschlossenen Augen lag sie da, an diverse Schläuche und Drähte gefesselt, während zwei Monitore stetig irgendwelche Kurven aufzeichneten. Yugi ließ sich neben ihr auf die Bettkante sinken und strich ihr sanft ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Zu seiner Überraschung begannen Kiaras Augen zu flackern und sie öffnete die Augen. Erschöpft blickte sie an die Decke. „Kiara?“ Ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite. Yugi kam das komisch, dachte sich aber nichts dabei. „Yugi?“, fragte sie schließlich und ein unheimliches Gefühl beschlich ihn. „Sicher. Wer denn sonst?“ Kiara schloss kurz die Augen, atmete tief durch und öffnete sie wieder. „Wie fühlst du dich?“, fragte Yugi besorgt. Tatsächlich musste er zugeben, dass Kiara ihm allmählich Angst machte. „Ich…“ Mühsam setzte sie sich auf und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Als sie wieder aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen. „Yugi … wer ist sonst noch in diesem Zimmer?“, fragte sie. Yugi erschrak und hinter sich konnte er hören, wie die anderen scharf die Luft einsogen. Auf der anderen Seite des Bettes erschien Dr. Makuro, der in seiner Tasche nach einer Augenleuchte kramte. Yugi schüttelte indes ungläubig den Kopf. „Aber … aber siehst du sie denn nicht?“, fragte er zitternd. Zu seinem Entsetzen schüttelte Kiara kurz darauf den Kopf. „Ich … ich kann nichts sehen.“, stieß sie schluchzend hervor. Ihre Hände begannen zu zittern. Yugi ergriff sie und strich sanft über ihre beiden Handrücken, während Dr. Makuro Kiaras Gesicht in seine Richtung drehte und die kleine Lampe anschaltete. „Also schön, Kiara! Tu mir den Gefallen und bleibt jetzt mal ganz ruhig. Reg dich nicht auf. Wenn du jetzt irgendetwas sehen solltest, sag mir Bescheid ja?“ Kiara nickte und Dr. Makuro leuchtete mit der Lampe in ihre Augen. Immer wieder wechselte er von einem Auge zum anderen. „Kannst du irgendetwas erkennen?“ Kiara schüttelte den Kopf. Der Arzt seufzte, schaltete die Lampe ab und ließ sie wieder in seine Tasche gleiten. „Also schön. Ich konnte zwar im Moment nichts Schlimmes erkennen, aber zur Sicherheit werden wir deine Augen noch einmal untersuchen. Wichtig ist, dass du jetzt nicht in Panik verfällst, ja? Ich schätze, dass das eine Nachwirkung des Unfalls ist. Es hängt mit höchster Wahrscheinlichkeit mit dem Schock zusammen, den du erlitten hast. So etwas kann schon einmal vorkommen. Aber wie gesagt, gerate jetzt nicht in Panik, sondern bleib ganz ruhig. Versprichst du mir das?“ Kiara, die immer noch zitterte, nickte, konnte aber das Wimmern, das sie zittern ließ, nicht unterdrücken. Damit verließ der Arzt das Zimmer und Yugi drückte Kiara an sich. Kapitel 3: Der Kuss des Pharao ------------------------------ Kiara wusste nicht, wie sie die letzte Woche überstanden hatte. Sie wurde von einem Labor in das nächste verfrachtet, bis man schließlich zu dem endgültigen Ergebnis kam, dass die vorläufige Erblindung mit 100%iger Sicherheit von dem Schock herrühre, den Kiara durch die Explosion erlitten hatte. Zwischenzeitlich waren ihre zahlreichen Verletzungen ausgeheilt und die Ärzte kamen darüber überein, Kiara zu entlassen. „Aber sie … sie kann doch noch überhaupt nichts sehen.“, wandte Yugi wütend ein, fing sich jedoch nur einen mitleidigen Blick ein. Dr. Makoru legte das Klemmbrett zur Seite, um die Entlassungspapiere zu unterzeichnen, die ihm eine mollige Krankenschwester entgegenhielt. „Ich versteh dich ja, Yugi. Aber wir können nichts mehr tun. Das, was jetzt einzig und allein helfen wird, ist Geduld und Ruhe.“ „Heißt das …“ „Yugi, bitte. Was sollen wir denn machen? Es gibt keine Spritzen oder Medikamente, die Kiaras Problem beheben können. Und glaub mir, wenn Kiara Zuhause ist, wird sie sich schneller erholen, als wenn sie in diesem sterilen Krankenhaus bleibt, wo sie täglich von kranken Menschen umlagert ist. Ich denke, in der Gegenwart ihrer Freunde, wird sie sich keinesfalls so elend fühlen, wie hier. Außerdem würdest du dich in so einer Situation bei deinen Freunden und Verwandten doch auch wohler fühlen, oder?“, fragte er augenzwinkernd. Yugi ließ die Schultern hängen. „Wie lange kann das Alles denn dauern?“ „Na ja, ein paar Wochen, ein paar Monate, aber …“ „Ein paar Monate?“ „Aber ganz sicher keine Jahre.“ „Oh wie beruhigend.“, knirschte Yugi verbittert und verschränkte die Arme vor der Brust. „Tut mir leid, Yugi, aber den Heilungsprozess kann ich nicht bestimmen. Das hängt ganz allein von Kiara ab.“ „Schon gut, schon gut! Ich hab’s ja kapiert.“ „Ich kann verstehen, dass du wütend bist, aber …“ „Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung! Verstehen Sie, es ist meine Schuld, dass ihr das passiert ist. Wenn ich nicht …“ „Hör auf, dir die Schuld zu geben! Du hast doch die Explosion nicht verursacht, du hast doch kein Feuer gelegt, oder?“ „Aber wenn ich nicht wie von der Tarantel gestochen da herumgestanden hätte …“ „Du standest genauso unter Schock wie deine Schwester!“ „Warum bin ich dann nicht blind?“, fauchte Yugi und wandte sich dann ohne auf eine Antwort zu warten ab. Dr. Makuro blickte ihm traurig nach, bis sich die Krankenschwester neben ihm mit einem Hüsteln bemerkbar machte und er ihr zur Visite folgte. Yugi stapfte indessen wütend den Gang entlang, steuerte Kiaras Zimmer an. „Yugi, jetzt beruhige dich doch mal wieder.“, bemerkte der Pharao, der neben ihm auftauchte und ihn streng musterte. „Ich kann mich nicht beruhigen. Kiara ist blind wie ein Stockfisch und ich soll so tun, als ob nichts wäre?“ „Vielleicht ist es aber auch besser so für sie.“ „Meinst du? Ich soll ganz normal in die Schule gehen, irgendwelche Sätze von der Tafel abschreiben, während Kiara nicht einmal sicher sein kann, ob sie in die richtige Richtung schaut?“ „Aber der normale Alltag wird sie vielleicht ein wenig davon ablenken?“ „Wie denn, Pharao? Sie kann gehen, wohin sie will, aber es wird nicht das Gleiche sein, wenn sie nicht in der Lage ist, zu sehen, wohin sie geht. Gerade das wird ihr noch viel klarer machen, dass sie momentan … Probleme hat.“ „Wenn du ganz normal mit ihr umgehst… so wie immer, wenn du sie weiterhin in alles mit integrierst, dann wird sich Kiara auch besser fühlen, Yugi! Wenn du sie jetzt wie ein rohes Ei behandelst, sie vor allem zu schützen versuchst, wirst du es nur noch schlimmer machen.“ Yugi lehnte sich gegen die Wand und blickte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, Pharao. Ich hab das Gefühl, dass das Alles meine Schuld ist.“ „Es ist nicht deine Schuld, Yugi.“ „Aber …“ „Würdest du jetzt endlich mal mit diesem verdammten Selbstmitleid aufhören? Keiner kann etwas für diesen Schlammassel. Es war ein Unfall!“ Yugi blickte zu Boden. „Ja, klar … du hast ja Recht.“, murmelte er, doch er klang keineswegs überzeugt. Stattdessen ging er weiter. Der Pharao blickte ihm noch ein paar Sekunden lang nach, bis er wieder verschwand. Kiara ließ sich mit Hilfe von Yugi auf ihr Bett sinken und atmete tief aus. Sie war wieder Zuhause. Normalerweise hätte sie froh darüber sein müssen, doch stattdessen fühlte sie sich merkwürdig leer. Zuhause zu sein, ohne was zu sehen, war eine wahre Qual. Vorsichtig kroch sie in die Ecke ihres Bettes, zog die Beine an die Brust und umschlang sie mit beiden Armen. Ihren Kopf bettete sie auf ihre Knie und blickte starr in die dunkle Masse, die ihr gesamtes Umfeld einnahm. Nicht einmal der kleinste Lichtschimmer drang zu ihr hindurch. Völlige Dunkelheit. Sie wusste nicht einmal, ob Yugi noch mit ihr im Zimmer war. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Übelkeit stieg in ihr auf und ein paar Tränen rannen ihr die Wangen hinab. Von der anderen Seite des Bettes aus beobachtete Yugi seine Schwester und sein schlechtes Gewissen meldete sich wieder. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er Kiara helfen konnte, doch er wusste, dass er etwas tun musste. Mehrere Male setzte er dazu an, etwas zu sagen, brach jedoch sofort wieder ab, als ihm klar wurde, dass er nicht einmal wusste, was er sagen sollte. „Du brauchst nichts zu sagen, Yugi.“ Yugi zuckte überrascht zusammen. „Woher …“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich hab jetzt schon ganz gut gelernt, auf Dinge zu hören. Es ist zwar nicht ganz einfach, aber wenn ich mich konzentriere, funktioniert es ganz gut.“ „Ich …“ „Yugi, bitte! Ich weiß, dass du dich schuldig fühlst, aber das will ich nicht. Du hast keine Schuld!“ „Ich wünschte, dem wäre so.“, entgegnete Yugi trocken. „Hör auf, Yugi! Ich will dich nicht so reden hören, verstanden? Du bist nicht Schuld und damit hat sich’s!“ Yugi wollte etwas entgegnen, beließ es aber schließlich dabei und blickte stattdessen aus dem Fenster. Die Sonne schien am Himmel und schickte warme Lichtstrahlen in ihr Zimmer. In Yugis Magen verkrampfte sich alles, als ihm einfiel, dass Kiara nicht einmal wusste, ob es Tag oder Nacht war. Sie wusste nicht, ob die Sonne schien oder ob es regnete, wusste im Prinzip überhaupt nicht, was alles um sie herum geschah. Die Minuten, die sie schweigend in ihrem Zimmer verbrachten, dehnten sich zu Stunden aus und keiner sagte ein Wort. Für Yugi war es das erste Mal, dass so ein unbehagliches Schweigen zwischen ihnen herrschte. Sicher kam es vor, dass sie eine Zeit lang ohne zu reden in ihrem Zimmer waren, doch nie war es so unangenehm gewesen. Kiara hockte noch immer wie apathisch in ihrer Ecke und starrte angestrengt in die Leere. Yugi hatte das Gefühl, als würde sie die ganze Zeit über angestrengt versuchen, irgendetwas zu erkennen. In ihrem Gesicht waren immer noch die Spuren zu erkennen, die die Tränen hinterlassen hatten. „Yugi, lass mich mit ihr reden.“, bat der Pharao in seinen Gedanken. Yugi seufzte und überließ Yami das Feld. Yami selbst atmete noch einmal tief durch, dann griff er nach einem Tuch und setzte sich zu Kiara auf das Bett. „Kiara?“ Der Kopf des Mädchens ruckte zur Seite, doch die Augen starrten noch immer ins Leere und an ihm vorbei. „Pharao? Das bist doch du, oder?“ „Sehr gut erkannt.“ „Was willst du?“, fragte sie leise und stützte ihren Kopf wieder auf den Knien ab. „Mit dir reden.“ „Und worüber?“ „Ich denke, das weißt du ganz genau.“ „Ich will aber nicht darüber reden.“ „Dann tu mir wenigstens einen Gefallen.“ „Welchen?“ Yami nahm Kiaras Hände und zog sie näher an sich heran. Vorsichtig strich er ihr über die Wange, wusch die Tränen weg. „Bevor ich dir sage, was ich von dir verlange, möchte ich eines wissen.“ Kiara runzelte die Stirn. „Was denn?“ Yami straffte sich und ergriff wieder ihre Hände. „Vertraust du mir?“ Kiara zuckte zurück. „Was?“ „Ich möchte wissen, ob du mir vertraust.“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Warum … warum sollte ich dir nicht vertrauen?“ „Weil das, was ich will, voraussetzt, dass du mir blind vertraust.“ Kiara biss sich auf die Unterlippe. Natürlich vertraute sie dem Pharao, ebenso sehr wie sie ihrem Bruder vertraute. Aber was hatte er vor? Was hatte diese Frage zu bedeuten? „Sicher vertraue ich dir, aber warum …“ „Bist du dir sicher?“ „Natürlich bin ich mir sicher. Aber sag mir doch endlich, was du mit dieser Frage bezwecken willst!“ Yami antwortete nicht. Stattdessen griff er wieder nach dem Tuch und machte sich daran, Kiara die Augen zu verbinden. Kiara erschrak und stieß Yami zur Seite. Hastig kroch sie so weit nach hinten, bis sie gegen die Wand prallte. „Was soll das werden?“, fauchte sie wütend und schlang die Arme um ihre Knie. Yami blickte sie traurig an. „Ich dachte, du würdest mir vertrauen?“ „Sicher und daran gibt es auch nichts zu rütteln, aber … warum willst du mir die Augen verbinden, wenn ich sowieso nichts sehen kann? Reicht es nicht aus, dass auch ohne eine Binde schon alles um mich herum dunkel ist?“ „Du verstehst nicht ganz, worauf ich hinaus will.“ „Du hast Recht, das versteh ich wirklich nicht!“ Yami griff wieder nach dem Tuch und kroch zu Kiara hinüber, wo er sich neben sie setzte und ihr Gesicht in seine Richtung drehte. Obwohl ihm klar war, dass Kiara ihn nicht sehen konnte, war er dennoch überrascht. Ihre Augen ließen kein Zeichen dafür erkennen, dass sie vorläufig völlig blind war. „Hör zu, Kiara! Es bringt doch hier niemandem etwas, wenn du die ganze Zeit vor dich hingrummelst und angestrengt versuchst, irgendetwas zu sehen, oder? Weder du noch andere wären glücklich darüber, am allerwenigsten du. Du machst dich mit so etwas nur noch verrückter.“ „Worauf willst du hinaus?“ „Ich will, dass du aufhörst, dich darauf zu versteifen, in der nächsten Sekunde wieder etwas sehen zu können. Darum möchte ich dir auch die Augen verbinden. Wenn du das Tuch vor den Augen hast, wirst du auch nicht mehr ständig versuchen, irgendwelche Lichter oder Umrisse zu sehen. Dadurch machst du es nur noch schlimmer. Meinetwegen können wir nach einer Woche mal sehen, ob du schon irgendetwas erkennen kannst, wenn nicht, lassen wir die Binde noch weiter um. Wenn du tatsächlich irgendwelche Schemen erkennen kannst, werde ich sie dir auch für 1 – 2 Stunden abnehmen, aber ansonsten bleibt das Tuch, wo es ist. So kannst du vielleicht ein wenig entspannen und die Heilung tritt eventuell schneller ein. Was hältst du von dem Vorschlag?“ Kiara wandte sich ab. „Aber … ich fühle mich auch so schon vollkommen hilflos. Was soll denn werden, wenn ich …“ „Hey, ich dachte du vertraust mir.“ „Tu ich ja, aber …“ „Warum glaubst du dann, dass ich dich einfach so hilflos umherirren lasse?“ „Ich …“ „Kiara, ich werde dich jetzt ganz sicher nicht mehr aus den Augen lassen. Das verspreche ich dir.“ „Und Yugi?“ „Kiara, Yugi ist dein Bruder. Glaubst du wirklich, dass er dich hängen lässt?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Damit hätten wir zumindest eine Lösung für solche Sachen wie Schule und den Weg nach Hause und so, aber …“ „Aber was?“ „Was ist mit solchen Sachen wir Umziehen, Duschen …“ Yami biss sich auf die Unterlippe. Wenn er ehrlich war, hatte er daran tatsächlich nicht gedacht. Doch kurz darauf umspielte ein freches Lächeln seine Lippen. „Wo ist das Problem?“ Kiara lächelte schwach. „Netter Versuch, Pharao! Aber ein bisschen Stolz hab ich auch noch, klar?“ Yami rückte näher, während er meinte: „Dafür finden wir schon eine Lösung.“ Vorsichtig verband er Kiara die Augen, die ihre Hände unweigerlich in der Bettdecke verkrampfte. Yami bemerkte es und ergriff ihre Schultern. „Bleib ganz ruhig, Kiara. Dir wird überhaupt nichts passieren.“ Eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken, als er Kiara betrachtete. Sie saß vollkommen still vor ihm, hatte keine Ahnung, dass er wie verrückt zitterte. Eine merkwürdige Spannung erfüllte ihn plötzlich, ein starkes Magenkribbeln arbeitete sich in seiner Magengegend heran, machte das Atmen schwer. Es war, als stecke ein dicker Kloß in seiner Kehle fest. „Alles in Ordnung, Pharao?“, fragte Kiara plötzlich. Yami antwortete nicht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen … ohne Erfolg. Noch ehe er wusste, was geschah, glitten seine Fingerspitzen unter Kiaras Kinn und er küsste sie. Kiara blieb die Luft weg. Unfähig, irgendetwas zu tun, saß sie still da und ließ sich durch den Kopf gehen, was gerade geschah. Ihr Herz hämmerte wie verrückt in ihrer Brust, nahm ihr buchstäblich den Atem. Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit kroch in ihr hoch, nahm ihr sogar die Angst vor dem, was gerade passierte. Kiara hatte das Gefühl, als würde dieser Moment ewig dauern, doch Yami riss die Augen auf und wich verwirrt zurück, als ihre Finger sich in seinem Jackenärmel verkrampften. So schnell er konnte, sprang er von dem Bett herunter und setzte sich auf das von Yugi, während Kiara wie apathisch in ihre Ecke kroch und wieder die Arme um ihre Knie schlang. Sie zitterte. Yami vergrub sein Gesicht in den Händen und fluchte im Stillen. Was hatte ihn nur geritten? Wie kam er dazu, die Schwester seines besten Freundes zu küssen? Ohne eine Antwort zu finden, zog er sich in sein Puzzle zurück, nicht ohne Yugi vorher zu bitten, kein Wort darüber zu verlieren. Yugi, der selbst vollkommen überrascht war, folgte seiner Bitte und sprach das Thema nicht an. Doch er konnte nicht umhin, ein wenig verwirrt aus dem Fenster zu blicken. Schon möglich, dass er den Pharao noch nicht sehr lange kannte, doch es war bisher nicht passiert, dass er auf diese Weise die Kontrolle über sich verloren hatte. In Kiara jedoch herrschte plötzlich ein seltsames Gefühl der Leere. Warum hatte er sich so einfach von ihr zurückgezogen? Schlagartig wurde ihr klar, dass sie eigentlich nie gewollt hatte, dass der Kuss endete. Sie merkte sofort, dass die Prinzessin mit ihr reden wollte, doch sie blockte ab. Kiara war ihr unglaublich dankbar dafür, dass Yamika ihr den Gefallen tat und sich zurückzog. Tatsächlich, und innerlich schämte sie sich für diesen Gedanken, hoffte sie sogar, dass Yugi das Zimmer verlassen würde. Und wirklich … Yugi erhob sich seufzend und ging mit den Worten: „Ich hole mal etwas zu trinken, ja?“ Kiara antwortete nicht, wusste aber, dass er ihr Schweigen richtig deuten würde. Yugi ging. Kiara konnte sich nicht mehr zurückhalten und brach endgültig in Tränen aus. Kapitel 4: Die Vision --------------------- Die nächsten Wochen vergingen, ohne dass Kiara auch nur einen Lichtschimmer erkennen konnte. Doch zumindest hatten sie für einige Probleme eine Lösung gefunden. Yugis Großvater hatte sich bereit erklärt, Tea solange mit in seinem Haus wohnen zu lassen, bis Kiara wieder vollkommen gesund war. So blieb Kiara die Peinlichkeit erspart, von dem Pharao oder von Yugi Hilfe beim Umziehen oder ähnlichem in Anspruch zu nehmen. Die Sache mit dem Kuss kam nicht mehr zur Sprache und doch bemerkten Yugis Freunde, dass eine eigenartige Spannung zwischen den Geschwistern herrschte. Es war, als wäre ihnen die Gegenwart des anderen unangenehm. Doch sie gingen nicht näher darauf ein. Sicher lag das alles nur an Kiaras vorläufigem Problem. So taktvoll ihre Freunde jedoch auch waren, so unverschämt wurden manche Schüler an ihrer Schule. Sicher gab es genügend Personen, die Kiara aufrichtig bemitleideten, doch es gab auch einige unter ihnen, die diese Situation schamlos ausnutzen. Viele von ihnen, die sich vorher nicht einmal in ihre Nähe gewagt hätten, forderten sie plötzlich zu einem Duell und entfernten sich lachend und feixend, wenn Kiara knurrend ablehnte. Es gab sogar welche, die so weit gingen, Kiara als Feigling zu beschimpfen, die ihre Blindheit nur als Grund dafür angab, sich nicht duellieren zu müssen. Yugis Wutpegel hatte mittlerweile ein neues Level erreicht. So oft, wie in diesen Wochen, hatte er noch nie kurz vor einem Wutausbruch gestanden. Kiara jedoch hatte zwischenzeitlich zu ihrer alten Form gefunden. Sie trug ihr Problem mit Fassung und musste zugeben, dass der Vorschlag des Pharao sich wahrlich rentierte. Sie konnte so gut hören, wie noch nie, hatte gelernt, sich mehr denn je auf ihre Ohren zu verlassen. Ihre Zunge war noch schneller als sonst und hatte Frechheiten auf Lager, die sogar Yugi rot anliefen ließen, der schon einiges von ihr gewohnt war. „Wie sieht’s aus, Kiara? Magst du mitkommen zu Dukes Spieleladen?“, fragte Yugi, während er in seine graue Weste schlüpfte. Kiaras Kopf ruckte hoch, wie so oft in letzter Zeit. „Klar komme ich mit. „Geht ihr noch einmal weg?“, fragte Tea, die gerade das Zimmer betrat und ihren Rucksack ablegte. „Wir wollten zu Duke und mal schauen … ihn mal fragen, ob er neue Spiele hat.“, antwortete Yugi mit einem unheilvollen Blick auf Kiara, die sich jedoch nichts anmerken ließ. „Ich komme mit.“ „Na super.“ „Also dann …“ Tea verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Yugi erwartungsvoll an. Für Yugi ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen. Grinsend schloss er die Tür und sprang die Treppen hinab. „Nicht zu fassen, wie du dich in deinem eigenen Zimmer herumkommandieren lässt.“, bemerkte der Pharao, der neben Yugi auftauchte und zu Yugis Zimmer hinaufblickte. Seine Schwester erschien ebenfalls neben ihm und lächelte. „Es gibt eben Sachen, die dich nichts angehen, Brüderchen! Und Kiara in …“ Yamika brach peinlich verlegen ab und wurde rot. Yami grinste. „Ja?“, fragte er gedehnt, doch Yamika schüttelte den Kopf. „Es geht dich halt einfach nichts an.“ Yugi blickte die beiden indes stirnrunzelnd an. „Andere Sorgen habt ihr keine, was?“ „Wie erträgst du es nur, in deinem eigenen Zimmer herumkommandiert zu werden.“, wiederholte der Pharao, doch Yugi zuckte mit den Schultern. „Es ist ja nun kein Weltuntergang. Ist doch auch Kiaras Zimmer.“ „Aber …“ „Ach komm schon, Pharao! Im Moment bist du der einzige, den das wirklich stört!“ Yami wurde augenblicklich rot und verschwand. Peinliche Momente stand er lieber voll und ganz allein durch, ohne Publikum. Yamika grinste Yugi an. „Irgendwann erwische ich ihn mal, wenn er knallrot wird, das schwöre ich dir.“, bemerkte sie und verschwand wieder. Yugi horchte auf, als er Schritte auf der Treppe bemerkte und Kiara, gefolgt von Tea, langsam herabstieg. Die letzten drei Stufen nahm Yugi Kiaras Hand und führte sie hinaus vor die Tür. Zu dritt machten sie sich auf den Weg zu Dukes Spieleladen, der genau gegenüber auf der anderen Straßenseite errichtet worden war. Doch auf halber Strecke blieb Kiara plötzlich stehen. Ein seltsames Gefühl kroch in ihr hoch und es war keineswegs angenehm. Ein gewaltiger Druck erfüllte ihren Kopf, verursachte gewaltige Kopfschmerzen, die sie zusammenzucken ließen. Mitten auf der Straße ging Kiara in die Knie, die Hände auf die Ohren gepresst. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam sie wieder auf die Beine, nur um kurz darauf wieder zu Boden zu stürzen. Obwohl sie blind war, schossen grellweiße Blitze durch ihren Kopf, stachen in ihren Schädel wie tausende von scharfen Nadeln. Kiara wurde übel und schwindelig. Yugi und Tea blickten verzweifelt umher, als wüssten sie nicht, was sie tun sollten. „Kiara, was ist los?“, rief Yugi, doch als Antwort kam nur ein erstickter Schrei, der sofort wieder abflaute, als sich Kiara zusammenkrümmte. Kiara hatte das Gefühl, ihr Kopf würde platzen … Flash! Kiara sah es nicht, dafür jedoch die Prinzessin. Das Gesicht eines alten Mannes tauchte vor ihr auf. Er trug einen altägyptischen Umhang, ein Tuch bedeckte seinen Kopf. Ein paar vereinzelte graue Haarsträhnen lugten unter der Kopfbedeckung hervor. Ein weißer Spitzbart ragte über sein Kinn hinaus und über seiner Oberlippe zog sich ein ebenfalls weißer Schnurrbart entlang. Sein rechtes Auge blickte sie vollkommen normal, jedoch hasserfüllt an, doch sein linkes Auge … Statt seines linken Auges blickte sie in das goldene Symbol des Millenniumsauges. Yamika zuckte zusammen. Er starrte ihr entgegen – ein hasserfüllter Blick, der ihr durch und durch ging. Sein Gesicht füllte ihr gesamtes Blickfeld aus. Kiara schrie auf vor Schmerz. Ihr Herz raste wie verrückt, ihre Kehle schnürte sich zusammen, in ihren Ohren rauschte das Blut. Mittlerweile wälzte sie sich förmlich am Boden, schrie wie verrückt. Es war, als hätte ihr Innerstes Feuer gefangen. Ihr gesamter Körper bebte vor Schmerz. Yugi blickte sich hastig um, während Tea in das Gebäude stürmte, um Hilfe zu holen. Yugi indes wollte gerade Kiara helfen, als ein gewaltiger schwarze Schatten aus Kiaras Körper hervorbrach. Yugi wich verwirrt zurück, als der Schatten auseinander driftete und Kiara sich beruhigte. Erschöpft blieb sie liegen und atmete keuchend ein und aus. Yugi stand stocksteif da und atmete hörbar ein und aus. „Okay, das war gruselig.“ „Yugi?“ Kiaras Stimme riss ihn aus seiner Starre und vorsichtig half er ihr wieder auf die Beine. „Was ist denn passiert?“, fragte er verwirrt und klopfte ihr den Dreck von den Sachen. Kiara klammerte sich an seinem Arm fest und vergrub ihr Gesicht in seiner Jacke. „Ich hab keine Ahnung. Es war, als würde mein gesamter Kopf platzen.“ „Könnten das noch Nachwirkungen von dem Unfall sein?“ „Nein … es hat sich nicht wie irgendeine Krankheit angefühlt, eher … ich weiß nicht … eher so, als würde mir jemand … mir jemand weh tun wollen.“ Neben Yugi tauchte der Pharao auf, dessen Blick einen Drachen in die Knie gezwungen hätte. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir hier von irgendjemanden sprechen. Dieser Schatten war ganz sicher kein Mensch.“ Yugi antwortete nicht, da er genau wusste, dass Kiara panisch reagieren würde, wenn er jetzt in ihrer Gegenwart von irgendwelchen Geistern sprechen würde. Der Pharao hatte nicht ohne Grund dafür gesorgt, dass nur er ihn hören konnte. „Yugi, Vorsicht!“, rief der Pharao, der rechtzeitig bemerkte, dass Kiara zusammenklappte. Yugi fing sie auf, wurde jedoch zu Boden gerissen. Der Pharao drängte sich sofort an ihm vorbei und erwischte Kiara noch bevor sie auf dem Boden aufschlug. Vorsichtig hob er sie hoch. Doch eine Sekunde später wünschte er sich, er hätte diesen Fehler nicht gemacht. Kiaras Kopf ruhte an seiner Schulter, viel zu nahe für seinen Geschmack. Seit der peinlichen Geschichte in ihrem Zimmer war er ihr nicht mehr so nahe gewesen. Yami schloss die Augen und atmete tief durch. In seinem Bauch tanzten die Schmetterlinge Tango, eine ungeheure Hitzewelle schoss durch seinen Körper und ein unglaubliches Zittern erfasste ihn. „Pharao!“ Yugis Stimme riss ihn aus seiner Gefühlswelt. Eine angenehm kühle Brise wehte ihm ins Gesicht. Vor seinen Augen tauchte Yugi auf, der ihn kritisch musterte. „Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte sein zweites Ich, was der Pharao jedoch nur mit einem Kopfschütteln quittierte. „Ich hab keine Ahnung, aber wenn ich ehrlich bin, fängt es an mir Angst zu machen.“ Yugi hob eine Augenbraue. „Pharao, ganz ehrlich ... wenn das so weiter geht ... vielleicht wäre es besser, wenn du dich für eine Weile …“ Yami riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. „Mich von ihr fernzuhalten? Nein, Yugi, das bringe ich nicht fertig. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber …“ Yamis Blick blieb bei der bewusstlosen Kiara hängen, die völlig hilflos in seinen Armen lag. Und wieder erfüllte ihn eine unglaubliche Wärme. „Aber was?“, hakte Yugi nach. Der Pharao atmete hörbar aus. „Ich könnte es nicht ertragen, jetzt von ihr getrennt zu sein.“ Yugi blickte ihn zerknirscht an. „Was ist?“ „Wenn ich ehrlich bin, habe ich all die Jahre versucht, Kiara vor Menschen wie dir zu beschützen.“ Der Pharao lief rot an. „Ich wollte nicht … Glaubst du etwa … Yugi, ich bin mir immer noch im Klaren darüber, dass sie deine Schwester ist.“ „Was sollen dann diese ganzen Aktionen.“ „Was meinst du?“ „Der Kuss, dieser überragende Beschützerinstinkt, diese … diese verrückten Gefühle … alles!“ „Yugi, beruhige dich!“ „Ich kann mich nicht beruhigen! Du machst ihr Hoffnungen, wo keine Hoffnungen sind, Pharao! Was ist, wenn sie glaubt, dass ihr zwei …“ „Ich werde schon dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt, glaub mir!“ Yugis Blick wurde finster, fast eiskalt, als er dem Pharao in die Augen sah. „Lass dir eins gesagt sein, Pharao! Wenn du mit meiner Schwester irgendwelche Spiele spielst, wenn du ihr irgendwie Hoffnungen machst, wenn du ihr weiterhin so nah bist, dann schmeiße ich das Puzzle weg!“ Der Pharao zuckte zurück. „Was … Yugi, ich bin dein Freund und nicht dein…“ „Das ist mir egal, Pharao! Meine Freundschaft zu dir kann noch so stark sein … meine Bruderinstinkte sind größer, als es unsere Freundschaft jemals sein kann. Und wenn du meiner Schwester weh tust …“ „Ist dir eigentlich klar, was du da redest?“, frage Yami, der plötzlich genauso kalt klang, wie Yugis Blick hart war. „Ich bin mir dessen vollkommen bewusst, keine Sorge!“ „Dann sei dir auch darüber im Klaren, was du mir gerade an den Kopf wirfst, Yugi. Ich habe deine Schwester vor Pegasus gerettet, glaubst du wirklich, dass ich solche Sachen mit ihr machen würde, wenn ich sie nicht wirklich mögen würde?“ „Genau das ist es ja!“ „Was denn, Yugi?“, rief der Pharao und zu seiner eigenen Überraschung klang er mehr als nur verzweifelt. „Du magst sie viel zu sehr! Kapierst du es nicht?“ „Was denn kapieren?“ Yugi platzte der Kragen. „Du bist dabei, dich in sie zu verlieben!!!“ Der Pharao erstarrte, ließ Kiara sogar um ein Haar fallen. Konnte Yugi tatsächlich Recht haben? War es wirklich möglich, dass er gerade dabei war, sich in die Schwester seines besten Freundes zu verlieben? „Yugi, ich …“ „Hör auf damit! Halt dich fern von ihr, bevor du etwas tust, was du später bereuen wirst. Wir wissen doch beide, dass du nicht für immer in dieser Welt bleiben kannst … und ich will nicht, dass meine Schwester so leiden muss, wenn es soweit ist.“ Neben Yugi tauchte Yamika auf, die die beiden Jungs wütend anblickte. „Ist euch eigentlich klar, dass ihr beide gerade über den blödesten Quatsch streitet, den es überhaupt geben kann?“, fauchte sie wütend und setzte eine Miene auf, die sogar einen Tyrannosaurus eingeschüchtert hätte. „Haltet ihr Kiara tatsächlich für so naiv, dass sie sich freiwillig in jemanden verliebt, der eigentlich im Körper ihres Bruders lebt? Ehrlich, Leute, ihr enttäuscht mich!“ Yami blickte verlegen zur Seite, doch Yugi dachte nicht daran, so einfach aufzugeben. Wütend funkelte er die Prinzessin an. „Und wie kannst du dir da so sicher sein?“ „Yugi, ich kenne ihre Gedanken? Ich mache nichts Anderes, als mein Bruder bei dir! Ich tausche mit deiner Schwester auch so manches mal, ich kenne ihre Gedanken genauso gut, wie du die Gedanken meines Bruders. Ich kenne ihre Gefühle und ich kann dir eines sagen, Yugi! Deine Schwester hat den Pharao gern, sehr gern sogar, aber sie ist im Leben nicht so einfältig zuzulassen, dass sie sich in ihn verliebt, also solltest du vielleicht mal ein paar Gänge herunterschalten!“ „Was ist, wenn sie dir gegenüber nur so tut und in Wahrheit ...“ „Mach dich doch nicht lächerlich, Yugi! Gedanken und Gefühle kann man vielleicht unterdrücken oder jemanden vorenthalten, aber man kann sie nicht einfach verfälschen.“ „Sie hat Recht, Yugi!“, lenkte Yami ein, wurde aber sofort mit einem finsteren Blick bedacht. „Halt dich da raus!“ „Yugi, hör doch bitte endlich damit auf!“ „Ihr versteht das einfach nicht! Ich mach mir Sorgen um sie!“ „Sei nicht albern, Yugi! Du packst sie in Watte, weil du dich immer noch schuldig fühlst wegen der Sache mit dem Feuer!“ „Sei still!“, fauchte Yugi aufgebracht und ein fast wilder Ausdruck lag in seinem Blick. „Jungs, bitte! Hört endlich auf zu streiten! Damit tut ihr Kiara ganz sicher keinen Gefallen!“ Yami wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Kiara regte sich in seinen Armen und er schluckte seinen Kommentar hinunter. Stattdessen warf er Yugi noch einmal einen finsteren Blick zu und zog sich dann schließlich mit dem traurigen Gedanken zurück, dass zwischen ihm und Yugi plötzlich etwas zerbrochen war. Kapitel 5: Kiara schafft Klarheit --------------------------------- Zwischenzeitlich war eine Woche vergangen. Kiaras Erblindung hielt an und zwischen dem Pharao und Yugi herrschte noch immer Eiseskälte, während Yamika verzweifelt versuchte, zwischen beiden zu vermitteln – ohne Erfolg. Kiara indes merkte, dass zwischen ihrem Bruder und Yami irgendetwas vorgefallen war, das die Stimmung trübte und Angst machte sich in ihr breit, dass sie der Auslöser für diesen Wandel war. Traurig zog sie sich immer mehr zurück und selbst Joey und seine Freunde bemerkten den plötzlich Wandel der beiden Geschwister. Doch zu ihrer Überraschung ging diese Wandelung nicht nur von Kiara aus, die den wohl größten Grund für eine solche Stimmungswandlung hätte. Stattdessen herrschte bei Yugi Trübseligkeit und auch ein scheinbar nicht zu endendes Wutgefühl auf den Pharao, das sich niemand erklären konnte. „Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Seit Tagen grämst du dich hier herum. Kiara wird immer verzweifelter, weil sie nicht weiß, warum du so schlecht drauf bist. Und mit dem Pharao redest du auch nicht mehr.“, sagte Joey, als Yugi in der Pause missmutig aus dem Fenster blickte und das gesamte Gewusel um ihn herum nicht beachtete. „Ich weiß nicht, was du meinst, Joey! Mir geht’s prima, ehrlich!“ Joey schnaubte. „Sicher! Das merkt man. Deswegen sitzt du auch hier herum, ohne zu merken, dass dir ein Zettel mit den Worten „Ich bin langweilig“ auf dem Rücken klebt.“, spottete er und zupfte einen Zettel von Yugis Jacke. Wütend zerknüllte er es und warf es in den Mülleimer neben der Tür. Yugi beachtete ihn nicht. „Yugi, jetzt komm schon! Irgendwas stimmt doch nicht.“ „Es ist alles in Ordnung, Joey! Könntest du mich jetzt bitte in Ruhe lassen?“ Joey zuckte zurück. „Na schön. Ich weiß ja nicht, was los ist, aber ich hoffe, du kriegst dich schnell wieder ein. Du gefällst mir nämlich besser, wenn du deine Freunde auch wie Freunde behandelst. Und nur für den Fall, dass du es nicht mitbekommen hast, deiner Schwester geht es im Moment ziemlich mies. Vielleicht überlegst du mal, ob du dich nicht doch wieder zusammenreißt und mit ihr redest. Ich hab nämlich so das Gefühl, dass sie sich die Schuld für deine Stimmung gibt.“ Mit diesen Worten rauschte Joey davon und ließ einen miesepetrig dreinblickenden Yugi zurück, der sich widerwillig eingestand, dass sein Freund recht hatte. Seit zwei Wochen hatte er mit dem Pharao kein einziges Wort mehr gesprochen. Auch die Prinzessin war ausgesprochen kühl zu ihm und all diese Sachen wurden auf dem Rücken seiner Schwester ausgetragen, die von allem am wenigsten für diese Situation konnte. Wütend packte er seine Bücher in die Schultasche und rauschte aus dem Zimmer und ließ sich auch nicht davon abbringen, als Herr Rukoro ihn mit aufgebrachter Miene ins Zimmer zurückzitierte. So schnell er konnte, eilte er nach Hause, wo Kiara mit einer bösen Migräne im Bett lag und wieder kam ihm der Gedanke, dass sein Streit mit Yami vielleicht der Auslöser für ihre letzten Migräneattacken war. Seit ihrem Anfall vor zwei Wochen mitten auf der Straße wurde Kiara immer wieder von bösen Kopfschmerzen geplagt, die an manchen Tagen so schlimm waren, dass sie das Bett nicht verlassen konnte und den ganzen Tag durchschlief. Er spürte genau, dass der Pharao sich um das Mädchen sorgte, doch er hielt sich zurück und von ihr fern. Zuhause angekommen, raste er die Treppe hoch, blieb aber vor seinem Zimmer stehen. Ob er wollte oder nicht, der Mut, mit ihr zu reden, hatte ihn verlassen. Ein paar Sekunden lang blieb er unentschlossen stehen, ließ dann seinen Rucksack zu Boden gleiten und schloss sich im Badezimmer ein. Ratlos sank er an der Kachelwand zu Boden und verbarg sein Gesicht in den Händen. Er hatte doch bisher mit Kiara über alles reden können, warum fiel es ihm jetzt so schwer? Zwischen ihnen beiden hatte sich doch überhaupt nichts verändert, warum also Zurückhaltung? Yugi schrak zusammen, als jemand von außen an der Klinke rüttelte. „Yugi, bist du das?“ Es war Kiara. Schnell sprang er auf die Beine und öffnete die Tür. Schwankend betrat sie das Bad und tastete hilflos nach ihrem Bruder, der ihre Hand ergriff. Kiara zuckte zusammen. „Du bist es ja tatsächlich. Warum bist du hier?“ Yugi vergaß für einen Moment, dass seine Schwester nichts sehen konnte, ließ ihre Hand los und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Erst als Kiara gegen das Waschbecken prallte, weil sie ihm folgen wollte, fuhr er hoch und lotste sie auf den Platz neben sich. Kiaras Hand glitt über sein Gesicht und drehte es in ihre Richtung. „Also? Warum bist du schon Zuhause?“ Yugi antwortete nicht. „Yugi, komm schon! Was ist los?“ „Gar nichts!“ Kiara seufzte und schlug dann schließlich aufgebracht mit der Handfläche gegen die Seitenwand der Wanne. „Natürlich ist irgendetwas los! Mach mir doch nichts vor!“ Yugi blickte sie verschreckt an. „Kiara, ich ...“ „Versuch jetzt ja nicht, dich irgendwie herauszureden. Seit Tagen sprichst du nicht mehr mit dem Pharao! Der zieht sich jetzt plötzlich völlig von mir zurück, obwohl er versprochen hat, auf mich aufzupassen. Und überhaupt bist du total komisch mir gegenüber! Glaub bloß nicht, ich würde das nicht mitkriegen, nur weil ich nichts sehen kann!“, donnerte Kiara wütend und sprang auf die Beine. „Ich bin doch nicht anders.“ „Ach nicht? Gut und warum reden wir dann kaum noch miteinander? Warum redet der Pharao nicht mehr mit mir? Warum redet ihr beide nicht mehr miteinander? Warum ist die Stimmung gerade so tief, als wäre ein Tiefdruckgebiet über uns hinweggerast?“, rief Kiara verzweifelt und fuhr sich aufgebraucht durch die Haare. Yugi sprang auf und ergriff ihre Hände, die wie verrückt zitterten. „Ich ... es tut mir leid, Kiara! Ich ... du hast Recht, ich hab mich dir gegenüber ziemlich unmöglich benommen.“ „Anscheinend nicht nur mir gegenüber! Oder warum schweigt sich der Pharao aus?“ Betreten blickte Yugi zu Boden. „Wir haben uns ein wenig zerstritten.“ „Ein wenig?“, ertönte es plötzlich neben ihm und der Pharao tauchte auf. Zu Yugis Überraschung sah er keineswegs freundlich aus. Sein Blick war noch immer eiskalt. Kiara schüttelte sich. Es war, als könnte sie die Spannung, die gerade herrschte, direkt fühlen. „Pharao?“, fiepte sie leise und schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Ich bin froh, Kiara, dass du Yugi endlich mal zur Rede stellst. Vielleicht solltest du ihn fragen, warum wir uns zerstritten haben.“ „Was meinst du?“ „Nein, Pharao, hör auf! Diesen Streit jetzt auf Kiaras Rücken auszutragen, wäre ihr gegenüber total unfair. Das ist eine Sachen zwischen dir und ...“ „Wenn du mir verbieten willst, bei Kiara zu sein, weil du Angst hast, dass ich mich in sie verliebe, dann geht sie das sehr wohl was an!“, fauchte der Pharao Yugi an. Kiara zuckte zusammen und tastete nach irgendeinem Halt, bis sie den Rand des Waschbeckens umklammerte. „Wie war das jetzt?“, fragte sie mit zitternder Stimme, woraufhin Yugi dem Pharao einen bitterbösen Blick zuwarf. „Großartig, Pharao! Damit hast du natürlich voll ins Schwarze getroffen!“, knurrte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Würdest du das bitte nochmal wiederholen?“, fragte Kiara, doch Yugi hatte genug. Er stülpte sich die Kette des Puzzles über den Kopf und ließ es zu Boden fallen. Der Pharao verschwand. Kiara, die nicht wusste, was geschehen war, stand noch immer zitternd am Waschbecken und wagte nicht, sich zu bewegen. „Pharao?“, fragte sie, erhielt jedoch keine Antwort. „Yugi, was ist passiert.“ „Gar nichts.“, kam die verbitterte Antwort. Kiaras Augenbrauen zogen sich zusammen und langsam wagte sie sich vor, um auf ihren Bruder zuzugehen, bis sie gegen das Puzzle lief. Das Mädchen blieb stehen und tastete ratlos am Boden, nach dem Gegenstand, gegen den sie gelaufen war. Schließlich ergriff sie die Kette des Puzzles und schnappte nach Luft. „Yugi, was … was tust du denn? Du schmeißt dein Puzzle durch die Gegend?“ „Und wenn schon.“ „Und wenn schon? Was ist denn nur mit dir los?“ „Was mit mir los ist? Frag dich lieber, was mit dem Pharao los ist!“ „Ehrlich, Yugi, ich verstehe dich einfach nicht. Du hast dich mit dem Pharao … wegen mir gestritten?“ „Nein … doch … eigentlich … kannst du mir nicht den Gefallen tun und das einfach vergessen?“ „Kannst du mir den Gefallen tun und wieder zu dem Yugi werden, der du vorher warst? Wenn ich der Grund für euren Streit bin, habe ich es ja wohl auf jeden Fall verdient zu erfahren, warum ich das bin. Ich hab es satt, ständig nur irgendwelche Brocken an den Kopf geworfen zu bekommen.“ „Ich…“ „Ich bin vielleicht vorläufig blind, Yugi, aber ich bin ganz sicher nicht blöd. Meine Instinkte haben sich deswegen nicht verschlechtert. Also … stimmt es, dass du dich mit dem Pharao gestritten hast, weil du Angst hast, er würde sich in…“ „Sprich es nicht aus!“ „Warum denn nicht?“ „Ich will nicht, dass er dir weh tut!“ „Mir weh tun?“ „Ja, dir weh tun. Überleg doch mal! Jetzt ist vielleicht alles noch in Ordnung – so lange er da ist. Aber was ist, wenn er wieder in sein Reich zurückkehren muss? Wir wissen doch beide, Kiara, dass der Pharao nicht ewig hier bleiben kann.“ „Yugi, warte mal einen Augenblick. Du setzt voraus, dass ich mich auch in den Pharao ver…“ „Ich setze gar nichts voraus.“ „Natürlich tust du das, sonst würdest du dich nicht so aufregen.“ „Ich reg mich nicht auf, ich … ich will nur nicht, dass du seinetwegen leiden musst, wenn er wieder geht.“ „Aber Yugi…“ Kiara lächelte schwach und tastete nach seiner Hand. „Yugi, hör zu! Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass der Tag kommen wird, an dem wir dem Pharao Adios sagen müssen, aber … glaub doch nicht, dass mir dieser Abschied nur weh tun würde, wenn ich…“ Kiara brach ab und schluckte. Allein schon der Gedanke daran, dass der Pharao eines Tages verschwunden sein würde, machte sie traurig. „Ich würde ihn auch sehr vermissen, wenn ich mich nicht in ihn verlieben würde. Ich meine, du würdest doch auch traurig sein, oder etwa nicht?“ Yugi blickte betreten zu Boden und nickte, bis ihm einfiel, dass sie sein Nicken gar nicht sehen konnte. „Natürlich wäre ich das.“ „Siehst du? Aber du bist doch auch nicht in ihn verliebt, oder?“ Yugi schwieg und Kiara kuschelte sich an ihn. „Ganz egal aus welchen Gründen, vermissen werde ich ihn so oder so. Und wenn du ihn jetzt dafür verurteilen willst, dass er jemals in unser Leben getreten ist, Yugi, dann sag ich dir eins: Du warst derjenige, der ihn befreit hat, also mach ihn nicht dafür verantwortlich! Außerdem: Er ist doch dein bester Freund, warum kann er dann nicht auch mein bester Freund sein? Können Mädchen und Jungs nicht auch einfach nur gute Freunde sein? Muss es bei ihnen gleich immer eine Beziehung sein? Wir beide sind doch auch gute Freunde.“ „Das ist ja wohl was Anderes. Wir beide sind schließlich Geschwister.“ „Aha … und warum kann dann der Pharao für mich nicht auch so etwas wie ein großer Bruder sein? Und umgekehrt genauso?“ „Er hat dich geküsst.“ „Na und? Verwirrung herrscht bei jedem Mal.“, entgegnete Kiara schulterzuckend. Yugi blickte auf, als ihm plötzlich etwas klar wurde. Was, wenn er lediglich eifersüchtig auf den Pharao war, weil er Angst hatte, er könnte die Rolle des großen Bruders einnehmen und ihn, Yugi, von seinem Platz verdrängen? Vielleicht war der Pharao gar nicht in Kiara verliebt, sondern betrachtete sie nur als seine kleine Schwester, die er vor Gefahren schützen wollte. „Ehrlich, Yugi, ich bin vielleicht nicht gerade so unglaublich clever, wie du, aber ich bin ganz sicher nicht so blöd, mich in einen Geist zu verlieben, der im Körper meines Bruders lebt. Und ich denke, so einsichtig wird Yami auch sein.“ Yugi ließ Kiara los und kratzte sich am Kopf. „Tja, ich schätze, ich hab mich ganz schön … blöd verhalten.“ Kiara grinste. „Sag das nicht mir!“, murmelte sie und hielt ihm das Puzzle entgegen. Yugi zögerte, straffte sich dann jedoch und hängte sich das Puzzle wieder um. Keine Sekunde später tauchte die Silhouette des Pharaos auf, der noch immer finster drein blickte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Ja?“, knurrte er und heftete seinen Blick auf die Wand, statt Yugi anzublicken. Yugi schluckte. Der Pharao war immer noch sauer – und er konnte es ihm noch nicht einmal verdenken. „Pharao … ich glaub, ich hab mich ziemlich mies benommen.“ Keine Reaktion. “Ich … ich schätze, ich war … na ja … eifersüchtig.“ Yami blinzelte überrascht und blickte Yugi an. „Eifersüchtig auf mich?“, fragte er verwirrt. Yugi nickte. „Ich hatte irgendwie Angst, dass Kiara …“ Der Pharao runzelte die Stirn. „Das was?“ „Na ja … dass sie dich als Bruder mehr mag als mich.“ „Davor hattest du Angst?“ Yugi zuckte mit den Schultern und lächelte schwach. „Albern oder?“ „Albern? Das war eher …“ „Pharao.“, lenkte Kiara ein, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte und breit lächelte. „Fang nicht schon wieder an. Yugi hat sich entschuldigt, könntet ihr beide also endlich wieder Freunde sein und mir meine wohl verdiente Ruhe gönnen!“, seufzte sie, während sie die letzten fünf Worte knurrend aussprach. „Und? Nimmst du meine Entschuldigung an?“ „Sicher tu ich das. Aber ich glaube, ich muss mich auch entschuldigen.“ „Wofür denn?“ „Ich hätte nicht gleich so hart zurückschleudern sollen.“ „Du hast dich nur verteidigt. Ich war doch derjenige, der angefangen hat, also muss ich mich auch entschuldigen.“ „Und ich war derjenige, der überhaupt erst einen Grund dafür geliefert hat, also muss ich mich auch entschuldigen.“ „Das ist doch Unsinn.“ „Ist es nicht.“ „Ist es doch!“ „Ist es nicht!“ „Ist es…“ „RUHE!!!“, schrie Kiara genervt und griff sich an den Kopf. Yugi und Yami blickten sie geschockt an und kratzten sich kurz darauf verlegen am Kopf. „Wenn ihr jetzt anfangt, darüber zu streiten, wer sich entschuldigen muss, schmeiße ich euch aus dem Haus und ihr könnt sehen, wo ihr die nächsten Wochen übernachtet, verstanden? Wenn ich noch einmal irgendwie merke, dass ihr aneinander geratet, gibt’s ein Theater, das sogar Seto in die Knie zwingen würde!“ Pfeifend verschwand der Pharao in seinem Puzzle, nicht ohne vorher Yugi anzusehen und ihm ein Augenrollen zuzuwerfen. „Und wie geht’s deinem Kopf?“, fragte Yugi besorgt, während er Kiara aus dem Badezimmer brachte und ihr Zimmer ansteuerte. „Es geht einigermaßen. Es ist halt nur komisch, dass ich in all den Jahren von so etwas verschont geblieben bin und plötzlich, ohne jeden Grund Dauerbefallen bin.“ „Würde ich es nicht besser wissen, würde ich sagen, das sind noch irgendwie Nachwirkungen von dem Unfall, aber ... so gesehen, traten diese Schmerzen doch erst auf, als du diesen Anfall vor einer Woche hattest, oder?“ Kiara nickte und griff sich an den Kopf. „Schon wieder?“ Kiara schüttelte den Kopf. „Ich werde diese Schmerzen einfach nicht mehr los. Ich weiß nicht genau, was los ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nichts mit dem Unfall zu tun haben.“ Kapitel 6: Yugi verschwindet ---------------------------- Mittlerweile waren zwei Wochen vergangen und die Stimmung hatte sich wieder um Einiges gehoben. Yugi und der Pharao erwähnten ihren Streit mit keinem Wort mehr und Kiara war froh darüber. Der Pharao redete wieder mit ihr und auch sonst schien alles wieder so zu sein, wie es vor ihrem Streit war. Eines jedoch war auch nach wie vor nicht aus der Welt. Noch immer litt Kiara unter ihrer vorläufigen Erblindung und noch immer war kein Ende in Sicht. „Komm schon, Kiara, wie willst du dich duellieren, wenn du nichts sehen kannst?“, entgegnete Yami, während er Yugis Zwillingsschwester gegenüber Platz nahm. Kiara grinste verschmitzt. „Lass es uns doch erst einmal versuchen.“ „Na schön, aber erwarte nicht, dass ich dich schone, nur weil du nichts sehen kannst.“ „Oh, keine Sorge! Ich beiß mich schon durch! Und wer weiß, vielleicht erlebst ja auch du eine Überraschung.“ „Ehrlich gesagt bezweifle ich das.“ Kiara zuckte mit den Schultern und zog ihre erste Karte vom Stapel. „Na schön, dann spiele ich ... Gaia, Ritter der Finsternis im Angriffsmodus und eine Karte verdeckt.“ Yamis riss die Augen auf, als Gaia auf dem Spielfeld erschien und in Angriffspose ging. „Wie ...“ „Was ist? Überrascht?“ „Ich ... nein ... na ja ... eigentlich ... woher wusstest du, dass es Gaia ist? Du kannst wieder sehen, gib es doch zu!“ „Wenn ich die Augenbinde trage?“, kam die prompte Antwort. „Na ja ...“ „Was ist, hast du Angst, Pharao?“ „Ich ... nein, nur ...“ „Dann mach deinen Zug.“ „Na schön! Schwarzes Magiermädchen, kombiniert mit Buch der geheimen Künste! Vernichte ihren Gaia!“ „Nicht, wenn ich deinen Angriff abblocken kann.“ Kiara aktivierte ihre verdeckte Karte und Yami schnappte nach Luft. „Die Macht des Spiegels? Seit wann machst du so einen typischen Anfängerfehler uns spielst eine so mächtige Karte gleich am Anfang des Spiels?“ Kiara zuckte mit den Schultern. Yami seufzte. „Versteh schon, du willst mir nur beweisen, dass …“ Yami stutzte. Ein süßer Duft drang ihm in die Nase und sein Blick fiel unweigerlich auf Kiaras Karten. „Du elendes kleines Biest! Du hast genau denselben Trick angewandt wie Mai. Du hast deine Karten mit irgendwelchen verschiedenen Düften markiert!“, rief er und riss Kiara grinsend ihr Deck aus der Hand. Kiara lachte und wollte wegrennen, prallte jedoch gegen eine Wand und stolperte in Yamis Arme zurück, der ihre Taille umfasste und sie in die Luft hob. „Dich werde ich lehren, mich überlisten zu wollen.“ „Lass mich los.“ „Kommt nicht in Frage! Erst wenn du dich entschuldigst.“ „Pharao!“, rief Kiara lachend und krallte sich in seinem Ärmel fest. „Ich krieg keine Luft mehr.“ „Sag, dass es dir leid tut.“ „Ich ...“ Kiara prustete los und schlug wie wild um sich vor Lachen. „Hör endlich auf, das kitzelt.“ „Sag Es tut mir leid!“ „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!“ Yami entließ sie aus seinem Griff, hielt sie jedoch noch immer an den Schultern fest. Kiara atmete ein paar Mal tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. „Und? Wo bleibt die richtige Entschuldigung?“, fragte Yami grinsend, doch einen Augenblick später bereute er diese Frage, denn Kiara griff sich an den Kopf und sackte einfach in sich zusammen. Im letzten Moment fing er sie auf und lehnte sie vorsichtig an sich. „Kiara? Kiara? Alles in Ordnung? Was ist los?“ Kiara öffnete die Augen, hielt sich jedoch immer noch den Kopf. „Ich weiß nicht. Mir ist irgendwie so ... so schwammig. Ich glaub, ich muss mich erst einmal hinlegen.“ Yami nickte, ergriff ihren Arm und half ihr zu ihrem Bett, wo sie sich in die Kissen sinken ließ. Yami verließ indes das Zimmer, schnappte sich aus dem Badezimmer einen kalten Waschlappen und drapierte ihn vorsichtig auf Kiaras Stirn. Eine Weile blieb Kiara reglos liegen, atmete ruhig ein und aus und hielt Yamis Hand fest umklammert. „Und?“, fragte er schließlich und nahm den Waschlappen wieder von ihrer Stirn. „Es geht schon wieder.“ „Was war denn los?“ Kiara schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich hab keine Ahnung, aber … so langsam geht es mir auf die Nerven. Das ist jetzt schon das dritte Mal an diesem Tag.“ „Wie bitte?“ Yami sprang auf und funkelte sie an. „Und du hast es nicht für nötig erachtet, mir das mal zu sagen?“ „Na ja, ich …“ „Kiara, das ist kein Scherz. Irgendwas passiert mit dir und ich finde, das solltest du nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wie oft hattest du diese Anfälle jetzt schon?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Kommt drauf an. Heute oder in den letzten Tagen?“ Yami wurde blass. „Ich ziehe die Frage zurück, seit wann hast du diese Anfälle?“ „Seit … seit dem Zusammenbruch auf der Straße.“ Der Pharao verschränkte die Arme vor der Brust. „Mir gefällt das ganz und gar nicht“ „Glaubst du, mir gefällt es?“, fauchte sie zurück und sprang auf. „Ich kann nichts sehen, ich hab ständig Migräneattacken, ich falle andauernd in Ohnmacht und …“ In ihrem Eifer stolperte Kiara durch das Zimmer, bis sie auf einer auf dem Boden liegenden Karte ausrutschte und dem Pharao in die Arme fiel. „…und von den Leuten in der Schule muss ich mir auch blöde Sprüche anhören. Tut mir leid, wenn ich bei all dem Kummer vergessen habe, dir mein Leid detailgetreu zu schildern, aber ich dachte, dir ist sowieso schon klar, was ich gerade durchmache!“ Atem stellte Kiara wieder auf die Beine, hielt sie jedoch an den Schultern fest. „Jetzt flipp nicht gleich aus, das bekommt dir nicht gut.“ Einen Augenblick lang sah er sie forschend an, packte dann ihre Hand und steuerte den Ausgang des Zimmers an. Kiara stolperte unbeholfen hinterher. „Wo willst du hin?“ „Wir fahren ins Krankenhaus.“ „Was? Kommt gar …“, verzweifelt versuchte sie sich loszureißen, prallte in ihrem Eifer jedoch gegen die Wand und taumelte benommen zurück. Yami schmunzelte leicht. „Hat es weh getan?“ „Überhaupt nicht!“, fauchte sie und rieb sich die Stirn. Mit der anderen Hand tastete sie sich langsam vorwärts auf der Suche nach einem Stuhl. Yami rollte seufzend mit den Augen und griff nach ihrem Arm. „Wir gehen ins Krankenhaus und keine Widerrede.“ „Aber …“ „Bist du vielleicht endlich mal still?“ „Aber …“ „Du, deine Augen sind bald nicht die einzigen Dinge, die verbunden sind!“, knurrte er zurück und augenblicklich schwieg sie. Yamika erschien neben ihm. „Hör auf damit! Wenn sie nicht will, solltest du sie auch nicht dazu zwingen.“ Der Pharao funkelte sie wütend an. „Falls dir das nicht klar sein sollte, aber mit Kiara stimmt etwas nicht und ich habe nicht vor, es bei diesen Problemen zu belassen, nur weil sie vielleicht Angst vor Krankenhäusern hat.“ „Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, scheint Kiaras Problem nicht gerade irgendwelche physischen Ursachen zu haben. Du hast vollkommen Recht, wenn du der Meinung bist, dass mit ihr irgendetwas passiert, aber dieses Etwas kann ganz sicher nicht durch irgendwelche Ärzte geklärt werden.“ Yami wollte gerade etwas erwidern, als Kiara plötzlich zu zucken begann und auf die Knie fiel. Keuchend presste sie ihre Hände gegen die Schläfen… Flash! Ein Lagerhaus, keinen Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Eine Gestalt auf der Straße, die sie zu sich winkte. Sie war in ein bodenlanges weißes Gewand gekleidet, das Kiara unweigerlich an Ägypten erinnerte. Kiara stockte der Atem. Es war dasselbe Gesicht. Dasselbe Gesicht, das ihr vor Wochen in ihrer ersten … Vision erschienen war. „Kiara!!!“ Eine schallende Ohrfeige holte sie in die Realität zurück. Für ein paar Sekunden rieb sie sich unsicher die rechte Wange, bis sie wütend auf die Beine sprang. „Was soll das? Weißt du, wie weh das tat?“, fauchte sie und riss sich dabei die Augenbinde herunter. „Und davon hab ich auch so langsam die Schnauze voll.“, knurrte sie und pfefferte die Binde zu Boden. Mit vorgestreckten Armen tastete sie sich durch das Zimmer, auf der Suche nach ihrem Bett, auf das sie sich niederlassen wollte. Der Pharao runzelte die Stirn. „Kiara.“ „Sei still!“ Unsicher starrte er auf seine rechte Hand, die Kiara vor ein paar Sekunden eine ordentliche Ohrfeige verpasst hatte. Wütend ballte er sie zur Faust und verließ das Zimmer. Kiara vernahm das Zuschlagen der Tür und wirbelte herum. Angestrengt lauschte sie, doch nichts wahr zu vernehmen. „Pharao?“ Keine Antwort. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorn, stieß aber gegen kein Hindernis. Nach und nach beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie gegen die Zimmerwand lief. „Pharao!“, rief sie, während sie sich langsam die Wand entlang tastete, die Tür jedoch nicht finden konnte. Obwohl sie wusste, dass sie sich nur in ihrem Zimmer befand, geriet sie in Panik, als ihr klar wurde, dass sie ohne Hilfe nicht einmal das Haus würde verlassen können. Vor Panik rannen ihr bereits die Tränen die Wangen hinab. Wo war nur diese verdammte Tür? Und dann krachte sie gegen irgendein Möbelstück, fiel darüber hinweg. Irgendwo in der Ferne registrierte sie noch das Splittern von Glas, bevor sie in die Scherben stürzte und dann nur noch einen furchtbaren Schmerz verspürte. Sie konnte fühlen, wie etwas Warmes ihre Arme entlang floss und erstarrte, als ihr klar wurde, dass das ihr eigenes Blut war. Die Tür wurde aufgerissen und der Pharao stürzte herein. Selbst Yugis Geist, der neben ihm schien, verlor sämtliche Farbe, als sie Kiara am Boden liegen sahen. Sie war über die Kommode gestürzt und hatte gleichzeitig die Glaslampe umgerissen, die völlig zertrümmert neben Kiara lag, die in ihren Scherben gelandet war. Einzelne Splitter hatten ihr die Arme aufgerissen. Der Pharao sog scharf die Luft ein, stürzte auf das Mädchen zu und brachte sie vorsichtig auf Abstand von den Scherben. Ihr Großvater kam die Treppe hinauf gerannt und blickte ebenfalls völlig schockiert auf seine Enkelin, die mit tränenüberströmten Gesicht in Yamis Armen kauerte und leise vor sich hin wimmerte. „Mein Gott, was ist passiert?“ Yami biss sich auf die Unterlippe. „Ich … ich hab nicht auf sie aufgepasst.“ Großvater Muto blickte Yami besorgt an. Ihm war Yamis verbitterter Unterton nicht entgangen. Offenbar gab er sich die Schuld an dem Vorfall. „Ich hole Verbandszeug. Bin gleich wieder da.“ Eine halbe Stunde später hatte sich Kiara wieder ein wenig beruhigt und kauerte nun wie ein Häufchen Elend auf der Couch, während Yami neben ihr hockte, den Kopf in die Hände gestützt. „Es tut mir Leid, Kiara! Wirklich. Ich hätte dich nicht einfach allein lassen sollen.“ „Ich lebe ja noch.“ Yami blickte sie nachsichtig an. „Es hätte auch anders ausgehen können.“ „Natürlich hätte es das.“, seufzte Kiara, kroch vorsichtig bis zum Rand der Couch und tastete mit der linken Hand nach seiner. Ohne zu zögern ergriff er sie. Dann – ohne Vorwarnung – verpasste sie ihm einen ordentlichen Schlag gegen die Schulter, der ihn ohne Bremsung in die Kissen fallen ließ. „Und jetzt hör endlich auf, immer so schwarz zu malen.“, fauchte sie, obwohl die Belustigung in ihrer Stimme ohne Probleme herauszuhören war. Ächzend setzte er sich wieder auf und blickte sie beleidigt an. „Das tat weh!“ Kiara kicherte und lehnte sich an ihn. „Sollte es auch.“ „Was war vorhin eigentlich los?“ „Ich bin über die Kommode geflogen.“ Yami rollte mit den Augen. „Das meinte ich nicht.“ „Oh, dann meinst du den Grund für deine Ohrfeige?“ Augenblicklich wurde der Pharao rot. Neben ihm erschien Yugi, der ihn böse ansah. „Was nebenbei bemerkt, völlig unnötig war.“, knurrte er. „Du hattest einen Anfall, Kiara! Was hätte ich denn machen sollen?“ „Einen Anfall?“ „Du hast um dich geschlagen, gezuckt, als würdest du unter Strom stehen … ich wusste nicht mehr, was ich noch tun sollte. Du hast ja auf gar nichts mehr reagiert.“ Kiara ließ den Kopf hängen. „Wirklich? War es so schlimm?“ Yami warf Yugi einen hilflosen Blick zu, der den Wink verstand und seinen Platz übernahm. Nach kurzem Zögern rückte er ganz nah an seine Schwester heran, legte den Arm um ihre Schulter und lehnte seine Stirn gegen ihre Schläfe. „Vielleicht sollten wir wirklich ins Krankenhaus fahren. Nur zur Sicherheit.“ „Aber …“ „Kiara, ich mach mir langsam wirklich Sorgen um dich. Du hast plötzlich Anfälle, fällst in Ohnmacht, hast … epileptische Anfälle … Ich meine, es ist natürlich möglich, dass das alles irgendwie seinen Ursprung in etwas … Bösem hat, aber bitte … lass uns wenigstens erst einmal die Gewissheit verschaffen, dass es keinen physischen Grund für dieses ganze Dilemma gibt.“ Kiara schluckte. „Na ja … ein Problem kann man nur dann bekämpfen, wenn man den Ursprung weiß, hab ich Recht?“ „Soll heißen?“ Kiara seufzte. „Wir gehen ins Krankenhaus.“ Ohne ein weiteres Wort sprang Yugi auf und stürmte in den Korridor. Kiara umschlang ihren Oberkörper mit den Armen und unterdrückte das aufkommende Zittern. Sollte sie ihm etwas von der Vision erzählen? Zehn Minuten später waren sie auf dem Weg zum Krankenhaus. Yugi hielt Kiaras Hand fest umklammert und führte sie die Straße entlang. „Ist es noch weit?“, fragte sie schließlich. „Wir sind gerade beim Lagerhaus, nur noch um die Ecke, dann …“ Kiara stoppte abrupt. „Lagerhaus?“, fragte sie schockiert. Yugi runzelte die Stirn. „Ja! Warum?“ Kiara fing an zu zittern. War es möglich, dass es dasselbe Lagerhaus war, das ihr in ihrer Vision erschienen war? Sie wollte gerade etwas sagen, als sie Yugi nach Luft schnappen hörte. „Was ist los?“, fragte sie panisch. „Was ist das?“ „Was ist was?“ Doch Yugi antwortete nicht. Verzweifelt zerrte sie an seiner Jacke. „Was ist los?“ Und dann – ohne Vorwarnung – schleuderte Yugi sie zur Seite. Kiara konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, suchte hastig nach Halt, der ihr jedoch verwehrt blieb. Ungebremst krachte sie – mit dem Kopf voraus – zu Boden, hatte das Gefühl, die Vögeln singen zu hören, während sie weit in der Ferne die Stimmen von Yugi und Yami vernahm, bevor sie in den Tiefen der Bewusstlosigkeit versank… Kapitel 7: Kiaras Beichte ------------------------- „Komm schon, Kiara! Wach endlich auf!!“ Nur entfernt vernahm sie die klare kräftige Stimme Yamis. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, stemmte sie sich in die Höhe und öffnete die Augen. Yamis besorgter Blick empfing sie augenblicklich. Ein tiefer Kratzer zog sich über seine linke Wange. Stirnrunzelnd strich sie über die Verletzung und zuckte überrascht zurück. War es möglich… Auch Yami betrachtete sie überrascht. „Kiara, du …“ Verwirrt blinzelte sie und sah hastig nach rechts und nach links. „Ich …“ „Du kannst wieder sehen.“ „Es sieht fast so aus.“, stellte sie fest. Die Fassungslosigkeit über ihr unwahrscheinliches Glück war ihr ins Gesicht geschrieben. Kiara blickte Yami wieder an und ein strahlendes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie seinen Anblick vermisst hatte. Es war seine selbstbewusste Ausstrahlung, die sie jedes Mal auf das Neuste aus der Fassung brachte. „Jetzt werd mal nicht romantisch, Kiara.“, knurrte Yamika, die sich in ihre Gedanken geschummelt hatte. Kiara rollte mit den Augen und ließ sich von Yami auf die Beine ziehen. „Tja, jetzt wo ich wieder sehen kann … brauchst du ja wohl auch nicht mehr den Beschützer zu markieren. Also … flott, flott … lass Yugi ran!“ Kiara wusste nicht genau, was sie mehr schockierte – Atems Blick, der von Erleichterung sofort auf unbeschreibliche Wut umschlug oder die Tatsache, dass sie bereits in Yamikas Gedankenwelt erkannte, dass mit Yugi etwas passiert war. Und dann erinnerte sie sich wieder. „Er hatte was gesehen.“ Yami legte den Kopf schief, seine Züge wurden kurzzeitig weicher. „Wie bitte?“ Kiara warf einen Blick auf das Lagerhaus. „Yugi hatte irgendetwas gesehen, bevor er … bevor er mich zur Seite geschleudert hat.“ Ihr Blick richtete sich wieder auf den Pharao. „Was ist passiert? Wo ist Yugi? Was ist hier los?“, rief sie mit schriller Stimme und packte – zu ihrem eigenen Erschrecken sogar – Yami beim Kragen. „Wo ist Yugi?!“ „Kiara!“, riefen Yamika und Yami gleichzeitig. Yami blinzelte Yamika kurz zu, ergriff schließlich Kiaras Hände und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass Yugi einen ….“ Der Pharao stockte, was Kiara fast bis an den Rand einer Weißglut trieb. Was war mit ihrem Bruder geschehen? Warum war er nicht hier? Was ging hier vor? Wütend riss sie sich von ihm los. „Was hat Yugi?“, schrie sie verzweifelt und fuhr sich aufgebracht durch das Haar. „Er hat … eine Art Geist gesehen. Einen Mann, um genau zu sein. Dort vorn!“ Yami deutete auf eine schmale Stelle zwischen dem Lagerhaus und einer Backsteinmauer, die eine kleine Häuserkolonie umschloss. Kiara runzelte die Stirn. „Einen Geist? Einen richtigen Geist?“ Yami hob hilflos die Schultern. „Ich weiß es nicht genau. Ich hab nicht viel mitbekommen. Dieser … Geist wirkte irgendwie so … er hat mich an Ägypten erinnert.“ Innerlich zuckte Kiara heftig zusammen. Ein Geist, ein männlicher Geist, ein männlicher Geist, der etwas mit Ägypten zu tun haben schien. Unweigerlich dachte sie an ihre Vision. Sollte Sie dem Pharao etwas davon erzählen? „Er ist auf uns zugerast und dann … kann ich mich nicht mehr erinnern, was genau passiert ist. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde aus meinem Puzzle gezogen werden, bis…“ Der Pharao sprach nicht weiter. Kiara verstand ihn auch so. Yugi hatte offenbar den Pharao aus seinem Puzzle gedrängt und sich in die … Schussbahn gebracht. Als Dank dafür war er aus dem Puzzle gezogen worden und … ja, was war dann passiert? „Das heißt, Yugi ist irgendwie verschwunden?“ „Mach dir keine Sorgen, Kiara, wir werden ihn ganz sicher finden.“ Kiaras Sicht schwand, als die ersten Tränen ihre Augen füllten. „Du weißt doch noch nicht einmal, was genau passiert ist. Wie sollen wir ihn da finden?“ „Vertrau mir, Kiara! Wir finden ihn, ganz bestimmt.“ „Dein Wort in Gottes Gehörgang.“, knurrte sie und wandte sich zum Gehen. Doch Atem packte ihren Arm und hielt sie fest. „Jetzt warte doch!“ Ihre Blicke kreuzten sich und zum ersten Mal bemerkte Yami pure Verzweiflung in ihrem Blick – Verzweiflung, Angst und Zorn, vermischt mit grenzenlosem Willen, Yugi zu retten. „Kiara, ich … ich will ehrlich sein. Ich hab keine Ahnung, was passiert ist. Ich hab panische Angst davor, Yugi nicht retten zu können und ich habe auch nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wo Yugi überhaupt ist. Aber … wir biegen das alles schon wieder gerade. Ich weiß, dass wir das schaffen. Wir zwei haben noch nie was nicht geschafft.“ Kiara senkte den Blick, nur um ihm kurz darauf wieder in die Augen zu sehen und nicken. „Wir holen ihn da raus.“ Yami seufzte erleichtert und blickte die Straße entlang. „Jetzt bleibt nur noch die Frage offen, wie wir herausfinden wollen, wer oder was Yugi … entführt hat.“ Kiara biss sich auf die Unterlippe. „Vielleicht … vielleicht weiß ich etwas, was damit zu tun haben könnte.“ Yami hob überrascht die Augenbrauen. „Wie bitte?“, fragte er und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust. „Was meinst du damit? Kiara fingerte nervös an ihrer Kette herum. „Na ja … seit diesem Vorfall auf der Straße … hab ich das Gefühl, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt.“ „Ehrlich gesagt, ist das nichts Neues für mich.“ „Du verstehst nicht. Ich hab … neuerdings Visionen, die … die mich nicht los lassen. Visionen, von einem alten Mann in einem Umhang und … alles an ihm wirkt irgendwie ägyptisch.“ Yami zögerte mit seiner Antwort, fragte dann schließlich jedoch: „Warum hast du das nicht eher gesagt?“ Kiara zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich hatte … ich hatte Angst vor dem, was mit mir passiert.“ „Das kann ich schon verstehen, Kiara, aber … du solltest so etwas nicht verschweigen.“ Beschämt senkte sie den Blick. „Ich weiß.“, gab sie kleinlaut zu. „Hast du denn noch etwas gesehen?“ Kiara dachte krampfhaft nach. „Ein … ein Lagerhaus.“ Plötzlich durchzuckte es Kiara und sie starrte das Lagerhaus in ihrem Rücken an. „Dieses Lagerhaus.“ Yami blickte das Gebäude an und schauderte. Die Beschaffenheit des Gebäudes machte ihm sofort klar, dass hier lange nichts mehr gelagert wurde. Der Putz bröckelte bereits von den Wänden, die Fenster waren allesamt komplett zersprungen und über dem gesamten Anwesen schien sich eine düstere Wolke gebildet zu haben. Yami schluckte. Einladend sah es jedenfalls nicht aus. Trotzdem ergriff er Kiaras Hand und steuerte das eingedellte und vollkommen verrostete Tor an. „Was hast du denn vor?“ „Wir sehen nach. Wenn du den Kerl und das Lagerhaus in diesen Visionen gesehen hast, dann scheint da irgendein Zusammenhang zu bestehen. Vielleicht … vielleicht finden wir ja Yugi dort drinnen.“ Kiara ging in die Knie, riss sich von dem Pharao los und schrie plötzlich. Yami blickte sich panisch um, hockte sich dann neben sie und ergriff ihre Schultern. „Kiara?“ Kiara schrie immer noch und so langsam wurde ihm mulmig zumute. Die gesamte Nachbarschaft konnte sie mit Sicherheit hören. Verzweifelt presste er ihr seine rechte Hand auf den Mund und zog sie an sich. Wie nicht anders zu erwarten, begann sie sich heftig zu wehren, schlug um sich, bäumte sich auf, bis sie schließlich keine Kraft mehr hatte und in sich zusammen sank. Yami schloss erleichtert die Augen und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Alles kommt wieder in Ordnung, Kiara.“, flüsterte er und verstärkte seinen Griff um das Mädchen, als sie sich zu rühren begann. „Pharao, du … du erdrückst mich.“, presste sie hervor und befreite sich aus seinem Griff. Erschöpft blickte sie ihn an. „Ich glaube, wir brauchen jetzt nicht mehr daran zu zweifeln, dass das Lagerhaus etwas damit zu tun hat.“ „Warum?“ Mühsam kämpfte sie sich auf die Beine und blickte zu dem Gebäude empor. „Weil Yugi da drin ist.“ Kapitel 8: Kampf in der Dunkelheit ---------------------------------- Das Tor zu öffnen, stellte kein besonders großes Problem dar. Kiara hatte das Gefühl, sie bräuchte es bloß schief ansehen und schon würde es in sich zusammenfallen. An besseren Tagen hatte es mit Sicherheit in einem silbernen Metallicgrau geglänzt, doch jetzt war davon nicht mehr viel übrig. Stattdessen war es komplett von Rost zerfressen und von rostroter Farbe. Kiara drückte sachte dagegen und zuckte zusammen, als beide Flügeltüren nach innen sanken und auf den Boden schepperten. Die Zwillinge waren sich sicher, dass der Lärm noch die nächste Polizeistation in Alarmbereitschaft versetzt hatte. Vorsichtig stiegen sie über den Metallhaufen hinweg und betraten das Gebäude. Drinnen angekommen warfen sie einen Blick in sämtliche Richtungen. Kiara fand ihre Ahnung bestätigt, dass die Lagerhalle seit langer Zeit nicht mehr genutzt worden war. Zahllose Kisten stapelten sich auf einer Fläche von gut 200m². Sogar ein alter Gabelstapler stand noch völlig verrostet in einer Ecke und fristete dort sein nutzloses Dasein. Seine Fenster waren durchschlagen und in sämtlichen Ecken und Winkeln hatten sich feine Spinnweben gebildet. Kiara schauderte. Hier gefiel es ihr keineswegs, obwohl es helllichter Tag war. Selbst Yami, der neben ihr stand und sich ungläubig umsah, behagte der Ort nicht. „Also schön und woher weißt du nun, dass Yugi hier drin ist?“, fragte er schließlich und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Kiara blickte ihn fest an. „Weil ich es gesehen habe. Was glaubst, war das gerade eben da draußen?“ „Das ist es ja, was ich mich frage. Was war es?“ Kiara seufzte. „Eine Vision, was dachtest du denn?“ „Und was hast du gesehen?“ Das Mädchen wandte sich ab und blickte sich wieder im Lagerhaus um. „Du hattest in deinem früheren Leben als Pharao offenbar nicht nur Freunde.“, stellte sie fest, was ihn fragend die Stirn runzeln ließ. Die Hände in die Taschen geschoben blickte er sich ebenfalls wieder um. „Wie meinst du das?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Wir haben es hier mit einem Geist zu tun, Pharao, der offenbar einen unbändigen Hass auf dich hat. Sein Name ist … oder war Aknadin. Er war früher einer deiner Priester und dir offensichtlich nicht so treu ergeben, wie es damals den Anschein hatte. Sein einziges Ziel damals war, dass sein Sohn, wer auch immer, die Herrschaft über Ägypten erlangt. Dummerweise hast du ihm diesen Plan zunichte gemacht. Tja und dafür … will er jetzt Rache.“, beendete sie ihren Vortrag und blickte Yami mit einem ausdruckslosen Gesicht an. Yami schluckte. Er hatte soeben mehr über seine Vergangenheit erfahren, als ihm lieb gewesen wäre. „Und warum hat er dann Yugi entführt?“ Kiara legte den Kopf schief. „Weil Yugi sich in die Schussbahn geworfen hat, als du aus dem Puzzle gezogen wurdest, schon vergessen?“ Yami nickte. „Schlimme Dinge verdränge ich gern.“ „Das ist mir neu.“, bemerkte sie trocken und blickte sich wieder suchend um, bis sie gefunden hatte, was sie gesucht hatte. „Kommt mit!“, befahl sie, ergriff seinen Ärmel und steuerte eine schmale Treppe an, die in eine Art Keller zu führen schien. „Warte mal einen Augenblick. Woher weißt du, dass Yugi dort unten ist?“ Kiara seufzte und blickte ihn genervt an. „Vertraust du mir jetzt oder nicht?“ „Ich will nur wissen, woran ich bin.“ „Na schön: Ich habe Aknadin in dieser Vision gesehen und zwischendurch blitzte immer wieder das Lagerhaus durch. Ich meine, was soll ich denn sonst denken, wenn nicht, dass das Lagerhaus etwas damit zu tun hat?“ „Aber … findest du das nicht ein bisschen zu einfach?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Natürlich! Aber woher soll ich denn wissen, was im Kopf eines rachedurstigen Geistes vorgeht?“ „Da haben wir übrigens unser nächstes Problem. Er ist ein Geist, Kiara, wie willst du einen Geist bezwingen?“ Kiara schnitt eine Grimasse. Daran hatte sie tatsächlich nicht gedacht. „Tja … gute Frage. Das heißt … vielleicht …“ Kiara sah Atem nachdenklich an. „Gib mir mal dein Deck!“ „Wozu?“, fragte er, holte es jedoch trotzdem aus seiner linken Hosentasche heraus und hielt es ihr entgegen. Hastig blätterte sie das Deck aus vierzig Karten durch, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie nahm die zwei Karten, gab Yami das Deck zurück und hielt ihm eine der beiden Karten entgegen. „Behalte die hier in der Hand. Wir brauchen sie, wenn wir diesen … diesen Priester in die Wüste schicken wollen.“ Yami blickte auf die Karte und konnte einen überraschten Gesichtsausdruck nicht verhindern. „Das … ist das dein Ernst? Du glaubst, damit können wir ihn bezwingen?“ „Damit und mit der Karte, die ich noch habe.“ Und mit diesen Worten steuerte sie die Treppe an und stieg die einzelnen Stufen hinab. Yami folgte ihr und mit jedem Schritt, den er machte, schien es um ihn herum dunkler zu werden. Die Treppe, obwohl sie aus Stein war, schien auch schon sehr abgenutzt zu sein. Vereinzelt war der Beton bereits sehr rissig und lud zu allem Möglichen ein, nur nicht dazu, diese Stufen zu benutzen. Doch schon nach kurzer Zeit hatten sie heil den Boden erreicht. Kiara blinzelte angestrengt angesichts der Tatsache, dass es hier unten bei weitem dunkler war, als in der oberen Etage. Nur schwer waren einzelne Konturen zu erkennen und so konnte sie nur erahnen, dass in diesem Raum irgendwelche Möbel oder Kisten standen. Yami erschien neben ihr und schien ebenso große Probleme zu haben sich an die Dunkelheit zu gewöhnen wie sie. „Und du bist sicher, dass er hier unten ist?“ „Ganz sicher.“, stellte sie klar und wagte ein zwei Schritte nach vorn. Yami packte ihre Jacke und hielt sie fest. „Warte doch mal! Hier unten ist es dunkel genug, um einander zu verlieren. Lass uns lieber zusammenbleiben, immerhin brauchst du doch schließlich auch die Karte, wenn es drauf ankommt.“ Kiara antwortete, indem sie seine Hand fest umschloss und weiterging. So leise wie möglich bewegten sie sich auf die Mitte des Kellers zu, bis Kiara unbeabsichtigt gegen eine Kiste stieß, die ihr im Dunkeln verborgen geblieben war. „Sei doch leise!“, raunte Yami ihr zu. „Entschuldige mal du Besserwisser, aber ich kann nunmal im Dunkeln nicht so gut sehen wie du.“, fauchte sie leise zurück und dann erlosch auch noch das letzte bisschen Licht. Kiara drückte sich erschrocken gegen Atem und sah sich verzweifelt um. Schwärze, eine tiefe Schwärze, die sich drückend auf ihre Augen legte und ihr fast den Verstand nahm. Zitternd presste sie sich so fest gegen Yami, dass sie ihn aufstöhnen hörte. „Nicht so fest, ich krieg keine Luft mehr.“ Kiara senkte ihren Druck ein wenig, drückte sich aber immer noch an den Pharao, konnte sogar ihr Zittern nicht mehr unterdrücken. „Ganz ruhig, Kiara! Ich bin sicher, dass nur die Stromleitungen ausgefallen sind?“ Kiara schnitt eine Grimasse, bis ihr einfiel, dass er das gar nicht sehen konnte. „Nur zu deiner Information, du Witzbold, das Licht war überhaupt nicht an. Das einzige Licht, was hier hereingeschienen hat, war das Sonnenlicht aus der oberen Etage und das ist jetzt weg.“ „Dass du auch immer alles merken musst.“, knurrte er und warf den Kopf nach rechts und nach links. „Wie soll man dich denn da beruhigen?“ Ängstlich versuchte Kiara, irgendetwas in der tiefen Schwärze zu erkennen – ohne Erfolg. „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie leise, während sie sich immer noch an seiner Jacke festkrallte. Yami zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich kann dir ja noch nicht einmal sagen, wo hier der Ausgang ist.“ „Soll das heißen, wir bleiben jetzt hier stehen und warten darauf, bis wir irgendwie eine Erleuchtung haben?“ Yami schnaubte. „Erleuchtung? Der war nicht schlecht.“ „Das ist nicht witzig.“ „Ist es auch nicht, trotzdem war er gut.“ Kiara rollte mit den Augen und wagte es, sich von Yami zu lösen. „Sieh einer an, Pharao! Endlich bist du da. Du ahnst ja gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, dass du mir endlich gegenüber stehst, dass ich endlich die Gelegenheit bekomme, dir das heimzuzahlen, was du mir vor 5000 Jahren angetan hast.“ Kiara zuckte vor Schreck heftig zusammen und stolperte einen Schritt zurück. Zu ihrem Entsetzen prallte sie nicht – wie sie erwartete hatte – gegen Yami, sondern gegen eine Kiste, über die sie rücklings stolperte und zu Boden stürzte. Panisch tastete sie im Dunkeln nach Yami, der sich jedoch nirgendwo in ihrer Nähe aufhielt. „Pharao?“, fiepte sie leise und unterdrückte mühsam die aufkeimenden Tränen. Es gab absolut keinen Grund, in Panik zu geraten. Sie war das hier bereits gewohnt. Sie wusste, wie es war, nichts sehen zu können. Kiara beruhigte sich, atmete tief ein und aus und seufzte erleichtert, als ihr Herz nicht mehr so raste. Wo war nur Yami? Eine Hand umschloss ihre Schulter und ließ sie aufschreien. „Pssst, Kiara, ich bin es nur.“, beruhigte Yami sie und legte ihr hastig die Hand auf den Mund. Kiara hätte vor Erleichterung fast zu weinen begonnen. Für ein paar Sekunden lehnte sie sich an ihn und ließ sich von seiner Ruhe anstecken, bis sie sich aufrafften und krampfhaft nach irgendetwas Ausschau hielten, was ihnen in dieser Dunkelheit jedoch komplett verborgen blieb. „Kann es eigentlich sein, dass das dieser … dieser Priester gerade eben war, der mich offenbar aus tiefstem Herzen zu hassen scheint?“ „Wer sollte dir denn sonst eine Kampfansage hier drin machen?“ Yami nickte und straffte sich. „Also schön, Aknadin! Du wolltest einen Kampf, den kannst du gern haben! Aber lass Yugi aus dem Spiel! Ich weiß nicht, was du mit ihm gemacht hast, aber lass ihn auf der Stelle frei oder ich schwöre dir …“ „Was schwörst du mir, Pharao? Mich zu vernichten? Du kannst nichts vernichten, was schon tot ist. Ich bin ein Geist, Pharao! Nicht mehr. Wie willst du dich einem Geist stellen? Du kannst doch noch nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen und willst mich besiegen?“ Atem stieß einen knurrenden Laut aus und ballte wütend die Hände zur Faust. „Na schön, wenn du dich traust, dann komm doch her!“, rief er in tiefe Schwärze hinein und bestätige damit Kiaras Vermutung, dass Yami offenbar doch nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. „Toll! Ermutige ihn noch dazu, uns auszuradieren!“ „Ich hab nicht vor, mich ausradieren zu lassen.“ Kiara knirschte mit den Zähnen und packte Yamis Hand. „Vertraust du mir?“, fragte sie ihn, während sie weiterhin angestrengt versuchte, irgendetwas zu erkennen. „Was soll die Frage?“ „Hör endlich auf, immer mit einer Gegenfrage zu antworten und beantworte mir lieber meine Frage! Vertraust du mir?“ Atem zuckte überrascht zusammen, als ihm klar wurde, dass es gar nicht so lange her war, als er Kiara diese Frage gestellt hatte. Doch dieser Moment schien schon wieder so unendlich weit her zu sein, dass er gar nicht mehr wirklich sicher war, ob es wahr oder nur ein Traum gewesen war. Seine Hand umschloss Kiaras noch fester. „Sicher vertraue ich dir.“ „Dann schließ die Augen und lass mich das übernehmen.“ Yami zögerte, schloss jedoch gehorsam die Augen und wurde überrascht. Mit dem Schließen seiner Augen hatte sich sein Gehör sofort verschärft. Vereinzelt nahm er Wasserplätschern war, das Trippeln von zahllosen kleinen Pfoten schlich sich in seine Gedankenwelt und zum ersten Mal wurde ihm klar, wie Kiara sich die letzten Wochen gefühlt haben musste. Neben ihm entspannte Kiara sich. Das hier war nicht länger unbekanntes Terrain. Nein – sie wusste genau, wie sie dem Geist gegenüber treten musste. Entschlossen schloss sie fest die Augen und ließ die Geräusche auf sich einwirken. Das hier war nichts Anderes, als die letzten Wochen völliger Blindheit. Ihr Griff um die einzelne Karte verfestigte sich und ein Teil ihrer Konzentration richtete sich auf den Gürtel, der in den nächsten Sekunden die Entscheidung herbeiführen würde. Um sie herum bewegte sich etwas, das konnte sie fühlen. Es war mehr als nur ein Windhauch, der sie umfloss. Sie konnte das Böse fühlen, das sich ihnen näherte. Konnte den Hass fühlen, der unbeschreibliche Ausmaße angenommen hatte. Kiara wurde von einer Gänsehaut erfasst. Es näherte sich – der Geist kam näher. Langsam presste sie die Karte gegen ihre Brust und bewegte lautlos die Lippen. Es war da! Sie konnte fühlen, wie sich die Masse aus Bosheit und Hass hinter ihnen aufbäumte, eine tiefe schwarze Wolke, die an Schwärze sogar noch die Dunkelheit übertraf. Kiara zitterte, wirbelte schließlich herum und hielt die Karte in die Höhe. Ein greller Blitzstrahl jagte durch den Keller, erwischte die Karte und erlosch sofort wieder. Und kurz darauf formten sich nach und nach strahlend helle Lichtkugeln, die immer mehr das Aussehen von Schwertern annahmen. Drei waren es, drei, die zusammen genommen ein Dreieck aus Licht bildeten, in dessen Mitte sich eine körperlose Gestalt befand. Kiara schluckte. Es bestand kein Zweifel darin, wer ihnen in die Falle getappt war. Die Zauberkarte Lichtschwerter hatte ihn gefangen – den bösen Geist Aknadin. Das Licht der Schwerter reichte vollkommen aus, um die Umgebung soweit zu erhellen, dass sie Yami erkennen konnte. Kiara blickte Aknadin wieder an und unter dem hassvollen Blick, den er ihr zuwarf wurde ihr tatsächlich angst und bange. „Nicht schlecht, kleine Prinzessin! Du hast scheinbar mehr auf Lager, als ich dir zugetraut hatte. Als du mir damals auf der Straße endlich die Flucht aus dem Reich der Toten ermöglicht hattest, dachte ich schon, ich hätte leichtes Spiel mit euch, aber wie man sieht, hab ich gerade dich wohl doch zu sehr unterschätzt.“ Kiara versuchte verzweifelt, den dicken Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, doch es wollte ihr nicht gelingen. „Was hast du mit Yugi gemacht?“ „Oh, der kleine Narr amüsiert sich prächtig in seinem magischen Gefängnis.“ „Lass ihn sofort frei, Aknadin!!“, fauchte Yami, der seine Sprache endlich wieder gefunden hatte. Der Priester lachte schallend. „Du scheinst dich wieder an mich zu erinnern. Oder doch nicht? Hat dein Prinzesschen dir alles über mich erzählt?“ „Spielt denn das eine Rolle?“ „Vermutlich nicht. Zumindest kann es mir egal sein, ob du alles über mich weißt, wenn ich dich gleich zerschlage oder nicht?“ „Du scheinst dich ein wenig zu überschätzen, Aknadin! Glaubst du, die Lichtschwerter lassen sich so einfach durchbrechen?“ Aknadin lächelte kalt und ein gefährliches Funkeln erreichte seine Augen. Kiara spürte es schon, bevor es wirklich geschah, doch trotzdem reichte die Zeit für eine Warnung nicht mehr aus. Eine gewaltige Druckwelle schleuderte sie und Yami zurück. Kiara stürzte direkt in eine der Kisten, welche zu Tausenden in diesem Keller herumstanden, während Yami ungebremst gegen die Wand donnerte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf und rieb sich den Kopf. Taumelnd kam er wieder auf die Beine, musste sich allerdings sofort wieder an der Wand abstützen, um nicht zusammenzusacken. Kiara kämpfte sich ebenfalls wieder auf die Beine und suchte verzweifelt nach der Karte, die Yami in Verwahrung genommen, bei dem Sturz jedoch verloren hatte. „Oh nicht doch … bitte, bitte nicht schon wieder …“ fluchte sie verzweifelt. „Komm schon, komm schon, komm schon! Materialisiere dich Schwarzer Magier!“, schrie sie schließlich und blickte überrascht auf, als sie in der Ferner ein lilafarbenes Leuchten vernahm. Kiara seufzte erleichtert. Das Licht wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Und dann legte sich plötzlich ein gewaltiger Druck auf ihre Ohren. Schreiend ging sie in die Knie, presste ihre Handflächen gegen die Schläfen und kauerte sich verzweifelt zusammen, als auch noch ihr gesamter Körper vor Schmerz zu beben schien. Atem schien es nicht besser zu ergehen. Auch er sank in die Knie, die Hände auf die Ohren gepresst und mit schmerzverzerrtem Gesicht Ausschau nach der Ursache haltend. Kiara hatte das Gefühl, ihr gesamter Kopf würde platzen. Es war, als würden Tausende von kleinen Männchen von innen mit schweren Hämmern gegen ihre Schädeldecke schlagen. Sie war schon kurz vor einer Ohnmacht, als der Druck abnahm, die Schmerzen verschwanden und ihre Sicht abrupt verschwamm, als ihr Tränen über die Wangen liefen. Keuchend setzte sie sich auf und blickte sich erschöpft um. Zu dem hellen, warmen Licht, was die Lichtschwerter verursachten, hatte sich mittlerweile ein ungeheuer starkes, lilafarbenes Licht gesellt. Kiara lächelte erleichtert, als sie den Schwarzen Magier erblickte, der majestätisch vor dem Geist des ehemaligen Priesters stand, seinen mächtigen Stab auf ihn gerichtet. Offenbar hatte er ohne weiteren Befehl Aknadins Zauber gebrochen und Kiara und den Pharao vor weiterem Unheil bewahrt. Mühsam kämpfte sie sich auf die Beine und taumelte auf die real gewordene Gestalt ihrer Lieblingskarte zu. Ebenso der Pharao, der noch ziemlich blass im Gesicht war. Neben dem Schwarzen Magier blieb sie stehen, schlang die Arme um ihren Oberkörper, um das Zittern zu unterdrücken und funkelte den Geist des Priesters an, der keineswegs glücklich dreinblickte. „Warum so traurig? Enttäuscht, dass wir eine Möglichkeit gefunden haben, dich aufzuhalten?“ Ein Knurren war die einzige Antwort, die sie bekam. „Der Schwarze Magier scheint dir ziemlich bekannt vorzukommen, hab ich den Eindruck.“, zischte sie weiter und war erstaunt darüber, wie sehr das soeben Erlebte an ihren Kräften gezehrt hatte. „Du hältst dich für besonders schlau, kleines Prinzesschen, was? Doch so leicht werde ich es euch nicht machen.“ Diesmal war es der Pharao, der das Unglück kommen sah. Er gab dem Magier bereits den Befehl zum Angriff, konnte aber nicht mehr verhindern, dass Kiara, die mittlerweile am Ende ihrer Kraft war, durch eine neuerliche Druckwelle durch den Raum geschleudert wurde. Der Magier schwenkte anmutig seinen Stab herum und ein mächtiger lilafarbener Energiestrom schoss auf den Priester zu, durchbrach die magische Barriere der Lichtschwerter, die den Geist gefangen hielten, und traf ihn mit voller Wucht in die Brust. Entgegen seiner Erwartung schrie Aknadin in keinster Weise auf. Stattdessen bildete sich lediglich ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht, der Yami klar machte, dass er mit einem direkten und vor allem erfolgreichen Angriff niemals gerechnet hatte. Offenbar hatte Aknadin die beiden Zwillinge tatsächlich unterschätzt. Um ihn herum begann alles zu vibrieren, die Lichtschwerter erloschen und der Geist des Priesters löste sich nach und nach im Nichts auf. Dann war er endgültig verschwunden. Verwirrt blinzelte Yami, als auch die tiefe Schwärze wieder verschwand, die bis vor ein paar Sekunden noch geherrscht hatte. Ein leichter Hauch von Tageslicht floss in den Keller und ließ ihn nicht mehr so bedrohlich wirken. Yami blickte den Magier an, der seinen Blick stumm und mit einem leichten Lächeln erwiderte. „Danke.“, war das einzige, was der Pharao hervorbringen konnte, bevor der Magier wieder verschwand. Noch nie hatte er ein so tiefes Gefühl von Dankbarkeit dem Schwarzen Magier gegenüber empfunden. Das Einzige, was ihm noch nicht wirklich einleuchtete, war Kiaras Ansage Aknadin gegenüber. Was hatte sie damit gemeint, dass der Magier dem Priester nicht gänzlich unbekannt war? Schlagartig wachte er aus seinen Träumereien auf und blickte sich hastig nach Kiara um. Sie lag völlig weggetreten in einem Meer aus Holzsplittern. Offenbar war sie mit solcher Wucht in die Kisten geschleudert worden, dass diese komplett zerstört worden waren. Yami setzte sich eilig in Bewegung. Äußerlich schien sie keine großen Verletzungen davon getragen zu haben, doch seine Unruhe blieb. Allein schon die Tatsache, dass sie ohne Bewusstsein war und keuchend ein- und ausamtete, machte ihm klar, dass sie nicht gerade in bester Verfassung war. Vorsichtig befreite er sie aus dem Meer aus Holzsplittern und machte sich – Kiara auf dem Arm – auf den Weg in das obere Stockwerk und raus aus dem Lagerhaus. Auf der Straße angekommen, sah er sich hilfesuchend um, konnte aber niemanden entdecken, bis ihm das Krankenhaus um die Ecke in den Sinn kam. Obwohl er noch vollkommen erschöpft war, schaffte er es bis zur Notaufnahme, wo er Kiara in die Obhut der Ärzte gab und sich selbst auf einem Stuhl im Warteraum sinken ließ. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in den Händen und dachte nach. Wo war Yugi? Sie hatten Aknadin besiegt und doch konnte er fühlen, dass Yugi noch immer nicht da war, wo er hin gehörte? Sein Geist schien die magische Blockade, die ihn gefangen hielt, noch immer nicht durchbrochen zu haben. Die Frage war nur warum? „Bist du nicht Yugi?“, riss ihn die tiefe Stimme eines Mannes aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er hoch und blickte in das Gesicht von Dr. Makoru. „J…ja, das bin ich. Ehm … wie geht es Kiara?“ „Ist sie etwa eingeliefert worden?“, fragte er alarmiert und drückte sein Klemmbrett einer Ärztin in die Arme, bevor er Yami sanft an der Schulter ergriff und ihn besorgt musterte. „Du siehst auch nicht gerade blendend aus. Ist alles in Ordnung mit dir?“ Yami setzte zu einem Kopfschütteln an, besann sich dann jedoch eines Besseren und nickte. „Mir geht’s gut. Ich will nur wissen, was mit Kiara ist.“ „Was ist denn passiert?“ Der Pharao raste sein komplettes Buch der Ausreden durch auf der Suche nach der perfekten Entschuldigung. „Wir … wir waren in dem Lagerhaus hier um die Ecke und…“ Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den Dr. Makoru aufsetzte, als er Yamis Erklärung vernahm, hatte er an der falschen Stelle angefangen. Doch zurück konnte er nicht mehr. „Was zum Teufel hattet ihr dort zu suchen?“, fragte der Mediziner im scharfen Ton und eine steile Falte bildete sich zwischen seinen blauen Augen. Zum ersten Mal merkte Yami wirklich, was Verunsicherung bedeutete. „Wir dachten, wir hätten Stimmen gehört, deswegen sind wir dort rein. Es klang so, als würde … als würde jemand um Hilfe rufen!“ „Und da fällt euch nichts Besseres ein, als persönlich dort hineinzugehen und euch in Gefahr zu bringen? Ist dir eigentlich klar, dass das Lagerhaus so ziemlich das einsturzgefährdetste Gebäude in diesem Bezirk ist? Eigentlich braucht man es nur schief ansehen und es könnte einstürzen.“ „Ja, das haben wir gemerkt.“, knurrte der Pharao leise in sich hinein und hoffte inständig, dass Dr. Makoru seine Bemerkung nicht gehört hatte. „Warum habt ihr nicht die Polizei gerufen oder die Feuerwehr?“ Yami seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir … haben einfach nicht nachgedacht. Bitte, ich will doch nur wissen, ob es Kiara gut geht. Vorwürfe mache ich mir schon genug, da brauch ich keinen Nachschlag von.“ Der junge Arzt sah Yami noch einen Moment forschend an, bemerkte sofort, dass er unter unglaublicher Müdigkeit litt und nickte dann. „Ich werde nachsehen und du wirst dich gefälligst bei der Schwester am Empfangsschalter melden, dass sie dich in ein Krankenzimmer bringt, wo du dich kurz ausruhst. Du kannst behaupten, was du willst, aber noch kann ich als Arzt erkennen, ob ein Mensch kurz davor ist zusammenzubrechen oder nicht. Und in deinem Fall wundere ich mich ehrlich gesagt, dass du überhaupt noch gerade stehen kannst.“ Yami blickte verlegen zur Seite. Normalerweise ließ er sich nicht so herunterbuttern, doch irgendwie merkte er, dass er tatsächlich nicht mal mehr die Kraft hatte zu widersprechen. Vielleicht war es in diesem Fall wirklich einmal besser, dass er auf den Ratschlag eines anderen Menschen hörte. Und trotzdem konnte er nicht umhin zu denken, dass ein paar Stunden Schlaf nur vergeudete Zeit war, in der er eigentlich Yugi suchen könnte. Doch am Ende siegte seine Vernunft. Mit leicht hängendem Kopf schlurfte er davon und erst jetzt bemerkte er, dass der Druck in seinem Kopf noch immer nicht gänzlich verschwunden zu sein schien. Noch bevor er besinnungslos zu Boden stürzte, kam ihm der Gedanke, dass noch nicht alles überstanden war… Kapitel 9: Yami liegt im Koma ----------------------------- Als Kiara aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte, merkte sie sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war, als würde ein dicker Knoten ihr die Luft abschnüren. Vorsichtig setzte sie sich auf und zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz durch ihren Körper kroch. Ihre Arme waren professionell mit Mullbinden verbunden und der Geruch nach Medikamenten und Desinfektionsmitteln erfüllte den Raum, in dem sie lag. Verwirrt blickte sie sich um. Weiß! Alles um sie herum war weiß. Die schlichten Vorhänge, die drei weiteren Betten, selbst der Fußboden bestand aus weißem Linoleum. Mit einem jammernden Laut sank sie zurück in die Kissen. „Schon wieder ein Krankenhaus? Ich hasse diese Dinger!“, fluchte sie und schlug wütend mit ihrer Faust auf das Laken ein. Ein Fehler. Mit der Geschwindigkeit eines ICE raste ein durchdringender Schmerz durch ihren gesamten rechten Arm. Kiara schrie auf, was offenbar eine ganze Menge Ärzte in diesem Krankenhaus alarmierte, denn kurz darauf rasten gleich drei von ihnen in ihr Zimmer und fingen an, an den Gerätschaften herumzuwerkeln, Kiara mit Spritzen zu traktieren und sich nach den Schmerzen zu erkundigen. Schon nach ein paar Sekunden war sie mit der Situation vollkommen überfordert. Verzweifelt versuchte sie sich Gehör zu verschaffen, wollte klarstellen, dass soweit alles in Ordnung war, doch niemand schien von ihrer Absicht Notiz zu nehmen. Schließlich gab sie es auf und schrie – schrie so laut, dass wahrscheinlich sämtliche Etagen dieses Gebäudes in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Die drei Ärzte pressten rasch ihre Hände auf die Ohren und blickten sie entgeistert an. Kiara schnappte keuchend nach Luft und funkelte die Mediziner an. „Es ist … es ist alles … alles in Ordnung! Ich brauche weder Spritzen … noch irgendetwas Anderes! Das einzige … das einzige, was ich brauche … ist meinen Bruder! Wo ist er?“ Eine der Ärzte – eine blonde Frau, Anfang 40, mit strahlend gründen Augen und einem rundlichen Gesicht – runzelte die Stirn. „Du bist doch Kiara Muto, richtig?“ „Sicher bin ich das. Warum?“ Der Knoten in ihrem Hals machte sich sofort wieder bemerkbar und auf einmal hatte sie sogar das Gefühl, als würde sich etwas Wuseliges in ihrem Magen befinden, denn die Ärzte warfen sich besorgte Blicke zu und blickten dann allesamt verlegen in irgendeine Richtung, nur nicht in ihre. „Was ist passiert? Was geht hier vor? Was ist mit Yugi?“, fragte sie aufgebracht und war nicht einmal überrascht, dass ihre Stimme mit jedem einzelnen Wort lauter und schriller wurde. Vielleicht war es für die Ärzte ein Glück, dass Dr. Makoru in diesem Moment das Zimmer betrat, denn Kiara sah tatsächlich so aus, als hätten sie einen von ihnen im selben Moment angesprungen. So blickte sie den blonden Arzt nur überrascht an, sprang aus dem Bett und lief auf ihn zu. „Was ist mit meinem Bruder? Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt, das kann ich fühlen! Was ist hier los?“, fragte sie und zerrte aufgebracht an seinem Kittel. Dr. Makoru griff nach ihren Händen und hielt sie eisern fest. „Hör mir zu, Kiara! Ich bin Dr. Makoru. Du wirst mich wahrscheinlich nur an meiner Stimme erkennen. Kannst du dich noch an deine Aufnahme nach der Explosion erinnern?“ „Sicher kann ich das, ich bin doch nicht blöd. Und Stimmen kann ich mir auch noch merken! Aber jetzt sagen Sie doch mal endlich, was hier los ist?“ Der Mediziner antwortete nicht. Stattdessen verließ er zusammen mit ihr das Zimmer und trat auf den Flur hinaus. „Ich bring dich zu ihm.“, erklärte er kurz angebunden und steuerte eine Milchglastür an, auf der mit grünen Buchstaben Intensivstation stand. Kiara kroch es eiskalt den Rücken hinab. Die Intensivstation war der letzte Ort, an dem sie Yugi wissen wollte. Und doch öffnete er die Tür und trat hinein, zog sie mit sich und griff nach einem flaschengrünen Kittel, den er Kiara entgegenhielt. Mit zittrigen Fingern griff sie danach und schlüpfte umständlich hinein. Dann folgte sie dem jungen Arzt, der ein abgelegenes Zimmer ansteuerte und sie hineinlotste. Kiaras Hände waren eiskalt, als sie das Zimmer betrat und geschockt nach Luft schnappte. Yami lag mit geschlossenen Augen in einem Krankenbett und war mit diversen Schläuchen und Drähten an zahllose Gerätschaften verbunden. Was Kiara besonders schockierte, war, dass der Herzmonitor keineswegs ruhige, stete und regelmäßige Töne von sich gab, sondern teilweise sogar kurzzeitig aussetzte und unregelmäßig flimmerte. Ein Beatmungsschlauch pumpte unablässig Luft in Yamis Lungen, dessen Augenlider wild flackerten, als hätte er einen Albtraum. Kiara schossen augenblicklich Tränen in die Augen. Das konnte doch nicht wirklich geschehen? „Er liegt im Koma.“, sagte Dr. Makoru überflüssiger Weise, während sie langsam und mit zittrigen Knien auf den Pharao zuging. „Und wenn ich ehrlich bin, Kiara … es sieht nicht so aus, als würde er wieder aufwachen. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber … irgendetwas hat sowohl sein Herz als auch sein Gehirn sehr schwer beschädigt. Eigentlich … ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sämtliche Funktionen versagen.“ Kiara blickte ihn an und hatte plötzlich das Gefühl, ein gigantisches Federkissen ins Gesicht gedrückt zu kriegen. Sie bekam keine Luft mehr, vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte, der ganze Raum begann zu schwanken, als sie auf die Knie sank und sich zitternd am Boden abstützte. Yami, ihr Bruder – er lag im Koma und die Wahrscheinlichkeit, dass er je wieder aufwachen würde, war zu gering, als dass man sich überhaupt nur einen kleinen Funken Hoffnung machen durfte. „Das … das kann doch nicht … dass kann doch nicht ihr Ernst sein. Es kann doch nicht alles zu spät sein!!“, schrie sie, sprang wieder auf und klammerte sich verzweifelt an dem Kittel des Arztes fest. „Bitte, Dr. Makoru, tun sie irgendetwas! Er darf nicht einfach so …“ Flash! „Hast du es denn noch nicht begriffen, du dummes kleines naives Mädchen? Egal, was du auch tust, meine Rache am Pharao kannst du nicht verhindern? Solange ich da bin, wirst du ihn niemals retten können! Du hast nur eine einzige Chance, ihn zu retten und deinen Bruder zu befreien! Vernichte mich und deine Freunde sind gerettet! Aber dazu … musst du mich erst einmal finden! Und das wird dir nie gelingen, Prinzesschen, das schwöre ich dir!!“ Kiara sank auf die Knie und atmete langsam ein und aus. Ihr Kopf dröhnte. „Kiara? Kiara, ist alles in Ordnung?“ Nur schwach drang Dr. Makorus Stimme zu ihr durch. Trotzdem fand sie die Kraft ihm zuzunicken. „Es ist alles okay. Ich komm schon klar. Ich brauch nur ein wenig frische Luft.“, stotterte sie, erhob sich wieder und verließ ohne einen weiteren Blick auf Yami das Zimmer. So schnell sie konnte, rannte sie aus dem Krankenhaus, achtete nicht einmal darauf, dass sie noch nicht einmal ihre normale Kleidung trug, sondern nur einen einfach Pyjama. Vor dem Krankenhaus blickte sie sich hastig um, bis sie eine abgelegene Bank entdeckte, die sie ansteuerte und auf der sie sich völlig erschöpft niederließ. Panisch schnappte sie nach Luft, bis sie schließlich vollkommen aufgelöst in Tränen ausbrach. Yami schwebte in Lebensgefahr und sie allein hatte die Möglichkeit, ihn zu retten. Das Problem war nur, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wo sie nach Aknadin suchen sollte. Verzweifelt blickte sie in den Himmel. Sollte das hier denn wirklich das Ende sein? Vor ihren Augen spielten sich die letzten Monate ab, in denen sie mit dem Pharao und Yugi Dinge durchgemacht hatte, die sie in ihrem gesamten Leben nicht erlebt hätte, hätte sie den Pharao niemals getroffen. Sie dachte an die unzähligen Male, in denen er in Gefahr geschwebt, in denen er niemals die Hoffnung aufgegeben und sich immer wieder aus der Gefahr herausgewunden hatte. Und vor allem dachte sie an die Momente, in denen er immer alles Mögliche riskiert hatte, um seine Freunde und ganz besonders sie selbst zu retten. Und in diesem Moment wusste sie, dass sie niemals so einfach aufgeben würde. Vollkommen egal, wie schlecht die Chancen standen, sie würde weder Yami noch Yugi so einfach im Stich lassen. Entschlossen stand sie wieder auf. Es war Zeit, Aknadin den Kampf anzusagen. Kapitel 10: Der Entschluss -------------------------- So leise wie möglich stahl sie sich die Treppe hinauf. Kiara plagte das schlechte Gewissen. Sie wusste, dass sie eigentlich ihrem Großvater gegenüber alles hätte genau erzählen müssen, doch im Moment sah sie sich weder dazu in der Lage, ihrem Großvater noch mehr Sorgen zu bereiten noch sich selbst einzugestehen, dass ihre Chancen ziemlich mies standen, um den Pharao und ihren Bruder zu retten. Erleichtert erreichte sie ihr Zimmer und ließ sich auf ihr Bett sinken. Die Vorhänge waren zugezogen und so drang nur schwach ein wenig Tageslicht in das Zimmer. Kiara sah sich um. Selten hatte sie sich so einsam und hilflos gefühlt. Sie war nicht der Typ Mädchen, der sich hinter einem Jungen versteckte – vielmehr war sie ein Mädchen von der Sorte, das einem sofort klar machte, dass ihr etwas nicht passte. Sie gab nie einfach so die Hoffnung auf, ließ sich keine Vorschriften machen und hatte auch keine Scheu davor, sich sogar körperlich mit irgendwelchen männlichen Geschöpfen zu messen. Doch all das nützte ihr im Moment reichlich wenig, da der Geist des Priesters sich kaum mit lockeren Sprüchen und drohenden Fäusten würde vertreiben lassen. Kiara hasste ihre jetzige Hilflosigkeit, doch sie wusste, dass ihr blindes Umherwüten noch viel weniger brachte. Stattdessen ließ sie sich langsam in ihre Kissen sinken, schloss die Augen und dachte nach. Ihre Gedanken schweiften ab zu dem Pharao, zu ihrem Bruder, ihren Freunden... Es musste doch einen Weg geben herauszufinden, wo sich Aknadin versteckt hielt und wie man ihn aufhalten konnte. Neben ihr erschien die ziemlich farblose Kontur des Geistes der Pharaonenprinzessin. Sie sah traurig aus, traurig und hilflos. Kiara schüttelte den Kopf. Sie würde jetzt nicht einfach so resignieren und schon gar nicht zulassen, dass ihre beste Freundin sich ebenfalls in Hoffnungslosigkeit verlor. Noch hatten sie eine Chance zu gewinnen, noch war Yami nicht tot. Entschlossen richtete sie sich auf, sprang aus dem Bett und riss die Vorhänge auf. Das strahlend gelbe Licht der Sonne floss ins Zimmer, beschien ihr Gesicht. Kiara konnte die Wärme auf ihrem Gesicht spüren und ein angenehmes Gefühl kroch in ihr hoch. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie die Prinzessin, ohne sich umzudrehen. Sie konnte den verzweifelten Seufzer hören, den sie ausstieß und sofort plagte sie wieder das schlechte Gewissen. Wie sollte es ihr schon gehen? Ihr Bruder lag im Koma und Yugis Geist war spurlos verschwunden. Blieben nicht viele Möglichkeiten, was Gefühle anging. „Entschuldige, das war taktlos.“ „Ist schon gut! Ehrlich gesagt, ist mir das viel lieber, als wenn du mich jetzt ignorieren würdest.“ Kiara hörte die Verbitterung heraus und sofort wurde ihr klar, dass sie in den letzten Stunden keine Sekunde daran gedacht hatte, wie es der Prinzessin ging. Beschämt wandte sie sich ihr zu. „Ich hab mich in den letzten Stunden nicht gerade wie eine Freundin aufgeführt, glaub ich. Tut mir leid, Prinzessin! Ich … ich war so durcheinander, dass ich … dass ich nicht mehr an dich gedacht habe.“ Kiara blickte beschämt zu Boden. „Ich schätze, ich bin egoistischer als ich immer dachte.“ Yamika setzte ein schwaches Lächeln auf. „Jetzt hör endlich auf, Kiara! Ich weiß, dass es dir leid tut, dass du das alles nicht mit Absicht gemacht hast, vor allem dass du ein schlechtes Gewissen hast … es ist okay! Ich hab dir doch schon wieder verziehen! Aber bitte … hör endlich mit dieser Mitleidstour auf!“ Kiara zuckte überrascht zusammen. „Mitleidstour?“ „Ach komm schon! Seit wann lässt du dich so leicht unterbuttern? Schön und gut, Aknadin hat einen Vorsprung, aber warum lässt du dich von so etwas davon abhalten, das zu tun, was dir einfach liegt?“ „Weil ich nicht einen einzigen Anhaltspunkt habe.“ „Natürlich haben wir den, hoffe ich zumindest.“, fügte sie leise hinzu. Kiara seufzte und schaute wieder aus dem Fenster. Warum nur wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie etwas übersehen hatte? Widerwillig dachte sie an ihre erste Vision zurück, das erste Mal, als sie Aknadin gesehen hatte. Die kalten Augen, der weiße Spitzbart, die altägyptische Tracht, die … Kiara schnappte nach Luft. Wie kam sie überhaupt auf Augen? „Natürlich, das ist es!“ Yamika blickte überrascht auf. „Was ist was? Ist dir was eingefallen?“ „Ich hab gerade wieder an meine erste Vision gedacht, daran, als ich Aknadin das erste Mal gesehen habe.“ Kiara schwieg und blickte die Prinzessin erwartungsvoll an, bis diese schließlich die Schultern hob. „Und? Wie soll mir das jetzt weiter helfen?“ „Na ja … Aknadin hatte nur ein Auge.“ „Oh nee, Kiara … so genau brauchst du es mir jetzt doch nicht erklären.“, wandte Yamika ein und verzog das Gesicht. „Das ist mir zu …“ „Jetzt hör mir doch mal zu. Aknadin hatte nur ein Auge … das andere hat er durch das Millenniumsauge ersetzt. Er ist oder war Träger eines Artefakts. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er nach unserem kleinen Kampf das Weite gesucht und sein Heil in der Flucht gefunden hat. Und welcher Ort wäre für seinen Geist ein besseres Zuhause als das Millenniumsauge, dessen Träger er vor Tausenden von Jahren war?“ Yamika nickte. Kiaras Vermutungen ergaben durchaus Sinn, doch sie war immer noch skeptisch. „Und wo ist das Millenniumsauge? Seit Pegasus es verloren hatte, ist es verschwunden.“ Kiara kratzte sich am Kopf. Das war in der Tat eine gute Frage. Allerdings … „Prinzessin … wie ist das eigentlich? Die Millenniumgsgegenstände zieht es doch immer zu den Personen zurück, die sie vor Jahrtausenden besessen haben, oder vielleicht zu Personen, die denen aus der Vergangenheit sehr ähneln, oder versteh ich das falsch?“ „Im Grunde genommen schon. Zumindest ist es bei den meisten so. Der Gürtel und das Puzzle haben es dir ja bewiesen.“ Kiara schüttelte schon wieder den Kopf. „Ach vergiss es wieder, das macht auch keinen Sinn. Er war ja nicht der Besitzer, sondern …“ „Moment mal, Kiara, ich kann dir gerade nicht wirklich folgen. Von wem sprichst du denn gerade?“ „Na ja … ich hatte daran gedacht, dass … vielleicht befindet sich das Augen ja mittlerweile im Besitz von Aknadins Sohn oder der Person, die seinem Sohn ähnlich ist. Aber … das ist quatsch. Sein Sohn war ja nie der Träger des Millenniumsauges.“ „Und wenn wir davon ausgehen, dass Aknadin das Auge soweit beeinflussen kann, dass es irgendwie seinen Weg zu dieser Person findet, die in der heutigen Zeit seinen Sohn verkörpert?“ „Dann würde ich sagen, dass du einen über den Durst getrunken hast. Seit wann können die Artefakte von Geistern beherrscht und beeinflusst werden?“ „Schon vergessen, dass ich ein paar wunderschöne Lichtspiele mit dem Gürtel produzieren kann, die die Realisierung eines Monsters hervorragend untermauern?“ „Das bist du?“ „Wer sonst?“ „Das heißt … es wäre möglich?“ Yamika hob abwehrend ihre Hände. „Ich will es nicht beschwören, Kiara … aber es ist einen Versuch wert. Und … wo willst du sonst anfangen zu suchen?“, fragte sie hilflos und blickte sie traurig an. Kiara nickte zustimmend und ließ sich auf das Bett sinken. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden, bis Yamika den Kopf hob und zu Yugis Bett hinüber sah. „Und wie wollen wir herausfinden, wer dieser Mensch ist, der einst Aknadins Sohn war?“ Kiaras Gesichtszüge hellten sich sofort auf. „Endlich mal etwas, wo ich dir mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass ich weiß, um wen es sich handelt.“ Kiara konnte ihrer Freundin ansehen, dass sie mit allem Möglichen nur nicht mit einer positiven Nachricht gerechnet hatte. „Ach wirklich? Raus mit der Sprache!“ Kiara sprang auf und begann, in ihrem Deck herumzublättern, während sie erklärte: „Du kennst doch die Steintafel im Museum, nicht wahr?“ „Du meinst die, in die der alte Kampf zwischen dem Pharao und seinem Priester eingraviert ist?“ „Ganz genau die! Aknadin hatte vor 5000 Jahren nur den einen Wunsch, dass sein Sohn Herrscher über Ägypten wird. Es liegt doch also nahe, dass dieses Vorhaben die Grundlage für die Auseinandersetzung zwischen den beiden war.“ „Du meinst …“ „Der Priester, der auf der Steintafel dem Pharao als Gegner gegenübersteht, ist niemand anderes als der Sohn von Aknadin.“ „Schön und gut, aber wie soll uns das jetzt weiter helfen?“ „Überleg doch mal, Prinzessin! Wem sieht denn die Figur des Priesters so ähnlich, dass wir das Ganze anfangs sogar für einen Scherz gehalten haben?“ Die Augen der Prinzessin weiteten sich und Kiara grinste. „Ganz genau …“ „Seto Kaiba!“ „Und jetzt mal ehrlich … die Vermutung, dass Seto Kaiba vor Jahren einstmals Aknadins Sohn war, ist ja nun auch nicht gerade so abwegig, oder?“ Yamika schmunzelte. „Worauf warten wir dann noch? Auf zu Kaiba!“ Kiaras Grinsen erlosch. „Jetzt warte doch mal. Schön und gut, wir wissen jetzt, wo sich das Auge eventuell befindet, aber … noch ist die Frage ungeklärt, wie wir Aknadin besiegen können.“ Yamikas Eifer erlosch beinah sofort, als ihr klar wurde, dass Kiara Recht hatte. Wie um alles in der Welt sollten sie einen Geist besiegen? „Und wenn wir jetzt erst einmal zu Kaiba sprinten, fragen ob er das Millenniumsauge hat und uns dann was überlegen?“, fragte Yamika vorsichtig. Kiara schnaubte. „Damit er uns dann ordentlich eins überwischt, während wir über ein paar Lösungen diskutieren? Nee, Prinzessin, das Risiko gehe ich nicht ein. Es muss doch eine Möglichkeit geben … den Kerl zu erledigen.“ „Die gibt es bestimmt. Das Problem ist nur, wo fängst du mit der Suche an?“ „Gibt es denn nicht irgendeine Duel Monsters-Karte, die Geister vernichtet?“ „Ach Kiara … wenn alles so einfach wäre …“ „Ja ich weiß! Aber … es macht mich wahnsinnig, wenn wir hier herumsitzen und nichts tun, während Yugi …“ Kiara merkte sofort, dass wieder die Tränen in ihr hoch krochen. Mühsam schluckte sie sie hinunter. Nicht zum ersten Mal fiel ihr auf, dass ihr ohne Yami oder Yugi alles viel schwerer fiel. Wäre einer von ihnen hier, würde ihr unter Garantie eine Möglichkeit einfallen. „Das Reich der Schatten.“, murmelte Yamika plötzlich neben ihr und Kiara zuckte erschrocken zusammen. „Was meinst du damit?“ „Vielleicht … haben wir eine Möglichkeit, ihn in das Reich der Schatten zu verbannen.“ Kiaras Augenbrauen zogen sich zusammen. „Du meinst mit einem Duell?“ Hilflos zuckte Yamika mit den Schultern. „Möglich?“ „Sag mal spinnst du? Ich will keinen Kaffeeklatsch mit Aknadin abhalten, ich will Yugi retten, verdammt!“ „Und welche anderen Möglichkeiten siehst du dann sonst noch?“, fauchte Yamika augenblicklich zurück. Ihr sonst so hübsches Gesicht hatte sich in eine kalte Maske verwandelt. Kiara schüttelte den Kopf. „Ich lass mich auf keinen Fall mit Aknadin auf ein Spiel der Schatten ein. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was beim Kampf gegen Marik passiert ist und ich sage dir eins, Prinzessin … mich wirst du im Leben nicht zu so einem Wahnsinn überreden!“ „Und wenn es die einzige Möglichkeit ist, Yugi und meinen Bruder zu retten?“ Da war es. Yamika hatte das ausgesprochen, was Kiara in den letzten Sekunden erfolgreich verdrängt hatte. Ihr war klar, dass Yami keine Sekunde gezögert hätte, um für sie dieses Risiko auf sich zu nehmen. Und was tat sie? Sie weigerte sich, dieses Opfer zu bringen, weil sie … weil sie Angst hatte, Angst vor dem, was passieren könnte, wenn sie verlieren würde… „Kiara, hör zu! Du bist gut! Du bist sehr gut und das weißt du auch! Himmel nochmal, Yugi ist der ungeschlagene Champion und trotzdem hat er es noch nicht einmal geschafft, gegen dich in einem Duell zu gewinnen … wieviel Bestätigung brauchst du denn noch?“ Kiara senkte den Kopf. Ein Spiel der Schatten. Sollte es möglich sein, dass das die einzige Chance war, um Yugi zu retten? „Er wird sich nicht drauf einlassen.“ „Das weißt du nicht.“, entgegnete Yamika ernst, während sie aufstand und Kiara gegenüber trat. Kiara sah sie an und war erstaunt zu sehen, wieviel Hoffnung in Yamikas Augen schimmerte. Sie vertraute ihr – baute auf sie, wahrscheinlich ebenso fest, wie Yami und Yugi. Krampfhaft bemühte sie sich, den dicken Kloß in ihrer Kehle hinunterzuwürgen. Ein sanftes Lächeln spielte um Yamikas Mundwinkel. „Lass es krachen, Kiara.“, flüsterte sie stolz. „Zeig ihm, wer der wahre Champion ist!“ Kapitel 11: Kiaras Aufruhr -------------------------- Die Kaiba-Korp ragte über sie hinweg, wie ein Elefant über eine Ameise. Kiara knurrte. Schon zum zwanzigsten Mal in der letzten Stunde fragte sie sich, wie sie so tief hatte sinken können. „Es ist nun einmal so, dass wir seine Hilfe brauchen, Kiara. Daran lässt sich nichts ändern. Also trag es mit Fassung.“ Kiara verzog das Gesicht zu einer wehleidigen Miene und setzte sich wieder in Bewegung. Das riesige Gebäude hatte knapp an die hundert Stockwerke und ragte mehrere Kilometer in die Höhe. Auf seiner Spitze thronte unübersehbar das Zeichen der Kaiba-Corp, was zwischenzeitlich im Licht der untergehenden Sonne funkelte. Ein helles rosa, vermischt mit einem Hauch Lila. Passend zu ihrer Stimmung. Um sie herum herrschte hektisches Treiben. Entweder handelt es sich hierbei um die übliche Rush Hour am Abend oder aber irgendetwas war in der Kaiba-Corp vorgefallen, so dass alle eiligst das Gebäude verließen. Ein älterer Herr, Kiara schätzte ihn zwischen 50 und 60, schoss auf sie zu, stieß sie im Vorbeigehen zur Seite und raste die Treppen hinab. Kiara stolperte zurück und landete in einem aus Marmor gefertigten Blumenkasten, der ein paar Dutzend Rosen ein Zuhause bot. Kiara schrie frustriert auf, was den Mann stutzen ließ. Verwirrt wandte er sich ihr zu, schnappte erschrocken nach Luft und lief auf sie zu. Unter immer währenden Entschuldigungen befreite er sie aus den Dornen und half ihr dabei, die Erde von ihren Sachen zu klopfen. „Entschuldige, bitte … ich hatte es so eilig und gar nicht auf dich geachtet. Hast du dir weh getan? Alles in Ordnung?“ Kiara schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, alles okay! Aber warum flüchten hier alle so voller Panik? Ist irgendetwas passiert?“ „Passiert?“ Der Fremde betrachtete sie ratlos. „Passiert ist nichts. Hier herrscht immer so reges Treiben, wenn Feierabend ist. Die Leute wollen einfach nach Hause.“ „Und das läuft jeden Tag so ab?“ „Sicher.“ „Also wenn ich ehrlich bin, hatte ich im ersten Moment gedacht, das Gebäude fliegt gleich in die Luft.“, bemerkte Kiara trocken, während sie hinauf zur Spitze sah. Die Sonne sank schnell. Das Logo der Kaiba-Corp glühte bereits in einem feurigen Rot. „Ach Mädchen … wenn du für einen Mann wie Seto Kaiba arbeitest, hast du den ganzen Tag das Gefühl, gleich würde etwas explodieren.“, seufzte der Mann und ging mit einem aufmunternden Lächeln wieder weiter. Kiara sah ihm einen Moment noch nachdenklich hinterher, bis sie schließlich ratlos den Kopf schüttelte und auf das Gebäude zuging. „Klingt ja fast so, als wäre es das reinste Vergnügen, mit Seto Kaiba zu arbeiten.“, murmelte sie und durchschritt die Automatiktür. Von innen wirkte der Gebäudekomplex mehr als nur luxuriös. Auch im Erdgeschoss standen – wahrscheinlich millimetergenau angeordnet – Marmorblumenkästen und bildeten ein perfektes Viereck. In der Mitte des „Blumenecks“ hatte man einen kleinen Springbrunnen eingebaut, der unablässig kleine Fontänen in die Höhe beförderte. Kiara war beeindruckt und hielt nur widerwillig Ausschau nach dem Empfangstresen. Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich viel lieber auf eine der Bänke vor dem Springbrunnen gesetzt und dem beruhigenden Plätschern des Wassers gelauscht hätte. Es wäre ein Leichtes gewesen, einfach alles hinter sich zu lassen, alles zu vergessen, keine Sorgen zu haben und sich einfach treiben zu lassen. Wie oft hatte sie sich schon gewünscht, dass ihr Leben einfach mal in ruhigen Bahnen schwamm. Stattdessen musste sie sich zusammen mit ihren Freunden pausenlos mit Geistern, herrschsüchtigen Menschen und dunkler Magie herumschlagen. Und all dies ohne die Aussicht darauf, dass sie irgendwann einmal ein normales Leben führen würde. Sie spürte Yamikas Traurigkeit in sich aufkeimen und senkte sofort beschämt den Blick. Sie stand hier und bemitleidete sich selbst, wo es doch trotz all dieser dunklen Machenschaften um sie und Yugi herum immer noch zwei ganz besondere Personen gab, die ihnen in allen Situationen beistanden und sie niemals allein ließen. Seit der Pharao und die Prinzessin in das Leben der Muto-Zwillinge eingedrungen waren, hatte es unzählige Gefahren gegeben, denen sie sich hatten stellen müssen, das war richtig und trotzdem hatten sie immer alles heil überstanden, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die vier zwischenzeitlich die besten Freunde geworden, immer für einander da waren, sich blind vertrauten und zusammengehalten hatten. Und jetzt – wo sie endlich die Möglichkeit hatte, sich zu revanchieren – war sie kurz davor, den Rückzug anzutreten, weil sie sich im Grunde weigerte, von einem der von ihr verhasstesten Menschen Hilfe anzunehmen? Entschlossen hob sie wieder den Kopf und schritt auf den Empfangstresen zu. Keine Rückzüge mehr. „Entschuldigen Sie bitte. In welchem Stockwerk finde ich Seto Kaiba?“, fragte sie die Empfangsdame, eine mürrisch dreinblickende Frau Anfang 40 mit harten Gesichtszügen, knallrotem Lippenstift, zu viel Make Up und einer gigantischen Parfümwolke, sie die wie ein Fliegenschwarm umgab. Ihr mit vereinzelten grauen Strähnen durchzogenes braunes Haar hatte sie zu einem strengen Knoten im Nacken zusammengebunden und eine altmodische Nickelbrille hing an einer silberfarbenen Kette um ihren Hals. Ihre Augen waren von einem kalten grün und harmonierten überhaupt nicht mit dem bonbonrosa Lidschatten, mit dem sie ihre Augenlieder verunstaltet hatte. Schwarze Wimperntusche und viel zu viel Eyeliner setzten dem ganzen die Krone auf. Kiara gab sich Mühe, kein würgendes Geräusch von sich zu geben, denn die Dame sah nicht gerade aus, als würde sie gut mit Kritik umgehen können. Doch offenbar war sie auf Streit aus, denn sie ignorierte Kiara völlig, hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, von ihrem Computer aufzusehen. Kiara merkte sofort, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, doch sie beherrschte sich und ließ stattdessen ein leises Räuspern vernehmen. Keine Reaktion. Ihre Nasenflügel bebten bereits, als sie geräuschvoll die Luft einsog, in der Hoffnung, dass endlich mal der Hauch einer Reaktion den Empfangsdrachen erfasste. Doch aus diesmal hatte sie keinen Erfolg. Offenbar betrachtete sie sich als eine Spezies, die es nicht nötig hatte, freundlich zu fremden Menschen zu sein, schon gar nicht zu Teenagern in Kiaras Alter. „Ehm … entschuldigen Sie …“ Die Dame hob den Blick und lächelte – ein Gesichtsausdruck, den sie bei ihr niemals erwartet hätte. Kiara war kurzzeitig völlig verdattert und war kurz darauf zurückzulächeln, als sie bemerkte, dass das Lächeln gar nicht ihr galt. Hinter ihr stand ein knapp doppelt so großer Mann in einem teuren Anzug mit schwarzer eleganter Aktentasche und einem penibel zu Recht gestutzten Schnurrbart über den Lippen. Sein Lächeln war aufgesetzt und strotzte nur so vor Eitelkeit. Himmel nochmal, in was für eine Welt war sie nur hineingeraten? „Herr Takashiro, schön Sie zu sehen. Ich nehme mal an, dass Sie einen Termin bei Herrn Kaiba haben?“ Kiara stellte fest, dass die Stimme der Dame wie raues Schleifpapier klang. „Auch, aber vorher muss ich noch in die Werbeabteilung, ein paar Details abklären.“, antwortete der Fremde. „Ah ja … Sie wissen ja, wo Sie hinmüssen.“ Und mit diesen Worten ging er und verschwand im Fahrstuhl. Kiara räusperte sich erneut. „Entschuldigen Sie bitte…“ Doch die Frau hatte sich bereits wieder ihrem Computer zugewandt. Jetzt reichte es. Mit der flachen Hand schlug sie so laut wie möglich auf den Empfangstisch. Das Geräusch ihrer aufschlagenden Hand war wahrscheinlich ohne weiteres noch ein paar Etagen höher zu vernehmen. Das geschäftige Treiben in der Empfangshalle stoppte abrupt und sämtliche Personen wandten sich ihr zu. Die Empfangsdame blickte sie mit funkelnden Augen an. „Was fällt dir eigentlich ein?“, fauchte sie und setzte sich umständlich ihre Nickelbrille auf die Nase. „Was willst du überhaupt? Ich hab jetzt keine Zeit für Kinder!“, herrschte sie weiter und wandte sich wieder ihrem Computer zu. Kiara knurrte. „Aber Zeit für eitle Herrschaften mit schicken Anzügen haben Sie schon, ja? Tut mir leid, dass ich meinen Anzug heut nicht anhabe. Er ist dummerweise noch in der Reinigung! Darf ich vielleicht trotzdem mit Seto Kaiba sprechen?“ „Glaubst du wirklich, dass er Zeit für dich hat? Er ist ein vielbeschäftigter Mann und hat besseres zu tun, als seine kostbare Zeit mit Gören wie dir zu vertrödeln!“ Kiara sah rot. „Und wenn schon! Das kann Ihnen doch egal sein, machen Sie lieber Ihren Job und sagen Sie mir, wo ich Seto Kaiba finden kann!“; schrie sie und für einen Moment konnte sie einen Funken von Unsicherheit in den verunstalteten Augen der unhöflichen Frau erkennen. Kiara grinste innerlich. Sollte sie ruhig Angst kriegen. „Tut mir Leid, aber Herr Kaiba ist außer Haus.“, redete sie sich schließlich raus und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu. Kiara schnaubte. „Dem Kunden vorhin haben Sie doch was ganz Anderes erzählt.“ „Der war ja auch ein wichtiger Geschäftsmann.“ „Und was bin ich? Ne Fliege an der Wand?“ „Im Gegensatz zum Geschäftsführer der Kaiba-Corp nur ein simpler Störenfried.“ „Okay, das reicht jetzt! Gib ihr Saures, Kiara!“, knirschte Yamika in ihren Gedanken. Kiara grinste. Es war schon äußerst selten, dass der sonst so ruhigen Prinzessin der Geduldsfaden riss. „Sagen Sie mir jetzt, wo sich Seto aufhält oder nicht?“ „Er ist außer Haus.“; wiederholte sie, ohne auch nur den Anstand zu haben, Kiara anzusehen. „Schön … dann suche ich ihn eben selbst.“, fauchte Kiara, wandte sich zum Gehen, blieb aber doch noch einmal kurz stehen. „Übrigens: Versuchen Sie es doch lieber mal mit einem Schönheitschirurgen. Ich meine … knallroter Lippenstift, bonbonrosa Lidschatten, kiloweise Make Up, Wimperntusche und Eyeliner … was sind Sie denn: Eine Prostituierte in ihrer Umschulungszeit zur Sekretärin oder wie? Verschönern sieht jedenfalls anders aus. Vielleicht finde ich eine gute Adresse, zu der Sie gehen können, allerdings … Wunder sollten Sie von dem armen Kerl nicht erwarten…“, pfefferte sie ihr noch entgegen und wandte sich dann ab. Die Frau war mit jedem Wort blasser geworden. Selbst ihr Make Up schien jegliche Farbe verloren zu haben. Mit blitzenden Augen blickte sie Kiara nach und griff dann nach dem Telefon. Kiara studierte in der Zeit die Tafel, auf der Informationen darüber zu finden waren, was sich in welcher Etage befand. Es dauerte eine Weile bis die das Wort Geschäftsführung bei der Stockwerkzahl 105 fand. Kiara schluckte. An Höhenangst durfte Kaiba nicht leiden, so viel stand fest. Suchend sah sie sich nach den Aufzügen um und schrak zusammen, als plötzlich zwei Kraftpakete von Männern hinter ihr auftauchten. Sie steckten in schwarzen Anzügen, trugen Sonnenbrillen und Headsets, was sie sofort vermuten ließ, dass sie es mit dem Wachpersonal zu tun hatte. Langsam wich sie ein paar Schritte zurück, was die Männer dazu veranlasste, sie an beiden Armen zu ergreifen und mit sich zu schleifen. „So, Kleine … mach keine Mätzchen und verschwinde von hier. Ärger mit Kindern können wir hier nicht brauchen.“, brummte einer der beiden, der keineswegs so aussah, als könne er Kinder leiden. „Du bist kein Kind!“, erinnerte Yamika sie und im Stillen gab Kiara ihr Recht. Wütend stemmte sie sich gegen den Lauf der beiden Männer, hatte jedoch das Gefühl, dass sie sich eher die Arme ausreißen würde, als dass sie Erfolg haben und die Kerle zum Stehen bringen würde. Verzweifelt begann sie zu zappeln, um sich zu treten, versuchte sogar wie verrückt, sich schwerer zu machen, bis beide – wie abgesprochen – sie hochhoben und weiter beförderten. Kiara schlug weiterhin um sich, trat nach allen Seiten aus, schrie sogar wie am Spieß. Konnte denn das alles hier wirklich passieren? „Darf ich erfahren, was das werden soll?“, dröhnte plötzlich die herablassende Stimme Seto Kaibas durch den Saal und die beiden Männer stoppten augenblicklich, ließen Kiara jedoch nicht runter. „Herr Kaiba, wir …“ „Du bist ja schwerer zu kriegen, als der Präsident der Vereinigten Staaten!“, rief Kiara, während sie verzweifelt versuchte, sich aus dem Griff ihrer Peiniger zu befreien. Kaiba hob überrascht eine Augenbraue. „Was suchst du denn hier?“ „Dich, du Schlauberger! Wen denn sonst?“ „Dann wende dich an meine Empfangsdame und lass dir einen Termin geben!“ Kiara grinste boshaft. „Du meinst die runzlige Alte, die so tut, als wäre sie noch zarte zwanzig?“, fauchte sie. Der sanfte Hauch eines Lächelns erschien in seinen Augen, als er ihre Worte vernahm, was Kiara klar machte, dass er von der Frau ungefähr dasselbe dachte. „Keine Sorge, wir hatten schon das Vergnügen! Aber wenn es nach ihr geht, dann bin ich ein Kind und du bist außer Haus.“ „Na ja … dann hat sie ja zumindest in einem Punkt Unrecht gehabt.“ Kiara runzelte die Stirn. „Ich bin nicht außer Haus.“, erklärte Kaiba schließlich und wandte sich zum Gehen. Kiara blies die Backen auf. „Kaiba, warte! Ich will … ich muss … Herr Gott nochmal, könnt ihr mich nicht endlich mal loslassen? Ich hab kein Gefühl mehr in den Armen!“, schrie sie die beiden Wachmänner an, die Seto fragend ansahen. Seto seufzte und nickte schließlich. „Lasst sie runter. Hunde, die bellen, beißen nicht und sie … bellt immer!“ Kiara rollte mit den Augen, war aber endlos erleichtert, als sie wieder Boden unter den Füßen spürte. Sie taumelte zwar ein wenig, wirbelte dann aber herum und trat beiden Männern ordentlich auf die Füße. Keuchend knickten sie ein und warfen ihr mörderische Blicke zu. Kiara ließ sich jedoch nicht einschüchtern, sondern warf stolz den Kopf zurück und wandte sich wieder Kaiba zu. „Kann ich kurz mit dir sprechen?“ „Hast du einen Termin?“, fragte er und ein boshaftes Lächeln umspielte seine Lippen. Kiara ballte wütend die Hände zu Fäusten. „Ich meine es ernst, Seto!“ „Ich auch! Ich hab noch andere Dinge zu tun. Ich kann deinetwegen nicht immer alles stehen und liegen lassen.“ „Es geht um Yugi.“ „Keine Zeit!“, fauchte er und steuerte den Fahrstuhl an. Kiara knurrte wütend und lief ihm hinterher. „Das ist kein Spiel mehr, Seto! Hier geht es mittlerweile sogar um Leben und Tod! Und ich …“, hastig wich sie einer jungen Frau aus, deren Ohr am Telefon festzukleben schien, „ich brauche deine Hilfe, so sehr es mir auch widerstrebt das zuzugeben!“ Seto blieb stehen und warf ihr einen überraschten Blick zu. „Du bittest mich um Hilfe?“ Yugis Zwillingsschwester hob hilflos die Arme. „Streu nicht auch noch Salz in die Wunde. Du hast ja gar keine Ahnung, was für eine Qual es ist, dich um Hilfe zu bitten. Aber ich fürchte, diesmal bist du meine letzte Hoffnung!“ „Oh … seit wann das? Ich hätte eher gedacht, dass ich auf Ewig dein Untergang sein werde. Was ist passiert? Bin ich befördert worden, ohne es zu merken?“ Kiara schossen die Tränen in die Augen. „Yugi liegt im Sterben!“, schrie sie ihn plötzlich an und konnte nicht mehr verhindern, dass ihr die Tränen die Wangen hinabliefen, dass sie so heftig zitterte, als hätte sie in eine Steckdose gefasst, dass ihre Verzweiflung sie zu übermannen drohte, als sie merkte, dass es vielleicht unmöglich war, Setos Hilfe zu erlangen. Doch zu ihrer Überraschung schien sich etwas in ihm zu rühren. Sein Gesicht konnte jedenfalls nicht lügen. Kiara wusste nicht, ob er vor seiner Belegschaft nicht als herzloser Bastard dastehen wollte oder ob er sich tatsächlich einmal Sorgen machte, doch er ging auf sie zu und betrachtete sie eingehend. Sein Blick fiel auf ihre Arme, dick verbunden mit Mullbinden, die blauen Flecken, die langen Kratzer in Kiaras Gesicht, ihre wild durcheinander fallenden Haare und ihr vollkommen blasses Gesicht, das seit Jahren scheinbar keine Farbe mehr gehabt zu haben schien. „Du siehst furchtbar aus, ist dir das eigentlich klar?“ „Und stell dir vor, ich fühle mich auch furchtbar.“, erwiderte sie bissig. Seto betrachtete sie noch ein paar Sekunden, Sekunden, die sich für Kiara zu einer Ewigkeit ausdehnten. „Komm mit. Vielleicht schafft es ein ordentlicher Kaffee, dir wieder ein wenig Farbe ins Gesicht zu zaubern.“ Kiara hätte vor Erleichterung fast geschrien. Seto machte eine einladende Geste zum Fahrstuhl und das Mädchen setzte sich in Bewegung. Der Chef der Kaiba-Corp folgte ihr. „Und ich will in den nächsten zwei Stunden nicht gestört werden!“, rief er so laut, dass es unmöglich jemand überhört haben konnte. Kiara blickte Seto überrascht an und schaffte sogar etwas, wozu sie lange nicht im Stande gewesen war. Sie lächelte Kaiba an… Kapitel 12: "Entscheide dich, Seto!" ------------------------------------ Kiara hatte das Gefühl, der Fahrstuhl würde Ewigkeiten brauchen, bis er endlich zum Stillstand kam. Zischend öffneten sich die Türen und Seto trat auf den Gang hinaus. Ein wenig nervös folgte sie ihm. Schon seit Stunden – so kam es ihr zumindest vor – überlegte sie, wie sie ihr Anliegen am besten hervorbrachte. Immerhin wusste sie ganz genau, dass Seto an den ganzen Mist, was Yamis und sein früheres Leben als Pharao bzw. Priester anging, nicht wirklich glaubte. Sie waren angekommen. Seto öffnete die Tür zu seinem Büro und ließ sie eintreten. Setos Inneneinrichtung ließ sie nach Luft schnappen. Ein in ihren Augen gigantischer Schreibtisch beherrschte den größten Teil des Büros. Halogenlampen warfen ein kaltes Licht in das Zimmer und ließen sie frösteln. Hier könnte sie im Leben keinen ganzen Tag verbringen. Ein paar Gemälde von irgendwelchen, ihr unbekannten Malern hingen an den Wänden und zeigten lediglich Landschaften, die auf sonderliche Art und Weise grotesk und doch ziemlich real wirkten. Überrascht blickte sie Kaiba an. „Was ist?“, fragte er und steuerte seinen Schreibtisch an, wo er nach einigen Unterlagen stöberte, bevor er sich in seinen Stuhl sinken ließ und Kiara auf den Stuhl ihm gegenüber verwies. Kiara hatte unweigerlich das Gefühl, eine kleine Maus in einem Raum voller Katzen zu sein und das erschreckte sie. Sie war nicht der Typ, der sich einschüchtern ließ und doch machte ihr dieses Büro deutlich, dass Kaiba sie, was das soziale Umfeld anging, wie eine Fliege zerquetschen könnte. Unsicher nahm sie auf dem Stuhl Platz und blickte Kaiba an. Und wieder hatte sie das Gefühl, er würde sie durchleuchten. Eine unangenehme Tatsache, wenn man bedachte, dass sie ihn normalerweise auf den Tod nicht ausstehen konnte. „Also schön, Kiara! Nachdem du mittlerweile das gesamte Gebäude darauf aufmerksam gemacht hast, dass du anwesend bist, dürfte ich jetzt erfahren, was du von mir willst?“ Kiara stützte sich mit dem Ellenbogen auf der Stuhllehne ab und griff sich an den Kopf. „Willst du die lange oder die kurze Geschichte hören?“, fragte sie leise. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich noch andere Dinge zu tun habe, wäre mir die kurze Geschichte wahrscheinlich lieber, aber …“ Kaiba beugte sich vor und blickte sie noch einmal forschend an, „da du mittlerweile mehr Ähnlichkeit mit einer Leiche als mit einem normalen Mensch hast, habe ich so das Gefühl, dass es dir vielleicht ganz gut tut, dich mal auszusprechen.“, schloss er schließlich. Kiara zuckte überrascht zusammen. Obwohl er immer noch ziemlich herablassend klang, hatte sie deutlich herausgehört, dass es ihm trotz allem ernst war mit dem, was er von sich gab. „Sag mal … seit wann bist du eigentlich so nett?“ „Die Tabletten von meinem Psychiater wirken noch.“, konterte er. „Oh! Kann er dir die nicht ein wenig öfter verabreichen?“, fragte sie und schaffte es tatsächlich, ein schwaches Grinsen aufzusetzen. „Na ja, ich kann auch …“ „Nein! Entschuldige, ich … ich bin momentan einfach ein wenig mit den Nerven runter. Sollte eigentlich nicht böse gemeint sein.“ „Was mir allerdings neu wäre.“ Kiara nickte zustimmend und starrte ins Leere. Wo fing sie an? Es dauerte ein paar Sekunden, bis Kaiba sich straffte. „Was ist mit Yugi? Du sagtest vorhin irgendetwas davon, dass er im Sterben liegt? War das nur so dahergeredet oder … war das purer Ernst?“ Kiara blickte Kaiba an und anhand der Tatsache, dass sie kaum noch Luft bekam, ihre Sicht plötzlich verschwamm und ein dicker Kloß sich in ihrer Kehle gebildet hatte, wurde ihr sofort klar, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Ein Bild, was Kaiba nicht verborgen blieb. „Es war ernst gemeint?“ Zitternd nickte sie. „Und wie schlimm ist es?“ „Sagen wir mal so … wenn ich den Verantwortlichen in den nächsten Stunden nicht … nicht erwische und zur Hölle jage … wirst du … wirst du der neue Duel Monsters Champion sein.“ „Eine Tatsache, die mich normalerweise freuen würde…“ Kiara riss entsetzt die Augen auf. „Aber … auf diese Art und Weise Champion zu werden, entspricht nicht meinem Stil. Ich ziehe es vor, mir den Titel in einem ehrlichen Duell zurückzuerobern. Durch Yugis Tod Champion zu werden, ist keine Ehre und sagt nichts über mein wahres Können aus.“ Kiara schluckte, als ihr klar wurde, was Kaiba damit sagen wollte. „Du hilfst mir?“ „Es kommt ganz darauf an, wie meine Hilfe aussehen muss.“ Kiaras Adrenalinspiegel stieg und augenblicklich mischte sich wieder ein wenig Farbe in ihr Gesicht. „Das ist … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Sag mir erst einmal, wie ich dir helfen soll.“ „Eigentlich reichen mir ein paar Auskünfte aus.“ Seto runzelte die Stirn. „Das ist alles? Yugi liegt im Koma und du willst von mir nur ein paar Auskünfte? Ich hätte jetzt eher erwartet, dass du von mir verlangst, dass ich die besten Ärzte der Welt konsultiere, um ihm zu helfen oder etwas in der Art.“ Kiara lächelte schwach. „Wenn es so einfach wäre …“ Ihre Bemerkung ließ ihn stutzen. „Was genau ist eigentlich passiert? Ich meine, du siehst aus, als hättest du dich mit einem leibhaftigen Grizzly geprügelt.“, fragte er, während er nach dem Telefonhörer griff und bei seinem Vorzimmer zwei Kaffee bestellte. Kiara zuckte indes mit den Schultern. „Vom Gefühl her könnte das sehr gut hinkommen.“, murmelte sie und strich sich erschöpft das Haar aus dem Gesicht. Die Tür in ihrem Rücken öffnete sich und Setos Sekretärin kam herein mit zwei Kaffeebechern, aus denen es noch dampfte. Schweigend stellte sie beiden je einen Becher hin und verschwand dann wieder. Kiara griff nach der Tasse und wärmte kurz ihre Hände, bevor sie einen kleinen Schluck nahm. Der Kaffee war heiß und stark und beinah sofort merkte sie, wie wieder ein wenig Leben in ihre Glieder kehrte. Koffein wirkte bei ihr immer schnell. Seto nickte zufrieden. „Also … was ist passiert?“ Kiara stellte den Becher wieder ab und seufzte. „Eigentlich bezweifle ich fast, dass du mir das glauben würdest.“ „Versuch es einfach mal … ich kann sehr offen sein.“ Kiara schnaubte sachte. „Das hab ich ja gemerkt.“ „Es kommt natürlich darauf an, in welche Richtung deine Geschichte wandert.“ „Glaubst du an Wiedergeburt?“, fragte sie ihn plötzlich und unvermittelt. Seto grinste. „Ich dachte mir schon, dass es mal wieder mit dieser Spinnerei zusammenhängt.“ „Das ist keine Spinnerei. Glaubst du denn, Yugi ist von allein ins Koma gefallen?“ „Nein, das glaube ich nicht, aber ich glaube auch nicht wirklich daran, dass ich, du oder Yugi vor Tausenden von Jahren bereits einmal gelebt haben und vielleicht sogar befreundet waren. Die Tatsache jedenfalls, dass wir beide uns nicht ausstehen können, spricht schon Bände dafür, dass wir beide eigentlich niemals Freunde gewesen sein können.“ „Was unter anderem auch daran liegt, dass du niemals im Leben andere Meinungen akzeptieren kannst.“ Seto zuckte mit den Schultern, was Kiara resigniert die Schultern sinken ließ. Vielleicht war es doch nicht so einfach, an Kaibas Hilfe heranzukommen. „Also schön, Seto! Ich will offen sein. Es gab vor ein paar Wochen einen Unfall, bei dem …“ „Bei dem deine Sicht ziemlich stark beeinträchtigt wurde, ich weiß.“ „Woher…“ „Nur, weil wir beide nicht miteinander auskommen, heißt das noch lange nicht, dass ich über dich und deine Freunde nicht im Bilde bin.“ „Du beobachtest uns?“, fragte Kiara überrascht und konnte nicht verhindern, dass eine leichte Gänsehaut über ihren Rücken kroch. „Ehrlich gesagt, zum Beobachten fehlt mir die Zeit, aber ich kann nicht leugnen, dass ich schon ab und zu mal Nachforschungen anstelle. War es eigentlich angenehm, mal eine Weile niemanden zu sehen?“ „Das war überhaupt nicht witzig, Seto! Es war… es war furchtbar. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, wieder was sehen zu können.“ „Und als Ausgleich dafür fällt Yugi ins Koma. Schon merkwürdig oder?“ Kiara funkelte ihn an. „Das Eine hat doch mit dem Anderen nichts zu tun. Yugi liegt im Koma, weil der Geist eines Priesters sich daran festgebissen hat, den Pharao zu vernichten. Und dafür gibt es nur einen einzigen und nebenbei mal bemerkt sehr lahmen Grund und der ist Rache! Er wollte vor 5000 Jahren seinem Sohn die Herrschaft über Ägypten verschaffen. Der Pharao hat allerdings den blöden Fehler gemacht und sich dagegen gewehrt, was ihm jetzt ein paar schöne Schlummerstunden eingebracht hat. Und soll ich dir mal sagen, wer in der heutigen Zeit dem Sohn dieses Priesters bis aufs Haar genau gleicht?“ „Brad Pitt?“ Kiara rang mühsam nach Beherrschung, verlor den Kampf jedoch innerhalb weniger Sekunden und schlug kraftvoll auf die Tischplatte. Die beiden Becher begannen heftig zu wackeln, konnten den Kaffee trotzdem noch in ihrem Inneren bewahren. Seto hob nur die Augenbrauen und blickte sie interessiert an. „Du! Du bist seine Wiedergeburt, du komplett fantasieloser Knallkopf! Du siehst seinem Sohn so ähnlich, dass ich anfangs schon dachte, irgendjemand würde sich mit mir einen Scherz erlauben. Du hast doch die Steintafel gesehen, die Ishizu dir damals gezeigt hat und…“ „Und ich habe meine Meinung dazu bereits geäußert. Ich glaube nicht an diesen Mist, Kiara! Und ich werde auch nicht dran glauben, wenn du mich bedrohst, mich umbringst oder versuchst, mein Imperium zu sabotieren.“ Kiara hob überrascht die Augenbrauen. „Für so jemanden hältst du mich? Es klingt zwar verlockend, aber das ist so ziemlich das Letzte, was ich machen würde, um dir eins auszuwischen, glaub mir! Da würden mir schon andere Dinge einfallen.“, grinste sie, wurde jedoch schlagartig wieder ernst. „Hör zu, Seto! Ob du es glaubst oder nicht, das ist mir jetzt ehrlich gesagt relativ egal. Worum es mir geht, ist, dass du mir hilfst.“ „In der Hinsicht hab ich mich ja wohl bereits klar und deutlich ausgedrückt. Mir fehlen allerdings immer noch genauere Hintergrundinformationen.“ „Na schön! Ich hatte vor ein paar Wochen mitten auf der Straße eine Art Anfall. Es war … als hätte… ich habe jemanden gesehen, eine Art Vision. Und dieser Jemand war ein Priester. Sein Name ist … oder war Aknadin und er ist derjenige, von dem ich dir gerade erzählt habe. Er hatte versucht, den Pharao damals vor Tausenden von Jahren zu stürzen. Jedenfalls ist er auf irgendeine Art und Weise wieder zurückgekehrt und will Rache. Er hat Yugis Geist entführt, den Pharao ins Koma versetzt und mich … na ja … mit Migräneanfällen gequält.“ „Oje … wie schmerzhaft.“ Kiara rollte mit den Augen. „Wir hätten ja gern mal tauschen können. Aber egal! Aknadin ist jedenfalls verschwunden und ich muss ihn finden, um ihn irgendwie – Gott weiß, auf welche Art und Weise – zu vernichten. Nur so kann ich Yugi retten, Seto. Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wo ich suchen muss. Ich habe eine Vermutung, wo er sich eventuell verstecken könnte. Eine Vermutung, die mit dir zusammenhängt. Und das ist der Punkt, an dem ich deine Hilfe brauche.“ Seto blickte sie überrascht an. „Und warum bitteschön soll das alles mit mir zusammen hängen?“ „Soll ich wieder Streit anfangen?“ „Das wäre ja mittlerweile nichts Neues mehr.“ „Die Geister der Personen, die einmal ein Millenniumsartefakt besessen hatten, zieht es nicht selten zu den Gegenständen zurück. Und Aknadin war vor Jahren der Hüter des Millenniumsauges, was mich zu der Annahme bringt, dass er sich im Millenniumsauge versteckt, so gruselig das vielleicht auch klingen mag.“ „Das beantwortet aber immer noch nicht meine Frage! Wo komme ich dabei ins Spiel?“ „Na ja … da ich ja die Vermutung habe, dass du die Wiedergeburt seines Sohnes bist, dachte ich, dass er versuchen könnte, das Auge insoweit zu beeinflussen, dass es irgendwie seinen Weg zu der Person findet, die einstmals seinen Sohn verkörpert hatte und da fiel mein Verdacht nun einmal auf …“ „Auf mich! Wenn wir mal davon ausgehen, dass deine Theorie richtig ist, müsste das bedeuten, dass ich das Millenniumsauge habe, richtig?“ Ergeben nickte sie, hatten ihren Blick jedoch stur auf den Boden geheftet. „Tja … was aber, wenn ich das Auge nicht habe?“ Hilflos zuckte sie mit den Schultern. An diese Möglichkeit hatte sie schon oft genug gedacht, doch noch immer war ihr keine Idee gekommen, wo sie dann mit dem Suchen anfangen müsste. „Keine Ahnung.“, gab sie schließlich zu. Seto seufzte. „Also schön … mal angenommen, ich hätte es. Was würdest du dann machen? Ich meine, wie willst du denn einen Geist bezwingen?“ Kiara dachte kurz nach und zuckte dann schließlich erneut mit den Schultern. „Mit Drohungen und heißer Luft aus einem Föhn?“, murmelte sie in einem Versuch, das Gespräch ein wenig lockerer zu gestalten – ohne Erfolg. „Ich meine es Ernst, Kiara. Mit leeren Drohungen wirst du ihn nicht klein kriegen.“ „Dann hilf mir doch!“ „Und wie?“ „Keine Ahnung … kennst du nicht irgendeine mächtige Duel Monsters Karte, die auch Geistern schaden kann?“ „Werd endlich erwachsen, Kiara! Auf diese Art und Weise kannst du diesen Geist nicht bezwingen.“ „Gut, dann gib mir doch mal einen Tipp!“ „Ich glaube nicht an Geister, woher soll ich also wissen, was du tun musst!“ „Na ja … immerhin scheinst du so weit Ahnung zu haben, um mir klar zu machen, dass ich mit meinem Vorschlägen nicht weit kommen würde.“ „Das hat aber nichts mit Wissen über Geister zu tun, das ist eine Frage der Logik!“ „Na gut! Dann sag mir wenigstens, ob du das Millenniumsauge hast und wenn nicht, ob du weißt, wo ich es finden kann. Ansonsten verschwende ich hier nur meine Zeit.“ „Ich hab das Auge nicht.“ „Bitte, dann ist doch alles geklärt.“ Mit diesen Worten fuhr sie so heftig von ihrem Stuhl auf, dass dieser umfiel und mit einem dumpfen Laut auf dem Teppich aufschlug. „Jetzt warte doch, Kiara.“ „Ist nicht nötig! Was ich wissen wollte, weiß ich jetzt! Ich werde deine kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.“ Mit erhobenem Haupt stolzierte sie zur Tür und keuchte überrascht auf, als Kaiba sie plötzlich am Arm packte und festhielt. „Was willst du denn jetzt machen? Du hast doch noch nicht einmal eine Idee, wo du jetzt anfangen willst?“ In Kiara brodelte eiskalte Wut hoch und sie riss sich mit solcher Kraft von Kaiba los, dass dieser erschrocken zurücktaumelte. „Falls es dir immer noch nicht klar sein sollte, Seto, hier geht es um das Leben meines Bruders, was gerade am seidenen Faden hängt! Und dieser Faden ist mittlerweile schon mächtig ausgefranst! Ich hab keine Zeit mehr, mich mit irgendwelchen Belanglosigkeiten aufzuhalten! Der Arzt hat gesagt, dass Yugis körperliche Funktionen nicht mehr lange intakt bleiben werden und der Himmel weiß, wieviel Zeit ich wirklich noch habe! Also entweder hilfst du mir jetzt, ohne dumme Fragen zu stellen oder alles in Frage zu stellen, was ich sage, oder du lässt es bleiben und ich werde allein zusehen, wie ich weiter komme!“, schrie sie ihn an, verschränkte dann die Arme vor der Brust, um sich zu beruhigen und blickte ihn fest entschlossen an. Eine Entscheidung – das war es, was sie wollte. Seto knirschte mit den Zähnen. Es widerstrebte ihm zutiefst, Kiaras Worten Glauben zu schenken, dass ein Geist für all das Chaos in ihrem Leben verantwortlich war, doch andererseits begriff er, dass Yugi diesmal tatsächlich in höchster Gefahr schwebte. Eine Gefahr, aus der er allein sich nicht so herauswinden konnte. Diesmal musste er sich voll und ganz auf seine Freunde verlassen. Und ob er wollte oder nicht … auf irgendeine Art und Weise, und mochte diese Tatsache noch so klein sein, gehörte er zu Yugis Freundeskreis (eine Tatsache, die er Kiara wahrscheinlich nicht einmal in seinen dunkelsten Stunden gebeichtet hätte). „Also schön, ich helfe dir.“ „Sehr schön, dann lass uns jetzt das Auge suchen.“ „Findest du nicht auch, dass das ein wenig Makaber klingt?“, fragte er grinsend, während sie das Büro verließen und sich auf den Weg zu den Fahrstühlen machten. Kiara konnte nicht anders und musste ebenfalls lächeln. Das Gefühl, dass der Fahrstuhl Ewigkeiten brauchte, überfiel Kiara bereits nach ein paar Sekunden. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie real der Spruch Zeit ist kostbar in den letzten Stunden für sie geworden war. Sehnsüchtig dachte sie zurück an die Momente, in denen die Welt noch in Ordnung war. Wo es keinen Aknadin gegeben hatte, der ihren Bruder und den Pharao in Lebensgefahr brachte, wo es keine Visionen gab, die ihr das Leben mittlerweile zur Hölle machten, so sie nicht darauf angewiesen war, sich Hilfe von Seto Kaiba zu beschaffen. Das helle Gong des Fahrstuhls holte ihre Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Kiara schlüpfte hinein, gefolgt von Seto, der gerade auf den Knopf für das Erdgeschoss drücken wollte, als seine Sekretärin angehetzt kam – unter dem Arm ein kleines Päckchen. „Warten Sie, Herr Kaiba! Ein dringendes Päckchen für Sie, wurde gerade eben abgegeben.“ „Ich habe keine Zeit dafür. Stellen Sie es auf meinen Schreibtisch! Ich kümmere mich darum, wenn ich wieder zurück bin.“ „Es scheint aber wirklich dringend zu sein. Der Postbote hätte mich fast erwürgt, als ich ihm gesagt habe, dass ich Sie nicht stören darf und Sie das Päckchen von daher nicht persönlich entgegen nehmen können.“ Kiara horchte augenblicklich auf und gab Seto von hinten einen sanften Schubs – ein Zeichen, das Päckchen anzunehmen. Der Chef der Kaiba-Corp warf einen flüchtigen Blick auf das Mädchen und nahm das Päckchen schließlich mit einem genervten Seufzen entgegen. Dann schlossen sich die Fahrstuhltüren. „Mach es auf!“, drängte Kiara sofort und blickte erwartungsvoll auf den kleinen braunen Karton, auf dem mit krakeliger Handschrift Setos Adresse geschrieben stand. Seto hob eine Augenbraue, öffnete das Paket jedoch ohne einen weiteren Kommentar – und schnappte nach Luft. Kiaras Augen leuchteten, als sie einen Blick hinein warf. Der starrte Blick des goldenen Millenniumsauges blickte zu ihnen empor… Kapitel 13: Schockierende Wahrheit ---------------------------------- Kaiba blieb die Luft weg und zum ersten Mal begann er zu zweifeln. War es wirklich möglich, dass an all dem, was Yugi und Kiara bisher immer von sich gegeben hatten, irgendetwas Wahres dran war? Ein triumphierendes Leuchten glomm in Kiaras Augen, als sie ihn ansah. „Glaubst du mir jetzt?“, fragte sie grinsend und nahm die Schachtel an sich. Kaiba zuckte mit den Schultern. „Das hat gar nichts zu bedeuten.“ „Ach wirklich nicht?“ „Das kann auch ein Zufall sein!“ „Wieso? Hast du gerade zufällig vor ein paar Tagen eine Kopie davon bei E-Bay ersteigert?“ Kaiba setzte zu einer Antwort an, doch Kiara kam ihm zuvor. „Seto, begreif doch endlich! Du hängst in dieser Sache mehr drin, als du bereit bist zuzugeben. Warum willst du einfach nicht glauben, dass hier Dinge geschehen, die über den normalen Verstand hinausgehen?“ Kiaras Blick fiel wieder auf das Auge und eine düstere Vorahnung erfasste sie plötzlich. Das Auge lauschte – zumindest hatte sie den Eindruck. Langsam schlossen sich die Fahrstuhltüren, doch der Fahrstuhl selbst setzte sich nicht in Bewegung. Kiara blickte unsicher hoch. Irgendetwas stimmte nicht. „Du bist also tatsächlich der Meinung, dass das Auge das Päckchen beschriftet, sich reingesetzt und zur Post getragen hat, damit es endlich in meiner Nähe ist?“ „Weißt du, wenn du das Alles nur ins Lächerliche ziehen kannst…“ „Das will ich ja gar nicht! Aber ich würde gern wissen, wie du glauben kannst, dass ein Auge einen solchen Aufwand betreiben kann.“ „Es ist doch nicht das Auge, Seto! Es ist der Geist des Priesters, der das Auge bewohnt, kapierst du? Und stell dir mal vor, er ist mit höchster Wahrscheinlichkeit sogar in der Lage, von anderen Menschen Besitz zu ergreifen! Und darin dürfte ja wohl auch der Schlüssel liegen, wie das Päckchen in deinen Besitz gelangt ist.“ „Meinetwegen … gehen wir mal davon aus, dass es so ist. Was will er von mir?“ Kiara wollte antworten, merkte aber sofort, dass ihr eigentlich selbst nicht klar war, warum Aknadin ausgerechnet den Weg zu Kaiba gesucht hatte. Sicher, Kaiba war mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit die Wiedergeburt seines Sohnes, aber … was erhoffte er sich jetzt? Dass Kaiba ihn schützte? „Ehrlich gesagt … hab ich keine Ahnung.“, stellte sie schließlich verblüfft fest. „Bei mir hat sich momentan die Theorie verankert, dass er zu dir wollte, weil du sein ehemaliger Sohn bist…“ „Was ist auch jetzt noch bestreite.“ „Aber …“, fuhr Kiara fort und überging seine Bemerkung, „…das erklärt in der Tat nicht, was er von dir will.“ Kiara kroch es eiskalt den Rücken hinab. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf und ihr gesamter Körper wurde von einer heftigen Gänsehaut erfasst. Vor ihren Augen blitzte es auf, Aknadins Gesicht, Atem, Yugi … sämtliche Bilder wechselten sich so schnell ab, dass sie irgendwann das Gefühl hatte, nur noch einen wirbelnden Sog von Farben zu sehen. Das Päckchen entglitt ihren Fingern und polterte auf den Boden. Das Auge kullerte heraus und rollte auf Kaiba zu. Seto wollte es aufheben, zuckte aber geschockt zurück, als der Millenniumsgegenstand sich plötzlich von selbst in die Luft erhob und auf Augenhöhe mit Kaiba stoppte. „Du glaubst also nicht an ein neues Leben nach dem Tod, Seto Kaiba?“, schallte es durch den Fahrstuhl und Kiara presste unweigerlich ihre Hände gegen die Ohren. „Du glaubst also nicht, dass es möglich ist, dass du vor Tausenden von Jahren einst mein Sohn warst?“ „Ich glaube einfach nicht, dass irgendjemand auf irgendeine Weise wiedergeboren werden könnte.“, schnaubte Seto herablassend. Von einem Geist würde er sich ganz sicher nichts sagen lassen. „Ach bist du der Meinung? Dann sieh dir das Mädchen mal ganz genau an.“ Seto knurrte und ballte die Hände zu Fäusten. „Was soll dieses Spiel?“ „SIEH SIE DIR AN!!!“ Kiara brach in die Knie und krümmte sich zusammen. Ihr ganzer Körper schien vor Schmerz zu schreien. In ihrem Kopf herrschte ein gewaltiger Druck, der ohne Zweifel durch Aknadin verursacht wurde. Sein grenzenloser Hass durchströmte sie wie ein gefährliches Gift und einzig und allein die Kraft des Millenniumsgürtels schien sie davor zu bewahren, diesem Hass zu erliegen. „Dieses Mädchen“, fuhr Aknadin fort, „ist mehr als nur eine einfache Kopie der Pharaonenprinzessin. Um genau zu sein, ist sie die Prinzessin!“ Kiara hob ungläubig den Kopf und starrte Kaiba geschockt an. Was sollte das bedeuten? Kaiba wischte Aknadins Behauptung mit einer Handbewegung zur Seite. „Das ist doch lächerlich.“ „Ist es das? Du willst, dass es so ist, aber du weißt, dass da etwas Wahres dran ist!“ „Was soll … soll das heißen?“, fragte Kiara, während sie sich mühsam auf die Beine kämpfte. Das Auge wandte sich ihr zu – ein Umstand, der Kiara sofort beunruhigte. „Du bist keineswegs das, was du glaubst zu sein, Prinzesschen. Ich weiß, dass ihr alle der Meinung seid, dass du – ebenso wie dein Bruder – die Herrin des Millenniumsgürtels bist, in dem der Geist der Prinzessin lebt. Tatsache ist aber, kleine Kiara, dass der Millenniumsgürtel überhaupt nicht das Zuhause der Prinzessin ist. Anders als ihr Bruder, der Pharao, der seinen Geist im Millenniumspuzzle einschloss, starb die Prinzessin. Ihre Seele ist in das Totenreich eingekehrt, so wie es sich gehörte. In dem Gürtel kann sie nicht leben!“ Kiara begann zu zittern. Wenn die Prinzessin in Wahrheit gar nicht im Gürtel lebte, wie war es dann möglich, dass sie existierte, mit ihr sprach und ihren Körper übernehmen konnte? „Was du bist, Kiara, ist ganz einfach zu erklären. Du bist die Wiedergeburt der Pharaonenprinzessin. Du bist nicht Trägerin eines Millenniumsgegenstandes, der ihren Geist beherbergt, du bist die Prinzessin! Der Gürtel hat lediglich die Fähigkeiten, Monster zu realisieren und dich zu schützen – er tut genau das, was er bereits vor 5000 Jahren für dich getan hat.“ Kiara funkelte das Auge an. „Wenn dem wirklich so ist, wie kann ich dann aber mit der Prinzessin reden? Wie kann es sein, dass ich sie in meinen Gedanken höre und mit ihr sogar den Körper tausche? Wie kann Yugi sie sehen, der Pharao … wie soll das gehen, wenn sie nicht wirklich im Gürtel lebt?“ „Hast du mir nicht zugehört? Du bist die Wiedergeburt der Prinzessin.“ „Schon klar, aber das würde ja wohl bedeuten, dass ich nur eine einzige Seele habe. In mir schlummern aber seltsamerweise zwei… erklär mir mal dieses Phänomen!“ „Nichts leichter als das! Du bist Trägerin eines Millenniumsgegenstandes – ihres Millenniumsgegenstandes, um genau zu sein. Als du den Gürtel zum ersten Mal angelegt hast, spaltete sich deine Seele. Der Teil von dir, der niemand anderes als die Prinzessin war, wurde durch diesen Gürtel von dem Teil, der du selbst bist, der nichts mit der Prinzessin zu tun hat, abgetrennt. Du bist schizophren, Kiara! Du leidest an einer Seelenspaltung, darin liegt der Schlüssel begraben.“ Kiara schluckte. „So wie … bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde.“ „Mit dem Unterschied, dass du dir der zweiten Seite von dir durchaus bewusst bist, mit ihr kommunizierst, dir sogar einbildest, dass ihr die besten Freunde seid, obwohl ihr ein- und dieselbe Person seid! Der Gürtel hat mit alldem überhaupt nichts zu tun. Er ist lediglich ein Artefakt, dass dich schützt und dir bei dem Kampf gegen … Wesen wie mich hilft. Anders als bei Yugi, der dem Geist des Pharaos seinen Körper leiht, indem er selbst sich in das Puzzle zurückzieht, seid ihr zwei gleichzeitig vorhanden, zwar getrennt von einander, aber in einem Körper. Du kannst sie zwar als Geist sehen und sie dich, euch gegenseitig in euren Gedanken hören … aber ihr seid keine getrennten Persönlichkeiten in dem Sinne, wie es der Pharao und Yugi sind. Du bist sie und sie ist du und euer beider Zuhause ist und bleibt dein Körper.“ Kiara schüttelte den Kopf. „Das … das ist doch Unsinn!!“ „Ist es das? Hast du dich denn nie gefragt, warum du, wenn du ohnmächtig wirst, ohnmächtig bleibst? Wenn Yugi das Bewusstsein verliert, übernimmt der Pharao die Kontrolle, während Yugis Geist sich unbewusst in das Puzzle zurückzieht, ein Nickerchen hält und seinen Körper schont. Auf diese Art und Weise bleibt er trotzdem wach. Aber genau das wird bei dir niemals funktionieren, weil keiner deiner beiden Seelen sich in irgendeinen Gegenstand zurückziehen kann, um deinen Körper zu schonen und dem anderen Platz zu machen. Deine Seele mag gespalten sein, aber beide Teile können sich nicht komplett von einander trennen. Auch wenn du dich dagegen sträubst, aber du bist und bleibst anders als dein Bruder, so ähnlich ihr euch auch sein mögt!“ Kiara schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist doch einfach nicht möglich! Warum sollte ich ausgerechnet dir glauben? Mein bester Freund bist du ja nun nicht gerade.“ „Versuch nur ruhig, dir was vorzumachen! Aber du weißt ganz genau, dass ich Recht habe. Aber belassen wir es dabei. Wenn ich richtig informiert bin, wolltest du mich doch herausfordern, hab ich Recht?“ Seto blickte überrascht auf. „Wie bitte?“ Kiara biss sich auf die Unterlippe. Genau das war es, was sie hatte vermeiden wollen. Sie wusste selbst nicht warum, doch sie hatte nicht vorgehabt, Kaiba klar zu machen, dass sie bereit war, sich auf ein Spiel der Schatten einzulassen. „Du wolltest dich mit ihm duellieren?“, fauchte er sie an und schleuderte das Auge zur Seite. Poltern donnerte es gegen die Metallwand des Fahrstuhls und kullerte zu Boden. Kiara fing an zu zittern. „Ich…“ „Wann hattest du denn vor gehabt, mich in deinen Plan einzuweihen?“ „Ich …“ „Damit eines klar ist, Kiara! Ich werde mich ganz sicher nicht auf ein Duell mit einem Geist einlassen.“ Kiara straffte sich und blickte Kaiba wütend an. „Das hab ich ja auch überhaupt nicht verlangt!“, schrie sie aufgebracht, während sich durch das Haar fuhr. „Ich werde dieses Duell ganz allein bestreiten. Von dir wollte ich lediglich wissen, ob du irgendeine Ahnung hast, wo das Millenniumsauge steckt. Da es mir ja mittlerweile zu Füßen liegt, kannst du dich beruhigt zurückziehen und ganz entspannt in deinem Büro arbeiten. Vergiss ruhig, dass Yugi im Koma liegt, er jeden Moment drauf gehen könnte, ich normalerweise jeden möglich Beistand gebrauchen könnte! Vergiss ruhig, dass auf diesem gottverdammten Planeten noch andere Menschen existieren, von denen einige sogar sehr gut deine Hilfe …“ Kiara brach ab und sah sich verstört um. Der Fahrstuhl begann gefährlich zu vibrieren. Vor ihren Augen tauchte das Millenniumsauge auf. Und dann verschwand der Boden unter ihren Füßen. Kiara griff geschockt nach Kaibas Arm, bevor sie zusammen in die Tiefe stürzten… Kapitel 14: Verwirrte Seele --------------------------- Ihre Blicke huschten voller Panik hin und her. Sie war umzingelt. Sie hatte fast das Gefühl, das gesamte Bataillon des Palastes hätte sich im Thronsaal versammelt, um sie zu erwischen. Thia zitterte. So eng war es noch nie gewesen – andererseits hatte der Prinz sich bisher aber auch noch nie so offensichtlich auf ihre Seite gestellt wie jetzt. Er stand mit dem Rücken zu ihr, hatte allerdings ihr Handgelenk fest umklammert. So leicht würde er sie nicht gehen lassen. Sein Blick ruhte auf seinem Vater, dem Pharao Aknamkanon. „Geh endlich aus dem Weg!“, fauchte der Pharao seinen Sohn an, der sich jedoch immer noch sträubte. „Kommt gar nicht in Frage.“ „Ich verstehe dich einfach nicht! Was soll dieser ganze Aufruhr jetzt?“ Der Prinz runzelte überrascht dir Stirn. „Sie hat uns gerade vor einem ziemlich hinterhältigen Angriff bewahrt und du willst sie zur Strafe in den Kerker werfen, hältst du das für gerecht?“ „Sie hat in diesem Palast nichts zu suchen!“ „Und doch hat sie sich über das Verbot hinweggesetzt und uns das Leben gerettet, begreif das doch endlich!“, fauchte der Prinz seinen Vater an. Thia blickte sich immer noch panisch um. Wenn ihr kleiner Held keinen Erfolg hatte, dann würde es ziemlich düster aussehen, was ihre Zukunft anging. Er schien das bemerkt zu haben, denn sein Griff verfestigte sich als Zeichen dafür, dass er sich diesmal nicht unterbuttern lassen würde. „Und trotzdem hat sie hier nichts zu suchen! Schon gar keine Straßendiebin! Du weißt, was für eine Strafe auf diejenigen wartet, die ohne Erlaubnis in den Palast eindringen!“ Der Prinz funkelte seinen Vater böse an. „Und du weißt, was passiert wäre, wenn sie uns nicht gewarnt hätte!“ „Also wenn du es eine Warnung nennst, durch ein Fenster in den Saal zu springen und zwei dieser …. Angreifer dabei mitzubringen, dann…“ „Begreifst du es denn immer noch nicht? Der Palast war bereits umstellt. Würde sie sich nicht so gut auskennen, wäre sie wahrscheinlich niemals so weit gekommen und wir würden bereits …“ „Was soll das heißen, gut auskennen?“ Thia schluckte. Da hatte der junge Pharao sie ja in was Schönes hineingezogen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Aknamkanon nicht zwingend etwas davon wissen müssen, dass Thia sich in den letzten zwei Jahren fast jeden Abend zu dem jungen Prinzen in sein Zimmer geschlichen hatte. Der Pharao funkelte sie an. Thia wurde hinter dem Rücken des Thronfolgers sofort um fast die Hälfte kleiner. „Schönen Dank auch!“, knurrte sie ihren Freund an. Atem schloss kurz die Augen und verfluchte sich im Stillen. Jetzt fiel ihm wieder ein, was er hatte verschweigen wollen. „Ist sie etwa diejenige, die in den letzten Jahren sich immer an den Wachen vorbei schleichen konnte? War sie diejenige, die fast jeden Abend diesen Aufruhr verursacht hatte?“, schrie der Pharao und selbst sein Sohn schien ein wenig einzusinken. Irgendwie nahm diese Auseinandersetzung eine völlig unerwartete Wendung. Doch er ließ sich nicht beirren. Angriff war schließlich die beste Verteidigung. „Ja, sie war dieses Mädchen! Und sie wird es auch weiterhin sein, wenn du uns dazu zwingst, unsere Freundschaft geheim zuhalten!“ „Freundschaft?“ Thia rang nach Luft . „Könntest du mir bitte den Gefallen tun und jetzt die Klappe halten, sonst komme ich hier nicht mehr lebend raus.“, knirschte sie panisch, während sie in Gedanken schon darüber nachdachte, was der Pharao mit ihr anstellen würde, wenn er sie in die Finger bekam. „Ja, Freundschaft! Etwas, was dir vielleicht unbekannt ist!“ „Wie lange verschweigst du mir diese so genannte … Freundschaft schon?“ „Ein paar Jahre!“ „Und wann hast du es für nötig erachtet, mir das mal zu offenbaren?“ Der junge Prinz zuckte mit den Schultern, was ihm kurzzeitig eine angenehme Art von Arroganz verlieh. „Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau. Aber so wie die Dinge im Moment stehen, glaube ich kaum, dass es in nächster Zeit geschehen wäre.“ „Sie ist eine Straßendiebin!!“ „Mag schon sein! Aber diese Straßendiebin hat uns mittlerweile zweimal das Leben gerettet, schon vergessen?“, schrie der Prinz zurück und ließ vor Wut Thias Handgelenk los – ein Fehler. Die Wachen sprangen auf sie zu, ergriffen ihre Arme und zerrten sie von dem Thronfolger fort, der viel zu geschockt war, um zu reagieren. Thia wehrte sich verzweifelt und schrie vor Schmerz auf, als die Wachen ihr die Arme auf den Rücken drehten und sie zu Boden drückten. „Werde endlich vernünftig, mein Sohn! Dieses Mädchen ist nicht der richtige Umgang für den zukünftigen Herrscher von …“ „Lass sie gehen!“ „… von Ägypten!“ „Ich habe gesagt, dass du sie freilassen sollst!“ „Bringt sie in den Kerker! Ich befasse mich später mit ihr!“ Thias Herz raste und wie verrückt schlug sie um sich, doch ohne Erfolg. Der Prinz beobachtete fassungslos, wie die Wachen seine Freundin wegschleiften. „Hilf mir doch. Mahaad!“; schrie er plötzlich und so laut, dass sämtliche Personen im Saal zusammenzuckten. Und dann trat der junge Priester und Magier Mahaad hervor. Der Millenniumsring um seinen Hals funkelte in der strahlenden Sonne, die durch die geöffneten Tore in den Saal floss. „Sag ihnen, dass sie sie in Ruhe lassen sollen.“ „Aber mein Prinz!“ „Sag es ihnen!“ Mahaad senkte ergeben das Haupt. „Ich bin nicht der Pharao. Ich kann es ihnen nicht befehlen.“ Der Prinz ballte verzweifelt die Hände zu Fäusten. Das konnte doch alles nicht wahr sein. „Aber…“, meldete sich der junge Priester wieder zu Wort, „mein Pharao, ich kann Euch aufrichtig versichern, dass von diesem Mädchen keinerlei Gefahr ausgeht. Sie ist das, was Euer Sohn Euch die ganze Zeit über versucht zu erklären. Sie … sie ist seine Freundin … seine beste Freundin, um genau zu sein. Und wenn ich ehrlich bin, dann … dann gehört sie auch zu meinem Freundeskreis.“ Der Pharao wich zurück. „Das … das ist doch …“ Mahaad warf dem Prinzen einen kurzen Blick zu, schweifte kurz ab zu der kleinen Straßendiebin und blickte dann den Pharao wieder fest an. „Und wenn ich so frei sein darf, dann habe ich die Vermutung, dass es sich bei diesem Mädchen um die...“ Aknamkanon schäumte vor Wut, das war ihm anzusehen, doch Mahaad wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Er straffte sich. „Ich habe die Vermutung, dass es sich bei Thia um die vor Jahren verschwundene Zwillingsschwester unseres Prinzen handelt.“ Nicht nur den Pharao schienen diese Worte zu verblüffen. Selbst die Wächter waren so erstaunt, dass sie einen Moment innehielten und Thia aus ihrem Griff entließen. Das Mädchen, das sich zuvor absichtlich schwer gemacht hatte, um ihre Verschleppung zu verlangsamen, prallte unsanft zu Boden und blickte geschockt auf Mahaad, der sie um Verzeihung heischend anblickte. Der Prinz selbst warf Mahaad einen verständnislosen Blick zu. Was er da gerade gehört hatte, konnte absolut nicht der Wahrheit entsprechen, denn soweit er sich erinnern konnte, hatte er niemals eine Schwester gehabt, schon gar nicht eine Zwillingsschwester. Und doch schlichen sich sofort leise Zweifel in seine Gedanken, als er Thia anblickte. Das lange schwarze Haar, der blonde Pony sowie die lilafarbenen Strähnchen in ihren Haaren – selbst ihre Augen, die von derselben Farbe waren wie seine, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es möglich war, dass hier seine seit langem verschollene Zwillingsschwester war, von der er selbst vielleicht nichts wusste. Wütend blickte er seinen Vater an. „Was soll das heißen Zwillingsschwester? Soweit mir bekannt ist, hatte ich nie eine Schwester.“ Aknamkanon seufzte – ein Umstand, der den Prinzen sofort beunruhigte. Was ging hier vor? „Vater?“, fragte er und ein Hauch Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit. „Du hattest eine Schwester …“, gab sein Vater schließlich zu. Der Prinz schüttelte den Kopf. Das konnte doch nicht möglich sein. „Aber … das beweist überhaupt nicht, dass dieses …. diese Straßengöre meine Tochter ist!“, schrie er Mahaad an, der unsicher zurücktaumelte. Thia sprang in der Zwischenzeit auf die Beine und blickte ratlos auf den jungen Thronfolger, der sie mit einem forschenden Blick musterte. War es tatsächlich möglich, dass sie beide mehr verband als nur Freundschaft? „KIARA!!!!“ Obwohl Seto sich fast die Lunge aus dem Leib schrie, hatte er das Gefühl, Kiara würde ihn nur sehr schwer hören. Doch offenbar hatte er Erfolg gehabt, denn Kiaras Augenlider flackerten und schließlich öffnete sie die Augen. Verwirrt sah sie Seto an und rappelte sie mühsam auf. In ihrem Kopf herrschte ein vollkommenes Durcheinander und immer noch schwirrten Bilder aus ihrer Vergangenheit in ihrem Schädel herum. „Wird ja Zeit, dass du dich endlich mal wieder dazu durchringst, mir deine Aufmerksamkeit zu schenken.“, fauchte Kaiba und zog Kiara gänzlich auf die Beine. „Was … was ist denn passiert?“ „Na ja, abgesehen davon, dass wir wahrscheinlich kilometerweit durch die Luft geflogen, irgendwo gelandet sind, wo uns wahrscheinlich nicht einmal Ratten hin folgen werden und von Geistern umgeben sind, würde ich sagen… es ist alles wie immer – vollkommen verrückt.“ Kiara blinzelte ihn verwirrt an. „Geister?“, fragte sie und blickte sich um. Überraschung machte sich auf ihrem Gesicht breit. Sie befanden sich in einer Art Höhle – eine Höhle, die so gigantisch war, dass sie das Gefühl hatte, eine kleine Maus zu sein. Es herrschte vollkommene Dunkelheit. Das einzige Licht, was die Höhle ein wenig erhellte, stammte von zwei schmalen Säulen, in denen … Kiara riss die Augen auf. Die Säulen waren nicht leer … stattdessen schwebten in ihnen die Seelen des Pharaos und ihres Bruders. Beide hatten die Augen geschlossen. Kiara riss sich von Kaiba los und raste auf sie zu. „Yugi! Pharao!“ Zu ihrer Überraschung öffneten sie die Augen und blickten sich verwirrt um – bis ihr Blick auf Kiara fiel. „Was … was machst du hier?“, fragte Yugi, der augenblicklich von Sorgen befallen wurde, als er seine Schwester erblickte. Kiara war den Tränen nahe. Obwohl sie wusste, dass sie in der größten Klemme ihres Lebens steckte, war sie erleichtert. Die Tatsache, dass ihr Bruder und ihr bester Freund bei ihr waren, machte die Situation beinah sofort ein wenig angenehmer. Sie würden sie nicht allein lassen, da war sie sich sicher. „Ich hole euch hier raus.“, flüsterte sie, während sie ihre Stirn gegen die Säule lehnte, in der Yugi gefangen war. „Und dürfen wir auch erfahren, wie du dir das vorgestellt hast?“, fragte der Pharao, dem klar war, dass Kiara vielleicht mehr riskierte, als sie offenbarte. Kiara wandte den Blick ab, was für ihn Antwort genug war. „Nein, das kannst du nicht machen!“; rief er wütend und fing sich einen ratlosen Blick von Yugi ein. „Wovon redest du denn?“ Der Pharao verengte die Augen. „Kiara hat vor, sich mit Aknadin auf ein Spiel der Schatten einzulassen, um uns zu befreien.“ Yugi riss die Augen auf und wandte sich seiner Schwester zu. „Das ist viel zu gefährlich, Kiara! Du weißt doch überhaupt nicht, mit welchen Tricks Aknadin arbeitet. Tu das nicht!“ „Und kannst du mir vielleicht mal verraten, wie ich euch dann befreien soll, wenn nicht…“ „Aber das, was du vorhast, ist viel zu riskant. Da steht mehr auf dem Spiel, als du dir vielleicht denken kannst.“ „Ich will dich in deiner Schweigeminute ja nicht unterbrechen, Kiara, aber würdest du mir vielleicht mal verraten, was hier vor sich geht?“, ging Kaiba dazwischen, der sich zwischenzeitlich neben sie gesellt hatte und interessiert das Innere der beiden Säulen beäugte. Kiara blickte ihn überrascht an. „Hörst du sie denn nicht?“ „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ „Kaiba kann uns nicht hören, Kiara! Die einzige, die uns versteht, bist du.“ „Aber …“ „Die Säulen sind so konstruiert, dass wir eigentlich mit niemanden hier in Kontakt treten können. Der Millenniumsgürtel hilft uns aber, diese Barriere zu durchbrechen.“, klärte der Pharao sie auf. Kiara schluckte. Kein Wunder, dass Kaiba sie für vollkommen abgedreht hielt. „Wenn du irgendwann in diesem Jahrhundert noch vorhast, mir zu erklären, was hier vor sich geht, tu dir keinen Zwang an.“, knurrte Seto, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Im Übrigen würde es mich interessieren, was du hier gerade für eine Show abgezogen hast.“ Das Mädchen runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ „Deinen Anfall eben. Die blauen Flecke werde ich dir in Rechnung stellen.“ „Ehrlich, Seto, ich hab keine Ahnung, wovon zu sprichst.“ Kaiba hob eine Augenbraue. Es war offensichtlich, dass er ihr nicht glaubte. „Nur zur Erinnerung: Du hast um dich geschlagen, gezittert wie Espenlaub, geschrieen … soll ich weiter machen?“ Kiara blinzelte überrascht. War sie tatsächlich so ausgeflippt, als sie gerade diese Vision von der Vergangenheit gehabt hatte? Das schien ja ein toller Anfang zu sein. Hoffentlich würde es jetzt nicht immer so vonstatten gehen. „Weißt du, Kaiba…“, begann Kiara, hob jedoch selbstbewusst den Blick, als die Seele der Prinzessin die Kontrolle übernahm, „ich denke, dass du nicht alles wissen musst, was in meinen schlauen Köpfchen passiert.“, brummte sie und wandte sich wieder ihrem Bruder zu. Der Pharao blickte sie überrascht an. Yamika wirkte anders… selbstbewusster, aber auch arroganter – und wütend. „Was ist los?“, fragte er verwirrt. Yamika zuckte mit den Schultern. „Was soll sein?“ „Seit wann führst du dich so auf?“ Yamika lächelte überheblich. „Seit mir endlich mal jemand erklärt hat, dass ich nicht das bin, was ich bisher glaubte zu sein.“ „Was …“ „Komm schon, Brüderchen. Willst du mir allen Ernstes weismachen, dass du nicht wusstest, dass ich selbst nicht im Gürtel lebe, sondern ein abgetrennter Teil von Kiaras Seele bin?“ „Was soll das heißen?“ „Hast du es nicht verstanden, Yami? Kiara leidet unter Schizophrenie, seit sie den Gürtel hat.“ „Schizophrenie?“ „Seelenspaltung, Brüderchen! Seit Kiara den Gürtel besitzt, bin ich von ihr getrennt … Kiara hat zwei Persönlichkeiten … mich und sich selbst. Normalerweise sind wir eigentlich ein- und dieselbe Person, dummerweise hat der Gürtel ein wenig in unserer Seele herumgepfuscht.“ „Du lebst überhaupt nicht Gürtel?“ Yamika verzog das Gesicht. „Jetzt tu doch nicht so, als hättest du das nicht gewusst! Du hast genau gewusst, dass Kiara und ich eigentlich eine Person sind. Du wusstest, dass ich in Wahrheit niemals im Gürtel existierte. Du hast genau gewusst, dass sich Kiaras eigenes Ich gespalten hatte, als sie den Gürtel das erste Mal angelegt hat! Warum hast du es nur nie für nötig erachtet, uns – mir das zu sagen? Warum mussten wir uns die Blöße geben und uns das von einem Geist erklären lassen, der dich vernichten will?“, fauchte Yamika wütend und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust. Yami schüttelte verzweifelt den Kopf. Wie sollte er ihr nur klar machen, dass er von alldem nichts gewusst hatte? „Kiara … Yamika … wer auch immer du gerade bist, glaub mir … weder Yugi noch ich hatten irgendetwas von diesem … Phänomen gewusst.“ „Bist du dir da sicher?“ „Komm schon, Prinzessin! Warum hätte Yugi uns das verheimlichen sollen?“ Yami prallte zurück. Obwohl sich Yamikas Statur nicht verändert hatte, wie es sonst der Fall war, wenn sie die Positionen tauschten, hatte sie plötzlich die Stimme von Kiara übernommen. Und erst jetzt wurde ihm die Tragweite des ganzen bewusst. Kiara hatte zwei Persönlichkeiten, sich selbst und die Prinzessin, und offenbar verlor sie gerade die Kontrolle über den Teil, der die Prinzessin verkörperte. Die Prinzessin war wütend – wütend auf ihn und fing an zu rebellieren. Ob er wollte oder nicht, er wurde soeben Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung der Prinzessin und Kiara. Das Bild änderte sich keineswegs, doch ihre Stimmfarbe ändert sich jedes Mal, wenn sie die Person wechselte. Schon nach kurzer Zeit war er vollkommen verwirrt. „Tu was, Pharao! Kiara verliert die Kontrolle über sich! Mach ihr klar, dass wir davon nichts gewusst haben!“, rief Yugi, dessen Gesicht voller Panik war. „Ja, aber wie?“ „Ich weiß nicht, du musst sie irgendwie beruhigen!“ „Mit so etwas hatte ich noch nie zu tun, ich hab keine Ahnung, was ich tun soll!“ „Sie ist verwirrt! Zu erfahren, dass man unter einer Seelenspaltung leidet, ist nicht gerade etwas, was einen erfreut.“ „Aber meine Schwester ist eigentlich nicht so.“ „Sie war bisher nicht so, aber das auch nur aus dem Grund, weil Kiara ihr Selbstbewusstsein noch hatte. Dadurch konnte sie die Prinzessin … konnte sie ihre zweite Persönlichkeit unter Kontrolle halten … aber sie ist gerade dabei sich zurückzuziehen. Das nutzt ihre zweite Hälfte jetzt aus und rebelliert. Wenn du nichts tust, dann haben wir es bald nur noch mit deiner Schwester zu tun, die offenbar ziemlich wütend auf dich zu sein scheint.“ Der Pharao gab einen knurrenden Laut von sich. Aknadin hatte ganze Arbeit geleistet. Wenn Kiara tatsächlich so verwirrt war, dann würde sie im Leben nicht dazu in der Lage zu sein, ein Spiel der Schatten zu bestreiten – geschweige denn, es zu gewinnen. „Kiara, hör mir zu!“ „Sie kann dich nicht hören!“, säuselte Yamika, während sie ihre Haarsträhne um den Zeigefinger wickelte und ihn verführerisch anblickte. Dem Pharao wurde augenblicklich eiskalt. Wie hatte ihm diese Wahrheit bisher nur verborgen bleiben können? Dass Kiara unter Schizophrenie litt war doch so offensichtlich, dass es ihnen normalerweise schon viel früher hätte auffallen müssen. „Hör mir zu, Yamika! Ich kann verstehen, dass du wütend bist, verwirrt, aber hör mir bitte zu: Dein Problem macht dich nicht zu einem schlimmen Menschen … das bist du nicht. Du bist trotz all dem immer noch du. Aber du kannst jetzt nicht anfangen, deine zweite Seite zu unterdrücken … ihr beide habt bisher auch immer harmoniert. Zerstöre diese Harmonie jetzt nicht, nur weil du etwas erfahren hast, was… was dir vielleicht nicht wirklich passt.“ „Nicht passt?“, schrie Yamika wütend. „Dieser gottverdammte Gürtel hat meine Seele zerstört! Ich hab gerade erfahren, dass ich eine komplette Irre bin! Und du bist der Meinung, dass mir das lediglich nicht passt?“ „Yamika!“ „Weißt du eigentlich, was das für ein Gefühl ist zu wissen, dass man nicht normal ist?“ „Natürlich weiß ich das? Glaubst du etwa, Yugi und mir geht es anders?“ „Und trotzdem habt ihr eure eigenen … Orte, an denen ihr zurückkehren könnt. Kiara und ich werden uns ewig in diesem Körper auf die Pelle rücken und uns einigen müssen, wer ans Ruder kommt und wer zurückstecken muss.“ „Yamika“, flüsterte Yami leise und blickte sie schließlich liebevoll an, „hör endlich auf. Natürlich ist es nicht einfach, aber … du bist doch bisher ohne dieses Wissen auch zu Recht gekommen. Warum machst du die Wahrheit jetzt zu einem Vorwand, völlig auszuticken? Und wenn du tausend Persönlichkeiten hast, Yamika, weißt du, wie egal mir das ist? Weißt du, wie egal Yugi das ist?“ „Sehr gut, Pharao! Weiter so!“, ermutigte Yugi ihn, als er bemerkte, dass ein Anflug von Unsicherheit Yamikas Gesicht beherrschte. Sie fing an, ihm zu glauben. „Wir lieben dich so wie du bist, Yamika! Das haben wir bisher und das werden wir auch weiterhin. Und glaub mir, von diesem … Problem haben weder ich noch Yugi etwas gewusst. Davon wusste niemand. Aber das spielt doch auch keine Rolle! Du bist doch vollkommen in Ordnung, so wie du bist! Und du bist auch keine Irre! Du bist unsere Kiara … meine Prinzessin! Also komm schon, lass deinen ruhigen Teil wieder ran!“ Yamika lächelte hilflos. „So ruhig ist sie gar nicht. Kiara hat eine verdammt große Klappe, das sagst du doch selbst immer. Sie ist leicht reizbar, lässt sich nichts sagen und hält sich doch tatsächlich für die beste Duellantin der Welt!“ „Mag schon sein, aber so unähnlich bist du ihr nicht. Du magst – normalerweise – ruhiger sein, als sie, aber … leicht reizbar … unverbesserlich … alles Eigenschaften, die du auch hast. Der einzige Unterschied ist euer Selbstbewusstsein, Yamika! Davon hat Kiara mehr als du.“ „Momentan sieht das aber anders aus.“ „Weil du sie unterdrückst und sie sich … falsch fühlt.“ Yamika blickte zur Seite. „Ich glaube, das hat sich mittlerweile auch wieder erledigt.“ „Was?“ „Das Falschfühlen. Sie hat dich gehört, Pharao, und ich glaube … du hast ihrem Selbstbewusstsein wieder neuen Auftrieb gegeben.“ „Und was wirst du jetzt tun?“ Ein unsicheres Schulterzucken war die Antwort. „Ich schätze, jetzt werde ich mich erstmal wieder beruhigen müssen.“ Erleichtert lächelte Yami. „Danke, Yamika.“ „Kein Problem. Wir … wir hätten uns wohl doch nicht so einfach … einschüchtern lassen sollen. Mag schon sein, dass es nicht angenehm ist, aber … bisher sind wir damit auch klar gekommen. Wär doch Blödsinn, es jetzt einfach auseinander brechen zu lassen, bloß weil wir die Wahrheit kennen.“ Yami grinste. „Und ich habe das Gefühl, jetzt spreche ich mich Kiara.“ Kiara zwinkerte. „Mit wem denn sonst? Ich meine, was hast du erwartet, dass ich mich ewig unterbuttern lasse? Nix da! So, wie es bisher war, war es hervorragend und so wird es auch bleiben, das heißt … vielleicht hat sie Lust, das Schattenduell gegen Aknadin für mich zu übernehmen.“ Yami hob überrascht eine Augenbraue und blickte zwei Sekunden später in das Gesicht von Yamika, die ihn ungläubig anstarrte. „Das meinte sie doch jetzt nicht ernst, oder?“ „Ähm …“ Der Pharao war verwirrt, wusste nicht, wie er reagieren sollte. Yamika zuckte mit den Schultern. „Kiara ist die Duellantenexpertin, also sollte sie sich darum kümmern.“ „Du hattest doch die Idee.“, warf Kiaras Teil augenblicklich ein. „Du warst so wahnsinnig und hast zugestimmt.“ „Weil du mich praktisch dazu gezwungen hast.“ „Schluss damit! Ihr beide macht mich wahnsinnig … oder du machst mich wahnsinnig. Warum … erscheint dein zweites Ich nicht einfach als Geist, so wie ihr es bisher gemacht habt?“, flehte Yami verzweifelt, der von dem Wechselspiel der Stimmen und Gesichtszüge noch völlig benommen war. Kiara – die das Ruder wieder übernommen hatte – lächelte. „Entschuldige. Es ist … grad noch ein wenig schwer, die … Kontrolle zu behalten.“ „Aknadin hätte dir das nie sagen dürfen.“, knurrte Yami, doch Kiara schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, ist es vielleicht besser so. Jetzt wird mir … uns auch vieles klarer.“ „Und wir werden uns auch wie bisher wieder einigen und keine Verwirrung mehr stiften. Alles wie bisher…“, fügte Yamika hinzu, deren blasse Silhouette neben Kiara erschienen war. Yami warf Yugi einen dankbaren Blick zu. „Danke, Yugi! Ohne deine Aufmunterung hätten wir es jetzt wahrscheinlich neben einem rachedurstigen Geist auch noch mit einer amoklaufenden Seele zu tun.“ Yugi nickte ihm zu. Yamika zog sich in ihren Körper zurück, während Kiara tief durchatmete. Und dann explodierte die Höhle in einem Meer aus grellem, weißen, kaltem Licht… Kapitel 15: Das Schattenduell ----------------------------- Kaiba und Kiara wurden zurückgeschleudert und landeten quer übereinander in einem abgelegenen Winkel der Höhle. Benommen richtete sie sich halb auf und rieb sich den Kopf. „Autsch ... mein Schädel.“ „Nicht nur deiner.“, knurrte Seto, während er Kiara von sich schubste und sich wieder aufrappelte. Das grelle Licht war verschwunden. Stattdessen schwebte die körperlose Gestalt des Priesters Aknadin im Zentrum der Höhle und fixierte Kiara mit einem wilden Blick. „Schön, dass ihr vorbeigekommen seid.“, rief er ihnen zu und stieß ein schrilles verrücktes Lachen aus. Kiara kroch eine Gänsehaut über den Rücken, während sie auf die Beine kam und an Seto vorbei auf den Geist zuging. „Danke für die Einladung, Aknadin! Aber ehrlich gesagt vermisse ich ein wenig das passende Ambiente. Ich meine … wenn das eine Party ist, dann hat dein Organisator mal ordentlich Mist gebaut. Zahlen würde ich ihm jedenfalls nichts.“ „Witzig!“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Humor sollte man sich immer bewahren.“ Aknadin kniff die Augen zusammen. „Du scheinst dich ja mit deinem neuen Schicksal sehr schnell abgefunden zu haben.“ „Weißt du, ich bin bisher ohne dieses Wissen auch sehr gut mit meiner zweiten Hälfte klar gekommen, also seh’ ich keine Grund, warum ich das wegen einer anderen Diagnose ändern sollte.“ Aknadin sah aus, als wäre Weihnachten gestrichen worden. „Ich muss sagen, ich hab mich ganz schön in dir getäuscht. Ich hatte gedacht, ich hätte leichtes Spiel mit dir, besonders nachdem ich dir die Wahrheit über dich erzählt habe, aber anscheinend bist du stärker als ich gedacht habe!“ „Nicht nur das war dein Fehler, Aknadin! Du hast scheinbar genauso wenig bedacht, dass das Band zwischen dem Pharao, meinem Bruder und mir stärker ist, als der härteste Stahl, den diese Welt je erschaffen hat.“ „Tss…“, war das einzige, was sie als Kommentar von Seto vernahm und genervt rollte sie mit den Augen. Ihn hatte sie ganz vergessen. „Zur Sache, Aknadin! Du weißt genau, warum ich hier bin, richtig?“ „Du hast vor, in einem Duell gegen mich zu verlieren, das ist mir bekannt.“ Kiara lächelte flüchtig. „Jetzt wird mir so Einiges klarer.“ „Was meinst du?“ „Jetzt weiß ich, woher Seto seine arrogante Ader hat.“ Aus dem Augenwinkel nahm sie war, wir Yami ein breites Grinsen aufsetzte. „Das sagst ausgerechnet du?“, fragte Seto sie und die Arroganz in seiner Stimme nahm mit jedem Wort zu. „Du glaubst doch selbst, dass du, nur weil du die Schwester des derzeitigen Champions, automatisch das Recht hast, dich als zweitbeste Duellantin zu bezeichnen.“ „Das ist doch überhaupt nicht wahr!“, fauchte Kiara zurück und stemmte erbost die Hände in die Hüfte. War ja klar, dass Setos liebreizende Phase nur kurz andauern würde. „Ich bitte dich! Du rennst diesem Geist hinterher, weil du ein Spiel der Schatten mit ihm austragen willst und scheinst nicht im Mindesten davon auszugehen, dass du es sein könntest, die verliert. Was sollte das anderes sein als Arroganz?“ „Zuversicht?“, konterte sie und wandte sich wieder dem Priester zu. „Zur Sache Aknadin! Ein Duell zwischen uns beiden, um genau zu sein – ein Spiel der Schatten!“ „Du bist mutig, Prinzesschen! Mutig aber auch töricht. Ist dir denn nicht klar, was geschieht, wenn du dieses Duell gegen mich verlierst?“ „Sicher ist mir das klar. Das wird mich aber nicht davon abhalten, alles zu riskieren, um Yugi und den Pharao zu retten! Lässt du dich drauf ein oder hast du Angst?“ Aknadin strich sich über seinen Bart und betrachtete Kiara forschend. Was hatte er schon zu verlieren. Die Chancen, dass er gegen Kiara verlieren würde, standen mehr als schlecht. Sie hatte nicht die geringste Chance. „Meinetwegen! Ein Schattenduell zwischen uns beiden. Und der Preis ist die Freiheit deines Pharaos und deines Bruders. Aber mach dir keine Hoffnungen, Prinzesschen, dieses Duell wirst du unter keinen Umständen gewinnen können!“ Kiaras Wut erreichte ein neues Level. „Da wäre ich mir aber nicht so sicher.“, knurrte sie. „Dann …“, Aknadin breitete seine Arme aus, „mögen die Spiele beginnen….“ Kiara ging augenblicklich in Deckung, als um sie herum vereinzelte Brocken aus der Decke und den Wänden geschleudert wurden. Ein orkanartiger Wind kam auf und schleuderte sie und Seto ein zweites Mal zu Boden. Kiara beobachtete ungläubig, wie die herausgebrochenen Brocken im Kreis über sie hinwegwirbelten, bald so schnell, dass sie nur noch als konturlose Schemen zu erkennen waren. Besorgt warf sie einen Blick auf Yami und Yugi, die in ihren Lichtsäulen jedoch in Sicherheit zu sein schienen. Und dann kroch um sie herum eine tiefe schwarze Dunkelheit herauf. Eine schier unglaubliche Kälte breitete sich aus, drang ihr in Mark und Bein und lies sie zittern, während die Dunkelheit sich immer weiter ausbreitete. Sämtliches Licht in dieser Höhle erlosch, selbst das Licht, das bisher von den Lichtsäulen ausgegangen war. „Ich hoffe, Kiara, du hast gerade genauso viel Panik wie ich. Das würde mich nämlich echt beruhigen.“, murmelte Yamika in ihren Gedanken und Kiara konnte es ihr nicht einmal verübeln. Trotz allem konnte sie wahrheitsgemäß feststellen, dass sie keine Angst hatte – eher eine unbeschreibliche Wut. Der wirbelnde Kreis aus Gestein über ihnen verschwand und zurück blieb nichts als totale Finsternis – und ein gut zwanzig Quadratmeter großes Rechteck aus silbrigem Gestein, an dessem anderen Ende Aknadin stand und auf sie wartete. Die beiden Lichtsäulen, in denen ihr Bruder und der Pharao gefangen gehalten wurden, schwebten ihm gegenüber auf der anderen Seite. Kiara sprang auf und ging zwischen den beiden hindurch. Seto hatte sie vollkommen vergessen. Es war Zeit… Noch während sie an den beiden Säulen vorbeiging, formte sich aus der schwarzen Masse um sie herum eine Duel Disc, die ihren Arm umschloss. Die Dunkelheit, die sie umfing, war erdrückend. Kiara wusste, wenn sie hier wieder lebend herauskommen wollte, musste sie das Schattenduell gewinnen. Zu ihren beiden Seiten schwebten Yugi und Yami in ihren Gefängnissen und funkelten Aknadin wütend an. Kaiba stand irgendwo hinter ihr und beobachtete sie mit vor der Brust verschränkten Armen. Kiara atmete tief durch. Der Augenblick der Wahrheit war also gekommen. Wenn sie sich jetzt nicht konzentrierte, würde die Sache weder für Yugi noch Yami gut ausgehen. „Na schön, Prinzesschen! Du weißt, was passiert, wenn du verlierst, ja?“ „Als könnte ich das vergessen.“, murmelte sie verbittert. „Vergiss du nicht, was passiert, wenn du verlierst, Aknadin! Du wirst den Pharao und meinen Bruder freigeben und dann auf Ewig verschwinden!“ „Darüber solltest du dir keine Gedanken machen, Kiara.“, vernahm sie Yamis Stimme in ihrem Kopf. „Wenn Aknadin verliert, wird sein Geist ohnehin in das Reich der Schatten einsinken. Eine Vereinbarung hättet ihr niemals abschließen brauchen.“ Kiara schluckte, als ihr klar wurde, dass der Pharao Recht hatte. Und trotzdem - eine angenehme Vorstellung war es nicht gerade. „Na schön, Aknadin! Wird Zeit, dass wir ernst machen!“ Kiara aktivierte ihre Duel Disc und schob ihr Deck in die Halterung. Aknadin folgte ihrem Beispiel. Ein ohrenbetäubendes Donnern ertönte und ließ sie zusammenzucken. Die drückende Schwärze um sie herum nahm – soweit dies überhaupt möglich war – zu. Kiara schnappte nach Luft, als sie plötzlich bemerkte, wie schwer ihr das Atmen fiel. Offensichtlich stand sie einer Panikattacke näher als sie bisher hatte glauben wollen. Kaum zu glauben, dass sie sich tatsächlich auf einen solchen Wahnsinn einließ. „Na schön, ich fange an!“ Aknadin schaute seine Karten an, grinste boshaft und legte los. „Ich spiele Alpha, den Magnetkrieger, im Verteidigungsmodus und lege dazu zwei Karten verdeckt ab. Du bist dran.“ Kiara beschlich beinah sofort ein ungutes Gefühl. Hier stimmte doch etwas ganz gewaltig nicht. Mit zittrigen Fingern zog sie ihre nächste Karte und lächelte unbemerkt. Der Schwarze Magier sprang ihr beinah sofort ins Auge. „Wieso hast du meinen Schwarzen Magier?“, fragte Yami in ihren Gedanken und Kiara konnte nicht umhin zu bemerken, dass er mehr beleidigt als überrascht klang. „Den hab ich mir… geborgt. Die Karte lag auf dem Nebentisch im Krankenhaus. Ich konnte ihn ja wohl schlecht da liegen lassen, also … hab ich ihn mir genommen.“ Sie konnte Yami förmlich lächeln sehen. „Ich bin froh, dass er in diesem Spiel mitmischt.“ „Ich auch.“, murmelte Kiara und funkelte Aknadin wieder an. „Na schön … Gigantischer Felsenkrieger im Verteidigungsmodus… das war es erst einmal.“ Nicht nur Aknadin schien überrascht zu sein. „Was wird das?“, fragte Yugi, der Kiaras Zug nicht nachvollziehen konnte. Kiara schüttelte den Kopf. „Geh mir jetzt bitte nicht mir irgendwelchen Fragen auf die Nerven. Ich hab dafür jetzt keinen Kopf.“ „Aber…“ „Yugi, bitte!!!“ Aknadins Lächeln wurde breiter. „Dann aktiviere ich jetzt meine erste verdeckte Karte: Kartenzerstörung.“ Kiara schnappte nach Luft. Verdammter Mist. „Dann lass uns mal schön unsere Karten ablegen. Ich bin aber gnädig. Dieselbe Anzahl an Karten, die du gerade abgelegt hast, darfst du neu ziehen.“ In Kiaras Blick stand die pure Mordlust geschrieben, als sie ihre Karten inklusive dem Schwarzen Magier auf den Friedhof legte und fünf neue Karten zog. Doch Aknadin war noch nicht fertig. „Als nächstes aktiviere ich meine zweite verdeckte Karte: Gehirnwäsche. Mit seiner Hilfe darf ich dein Monster eine Runde kontrollieren. Zwar nur für eine Runde, aber das reicht vollkommen aus.“ Kiara schluckte. Das fing ja gut an. „Dann mal her mit deinem gigantischen Felsenkrieger. Keine Sorge, ich werde ihn nicht lange behalten. Denn jetzt opfere ich dein Monster und meinen Magnetkrieger…“ Die besagten Monster verschwanden in einem gigantischen Hurrikan. „… und ich beschwöre meinen schwarzen Magier!“ Kiara riss die Augen auf, als die Gestalt des Schwarzen Magiers auf Aknadins Spielfeldseite erschien. Das war doch nicht möglich. Jetzt wusste sie auch, warum sie vor ein paar Sekunden ein so mieses Gefühl gehabt hatte. „Der Kerl hat sich dein Deck geschnappt.“, knurrte sie, während sie Yami einen aufgebrachten Blick zuwarf. Selbst Yami schien kurz vorm Platzen zu sein. „Dann verstehe ich aber nicht, warum mein Schwarzer Magier bei dir ist, wenn er ihn auch hat.“ „Ich glaube, die Frage kann ich euch ganz einfach beantworten. Es stimmt, mein Deck ist dem vom Pharao sehr ähnlich, das liegt daran, dass ich mir die meisten seiner Karten kopiert habe! Und der Schwarze Magier … hat es mir besonders angetan.“ Kiara war den Tränen nah. Sie mochte den Schwarzen Magier und hätte sich niemals träumen lassen, gegen ihr Lieblingsmonster antreten zu müssen. „Das war nicht wirklich das, was ich im Sinn hatte, als ich dieses Duell begonnen habe.“ „Finde dich damit ab!“, rief Aknadin triumphierend und gab seinem Magier den Befehl zum direkten Angriff. Kiara konnte den leisen Schmerz in den Augen des Magiers förmlich sehen, als dieser zum Angriff überging und Kiara einen Verlust von 2500 Lebenspunkten verabreichte. Kiara ging in die Knie. Ihr gesamter Körper fing an, vor Schmerz zu beben und vor ihren Augen begannen, ihre Beine zu verschwinden. Kiara zitterte. Hier lief gerade alles Mögliche gänzlich schief. Obwohl sie ihre Beine nicht sehen oder spüren konnte, war es trotz allem auf eine seltsame Art und Weise möglich, dass sie wieder aufstehen konnte. Wahrscheinlich lag es daran, dass Aknadin sie weiterhin leiden sehen wollte. „Na schön, Aknadin … ich geb zu, du hast mich ziemlich erwischt. Aber Yugis Deck zu stehlen, ist ja wohl die größte Schweinerei, die du hast veranstalten können. Ich schwör dir, Aknadin, das zahle ich dir heim!“ Kiara sah an sich herunter. Wo ihre Beine hätten sein sollen, klaffte ein gewaltiges Loch. „Und dass du meine beste Hose hast verschwinden lassen, wirst du erst Recht bereuen!“, fügte sie wütend hinzu und zog ihre nächste Karte. „Na gut. Ich spiele die Heilige Elfe im Verteidigungsmodus, dazu eine Karte verdeckt und beende damit meinen Zug.“ Kiara schloss gequält die Augen. Die Schmerzen, die sie übermannten, waren gewaltig. Wie sollte sie sich nur konzentrieren? „Bleib ruhig, Kiara. Wir sind bei dir, wir lassen dich nicht allein. Vergiss die Schmerzen, vergiss, was auf dem Spiel steht! Konzentriere dich auf das Duell. Du bist gut und das weißt du auch. Zeig Aknadin, dass du mit allem fertig werden kannst. Mein Deck hat dich bisher noch nicht ein einziges Mal bezwungen.“, munterte Yami sie in ihren Gedanken auf, doch Kiara lächelte nur bitter. „Ich hab dich aber auch noch nicht besiegt.“ „Und trotzdem hast du jetzt die besten Chancen. Es mag vielleicht zu einem großen Teil mein Deck sein, was Aknadin benutzt, aber er ist nicht ich. Er hat trotz allem eine andere Spielweise … und du kennst mein Deck, Kiara! Nutze dieses Wissen!“ Kiara öffnete die Augen und beobachtete Aknadin genau. „Dann leg mal los!“ Aknadin zog eine Karte und grinste. „Ich spiele Beta, den Magnetkrieger im Angriffsmodus und …“ Kiara lächelte böse. „Reingefallen.“ „Was?“ „Ich aktiviere meine verdeckte Fallenkarte Sarg des dunklen Magiers!“ „Sarg des dunklen Magiers?“ „Aha! Dieser so genannte Sarg saugt dein soeben beschworenes Monster auf und erlaubt mir, es zu opfern. So und genau das werde ich jetzt tun. Ich opfere deinen Beta, Magnetkrieger und meine heilige Elfe und beschwöre meinen Schwarzen Magier!“ „Das ist doch nicht möglich!“ „Wie du siehst, ist es das doch! Mach ruhig weiter!“, rief Kiara munter und betrachtete voller Stolz ihren Schwarzen Magier – den wahren Schwarzen Magier, der anmutig vor ihr stand und sein Double fixierte. Aknadin stieß einen knurrenden Laut aus, legte zwei Karten verdeckt ab und warf Kiara einen erwartungsvollen Blick zu. „Sarg des dunklen Magiers?“, fragte Yami verwirrt und Kiara lächelte. „Die hab ich erst seit kurzem. Ich fand sie nützlich und hab sie in mein Deck aufgenommen.“ „Keine schlechte Idee.“ „Ich weiß! Ich hatte sie ja schließlich“ „Du bist dran, Prinzesschen!“ Kiara zog eine Karte. „Er scheint es ja gar nicht erwarten zu können. Na schön … ich lege zwei Karten verdeckt ab und überlasse dir wieder das Feld!“ Aknadin betrachtete seine Karten und legte ebenfalls zwei Karten verdeckt ab. „Irgendeiner muss den Anfang machen, Kiara.“, bemerkte Yugi und Kiara biss sich auf die Unterlippe. Beide Magier hatten jeder eine Angriffskraft von 2500 Punkten. Würde einer von ihnen angreifen, würden sie sich beide gegenseitig vernichten. Doch Kiara konnte es sich nicht leisten, ihren Magier zu verlieren. Zu viel hing von ihm ab. Sie legte wieder zwei Karten ab und traf einen Entschluss. „Ich aktiviere meine erste verdeckte Karte: Blitzeinschlag. Wenn ich jetzt Karte aus meiner Hand auf den Friedhof lege, kann ich jedes Monster auf deiner Spielfeldseite vernichten. Und drei Mal darfst du raten, auf wen meine Wahl fällt!“ Aknadin lächelte boshaft. „Dumm nur, dass du nicht die einzige bist, die Fallenkarten spielen kann. Ich aktiviere die Karte Zauberhüte!“ Kiara wich zurück. Aknadins Magier verschwand unter einem von vier Zauberhüten und war nicht mehr zu sehen. „Elender Feigling! Dann aktiviere ich meine nächste verdeckte Karte Tausend Messer!“ „Nix da! Meine Zauberkarte Zauber Abbrechen verhindert deinen Zug!“ Kiara rang verzweifelt nach Fassung, als sämtliche Zauber aufgehoben wurden und beide Schwarze Magier aufeinander los gingen. Zwei Sekunden später vernichteten sie sich gegenseitig und verschwanden. „Dumm gelaufen, würde ich sagen!“, bemerkte Aknadin, der immer noch boshaft grinste, doch Kiaras Grinsen blieb bestehen. „Ich bin noch nicht fertig!“ „Aber…“ „Ich aktiviere meine dritte verdeckte Karte: Monsterreanimation und hole meinen Schwarzen Magier zurück! So, lass sehen, was du hast!“, knirschte sie und zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz durch ihren Körper schoss. Sie hatte zwar keine Lebenspunkte verloren, aber die kurzzeitige Vernichtung ihres Magiers ging ihr ebenso durch Mark und Bein wie der Verlust von Lebenspunkten. Hinter ihr konnte sie Yami keuchen hören. „Das war haarscharf, Kiara, weißt du das eigentlich?“ „Hör endlich auf damit! Ich muss mich konzentrieren.“ „Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe so das Gefühl…“ „Sei still! Du machst mich nur noch nervöser.“ „Kiara, beruhige dich endlich! Du hast überhaupt keinen Grund nervös zu sein. Du bist gut! Lass dich von Aknadin nicht verunsichern, ja?“ Kiara schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Der Schmerz verschwand, blieb nur noch als dumpfe Erinnerung zurück. Aknadin grinste und zog seine Karte. „Na schön … was du kannst, kann ich schon lange: Als erstes spiele ich die Zauberkarte Diane Keto, der Meisterheile, und hole mir einen Powerschub von 1000 Lebenspunkten. Und dann … aktiviere ich Monsterreanimation und hole meinen Schwarzen Magier vom Friedhof zurück. Als nächstes lege ich zwei Karten verdeckt ab. Du bist dran.“ Kiara zog eine weitere Karte, sah sie an und lächelte. „Ich lege eine Karte verdeckt ab und beende meinen Zug.“ Aknadins Augenbrauen zogen sich zusammen, als er seine nächste Karte zog und dabei Kiaras zwei verdeckte Karten beäugte. „Na schön … dann werde ich jetzt mal Ernst machen! Schwarzer Magier greif ihren Magier an!!“ Kiara prallte überrascht zurück. Ein Angriff des Schwarzen Magiers gegen ihren eigenen würde beide vernichten. Yami schien dasselbe gedacht zu haben. „Was soll das?“ Kiara kniff die Augen zusammen. „Nicht so schnell, Aknadin! Ich aktiviere meine verdeckte Karte Zwangsevakuierung! Sie bewirkt, dass du dein Monster ganz schnell wieder auf deine Hand nehmen darfst! Damit dürfte sich dein Angriff erledigt haben!“ „Bist du dir da sicher?“ Kiaras Blick verwandelte sich in Ratlosigkeit. Aknadin grinste jedoch selbstbewusst. „Ich aktiviere meine Konterfalle Falle aufheben! Damit dürfte sich deine Zwangsevakuierung in Luft aufgelöst haben.“ Kiara hob die Augenbrauen und lächelte breit. „Da wär ich mir aber nicht so sicher!“ „Was?“ „Du hast meine weitere verdeckte Karte vergessen. Ich aktiviere die Karte Mystischer Raum-Taifun! Jetzt macht nicht nur dein Schwarzer Magier sondern auch deine Fallenkarte ’nen Abgang!“ Aknadin knirschte bedrohlich mit den Zähnen, was Kiara keineswegs beunruhigte. Aknadins Schwarzer Magier verschwand und kehrte zurück auf Aknadins Hand, während Kiara einen beruhigenden Seufzer ausstieß. Der Priester wandte sich wieder seinem Deck zu, doch zu seinem Erschrecken gab es kein Monster, was er ohne Opfer beschwören konnte. Nicht einmal eine passende Zauber- oder Fallenkarte, die ihm helfen konnte. Ein direkter Angriff durch Kiara war wohl diesmal unvermeidlich. Ein Umstand, der Kiara zutiefst erfreute, als Aknadin seinen Zug beendete und sie zum direkten Angriff überging. Der Schwarze Magier legte los und fügte ihrem Gegner einen gehörigen Verlust von satten 2500 Lebenspunkten zu. Seine Anzeige sank auf 2500. „Das war ein Zug, wie ich ihn liebe.“, bemerkte Yami und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Kiara beendete ihren Zug mit einer verdeckten Karte. Aknadin war dran. „Ich spiele Topf der Gier und zieh mir mal gleich zwei neue Karten. So und dann … spiele ich – wie ich es doch liebe, Karten doppelt zu haben – ein weiteres Mal die Zauberkarte Diane Keto, der Meisterheiler, und hole mir nochmal 1000 Lebenspunkte wieder. Riesenschild Guardner im Verteidigungsmodus. Und dazu … zwei Karten verdeckt. Das war’s.“ Kiara knirschte mit den Zähnen, als sie auf Aknadins Lebenspunktanzeige blickte, die bei 3500 Punkten stehen geblieben war. Dann ergriff sie die nächste Karte und dachte nach. Was jetzt? Und dann machte es endlich Klick. „Na schön, als erstes lege ich eine Karte verdeckt ab. Dann erhöhe ich die Angriffskraft meines Schwarzen Magiers um 300 Punkte, in dem die Karte Buch der Geheimen Künste spiele! Jetzt ist er stark genug, um deinen Riesenschild Guardner vom Feld zu pusten!! Los, Schwarzer Magier, greif sein Monster an mit Schwarzer Magieattacke!!!“ Ihr Magier straffte sich, hob seinen Stab und schleuderte eine gewaltige schwarze Magiewelle auf seinen Gegner. Aknadin grinste boshaft. „Ich aktiviere meine verdeckte Karte, die Macht des Spiegels! Ich schätze, du kennst seine Macht bestens. Sie schickt deinen Angriff auf dich zurück und zerstört alle deine Monster. Verabschiede dich von deinen Lebenspunkten, Prinzesschen, und sag dem Reich der Schatten guten Tag!“, rief Aknadin und der triumphierende Ausdruck in seinen Augen machte Yami klar, dass es vorbei war. Die Macht des Spiegels reflektierte den Angriff und zerstörte den Schwarzen Magier. Doch zu seiner Überraschung schien Kiara nicht im Mindesten überrascht zu sein. Tatsächlich … lächelte sie. „Hast du wirklich geglaubt, dass ich so blöd bin?“ Aknadin blickte fassungslos auf ihre Lebenspunktanzeige, die sich kein bisschen verändert hatte. Stattdessen sanken seine eigenen Lebenspunkte um satte 2500 Punkte. „Wie … was… wie hast du das gemacht? Du dürftest keinen einzigen Lebenspunkt mehr haben!“, schrie er aufgebracht. Kiara hob ihren Zeigefinger und deutete auf ihre verdeckte Karte, die mittlerweile nicht mehr verdeckt war. „Was? Fluch des Schmerzes?“, rief Aknadin verstört und blickte sie rasend vor Zorn an. „Ganz Recht, mein lieber! Diese nette kleine Karte hat verhindert, dass ich Schaden nahm, in dem sie dir den Schaden aufgebrückt hat!“ „Aber wie …“ „Du scheinst dir nicht im Mindesten darüber im Klaren zu sein, dass ich das Deck meines Bruders kenne, kann das sein? Ich weiß, welche Karten er hat und sicher kenne ich auch die Macht des Spiegels!“ Aknadin stieß einen brummenden Laut aus und ballte die Hände zur Faust. Kiara legte indes zwei weitere Karten verdeckt ab und beendete ihren Zug, ohne ein Monster gespielt zu haben.“ Yami runzelte die Stirn, blickte Aknadin kurz an und endlich begriff er. Kiara hatte damit gerechnet, dass Aknadin die Macht des Spiegels einsetzen würde, um ihren Magier zu vernichten, was auch der Grund dafür war, dass sie die Zauberkarte Fluch des Schmerzes abgelegt hatte. Yami wusste, dass der Verlust des Magiers ziemlich schwer wog, doch er wusste auch, was Kiara jetzt vorhatte. Und er wusste, welche Karten Kiara verdeckt abgelegt hatte.“ „Mensch, Kiara! Ich hoffe nur, dass du dir deiner Sache sicher bist und dich nicht irrst. Das Ding kann nämlich auch ganz gewaltig schief gehen. Wichtig ist vor allem das Timing! Das darf nicht daneben gehen“, murmelte er und blickte auf Aknadin, der seine nächste Karte bereits gezogen hatte. „Also gut, Prinzesschen! Da ich so langsam aber sicher die Nase von dir gestrichen voll habe, werd ich der Sache jetzt endlich ein Ende bereiten! Ich spiele die Zauberkarte Vorhang der dunklen Magie und hole mir so – für die Hälfte meiner Lebenspunkte – meinen Schwarzen Magier zurück auf das Spielfeld! Und da du naives dummes Gör keinerlei Monster auf deiner Seite hast, steht einem direkten Angriff nichts mehr im Wege. Los, Schwarzer Magier, greif Kiara direkt an!“ Der Magier startete seinen Angriff. Kiara atmete noch einmal tief durch und legte los. „So, damit eines klar ist, Aknadin, dieses Duell wird wirklich gleich beendet sein, aber der Sieger wirst nicht du sein! Als erstes aktiviere ich meine Zauberkarte Schild und Schwert! Dein Magier hat mal eben seine Verteidigungspunkte zu Angriffspunkten gemacht und seine Angriffspunkte zu Verteidigungspunkten.“ „Und? Was bringt dir das? Mit 2100 Angriffspunkten ist mein Magier immer noch stark genug… was ist denn das?“ Ungläubig starrte Aknadin auf Kiaras Spielfeldseite. Sie war nicht mehr länger leer. Stattdessen war auf ihrem Feld ein Monster erschienen, dass … „Das Schwarze Magiermädchen, ganz Recht, Aknadin! Du siehst richtig!“, rief Kiara triumphierend. „Aber wie … wie hast du das …“ „Ganz einfach, mein Lieber! Dein Vorhang der dunklen Magie gilt nicht nur für deine eigene Spielfeldseite! Sie gilt für das gesamte Spielfeld! Und da mein Schwarzes Magiermädchen ebenfalls ein schwarzer Magier ist … kann ich sie ebenfalls ohne Probleme auf das Feld rufen!“ „Dumm nur, dass die Zauberkarte Schild und Schwert ihr dabei das Genick bricht. Mit 1700 Angriffspunkten kann sich gegen meinen Magier nicht behaupten!“ „Wart’s doch mal ab, ich war ja noch nicht fertig! Ich aktiviere jetzt nämlich meine Zauberkarte Waghalsig voranstürmen, die meiner Süßen einen Powerbonus von 700 Angriffspunkten verschafft.“ Aknadin schnaubte. „Schlappe 300 Punkte mehr als mein Magier hat. Das wird mich wohl kaum aus dem Spiel pusten.“ Kiara grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. „Da wär’ ich mir aber nicht so sicher! Sieh mal genauer hin.“ Aknadin betrachtete die Angriffspunktzahl des Schwarzen Magiermädchens und schnappte nach Luft. Tatsächlich waren die Angriffspunkte des Schwarzen Magiermädchens auf 2900 Punkte gestiegen. „Wie…“ „Du scheinst von Yugis und meinen Karten nicht die geringste Ahnung zu haben, Aknadin! Ich will dir nämlich mal was sagen: Ich wusste, dass du die Zauberkarte Vorhang der dunklen Magie hast, ich wusste, dass du sie spielen würdest, um mir eins auszuwischen und ich wusste ganz genau, dass du dir das bis zum Ende aufheben würdest. Genauso wusste ich, dass du die Macht des Spiegels einsetzen würdest, um meinen Schwarzen Magier zu zerstören und weißt du, warum ich das weiß? Weil Yugi und ich unsere Decks gemeinsam zusammen gestellt haben, wir haben sie so perfekt aufeinander abgestimmt, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Deswegen war ich ja so froh, dass du Vorhang der dunklen Magie gespielt hast. Im Gegensatz zu dir weiß ich also, wie unsere Decks ticken. Und jetzt zu einer Frage, die dich wahrscheinlich brennend interessieren wird: Wie kann mein Magiermädchen statt nur 2400 Punkten plötzlich sogar 2900 auf ihrem Konto verbuchen? Ganz einfach: Das Schwarze Magiermädchen hat eine besondere Fähigkeit. Sie erhält für jeden Magier, der auf dem Friedhof eines Spielers liegt zusätzlich 500 Angriffspunkte.“ „Das ist doch…“ „Kapierst du endlich deinen Fehler, Aknadin? Du hattest in dem Moment verloren, als du mir offenbart hast, dass du Yugis Deck kopiert hast, denn von da an … wusste ich genau, was ich zu tun hatte! Denn niemand kennt Yugis Deck besser als ich!“ Aknadin war starr vor Schreck, ein Umstand der Kiara zutiefst erfreute. „Und jetzt, Schwarzes Magiermädchen, mach dem ganzen ein Ende! Vernichte seinen Schwarzen Magier mit deiner Schwarzen Magieattacke!!!!!“ Das Schwarze Magiermädchen hob ihren Stab und setzte zum finalen Gegenschlag an. Hinter sich konnte sie Yami triumphierend lachen hören, als der schwarze Magiestrom auf Aknadins Schwarzen Magier zuschoss und ihn ohne große Probleme vernichtete. Aknadins Lebenspunkte sanken sofort auf 0 und Kiara brach endgültig zusammen… Kapitel 16: Wiedersehen ----------------------- Kiara hatte das Gefühl, dass ihr Kopf die Größe eines Ballons hatte, als sie die Augen aufschlug und verwirrt zur Decke blinzelte. Neben ihr hockte Seto Kaiba, der stirnrunzelnd auf sie herabsah. „Bist du endlich wieder wach? Wurde ja auch Zeit, ich hab nämlich ehrlich gesagt keine Lust mehr, länger meine kostbare Zeit in diesem … Kaff zu verbringen.“ Mühsam richtete sie sich auf, brach jedoch unter der Last ihres Körpers gleich wieder ein und blieb erschöpft liegen. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie sehr die letzten Stunden an ihren Kräften gezehrt hatten. „Hast du vor, hier ewig liegen zu bleiben?“, fragte Kaiba, während er sich erhob und umsah. Kiara blickte müde zu ihm empor und rollte mit den Augen. „Kannst du mir helfen?“ „Beim Aufstehen?“ Genervt seufzte sie und streckte ihm ihre Hand entgegen. „Nein, beim Umziehen!“, knurrte sie und ließ sich von Kaiba auf die Beine ziehen. Seto blickte sie missbilligend an. „Tu mir das nicht an, okay?“ Kiara kniff die Augen zusammen. „Keine Sorge, die Schmach würde ich mir selber niemals antun.“ Kiara entwand ihren Arm seinem Griff, was ein Fehler war. Sie merkte sofort, wie ihre Beine wieder unter ihr wegknickten und sie kurz vor einem weiteren Ohnmachtsanfall stand. Doch Seto bewahrte sie vor einem weiteren Sturz und fing sie auf. Nur höchst widerwillig klammerte sie sich an seiner Jacke fest, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Ihre Sicht klarte ein wenig auf, nur um kurz darauf wieder zu verschwimmen. Schwankend griff sie nach Setos Arm, langte jedoch daneben und taumelte zur Seite… Flash! Kiara sah Seto neben ihr knien. Sie selbst war immer noch vollkommen weggetreten, lag bewusstlos auf dem Boden. Zu beiden Seiten schwebten noch immer die Lichtsäulen, die Yami und Yugi gefangen hielten, doch zu ihrer Überraschung schienen sie sich immer mehr aufzulösen. Die Konturen ihres Bruders und des Pharaos verschwammen immer mehr, bis sie schließlich verschwanden. Das Bild der verschwindenden Freunde verschwand und machte einem Bild von Akandin Platz. Sein Gesicht war zu einer Maske des Grauens verzerrt. Und kurz darauf erkannte sie auch warum. Dunkle Schatten waren hinter seiner Gestalt aufgetaucht und griffen mit ihren Klauen nach seinem Geist. Aknadin schrie, konnte ihren gierigen Griffen jedoch nicht entgehen und wurde schließlich in die Dunkelheit des Reichs der Schatten gezogen. Kiara fiel Seto direkt in die Arme. „Oh…. Jetzt hab ich aber langsam wirklich die Schnauze voll.“, brummte sie leise, während sie die Augen aufschlug und sich wieder umsah. So also war Aknadin verschwunden. Ganz unspektakulär von den Geistern aus dem Reich des Schattens in ihr Reich gezogen worden. Aber was war mit Yami und ihrem Bruder? Schlagartig wurde sie wach und sprang auf die Beine. „Was ist mit meinem Bruder? Was ist mit dem Pharao?“, rief sie panisch, als ihr ihre verschwindenden Konturen wieder in den Sinn kamen. Seto zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Sie sind verschwunden.“ „Das weiß ich auch! Aber wohin sind sie verschwunden?“ „Seh ich aus wie ein Ortungsgerät?“ Kiara funkelte ihn an und sah sich um. „Wir müssen hier raus und sie suchen.“ „Oh, gut! Dann sag mir mal schön Bescheid, wenn du einen Weg gefunden hast!“ „Das heißt, einen Weg nach draußen hast du noch nicht gefunden?“, fragte sie zögernd. Seto grinste auf eine heimtückische Art und Weise. „Hätte ich einen Weg gefunden, hätte ich dich geschnappt und wäre einfach gegangen.“ Kiara schnitt eine Grimasse. War denn das möglich? Hatte Aknadin sie tatsächlich am Ende doch noch reingelegt? „Es muss doch einen Weg hier heraus geben!“, fluchte sie und blickte sich hastig um. Seto zuckte mit den Schultern. „Ich würde ja liebend gern sagen, dass wir versuchen sollten, auf demselben Weg herauszukommen, wie wir reingekommen sind, aber …“ „… da wir ja praktisch durch die Decke geflogen sind, wird das wohl kaum möglich sein.“ „Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch die Decke keine Fluchtmöglichkeit zu bieten scheint.“ Kiara stemmte wütend die Hände in die Hüften. „Das kann doch wohl nicht wahr…“, und stutzte überrascht. Warum war sie darauf nicht gleich gekommen? Ihr Blick glitt an sich hinunter und blieb an dem goldenen Millenniumsgürtel haften. Sie hatten doch einen Freifahrtschein. Ein breites Grinsen erschien auf ihrem Gesicht. „Natürlich gibt es einen Weg hier heraus.“, murmelte sie und griff in ihre linke Hosentasche. „Jetzt brauch ich nur noch mein Deck und dann…“ „Glaubst du wirklich, dass uns dein Deck hierbei helfen kann?“ Kiara rang nach Fassung. „Hör mal zu, du elender Klugscheißer! Wenn du nur dumme Sprüche klopfen kannst, dann tu mir den Gefallen, und schluck sie solange runter, bis wir wieder zurück sind. Dann kannst du sie an jemand anderem herauslassen, okay? Und jetzt… wo war ich denn grad?“ „Du wolltest mir beweisen, dass du tatsächlich so verrückt bist, wie ich dachte.“ Kiara überging seine Bemerkung und blätterte in ihrem Deck, bis sie die Karte gefunden hatte, die sie brauchte. „Also schön! Wird Zeit, dass wir von hier verschwinden.“ Sie streckte die Karte in die Höhe und rief: „Materialisiere dich, Zauberkarte Magische Box!“ Beinah sofort breitete sich dichter Nebel aus, der ihre Knöchel umwaberte. Kiara kroch eine Gänsehaut den Rücken entlang, denn aus den dichten Waden des Nebels erhob sich langsam und majestätisch die Magische Box empor, bis sie – über ihre Köpfe hinwegragend – vollständig vor ihnen stand. Kiara lächelte erleichtert und riss die Tür auf. Kaiba räusperte sich. „Dir … dir ist schon klar, dass die zweite Kiste immer von Schwertern durchbohrt wird, ja?“ Kiara rollte mit den Augen und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Sag mal, für wie blöd hältst du mich eigentlich?“ „Willst du darauf eine ehrliche Antwort?“ „Glaubst du nicht auch, dass ich in der Lage bin, die Karten, die ich beschwöre, auch zu kontrollieren? Mach dir keine Sorgen, da wird schon nichts passieren.“ „Es ist ziemlich eng da drin.“ Kiara rang nach Beherrschung. „Okay, du neunmalkluger Besserwisser! Dann bleib meinetwegen hier und versauere so lange, bis du einen besseren Weg gefunden hast. Ich werde nicht hier abwarten und Däumchen drehen.“ Mit diesen Worten stolperte sie in die Box hinein und machte sich daran, die Tür zu schließen. Setos Arm hielt sie davon ab. Missbilligend warf er einen Blick hinein und quetschte sich zu ihr. „Wenn du das irgendjemandem erzählst…“ „Glaubst du echt, die Peinlichkeit würde ich irgendjemandem verraten?“, knurrte Kiara und rutschte an der Wand in ihrem Rücken zu Boden, um so viel Platz wie möglich zwischen sich und Kaiba zu bringen. Ein heftiges Rütteln erfasste die Box und schleuderte Kiara nach vorn. Dummerweise brachte sie Seto damit zu Fall, der fluchend über ihr landete. „Geh gefälligst runter von mir!“, fauchte sie. „Wenn das so einfach wäre, wäre ich schon längst wieder weg!“, knurrte er zurück, versuchte jedoch trotzdem, sich irgendwie aufzusetzen. Und dann endete der Durchrüttelungsprozess abrupt, die Tür glitt auf und ineinander verhakt stürzten sie aus der winzigen Kabine. Benommen blieben sie liegen und starrte zu zwei völlig verdutzt drein blickenden Ärzten empor. Ächzend stützte sie sich auf ihre beiden Ellenbogen und blickte die beiden lächelnd an. „Gibt’s Probleme?“, fragte sie keck. Ihr Blick fiel auf die Magische Box hinter sich und wieder auf die verwirrten Doktoren. „Das hatten Sie bestimmt auch noch nie in diesem Krankenhaus, was?“ Ein kleiner Stoß in ihrem Rücken stoppte ihre frech aufkeimende Ader. Seto war aufgestanden und klopfte sich den Staub von seinen Sachen. „Ich kann nur für dich hoffen, dass dieser ganze Spuk jetzt endlich ein Ende gefunden hat. Ich hab nämlich ehrlich gesagt keine Lust mehr auf eure Kindergeschichten.“ „Kindergeschichten?“ Wütend sprang Kiara auf. „Was heißt hier Kindergeschichten? Ich fand das nicht gerade witzig. Wenn es für dich nur eine Kindergeschichte war, hättest du ja auch gegen Aknadin antreten können!“ „Was gehen mich deine Auseinandersetzungen mit irgendwelchen Geistern an?“ Kiara hob die Hände zum Zeichen, dass sie genug hatte. „Weißt du was? Ich geb’s auf! Ich hatte für eine kurze Zeit irgendwie das Gefühl, dass wir … doch noch Freunde werden könnten, aber … ich fürchte, das wird keinen Sinn machen! Geh am besten wieder in deine Firma und tu … was auch immer du dort tust … nerven zum Beispiel!“ „Vielleicht sollte ich das wirklich machen. Aber tu mir einen Gefallen und komme in den nächsten Tagen nicht gleich wieder angekrochen und bitte mich um Hilfe!“ Kiara klappte die Kinnlade herunter, während Seto sich abwandte und ging. Knurrend griff sie nach einem Briefbeschwerer, holte aus und wurde von einem der Ärzte zurückgehalten. „Bist du denn wahnsinnig?“ „Nein, nur wütend.“, fauchte sie zurück, ließ aber den Briefbeschwerer fallen. Dann riss sie sich von dem Arzt los und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich sag Ihnen doch, mit mir ist alles in Ordnung! Glauben Sie mir doch endlich!“ Kiara horchte auf und wirbelte herum. Ihre Augen begannen zu leuchten, als die Gestalt ihres Bruders auf den Flur stolperte und den Händen mehrerer Ärzte auswich. Offenbar war es ihnen ein Rätsel, dass Yami – nachdem er eigentlich schon für tot erklärt worden war – plötzlich quicklebendig war. „Yugi!!!“ Verdutzt wandte sich der Pharao um und blickte sie lächelnd an. „Kiara!“ Kiara konnte nicht beschreiben, wie glücklich sie war, den Pharao vollkommen gesund vor sich stehen zu sehen. Erleichtert lief sie auf ihn zu und sprang ihm in die Arme. „Yugi, Yugi, Yugi, Yugi, Yugi…“ „Krieg dich wieder ein!“, unterbrach er ihren Singsang, während er sie fest an sich drückte. Kiara machte sich jedoch kurze Zeit später wieder von ihm los und blickte ihn an. „Du siehst blass aus!“, bemerkte sie, was Yami mit einem zerknirschten Blick quittierte. „Du hast auch schon mal bessere Tage gesehen.“, entgegnete er beleidigt. „Ihr seht beide nicht gerade besonders gesund aus.“, mischte sich einer der Doktoren ein und griff nach Yamis Ärmel. Kiara warf dem Pharao einen vielsagenden Blick zu. „Uns geht’s blendend.“, antworteten sie schließlich gleichzeitig. „Ihr seht aus wie zwei Leichen.“, behauptete der Arzt. „Tun wir nicht!“, riefen die Zwillinge gleichzeitig und verschränkten vollkommen synchron die Arme vor der Brust. „Tut ihr sehr wohl. Also kommt es gar nicht in Frage, dass ihr das Krankenhaus verlasst.“ „Wir sind kerngesund!“, beharrten sie wieder gleichzeitig, was bei dem Arzt schließlich ein Stirnrunzeln hervorrief. Verwirrt kratzte er sich am Kopf. „Ihr zwei seid wirklich waschechte Zwillinge, was?“ „Warum?“, kam die vollkommen synchrone Gegenfrage. Der Arzt hob eine Augenbraue und endlich begriffen sie. Kiara warf dem Pharao einen beschämten Blick zu und grinste. „Tja … das war ja jetzt mal so gar nicht peinlich, was?“ Yami lächelte und wandte sich wieder dem Arzt zu. „Hören Sie, uns geht es wirklich gut! Ich weiß nicht, was passiert ist, aber eines weiß ich … wir sind vollkommen in Ordnung und quicklebendig!“ Kiara nickte. „Ganz genau! Und auf das, was der Pha…“, Yami stieß ihr den Ellenbogen in die Seite, was sie vor Schmerz die Augen zusammenkneifen ließ, „…ich meinte … auf das, was mein reizender, niemals gewalttätig werdender“, fügte sie knurrend hinzu, während sie ihn finster anstarrte, „Bruder sagt, können Sie sich absolut und hundertprozentig verlassen! Also? Machen Sie’s gut und auf Nimmerwiedersehen!“, rief sie euphorisch, packte Yami am Ärmel und suchte mit ihm zusammen das Weite. So schnell sie konnten, verließen sie das Krankenhaus und stoppten erst, als sie fast wieder Zuhause waren. Yami stoppte schließlich das Mädchen und blickte sie erschöpft an. „Jetzt weiß ich wieder, was ich nicht vermisst habe.“, keuchte er, während er seine Hand in die Seite presste. Kiara blickte ihn verdutzt an. „Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?“, fragte sie, was den Pharao die Stirn runzeln ließ. „Du bist gerade den ganzen Weg vom Krankenhaus bis hierher gerannt. Ich kann ja verstehen, dass du die Nase von Krankenhäusern gestrichen voll hast, aber … hätten wir nicht auch normal gehen können?“ Kiara druckste verlegen herum. „Tja … das ist halt mein … mein Bewegungsdrang.“ „Dein Bewegungsdrang?“ Kiara scharrte mit dem Fuß auf dem Boden herum. „Kannst du nicht wieder Yugi ranlassen? Der meckert wenigstens nicht mit mir rum!“, knurrte sie und wandte sich beleidigt ab. Der Pharao blickte zu Boden, lächelte aber stolz. „Du warst gut, Kiara!“ Verwirrt blickte sie ihn über die Schulter hinweg an. „Was?“ „Du hast … wieder einmal mehr bewiesen, wozu du als Duellantin fähig bist.“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Ich hatte Glück. Hätte er dein Deck nicht kopiert, hätte es auch anders ausgehen können.“ „Das stimmt nicht … und was weißt du auch. Du bist gut, Kiara, eine der besten Duellantinnen, die ich kenne … vielleicht sogar besser als ich.“ „Hey… Fishing for compliment ist nicht drin!“ „Wieso? Kam das so rüber?“ Kiara lächelte und fiel ihm wieder in die Arme. „Danke, Pharao.“, flüsterte sie und stieß ihn plötzlich zurück. „Und jetzt lass endlich meinen Bruder ran!“, fauchte sie. Der Pharao grinste, zwinkerte ihr noch einmal zu und dann stand Yugi wieder vor ihr. Kiara schossen augenblicklich Freudentränen in die Augen, als er auf sie zuging und seine Stirn gegen ihre lehnte. „Schön dich wieder zu sehen.“, murmelte er. Kiara wurde von einem wohlig warmen Schauer erfasst. „Geht mir ganz genauso.“, stimmte sie ihm zu und schloss entspannt die Augen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich endlich wieder vollkommen frei… Ende Tja, Leute ... das war's dann... Ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen! Aber keine Sorge, die nächste ist in Arbeit!!!! Danke für's Lesen und kommentieren!! Lieben Gruß von der lieben Pijara!!!!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)