Vertraue mir von Pijara ================================================================================ Kapitel 8: Kampf in der Dunkelheit ---------------------------------- Das Tor zu öffnen, stellte kein besonders großes Problem dar. Kiara hatte das Gefühl, sie bräuchte es bloß schief ansehen und schon würde es in sich zusammenfallen. An besseren Tagen hatte es mit Sicherheit in einem silbernen Metallicgrau geglänzt, doch jetzt war davon nicht mehr viel übrig. Stattdessen war es komplett von Rost zerfressen und von rostroter Farbe. Kiara drückte sachte dagegen und zuckte zusammen, als beide Flügeltüren nach innen sanken und auf den Boden schepperten. Die Zwillinge waren sich sicher, dass der Lärm noch die nächste Polizeistation in Alarmbereitschaft versetzt hatte. Vorsichtig stiegen sie über den Metallhaufen hinweg und betraten das Gebäude. Drinnen angekommen warfen sie einen Blick in sämtliche Richtungen. Kiara fand ihre Ahnung bestätigt, dass die Lagerhalle seit langer Zeit nicht mehr genutzt worden war. Zahllose Kisten stapelten sich auf einer Fläche von gut 200m². Sogar ein alter Gabelstapler stand noch völlig verrostet in einer Ecke und fristete dort sein nutzloses Dasein. Seine Fenster waren durchschlagen und in sämtlichen Ecken und Winkeln hatten sich feine Spinnweben gebildet. Kiara schauderte. Hier gefiel es ihr keineswegs, obwohl es helllichter Tag war. Selbst Yami, der neben ihr stand und sich ungläubig umsah, behagte der Ort nicht. „Also schön und woher weißt du nun, dass Yugi hier drin ist?“, fragte er schließlich und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Kiara blickte ihn fest an. „Weil ich es gesehen habe. Was glaubst, war das gerade eben da draußen?“ „Das ist es ja, was ich mich frage. Was war es?“ Kiara seufzte. „Eine Vision, was dachtest du denn?“ „Und was hast du gesehen?“ Das Mädchen wandte sich ab und blickte sich wieder im Lagerhaus um. „Du hattest in deinem früheren Leben als Pharao offenbar nicht nur Freunde.“, stellte sie fest, was ihn fragend die Stirn runzeln ließ. Die Hände in die Taschen geschoben blickte er sich ebenfalls wieder um. „Wie meinst du das?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Wir haben es hier mit einem Geist zu tun, Pharao, der offenbar einen unbändigen Hass auf dich hat. Sein Name ist … oder war Aknadin. Er war früher einer deiner Priester und dir offensichtlich nicht so treu ergeben, wie es damals den Anschein hatte. Sein einziges Ziel damals war, dass sein Sohn, wer auch immer, die Herrschaft über Ägypten erlangt. Dummerweise hast du ihm diesen Plan zunichte gemacht. Tja und dafür … will er jetzt Rache.“, beendete sie ihren Vortrag und blickte Yami mit einem ausdruckslosen Gesicht an. Yami schluckte. Er hatte soeben mehr über seine Vergangenheit erfahren, als ihm lieb gewesen wäre. „Und warum hat er dann Yugi entführt?“ Kiara legte den Kopf schief. „Weil Yugi sich in die Schussbahn geworfen hat, als du aus dem Puzzle gezogen wurdest, schon vergessen?“ Yami nickte. „Schlimme Dinge verdränge ich gern.“ „Das ist mir neu.“, bemerkte sie trocken und blickte sich wieder suchend um, bis sie gefunden hatte, was sie gesucht hatte. „Kommt mit!“, befahl sie, ergriff seinen Ärmel und steuerte eine schmale Treppe an, die in eine Art Keller zu führen schien. „Warte mal einen Augenblick. Woher weißt du, dass Yugi dort unten ist?“ Kiara seufzte und blickte ihn genervt an. „Vertraust du mir jetzt oder nicht?“ „Ich will nur wissen, woran ich bin.“ „Na schön: Ich habe Aknadin in dieser Vision gesehen und zwischendurch blitzte immer wieder das Lagerhaus durch. Ich meine, was soll ich denn sonst denken, wenn nicht, dass das Lagerhaus etwas damit zu tun hat?“ „Aber … findest du das nicht ein bisschen zu einfach?“ Kiara zuckte mit den Schultern. „Natürlich! Aber woher soll ich denn wissen, was im Kopf eines rachedurstigen Geistes vorgeht?“ „Da haben wir übrigens unser nächstes Problem. Er ist ein Geist, Kiara, wie willst du einen Geist bezwingen?“ Kiara schnitt eine Grimasse. Daran hatte sie tatsächlich nicht gedacht. „Tja … gute Frage. Das heißt … vielleicht …“ Kiara sah Atem nachdenklich an. „Gib mir mal dein Deck!“ „Wozu?“, fragte er, holte es jedoch trotzdem aus seiner linken Hosentasche heraus und hielt es ihr entgegen. Hastig blätterte sie das Deck aus vierzig Karten durch, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie nahm die zwei Karten, gab Yami das Deck zurück und hielt ihm eine der beiden Karten entgegen. „Behalte die hier in der Hand. Wir brauchen sie, wenn wir diesen … diesen Priester in die Wüste schicken wollen.“ Yami blickte auf die Karte und konnte einen überraschten Gesichtsausdruck nicht verhindern. „Das … ist das dein Ernst? Du glaubst, damit können wir ihn bezwingen?“ „Damit und mit der Karte, die ich noch habe.“ Und mit diesen Worten steuerte sie die Treppe an und stieg die einzelnen Stufen hinab. Yami folgte ihr und mit jedem Schritt, den er machte, schien es um ihn herum dunkler zu werden. Die Treppe, obwohl sie aus Stein war, schien auch schon sehr abgenutzt zu sein. Vereinzelt war der Beton bereits sehr rissig und lud zu allem Möglichen ein, nur nicht dazu, diese Stufen zu benutzen. Doch schon nach kurzer Zeit hatten sie heil den Boden erreicht. Kiara blinzelte angestrengt angesichts der Tatsache, dass es hier unten bei weitem dunkler war, als in der oberen Etage. Nur schwer waren einzelne Konturen zu erkennen und so konnte sie nur erahnen, dass in diesem Raum irgendwelche Möbel oder Kisten standen. Yami erschien neben ihr und schien ebenso große Probleme zu haben sich an die Dunkelheit zu gewöhnen wie sie. „Und du bist sicher, dass er hier unten ist?“ „Ganz sicher.“, stellte sie klar und wagte ein zwei Schritte nach vorn. Yami packte ihre Jacke und hielt sie fest. „Warte doch mal! Hier unten ist es dunkel genug, um einander zu verlieren. Lass uns lieber zusammenbleiben, immerhin brauchst du doch schließlich auch die Karte, wenn es drauf ankommt.“ Kiara antwortete, indem sie seine Hand fest umschloss und weiterging. So leise wie möglich bewegten sie sich auf die Mitte des Kellers zu, bis Kiara unbeabsichtigt gegen eine Kiste stieß, die ihr im Dunkeln verborgen geblieben war. „Sei doch leise!“, raunte Yami ihr zu. „Entschuldige mal du Besserwisser, aber ich kann nunmal im Dunkeln nicht so gut sehen wie du.“, fauchte sie leise zurück und dann erlosch auch noch das letzte bisschen Licht. Kiara drückte sich erschrocken gegen Atem und sah sich verzweifelt um. Schwärze, eine tiefe Schwärze, die sich drückend auf ihre Augen legte und ihr fast den Verstand nahm. Zitternd presste sie sich so fest gegen Yami, dass sie ihn aufstöhnen hörte. „Nicht so fest, ich krieg keine Luft mehr.“ Kiara senkte ihren Druck ein wenig, drückte sich aber immer noch an den Pharao, konnte sogar ihr Zittern nicht mehr unterdrücken. „Ganz ruhig, Kiara! Ich bin sicher, dass nur die Stromleitungen ausgefallen sind?“ Kiara schnitt eine Grimasse, bis ihr einfiel, dass er das gar nicht sehen konnte. „Nur zu deiner Information, du Witzbold, das Licht war überhaupt nicht an. Das einzige Licht, was hier hereingeschienen hat, war das Sonnenlicht aus der oberen Etage und das ist jetzt weg.“ „Dass du auch immer alles merken musst.“, knurrte er und warf den Kopf nach rechts und nach links. „Wie soll man dich denn da beruhigen?“ Ängstlich versuchte Kiara, irgendetwas in der tiefen Schwärze zu erkennen – ohne Erfolg. „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie leise, während sie sich immer noch an seiner Jacke festkrallte. Yami zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich kann dir ja noch nicht einmal sagen, wo hier der Ausgang ist.“ „Soll das heißen, wir bleiben jetzt hier stehen und warten darauf, bis wir irgendwie eine Erleuchtung haben?“ Yami schnaubte. „Erleuchtung? Der war nicht schlecht.“ „Das ist nicht witzig.“ „Ist es auch nicht, trotzdem war er gut.“ Kiara rollte mit den Augen und wagte es, sich von Yami zu lösen. „Sieh einer an, Pharao! Endlich bist du da. Du ahnst ja gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe, dass du mir endlich gegenüber stehst, dass ich endlich die Gelegenheit bekomme, dir das heimzuzahlen, was du mir vor 5000 Jahren angetan hast.“ Kiara zuckte vor Schreck heftig zusammen und stolperte einen Schritt zurück. Zu ihrem Entsetzen prallte sie nicht – wie sie erwartete hatte – gegen Yami, sondern gegen eine Kiste, über die sie rücklings stolperte und zu Boden stürzte. Panisch tastete sie im Dunkeln nach Yami, der sich jedoch nirgendwo in ihrer Nähe aufhielt. „Pharao?“, fiepte sie leise und unterdrückte mühsam die aufkeimenden Tränen. Es gab absolut keinen Grund, in Panik zu geraten. Sie war das hier bereits gewohnt. Sie wusste, wie es war, nichts sehen zu können. Kiara beruhigte sich, atmete tief ein und aus und seufzte erleichtert, als ihr Herz nicht mehr so raste. Wo war nur Yami? Eine Hand umschloss ihre Schulter und ließ sie aufschreien. „Pssst, Kiara, ich bin es nur.“, beruhigte Yami sie und legte ihr hastig die Hand auf den Mund. Kiara hätte vor Erleichterung fast zu weinen begonnen. Für ein paar Sekunden lehnte sie sich an ihn und ließ sich von seiner Ruhe anstecken, bis sie sich aufrafften und krampfhaft nach irgendetwas Ausschau hielten, was ihnen in dieser Dunkelheit jedoch komplett verborgen blieb. „Kann es eigentlich sein, dass das dieser … dieser Priester gerade eben war, der mich offenbar aus tiefstem Herzen zu hassen scheint?“ „Wer sollte dir denn sonst eine Kampfansage hier drin machen?“ Yami nickte und straffte sich. „Also schön, Aknadin! Du wolltest einen Kampf, den kannst du gern haben! Aber lass Yugi aus dem Spiel! Ich weiß nicht, was du mit ihm gemacht hast, aber lass ihn auf der Stelle frei oder ich schwöre dir …“ „Was schwörst du mir, Pharao? Mich zu vernichten? Du kannst nichts vernichten, was schon tot ist. Ich bin ein Geist, Pharao! Nicht mehr. Wie willst du dich einem Geist stellen? Du kannst doch noch nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen und willst mich besiegen?“ Atem stieß einen knurrenden Laut aus und ballte wütend die Hände zur Faust. „Na schön, wenn du dich traust, dann komm doch her!“, rief er in tiefe Schwärze hinein und bestätige damit Kiaras Vermutung, dass Yami offenbar doch nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. „Toll! Ermutige ihn noch dazu, uns auszuradieren!“ „Ich hab nicht vor, mich ausradieren zu lassen.“ Kiara knirschte mit den Zähnen und packte Yamis Hand. „Vertraust du mir?“, fragte sie ihn, während sie weiterhin angestrengt versuchte, irgendetwas zu erkennen. „Was soll die Frage?“ „Hör endlich auf, immer mit einer Gegenfrage zu antworten und beantworte mir lieber meine Frage! Vertraust du mir?“ Atem zuckte überrascht zusammen, als ihm klar wurde, dass es gar nicht so lange her war, als er Kiara diese Frage gestellt hatte. Doch dieser Moment schien schon wieder so unendlich weit her zu sein, dass er gar nicht mehr wirklich sicher war, ob es wahr oder nur ein Traum gewesen war. Seine Hand umschloss Kiaras noch fester. „Sicher vertraue ich dir.“ „Dann schließ die Augen und lass mich das übernehmen.“ Yami zögerte, schloss jedoch gehorsam die Augen und wurde überrascht. Mit dem Schließen seiner Augen hatte sich sein Gehör sofort verschärft. Vereinzelt nahm er Wasserplätschern war, das Trippeln von zahllosen kleinen Pfoten schlich sich in seine Gedankenwelt und zum ersten Mal wurde ihm klar, wie Kiara sich die letzten Wochen gefühlt haben musste. Neben ihm entspannte Kiara sich. Das hier war nicht länger unbekanntes Terrain. Nein – sie wusste genau, wie sie dem Geist gegenüber treten musste. Entschlossen schloss sie fest die Augen und ließ die Geräusche auf sich einwirken. Das hier war nichts Anderes, als die letzten Wochen völliger Blindheit. Ihr Griff um die einzelne Karte verfestigte sich und ein Teil ihrer Konzentration richtete sich auf den Gürtel, der in den nächsten Sekunden die Entscheidung herbeiführen würde. Um sie herum bewegte sich etwas, das konnte sie fühlen. Es war mehr als nur ein Windhauch, der sie umfloss. Sie konnte das Böse fühlen, das sich ihnen näherte. Konnte den Hass fühlen, der unbeschreibliche Ausmaße angenommen hatte. Kiara wurde von einer Gänsehaut erfasst. Es näherte sich – der Geist kam näher. Langsam presste sie die Karte gegen ihre Brust und bewegte lautlos die Lippen. Es war da! Sie konnte fühlen, wie sich die Masse aus Bosheit und Hass hinter ihnen aufbäumte, eine tiefe schwarze Wolke, die an Schwärze sogar noch die Dunkelheit übertraf. Kiara zitterte, wirbelte schließlich herum und hielt die Karte in die Höhe. Ein greller Blitzstrahl jagte durch den Keller, erwischte die Karte und erlosch sofort wieder. Und kurz darauf formten sich nach und nach strahlend helle Lichtkugeln, die immer mehr das Aussehen von Schwertern annahmen. Drei waren es, drei, die zusammen genommen ein Dreieck aus Licht bildeten, in dessen Mitte sich eine körperlose Gestalt befand. Kiara schluckte. Es bestand kein Zweifel darin, wer ihnen in die Falle getappt war. Die Zauberkarte Lichtschwerter hatte ihn gefangen – den bösen Geist Aknadin. Das Licht der Schwerter reichte vollkommen aus, um die Umgebung soweit zu erhellen, dass sie Yami erkennen konnte. Kiara blickte Aknadin wieder an und unter dem hassvollen Blick, den er ihr zuwarf wurde ihr tatsächlich angst und bange. „Nicht schlecht, kleine Prinzessin! Du hast scheinbar mehr auf Lager, als ich dir zugetraut hatte. Als du mir damals auf der Straße endlich die Flucht aus dem Reich der Toten ermöglicht hattest, dachte ich schon, ich hätte leichtes Spiel mit euch, aber wie man sieht, hab ich gerade dich wohl doch zu sehr unterschätzt.“ Kiara versuchte verzweifelt, den dicken Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, doch es wollte ihr nicht gelingen. „Was hast du mit Yugi gemacht?“ „Oh, der kleine Narr amüsiert sich prächtig in seinem magischen Gefängnis.“ „Lass ihn sofort frei, Aknadin!!“, fauchte Yami, der seine Sprache endlich wieder gefunden hatte. Der Priester lachte schallend. „Du scheinst dich wieder an mich zu erinnern. Oder doch nicht? Hat dein Prinzesschen dir alles über mich erzählt?“ „Spielt denn das eine Rolle?“ „Vermutlich nicht. Zumindest kann es mir egal sein, ob du alles über mich weißt, wenn ich dich gleich zerschlage oder nicht?“ „Du scheinst dich ein wenig zu überschätzen, Aknadin! Glaubst du, die Lichtschwerter lassen sich so einfach durchbrechen?“ Aknadin lächelte kalt und ein gefährliches Funkeln erreichte seine Augen. Kiara spürte es schon, bevor es wirklich geschah, doch trotzdem reichte die Zeit für eine Warnung nicht mehr aus. Eine gewaltige Druckwelle schleuderte sie und Yami zurück. Kiara stürzte direkt in eine der Kisten, welche zu Tausenden in diesem Keller herumstanden, während Yami ungebremst gegen die Wand donnerte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete er sich auf und rieb sich den Kopf. Taumelnd kam er wieder auf die Beine, musste sich allerdings sofort wieder an der Wand abstützen, um nicht zusammenzusacken. Kiara kämpfte sich ebenfalls wieder auf die Beine und suchte verzweifelt nach der Karte, die Yami in Verwahrung genommen, bei dem Sturz jedoch verloren hatte. „Oh nicht doch … bitte, bitte nicht schon wieder …“ fluchte sie verzweifelt. „Komm schon, komm schon, komm schon! Materialisiere dich Schwarzer Magier!“, schrie sie schließlich und blickte überrascht auf, als sie in der Ferner ein lilafarbenes Leuchten vernahm. Kiara seufzte erleichtert. Das Licht wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Und dann legte sich plötzlich ein gewaltiger Druck auf ihre Ohren. Schreiend ging sie in die Knie, presste ihre Handflächen gegen die Schläfen und kauerte sich verzweifelt zusammen, als auch noch ihr gesamter Körper vor Schmerz zu beben schien. Atem schien es nicht besser zu ergehen. Auch er sank in die Knie, die Hände auf die Ohren gepresst und mit schmerzverzerrtem Gesicht Ausschau nach der Ursache haltend. Kiara hatte das Gefühl, ihr gesamter Kopf würde platzen. Es war, als würden Tausende von kleinen Männchen von innen mit schweren Hämmern gegen ihre Schädeldecke schlagen. Sie war schon kurz vor einer Ohnmacht, als der Druck abnahm, die Schmerzen verschwanden und ihre Sicht abrupt verschwamm, als ihr Tränen über die Wangen liefen. Keuchend setzte sie sich auf und blickte sich erschöpft um. Zu dem hellen, warmen Licht, was die Lichtschwerter verursachten, hatte sich mittlerweile ein ungeheuer starkes, lilafarbenes Licht gesellt. Kiara lächelte erleichtert, als sie den Schwarzen Magier erblickte, der majestätisch vor dem Geist des ehemaligen Priesters stand, seinen mächtigen Stab auf ihn gerichtet. Offenbar hatte er ohne weiteren Befehl Aknadins Zauber gebrochen und Kiara und den Pharao vor weiterem Unheil bewahrt. Mühsam kämpfte sie sich auf die Beine und taumelte auf die real gewordene Gestalt ihrer Lieblingskarte zu. Ebenso der Pharao, der noch ziemlich blass im Gesicht war. Neben dem Schwarzen Magier blieb sie stehen, schlang die Arme um ihren Oberkörper, um das Zittern zu unterdrücken und funkelte den Geist des Priesters an, der keineswegs glücklich dreinblickte. „Warum so traurig? Enttäuscht, dass wir eine Möglichkeit gefunden haben, dich aufzuhalten?“ Ein Knurren war die einzige Antwort, die sie bekam. „Der Schwarze Magier scheint dir ziemlich bekannt vorzukommen, hab ich den Eindruck.“, zischte sie weiter und war erstaunt darüber, wie sehr das soeben Erlebte an ihren Kräften gezehrt hatte. „Du hältst dich für besonders schlau, kleines Prinzesschen, was? Doch so leicht werde ich es euch nicht machen.“ Diesmal war es der Pharao, der das Unglück kommen sah. Er gab dem Magier bereits den Befehl zum Angriff, konnte aber nicht mehr verhindern, dass Kiara, die mittlerweile am Ende ihrer Kraft war, durch eine neuerliche Druckwelle durch den Raum geschleudert wurde. Der Magier schwenkte anmutig seinen Stab herum und ein mächtiger lilafarbener Energiestrom schoss auf den Priester zu, durchbrach die magische Barriere der Lichtschwerter, die den Geist gefangen hielten, und traf ihn mit voller Wucht in die Brust. Entgegen seiner Erwartung schrie Aknadin in keinster Weise auf. Stattdessen bildete sich lediglich ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht, der Yami klar machte, dass er mit einem direkten und vor allem erfolgreichen Angriff niemals gerechnet hatte. Offenbar hatte Aknadin die beiden Zwillinge tatsächlich unterschätzt. Um ihn herum begann alles zu vibrieren, die Lichtschwerter erloschen und der Geist des Priesters löste sich nach und nach im Nichts auf. Dann war er endgültig verschwunden. Verwirrt blinzelte Yami, als auch die tiefe Schwärze wieder verschwand, die bis vor ein paar Sekunden noch geherrscht hatte. Ein leichter Hauch von Tageslicht floss in den Keller und ließ ihn nicht mehr so bedrohlich wirken. Yami blickte den Magier an, der seinen Blick stumm und mit einem leichten Lächeln erwiderte. „Danke.“, war das einzige, was der Pharao hervorbringen konnte, bevor der Magier wieder verschwand. Noch nie hatte er ein so tiefes Gefühl von Dankbarkeit dem Schwarzen Magier gegenüber empfunden. Das Einzige, was ihm noch nicht wirklich einleuchtete, war Kiaras Ansage Aknadin gegenüber. Was hatte sie damit gemeint, dass der Magier dem Priester nicht gänzlich unbekannt war? Schlagartig wachte er aus seinen Träumereien auf und blickte sich hastig nach Kiara um. Sie lag völlig weggetreten in einem Meer aus Holzsplittern. Offenbar war sie mit solcher Wucht in die Kisten geschleudert worden, dass diese komplett zerstört worden waren. Yami setzte sich eilig in Bewegung. Äußerlich schien sie keine großen Verletzungen davon getragen zu haben, doch seine Unruhe blieb. Allein schon die Tatsache, dass sie ohne Bewusstsein war und keuchend ein- und ausamtete, machte ihm klar, dass sie nicht gerade in bester Verfassung war. Vorsichtig befreite er sie aus dem Meer aus Holzsplittern und machte sich – Kiara auf dem Arm – auf den Weg in das obere Stockwerk und raus aus dem Lagerhaus. Auf der Straße angekommen, sah er sich hilfesuchend um, konnte aber niemanden entdecken, bis ihm das Krankenhaus um die Ecke in den Sinn kam. Obwohl er noch vollkommen erschöpft war, schaffte er es bis zur Notaufnahme, wo er Kiara in die Obhut der Ärzte gab und sich selbst auf einem Stuhl im Warteraum sinken ließ. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in den Händen und dachte nach. Wo war Yugi? Sie hatten Aknadin besiegt und doch konnte er fühlen, dass Yugi noch immer nicht da war, wo er hin gehörte? Sein Geist schien die magische Blockade, die ihn gefangen hielt, noch immer nicht durchbrochen zu haben. Die Frage war nur warum? „Bist du nicht Yugi?“, riss ihn die tiefe Stimme eines Mannes aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er hoch und blickte in das Gesicht von Dr. Makoru. „J…ja, das bin ich. Ehm … wie geht es Kiara?“ „Ist sie etwa eingeliefert worden?“, fragte er alarmiert und drückte sein Klemmbrett einer Ärztin in die Arme, bevor er Yami sanft an der Schulter ergriff und ihn besorgt musterte. „Du siehst auch nicht gerade blendend aus. Ist alles in Ordnung mit dir?“ Yami setzte zu einem Kopfschütteln an, besann sich dann jedoch eines Besseren und nickte. „Mir geht’s gut. Ich will nur wissen, was mit Kiara ist.“ „Was ist denn passiert?“ Der Pharao raste sein komplettes Buch der Ausreden durch auf der Suche nach der perfekten Entschuldigung. „Wir … wir waren in dem Lagerhaus hier um die Ecke und…“ Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, den Dr. Makoru aufsetzte, als er Yamis Erklärung vernahm, hatte er an der falschen Stelle angefangen. Doch zurück konnte er nicht mehr. „Was zum Teufel hattet ihr dort zu suchen?“, fragte der Mediziner im scharfen Ton und eine steile Falte bildete sich zwischen seinen blauen Augen. Zum ersten Mal merkte Yami wirklich, was Verunsicherung bedeutete. „Wir dachten, wir hätten Stimmen gehört, deswegen sind wir dort rein. Es klang so, als würde … als würde jemand um Hilfe rufen!“ „Und da fällt euch nichts Besseres ein, als persönlich dort hineinzugehen und euch in Gefahr zu bringen? Ist dir eigentlich klar, dass das Lagerhaus so ziemlich das einsturzgefährdetste Gebäude in diesem Bezirk ist? Eigentlich braucht man es nur schief ansehen und es könnte einstürzen.“ „Ja, das haben wir gemerkt.“, knurrte der Pharao leise in sich hinein und hoffte inständig, dass Dr. Makoru seine Bemerkung nicht gehört hatte. „Warum habt ihr nicht die Polizei gerufen oder die Feuerwehr?“ Yami seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir … haben einfach nicht nachgedacht. Bitte, ich will doch nur wissen, ob es Kiara gut geht. Vorwürfe mache ich mir schon genug, da brauch ich keinen Nachschlag von.“ Der junge Arzt sah Yami noch einen Moment forschend an, bemerkte sofort, dass er unter unglaublicher Müdigkeit litt und nickte dann. „Ich werde nachsehen und du wirst dich gefälligst bei der Schwester am Empfangsschalter melden, dass sie dich in ein Krankenzimmer bringt, wo du dich kurz ausruhst. Du kannst behaupten, was du willst, aber noch kann ich als Arzt erkennen, ob ein Mensch kurz davor ist zusammenzubrechen oder nicht. Und in deinem Fall wundere ich mich ehrlich gesagt, dass du überhaupt noch gerade stehen kannst.“ Yami blickte verlegen zur Seite. Normalerweise ließ er sich nicht so herunterbuttern, doch irgendwie merkte er, dass er tatsächlich nicht mal mehr die Kraft hatte zu widersprechen. Vielleicht war es in diesem Fall wirklich einmal besser, dass er auf den Ratschlag eines anderen Menschen hörte. Und trotzdem konnte er nicht umhin zu denken, dass ein paar Stunden Schlaf nur vergeudete Zeit war, in der er eigentlich Yugi suchen könnte. Doch am Ende siegte seine Vernunft. Mit leicht hängendem Kopf schlurfte er davon und erst jetzt bemerkte er, dass der Druck in seinem Kopf noch immer nicht gänzlich verschwunden zu sein schien. Noch bevor er besinnungslos zu Boden stürzte, kam ihm der Gedanke, dass noch nicht alles überstanden war… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)